Zum Inhalt der Seite

DEAN CORVIN: 01. Das Ende des Imperiums

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

UNTER ANKLAGE

 Eine Woche später tigerte Andrea von Garding am frühen Samstagmorgen, in der Nähe des gepflegten Zen-Gartens, durch den Park der Akademie und sagte ein ums andere Mal: „Das glaube ich nie im Leben, Jayden!“

Der Jamaikaner, der auch jetzt seine sprichwörtliche Ruhe nicht verlor, beobachtete seine Freundin dabei, wie sie halb auf die Japanische Brücke schritt, es sich dann in der Hälfte anders überlegte und wieder zu ihm zurück kam. Dabei sagte sie hastig, halb zu ihrem Freund, halb zu sich selbst: „Wir dürfen jetzt nur nicht ausflippen, sondern müssen ganz ruhig bleiben. Irgendetwas stimmt da nicht, so sehr können wir uns doch einfach nicht in unseren Freunden getäuscht haben. Nein, nein, das würden Kimi und Dean niemals tun. Ich meine das ist doch vollkommen unmöglich, und darüber hinaus...“

Jayden Kerr trat zu Andrea von Garding, die immer hektischer wurde, packte ihre Handgelenke, was nicht einfach war, da sie mit den Armen wild in der Luft herum gestikulierte, und hielt sie fest gegen seine Brust gepresst.

Mit funkelnden Augen sah seine Freundin zu ihm auf und fuhr ihn an: „Was…?!“

„Du flippst aus“, erklärte der Jamaikaner ruhig.

„Ist mir doch egal!“

Jayden Kerr nahm die Freundin in seine Arme und sanft über ihre Haare streichelnd raunte er beruhigend: „Wir werden schon herausfinden, was sich da letzte Woche wirklich abgespielt hat, aber dazu müssen wir einen kühlen Kopf bewahren, in Ordnung?“

Die Deutsche atmete in seinen Armen einige Male tief durch und gab dann ruhiger als zuvor zurück: „Du hast Recht, aber ich fühle mich im Moment so hilflos. Als ich vorgestern Kimi besuchen durfte, da spürte ich seine Niedergeschlagenheit, und dass er das, was man ihm und Dean vorwirft, niemals getan haben kann. Keiner von Beiden, Jayden.“

„Ja, das weiß ich“, beruhigte der junge Mann sie. „In einer Stunde ist die offizielle und öffentliche Anhörung. Da werden wir zunächst etwas mehr zu den angeblichen Fakten erfahren und wir werden uns gut anhören, was die Beteiligten aussagen werden. Bitte versprich mir, dass du dabei nicht emotional werden wirst, denn das hilft weder Dean noch Kimi etwas.“

Andrea von Garding legte ihre Arme um Kerr und kuschelte sich an ihn. „Du hast ja Recht. Keine Sorge, ich werde mich zurückhalten, egal welche Lügen da aufgetischt werden. Aber ich werde sehr gut darauf achten, was und wie es gesagt werden wird.“

Jayden Kerr gab der Rotblonden einen schnellen Kuss und lächelte zufrieden: „Das ist die Andrea, die ich an meiner Seite brauche, um Licht in diese Angelegenheit zu bringen.“

Sie blickten sich entschlossen an und die junge Frau ballte ihre Hände, gegen die breite Brust des Freundes gepresst, zu Fäusten, während Jayden Kerr nun ruhig berichtete, was er erfahren hatte, als er am frühen Morgen endlich Dean, im Sicherheitstrakt der Akademie, hatte besuchen dürfen.

„Hör zu, und lauf nicht sofort Amok, wenn ich dir jetzt davon erzähle, was Dean vorhin berichtet hat. Er erzählte mir davon, dass Tae Yeon, gleich am Montag, bei ihm gewesen war. Offensichtlich glaubt sie nicht an seine Unschuld und sie hat sich deutlich von ihm distanziert und ihm gesagt es sei aus zwischen ihnen. Ich habe ein wenig herumgehorcht und dabei interessanterweise erfahren, dass es Tae Yeon gewesen war, die den Sicherheitsdienst alarmierte, weil sie angeblich Schreie gehört hat, nach dem Turntraining.“

Der Kopf seiner Freundin ruckte förmlich nach oben und mit einem gefährlichen Funkeln in den Augen erkundigte sie sich: „Denkst du etwa, sie selbst könnte d´ran gedreht haben, Jayden?“

„Nun ja“, überlegte der Jamaikaner. „Ich habe herausgefunden, dass Tae Yeon zusammen mit Claudine Gilbert in derselben Turngruppe ist. Das ist schon eine etwas merkwürdige Häufung seltsamer Zufälle, wenn du mich fragst. Aber das alleine macht aus einem Anfangsverdacht noch keinen Beweis.“

Der beschwichtigende Unterton in der dunklen Stimme des Jamaikaners verfehlte seine Wirkung auf Andrea von Garding nicht und so antwortete sie, bereits wieder deutlich beherrschter: „Du hast Recht, wir müssen zusehen, dass wir an harte Fakten gelangen, und von Kimi und Dean erfahren, was sich in der Zeit vorher abgespielt hat. Die Sicherheit hat mir für heute Nachmittag einen Besuchstermin bei den Beiden eingeräumt und dann werde ich Dean einmal intensiv darüber aushorchen, was Tae Yeon in der Zeit vorher mit ihm angestellt hat. Ich spüre in jedem Knochen, dass sie nicht ganz sauber ist.“

Jayden Kerr machte eine etwas besorgte Miene. „Bitte versprich mir, dass du keinen Alleingang starten wirst, egal was du nachher von Kimi und Dean erfährst, und ganz egal was gleich bei der Anhörung passieren wird.“

„Bleib ruhig, Großer“, erwiderte die junge Frau, noch immer leicht gereizt, aber deutlich ruhiger, als zuvor. „Ich werde nicht explodieren oder etwas Dummes anstellen, das verspreche ich Dir. Aber sollte ich am Ende erfahren, dass Tae Yeon doch ein falsches Spiel gespielt haben sollte, dann garantiere ich für gar nichts.“

Der Jamaikaner seufzte schwach und blickte auf das Chrono-Feld seines MFA, bevor er sagte: „Komm, in zehn Minuten beginnt die Anhörung.

 
 

* * *

 

Als Jayden Kerr und Andrea von Garding den Sitzungssaal betraten, der extra für solche und ähnliche Gelegenheiten existierte, wie die heutige Anhörung, da waren bereits über fünfzig Kadetten beider Jahrgänge anwesend, was die Beiden etwas verwunderte, denn normalerweise war der Campus an den Wochenenden wie leergefegt. Dieser Vorfall erregte die Gemüter der Kadetten offensichtlich mehr, als gedacht, was andererseits bei genauerer Betrachtung nicht verwunderlich war, denn ein solcher Übergriff, wie der auf Claudine Gilbert, war seit einigen Jahrhunderten nicht mehr an dieser, oder einer der anderen Akademie-Sektionen, vorgekommen. Dem entsprechend entsetzt waren auch die Lehrkörper über diesen Vorfall, und sie würden ein hartes Urteil fällen, falls den beiden Beschuldigten eine einwandfreie Schuld zugewiesen werden konnte. Das war auch der Grund für die innere Unruhe unter den Freunden der beiden Beschuldigten, zu denen auch Miriam Rosenbaum und Rodrigo Esteban zählten, die ihren beiden Kameraden zu winkten, nachdem sie diese hatten eintreten sehen.

Die deutsche Kadettin machte ihren Freund darauf aufmerksam, und sie arbeiteten sich nach Vorne durch, wo sie neben dem Madrilenen, und der in Haifa geborenen, jungen Frau Platz nahmen.

„Das Ganze ist eine verdammte Farce!“, begehrte Miriam Rosenbaum auf, kaum dass sich Andrea von Garding neben ihr niedergelassen hatte. „Die beiden würden doch so etwas niemals machen, schon gar nicht Kimi.“

Die Deutsche verstand, warum Miriam so sehr an Kimi glaubte, aber sie sah sich dennoch genötigt anzumerken: „Und Dean genauso wenig, klar? Keiner der beiden würde das tun, und wir werden herausfinden was sich wirklich abgespielt hat, nur die Ruhe. Ich werde nicht ruhen, bis beide entlastet und rehabilitiert sind.“

Die Israelitin drückte dankbar die Hand der Kameradin. „Du hast ja Recht, entschuldige bitte. Ich wollte damit nicht behaupten, dass...“

„Schon verstanden, Miriam. Beruhige Dich wieder, das wird schon werden.“

Sie blickten nach vorne, als fünf hohe Offiziere der Akademie, unter ihnen der Leiter dieser Sektion, Generalmajor Herschel Collins, hinter das breite Podium, an der Stirnseite, traten und sich, wie auf ein geheimes Kommando hin, beinahe gleichzeitig setzten. Alle fünf Offiziere, zwei Frauen und drei Männer, blickten mit gleichermaßen versteinerten Mienen über die Anwesenden und warteten, bis Ruhe eingekehrt war.

In dieser Zeit ließ Jayden Kerr, der an Andrea von Gardings anderer Seite saß, seinen Blick durch den Saal schweifen und legte dabei beruhigend seine Hand auf ihre. Sein Blick blieb an den beiden Flaggen, hinter den fünf Offizieren, hängen. Eine zeigte das Logo der Sektion-Terra, bei der anderen handelte es sich um die Flagge des Terranischen Imperiums. Dazwischen war, an der Wand hinter den Offizieren das Motto der Akademie, in großen, verschlungenen Lettern, zu lesen:

Bleibt immer treu und redlich.

Dieser Satz hallte in Jayden Kerrs Gedächtnis nach, als Generalmajor Collins sich räusperte und mit tiefer, tragender Stimme die Anhörung eröffnete, indem er sich an die anwesenden Kadetten wandte.

„Kadetten der Sektion-Terra. Wir sind wegen eines besonders schwerwiegenden und niederträchtigen Verbrechens heute hier versammelt, und wir werden versuchen herauszufinden, was sich zugetragen hat. Ich verbitte mir, während der gesamten Anhörung, irgendwelche Bekundungen oder Zwischenrufe, oder ich werde den Saal räumen lassen. Dies ist zunächst einmal eine formelle Anhörung, nach der entschieden werden wird, ob es zu einer offiziellen Anklage kommen wird, oder nicht.“

Nur kurz entstand ein leises Gemurmel unter den Kadetten bevor es schnell wieder still im Saal wurde.

Weder Jayden Kerr, noch seine Kameraden hatten bisher an einem solchen Zeremoniell teilgenommen und sie wussten nicht, was nun in der Folge geschehen würde. So beobachtete der Jamaikaner interessiert, dass die beiden außen sitzenden Offiziere, ein Mann und eine Frau, jeweils im Rang eines Majors, PADD´s vor sich liegen hatten, auf denen sie anscheinend den Verlauf der Anhörung aufzeichneten.

Zuerst rief der Generalmajor Kadettin Kim Tae Yeon auf, mit der Bitte, zu Protokoll zu geben, wie sie auf die Umstände aufmerksam geworden war, die sie in der Folge dazu veranlasst hatte, die Sicherheit zu alarmieren.

Durch ein Schott zur linken des Podiums – ein weiteres gab es zur Rechten - betrat die asiatische Kadettin den Saal und nahm vor dem Podium Aufstellung, ohne die anwesenden Kommilitonen dabei anzusehen. Auf die Frage des Generals hin erklärte sie: „Ich bin am letzten Sonntag, nach dem gemeinsamen Training, bei dem auch meine Kameradin Claudine anwesend war, als vorletzte aus dem Umkleideraum gegangen. Nur noch Claudine war noch dort. Als ich zu meinem Quartier unterwegs gewesen war fiel mir schließlich auf, dass ich mein Halstuch im Umkleideraum vergessen hatte, also machte ich mich nochmal auf den Weg zurück. Unterwegs, als ich auf Höhe der Schwimmhalle war, da hörte ich plötzlich Hilfeschreie. Ich bekam Panik, und informierte die Sicherheit.“

Der Generalmajor nickte, als Kim Tae Yeon endete und fragte ernst: „Aber Sie haben nicht den Umkleideraum betreten um eventuell zu helfen? Sie wussten doch gar nicht, was für ein Notfall hier vorlag. Ist Ihnen nicht der Gedanke gekommen es könne sich auch um einen Unfall handeln?“

Insgeheim auf diesen Schwachpunkt ihres Planes fluchend antwortete sie leise: „Ich hörte undeutlich Männerstimmen und da bekam ich es mit der Angst zu tun. Vielleicht hätte ich wirklich nachschauen sollen, Sir, doch ich war völlig verunsichert.“

Der Generalmajor blickte die junge Kadettin prüfend an und meinte dann mit nachdenklicher Miene: „Nun, so etwas kann passieren, allerdings finde ich es eigenartig, dass ein angehender Offizier, aus der Kaderschmiede der Akademie derart kopflos reagiert. In Ordnung, Kadett Kim, ich habe keine weiteren Fragen an Sie. Wegtreten.“

Kim Tae Yeon grüßte vorbildlich und schritt zu dem Schott, durch das sie den Saal betreten hatte. An ihre Stelle traten nun die vier Unteroffiziere der Sicherheit auf, die nach Kims Alarmierung vor Ort gewesen waren.

Auf den Zuhörerbänken ballte derweil Andrea von Garding die Hände zu Fäusten und zischte so leise, dass nur Jayden Kerr sie hören konnte: „Die lügt doch. Ich sage dir, irgendetwas an Tae Yeons Geschichte ist oberfaul.“

Der Feldwebel und seine drei Untergebenen gaben nacheinander zu Protokoll, wie sich die Ereignisse für sie dargestellt hatten.

Wieder hörte der Generalmajor bis zum Ende zu, bevor er sich an den Feldwebel wandte und fragte: „Welchen Eindruck machte Kadett Kim bei ihrem Eintreffen vor Ort, Feldwebel Ivanov?“

Der Angesprochene erwiderte umgehend: „Kadett Kim machte einen sehr aufgelösten Eindruck. Die junge Frau zitterte, Sir.“

Der General sprach leise mit seinen beiden Offizieren zur Rechten und zur Linken, ein männlicher Oberstleutnant und ein weiblicher Oberst, bevor er sich wieder dem Feldwebel zu wandte und sagte: „Das wäre für heute Alles. Sie und ihre Leute dürfen wegtreten.“

Auch die vier Sicherheitsbeamten grüßten vorbildlich, bevor sie durch das linke Schott verschwanden.

Als nächste kam Claudine Gilbert an die Reihe, da traditionsgemäß die Angeklagten bei einer Anhörung, wie dieser, das letzte Wort hatten. Sie betrat, sichtlich nervös und immer noch deutlich traumatisiert, wegen der Attacke vom vergangenen Sonntag, den Saal.

Generalmajor Collins beugte sich etwas vor und senkte seine Stimme unmerklich ab, als er ruhig fragte: „Kadett Gilbert, bitte geben Sie zu Protokoll, wie sich der vergangene Sonntag Abend, speziell die Attacke auf ihre Person, aus Ihrer Sicht abgespielt hat.“

Die Kadettin schluckte und begann mit leiser Stimme: „Ich verließ als letzte Person des Bodenturn-Teams den Umkleideraum und schritt, in Richtung der Haupthalle, an Schwimmhalle-III vorbei, um mein Quartier aufzusuchen. Dabei war ich etwas in Gedanken. Darum bemerkte ich die beiden Angreifer nicht, von denen mir eine einen Sack über den Kopf zog und einer schlug mir auf den Kopf, so dass mir kurzzeitig die Sinne schwanden.“

An dieser Stelle einhakend fragte Oberst Erin Varinia: „Kadett Gilbert, woher wissen sie, dass es sich um zwei Angreifer handelte, und nicht um mehr als zwei, oder nur einen?“

Etwas erstaunt dreinblickend antwortete Claudine Gilbert auf den auffordernden Blick der Mittvierzigerin hin: „Ich hörte zwei Stimmen, Sir. Der eine Angreifer gab die Anweisung an den Anderen, mich fester gegen den Boden zu drücken, während er selbst...“

Claudine Gilbert unterbrach sich und wischte sich die Tränen von den Wangen.

Der Generalmajor wartete einen Moment, bevor er mitfühlend sagte: „Ich verstehe, dass es Sie emotional aufwühlt, die traumatischen Vorgänge hier nochmal zu beschreiben, doch das kann ich Ihnen leider nicht ersparen, Kadett Gilbert. Bitte fahren Sie fort, wenn sie soweit dazu in der Lage sind.“

Die Kadettin schniefte unterdrückt und antwortete mit erstickter Stimme: „Ja, Sir.“ Sie brauchte noch einen Moment um sich wieder zu fangen und fuhr fort: „Dieser Andere zerriss meine Uniformbluse und betatschte mich grob. Der Erste schlug mir ins Gesicht, wonach ich eine Weile benommen war. Als ich wieder zu mir kam, da hielt mich der Kadett Corvin in seinem Arm und zog mir den Sack vom Gesicht, warum, das weiß ich nicht. Ich nutzte die Gelegenheit und begann aus Leibeskräften zu schreien und um mich zu schlagen.“

Wieder war es die ernst dreinblickende Mittvierzigerin, die einhakte: „Sie sagten, sie haben geschrien, als der Sack von ihrem Kopf entfernt worden ist. Haben Sie zuvor auch geschrien, oder erst in diesem Moment?“

Die Kadettin machte plötzlich einen gehetzten Eindruck. Mit zittriger Stimme antwortete sie unsicher: „Ich kann mich nicht erinnern, aber ich glaube schon. Zumindest habe ich laut protestiert, als mir der Sack über den Kopf gezogen worden ist.“

„Und sie haben erst im Umkleideraum wild um sich geschlagen?“

Wieder schien Claudine Gilbert unsicher zu sein, und darauf aufmerksam machend stupste Andrea von Garding ihren Freund heftig in die Seite.

„Auch dabei bin ich nicht sicher, Sir. Vielleicht habe ich, ohne es zu bemerken auch zuvor reflexartig um mich geschlagen.“

Die Mittvierzigerin flüsterte dem Generalmajor etwas zu. Dann fragte sie abschließend: „Wurden während des Angriffs auf Sie irgendwelche Namen genannt?“

Gilbert nickte und antwortete vernehmlich: „Es fielen die Namen Dean und Kimi.“

Leises Raunen entstand unter den Kadetten, bis sich der Generalmajor vernehmlich räusperte und eine noch strengere Miene, als bisher, aufsetzte. Dann wechselte er einige nicht deutbare Blicke mit seinem weiblichen Oberst, bevor er sich schließlich an die Kadettin wandte und meinte: „Danke, Kadett Gilbert, das wäre Alles. Wegtreten.“

Claudine Gilbert blickte kurz zu den anwesenden Kommilitonen und Andrea von Garding bemerkte den Ausdruck auf ihrem Gesicht. Wieder stieß sie Jayden an und zischte: „Hast du ihren unsteten Blick gemerkt? An der Aussage stimmt doch was nicht.“

Jayden Kerr nickte beschwichtigend und flüsterte knapp zurück: „Später.“

Dann richtete sich seine volle Aufmerksamkeit wieder nach Vorne, wo nun zunächst Dean Corvin, von zwei Leuten der Sicherheit eskortiert, hereingeführt, und zu den Vorgängen befragt wurde. Nachdem er seine Aussage ruhig vorgetragen hatte, wandte sich der Generalmajor an ihn und fragte: „Kadett, Corvin, Sie sagten, dass Sie Kadett Gilbert helfen wollten. Warum hat sie Ihnen dann das Gesicht zerkratzt?“

„Sir, sie dachte wohl, dass immer noch ihre Peiniger bei ihr seien.“

Lauter als bisher erkundigte sich der Generalmajor: „Und, Kadett Corvin – waren Sie nicht Kadett Gilberts Peiniger?

„Nein, Sir!“

„Dann wohl ihr Freund, Kadett Kimi Korkonnen?“

„Nein, Sir!“

Prüfend blickte Generalmajor Collins sekundenlang in die Augen des Kadetten. Dieses schmoren lassen hatte schon so manche Lüge aufgedeckt. Diesmal schien es zu versagen, denn der Dunkelblonde erwiderte seinen Blick mit undurchdringlicher Miene. Nach einem langen Moment nickte Collins unmerklich und fuhr fort: „Haben Sie zuvor Schreie gehört, Kadett Corvin?“

Dean Corvin schüttelte den Kopf. „Nein, Sir. Bis das Licht ausging war kein lautes Geräusch zu hören. Andererseits befanden sich Ki… ich meine Kadett Korkonnen und ich im Wasser und haben für den Schwimmwettkampf trainiert.“

„Wer, außer Kadett Korkonnen und Ihnen, wusste noch davon, dass Sie beide um diese Zeit trainieren würden?“

Corvin machte eine umfassende Geste. „Das war kein Geheimnis, Sir. Ich schätze, dass mindestens zwei Dutzend Kadetten davon gewusst haben.“

„Und Sie sind ganz sicher, dass es zuvor keinen Hilfeschrei gab?“

Dean Corvin nickte überzeugt. „Ja, Sir.“

Der Generalmajor blickte ein letztes Mal forschend in das offene Gesicht des Kadetten, bevor er auf die vordere, nicht belegte, rechte Bank deutete und meinte: „Das wäre Alles, Kadett Corvin. Bitte nehmen Sie hier vorne Platz.“

Der Kanadier salutierte zackig und setzte sich dann an der besagten Stelle, zwischen die beiden Sicherheitsleute, die ihn hereingeführt hatten.

Auch Kimi Korkonnen wurde von zwei Leuten der Sicherheit eskortiert, als er den Saal betrat und sich vor dem Podium aufbaute.

Der Generalmajor stellte dem Finnen exakt dieselben Fragen, wie Dean Corvin, und der Blonde gab dieselben Antworten darauf, wie sein zuvor befragter Freund.

Der General sprach im Anschluss leise mit seinen Offizierskollegen, bevor er ein Zeichen gab, auf welches hin sich alle Anwesenden im Saal erhoben. Selbst zusammen mit den übrigen Offizieren aufstehend wies er die beiden Beschuldigten an vorzutreten und verkündete: „Die hier vorgetragenen Aussagen haben keinen zwingenden Beweis für oder gegen die Schuld der beiden Beschuldigten erbracht. Aufgrund der Schwere des Vorfalls, vom vergangenen Sonntag jedoch, sind meine Offizierskollegen und ich mit drei zu zwei Stimmen dafür, dass Anklage erhoben wird um die Zusammenhänge eingehender zu klären und die Schuldigen an diesem schändlichen Vergehen zu finden und zu bestrafen. Die Verhandlung setze ich für den nächsten Samstag fest. Für die Dauer bis zu dieser Verhandlung verbleiben die beiden beschuldigten Kadetten weiterhin unter Arrest.“

Die anwesenden Kadetten nahmen Haltung an und der Generalmajor verließ, zusammen mit den vier übrigen Offizieren den Saal durch das Schott zur rechten Seite des Podiums, während Kimi Korkonnen und Dean Corvin von den Leuten der Sicherheit, durch das linke Schott abgeführt wurden.

Gemurmel entstand, während die Kadetten dem Hauptausgang des Saals zuströmten, und Andrea von Garding fluchte unterdrückt: „Jayden, die Sache stinkt. Ich schwöre Dir, sollte sich herausstellen, dass diese schlitzäugige Koreanerin gelogen hat, dann ist sie alt genug. Dann prügele ich ihr die verlogene Seele aus dem knochigen Leib.“

 
 

* * *

 

Später an diesem Samstag saßen Andrea von Garding und Jayden Kerr mit Miriam Rosenbaum und Rodrigo Esteban im GREEN HILLS zusammen und diskutierten die Entscheidung des Generalmajors. Dabei berichtete die Deutsche ihren Kameraden, wie ihr Besuch bei Dean Corvin und Kimi Korkonnen verlaufen war.

„Also, ich habe vorhin Dean besucht, und ich durfte auch anschließend noch kurz mit Kimi sprechen. Als ich Dean davon berichtete, dass Tae Yeon, deutlich vor dem Zeitpunkt, zu dem sie Claudine gefunden haben, Schreie gehört haben will, da war er ziemlich überrascht wie es schien. Und wenn er und Kimi Recht haben, dann gibt es da einen signifikanten zeitlichen Unterschied, zwischen den Schreien, die Tae Yeon angeblich gehört haben will, und den Schreien, die Claudine tatsächlich von sich gab, denn nach Deans Angaben hatte sie gerade erst begonnen zu schreien, als auch schon die Sicherheit unter die Dusche gestürmt kam. Was mir zusätzlich bei der Anhörung aufgefallen ist, das ist die Unsicherheit bei zwei Fragen des Generals gewesen, die sich exakt mit dieser Thematik beschäftigt haben. Sie wirkte dabei beinahe, als würde sie unter großem Druck stehen.“

Es war Rodrigo Esteban, der, ausnahmsweise mal zu keinen Scherzen aufgelegt, einen Schluck von seinem Fruchtsaft nahm, und nachdenklich ergänzte: „Ich verstehe das aber immer noch nicht ganz. Dean und Tae Yeon sind doch, soweit ich das mitbekommen habe, frisch verliebt in einander. Kann es nicht sein, dass Claudine geschrien hat, ohne sich daran zu entsinnen?“

Es war Jayden Kerr, der einsprang und widerlegend meinte: „Wenn das der Fall wäre, so hätte Tae Yeon die wirklichen Täter sehen und identifizieren müssen, aber laut ihrer Aussage kam ihr niemand im Gang entgegen, und es verließ auch niemand die Schwimmhalle. Andererseits sollte wohl eins klar sein: Keinesfalls waren Dean oder Kimi die Täter, darüber sind wir uns hier am Tisch doch wohl einig?“

Die Kameraden nickten zustimmend und Miriam nahm den Faden auf: „Ausgehend von Kims Aussage ist es also so, dass nur Dean und Kimi für die Tat in Frage kommen, aber wir hier schließen das aus. Also bleibt nur die Schlussfolgerung, dass es Jemand anders war, und dass Tae Yeon diese Anderen gesehen haben muss. Alternativ gäbe es nur noch die Möglichkeit, dass Tae Yeon erst dazu kam, als die Tat bereits begangen war, aber diese These weist zeitlich gesehen Lücken auf. Wie ich das drehe und wende – ein Punkt kristallisiert sich dabei klar heraus, und das ist der Verdacht, dass etwas an der Aussage von Tae Yeon nicht stimmen kann. Und ich tippe da nicht auf ein Versehen.“

Andrea von Garding machte eine zustimmende Geste. „Genau das habe ich Dean vorhin auch auseinander gepflückt, doch davon wollte er nichts wissen. Tja, momentan denkt er ja auch wohl nicht mit seinem Gehirn.“

„Mir fiel auf, dass der Generalmajor und dieser Oberst Varinia neben ihm, auch so ihre Zweifel an der Darlegung der Geschehnisse hatte“, ergänzte Jayden Kerr. „Sonst wäre die Entscheidung Anklage zu erheben nicht derart knapp gewesen.“

„Richtig!“, stimmte seine Freundin ihm zu. „Ich bin dafür, dass Jemand von uns auch etwas Druck auf Claudine aufbaut. Ich bin sicher, dass wir dann etwas mehr erfahren werden, als bei der Anhörung. Und ich denke, dass ich das übernehmen sollte.“

„Nein!“

Andrea von Garding glaubte sich verhört zu haben, als Miriam Rosenbaum dieses Wort mit einer, von ihr ungewohnten, Bestimmtheit sagte. Bei dem finsteren Blick der Kameradin erklärte sie rasch: „Du stehst den beiden Beschuldigten viel zu nahe. Erstens wird Claudine sofort ahnen warum du sie ausquetschen willst, und zweitens, falls das rauskommt, dann wird man sofort sagen, dass du sie zu einer Falschaussage drängen wolltest, wegen Deiner Freundschaft zu unseren Freunden. Deshalb wäre es vielleicht die bessere Idee, wenn ich mal bei Claudine anklopfe, was bestimmt unauffälliger wäre. Außerdem...“

Die Deutsche runzelte die Stirn. „Außerdem was?“

„Außerdem bist du nicht gerade für Deine diplomatischen Fähigkeiten bekannt“, ergänzte Miriam Rosenbaum das zuvor Gesagte. Sie bemerkte den Blick der Kameradin und meinte überzeugt: „Na komm, ist doch so.“

Andrea von Garding sah in die Runde und blickte in die gleichermaßen belustigten Mienen ihrer Kameraden. „Na, prima!“

Es war ihr Freund, der schmunzelnd seine Hand auf ihre Schulter legte und ruhig erklärte: „Sie hat Recht, Andrea. Miriam wird herausfinden, wenn es etwas herauszufinden gibt. Vertrauen wir ihr also. Und wenn nicht, dann kannst du immer noch loslegen.“

„Also schön“, gab sich seine Freundin schließlich geschlagen.

Der Jamaikaner gab seiner Freundin einen schnellen Kuss auf die Wange und schwor die Kameraden dann ein: „Vorläufig kein Wort zu Anderen. Sonst wird man behaupten, wir würden krampfhaft versuchen ein Alibi für unsere Freunde zurecht zu zimmern, was angesichts der Tatsache, dass wir keine Fakten vorweisen können, gar nicht mal allzu sehr daneben getippt wäre. Wir müssen auf der Hut sein, das gilt insbesondere für Dich, Miriam. Und hüte Dich vor Jonas Zandvoort und Jeremy James. Wenn mich mein Instinkt nicht im Stich lässt, dann stecken diese Beiden mit in der Sache drin, denn irgendwer muss die Attacke auf Claudine ja durchgeführt haben, und sie waren für einige Monate ständig mit unserer Tae Yeon zusammen.“

Für einen Moment lang hingen die vier jungen Kadetten ihren eigenen Gedanken nach, bevor Rodrigo überlegend sagte: „Wie ich es auch drehe und wende, wenn wir Recht haben, und ich weigere mich zu glauben, dass Dean und Kimi Claudine tatsächlich angegriffen haben, dann komme ich zum Schluss, dass Kim Tae Yeon diesen Vorfall inszeniert hat, oder zumindest an der Planung beteiligt war. Außerdem würde das bedeuten, dass sie Dean eiskalt für diesen finsteren Plan benutzt hat.“

„Mach diesem Blinden das mal begreiflich!“, ereiferte sich Andrea von Garding augenblicklich wieder. „Der hält diese Schlange für ein Unschuldslamm. Nur, weil...“

Die deutsche Kadettin biss sich auf die Lippen, denn Dean hatte ihr unter dem Siegel der Verschwiegenheit erzählt, was sich am Samstag-Nachmittag ereignet hatte.

„Nur weil… was?“, hakte Jayden Kerr sofort ein und sie verwünschte ihre vorlaute Bemerkung, doch nun war es zu spät – sie hatte sich verplappert.

Jayden würde nicht mehr locker lassen, also sagte sie zögernd: „Hey, ich habe Dean versprochen das nicht breitzutreten, also werdet ihr, über das, was ich nun erzählen werde, gefälligst die Klappen halten. Also, die Sache ist die, dass Dean deshalb an Tae Yeons Unschuld festhalten will, weil sie am Samstag erst miteinander geschlafen haben.“

Ungläubig blickte Rodrigo Esteban die Kameradin an.

„Ach du heiliger Strohsack!“

„So kann man es auch zusammenfassen“, stimmte Andrea von Garding ihm giftig zu. „Dean scheint es voll erwischt zu haben, und damit käme Tae Yeon sogar mit einem klaren Mord bei ihm durch, deshalb ist er uns momentan kaum eine Hilfe. Er hofft immer noch, dass sich Kim ihm wieder zuwenden wird, wenn sich herausstellt, dass er und Kimi unschuldig sind. Sie hat sich nämlich deutlich von ihm distanziert, angeblich weil sie von seiner Tat schockiert ist.“

„Diese falsche Schlange!“, rief Miriam Rosenbaum erbost aus. „So fällt gar nicht auf, dass sie das ohnehin vorhatte und sie kommt ganz sauber da heraus.“

„Das werden wir ja noch sehen“, widersprach Andrea von Garding finster. „Du wirst Dich, am Besten gleich heute Abend, mal um Claudine kümmern, unter dem Siegel der Fürsorge natürlich, und herausfinden warum sie so nervös war bei der Anhörung. Danach sehen wir vielleicht klarer. Was mich bedrückt ist nur, dass ich mir genau darüber im Klaren bin, dass das, was wir vorhaben, Dean wehtun wird denn ich glaube fester denn je, dass Kim ihn nur benutzt hat.“

Jayden Kerr war es schließlich, der sein Glas hob und feierlich erklärte: „Darauf, dass wir unseren Freunden erfolgreich aus der Misere helfen werden.“

Sie stießen mit einander an, und es kam ihnen beinahe so vor wie ein Blutschwur.

 
 

* * *

 

Der nächste Montag verlief relativ ruhig, obwohl die Anhörung, unter den meisten Kadetten der Akademie, immer noch Thema Nummer Eins war. Miriam Rosenbaum hatte, nach der letzten Vorlesung an diesem Tag, Andrea von Garding kurz darüber informiert, dass sie am Abend Claudine Gilbert aufsuchen würde um sich, wie es den Anschein haben sollte, lediglich nach ihrem Befinden zu erkundigen und ihr moralisch beizustehen. Dabei wollte sie dann, ganz subtil, auf ihr eigentliches Anliegen zu sprechen kommen. Danach wollte sie die Kameradin, mit der sie sich seit fast zwei Jahren, hier an der Akademie, das Quartier teilte, darüber in Kenntnis setzen, was sie erreicht hatte.

Sie spielten am Nachmittag eine Partie Speedball, aber weder Miriam Rosenbaum, noch ihre drei Kameraden, die den Fall um Dean Corvin und Kimi Korkonnen auf eigene Faust aufklären wollten, waren an diesem Nachmittag wirklich bei der Sache.

Miriam Rosenbaum wartete das Abendessen ab, bevor sie sich unauffällig an Claudine Gilberts Seite begab. Sie versicherte sich schnell, dass weder Kim Tae Yeon, noch die Kadetten Zandvoort und James, in der Nähe waren, bevor sie, wie zufällig, die Kommilitonin an der Schulter berührte. Sie lächelte warmherzig, als Claudine sie ansah, und fragte dabei mit sanftem Tonfall: „Wie geht es dir, Claudine?“

Etwas Unstetes flackerte kurz in den Augen der Angesprochenen. Dann antwortete sie leise: „Nun ja, momentan noch nicht wieder so toll.“

Miriam Rosenbaum blickte mitfühlend und nickte. „Ja, das kann ich mir denken. Zum Glück kam Tae Yeon nochmal zurück um ihr Tuch zu holen, das sie vergessen hatte.“

„Welches Tuch?“, fragte die Französin gedankenverloren.

„Nicht wichtig!“, wiegelte die in Haifa geborene Frau schnell ab und machte sich eine Gedankennotiz. Diese unbedachte Bemerkung von Claudine war für sie ein weiterer Hinweis, dass hier etwas nicht stimmte. Sie beschloss etwas stärker auf den Busch zu klopfen, aber nicht hier, wo es eventuelle Zuhörer gab, und so fragte sie unbefangen: „Was hältst du davon, wenn wir ein Stück spazieren gehen und uns etwas unterhalten.“

Mit dankbarem Blick nickte die Französin und gemeinsam mit ihrer Kommilitonin begab sie sich in den weitläufigen Park der Akademie.

Nachdem sie unter sich waren, war es Miriam Rosenbaum, die das Schweigen brach und vorsichtig fragte: „Die Fragen des Generalmajors waren unangenehm, oder?“

Claudine Gilbert nickt wortlos und die Israelitin setzte nach: „Er hat dich mit der Frage nach dem Zeitpunkt der Schreie ziemlich in die Ecke getrieben. Und dieser Oberst auch, als sie sich danach erkundigte, wann du dich gewehrt hast. Ich frage mich ernsthaft, was das sollte. Das war ziemlich unsensibel.“

Claudine Gilbert fasste bei den Worten der kurzhaarigen, jungen Kameradin etwas Zutrauen und so erwiderte sie zustimmend: „Ja, das war nicht schön.“

Dabei erkannte Miriam Rosenbaum erneut ein Flackern im Blick der Kommilitonin, das sie bereits zuvor schon bemerkt hatte. Spontan blieb sie stehen und ergriff eine Hand der Französin. „Hör zu, Claudine. Ich bin sicher, dass du bei der Anhörung nicht Alles gesagt hast, was du weißt. So, wie die Tatsache, dass Tae Yeon gar kein Tuch in der Umkleide vergessen hatte, nicht wahr?“

Ertappt blickte die Französin in die rehbraunen Augen ihres Gegenübers und wusste nicht was sie sagen sollte. Stattdessen rannen Tränen über ihre Wangen.

Spontan nahm Miriam Rosenbaum die Kadettin in den Arm und flüsterte dabei beschwörend: „Wenn es so ist, Claudine, dann musst du es dem Akademieleiter sagen. Sonst büßen zwei Unschuldige für diese schändliche Tat, und das willst du sicher Dein gesamtes Leben mit dir herumtragen. Wenn du wegen Kim und ihrer Freunde schweigst, dann sollst du wissen, dass ich und meine Freunde sich um Dich kümmern, und auf Dich achten werden.“

„Das könnt ihr nicht!“

Claudine Gilbert löste sich aus der Umarmung und rannte zurück zum Akademiegebäude während Miriam Rosenbaum unterdrückt fluchte. Aber immerhin hatte sie nun die Bestätigung, dass Claudine etwas verschwiegen hatte, und vielleicht würden ihre mahnenden Worte, die sie an sie gerichtet hatte, ja etwas bewirken. Nicht völlig zufrieden mit dem, was sie erreicht hatte, folgte sie der Kommilitonin langsam zum Gebäudekomplex.

 
 

* * *

 

Auf dem Weg zu ihrem Quartier lief die vollkommen verwirrte Claudine Gilbert geradewegs Kim Tae Yeon in die Arme. Die Koreanerin setzte ein freundliches Lächeln auf und kam auf die blonde Frau zu.

„Hallo, Claudine, wie war deine Unterhaltung mit Miriam? Ich habe zufällig mitbekommen, wie ihr euch im Park getrennt habt. Ihr hattet doch keinen Streit?“

Die Französin schüttelte distanziert den Kopf. „Nein, warum sollten wir denn streiten? Miriam wollte mir nur etwas Trost zusprechen, das ist alles. Wirklich.“

Claudine Gilbert war eine schlechte Lügnerin und deshalb bemerkte Kim sofort, diese gewisse Unsicherheit bei der Kommilitonin, die ihr sagte, dass das nicht die ganze Wahrheit gewesen war.

Die Kameradin fest am Arm ergreifend zog Kim Tae Yeon sie mit sich. Sich versichernd, dass sie nicht beobachtet wurden zischte die Asiatin warnend: „Hör mir jetzt sehr gut zu, Claudine: Ich weiß, dass Miriam versuchen wird, von Dir zu erfahren, wer Dich am Sonntag angegriffen hat. Du wirst trotzdem bei dem bleiben, was du bereits bei der Anhörung ausgesagt hast, denn wenn nicht wird Dir die Konsequenz daraus nicht gefallen, schätze ich. Denn dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass so etwas, wie am vergangenen Sonntag, nochmal passiert – und dann wird diese Tat vermutlich auch zu Ende gebracht werden. Du verstehst mich?“

Entsetzen lag im Blick der Französin, und allein die Vorstellung, das eben Gesagte könne Realität werden versetzte sie in Panik. Ihre Knie begannen jämmerlich zu zittern und ihr Herz schlug wie wild, als sie in Kim Tae Yeons kalt blickende Augen sah.

„Ich… ich werde nichts anderes aussagen – ganz bestimmt nicht“, schwor Claudine Gilbert heiser.

Die Koreanerin verstärkte den Griff ihrer Hand bis die blonde Frau schmerzhaft ihr Gesicht verzog. Erst dann ließ sie los und raunte ihr mit gefährlich klingendem Tonfall zu: „Das wäre auch besser für Dich.“

Damit wandte sich Kim Tae Yeon abrupt ab und eilte den Gang hinunter.

Claudine Gilbert schluckte und musste sich für eine Weile mit einer Hand an der Wand des Ganges abstützen. Dabei begannen ihre Augen sich unaufhaltsam mit Tränen zu füllen. Sie wusste nicht mehr, wo ihr der Kopf stand, und sie wusste ebenfalls nicht mehr, wie sie aus dieser verfahrenen Situation mit Anstand herauskommen sollte. Sie hatte Angst um sich selbst aber sie hatte auch Angst, dass zwei Unschuldige für diese Angst würden büßen müssen. Sie wischte sich schließlich die Tränen ab und setzte ihren Weg, mit unsicheren Schritten fort. Dabei durchzuckte sie ein zunächst fürchterlicher Gedanke, doch mit jedem Schritt, den sie tat, schien ihr dieser Gedanke zunehmend verlockender, und schließlich wie der einzig gangbare Weg, der ihr in ihrer Verzweiflung übrig blieb. Sie hoffte nur, in all dem gedanklichen Chaos dieses Momentes, dass sie sich wirklich richtig entschied, und man sie deswegen anschließend nicht verachten würde.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück