DEAN CORVIN: 01. Das Ende des Imperiums von ulimann644 ================================================================================ Kapitel 13: EIN LETZTER MOMENT DER RUHE ---------------------------------------  In der Zentrale des Schlachtkreuzers SATURN warteten Oberleutnant Jayden Kerr und Oberleutnant Andrea von Garding darauf, dass der Nachtdienst endlich ein Ende fand. Die SATURN hatte mit einem Viertel der Ersten Terranischen Flotte, die insgesamt unter dem Oberkommando von Generalmajor Azadeh Hazrat stand, Manöver im Bereich der Hyaden abgehalten. Doch die Kommandeurin der Ersten Flotte weilte momentan auf Terra. Die SATURN befand sie sich, in der Begleitung des Schlachtkreuzers RHEINGOLD, und fünf kleinerer Einheiten der Flotte, auf dem Rückweg zum Sol-System. Dort würden die Raumschiffe wieder mit dem Gros der Heimatflotte, wie die Erste Flotte auch alternativ tituliert wurde, zusammentreffen. Gegenwärtig steuerte Andrea von Garding, in ihrer Funktion als Zweite Pilotin, das fast einen Kilometer lange Kriegsschiff durch den Hyperraum. Da sie nur eingreifen musste, falls es zu Schwierigkeiten mit dem vorprogrammierten Kurs kam, saß sie relativ entspannt in ihrem Sitz und wechselte mit ihrem Freund Jayden, dessen Tätigkeit als Zweiter Waffenoffizier sich zur Zeit ebenfalls auf das Beobachten seiner Instrumente beschränkte, gelegentliche Blicke. Jayden Kerr lächelte dabei jedes mal unbewusst und ein fast melancholischer Ausdruck trat dabei in seine dunklen Augen. Bei jedem dieser Blicke spürte Andrea von Garding eine tiefe innere Verbundenheit zu Jayden. Mehr denn je liebte sie diesen ruhigen, jungen Mann, seit sie, an der Sektion-Terra, zueinander gefunden hatten, und bei jedem Blick wusste sie ganz genau, dass ihre Entscheidung, die sie vor sechs Tagen, in den ersten Stunden des heiligen Abends, getroffen hatten richtig gewesen war. Ein warmes Lächeln überflog das hübsche Gesicht der Pilotin. Dann bemerkte sie aus den Augenwinkeln den mahnenden Blick des Zweiten Offiziers, Major Saranya Yokida, und sie setzte schnell eine dienstliche Miene auf, was Yokida zum Schmunzeln reizte. Es verlieh deren eurasischem Gesicht wiederum eine verschmitzte Note. Andrea von Garding kontrollierte schnell ihre Anzeigen und blickte dabei gelegentlich auf den Panorama-Holobildschirm der Zentrale. Auf ihm zeichnete sich der Hyperraum vor dem Schlachtkreuzer in rot, durchzogen von etwas helleren, orangeroten Schlieren, ab. Momentan durchpflügten ihn die SATURN und die sechs begleitenden terranischen Kriegsschiffe mit rund vier Lichtjahren pro Stunde. Das entsprach rund 95 Prozent der maximal möglichen Geschwindigkeit, die im Hyperraum erreicht werden konnte. Besondere Gegebenheiten, wie Gravitationsstrudel und Scherströmungen außer Acht gelassen. Querab, an Backbord waren einige hellere, gelbe Bereiche zu erkennen, die einem erfahrenen Piloten verrieten, dass sich dort Störquellen, wie Sterne oder andere Gravitationsquellen, befinden mussten. Eine weitere dieser gelblichen Zonen lag direkt in Flugrichtung. Gegenwärtig befand sich der kleine Verband, zu dem die SATURN gehörte, in einer relativ gefahrlos zu durchfliegenden Gegend des Weltalls. Noch etwas mehr als zweihundert Lichtjahre von der Erde entfernt würde der Pulk gegen Mittag des ersten Januar 3221 innerhalb des Sol-Systems aus dem Hyperraum fallen, sofern die Raumschiffe die momentane Fahrtstufe beibehielt. Oberleutnant von Garding lächelte schwach, bei diesem Gedanken. Wahrscheinlicher war es, dass der Kommandant der SATURN, Oberst Jason Haehrfoehr, der momentan gleichzeitig als Kommandeur dieses kleinen Verbandes diente, mindestens zwei Unterbrechungen des Überlichtfluges befehlen würde. Er war dafür bekannt, dass er die Aggregate der ihm anvertrauten Kriegsschiffe nicht gerne überstrapazierte. Nur zu gerne hätte Andrea von Garding Silvester auf der Erde gefeiert, zusammen mit ihren Kameraden Rodrigo, Kimi und Dean, die sie seit mehr als zwei Jahren nicht mehr gesehen hatte. Doch daraus würde definitiv nichts werden, weshalb sie sich wegen der zu vermutenden Verzögerung des Fluges auch nicht großartig ärgerte. Zum wiederholten Mal kontrollierte Andrea von Garding den Kurs des Schlachtkreuzers. Die Zeit schien sich zu dehnen, bis ihr Dienst endlich ein Ende fand, und ihre Ablösung in der Zentrale erschien. Nach einer routinierten, schnellen Übergabe meldete sie sich, gemeinsam mit Jayden Kerr, bei Saranya Yokida ab und verließ mit ihm das Nervenzentrum des Schlachtkreuzers. Dicht bei einander, jedoch auf körperlichen Kontakt verzichtend, da dies an Bord von Kriegsschiffen öffentlich als unschicklich galt, schritten sie durch die hell erleuchteten Gänge zu ihrem gemeinsamen Quartier. Wenigstens was den privaten Bereich betraf hatte die Flotte schon vor einigen Jahrhunderten ein Einsehen gehabt und erlaubte es Paaren, sich an Bord ein Quartier zu teilen, sofern die Kapazität dies erlaubte. Im Laufe der mehr als acht Jahrhunderte, in denen die Terranische Raumflotte mittlerweile existierte, hatte sich herausgestellt, dass einerseits, bedingt durch den langen Einsatz im All, viele intime Beziehungen an Bord von Flottenschiffen entstanden. Andererseits hatte sich erwiesen, dass Beziehungspartner, die ihren Dienst gemeinsam versahen und an Bord miteinander lebten, ausgeglichener und effektiver ihren Dienst verrichteten, als wenn man sie trennte. Naturgemäß konnte es immer zu Härtefällen kommen, in denen ein solcher, gemeinsamer Dienst nicht machbar war. Doch die Flotte bemühte sich seit langer Zeit schon, solche Fälle zu minimieren. Also hielten sich Andrea von Garding und Jayden Kerr zurück, bis sie ihr Quartier betreten hatten. Erst nachdem sich die beiden Schotthälften hinter ihnen geschlossen hatten nahmen sie einander in die Arme und küssten sich liebevoll. Ohne sich von Jayden zu lösen tastete Andrea mit der Linken nach dem Lichtkontakt und fand ihn nach einer Weile. Erst dann öffnete sie langsam ihre Augen, löste sich widerstrebend von ihrem Freund und legte ihre Hände auf seine breiten Schultern. Dabei fiel ihr Blick unbewusst auf den goldenen Ring, den sie nun seit Heiligabend, am Ringfinger ihrer linken Hand trug. Jayden Kerr, der einen identisch aussehenden Ring trug, bemerkte es und blickte seine Partnerin glücklich an. Dabei sprach er schließlich ein etwas delikates Thema an, das Andrea bisher auffallend vermieden hatte. „Hast du es Dean und Kimi, bei Deiner gestrigen Nachricht via Interstellar-Kom, mitgeteilt?“ Die junge Frau wich seinem Blick nicht aus, als sie entgegnete: „Nein, ich möchte es ihnen selbst sagen, und nicht so unpersönlich als trockene Nachricht zuschicken.“ Sie zögerte einen Moment lang und gab dann offen zu: „Wenn ich ehrlich bin, dann muss ich zugeben, dass der Gedanke daran mir Magenschmerzen bereitet, Jayden. Weniger wegen Kimi. Aber ich erinnere mich noch gut daran, wie Dean war, als ich ihm das mit uns beiden gesagt habe.“ Jayden nickte beruhigend. „Das ist doch Jahre her. Dean hat sich schon längst damit abgefunden. Vielleicht machst du Dir da zu viele Gedanken.“ „Vielleicht machst du Dir ja zu wenig Gedanken“, brauste Andrea auf. Jayden packte sie an den Schultern und lächelte nachsichtig. „Wer sagt Dir denn, dass er nicht längst eine Freundin gefunden hat? Vielleicht ist er bereits in festen Händen und er hat ebenfalls vor, es uns persönlich zu sagen.“ Andreas Augen verengten sich etwas. „Das ist bestenfalls Wunschdenken, auch wenn ich es ihm von Herzen gönnen würde. Aber Dean ist schon etwas kompliziert, und seine traumatische Erfahrung mit Tae Yeon hat es vermutlich kaum besser gemacht. Die Frau die zu Dean passt müsste schon sehr speziell sein. Die sind rar gesät, sage ich Dir.“ „Aber es gibt sie“, widersprach Jayden unbeirrt und zog seine Freundin wieder etwas fester zu sich heran. „Das wird schon noch.“ Ein Lächeln überflog das Gesicht der rot-blonden Frau und sich eng an ihn schmiegend antwortete sie leise: „Diesen unverwüstlichen Optimismus habe ich schon zu Akademiezeiten an Dir geliebt.“ Andrea gab Jayden einen herzhaften Kuss und fragte dann unvermittelt: „Was hältst du von einem kleinen Snack, bevor wir uns hinlegen?“ Jayden Kerr, der diese Sprunghaftigkeit seiner Freundin mittlerweile gewöhnt war, nickte grinsend. Nachdem sie sich beide am Nahrungssynthesizer einen kleinen Imbiss zusammengestellt, und sie es sich auf dem Sofa bequem gemacht hatten, sagte Jayden um einen Bissen herum: „Wenn ich an die gestrige Nachricht denke, in denen es hieß, dass Verteidigungsministers Jason Urquohard die Absicht hegt, das Budget der Flotte in den nächsten fünf Jahren um zwanzig Prozent zu senken, dann wird mir immer noch ganz anders. Was glaubt der, wie die übrigen Sternenreiche, besonders aber die Konföderation Deneb, darauf reagieren werden? Lebt dieser Mann denn in einer eigenen Welt?“ „Davon gehe ich aus“, knurrte Andrea finster. „Besonders die Konföderierten werden sich die Hände reiben. Ich frage mich ernsthaft, auf welcher Seite dieser verdammte Kerl eigentlich steht.“ Jayden Kerr nahm einen Schluck von seinem Fruchtsaft und sinnierte: „So ganz Unrecht hat er andererseits vielleicht nicht. Unsere Exporte gehen, seit zehn Jahren bereits, kontinuierlich zurück und immerhin herrscht seit über zweihundert Jahren Frieden zwischen den fünf Sternenreichen. Da ist der Gedanke schon nachvollziehbar. Trotzdem glaube ich, dass dadurch ein falsches Signal an die anderen Sternenreiche gesendet wird.“ „Ich fürchte, wir werden es erleben“, vermutete Andrea und verzog die Lippen. „In der zivilen Bevölkerung gibt es eine Menge Befürworter seiner Pläne. Alles Traumtänzer, denen der Blick für die Realität abhanden gekommen ist. Manchmal glaube ich fast, dass unsere Politiker im Imperium zu träge geworden sind.“ „Ich höre förmlich, wie der Stabschef dir zustimmt“, spöttelte Jayden Kerr und zog seine Freundin in seine Arme. „Schluss mit den finsteren Gedanken, es wird keinen Krieg geben, zumindest keinen, den wir noch erleben werden.“ Sie räumten gemeinsam das Geschirr und die Gläser ab. Nach einer ausgiebigen, gemeinsamen Dusche begaben sie sich zu Bett und kuschelten, zu müde um miteinander zu schlafen, noch eine geraume Weile ausgiebig und sehr zärtlich miteinander. Später lagen sie, eng umarmt, unter der leichten Bettdecke. Schläfrig flüsterte Andrea ihrem Freund zu: „Ich freue mich schon darauf, Rodrigo, Kimi und Dean wiederzusehen. Wir alle waren viel zu lange von einander getrennt und ich bin schon ganz kribbelig.“ Jayden raunte leise zurück: „Ja, ich freue mich auch darauf unsere Freunde endlich wiederzusehen.“ Andrea gähnte unterdrückt und flüsterte: „Du hast mit mir noch gar nicht darüber gesprochen, wie Deine Eltern die Nachricht aufgenommen haben, dass du nun verlobt bist.“ Der Jamaikaner lachte leise und antwortete neckend: „Was denkst du denn? Meine Eltern waren bereits enttäuscht, dass ich nicht, wie mein Vater, Geschäftsmann geworden bin, sondern zum Militär wollte. Und nun habe ich mich auch noch mit einer Frau verlobt, die irgendwann ganz sicher General in der Flotte sein wird. Damit habe ich innerhalb meiner Familie nun wohl endgültig und hoch offiziell den Status des Schwarzen Schafs erreicht.“ Ein leichter Ellenbogen-Check war die einzige Antwort der jungen Frau. Jayden Kerr lauschte den gleichmäßigen Atemzügen seiner Freundin, und nun seit kurzem auch Verlobten, die in seinen Armen einschlief. Er dachte nachdenklich daran, wie heftig sie vorhin reagiert hatte, bei seiner leichtherzigen Bemerkung, dass sich Dean mit ihrem Zusammensein längst abgefunden habe. So emotional hatte er Andrea schon seit Jahren nicht mehr erlebt. Seine Gedanken kreisten unaufhörlich um dieses Verhalten seiner Verlobten und das hielt ihn noch eine ganze Weile wach.   * * *   Auf dem Mars betrat Oberleutnant Kim Tae Yeon, in demselben Moment, eine kleine Bar, in einem der Außenbezirke von Red Sands, der größten Ansiedlung auf dem Mars. Sie lag am Rand einer kleinen, äquatorial gelegenen Wüste, die noch den ursprünglichen roten Farbton aufwies, die den Mars vor dem Terraformen ausgezeichnet hatten. Zur Zeit lebten knapp vier Millionen Menschen in dieser Marsmetropole. Es dauerte einen kurzen Moment, bis sich die Augen der Asiatin an das Halbdunkel des Lokals gewöhnt hatten. Nach einer kurzen Orientierungsphase entdeckte sie Larenan Farralen, den Mann, wegen dem sie hierher gekommen war, an einem der hinteren Tische des Etablissements. Von dort aus hatte er einen guten Überblick auf den Eingangsbereich. Ein unmerkliches Schmunzeln überflog das Gesicht der Frau. Agenten legten beruflich bedingte Angewohnheiten nur schwer ab, und dieser Agent der Konföderation Deneb bildete keine Ausnahme. Vor etwa einem halben Jahr, kurz nach ihrer Beförderung zum Oberleutnant, war dieser gut aussehende Mann zum ersten Mal an sie herangetreten. Sie hatten einige leidenschaftliche Nächte miteinander verbracht, bevor er ihr überraschend eröffnete, dass er ein Agent der Konföderation Deneb ist. Ihr damals erster Impuls war, ihn den terranischen Behörden zu übergeben. Doch der charismatische Mann konnte sie davon überzeugen, dass das Terranische Imperium sich selbst überlebt hatte und die Konföderation die Zukunft sein würde. Er bot ihr zudem an innerhalb der Konföderation in eine sehr hohe Machtposition aufsteigen zu können, wenn sie mit ihm und der Konföderation paktieren würde. Er hatte sie mit Erfolg da gepackt, wo sie am anfälligsten war – bei ihrem bereits zu Akademiezeiten fast krankhaften Ehrgeiz. Das war Kim Tae Yeon bewusst, doch genau das gefiel ihr an ihm. Was Kim Tae Yeon fast noch besser gefiel, an dem, was schon sehr bald über das Terranische Imperium hereinbrechen würde, war, dass Dean Corvin in ihr Ränkespiel mit eingebunden war, ohne es zu wissen. Es war ihre Idee gewesen, ihm und seinem besten Freund, über einen bezahlten Frachterpiloten, die Informationen über den auffälligen Ankauf von Garrett-Hellmann-Prozessoren zuzuspielen. Das war bis zu einem gewissen Grad ein Risiko gewesen, denn der verhasste Kanadier hätte vielleicht zufällig darauf kommen können, wozu die Konföderation die Prozessoren wirklich benötigte. Doch offensichtlich war er das nicht, wie ihre Freunde aus Akademietagen, Jeremy James und Jonas Zandvoort, gestern erst bestätigt hatten. Beide gehörten nun beruflich zu ihrem Team. Kim Tae Yeon erreichte den Tisch von Larenan Farralen. Sie beugte sich kurz zu ihm, hauchte ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange und nahm zu seiner Rechten Platz. Dabei registrierte sie den kurzen Moment der Enttäuschung bei dem Mann, der seit ihrer ersten Nacht offensichtlich der Meinung war, sie würde ganz und gar in seinem Bann stehen. Dass es genau umgekehrt war, das wusste zwar sie, aber offensichtlich nicht er, und das war gut so, befand die Asiatin. Ohne sich diese Gedankengänge anmerken zu lassen, legte sie ihre linke Hand auf seinen Unterarm und lächelte ihn gewinnend an, bevor sie leise sagte: „Ich habe Dich vermisst, Larenan.“ Dabei dachte sie: Männer sind nicht nur leicht zu manipulieren, sondern auch sehr empfänglich für Komplimente, selbst wenn sie das nie zugeben würden. Ich habe jedoch nicht vergessen, was du, und deine Kameraden, unter einer Überprüfung verstehen. Prompt entspannten sich die ausgesprochen männlichen Züge des konföderierten Agenten und er erwiderte, ebenso leise: „Ich hatte gehofft, dass es so ist.“ Er versucht es auf dieselbe Art und Weise. Kim lächelte lediglich etwas breiter, bevor sie zum eigentlichen Grund ihres Hierseins zu sprechen kam: „Die falsche Fährte, die ich ausgestreut habe, hat funktioniert. Niemand hat bisher herausgefunden, wozu die Konföderation die GM-Prozessoren angekauft hat. Zwei Offiziere des Nachschub-Regiments auf Titan sind, wie erwünscht, nach Terra geflogen und bekamen vom Besitzer der Garrett-Hellmann Incorporated, Cole Hauser, wie erwartet, Auskünfte die besagen dass man mit den GM-Prozessoren nichts Besonderes auf militärischem Gebiet anstellen kann.“ „Abgesehen davon, was die Geräte, an Bord von einigen unserer Handelsschiffe, in die diese Prozessoren in großer Menge eingebaut wurden, damit bewirken können“, erwiderte Larenan Farralen mit zufriedener Miene. „Zumindest dann, wenn es deinen Mitarbeiter und dir tatsächlich gelingt, morgen Nacht unmerklich die Frequenzen aller stationären und mobilen terranischen Ortungsanlagen zu synchronisieren, und dabei auf genau jene Frequenz zu kalibrieren, mit denen unsere kleinen Neuentwicklungen arbeiten.“ Kim nickte zuversichtlich. „Das ist machbar. Jeremy, Jonas und ich haben morgen Nacht einen Überwachungsauftrag im Strategischen Hauptquartier. Wir werden kurz vor Mitternacht terranischer Standardzeit handeln, bevor die routinemäßige Frequenzanpassung der Ortungsanlagen stattfindet, die auch auf den Kriegsschiffen zu diesem Zeitpunkt erfolgt. Durch das zeitgleich aktivierte, spezielle Überlagerungssignal an Bord der Frachter werden die terranischen Kriegsschiffsfrequenzen ebenfalls beeinflusst, obwohl die Anpassung dort im Grunde autark erfolgt.“ „Nach ein bis zwei Stunden werden die Terraner bemerken, dass mit ihren Geräten etwas nicht stimmt“, orakelte Larenan Farralen düster. „Spätestens dann solltest du aus dem Hauptquartier heraus sein, denn die Terranische Flottenführung wird den Komplex garantiert hermetisch abriegeln.“ Kim Tae Yeon konzentrierte sich für einen Moment auf das Programmfeld der Servo-Automatik des Tisches und wählte für sich einen Fruchtsaft, bevor sie wieder in die grau-blauen Augen ihres Gegenübers sah und meinte: „Das habe ich bedacht. Ich werde eine halbe Stunde nach Ausführung der Sabotage den Komplex verlassen um in Auftrag zu geben, einem Hinweis auf zwei terranische Verräter nachzugehen.“ Sie zwinkerte Larenan Farralen unmerklich zu, als sie hinzufügte: „Danach wirst du dir keine Gedanken mehr um meine beiden Mitarbeiter machen müssen. Man wird, neben Beweisen für die Sabotage, in ihren Unterkünften auch Beweise finden, die sie mit einer Straftat in Verbindung bringt, die zu meiner Akademiezeit an der Sektion-Terra stattfand. Erste Regel bei einer Sabotage: Beseitige die Mitwisser.“ Für einen kurzen Augenblick spiegelte sich in den Augen der hübschen Asiatin eine solche Kälte, dass Larenan Farralen unwillkürlich ein Stück von ihr abrückte. Mit einem warnenden Unterton erwiderte er: „Das solltest du jedoch niemals mir gegenüber versuchen, denn diesen Versuch würde niemand überleben. Auch du nicht, was sehr bedauerlich wäre.“ Kim Tae Yeon blickte den rund acht Jahre älteren Mann gewinnend an und antwortete, mit verführerischem Tonfall: „Das würde ich niemals tun. Du weißt warum.“ Die Gesichtszüge des Mannes, der eine gewisse äußere Ähnlichkeit mit Dean Corvin aufwies, wie der Asiatin einmal mehr bewusst wurde, entspannten sich wieder etwas. „Dann werden meine Agenten und ich uns bereithalten. Wie bereits besprochen wirst du mich und meine Agenten im Anschluss mit einem Shuttle nach Luna bringen und dort unauffällig einschleusen. Das muss unbedingt geschehen, bevor die Terraner merken, was Sache ist. Die codierten Identifikationsmarken hast du?“ Kim nickte schmunzelnd. „Du redest nicht mit einer Stümperin. Alles ist vorbereitet, Larenan.“ Sie nahm einen Schluck von dem Fruchtsaft, den die Servo-Automatik, im Zentrum des Tisches, abgestellt hatte und fuhr mit verändertem Tonfall fort: „Ich möchte dich meinerseits an die Zusage erinnern, einen gewissen Oberleutnant Dean Corvin zu töten, falls er den Angriff auf das Sol-System überleben sollte. Durch die Beweise gegen meine beiden Mitarbeiter wird er nämlich im Gegenzug von einem Verdacht befreit, der sein Fortkommen in der Flotte bisher massiv torpediert hat. Ich würde nur ungern erleben, dass er bei dem, was nach dem Angriff vom Imperium übrig bleiben wird, Karriere macht.“ Der Agent der Konföderation legte die Stirn in Falten und fuhr sich nachdenklich, mit der rechten Hand, durch das kurze, dunkelblonde Haar. „Du hast diesen Namen bereits mehrmals erwähnt. Was hat der Kerl dir angetan?“ Für einen kurzen Moment loderte wilder Zorn in den dunklen Augen der Asiatin auf und sie fauchte heiser: „Das geht dich nichts an! Er ist ein Crétin, der den Tod verdient!“ Larenan Farralen lag eine scharfe Erwiderung auf der Zunge, doch er hielt sich im Zaum. Kim Tae Yeon erkannte in diesem Moment jedoch ganz klar, dass er sich so seine Gedanken dazu machte. Raunend sagte Farralen dann: „Der Plan steht also. Es bleiben noch einige Stunden. Was hältst du davon, wenn wir sie gemeinsam verbringen?“ Dem Gesicht der Asiatin war nicht mehr zu entnehmen, wie emotional sie vor einem Augenblick noch gewesen war, als sie zustimmend nickte, ihr Glas austrank und dann antwortete: „Dann sollten wir keine Zeit verlieren.“ Niemand achtete darauf, als sie sich erhoben und das Etablissement verließen.   * * *   Auf Titan blickte Dean Corvin zum Fenster seines Büros hinaus auf den Horizont des Mondes, an dem groß, fast bedrohlich wirkend, der Saturn mit seinem Ringsystem voraus aufging. Sehr deutlich waren die Cassinische Teilung und die Encke-Teilung des Ringes zu erkennen. Nach einer Weile wandte er seine Aufmerksamkeit Kimi Korkonnen zu, der die letzten Vorbereitungen traf, bevor sie sich an Bord des Transport-Raumers begeben würden, um mit den letzten Versorgungsgütern für die NOVA SOLARIS zum irdischen Mond aufzubrechen. Auf die Fensterfront deutend meinte er: „Das da draußen ist die einzige wirkliche Entschädigung für die gähnende Langeweile unseres Postens.“ Der Blonde blickte kurz auf und nickte verstehend. Trotzdem lag dabei ein Lächeln auf seinem Gesicht, und Dean Corvin wusste nur zu genau, woran das lag, oder besser, an wem das lag, denn seit zwei Wochen lag die AURORA auf dem Landefeld des Raumhafens. Mit diesem Zerstörer war, wie erwartet, Miriam Rosenbaum auf Titan angekommen. Kimi Korkonnen hatte sich seitdem an jedem Abend, nach Dienstschluss, mit ihr getroffen. Am ersten Abend hatten Dean, Tabea und Nayeli die beiden dabei begleitet. Danach waren sie dazu übergegangen, Kimi und Miriam allein ausgehen zu lassen, nachdem Dean Corvin den beiden befreundeten Technikerinnen einen dezenten Hinweis darauf gegeben hatte, was Kimi für Miriam empfand. Sowohl Kimi als auch Miriam waren ihnen dafür sehr dankbar gewesen. Man merkte beiden deutlich an wie es um sie stand. Dean Corvin, der den Finnen kannte wie sonst nur wenige Menschen, hatte sofort die besondere Veränderung bemerkt, die sich vor drei Tagen mit dem Freund vollzogen hatte. Jedoch hatte er sich davor gehütet irgendeine Bemerkung dazu von sich zu geben, da er wusste, wie sein Freund darauf reagiert hätte. So freute er sich für ihn und wartete ab, bis sein Freund von sich aus erzählen würde was sich ereignet hatte. Prüfend blickte Kimi Korkonnen seinen Freund an, gerade so, als habe er dessen Gedanken gelesen, und meinte ironisch: „Ich wundere mich darüber, dass du in letzter Zeit deine Neugier verloren zu haben scheinst.“ Dean, der sofort wusste worauf Kimi anspielte, grinste lausbubenhaft. „Die kocht seit Tagen über, um nicht zu sagen, sie schüttelt mich. Aber ich weiß was sich gehört.“ „Du wirst mir doch nicht etwa erwachsen?“ Dean Corvin warf dem Freund einen spöttischen Blick zu. „Keine Chance. Und jetzt heraus mit der Sprache, bevor ich platze.“ Kimi lachte amüsiert. „Also schön, ich hatte ohnehin nicht vor ein ewiges Geheimnis darum zu machen. Also, es ist passiert. Es war toll. Wir sind offiziell ein Paar.“ Für einen Moment blickte Dean Corvin den Freund etwas ungläubig an, bevor er herausplatzte: „Wie, ist das etwa alles was du dazu zu sagen hast?“ Kimis Grinsen wuchs permanent in die Breite. „Was hattest du denn erwartet? Einen Bericht mit allen pikanten Details? Das kannst du vergessen.“ Der Freund erwiderte Kimis neugierigen Blick. „Nun… Nein, das nicht gerade. Ich hätte nur vermutet, dass es dazu mehr zu sagen gäbe.“ „Würde ich Deine lyrische Ader besitzen ganz bestimmt“, konterte der Finne ironisch. „Aber so bin ich eben nicht.“ Dean ging auf den scherzhaften Tonfall des Freundes ein, ihn übertrieben melancholisch ansehend. „Du verschließt Dich immer mehr vor mir – Deinem besten Freund. Das trifft mich bis ins Mark, mein Lieber.“ Der Kanadier duckte sich lachend, als Kimi eine zerknüllte Kunststofffolie nach ihm warf. Dann fügte er immer noch feixend hinzu: „Du wirst von Monat zu Monat mundfauler, das ist es. Eine Entwicklung, die mir gar nicht gefällt.“ „Das ändert sich vielleicht, sobald Miriams Kurzurlaub endet. Ab morgen Mittag hat sie wieder Dienst auf der AURORA, die in drei Tagen aufbricht. Danach werden wir uns wohl wieder einige Monate nicht sehen, fürchte ich. Ich hoffe, dass ich mich dann bei Dir ausjammern darf.“ „Wozu sind Freunde denn sonst da“, grinste Dean und wurde übergangslos ernst. Achtlos die zerknüllte Kunststofffolie vom Boden klaubend und auf seinen Schreibtisch werfend meinte er: „Eine solche Fernbeziehung könnte sich als ziemlich hart erweisen. Tabea kann ein Lied davon singen.“ Kimi nickte. „Ich weiß, Dean. Miriam und ich haben darüber gestern noch ziemlich lange gesprochen. Wir wollen trotzdem zusammen sein.“ „Dann wünsche ich euch beiden das Allerbeste.“ Kimi Korkonnen beließ es bei einem dankbaren Kopfnicken. Das Thema wechselnd fragte er: „Was wirst du heute Abend noch unternehmen? Ich fühle mich fast etwas schuldig, weil Miriam und ich uns in den letzten beiden Wochen so rar gemacht haben.“ „Hey, das verstehe ich gut. Du wirst im neuen Jahr reichlich Gelegenheit haben, das wieder gut zu machen, schätze ich. Genießt eure vorerst letzte Nacht.“ Kimi verzog etwas das Gesicht bei dem anzüglichen Augenzwinkern des Freundes. Er überlegte einen Moment lang, ob er erwähnen sollte, was er vor zwei Tagen von einem Kameraden seiner Freundin erfahren hatte, bevor er sich erhob und zum Fenster des Büros schritt. Schließlich sagte er, über die Schulter gewandt: „Ich habe gehört, dass Kim Tae Yeon, nach der Akademiezeit, beim Geheimdienst der Flotte angenommen wurde. Miriam hat das von einem Schiffskameraden erfahren, dessen Frau im Strategischen Hauptquartier der Flotte, auf dem Mars, ihren Dienst versieht. Die beiden Frauen haben die ersten beiden Jahre ihrer Ausbildung an der Sektion-Mars zugebracht, von daher kennen sie sich. Tae Yeon hält sich offensichtlich regelmäßig dort auf.“ Dean Corvins Reaktion auf seine Worte fiel in etwa so aus, wie Kimi es sich zuvor vorgestellt hatte. „Vielleicht sollte ich mal einen Abstecher zum Mars machen, sobald ich Urlaub habe“, knurrte Dean finster und ballte die Hände zu Fäusten. „Apropos abstechen...“ „Vergiss das ganz schnell!“, mahnte Kimi warnend. „Schließe dieses Kapitel einfach. Ich habe das erwähnt, damit du einen möglichst weiten Bogen um den Mars machst, nicht damit du eine Dummheit begehst, klar?“ „Kristallklar.“ Dean Corvin machte bei dem forschenden Blick seines Freundes eine beschwichtigende Geste. „Während du also die letzte Nacht mit Deiner Freundin verbringst, werde ich mich mit Tabea, Nayeli und einigen Kameraden, auf einen Drink treffen.“ „Das nächste Mal bin ich wieder mit dabei“, versprach Kimi und warf einen Blick auf das Chrono-Feld seines Multifunktions-Armbands. „Komm, wir haben längst Dienstschluss.“ Sie schritten zum Schott, wobei Dean die zerknüllte Folie auf seinem Schreibtisch mit einem kurzen Seitenblick streifte. Er mochte keine Unordnung und war versucht nochmal zurück zu gehen, um die Folie zu entsorgen. Doch dann entschied er, dass das durchaus Zeit bis morgigen Dienstantritt haben würde.   * * *   Als Kimi Korkonnen am frühen Morgen in seinem Quartier erwachte war Miriams friedlich aussehendes Gesicht das Erste, was er bewusst wahrnahm. Er betrachtete interessiert die Linien ihres Mundes, ihrer Nase und ihrer Augenbrauen. Dabei überkam ihn ein Gefühl, dass ihn in der Entscheidung, mit ihr eine feste Bindung einzugehen, bestätigte. Vorsichtig beugte er sich vor und küsste die junge Frau sanft auf die Wange. Die leichte Bewegung reichte aus, um Miriam ebenfalls erwachen zu lassen. Etwas verschlafen aber glücklich blinzelte sie Kimi an und raunte: „Hallo, schöner Mann.“ Kimi streichelte ihre Wange. „Guten Morgen, mein Herzblatt.“ Miriam Rosenbaum schmiegte sich enger an ihren Freund und seufzte leise: „Zu schade, dass mein Urlaub heute Mittag vorbei ist. Die letzten beiden Wochen waren die schönsten meines Lebens.“ „Meine auch“, erwiderte der Blonde. Er zeichnete unter der leichten Bettdecke die Linie ihrer nackten Hüfte nach. „Das hätten wir viel früher machen sollen.“ Miriam küsste Kimi und erwiderte, nachdem sie sich widerstrebend von ihm löste: „Ich habe ja zu Akademiezeiten darauf gewartet, dass du irgendwann mal den ersten Schritt machen wirst. Doch was das betrifft sind Männer ja bekanntlich nicht die hellsten.“ Kimi kniff sacht in den Po seiner Freundin und lachte leise. „Du hättest ja auch den ersten Schritt machen können.“ „Na, habe ich doch.“ „Ja, aber erst einige Jahre später.“ Miriam drückte Kimi, mit sanfter Gewalt auf das Lager und beugte sich über ihn. Sie biss ihn scherzhaft in die Nasenspitze und meinte dann: „Sei froh, dass ich überhaupt den ersten Schritt gemacht habe, sonst wären wir nicht zusammengekommen, bevor wir unseren fünfzigsten Geburtstag erlebt hätten.“ Kimi Korkonnen lachte trocken. „Dean hat sich, kurz vor unserem Abschluss an der Sektion-Terra, mal ganz ähnlich geäußert.“ Miriam rollte mit den Augen. „Ihr Kerle seid schlimmer, als eine Versammlung alter Kaffeetanten, was das Tratschen angeht. Schön, dass ihr zwei das Thema bereits schon so früh breitgetreten habt.“ Kimi streichelte ihre Wange. „Dean ist mein bester Freund. Eigentlich mehr als das. Mit wem hätte ich denn sonst darüber reden sollen?“ Die schlanke Frau gab ihm einen schnellen Kuss und erwiderte lächelnd: „Ist schon in Ordnung. Ich bin nicht sauer deswegen, ich weiß ja, dass ihr zwei wie Brüder seid.“ Kimi zog Miriam wieder enger zu sich heran und suchte ihren Blick. „Ich erinnere mich noch daran, als wäre es erst gestern gewesen, dass ich mit Dean zum Eisangeln wollte, als wir gerade mal zwölf Jahre alt waren. Ende März war es Daheim zwar noch bitterkalt, doch das Eis des Sees war nicht mehr allzu dick. Aber ich hatte mir diese Sache in den Kopf gesetzt. Also ist Dean, trotz einiger Bedenken, mit mir raus auf das Eis gegangen. Nun ja, die Sache ging natürlich schief. Ich war damals schon um einiges größer und schwerer, als Dean, und als wir den Angelplatz, der mir vorschwebte, fast erreicht hatten, da brach ich ins Eis ein. Ich dachte mein Herz bleibt stehen, vor Schmerzen, weil das Wasser so eisig war. Es fühlte sich an, als würden unzählige Messer in meinen Körper eindringen. Im Nu hatte ich die Orientierung verloren und trieb unter die Eisdecke. Ich konnte mich vor Kälte und Schmerz kaum bewegen und ich war mir sicher, es würde das Ende sein, als mir schwarz vor Augen wurde, und das wäre es auch gewesen, ohne Dean. Der verrückte Hund ist, wie ich später herausfand, ohne zu zögern hinter mir her und hat mich aus dem verdammten See gezogen. Aber nicht nur das – er hat mich anschließend auch noch vom Eis des Sees gezerrt, mich über die Schultern genommen und mehr als einen Kilometer, bis nach Hause getragen. Ich frage mich bis heute, woher er damals die Kraft dazu genommen hat.“ Miriam, die mit wachsender Verwunderung zugehört hatte, hob ihre Augenbrauen. „Was geschah anschließend?“ „Wir waren beide ziemlich unterkühlt. Erst einige Tage später sagte mir der behandelnde Arzt, dass ich ohne das schnelle und beherzte Eingreifen von Dean nicht überlebt hätte, und wie nah er selbst dem Tod dabei gewesen ist. Ob das ein Bruder getan hätte kann ich nicht sagen, aber ich weiß, dass Dean es getan hat. Ohne zu Überlegen.“ Miriam nickte verstehend. „Ich beginne zu ahnen, was euch zwei verbindet, und wie tief diese Verbindung sein muss. Klar, dass du mit ihm über uns geredet hast.“ „Schluss damit“, raunte Kimi und küsste seine Freundin erneut sehr lang und sehr sanft. „Wir zwei sind endlich zusammen, das zählt.“ Sie kuschelten eine geraume Weile miteinander, bis Kimi seufzend erklärte: „Wir müssen aufstehen, sonst komme ich zu spät zum Dienst, und Dir entgeht die Gelegenheit, Dich von Dean zu verabschieden.“ „Was wir nicht möchte.“ Sie duschten gemeinsam. Nachdem sie sich angekleidet hatten, frühstückten sie miteinander und als Miriam die zweite Tasse Kaffee trank, fragte sie: „Hast du übrigens mit Dean bezüglich der Informationen über Tae Yeon gesprochen?“ Kimi biss in seinen Toast und nickte dabei. Nach einem Moment erwiderte er: „Dean war nicht gerade begeistert von der Nachricht. Ich erinnere mich daran, dass er das Wort Abstechen benutzte.“ Miriam grinste breit. „Das kann ich mir gut vorstellen. Glaubst du, er wird irgendeine Dummheit machen, jetzt, wo er weiß, dass sie sich öfter auf dem Mars aufhält.“ Kimi schüttelte überzeugt den Kopf und nahm trank seinen Kaffee aus. „Nein, das glaube ich nicht. Außerdem passe ich ja auf ihn auf.“ Sie frühstückten zu Ende, verließen Kimi Korkonnens Quartier und flogen mit einem Dienstgleiter der Versorgungseinheit zum Verwaltungsgebäudes des Nachschubdepots. Bevor sie es betraten bat Kimi seine Freundin: „Bitte erwähne Tae Yeon nicht, wenn du Dich von Dean verabschiedest. Ich bin froh, dass er das Thema gestern recht schnell hat ruhen lassen.“ „Keine Sorge, so unsensibel bin ich nicht.“ Sie betraten das Gebäude. Als sie das Büro betraten, dass Kimi und Dean benutzten, entdeckten sie Dean Corvin, der gerade die gestern zerknüllte Kunststofffolie von seinem Schreibtisch nahm, sie glattstrich und einen Blick darauf warf. Als Miriam und Kimi den Freund erreichten umarmte Miriam den Kanadier. „Ich habe mich gefreut Dich wiederzusehen. Hoffentlich dauert es bis zum nächsten Mal nicht wieder ein paar Jahre.“ Dean nickte, nachdem er sich von Miriam gelöst hatte. „Ja, das hoffe ich auch. Wohin wird die Reise der AURORA gehen, wenn sie fertig ausgerüstet ist?“ Der Kreuzer wird sich, nach unserem kleinen Ausflug zur Wega, wieder der Sechsten Flotte, im Sigma-Librae-System, anschließen.“ „Dreihundert Lichtjahre weit draußen“, stellte Corvin fest und wedelte in Gedanken mit der Folie herum. Miriam Rosenbaum blickte flüchtig auf die Folie. „Ihr benutzt immer noch solche antiquierten Folien, hier auf Titan?“ „Nur wenn ich verhindern will dass Daten von Jedermann abgerufen werden können“, erklärte Kimi ihr. „Diese Liste ist eine Zusammenstellung meinerseits, bei der ich nach gewissen Übereinstimmungen gesucht hatte.“ Miriam blickte ihn fragend an und meinte: „Hey, da stehen aber eine Menge Frachter der Nimrod-Handelsgesellschaft auf Deiner Liste?“ Dean Corvin blickte die Kameradin neugierig an und warf seinerseits einen Blick auf die zerknitterte Folie. Dort entdeckte er nirgendwo das Wort Nimrod. Lediglich ein Dutzend Einträge mit dem Kürzel: KD-N. Etwas verwirrt blickte er Miriam an, deutete dabei auf eines dieser Kürzel und fragte: „Meinst du etwa das hier?“ Die junge Frau lächelte entsagungsvoll. „Man merkt, dass ihr zwei euch nie wirklich für das Handelssystem der fünf Splitterreiche interessiert habt. Ladelisten des Militärs haben wir doch bereits im zweiten Jahr auf der Akademie durchgekaut. Dieses Kürzel besagt nichts anderes, als dass es sich um einen Raumfrachter der Konföderation Deneb handelt, und das große N wird von der ältesten und größten Handelsgesellschaft der Konföderation Deneb genutzt. Der Nimrod-Handelsgesellschaft. Hervorgegangen ist diese Gesellschaft übrigens aus dem NIMROD-CLUB, einer ehemaligen Geheimvereinigung von Milliardären, die im dreißigsten Jahrhundert tatkräftig auf die Zersplitterung des ehemaligen Terranischen Reiches hingearbeitet hat. Ein Gerücht besagt, dass jedes Gründungsmitglied dieses Clubs einen Siegelring mit diesem Buchstaben getragen haben soll. Ihre Legitimation für ihr Handeln war, dass sie sich nicht der Regierung verpflichtet sahen, sondern dem Wohl der Menschen.“ Dean Corvin stand, bei Miriams letzten Worten, wie vom Donner gerührt da und wechselte dabei vielsagende Blicke mit seinem besten Freund, dessen Miene ein einziges Fragezeichen war. Von Dean zu ihrem Freund blickend fragte Miriam, etwas verwirrt wegen dieser Reaktion: „Habe ich etwas verpasst. Was habt ihr beide denn plötzlich?“ Die beiden Freunde berichteten Miriam abwechselnd von ihrem Besuch bei Cole Hauser, auf der Erde. Nachdem Dean zum Ende hin von Hausers Ring berichtete, machte die junge Frau ein nachdenkliches Gesicht. „Das besagt nicht viel. Hausers Ring könnte eine Nachahmung dieser NIMROD-Siegelringe sein. Es ist ja nicht einmal sicher, ob diese Ringe nicht ein Produkt der Fantasie sind oder ob die Gerüchte stimmen.“ Dean Corvin wechselte einen eindringlichen Blick mit seinem Freund Kimi. „Gerücht oder nicht, wir müssen mit dieser neuen Info, am besten heute noch, zu Hauptmann Ranon. Vielleicht sollte unser Geheimdienst mal einen Blick auf die genaue Herkunft und auf den Lebenslauf eines gewissen Cole Hauser werfen.“ Kimi Korkonnen wiegte zweifelnd den Kopf sagte aber nichts. Statt dessen blickte er den Freund auffordernd an. Dean verstand seinen Freund, schmunzelte unterdrückt, und meinte: „Ich gehe schon mal vor, ihr Zwei.“ Damit schritt er rasch aus dem Büro. Miriam und Kimi blickten ihm nach. „Er ist wirklich ein guter Freund“, grinste die junge Frau und schloss Kimi in ihre Arme, bevor sie ihn küsste. Als sie sich widerstrebend voneinander lösten sahen sie sich in die Augen und der Finne raunte mit rauer Stimme: „Ja, das ist er. Und du pass bitte gut auf dich auf, wenn du wieder mit der AURORA unterwegs bist.“ „Das werde ich – versprochen.“ Gemeinsam verließen sie das Büro und trafen auf dem Gang wieder auf Dean, der einen leicht ungeduldigen Eindruck erweckte. Der Besuch bei Hauptmann Tekai Ranon schien ihm auf den Nägeln zu brennen. Gemeinsam fuhren sie mit dem Lift nach unten. Im Foyer des Gebäudes angekommen wartete der Moment des endgültigen Abschieds. Da hier permanent Flottenangehörige ein und aus gingen beließ Miriam es dabei ihren Freund kurz zu Umarmen und flüchtig auf die Wange zu küssen. Danach umarmte sie Dean ebenfalls kurz und bat ihn: „Pass bitte gut auf diesen blonden Lulatsch auf, klar?“ „Versteht sich von selbst“, erwiderte Dean aufmunternd lächelnd. „Wir sehen uns.“ Damit wandte sich die junge Frau abrupt ab und schritt eilig zum Ausgang des Foyers. Drinnen blickte Dean zu seinem Freund, der Miriam mit seinen Blicken folgte bis sie das, zur Hälfte transparente, Schott hinter sich gelassen hatte, und Dean stieß den Freund schließlich an. „Komm, zu Hauptmann Ranons Büro geht es dort entlang.“   * * *   Hauptmann Tekai Ranon konnte man mit Fug und Recht als einen typischen Flottenoffizier des Terranischen Imperiums bezeichnen: Er besaß jene Art von Überheblichkeit, die dem Glauben daran entsprang, er wäre einer der besten und fähigsten Offiziere des Imperiums; und jene Art von Arroganz, die aus dem Glauben daran geboren wurde, dass das Imperium, genau wegen solcher Offiziere, unbesiegbar war. Tekai Ranon besaß neben diesen Angewohnheiten unbestreitbar eine besondere Gabe, die darin bestand, immer ganz genau das zu sagen und zu tun, was seine Vorgesetzten erwarteten und guthießen. Sein einziges, wirklich herausragendes, Talent. Wie viele Offiziere seines Schlages achtete Ranon übertrieben auf Äußerlichkeiten, wie zum Beispiel den perfekten Sitz seiner Uniform oder dass sein rabenschwarzes, kurzes Haar nicht auf dem Kragen seiner Uniform auflag. Er hasste solche Unzulänglichkeiten. So war es kein Wunder, dass er im Sanitärbereich seiner Büroflucht einen mannshohen Spiegel aufgestellt hatte, in dem er während des Dienstes immer wieder sein Abbild studierte. Niemand wusste davon, und Ranon achtete peinlich darauf, dass es niemand erfuhr. Vor zwei Wochen hatte er seinen Vorgänger abgelöst, dessen Versetzungsantrag nach Wega-XIII bewilligt worden war. Nach Ranons Ansicht hatte der diese Abteilung viel zu sehr schleifen lassen. Unter seinem Kommando würde dieses Nachschubdepot wieder zu dem besten und effizientesten werden, im gesamten Imperium. Tekai Ranon kam gerade von einer dieser Betrachtungen in sein geräumiges, helles Büro zurück, als ein melodisches, akustisches Signal Besuch ankündigte. Er aktivierte das Bildübertragungssystem seines Schreibtisches und erkannte zwei junge Offiziere, die offensichtlich bei ihm vorsprechen wollten. Ranon aktivierte die entsprechende Sensortaste, die den Befehl zum Öffnen des Schotts gab. Mit einem kaum hörbaren Zischen fuhren die beiden Schotthälften in die Wand und gaben den Weg zu seinem Arbeitsraum frei. Tekai Ranon stand auf, beobachtete kritisch den Sitz der Uniformen beider Offiziere, und erwiderte den militärischen Gruß beider Männer. Mit leicht gereiztem Tonfall fragte der Hauptmann endlich: „Was verschafft mir die Ehre ihres Besuchs, meine Herren? Warum haben Sie sich nicht zuvor angekündigt und um einen Termin gebeten, wie es gute Offiziere tun würden?“ Kimi Korkonnen blickte Ranon etwas irritiert an, während es sein bester Freund übernahm zu antworten. „Es blieb dafür keine Zeit, Sir, denn es könnte sich um ein Vorkommnis von immenser Wichtigkeit, wegen dem wir hier sind.“ Ranon grinste spöttisch. „Ein Vorkommnis von immenser Wichtigkeit? Hier auf Titan? Das halte ich für ausgeschlossen.“ Kimi Korkonnen bemerkte, wie es in seinem Freund zu brodeln begann, und darum übernahm er es, dem Hauptmann zu erklären, worum es sich handelte. Dabei registrierte er nebenbei, wie sich der Hauptmann gemächlich in den Sessel hinter seinem Schreibtisch niederließ, ohne ihnen beiden einen Platz anzubieten. Während der Freund dem Hauptmann berichtete beobachtete Dean Corvin mit einem wachsenden, unguten Gefühl, dass sich der Blick ihres neuen Vorgesetzten mehr und mehr verfinsterte, bei der Meldung, die sie ihm machten. Offensichtlich waren die Gerüchte, die ihnen in den letzten Tagen über ihren neuen Vorgesetzten zu Ohren gekommen waren, noch eher untertrieben, als übertrieben. Kaum dass der Finne mit seinem Bericht geendet hatte fuhr Hauptmann Tekai Ranon aus seinem Sessel und blickte die beiden Oberleutnants strafend an. „Nach meiner Meinung, meine Herren, haben Sie beide, in den letzten Wochen, in schon beschämender Weise Ressourcen dieser Abteilung vergeudet, um einem Hirngespinst nachzujagen. Ein Angriff auf das Imperium? Sabotage in einer unserer bestbewachten Werften? Hören Sie sich eigentlich selbst zu? Und dann verhören Sie auch noch einen der mächtigsten Geschäftsleute des gesamten Imperiums!“ Dean Corvin wollte etwas erwidern, doch Tekai Ranon kam ihm zuvor. „Ich will nichts von Ihnen beiden hören, Oberleutnant. Nach ihrem Flug zur Luna-Werft jedoch werden Sie beide sich bei mir melden und für Ihr Handeln der vergangenen Wochen verantworten, das versichere ich Ihnen! Sie dürfen wegtreten, meine Herren!“ Ein wildes Feuer loderte in Dean Corvins Augen, doch er beherrschte sich eisern, blickte in die dunklen Augen des Hauptmanns und salutierte, so wie sein Freund auch. Zackig, und mit einer gehörigen Portion Wut im Bauch stapfte er an der Seite Kimis aus dem Büro ihres Vorgesetzten. Draußen auf dem Gang wollte er seiner Unmut Luft machen, doch Kimi schüttelte warnend den Kopf. Es war gut möglich, dass ein Mann, wie dieser aufgeblasene Hauptmann Ranon, hier Überwachungsanlagen installiert hatte. „Dieser aufgeblasene Sack ist doch nicht mehr ganz bei Trost“, wetterte der Kanadier, als sie endlich das Gebäude verlassen hatten, und gemeinsam über das Landefeld zum Liegeplatz ihres Frachters schritten, der mittlerweile fertig beladen sein sollte. „Ich sag Dir was, Kimi, zweieinhalb Jahre mit diesem Mistkerl als Vorgesetzten überlebe ich nicht. Oder aber er überlebt es nicht, denn er hat allerbeste Chancen von mir umgebracht zu werden!“ Kimi Korkonnen packte den Freund fest am Oberarm. „He, bleib auf dem Boden, Alter. Mit diesem Kerl müssen wir uns in der nächsten Zeit zwangsläufig arrangieren. Er ist neu im Kommando und macht einen ziemlichen Wirbel, aber das legt sich. Wir machen hier gute Arbeit und er wird schwerlich Offiziere finden, die den Job besser erledigen werden. Das wird ihm schon noch klar werden. Ein Wegversetzen von unserem Posten wäre eine Belohnung. Das ist auch diesem Blödmann klar. Also – was will er machen?“ „Du meinst, er macht dieses Theater lediglich, um sich zu profilieren?“ Kimi blickte hinüber zu ihrem 187 Meter langen Frachter, der KIROV. „Genau das. Aber selbst so ein Heißsporn wird hier auf Titan irgendwann ruhiger, nicht wahr?“ Dean rempelte den Freund an, bei seinen letzten Worten. „Danke, den Wink habe ich verstanden, mein Freund.“ Schweigend marschierten sie weiter. Als die Freunde noch hundert Meter von dem Frachter entfernt waren beobachteten sie einen Gleiter, der in seiner Nähe landete. Dean Corvins finstere Miene hellte sich sichtlich auf, als er Tabea und Nayeli erkannte. Kaum, dass die beiden Technikerinnen die Maschine verlassen hatten, startete der Gleiter wieder. „Sieh an, die Damen Unteroffiziere lassen sich fliegen, und wir zwei marschieren zu Fuß zum Frachter“, spottete der Kanadier. „Da stimmt doch was nicht.“ „Die mussten heute Morgen bestimmt auch noch keinen Anschiss kassieren, und sich durch körperliche Betätigung wieder abreagieren“, hielt ihm Kimi ironisch entgegen. Bei diesen Worten stieg der Frust wieder in Dean Corvin auf und wütend fragte er: „Was ist, wenn ich doch Recht habe und etwas nicht stimmt? Die Anzahl von Frachtschiffen der Konföderation könnte bedeuten...“ „Hör auf damit“, unterbrach der Blonde bestimmt. „Weißt du: In einem Punkt hatte der Hauptmann vielleicht Recht, Alter. Es wäre tatsächlich absoluter Wahnsinn, das Imperium anzugreifen. Besonders hier, im am besten geschützten Sternensystem überhaupt.“ Dean Corvin atmete tief durch. „Vielleicht hast du Recht.“ Kimi nickte knapp und deutete dann nach vorne. „Freue Dich lieber auf einen angenehmen Flug zum Mond und auf das Wiedersehen mit Don Rodrigo. Für ein paar Tage hier weg zu kommen tut uns ganz gut. Bis dahin hat sich ganz bestimmt auch dieser komische Hauptmann Ranon wieder abgeregt. Außerdem werden wir in einigen Tagen Andrea und Jayden wiedersehen.“ Dean Corvin beobachtete wie Nayeli und Tabea ihnen zu winkten, und ein flüchtiges Lächeln stahl sich auf seine Lippen. „Du hast Recht. Vergessen wir für ein paar Tage diese finsteren Gedanken. Vielleicht bringt uns das neue Jahr ja mehr Glück, als die vergangenen.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)