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DEAN CORVIN: 01. Das Ende des Imperiums

von

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EMOTIONEN

 In der letzten Vorlesung an diesem Tag stand Die Geschichte der modernen Menschheit auf dem Stundenplan. Zusammen mit weiteren neunundneunzig Kadetten strömte Kim Tae Yeon in Hörsaal III und bereitete sich innerlich darauf vor ihr Referat vorzutragen, denn Moderne Geschichte war eines ihrer Paradefächer.

Wie an allen anderen Tagen, seit sie im Sommer zur Sektion-Terra versetzt worden war, suchte sie sich einen Platz ganz in der Nähe eines Kadetten aus, der ihr über alle Maßen gut gefiel - Dean Everett Corvin. Für einen kurzen Moment blickte er, schräg vor ihr sitzend, herüber, und Kim Tae Yeon nutzte die Gelegenheit um ihm einen strahlenden Blick und ein zuckersüßes Lächeln zukommen zu lassen.

Der dunkelblonde Junge erwiderte das Lächeln unmerklich, bevor sich seine Aufmerksamkeit auf den Freund zu seiner Rechten richtete.

Etwas enttäuscht konzentrierte sich die, in Seoul geborene, junge Frau wieder auf den bevorstehenden Unterricht.

Obwohl sie selbst ihre Nase als etwas zu groß empfand, konnte man das Gesicht der Koreanerin als klassisch schön bezeichnen, denn ihre geschwungenen Lippen und die leicht schräg stehenden, dunklen Mandelaugen passten sich perfekt ein in das ovale, ebenmäßige Gesicht, das von langen, dunkelbraunen Haaren eingerahmt wurde. Dazu passte ihr heller Teint, der ihr Gesicht beinahe wie aus Porzellan wirken ließ. Auch die Proportionen ihres straffen, sehr sportlichen, Körpers waren dazu angetan, das Blut ihrer männlichen Kommilitonen schneller durch die Adern pulsieren zu lassen.

Kim Tae Yeon wusste um ihre Wirkung, und sie war es gewohnt, dass sie Jungs sehr schnell um den Finger wickeln konnte. Um so mehr irritierte sie die Tatsache, dass Dean Corvin bisher auf keinen ihrer subtilen Flirtversuche eingegangen war, von denen sie in den letzten vier Monaten mehr als genug gestartet hatte. Ihrer Ansicht nach. Etwas frustriert fragte sie sich, was mit diesem jungen Mann nur los sein mochte. Stand er am Ende vielleicht gar nicht auf Frauen?

Was für eine diabolische Verschwendung wäre das, überlegte die Asiatin, halb belustigt, halb betrübt. Sie erinnerte sich noch lebhaft an den Tag, als sie sich, und zwar bis über beide Ohren, in diesen etwas kühlen Typ, mit den lustigen Sommersprossen auf der Nase, verliebt hatte. Es war gleich in der zweiten Woche gewesen. Sie hatte Corvin bei einem Geländelauf überholt und sich einmal zu oft zu ihm umgesehen, denn dadurch war ihr ein tiefhängender Baumast entgangen, der quer über den halben Weg hing. Als sie das letzte Mal wieder nach Vorne gesehen hatte, da hatte sie nur noch etwas Dunkles auf sich zu kommen sehen. Gleich darauf war ihre rechte Schläfe heftig mit dem Ast kollidiert, wodurch sie sich selbst in den Zustand der Bewusstlosigkeit befördert hatte.

Dean Corvin hatte sich um sie gekümmert. Sie war wieder zu sich gekommen, als er seinen Arm unter ihre Schulter geschoben hatte, ihren Kopf gegen seine Brust bettete und seine Hand vorsichtig auf ihre Wange legte. Länger als es nötig gewesen wäre hatte sie ihre Augen geschlossen gehalten, bevor sie leise aufstöhnend, was sie hingegen nicht hatte spielen müssen, zu sich kam und die Augen öffnete.

Dean Corvin hatte ihr anschließend dabei geholfen langsam wieder auf die Beine zu kommen, wobei sie sich nur allzu willig von ihm hatte helfen lassen. Dabei war ihr schwindelig geworden, und sie war gegen ihn getaumelt. Der schneidige, junge Mann hatte darauf bestanden, dass sie ihren linken Arm um seine Schulter legte. Er selbst hatte seinerseits danach seinen rechten Arm um ihre Hüfte gelegt und sie zum Campus zurück gebracht, direkt bis zur Medizinischen Abteilung.

Selbst während der anschließenden Untersuchung und Behandlung dort hatte sie noch immer den Eindruck gehabt, seine Berührungen zu spüren. Seit diesem Tag war Dean Everett Corvin ihr nicht mehr aus dem Kopf gegangen.

Vorne hatte der Geschichtslehrer, im Rang eines Hauptmanns, bereits hinter seinem breiten Pult Platz genommen, vor dem sich eine Empore mit Rednerpult befand. Er wartete darauf, dass Ruhe einkehrte. Nach einem Moment erhob er sich und sagte, mit tragender Stumme: „Die Aufgabe für den heutigen Tag lautete, ein Referat über die Entwicklung der Menschheit in den letzten eintausendzweihundert Jahren zu schreiben. Wer von Ihnen möchte nach Vorne kommen und sein Werk vortragen?“

Einige Kadetten, unter ihnen Kim, meldeten sich und erfreut verfolgte die Asiatin, dass der Hauptmann ihren Namen aufrief.

Etwas nervös, aber auch entschlossen, erhob sich die sportliche Kadettin von ihrem Platz und schritt mit dem PADD, das ihre Geschichtsdateien enthielt, hinunter zum Rednerpult, auf das sie ihr PADD ablegte. Sie ließ ihren Blick kurz über die anwesenden Kommilitonen schweifen, bevor sie auf ihr PADD blickend ihr Referat vorzutragen begann.

Bereits nach den ersten Sätzen hatte die Asiatin ihre Kommilitonen mit ihren Ausführungen in den Bann geschlagen und in stiller Anspannung lauschten sie, wie Kim die geschichtliche Entwicklung der modernen Menschheit wiedergab.

Als Kim Tae Yeon endete und wieder aufsah da blickte sie, zu ihrer großen Freude, in die beeindruckten Gesichter ihrer Kommilitonen und selbst ihr Geschichtslehrer nickte anerkennend und sagte zu ihr: „Dieses Referat war ausgezeichnet, Kadettin Kim. Sie können wieder Platz nehmen.“

Während die Asiatin stolz zu ihrem Platz hinauf schritt fing sie einen anerkennenden Blick von Dean Corvin auf, und innerlich jubelte sie, dass auch er sie endlich wahrnahm.

Währenddessen hatte der Hauptmann die Aufnahmefunktion seines PADD´s aktiviert und die Kadetten dazu aufgefordert ihre Referat-Dateien, mit der Sendefunktion ihrer Geräte, zu seinem zu überspielen.

Auch Kim kam der Aufforderung nach. Danach lehnte sie sich lächelnd in ihrem Sessel zurück, spielte gedankenverloren mit ihren, hinter dem Kopf zu einem Pferdeschwanz, zurückgebundenen Haaren und bekam vom Rest der Geschichtsstunde kaum noch etwas mit, während der Lehrer nun einen Vortrag über die Entstehung und Entwicklung des Bundes von Harrel, und seinem Gründer, Wayne Harrel, hielt.

 
 

* * *

 

Unmittelbar nach dem Ende der Stunde, als die Kadetten dem Ausgang des Hörsaal zu strebten, drängte sich Kim Tae Yeon zu Dean Corvin durch, den sie ganz bewusst zunächst an ihrem Platz vorbei gehen lassen hatte, bevor sie selbst von ihrem Platz aufgestanden war. Dabei hoffte sie, ihn für einen Moment von seinen drei Freunden loseisen zu können, die quasi permanent um ihn herum zu sein schienen.

Rechts neben ihm auftauchend stupste sie ihn vorsichtig an und wartete, bis er zu ihr sah, bevor sie mit glockenheller Stimme sagte: „Hallo, Dean. Wie fandest du mein Referat?“

Erkennen überflog das Gesicht des Kadetten und grinsend meinte er: „Du solltest besser auf den Weg achten, damit du dir nicht nochmal versehentlich die Lampe ausschießt.“ Dann räusperte er sich, als er die verlegene Miene der jungen Asiatin bemerkte, und fügte an: „Das Referat war toll. Du hast einen Sinn für das Wesentliche.“

Kim Tae Yeon wand sich, etwas verlegen wirkend, und erwiderte dann, mit kokettem Augenaufschlag: „Danke, für das Lob, Dean, und nochmal Danke für deine Hilfe damals.“

„Keine Ursache“, wehrte Corvin schnell ab. „War doch selbstverständlich, dass ich dich nicht einfach auf dem Weg liegenlasse und weiterlaufe.“

Er zwinkerte Kim grinsend zu, was ihren Puls beschleunigte. Geradeheraus fragte sie dann: „Musst du dringend irgendwo hin, oder hast du einen Moment Zeit für mich?“

Etwas überrascht hob der Kadett seine Augenbrauen und erwiderte: „Nein, ich habe einen Moment.“

Die Asiatin ließ sich etwas mit Corvin zurückfallen, und der Dunkelblonde rief Kimi Korkonnen und Jayden Kerr zu, dass er, wie verabredet, in einer Stunde in der Sporthalle sein würde. Danach wandte sich seine Aufmerksamkeit Kim Tae Yeon zu. „Was gibt es denn?“

Kim druckste einen Moment herum und erklärte dann: „Ich wollte dich eigentlich nur fragen, was du zu Weihnachten und Silvester machst? Fährst du irgendwo hin, oder so?“

Zur Freude der jungen Frau schüttelte Dean Corvin den Kopf und antwortete: „Nein, seit mein Onkel, der mich nach dem Tod meiner Eltern aufgezogen hat, letztes Jahr gestorben ist habe ich keine Verwandten, zu denen ich heimfahren könnte. Kimi hat mich zwar bekniet mit ihm nach Helsinki, zu seiner Familie, zu fahren, aber ich denke, aufgrund meiner momentan etwas mäßigen Noten ist es besser wenn ich hier bleibe und für die Semester-Prüfungen lerne.“

„Toll!“, entfuhr es der Asiatin. Als sie gleich darauf den fragenden Blick des Kanadiers bemerkte fügte sie schnell hinzu: „Ich meine – tut mir natürlich leid, das mit deinen Verwandten. Das ist mir nur so raus gerutscht weil ich auch hierbleiben werde, und dann ist wenigstens ein bekanntes Gesicht da. Wir könnten gemeinsam lernen.“

Dean Corvin nickte verstehend. „Guter Vorschlag.“ Er schien zu bemerken, dass sie noch etwas auf dem Herzen lag, und darum fragte er vorsichtig: „Was hast du noch?“

Die drahtige Kadettin blickte ihn treuherzig an und erklärte zögerlich: „Na ja, ich habe gehört, dass es eine Silvesterparty geben wird, mit Tanz und so. Leider habe ich noch niemanden gefunden der mich zu dieser Feier begleiten würde und da… nun ja...“

Dean Corvin lächelte offen und meinte unbefangen: „Dann geh doch einfach mit mir hin. Ich wüsste sonst auch niemanden mit dem ich dort hin gehen könnte.“

„Dann ist das abgemacht!“, strahlte Kim Tae Yeon. Sie wandte sich um, als jemand im Gang ihren Namen rief.

„Meine beste Freundin“, gab die Asiatin bei dem fragenden Blick ihres Gegenübers Auskunft und verabschiedete sich vergnügt von ihm. „Also bis dann.“

„Bis dann!“, erwiderte Dean Corvin lächelnd und während Kim Tae Yeon zu ihrer Freundin schritt lag ein glücklicher Zug auf ihrem hübschen Gesicht.

 
 

* * *

 

„Du hast ein Date mit unserer hübschen Tae Yeon? Alter Charmeur.“

„Ha, ha“, machte Dean Corvin und blickte unwillig in Jayden Kerrs Gesicht. „Was ist überhaupt ein Date?“

„Hey du weißt ja, dass ich histo...“

„Oh, nein!“, fuhr Corvin dem Jamaikaner in die Parade und wandte sich hilfesuchend zu Kimi Korkonnen. „Bitte verschone uns damit!“

Die drei Freunde hatten sich, mit einigen anderen Kadetten zu einer Partie Speedball verabredet, ein Spiel, das sich aus dem antiquierten American-Football entwickelt hatte. Es wurde jedoch mit nur sieben Leuten pro Mannschaft gespielt, und war deswegen deutlich anstrengender. Momentan war gerade Halbzeit und eben hatte Corvin den Freunden, die heute mal nicht in derselben Mannschaft spielten wie Andrea und er, erklärt, was sich vorhin im Gang zugetragen hatte.

„Dann bleibt ihr eben dumm“, beschwerte sich der Dunkelhäutige. Doch schon im nächsten Moment setzte er wieder sein breitestes Grinsen auf und deklamierte mit erhobenem Zeigefinger: „Ein Date nannte man früher eine Verabredung.“

„Warum denn so kompliziert?“, warf Kimi Korkonnen seufzend ein. „Sag doch einfach Dean hat eine Verabredung, und alles ist okay. Dein historisches Durcheinander versteht kein Mensch.“

„Ich habe keine Verabredung“, korrigierte Dean Corvin gereizt.

Jayden Kerr kostete den Moment aus indem er scheinheilig fragte: „Tae Yeon hat dich aber schon gefragt, ob du mit ihr zu einer Party gehst, richtig?“

„Richtig.“

„Und du hast ja gesagt und wirst mit ihr zu dieser Party gehen, richtig?“

Corvin blickte seinen Freund, Jayden Kerr, stirnrunzelnd an und erkundigte sich, mit zusammengekniffenen Augenlidern: „Worauf willst du hinaus?“

Jayden Kerrs und auch Kimi Korkonnens Mundwinkel zuckten gleichermaßen verdächtig und Dean Corvin stöhnte schließlich unterdrückt: „Verdammt, ich habe eine Verabredung mit Tae Yeon.“

„Wer hat eine Verabredung?“

Corvin fuhr herum und erkannte, dass sich ihnen Andrea von Garding unauffällig genähert hatte. Bevor die Freunde etwas sagen konnten grollte er finster: „Kein Mensch hat eine Verabredung. Jayden hat uns eben nur einmal mehr mit seinen historischen Studien traktiert, du verstehst?“

Die Deutsche blieb stehen, warf Corvin und den beiden anderen Kameraden einen taxierenden Blick zu, und erwiderte feixend: „Ich verstehe. Ich komme nur um dich zu informieren, dass die Halbzeit gleich um ist. Du solltest vorher nochmal den nächsten Spielzug mit mir und dem übrigen Team durchgehen.“

Damit machte Andrea von Garding auf dem Absatz kehrt. Bevor Dean Corvin aufatmen konnte blickte sie nochmal über die Schulter und meinte keck: „Ach und Dean, dass du mir bloß anständig bleibst und dich wie ein Kavalier benimmst, wenn du zu Silvester mit Tae Yeon, oder sollte ich sagen mit deiner Verabredung, zur Party gehst, klar?“

Verdutzt blickte Corvin ihr nach und wandte sich mit einer ausladenden Geste an seine beiden Freunde: „Woher weiß die das schon wieder?“

Seine Freunde machten gleichermaßen ratlose Gesichter und Dean Corvin winkte ab. „Vergesst es einfach.“ Damit folgte er der Freundin und Kimi Korkonnen, der seinen Freund in- und auswendig kannte fragte sich insgeheim, warum dieser so ungewohnt emotional auf die Verabredung reagierte. Er beschloss, nach dem Spiel mit Dean zu reden, denn seit einigen Monaten hatte er eine ungefähre Ahnung woher der Wind wehte.

„Lass uns auch mal wieder langsam zurück auf´s Spielfeld gehen“, meinte Jayden Kerr und erkundigte sich dann bei dem Finnen: „Was ist eigentlich in der letzten Zeit mit Dean los, Mann?“

„Keine Ahnung“, entgegnete der Blonde schnell und fügte in Gedanken an: Zumindest weiß ich noch nichts mit Sicherheit.

Er und Jayden schnappten sich ihre Helme und trabten wieder in die Mitte des Feldes, wo diesmal das grüne Team das Spiel eröffnen würde. Beide spielten, für das gelbe Team, im Zentrum der Verteidigung.

Andrea von Garding stand bereits mit fangbereiten Händen hinter ihrem Zentralspieler, der ihr den Ball nach hinten geben würde. Dean Corvin postierte sich, da er sehr schnell sprinten und gut fangen konnte, momentan an der rechten Seite der Linie, an der das Spiel starten würde.

Jedes Team, welches das Angriffsrecht hatte, bekam vier Chancen einen Raumgewinn von sieben Metern zu erlaufen, oder zu erpassen. Schafften sie es nicht spätesten mit dem vierten Spielzug, diese sieben Meter zu überwinden, so wechselte das Angriffsrecht an der Position, an der besagter vierter Spielzug scheiterte. Schaffte es ein Team den Ball in die Endzone des Gegners zu tragen so gab es dafür drei Punkte – wenn er dort als Pass gefangen wurde nur zwei. Dabei durfte der Ballführende auf verschiedene Arten von seinen Gegenspielern zu Boden gebracht werden. Dort wurde dann der nächste Spielzug gestartet.

Andrea von Garding blickte kurz zur rechten Seite hinüber. Gleich darauf gab einer der Kadetten, der heute den Hauptschiedsrichter machte, das Spiel frei und die Kadettin, als Spielführerin, gab die verabredeten Kommandos – traditionell in englischer Sprache, was diesem Spiel eine exotische Note verlieh. Auf ihr drittes Kommando hin hob ihr Mitspieler vor ihr den Ball und warf ihn, durch die Beine, nach hinten in ihre Hände.

Andrea von Garding fing den Ball geschickt auf und machte mit ihm ein paar Schritte zurück, während die gegnerischen Abwehrspieler versuchten zu ihr durchzubrechen. Sie blickte zu Corvin, der im Begriff war den vereinbarten Cut nach Innen zu machen, und warf den Ball zu der Stelle, an der er sein würde wenn der Ball ankam.

Corvin schien jedoch nicht richtig bei der Sache zu sein denn er ließ den fangbar geworfenen Ball durch seine Finger rutschen, was ihm einen wütenden Blick seiner Kameradin einbrachte. Als er zur Linie zurück trottete fuhr die junge Frau ihn wütend an: „Hey, du Lappen, konzentriere dich beim nächsten Mal wieder auf das Spiel und fang das Ei gefälligst, kapiert! Wie genau soll ich das verdammte Ding denn noch werfen? Vielleicht versuchen wir eine Kansas-Fortytwo?“

„Wirf das kleine Scheißding einfach zu mir!“, konterte Dean Corvin gereizt und nahm erneut an der Linie Aufstellung.

Andrea schluckte die scharfe Erwiderung, die ihr auf der Zunge lag, aber sie schoss einige finstere Blicke auf Dean Corvin ab, bevor sie sich wieder auf das Spiel konzentrierte und als Kommando durchgab: „Tennessee-Twentynine! Hike – Hike – Hike!“

Der Spielzug begann und die Deutsche war versucht Corvin bei diesem Spielzug zu ignorieren, doch er hatte sich ideal freigelaufen. Außerdem blieb ihr keine Zeit sich nach einem anderen Passempfänger umzusehen, da Jayden Kerr, zwischen ihrem Zentralspieler und Rodrigo Esteban, der an der Linie neben ihm stand, durchgebrochen war und mit hohem Tempo auf sie zu lief.

Sie konnte den Ball gerade noch nach Vorne werfen, als Jayden Kerr sie auch schon erreicht hatte. Seine kräftigen Arme um die Kadettin legend und fest zugreifend riss er die Kameradin einfach mit sich, so dass sie nicht mehr mitbekam wie Corvin den Ball geschickt auffing und mit ihm in die Endzone lief.

Andrea von Garding hatte für einen Moment das Gefühl gegen eine Mauer gerannt zu sein. Die Luft wurde ihr aus den Lungen getrieben, als sie gemeinsam mit dem hochgewachsenen Jamaikaner zu Boden ging. Zu ihrem Glück hatte sich Jayden Kerr im letzten Moment mit ihr zur Seite gedreht, so dass sie auf ihm zu liegen kam.

Ihre Helme krachten hart gegen einander und für einen kurzen Moment glaubte die junge Frau Sterne zu sehen. Als sich ihr Blick klärte blickte sie direkt in das breit, und verdächtig anzüglich, grinsende Gesicht des Kameraden, der sie immer noch fest umarmte.

„Hallo, schöne Frau - nett dich getroffen zu haben“, lachte der Jamaikaner und zwinkerte ihr dabei geradezu unverschämt vergnügt zu.

„Lass mich gefälligst sofort los, du Rüpel!“, fauchte Andrea von Garding heftig. „Und sollte sich deine Hand nochmal so tief an meinem verlängerten Rücken hinunter verirren, dann kannst du etwas erleben, mein Freund!“

„So toll wie es sich anfühlt wäre ich glatt versucht es darauf ankommen zu lassen“, konterte Kerr mit unschuldigem Blick. Dennoch nahm er schnell die Rechte vom knackigen Po seiner Kameradin. „Dass ich dich ausgerechnet da zu packen bekam war übrigens nichts weiter, als reiner Zufall.“

„Wenn das stimmt, dann bin ich der Weihnachtsmann“, knurrte die Deutsche gespielt finster, konnte aber dabei kaum das Grinsen verbergen, dass sich auf ihre Lippen stahl. Sie ergriff Jayden Kerrs angebotene Hand und ließ sich von ihm nach oben ziehen. Als sie wieder auf den Füßen stand, verpasste sie dem Kameraden einen leichten Rippenstoß und deutete dabei in die Endzone, wo Dean Corvin noch immer, den Ball in die Luft reckend, wild herum hüpfte. „Den Pass hast du nicht verhindern können, dazu musst du früher aufstehen.“

„Abwarten“, lachte Jayden Kerr mahnend, während er gemeinsam mit der Kameradin wieder zum Mittellinie schritt. „Dieses Spiel ist noch nicht vorbei.“

 
 

* * *

 

Nach dem Spiel trennten sich die Kameraden und Kimi Korkonnen beeilte sich, an Dean Corvins Seite zu gelangen, als sie die Turnhalle verließen. Der Blonde blickte seinen nachdenklich wirkenden Freund von der Seite an, etwas besorgt, weil er diesen Gemütszustand, der nun fast ständig zu bemerken war, bei dem Freund bisher fast nie beobachtet hatte. Er atmete tief durch und beschloss dann Klartext zu reden – aber nicht hier, sondern an einem Ort, wo sie unter sich sein würden.

„Ich möchte Dich sprechen, Dean, und zwar unter vier Augen.“

Dean Corvin, der etwas in Gedanken gewesen war, blickte verwundert zu Kimi Korkonnen auf. „Warum denn die ernste Miene, mein Freund. Stimmt etwas nicht?“

„Das würde ich gerne von Dir erfahren.“

Korkonnen deutete den Gang hinunter, der zur Eingangshalle des Hauptkomplexes führte. „Im Zen-Garten werden wir ein ruhiges Plätzchen zum Reden finden.“

Da auf der südlichen Halbkugel der Erde gerade Sommer war, schritten die beiden Freunde, von den weißen, durch große Glasfronten bestimmten, maximal dreistöckigen, Gebäuden der Akademie weg. Wer zum ersten Mal vor dem Gebäudekomplex der Sektion-Terra stand, der war beinahe enttäuscht, denn da an dieser Sektion permanent nur gut zweihundert Kadetten ausgebildet wurden, war gerade an dieser Akademie-Sektion, auf der Zentralwelt des Terranischen Imperiums, alles etwas kleiner und übersichtlicher. Auch diesen beiden Kadetten war es so ergangen. Bei angenehmen Temperaturen trotteten sie durch den weitläufigen Park. Beide schwiegen, bis sie die japanische Bogenbrücke, die einen kleinen Bach überspannte, hinter sich gelassen hatten und sie unter sich waren.

Es war Kimi Korkonnen, der das Schweigen brach und diplomatisch meinte: „Es kann sein, dass ich mich irre, Dean, aber in den letzten Monaten habe ich eine Veränderung an Dir festgestellt. In der letzten Zeit kommst du mir sehr oft nachdenklich und in Dich gekehrt, ja, beinahe bedrückt, vor. So kenne ich Dich nicht, mein Freund, und deshalb mache ich mir so meine Gedanken darüber.“

Dean Corvin blickte seinen besten Freund, der ihm wie ein Bruder war, einen Moment lang nachdenklich an, bevor er leise seufzte und erklärend meinte: „Es ist wegen Andrea. Ich kann Dir nicht sagen wann, oder wie es passiert ist, Kimi, aber ich habe mich in sie verliebt, das ist mir in der letzten Zeit immer deutlicher klar geworden. Bereits gegen Ende des letzten Semesters, auf der Venus, habe ich das irgendwie schon gespürt.“

Sie schritten tiefer in den Bereich des Zen-Gartens hinein, der hinter der Brücke begann. Nachdem Kimi Korkonnen seine Worte unkommentiert ließ, fragte der Kanadier endlich: „Was denkst du denn?“

„Ich denke, dass Dich Andrea wirklich gern hat“, erwiderte der Freund ernsthaft. „Als Kamerad. Ob daraus mehr werden kann, oder nicht, das weiß ich offen gestanden nicht. Da musst du schon mit Andrea reden.“

Dean Corvin blickte den Blonden unsicher an. „Wie denn?“

Kimi Korkonnen sah seinen Freund in komischer Verzweiflung an. „Nun, du gehst zu ihr hin, fragst sie, ob sie einen Moment Zeit für Dich hat, und dann sagst du ihr was Sache ist. Ziemlich einfach, oder nicht?“

Dean Corvin blieb abrupt stehen und Panik lag in seinem Blick. „Bist du verrückt geblieben? Da würde ich rot wie eine Tomate werden und kein Wort herausbringen.“

„Tja, ich würde sagen, wenn du bei Andrea landen willst dann kannst du es Dir nicht leisten derart verklemmt und schüchtern zu sein“, spottete Kimi Korkonnen gutmütig. „Um sie zu gewinnen wirst du schon etwas riskieren müssen.“

Dean Corvin setzte sich langsam wieder in Bewegung. „Na, toll!“

Korkonnen, der an Dean Corvins Seite blieb, schmunzelte und fügte hinzu: „Oder aber du machst endlich mal Deine Augen auf und erkennst, bei wem du offene Türen einrennen würdest. Ich glaube, Tae Yeon müsstest du nur einmal intensiv ansehen, freundlich lächeln, und schon wäre sie die Deine, glaubst du nicht?“

„Tae Yeon ist sehr attraktiv“, räumte Dean Corvin zögerlich ein. „Außerdem hat sie bestimmt nicht weniger auf dem Kasten, als Andrea, es ist nur...“

„Verstehe“, seufzte der Blonde nickend. „Sie ist eben nicht Andrea.“

„Genau so ist es.“

Kimi Korkonnen legte seine Hand auf die Schulter des Freundes und sagte ernsthafter, als zuvor: „In dem Fall bleibe ich bei dem, was ich Dir zuerst geraten habe. Rede mit Andrea. Denn wenn du das nicht machst, dann wirst du sie nie für Dich gewinnen.“

„Aber was ist, wenn sie nein sagt.“

„Dasselbe, wie wenn du sie nicht fragst“, argumentierte der Finne überzeugend. „Natürlich kann es passieren dass sie nicht interessiert ist. Aber es zu wissen ist besser, als weiter im Dunkel zu tappen, wenn du mich fragst. Momentan mache ich mir ehrlich gesagt Sorgen, dass Andrea sonst zu einer fixen Idee bei Dir werden könnte. Du weißt, welche Chance du hier an dieser Akademie-Sektion hast, Dean. Da kannst du eine unglückliche Liebe am allerwenigsten gebrauchen.“

Dean Corvin stöhnte unterdrückt. „Jetzt hörst du dich schon genauso so an wie mein Patenonkel, kurz bevor er starb.“

„Scheint ein schlauer Typ gewesen zu sein“, gab der Freund ironisch zurück.

Mehrere Kadetten des vierten Jahrgangs kamen ihnen entgegen und die Freunde bogen nach Links auf einen der kleineren Seitenwege ein, der sich zwischen hohen, alten Buchen dahin schlängelte. Von Süd-Westen her kam starker Wind auf und trug eine salzige Brise vom Meer mit sich. Wellington, an der Südspitze der Nordinsel Neuseelands gelegen, war auch heute noch für seine plötzlichen Böen und Fallwinde berüchtigt. In früherer Zeit hatten die Einwohner ihre Stadt deshalb ironischer Weise Windy City genannt.

Als sie wieder ungestört waren, fuhr Dean Corvin fort: „Vermutlich hast du Recht, aber ich denke, dass ich Andrea nicht so kurz vor Weihnachten damit überfallen sollte. Vielleicht ist es besser damit zu warten, bis sie, nach den Semesterferien, wieder hier am Campus ist. Gut gelaunt, wegen der angenehm verbrachten Feiertage.“

Kimi Korkonnen schüttelte lachend den Kopf. „Immer und überall der alte Taktik-Fuchs – aber ich sage dir jetzt mal was: In Herzensangelegenheiten wird Dir keine noch so ausgefuchste Taktik etwas nützen, sondern nur Offenheit und Ehrlichkeit. Auch wenn Dir das vielleicht nicht gefällt.“

„Schöner Mist!“

Korkonnens blaue Augen funkelten amüsiert. „Eins verstehe ich beim besten Willen nicht, Alter: Wenn es in einer Übung darum geht, Dich durch das wildeste Gelände durchzuschlagen, das man sich denken kann, oder einen Kreuzer simuliert in die haarsträubendste Schlacht zu führen, dann bist du ganz vorne mit dabei und ich glaube es wäre nicht anders, würde es sich um den Ernstfall handeln - aber sobald es darum geht nur etwas Gefühle zu investieren, dann versagt Dein Heroismus. Das kapier ich nicht.“

„Vielleicht kapierst du es ja, falls es Dich mal so richtig erwischt“, konterte Dean Corvin mürrisch. „Dann werde ich Dich an Deine schlauen Worte erinnern.“

Kimi Korkonnen zwinkerte belustigt. „Kann vielleicht passieren. Aber ich hoffe trotzdem, dass ich mich dann weniger trottelig anstelle, als du.“

Er wurde wieder ernst, während sie langsam wieder auf den Haupteingang des Akademie-Komplexes zu schritten, und meinte abschließend: „Auf jeden Fall kennst du nun meine Meinung zu dieser Angelegenheit, und ich hoffe, dass du nach den Ferien nicht noch länger mit dieser Leidensmiene herumläufst.“

Dean Corvins Antwort darauf bestand in einem vielsagenden Blick.

Sie erreichten wieder belebtere Bereiche des Parks und das Thema wechselnd fragte Kimi Korkonnen: „Du willst über die Feiertage also tatsächlich hier am Campus bleiben? Mein Angebot, dass du mit nach Helsinki kommst, steht noch. Meine Eltern würden sich bestimmt freuen, Dich wiederzusehen.“

„Ich weiß“, nickte Corvin. „Grüß sie von mir.“

„Übrigens, Famke wäre bestimmt auch erfreut Dich zu sehen“, erinnerte Kimi Korkonnen den Freund mit eindringlicher Miene. „Sie mag Dich sehr, wie du weißt.“

Dean Corvin sah den Freund mit einer Mischung aus Unglauben und Fassungslosigkeit an, bevor er erklärte: „In all den Jahren, seit ich Dich und Deine Familie kenne, ist Deine kleine Schwester auch meine kleine Schwester geworden. Nein, Kimi, das wäre wirklich zu schräg.“

„Stimmt auch wieder“, gab Korkonnen grinsend zu. Der Kanadier war in seiner Kindheit fast jeden Tag bei ihnen Zuhause gewesen und seine zwei Jahre jüngere Schwester und Dean waren quasi wie Geschwister aufgewachsen. „War ein ganz blöder Gedanke, wie?“

„Sehr richtig.“

„Was…?“

Dean Corvin schlug dem Freund kameradschaftlich auf die Schulter und sagte nach einer Weile leise: „Danke für den Rat. Vielleicht bringt mir das neue Jahr ja Glück.“

„Vielleicht sogar noch das Alte“, ergänzte Kimi Korkonnen vielsagend und ignorierte den leidenden Blick des Freundes. Dann hakte er das Thema endgültig ab und begann mit dem Freund eine Unterhaltung darüber, wie das Speedball-Spiel von eben verlaufen war.



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