DEAN CORVIN: 01. Das Ende des Imperiums von ulimann644 ================================================================================ Kapitel 8: KONSEQUENZEN -----------------------  Als Miriam Rosenbaum sich zwei Tage später, während der ersten Vorlesung im Schulungssaal umsah, da bemerkte sie, dass Claudine Gilbert nicht anwesend war. Das fand sie ziemlich merkwürdig, da sie wusste, dass Physik eines der Lieblingsfächer der Französin war. Außerdem war sie, in den letzten anderthalb Jahren, noch nie zu spät zu einer Vorlesung erschienen, und so machte sie sich so ihre Gedanken. Auch zur zweiten Vorlesung erschien Claudine nicht, und das ungute Gefühl, das von der Israelitin Besitz ergriffen hatte, erfuhr eine spürbare Steigerung. Unwillkürlich richtete sich ihr Blick immer wieder zu Kim Tae Yeon, doch diese schien sich ebenfalls fragend nach der Französin umzusehen, und gelegentlich gab sie Jeremy James und Jonas Zandvoort hektisch Handzeichen. Soweit sie diese deuten konnte, fragten sich die Drei ebenfalls, was mit Claudine Gilbert los war, also waren sie anscheinend nicht für das Fehlen der Kadettin verantwortlich, was sie wieder etwas beruhigte. Als Miriam Rosenbaum sich kurz zu Andrea von Garding wandte, da blickte diese sie fragend an und raunte ihr zu: „Was ist mit Claudine. Glaubst du, sie hat deine Worte beherzigt und ist vielleicht gerade beim Generalmajor?“ „Hm, das könnte ihr Fehlen erklären.“ Die Deutsche blickte ihre Kameradin halb hoffend, halb zweifelnd an. „Schön wäre es ja. Ich kann nur beten, dass Deine mahnenden Worte von gestern Abend etwas genützt haben, sonst sehe ich schwarz für Dean und Kimi.“ Miriam nickte schwach. Sie folgte dem Unterricht nur halbherzig, da ihre Gedanken um Kimi Korkonnen kreisten. In den letzten Monaten hatte sich Dean etwas von ihm zurückgezogen, offensichtlich wegen Tae Yeon, und gleichzeitig hatte sie selbst mehr Zeit mit dem Finnen verbracht. Meistens waren zwar Rodrigo, Andrea und Jayden mit dabei, aber ihr schien es so, als seien sie sich trotzdem sehr viel näher gekommen in dieser Zeit. Sie lächelte bei diesem Gedanken unmerklich. Kimi war ein netter Kerl, und ein prima Kamerad, und sie mochte den ruhigen Finnen wirklich sehr, wie sie zugeben musste. Dann ist diese koreanische Schlange wenigstens für etwas gut gewesen, dachte sie düster. Nicht zuletzt aus diesen Gründen hoffte sie, dass sich schnell seine Unschuld, und natürlich auch die von Dean, herausstellen würde. Als sie, nach der Pause, der dritten Vorlesung folgte, gab es etwa zehn Minuten nach Beginn eine mysteriöse Durchsage, dass der heutige Unterricht, mit sofortiger Wirkung ausfiel. Gleichzeitig wurden alle Kadetten und Lehrkörper der Akademie angewiesen umgehend auf dem Exerzierplatz anzutreten. Im Hinausgehen begab sich Miriam Rosenbaum zu Andrea, Rodrigo und Jayden und meinte aufgeregt: „Was hat das denn zu bedeuten? Ob die Konföderation ernst macht, und einen Krieg vom Zaun gebrochen hat? Diese und ähnliche Vermutungen schwirrten von Mund zu Mund, wobei sich die Offiziere und das Personal der Sicherheit, das ungewohnter Weise in den Gängen patrouillierte, versuchten für Ruhe zu sorgen. Es dauerte beinahe zehn Minuten, bis alle Angehörigen der Akademie auf dem Platz angetreten waren. Erstaunt stellten die Kadetten fest, dass die Flaggen der Akademie und des Imperiums auf Halbmast gesetzt waren, und Andrea von Garding orakelte düster: „Vielleicht ist der Präsident...“ Sie unterbrach sich und furchtbarer Verdacht beschlich sie. In demselben Augenblick wandte sich Generalmajor Collins, dessen Stimme von einem nur münzgroßen Verstärker, am Kragen seiner Uniform, für alle deutlich hörbar verstärkt wurde, an die Angetretenen. „Kadetten und Angehörige dieser Akademiesektion. Ich habe die traurige Pflicht Ihnen mitteilen zu müssen, dass Kadett Claudine Gilbert soeben tot aufgefunden worden ist. Einer der Ausbilder fand sie im Geräteraum der Turnhalle. Allem Anschein nach war es Selbstmord durch Erhängen. Ich bedauere zutiefst diesen tragischen Vorfall und vor allen Dingen die Umstände, die höchstwahrscheinlich zu dieser Verzweiflungstat geführt haben. Bei dieser Gelegenheit möchte ich Ihnen gleichfalls mitteilen, dass wir die Anklagen gegen die Kadetten Dean Everett Corvin und Kimi Korkonnen fallen lassen müssen, aufgrund der Tatsache, dass es lediglich Indizienbeweise, aufgrund verschieden lautender Aussagen gibt, und die Hauptzeugin dazu nicht mehr befragt werden kann, was ich aus mehreren Gründen bedaure. Auf Wunsch der Familie wird der Leichnam, nach einer genauen Autopsie, zu ihren Eltern, nach Frankreich, überführt und dort beigesetzt. Ich habe beschlossen, dass ein Ehrenkommando der Akademie, deren Mitglieder ich noch benennen werde, an dieser Beisetzung teilnehmen wird. Die Trauerfeier für die Verstorbene, hier an der Akademie, findet morgen Früh statt. Zum Gedenken an die verstorbene Kameradin wird der Unterricht für den Rest dieser Woche ausgesetzt. Das wäre Alles. Ich danke Ihnen für ihre Aufmerksamkeit, Sie können nun wegtreten.“ Nur langsam verlief sich die Menge. Überall standen Kadetten in Gruppen zusammen und diskutierten heftig über diese schockierende Nachricht – andere Kadetten waren unfähig etwas zu sagen oder verliehen ihrer Trauer Ausdruck indem sie weinten. Auch Miriam Rosenbaum wischte sich Tränen fort und blickte schuldbewusst zu Andrea von Garding. Leise flüsterte sie: „War es meine Schuld, Andrea? Vielleicht hätte ich sie weniger stark bedrängen sollen. Oh mein Gott...“ Die Kameradin legte ihr den Arm um die Schulter und sagte beruhigend: „Das hatte ganz bestimmt nichts mit Deiner Unterhaltung mit ihr zu tun. Ich vermute viel mehr, dass Jemand anderes sie unter Druck gesetzt hat. Bereits vorher machte sie einen sehr gehetzten Eindruck auf mich, so als würde sie unter sehr großem Druck stehen. Und ich kann mir schon denken, wer das war. Sie hat Claudine auf dem Gewissen, nicht du.“ Miriam Rosenbaum wischte sich schniefend über die Augen und Andrea von Garding sprach tröstend auf sie ein, während sie die Kameradin, gemeinsam mit Jayden Kerr vom Exerzierplatz führte. Auch in ihrem Magen schien sich ein Knoten zu bilden und mit versteinerter Miene blickte sie zu ihrem Freund. Rodrigo Esteban, der die Freunde zwischenzeitlich aus den Augen verloren hatte, erreichte sie am Eingang zum Gebäudekomplex wieder und meinte aufmunternd: „Der einzige, schwache Lichtblick ist, dass Dean und Kimi wieder freikommen, und keine Anklage erhoben wird.“ „Nein, das ist es nicht“, widersprach Andrea von Garding heftig. Sie beruhigte sich gleich wieder, als sie in die verständnislosen Mienen ihrer Freunde sah und erklärte mit brüchiger Stimme: „Mein Vater hat sich intensiv mit dem Flottenrecht auseinandergesetzt, während seiner Zeit bei der Flotte. Ich habe Einiges davon mitbekommen und darum weiß ich, dass diese Anklage, auch wenn sie nun nicht mehr stattfindet, trotzdem in den Dienstakten von Dean und Kimi vermerkt wird. Gelöscht worden wäre dieser Punkt nur dann, wenn es einen Freispruch aufgrund erwiesener Unschuld gegeben hätte. Dies hier aber wird ein Freispruch aus Mangel an Beweisen werden, das ist etwas ganz Anderes.“ Die Freunde blickten sich betroffen an, denn sie wussten, was das für die beiden Freunde bedeuten würde. Ihre Karrieren würden einen empfindlichen Schaden erleiden, noch bevor sie richtig angefangen hatten. Vermutlich würden sie, unabhängig von ihren Leistungen, zu einem der langweiligsten und abgelegensten Posten abkommandiert werden, die es innerhalb der Flotte gab. All ihre Anstrengungen der letzten vier Jahre waren damit quasi vergeblich gewesen. Jayden Kerr beobachtete seine Freundin dabei, wie sie die Hände zu Fäusten ballte und Anstalten machte sich in Bewegung zu setzen. Noch bevor sie mehr als zwei raumgreifende Schritte machen konnte hatte er sie am Oberarm zu packen bekommen und zog sie zu sich herum. „Was hast du vor, zum Teufel?“ „Ich habe Dir gesagt, was ich mit dieser schlitzäugigen Schlampe anstellen werde, und du wirst mich nicht aufhalten, klar!“ „Hör auf mit diesem Wahnsinn!“, herrschte Jayden Kerr sie an und verblüfft starrte sie ihn an. Noch nie, seit sie ihn kannte, war Jayden laut geworden, oder hatte seine manchmal geradezu aufreizend wirkende Contenance verloren. Noch während die Rotblonde ihn stumm ansah, bat Jayden Kerr sie inständig: „Bitte bleib vernünftig! Es nützt unseren Freunden doch nichts, wenn du Deine Karriere auch noch ins Weltall schießt, und das wirst du, wenn du eine Kadettin tätlich angreifst. Dazu hast du zu hart gearbeitet, und ich werde das nicht zulassen. Dean und Kimi würden das als Allerletztes für Dich wollen, denkst du nicht auch?“ Tränen der Wut rannen über die Wangen seiner Freundin und Jayden nahm sie tröstend in seine Arme. Dabei sagte er so leise, dass nur sie ihn verstehen konnte: „Aber ich werde das nicht vergessen, mein Engel, ganz bestimmt nicht, das verspreche ich Dir. Und auch wenn wir heute noch nicht an sie herankommen, so wird Kim Tae Yeon eines Tages dafür bezahlen, was sie Dean und Kimi angetan hat.“ Andrea von Garding legte ihre Hand auf seine linke Wange und blickte in hilflosem Zorn zu ihm auf. „Solange ich nur dabei sein darf...“ Jayden Kerr nickte zustimmend. Dann folgten sie ihren Freunden.   * * *   Dean Corvin blickte, nach einem sehr emotionalen Empfang durch die vier Freunde, ungläubig in die Runde, nachdem sie den Nachmittag dieses traurigen Tages im GREEN HILLS verbringend, ihn und Kimi Korkonnen mit dem vertraut gemacht hatten, was sie in den letzten Tagen in Erfahrung bringen konnten. „Ich kann es immer noch nicht glauben“, bekundete Dean Corvin, wie betäubt, nachdem die Freunde geendet hatten. „So dermaßen gefühlskalt und berechnend kann ein Mensch doch nicht sein. Ich meine, sie und ich, wir haben...“ Er unterbrach sich und Kimi Korkonnen, der ahnte, was in dem Freund vorgehen musste, legte seine Hand auf dessen Schulter und blickte ihm tief in die Augen. „Ich fürchte, dass du Dich mit diesem Gedanken vertraut machen musst, Dean. Es tut mir leid.“ Der Finne beobachtete, wie sich die Gestalt des Freundes entschlossen straffte und ernster, als er ihn kannte, antwortete der Kanadier mit fester Stimme: „Nein, Kimi, mir tut es leid. Ich habe Dich da mit hineingezogen, durch mein leichtfertiges, oder einfach auch nur unbedachtes Verhalten. Meine Unentschlossenheit und mein Umgang mit Tae Yeon haben das alles letztlich ausgelöst, und mit dieser Tatsache muss ich leben.“ „Du trägst keine Schuld, mein Freund.“ Corvin lächelte bitter. „Ich weiß, wie du es meinst, und in dieser Hinsicht hast du Recht, doch das ändert nichts daran, dass es mein Dickkopf und mein Verhalten gewesen sind, weshalb dies alles letztlich so passiert ist, wie es passiert ist. Und damit trage auch ich einen Teil der Verantwortung.“ Dean Corvin wirkte plötzlich reifer und erwachsener, als er ruhig fortfuhr: „Aber ich werde die Lehre daraus ziehen. Nie wieder werde ich so dermaßen naiv sein, und nie wieder so leichtgläubig einer oder einem Fremden vertrauen.“ Der Blick, den der Kanadier anschließend in die Runde warf, nahm seinen Kameraden die Lust daran, seine Worte zu kommentieren, und so nickten sie schließlich nur vage und ließen seine Worte unkommentiert. Für eine Weile blieb es still am Tisch bevor Rodrigo es war, der das Thema wechselnd in Richtung Corvin fragte: „Was tun wir in Bezug auf Tae Yeon. Ich meine, wir können doch nicht einfach auf sich beruhen lassen, dass sie damit durchkommt.“ „Momentan können wir nur genau das tun“, widersprach der Kanadier, noch immer so unnatürlich ruhig, wie zuvor. „Aber du kennst das Sprichwort, Rodrigo: Man sieht sich immer zweimal im Leben.“ Es klang wie ein Versprechen, voller finsterer Vorahnungen und seelischer Abgründe, und Rodrigo Esteban erschauderte für einen kurzen Augenblick. Ein ganz ungutes Gefühl sagte ihm, dass dieses Thema noch längst nicht endgültig abgeschlossen war. Kimi blickte in die Runde und sagte endlich auffordernd: „Schluss jetzt mit diesen finsteren Gedanken, Freunde. Ich, genauso wie Dean, werde den Weg gehen, der mir vorbestimmt ist, daran glaube ich fest. Niemand kann heute schon sagen, was die Zukunft für uns noch alles bereit hält. Also Schluss jetzt mit all den Racheplänen und Mordgedanken, denn das sind im Grunde nicht wir, meine Freunde.“ Sie hoben ihre Gläser und tranken darauf. Miriam Rosenbaum, die in den letzten Minuten immer unruhiger geworden war, blickte zu Kimi Korkonnen und meinte verlegen: „Ist vielleicht nicht der beste Augenblick für dieses Thema, Kimi, aber ich wollte Dich fragen, ob du bereits eine Partnerin für den Akademie-Ball hast?“ „Nun ja, da gibt es eine junge Frau, die ich aber bisher noch nicht gefragt habe.“ Auf dem angespannten Gesicht der Kameradin zeichnete sich ein enttäuschter Zug ab, bei seinen Worten, und der Finne beeilte sich hinzuzufügen: „Du bist diese Frau, Miriam.“ Ihr Gesicht leuchtete förmlich auf. Sie blickte fragend zu Dean Corvin. Der Kanadier, der ihren Blick bemerkte hob seine Hände und meinte: „Ich bin da raus, Leute. Vermutlich werde ich gar nicht hingehen.“ „Oh, doch, das wirst du!“, widersprach Andrea von Garding bestimmt. „Ansonsten wird es nämlich so aussehen, als habe es einen triftigen Grund dass du fehlst, und diese Genugtuung wirst du Tae Yeon nicht gönnen, verstanden? Und wenn du nicht freiwillig hingehst, dann werde ich Dich hin schleifen!“ „Dann werden wir Dich hin schleifen“, verbesserte Jayden Kerr seine Freundin. Dean Corvin grinste schief, als er die innere Übereinstimmung zwischen Jayden und Andrea spürte, und etwas neidisch entfuhr es ihm: „Ihr habt euch wirklich gesucht und gefunden, schätze ich.“ Dann blickte er in komischer Verzweiflung zu dem Madrilenen und erkundigte sich spöttisch: „Kennst du vielleicht ein paar nette Zwillinge, Don Rodrigo?“ Esteban schüttelte seinen Kopf. „Den verdammten Spitznamen habe ich, seit unserer Zeit auf der Venus, nicht mehr gehört. Ich dachte, der wäre längst untergegangen.“ Corvin schnitt eine Grimasse. „Das dachtest aber auch nur du. Also keine netten Zwillinge. Vielleicht ist es besser so. Wer braucht schon den ganzen Ärger.“ „He, mal etwas weniger verbittert“, beschwerte sich Miriam Rosenbaum bei ihm. Außerdem weißt du doch, dass bei diesem Ball alle angehenden Offiziere und Unteroffiziere aller Sektionen anwesend sein werden, und unter diesen tausenden anwesender, junger Frauen wird bestimmt auch wenigstens eine dabei sein, die etwas taugt, meinst du nicht? Vielleicht lernst du an dem Abend ja Deine ganz große Liebe kennen.“ Dean Corvins Miene sprach Bände, als er den Blick der Freundin erwiderte und zweifelnd zurück gab: „Das glaube ich zwar im Leben nicht, aber es ist nett, dass du mich aufmuntern willst. Bitte lass das.“ Er wurde fast übergangslos ernst, und bevor Kimi Korkonnen, der ihn besorgt musterte, eine entsprechende Frage stellen konnte, sagte er von sich aus: „Ich möchte, dass wir auf Kadett Claudine Gilbert trinken, und dass wir ihrer gedenken, solange wir leben. Ich sehe sie als das Opfer einer infamen Intrige, die mir gegolten hat, und in die sie unverschuldet hinein geraten ist, weil sie zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort war. Das sind wir ihr schuldig, denke ich.“ Die Freunde nickten und hoben ihre Gläser. „Auf Claudine Gilbert.“ Sie leerten ihre Gläser und sahen sich an, wobei die Kadetten merkten, wie ernst Dean Corvin die Worte gewesen waren. Es war Kimi Korkonnen, der nach einem langen Moment bekräftigend zu seinem besten Freund sagte: „Du hast Recht, Dean, denn sie war, wenn auch sehr in sich gekehrt, eine von uns und deswegen dürfen wir sie nie vergessen.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)