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DEAN CORVIN: 01. Das Ende des Imperiums

von

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SEKTION-VENUS

Um Dean Everett Corvin, Kadett der Terranischen Raumflottenakademie im zweiten Ausbildungsjahr, herum tobte das Chaos der Weltraumschlacht. Über zwanzig Kriegsschiffe aller Größen, davon sieben die zur Raumflotte des Terranischen Imperiums gehörten, feuerten seit etwa drei Minuten unablässig aus allen Geschützen. Grell violette, gerichtete Plasma-Entladungen jagten zwischen den gewaltigen Raumkreuzern hin und her, brachten die Dual-Schutzschilde der Metallkolosse zum Aufleuchten oder schlugen, mit verheerender Wirkung, in den mit Stahl gepanzerten Schiffskörpern ein. Dazwischen jagten immer wieder Raumtorpedos zwischen den Schiffen hin und her – dort wo sie trafen leuchteten grellweiße Atomsonnen in der Dunkelheit des Alls auf.

Die hellgraue Uniform Corvins spannte sich vor seiner Brust als er seine breiten Schultern nach hinten zog, während seine beinahe fiebrig glänzenden Augen die Anzeigen der Steuerungsdisplays des Leichten Kreuzers RUBICON überflogen. Unterbewusst nahm er die Blicke des diensthabenden Navigators, Kadett Andrea von Garding, wahr, die zu seiner Linken saß und nicht weniger angespannt wirkte, als Corvin selbst. Dessen grau-blaue Augen fingen kurz den Anblick seiner Kommilitonin ein und er bemerkte dabei ihr kritisches Stirnrunzeln, welches fraglos ihm galt. Im nächsten Moment hatte er bereits wieder alle Hände voll damit zu tun, den Kreuzer aus der Schusslinie zweier Schwerer Kreuzer des Gegners zu steuern, wobei er das schlanke, 397 Meter lange, Kriegsschiff des Terranischen Imperiums zwischen drei gegnerischen Zerstörern, die, in Flugrichtung gesehen, ein etwas schiefes, etwa gleichseitiges Dreieck bildeten, hindurch manövrierte.

Andrea von Garding, der bewusst war, dass die RUBICON in der momentanen Situation eine Reihe von Manövern ausführen konnte, um sie aus der unmittelbaren Gefahrenzone zu bringen, nur nicht, zwischen den Zerstören hindurch zu fliegen, zischte ihrem Kameraden zu: „Das, was du da offensichtlich vorhast, ist keine gute Taktik, Dean.“

„Wir sind weg bevor die bemerken was ich vorhabe“, gab der, in Toronto geborene, Pilot der RUBICON leichthin zurück, wobei er das unwillige Auflodern in den blau-grünen Augen seiner Kameradin, die im bläulichen Schein der momentan aktivierten Gefechtsbeleuchtung der Zentrale noch intensiver als üblich zu funkeln schienen, ignorierte. In Gedanken fügte er schnell hinzu: Sobald das Manöver funktioniert hat, wirst du meinen scharfen, taktischen Verstand und meine Fähigkeiten als Pilot bewundern, mein Engel.

Mit etwas fassungsloser Miene blickte sich Andrea von Garding zu Kimi Korkonnen um, der links neben Dean Corvin an den Maschinenkontrollen saß, sich aber bisher jeglicher Kommentare, in Bezug auf das Manöver seines besten Freundes, enthalten hatte. Die rotblonde, junge Frau hoffte, Kimi Korkonnen würde ebenfalls gegen den Kurs, den Dean einschlug, intervenieren, doch die beiden hielten mal wieder zusammen wie Pech und Schwefel, wie es schien. Sie blickte aufgebracht nach Rechts, wo Jayden Kerr an den Waffenkontrollen seine Finger über die Sensorflächen huschen ließ und die Feindschiffe unablässig unter Feuer nahm. Auch von dem dunkelhäutigen Jamaikaner, aus dem kleinen, westlichen Küstenort Negril, war keine Hilfe zu erwarten, und in der Magengegend der Kadettin begann es zu brodeln. Die Wirklichkeit holte sie schnell wieder ein, als Dean Corvin sie ansprach.

„Andrea, ich brauche den günstigsten Kurs, nachdem wir durchgebrochen sind, um erst einmal außer Waffenreichweite zu gelangen.“

Die Ruhe des Kameraden wurmte die junge Frau zusätzlich, doch sie konzentrierte sich und übertrug wenige Augenblicke später die entsprechenden Daten zu seiner Konsole. Danach blickte sie schnell über die Schulter, zum Kommandanten des Kreuzers, der es nach seinem Befehl, die RUBICON aus der Schusslinie zu bringen, ihnen überlassen hatte, diesen Befehl entsprechend ihrer Ausbildung, auszuführen. Die Miene des erfahrenen Offiziers verriet nicht die Spur von dem, was momentan in ihm vorging und so blickte die junge Frau wieder auf ihre Konsolenanzeigen und Displays, auf denen sich die beginnende Katastrophe abzuzeichnen begann.

Die RUBICON wurde nun aus drei verschiedenen Vektoren unter Feuer genommen und Dean Corvin versuchte, einen unvorhersehbaren Kurs einzuschlagen, wobei er seinem Freund Kimi Korkonnen zurief: „Notreserven auf die hinteren Antriebsprojektoren und auf die Schilde!“ Danach wandte er sich an Jayden Kerr und forderte: „Waffenfeuer auf den Zerstörer in Vektor Grün, Jayden. Wir sind gleich durch.“

Fast so, als wolle das Schiff seine Worte Lügen strafen, begann die Zentrale des Kreuzers heftig zu erzittern, und Korkonnen meldete: „Schilde sind überlastet und brechen in wenigen Sekunden zusammen. Antrieb arbeitet im Grenzbereich!“

Gleich darauf meldete sich Jayden Kerr: „Waffen bekommen keine Energie mehr und fallen aus! Achtzig Prozent der Torpedorampen sind nicht mehr einsatzbereit.“

Andrea von Garding, die immer noch hoffte der Kreuzer könne dennoch entkommen, fluchte herzlich und suchte fieberhaft nach einem günstigeren Fluchtkurs. Doch noch bevor ihre Bemühungen von Erfolg gekrönt werden konnten, durchlief ein heftiger Schlag die Zentrale, welcher die vier Kadetten fast aus ihren Sitzen warf. Gleichzeitig setzten die Alarmgeber des Schiffes ein und eine seelenlose Computerstimme meldete: „Vakuumeinbruch im hinteren Bereich des Schiffes! Schildgeneratoren versagen. Antriebsprojektoren überlastet! Schiff muss aufgegeben werden!“

Das Ende der RUBICON kam lautlos.

Alle Systeme der Zentrale fuhren gleichzeitig herunter, und lediglich auf den Konsolendisplays erschien der beinahe süffisant wirkende Satz: Der Leichte Kreuzer RUBICON wurde durch Feindbeschuss vernichtet. Im nächsten Moment erhellte wieder die normale Beleuchtung die Zentrale - genau genommen eine 1:1 Nachbildung des Nervenzentrums eines leichten Kreuzers, wie es in der Flotte des Terranischen Imperiums mehr als zweihundert gab - und die Gefechtsbeleuchtung erlosch dafür.

Noch während Dean Everett Corvin seine Hände zu Fäusten ballte, schnitt die Stimme des hinter ihnen sitzenden Majors durch die entstandene Stille und brachte die vier Kadetten in die Wirklichkeit zurück: „Übungsende! Die Nachbesprechung findet direkt im Anschluss in Konferenzraum II statt.“

Damit erhob sich Major Omar de la Hoz, dem man seine arabischen Vorfahren deutlich ansehen konnte, und marschierte mit raumgreifenden Schritten zum Ausgangsschott des Simulators.

Die vier Kadetten im zweiten Ausbildungsjahr folgten ihm schweigend und, mehr oder weniger, mit betretenen Mienen. Während sie hinter dem Major durch den breiten, weißen Gang schritten, schoss Andrea von Garding immer wieder wütende Blicke auf ihren Kommilitonen Dean Corvin ab. Er war ein Dickkopf durch und durch, und dieser Dickkopf war an diesem Tag ihr Untergang gewesen, wenn auch nur ein simulierter Untergang.

Seit fast zwei Jahren waren sie nun Kameraden an der Sektion-Venus und sehr gut mit einander befreundet, doch in diesem Moment hätte die ehrgeizige, junge Frau ihn am liebsten geohrfeigt, denn ihre Leistungen, bei der eben so spektakulär schiefgegangene Übung, wurden insgesamt gewertet, und nicht für jeden Kadetten einzeln, wie bei zahlreichen anderen Gelegenheiten. Sie selbst galt unter ihren Kameraden als sehr diszipliniert, und Dean war das genaue Gegenteil. Bei vielen praktischen Ausbildungen entschied er aus dem Bauch heraus, statt die Ratio zu Wort zu bitten.

Gerade so, als habe Corvin die Blicke der Kameradin gespürt, blickte er kurz zu ihr, wobei man ihm deutlich anmerken konnte, dass er sich im Moment nicht wohl in seiner Haut fühlte. Dem entsprechend schnell wandte er den Blick wieder ab und stapfte, mit verdrossen wirkender Miene, neben seinem besten Freund, Kimi Korkonnen, hinter dem Major her.

Korkonnen und Dean Corvin kannten sich bereits aus Kindertagen. Corvins Eltern waren tödlich verunglückt, als der Junge fünf Jahre alt war, und sein Patenonkel, der in Helsinki lebte, hatte den Jungen aufgezogen. Dort hatte der Kanadier den damals fast unnatürlich ruhigen Finnen, bei der Einschulung, kennengelernt. Trotz ihres damals extrem gegensätzlichen Temperaments waren die beiden Jungen schnell Freunde geworden, was nicht wenige Leute, die die Beiden kannten, verwundert hatte. Ganz im Gegensatz zu seinem besten Freund war Kimi Korkonnen von ernsthafter Natur, keinen Unfug zulassend; jemand, von dem man sich wünscht, dass er stets in der Nähe war und einem den Rücken freihielt.

Stellte Korkonnen den ruhenden Pol ihrer ihrer verschworenen Gemeinschaft dar, so konnte man Jayden Kerr als das Gute-Laune-Zentrum bezeichnen. Fast immer lag auf den Lippen des fast 1,90 Meter großen, athletischen Jamaikaners ein leises Lächeln, und oft schien er von einer stillen Heiterkeit beseelt zu sein. Eine positive Lebenseinstellung, die sich auch in seinen dunklen, fast schwarzen, Augen wiederfand. Außerdem konnten seine Freunde und Kameraden sich nicht daran entsinnen, ihn jemals fluchen oder schimpfen gehört zu haben, seit sie ihn, zu Beginn ihrer Ausbildung auf der Venus, kennengelernt hatten. Doch selbst Jayden Kerr schien in diesem Moment etwas angespannter zu sein, als üblich.

Zwischen den jungen Männern, von denen Corvin mit 1,84 Meter der kleinste war, hätte die junge Kadettin, adeliger Abstammung, beinahe verloren gewirkt, wenn da nicht die Ausstrahlung ihrer Augen gewesen wäre, die jeden Menschen unwillkürlich davor warnte sie, oder ihren Intellekt, zu unterschätzen. Und das zurecht, denn Baroness Andrea von Garding besaß einen messerscharfen Verstand und sie war auch sonst in jeder Hinsicht belastbar.

Als Kimi Korkonnen neben Dean Corvin in den rechten Seitengang einbog, fing er einen der Blicke ihrer Kameradin auf und raunte dem Freund warnend zu: „Die Hölle misst augenblicklich einen Meter achtundsechzig und sie marschiert in diesem Moment direkt hinter uns her, mein Freund. Oder besser gesagt, hinter dir, denn ich habe ja nichts angestellt. Halt gleich, beim Verriss, bloß deine große Klappe.“

In Dean Corvins blau-grauen Augen lag Widerspruch, doch beim beschwörenden Blick des Blonden verbiss er sich den Kommentar, der ihm bereits auf der Zunge gelegen hatte. Nur selten bedachte Korkonnen ihn mit einer solchen Eindringlichkeit, und wenn er es tat, dann war es geraten zurückzustecken, etwas, das Dean Corvin oft äußerst schwer fiel.

Sie erreichten endlich den Besprechungsraum, und Omar de la Hoz deutete einladend auf die bequemen, blau bezogenen Sessel, die sich um einen länglichen, sechseckigen Tisch aus schwarzem, venusianischen Pharran-Holz, einem der wichtigsten Exportartikel des Planeten, gruppierten.

Andrea von Garding beobachtete, wie Dean Corvin rechts des Majors Platz nahm, und demonstrativ steuerte sie selbst einen der Sessel auf der anderen Seite des Tisches an. Nur flüchtig blickte sie auf die Anzeige des Wandchronografen, der Montag den 23. Mai 3216 anzeigte. Sich umständlich in den Sessel setzend mied sie den Blick des Kameraden und starrte, mit mürrischer Miene, auf das feine, silbrige Muster der glasharten Tischoberfläche.

Aus einem nicht erklärbaren Grund schien es jedem Betrachter dieses Materials so, als würde sich diese Maserung bis tief in dieses seltene Edelholzes hinein verfolgen lassen, wobei wissenschaftlich nie geklärt worden war, wodurch dieser Effekt entstand.

Dass sich Jayden Kerr neben ihr niederließ beobachtete Dean Corvin mit verkniffener Miene, denn insgeheim sah er, seit einiger Zeit bereits, weit mehr in der jungen Frau als nur eine Kameradin, oder gute Freundin. Dabei konnte er nicht sagen wann diese Entwicklung seinen Anfang genommen hatte. Er spürte lediglich, seit einigen Wochen, das da von seiner Seite mehr war. Er wurde abgelenkt, als Major Omar de la Hoz sich räusperte, nachdem Korkonnen sich, als Letzter, seufzend neben ihm am Tisch niedergelassen hatte.

Der erfahrene Ausbildungsoffizier der Terranischen Raumflotte blickte mit undurchdringlicher Miene in die Runde, wobei sein Blick schließlich bei Dean Corvin hängen blieb. Für einen Augenblick ruhten die hart wirkenden Augen des Majors auf dem Kadett, bevor er seinen Blick wieder abwandte und mit dunkler Stimme erklärte: „Zunächst möchte ich vorausschicken, dass das, was ich heute im Simulator gesehen habe, mit das Beste war, während meiner mehr als zwanzigjährigen Zugehörigkeit dieser Akademie-Sektion. Ihre Entscheidungen und Reaktionen waren überdurchschnittlich gut.“

Er richtete sein Augenmerk wieder voll auf Dean Corvin.

„Zumindest bis zu dem Moment, als der Pilot der RUBICON den Suizid der gesamten Besatzung beschlossen hat. Jeder Kadett lernt bereits in seinem ersten Jahr an der Akademie, dass man sein Schiff nicht zwischen mehreren Feindeinheiten hindurch steuert – warum, das haben Sie und ihre drei Kameraden eben sehr nachhaltig erfahren, Kadett Corvin. Ich halte Sie, nach wie vor, aufgrund ihrer bisherigen Leistungen in der Praktischen Ausbildung, für einen künftigen Flottenoffizier mit sehr viel Potenzial. Doch im Moment möchte ich von Ihnen erfahren, welcher Teufel Sie geritten hat, dieses Wahnsinnsmanöver zu initiieren?“

Mit einer Mischung aus Trotz und fehlender Einsicht blickte Dean Corvin seinen Ausbilder an. Er räusperte sich nervös und sagte dann, mit fester Stimme: „Nun, Sir, diese Simulationscomputer gehen bei ihrer Berechnung auf Nummer-Sicher. Außerdem haben die simulierten Feindschiffe schneller reagiert, als ein überraschter Gegner es getan hätte. Erschwerender Weise traf der Feind besser, als Wilhelm Tell zu seinen besten Zeiten. In einem realen Gefecht hätte dieses Manöver, nach meiner Ansicht, funktioniert.“

Omar de la Hoz blickte kurz in die Runde und er registrierte dabei sowohl die fassungslosen Blicke der jungen Frau am Tisch, als auch die, teils erstaunten teils unwilligen, Blicke der Kadetten Kerr und Korkonnen.

Der Major selbst blieb ruhig und sachlich. Das Argument des Kadetten Corvin war nicht zu einhundert Prozent zu widerlegen, aber doch zu über fünfzig Prozent, und so antwortete er schließlich bestimmt: „Kadett Corvin, ihre Annahme ist sowohl provokant, als auch gewagt. Provokant deswegen, weil Sie selbst nie an einem realen Raumgefecht teilgenommen haben, und gewagt, weil die Simulationscomputer dieser Akademie-Sektion, die zu den besten im bekannten Weltall gehören, eine über fünfzigprozentige Wahrscheinlichkeit für den erlebten Ausgang des Gefechts errechnet haben. Ihr Vorhaben war, das ist meine persönliche Ansicht, zu riskant, denn Sie hätten im Ernstfall nicht nur für sich die Verantwortung getragen, sondern für weitere einhundertvierundneunzig Menschen an Bord. Bitte denken Sie über diesen Punkt sehr gut nach, bis zur nächsten Simulationsübung, bei der es um die hauptsächliche Bewertung für die Jahres-Abschlussprüfungen gehen wird.“

Dean Corvin presste seine Lippen zusammen, bei dem milden Verweis und der gleichzeitigen versteckten Warnung in den Worten des Majors. Es kostete ihn Überwindung, als er nach einem Moment knapp antwortete: „Aye, Sir.“

De la Hoz blickte erneut sinnend in die Runde, bevor er ernst meinte: „Falls Jemand in diesem Raum der Ansicht sein sollte, dass dieses Team so nicht funktioniert, dann bitte ich darum es nun zu sagen, Kadetten.“

Dean Corvins Blick zuckte unwillkürlich zu Andrea von Garding, die es vermied ihn anzusehen. Der Junge bemerkte, dass sich die gespreizten Finger ihrer schlanken, gepflegten Hände auf der Tischplatte, in rascher Folge, an- und entspannten. Sie hielt jedoch ihren Blick gesenkt und schwieg beharrlich - zur Erleichterung des Jungen.

Omar de la Hoz nickte in Gedanken.

„Nun gut. Ich nehme an, Sie alle werden etwas aus dieser Übung gelernt haben. Sie können wegtreten, Kadetten.“

Der Major erhob sich von seinem Platz und verließ den Besprechungsraum.

Dean Corvin hatte es eilig, es dem Offizier nachzutun, denn langsam setzte sich bei ihm die Erkenntnis durch, wenn auch etwas zu spät, dass er Mist gebaut hatte, und er wollte jetzt nur noch seine Ruhe haben, um darüber nachzudenken. Schnell erhob er sich und schritt zum Ausgangsschott.

Auf dem Gang hörte der Kanadier schnelle Schritte hinter sich, und als er sich umwandte da stand nicht sein Freund Kimi Korkonnen hinter ihm, sondern Andrea von Garding, die ihn zornig anfunkelte. Noch bevor Corvin zu einer Entschuldigung ansetzen konnte hatte die junge Frau ihn mit den Händen gegen die Wand des Ganges gedrückt, und herrschte ihn mit lauter Stimme an: „Du hast da eben einen Riesenscheißdreck verzapft, Dean Everett Corvin! Geht das in Deinen verdammten Dickschädel? Ja…?!“

Erneut wollte Dean Corvin zu einer Erwiderung ansetzen, und erneut kam er nicht zu Wort, denn die aufgebrachte Kameradin wetterte bereits weiter.

„Hör mir gut zu, Kamerad! Dieses Mal verzeihe ich Dir noch einmal, aber wenn du Dir jemals wieder so etwas leisten solltest, dann lernst du mich kennen! Ich habe mich nicht fast zwei Jahre lang hier auf der Venus abgerackert, um im Sommer vielleicht doch nicht das Ziel zu erreichen, zur Sektion-Terra versetzt zu werden! Also reiß Dich gefälligst zusammen, du Querkopf, und nimm Dein verdammtes Ego aus der Gleichung, solange ich mit Dir zusammen in einem Team bin, klar?!“

Übergangslos gab die junge Kadettin Dean Corvin wieder frei und stürmte, ohne eine Antwort des Kameraden abzuwarten, davon.

Konsterniert blickte Corvin der Kameradin hinterher und sah dann zur anderen Seite des Ganges, von dem sich Jayden Kerr und sein finnischer Freund langsam näherten. Er machte eine etwas hilflose Geste, wobei er brummelnd meinte: „Ich hätte gerade eure Unterstützung brauchen können.“

„Oh, und wir haben uns absichtlich Zeit gelassen“, versetzte Korkonnen trocken. „Wir sind in diesem Fall nämlich genau der Ansicht von Andrea, und sie hat uns lediglich die Mühe abgenommen ein ernstes Wort mit Dir zu reden.“

„Danke“, knurrte Corvin finster und zupfte nervös seine Uniform zurecht.

„Dir muss klar sein, dass sie Recht hat, mein Freund“, mischte sich Jayden Kerr ein, der sich bisher zurückgehalten hatte. „Kein Grund für verletzten Stolz. Du hast Dir das selbst zuzuschreiben, und das weißt du.“

„Selbstverständlich weiß ich das!“, brauste der Kanadier auf. Dann seufzte er schwach und erklärte: „Aber das muss mir nicht passen, oder?“

Während der blonde Finne entsagungsvoll den Kopf schüttelte, bei den Worten seines besten Freundes, lächelte Kerr lediglich und fuhr dabei mit den Fingerspitzen über die Insignien eines Kadetten des zweiten Jahrgangs an seinem Uniformkragen – ein angeschrägter, silberner Querbalken mit zwei kleinen, goldenen Rechtecken darin.

„Na schön, also: Oder“, stellte Dean Corvin missgestimmt fest. Er blickte die beiden Freunde an und erkundigte sich mit veränderter Stimmlage: „Wie lange wird Andrea wohl sauer auf mich sein?“

Kimi Korkonnen zog seinen besten Freund grinsend mit sich, und der Jamaikaner schloss sich ihnen wortlos an. „Hey, du kennst doch unsere Freundin. Die ist mit Lichtgeschwindigkeit auf Hundert, aber sie kriegt sich genauso schnell wieder ein. Du kannst es ihr jedoch nicht verübeln, dass sie laut geworden ist, denn wir alle wollen am Ende dieses Jahrgangs zu den besten fünf Prozent gehören, um zur Sektion-Terra versetzt zu werden.“

Corvin nickte schwach während sie in den Gang zum Hauptgebäude des Komplexes einbogen. Er wusste, dass es eine große Chance für ihre Karrieren war, zusammen mit den besten fünf Prozent aller Kadetten der übrigen Zehn Sektionen, nach Terra zu dürfen, denn die Sektion-Terra galt seit einhundertundachtzehn Jahren als Kaderschmiede der Flotte. Wer dort seine letzten beiden Jahre absolvieren durfte der konnte sich quasi aussuchen wo er später Dienst tun würde – und das betraf die begehrtesten Posten innerhalb der Raumflotte. Er war zwar in der Praxis einer der Besten, wenn nicht gar Jahrgangsbester, doch die Theorie machte ihm mitunter zu schaffen, und gerade Andrea hatte ihn in den letzten beiden Jahren immer wieder mit durchgezogen, indem sie ihm schwer verständlichen Stoff so erklärt hatte, dass er ihn besser verstand als im Unterricht. Nicht zuletzt darum störte es ihn, dass er Andrea verärgert hatte, doch es gab auch noch jenen einen anderen Grund.

„He, hör auf Trübsal zu blasen“, riss Jayden Kerr den Freund aus seinen Gedanken. „Ich fand übrigens den Spruch mit Wilhelm Tell klasse.“

Dean Corvin, der Kerrs verdrehten Sinn für historische Studien nur allzu gut kennengelernt hatte, in den letzten beiden Jahren, seufzte leise, währen Kimi Korkonnen, der wusste was nun folgen würde, lediglich raunte: „Und es geht los...“

Jayden grinste breit und meinte prompt: „Ihr wisst ja, dass ich historische Studien betreibe. Besonders in Sachen Sprache und Sprichwörter. Hört euch einmal dies hier an: Have you die Kappe on the left Ohr?

„Interessant“, heuchelte Kimi Korkonnen Interesse. „Und was bedeutet es?“

Kerr, dessen Gesicht immer noch nach Beifall heischte, machte eine bedauernde Geste. „Keine Ahnung, aber ich weiß, dass ich mich historisch korrekt ausgedrückt habe. Seinerzeit gab es in der menschlichen Sprache noch sehr viel mehr Anglizismen, bevor sich schließlich, in den letzten fünfhundert Jahren, die germanischen und spanischen Einflüsse weitgehend durchgesetzt haben.“

Dean Corvin lachte amüsiert, wobei sich seine von Sommersprossen gesprenkelte Nase kraus zog, was seinem Gesicht eine pfiffige Note verlieh. Währenddessen gab Korkonnen dem Dunkelhäutigen, genervt dreinblickend, einen leichten Schlag gegen den Hinterkopf und beschwerte sich: „Das Sprichwort hast du eben selbst erfunden, gib es zu.“

„Habe ich gar nicht“, verteidigte sich Jayden Kerr mit überzeugender Miene.

„Schon klar!“, lachte Korkonnen und legte den beiden Freunden die Arme um die Schultern. So und nun ab zur Messe denn ich habe einen Mordshunger und in knapp zehn Stunden müssen wir eine schwere, nächtliche Dschungelkampf-Übung überstehen.“

 
 

* * *

 

Nach dem gemeinsamen Abendessen machte sich Dean Corvin schnell rar, und sein finnischer Freund ahnte, wo er seinen Freund später finden würde. Der blonde, hoch aufgeschossene, Kadett wusste bereits seit vielen Jahren schon, wie der Freund tickte. Nachdem er noch eine geraume Weile mit Jayden Kerr in der Messe verbracht hatte, verabschiedete er sich schließlich von Jayden Kerr und machte sich auf den Weg zu seinem besten Freund.

Wie es Kimi erwartet hatte, traf er seinen Freund in dem, ansonsten menschenleeren, Rundgang des oberen Radarturms, dem höchsten Punkt des ausgedehnt angelegten, venusischen Akademie-Komplexes. Von hier aus hatte man, durch die großen Glasscheiben des zur Außenseite abgeschrägten Rundganges, eine fantastische Aussicht auf die Umgebung.

Das Licht der nahen Sonne, die eine Handbreit über dem östlichen Horizont stand, schien orangegelb in den Gang hinein und es verwandelte die hellen Wände dabei in flüssig wirkendes Gold. Wegen der retrograden Rotation des Planeten würde der Stern dort in etwa acht Stunden sehr langsam untergehen. Diese Rotationseigenschaft war dafür verantwortlich, dass ein Venustag knapp 117 Stunden dauerte.

Mit zusammengekniffenen Augenlidern schritt der Finne zu Corvin und blieb zwei Schritt neben ihm stehen. Er folgte dem Blick des Freundes, hinaus über die beiden weiten, mit dichtem Dschungel bewachsenen, Talsenken. Erst in mehr als einem Kilometer Abstand erhoben sich die ersten sanften Hügel.

In der Ferne, gerade noch im ultrablauen Dunst zu erkennen, erstreckten sich zwei langgezogene Gebirgsketten, hinter deren linker eine größere Stadt lag, wie Korkonnen wusste, obwohl er sie, in den beinahe zwei Jahren, die er nun an dieser Akademie-Sektion ausgebildet wurde, noch nie besucht hatte. Bei diesem Anblick konnte sich der Finne kaum vorstellen, dass diese Welt, vor annähernd eintausend Jahren noch, eine tote Hitzehölle gewesen war, mit einem atmosphärischen Druck der neunzig Mal höher gelegen hatte, als heutzutage. Beginnend mit dem Jahr 2280 hatte sich dies allmählich, durch gezieltes Terraforming, verändert bis der Planet, im Jahr 2292, endlich über eine atembare Sauerstoffatmosphäre verfügt hatte. Ab diesem Zeitpunkt war danach ein erdähnliches Ökosystem etabliert worden, in dem sich bis zum heutigen Tag eine ganz individuelle Flora und Fauna entwickelt hatte. Wegen der relativen Sonnennähe herrschte hier eine höhere Durchschnittstemperatur, als auf der Erde. Deshalb hatten sich auch zu keiner Zeit Eiskappen bilden können, da dies unter anderem durch eine recht hohe Wassertemperatur und durch starke, warme Winde in den höheren Schichten der Atmosphäre verhindert wurde.

Auch gab es auf der Venus, wegen der geringen Neigung des Äquators zur Bahn-Ekliptik von nur 2,64 Grad, keine Jahreszeiten. Wegen der recht langsamen Rotation des Planeten kam es am Terminator zumeist zu heftigen Stürmen, mit sehr heftigen Gewittern. Während der langen Tag- und Nachtphasen hingegen war die Wetterlage auf der Venus zumeist sehr stabil. Das Klima auf dem ausgedehnten Hochplateau, auf dem die Sektion-Venus lag, war relativ gemäßigt, zu den tiefer gelegenen Dschungeln hin änderte es sich zu subtropischen Verhältnissen hin, mit einer, den menschlichen Körper extrem belastenden, Luftfeuchtigkeit die zumeist über 90% lag. Die flachen Meere der Venus, die an keinem Punkt eine Tiefe von 200 Metern überschritten, bedecken etwa 58% der planetaren Oberfläche, doch von hier aus war nichts von diesen Meeren oder von den größeren venusischen Seen zu entdecken. Wohl aber wurden die sichtbare, weite Ebene von zwei größeren Strömen, und mehreren Nebenflüssen, durchzogen.

Momentan lebten 250 Millionen Menschen auf der Venus, die zum überwiegenden Teil Agrargüter und Holzerzeugnisse produzieren. Schwerindustrie gab es so gut wie keine auf der Venus, da die Erzlager dieses Planeten zu gering waren, um lukrativ ausgebeutet werden zu können. Auch davon war hier, auf der nördlichen Halbkugel des Planeten, hauptsächlich wegen der weitgehend unberührten Dschungel, nichts zu bemerken.

„Nicht zu vergleichen mit Wellington“, sagte Kimi Korkonnen schließlich nachdenklich. „Das heißt, falls wir es tatsächlich zur Sektion-Terra schaffen.“

„Ich habe es kapiert, Kimi“, fauchte Dean Corvin ungehalten zurück, ohne den Blick vom fernen Horizont abzuwenden. „Ich habe vorhin Mist gebaut.“

Sie schwiegen eine Weile, bis Corvin seinen Freund offen ansah und ernst versicherte: „Ich verspreche dir, dass das nie wieder vorkommen wird.“

Der Finne sah in das zur Hälfte sonnenbeschienene Gesicht des Freundes und nickte zufrieden. „Alles klar, Alter.“

„He, du bist älter als ich“, spöttelte Corvin, erleichtert darüber, dass damit die Angelegenheit für seinen Freund erledigt zu sein schien. Seit Dean Corvin den Freund kannte hatten sie noch niemals ernsthaft miteinander gestritten, und er war nicht erpicht darauf herauszufinden, wie das sein würde. „Also, wer ist hier der Alte?“

„Vielleicht sollte ich besser Kleiner zu dir sagen – wie wäre das?“

„Untersteh´ dich...“

Sie lachten und Korkonnen kam einen Schritt näher heran. „Dann benimm dich gefälligst. Im übrigen meinte ich es ernst, als ich vorhin sagte, dass Andrea die Sache schnell vergessen haben wird. Außerdem ist sie nicht nachtragend, aber das weißt du ja.“

Dean Corvin nickte schnell und warf einen kurzen Blick auf die beeindruckende Landschaft hinaus, bevor er wieder seinen Freund ansah. Er schien etwas sagen zu wollen, ließ es dann aber. Es blieb einen langen Moment still zwischen ihnen, bevor der Kanadier schuldbewusst fragte: „Es ist Andrea sehr wichtig zur Sektion-Terra zu kommen, oder?“

Korkonnen nickte lächelnd. „Das kannst du dir doch denken. Ihre Familie stellt mittlerweile in siebter Generation einen Offizier der Terranischen Raumflotte. Außerdem war ihr Urgroßvater ein Generalmajor der Flotte. Da ist der Druck für sie, an der Akademie überdurchschnittlich gut abzuschneiden, dem entsprechend hoch. Sie lebt für dieses Ziel.“

„Außerdem hat sie mir in Mathematik und Navigation sehr auf die Sprünge geholfen, darum tut es mir leid, dass ich nun eine ihrer Bewertungen versaut habe“, murmelte Dean Corvin schuldbewusst und warf einen etwas hilflosen Blick zu seinem Freund.

Kimi Korkonnen grinste offen. „Sag das ihr und nicht mir.“

Corvins Blick sprach Bände. „Werde ich, aber nicht mehr heute.“ Er blickte auf das Chrono-Feld seines, zur Standardausrüstung gehörenden, Multifunktionsarmbandes und meinte ablenkend: „Komm, wir legen uns hin, denn morgen werden wir alle Kraft für die Übung brauchen, fürchte ich.“

 
 

* * *

 

Am nächsten Morgen – natürlich nur nach Erdzeitrechnung, denn auf der Venus war gerade erst die Sonne untergegangen - hatte Dean Corvin die Ereignisse des vergangenen Tages gedanklich weitgehend abgehakt und er konzentrierte sich bereits ganz auf die vor ihm, und seinen Kameraden, liegende Nachtübung.

Nach dem Frühstück war er, voll ausgerüstet und mit einer Übungswaffe über der Schulter die jedes bekannte Lebewesen bis zu drei Minuten lang betäuben konnte, ausgerüstet, zusammen mit den übrigen Kameraden seines Jahrgangs, rund zweihundert Kadetten, auf dem Exerzierplatz der Akademie angetreten. Der Platz lag im Zwielicht der bereits einsetzenden, langen Venus-Dämmerung. Zwischen Kimi Korkonnen und Jayden Kerr stehend hörte er gut den Worten des Leiters dieser Übung zu.

„Kadetten, Sie werden im Anschluss an dieses Briefing von Luftgleitern im Dschungel abgesetzt werden. Sie alle haben eine umfassende Ausbildung darin bekommen, welche Tiere und Pflanzen Ihnen dort draußen eventuell gefährlich werden können, bleiben Sie also hoch konzentriert, damit es nicht zu tragischen Unfällen kommt. Jedem von Ihnen ist ein Medi-Kit ausgehändigt worden, um kleine bis mittlere Verletzungen schnell behandeln zu können. Kommen wir nun zu den Aufgaben der einzelnen Gruppen: Ausbildungsgruppe Gold wird am weitesten von der Akademie entfernt abgesetzt werden. Die Aufgabe von Gruppe Gold wird es sein, den Bereich der Akademie zu infiltrieren, ohne dabei von den anderen Gruppen bemerkt zu werden. Sie alle werden bei dieser Übung keine Nachtsichtgeräte erhalten. Wer entdeckt und betäubt wird der gilt als getötet. Für den Betreffenden oder die Betreffende ist die Übung dann automatisch beendet und der entsprechende Kadett aktiviert seinen Notsender. Er oder sie wird dann später von einem Rettungsgleiter zu einem Sammelpunkt gebracht werden. Die Gruppe Rot bildet das Jagd-Team, zwischen Gruppe Gold und Gruppe Blau, die am nächsten zur Akademie abgesetzt werden wird, und quasi die letzte Verteidigungslinie vor dem Ziel darstellt. Gruppe Blau hat dabei die Aufgabe sich einzugraben, während Gruppe Rot den Gegner in der Bewegung stellen soll.“

Während der Übungsleiter im Weiteren darauf einging, dass die Leistungen der Kadetten über, in den Uniformen befindlichen, Mikrosensoren später ausgewertet werden würde, blickte Dean Corvin seine beiden Freunde bezeichnend an. Sie gehörten, so wie auch Andrea von Garding, zur Ausbildungsgruppe Gold. „Warum bekommen eigentlich immer wir die ganz leichten Aufträge?“, zischte er spöttisch.

Der Ausbildungsleiter, der seine Einweisung eben beendet hatte, bekam die Worte mit und erkundigte sich, mit tragender Stimme: „Wollten Sie noch etwas Wichtiges zum Ablauf der Übung anmerken, Kadett Corvin?“

Ertappt blickte Corvin zu dem Oberstleutnant und antwortete geistesgegenwärtig: „Ich meinte nur, dass ich hoch erfreut bin zu Gruppe Gold zu gehören, Sir.“

Der Stabsoffizier nickte grimmig. „Dann hoffe ich mal, dass sich das auch in ihren Leistungen bei dieser Übung niederschlagen wird, Kadett!“

Dann räusperte sich der Oberstleutnant und erklärte mit lauter Stimme: „Gruppe Gold verteilt sich auf die Gleiter Eins bis Vier, Gruppe Rot auf die Gleiter Fünf bis Acht und Gruppe Blau auf die Gleiter Neun bis Zwölf – Ausführung!“

Uniformstiefel erzeugten ein hämmerndes Stakkato auf dem harten Boden und ein Gewirr verschiedenster Stimmen lag in der Luft, als sich die Kadetten in Bewegung setzten.

Während sich Andrea von Garding, die wie aus dem Nichts auftauchte, sich automatisch zu den drei Kameraden gesellte, spöttelte Jayden Kerr: „Dean, du musst mir das Geheimnis verraten, wie du es schaffst immer wieder unangenehm aufzufallen.“

„Dazu braucht es ein ganz besonderes Talent das dir fehlt, mein Freund“, konterte Corvin trocken, die Waffe von der Schulter in Vorhalte nehmend und auf einen der besagten vier Gleiter zu haltend. Als Erster die Ladeluke erreichend wandte er sich zu seinen Kameraden um und winkte sie heran. „Nun mal nicht so lahm, Ladies and Gentlemen.“

„Au Mann, der Spruch ist ja so was von retro“, spottete Rodrigo Esteban, der auf eine geschliffene Ausdrucksweise achtete, grinsend während er hinter Korkonnen, Jayden Kerr und Andrea von Garding ins Innere des Luftgleiters stieg. Er hing öfter mal nach Dienstschluss mit den vier Freunden ab, wenn er nicht gerade mit seiner eigenen Clique unterwegs war. Der etwas beleibte Junge, aus Madrid stammend, zwinkerte Corvin dabei zu und nahm seinen Worten damit die Spitze.

„Retro kommt wieder groß in Mode“, gab Dean Corvin mit überzeugendem Tonfall zurück und nahm auf einem der, in Flugrichtung, vorderen Plätze im Gleiter Platz.

Korkonnen warf sich auf den Sitz neben ihn, gefolgt von Kerr, Andrea von Garding und Esteban. Auch die übrigen Plätze füllten sich schnell, und die breite Einstiegsluke fuhr nach oben und bildete damit die gepanzerte Rückseite des Luftgleiters, während ein halbes Dutzend Karabinerkolben gleichzeitig klackend den Stahlboden der Kabine berührten.

Den Lauf seiner Waffe fest umklammernd beugte sich Rodrigo Esteban leicht vor, was ihm wegen der zuschnappenden Sicherheitsgurte nicht leicht fiel, und er meinte grinsend: „Das glaubst aber auch nur du.“

„Schluss mit der Schwatzerei, legt lieber schon mal euren Kommunikator an“, mahnte Andrea von Garding und schob sich ihr Kom-Set über das rotblonde Haar, das sie heute in Form eines Bauernzopfes gebändigt hatte.

„Die Stimme der Vernunft hat gesprochen“, grinste Rodrigo Esteban und wandte sich der jungen Frau zu. „Immer auf Zack, wie? Findest du nicht, dass du diese Übung zu ernst nimmst? Sieh mich an. Ich habe Spaß an dieser Sache.“

„Deswegen wirst du es auch zu Nichts bringen, in der Flotte“, scherzte die Rotblonde grob. „Du besitzt einfach keinerlei Ehrgeiz.“

Rodrigo Esteban verzog schmunzelnd das Gesicht. „Na und? Ich will auch kein Bordkommando, sondern nur einen gemütlichen Posten auf dem Mond oder auf dem Mars. Warum ich zur Sektion-Venus gekommen bin ist mir echt ein Rätsel.“

„Uns auch“, kommentierte die dunkelhaarige, gertenschlanke Miriam Rosenbaum von der gegenüber liegenden Seite und erntete damit unterdrücktes Gelächter. Sie zwinkerte dem Madrilenen verschmitzt zu und tat es dann Andrea von Garding nach, den Kommunikator überzustreifen, wobei sie geflissentlich übersah, dass Esteban ihr eine Grimasse schnitt.

„Frauen“, knurrte der etwas Beleibte gespielt verdrießlich. Dann folgte auch er dem Beispiel der beiden Kommilitoninnen und begann damit, umständlich seinen Kommunikator, nebst zugehörigem Kehlkopfmikrophon, anzulegen.

Unter diesen Umständen hob der Gleiter vom Akademiegelände ab und steuerte, an der Spitze dreier weiterer Flugmaschinen, seinem Ziel entgegen.

 
 

* * *

 

Durch beinahe völlige Finsternis liefen Andrea von Garding und Dean Corvin, dicht nebeneinander, durch den dichten Venus-Dschungel. Vor etwa vier Stunden waren sie von ihren Kameraden getrennt worden, als sie einer Jagd-Gruppe ausweichen mussten um nicht entdeckt zu werden. Der Nachtregen, der vor etwa zwei Stunden eingesetzt hatte, prasselte unvermindert auf das Blätterdach der Bäume nieder – lediglich der stürmische Wind schien etwas nachgelassen zu haben, in der letzten Viertelstunde. So vermischten sich Schweiß und Regen im Gesicht der beiden Kadetten, denn die Luftfeuchtigkeit lag in diesen Niederungen, auch ohne Regen, bei zumeist mehr als neunzig Prozent. Ein würzig-modriger Geruch nach venusianischer Erde vermischte sich mit den Ausdünstungen der hiesigen Pflanzenwelt.

„Wird Zeit wieder eine Positionsbestimmung vornehmen“, hörte Corvin die flüsternde Stimme seiner Begleiterin in seinen Empfängern. Die junge Frau hatte die Worte nur gebildet, ohne sie auszusprechen. Dass Dean Corvin sie dennoch verstehen konnte, als habe die Kadettin sie ihm leise ins Ohr gesagt, lag am hochwertigen Kom-Mikro-System.

Der Kanadier wischte sich über das triefend nasse Gesicht und machte Andrea von Garding auf eine kleine Buschgruppe aufmerksam, die etwas Sichtschutz bieten würde, wenn er das Holo-PADD aktivierte um ihre Position zu ermitteln. Dort angekommen bückten sie sich im Schutz der Büsche ab, wobei die Beiden ihrerseits mit ihren Körpern den schwach leuchtenden Emitter des PADD´s abschirmten, damit es den Jägern nicht ihre Position verraten konnte. Hastig studierten die beiden Kadetten die Holokarte und Andrea von Garding legte ihren Zeigefinger auf einen bestimmten Punkt, wobei sie flüsterte: „Wir müssen uns mehr nach Links halten. Der Lauf dieses Nebenflusses wird uns Schutz geben.“

„Toll, noch mehr Wasser“, gab Corvin beinahe lautlos zurück, deaktivierte dabei das PADD und verstaute es wieder wasserdicht in seinem Gepäck. „Als wären wir nicht schon genug durchnässt.“

Sie erreichten den Flusslauf eine halbe Stunde später und vertrauten sich ihm ohne zu zögern an. Die Strömung war mäßig und unterstützte sie, da der Fluss in die Richtung floss, in der ihr fernes Ziel lag. Dennoch blieb es anstrengend genug. Wenigstens waren die Uniformen wasserdicht, solange man nicht komplett untertauchte.

Über zwei Stunden lang wateten sie durch die hüfthohen Fluten und schließlich fragte Dean Corvin keuchend: „Kannst du noch.“

Nur einen kurzen Moment später gab er ihr einen Stoß und verschwand mit der jungen Frau unter Wasser. Dicht neben ihm war ein Betäubungsstrahl vorbei gezischt.

Das kalte Wasser schlug über ihm zusammen. Die Strömung versuchte Corvin und seine Begleiterin davon zu treiben. Ein großer Stein, an den sich beide Kadetten klammerten, bewahrte sie davor.

Dean Corvin zählte die Sekunden. Bei vierzig schrien seine Lungen nach Luft. Seit Stunden waren sie auf der Flucht; seit Stunden umgingen sie ihre Gegenspieler. Überall konnte der simulierte Feind lauern.

Nach weiteren zehn Sekunden richtete Corvin sich auf. Er schnappte nach Luft. Wo steckten ihre Verfolger?

Der Kadett erhöhte die Leistung der Außenmikrophone seines Kom-Sets. Nur der Fluss rauschte, sonst war es überall still. Andrea von Garding tauchte neben ihm auf.

„Weiter!“, flüsterte der Kanadier.

Sie wateten weiter durch den Nebenfluss, jetzt tropfnass am gesamten Leib und vor Kälte bibbernd. Der Flussboden wurde zudem immer schlammiger und das Waten dadurch schwerer und schwerer. Nach einer gefühlten halben Stunde erkannte Dean Corvin auf der anderen Seite in der finsteren Mauer aus Schlinggewächsen eine Lücke. Er gab Andrea von Garding ein Zeichen mit der Hand und kletterte das steile Ufer hoch. Danach reichte er seiner Begleiterin die Hand, um sie hinaufzuziehen. Noch während er sie nach oben zog blitzte plötzlich ihre Betäubungswaffe auf.

Ein halbes Dutzend schenkeldicker Tentakel, die nach Corvin griffen, erschlafften und sanken zu Boden.

„Danke“, ächzte der Kadett. „Was für ein Vieh war das denn?“

„Keine Ahnung“, erwiderte Andrea von Garding, griff nach seiner Hand und zog sich aufs Ufer hinauf. Hinter ihnen erklangen leise Stimmen. Ein sonorer Tonfall, der ihnen beiden bereits früher aufgefallen war, erklang. Das trieb die beiden Kadetten vorwärts.

Von dieser Gruppe Kadetten wurden sie seit Stunden unerbittlich verfolgt, und der Schuss aus Andreas Waffe schien sie wieder auf ihre Spur gebracht zu haben.

Ohne es bewusst zu bemerken griff Corvin nach der Hand seiner Begleiterin und zog sich durch das Dickicht des Dschungels mit sich, damit sie einander in der Finsternis nicht verloren. Die Leistungen, die ihnen beiden bei dieser Übung abverlangt wurden, schafften sie nur dank ihrer hervorragenden Kondition, wobei die junge Frau Corvin in Nichts nachstand.

Nachdem sie zwei weitere Stunden lang, beinahe lautlos, durch den dichten Dschungel geschlichen waren, lag mit einem Mal ein freier Streifen vor ihnen, der weit und breit nicht die geringste Deckung bot.

„Laufen“, flüsterte Corvin seiner Begleiterin, die er noch immer an der Hand hielt, zu.

Sie nickte. Nur undeutlich war der ferne Waldrand sichtbar.

Sie passten ihr Tempo einander an. Dabei huschten ihre Blicke immer wieder nach allen Seiten. Einer steinigen Fläche mit Geröll, die sie erst im letzten Moment erkannten wichen sie in weitem Bogen aus. Der noch immer starke Regen peitschte ihnen dabei so heftig ins Gesicht, dass es beinahe schmerzte.

Endlich hatten sie das jenseitige Ende der freien Fläche erreicht und tauchten wieder im Dickicht des Venus-Dschungels unter. Erst hier ließ Andrea von Garding die Hand des Begleiters wieder los.

Hatten sie bisher gefroren, so schwitzten sie nun wieder. Sie machten im Schutz einiges gewaltigen, hohlen Baumes eine Pause und aßen einen Bissen von ihren Notrationen, den sie mit einem Schluck Wasser hinunterspülten.

Dean Corvin horchte in die Nacht hinaus. Langsam aber sicher begann er erneut zu frieren. Sicher, außer den Geräuschen des Dschungels und der in ihm ansässigen Tiere nichts zu hören, raunte er leise: „Andrea, mir tut leid, was ich gestern bei der Simulation angestellt habe. Ich möchte mich dafür bei dir entschuldigen, okay?“

„Und dazu findest du keinen günstigeren Moment, als ausgerechnet jetzt?“, zischte die junge Frau fassungslos zurück, die Arme um den Körper geschlagen. „Hast du gerade jetzt keine anderen Sorgen.“

„Nur die eine, dass du vielleicht noch immer sauer auf mich bist.“

Andrea von Garding versetzte Corvin einen festen Boxhieb gegen die Brust. „Ich bin nicht nachtragend, aber solltest du dir so etwas jemals wieder leisten, mein Freund, dann trete ich dir so in den Hintern, dass du auf einen anderen Planeten fliegst, ist das klar?“

„Aye. Ist vollkommen klar.“

„Prima, und ab jetzt will ich nie wieder darüber reden“, gab die junge Frau zurück und erhob sich gleichzeitig aus dem Überhang der Baumhöhle. „Gehen wir weiter, sonst erfriere ich am Ende noch.“

Corvin lächelte im Dunkeln erleichtert. Willig folgte er Andrea von Garding ins Freie und machte sich wieder mit ihr auf den Weg.

Langsam ließ der Regen nach und auch der bislang stürmische Wind flaute, bis auf unregelmäßige Böen, merklich ab, was zur Folge hatte, dass sie sich nun noch vorsichtiger bewegen mussten, da verräterische Laute nicht mehr so stark vom Wetter übertönt wurden. Dean Corvin schätzte, dass sie bereits tief in den Ring eingedrungen waren, der von Gruppe Blau um das Ziel gelegt worden war. Spätestens jetzt war doppelte Vorsicht geboten.

Bedächtig näherten sie sich ein paar Stunden später einem weniger bewachsenen Taleinschnitt. Dunkel malten sich die beiden sanften Hügelketten zu dessen rechter und linker Flanke gegen den nur geringfügig helleren Himmel ab. Der Weg hierher war geradezu verdächtig unbelebt gewesen, und die Senke, die ein leichteres Vorankommen versprach, wirkte sehr verlockend. Besonders nach dem Marsch, den sie bereits hinter sich hatten. Wenigstens war ihnen beiden dabei wieder wärmer geworden.

Die Deutsche wollte bereits forsch voran gehen, doch Dean Corvins fester Griff an ihrer Schulter hielt sie zurück.

„Das ist die perfekte Stelle für einen Hinterhalt“, raunte der Kadett, nur durch das Kom-Set für seine Begleiterin hörbar. „Da werden wir ganz bestimmt nicht rein tappen.“

„Bist du sicher?“, stöhnte Andrea von Garding. „Vom Ende dieser Senke aus ist es nicht mehr weit, bis zum Zielpunkt, und ich bin ziemlich erledigt.“

„Genau damit würde ich rechnen und mich genau hier auf die Lauer legen, wenn ich zur blauen Gruppe gehören würde“, versicherte Corvin ihr.

Wie zur Bestätigung seiner Worte trug der immer noch sporadisch auffrischende Wind ihnen einige leise Wortfetzen zu, deren Zusammenhang aber unklar blieb. Dean Corvin, dessen Gesicht dem der jungen Frau ganz nah war, blickte bezeichnend und wies nach rechts hinüber, wo es einen steilen, aber gangbaren, Aufstieg zu geben schien.

Innerlich über die erneute Schinderei fluchend kletterte Andrea von Garding behände hinter Dean Corvin den steilen Hang hinauf, wobei sie sich dicht gegen den Felsen drängte um einer Entdeckung zu entgehen. Oben angekommen gab es keinen Grund zur Freude, denn nach einem kurzen Stück ebenem Boden fiel das Gelände beinahe genauso steil wieder ab, allerdings, zur Erleichterung der beiden Kadetten nur etwa zwanzig Meter. Danach wurde es erträglich, auch wenn der dichte Bewuchs sie hier immer wieder zu Umwegen zwang - wollten sie sich nicht durch übermäßigen Lärm verraten.

Schwitzend zogen sie nach einer Weile erneut unter um eine kurze Rast einzulegen, diesmal in einer ausgewaschenen Felsmulde. Auch bei dieser Pause aßen und tranken sie etwas, und im Anschluss zog Corvin erneut das Holo-PADD aus dem Gepäck. Nachdem er es wieder verpackt hatte, erklärte er: „Wir können uns an diesem Felsrücken entlangarbeiten, bis etwa einen Kilometer vor dem Zielpunkt. Ich rechne ab hier zwar kaum noch damit, dass wir auf Kadetten der Gruppe Blau stoßen, aber wer weiß.“

Andrea von Garding lachte lautlos und meinte: „Wird auch Zeit anzukommen, denn du brauchst ganz dringend eine Dusche, mein Freund.“

„Du hast auch schon mal besser gerochen“, giftete der Kanadier zurück und fing sich dafür von der Rotblonden einen Stoß in die Rippen ein.

„Werd´ bloß nicht frech.“

Das leise Knacksen eines Astes ließ beide Kadetten herumfahren, und Andrea von Garding brachte ihre Waffe auf die dunkle Gestalt, die vor ihnen aufwuchs, in Anschlag. Bevor sie abdrücken konnte presste Dean Corvin ihr rechtes Handgelenk gegen den Felsenboden und zischte: „Es ist Kimi.“

„Dean, bist du das? Ist Andrea bei dir?“

Auch das Mädchen erkannte jetzt, obwohl die Stimme des Blonden nicht mehr als ein Flüstern gewesen war, dass Dean Corvin Recht gehabt hatte. „Mein Gott, ich hätte den Lulatsch aus Helsinki fast ins Reich der Träume geschickt.“

Gleich darauf wurden drei weitere Gestalten erkennbar und Korkonnen erklärte erheitert: „Bei mir sind Jayden – oder auch der Lulatsch aus Jamaika - Miriam und Rodrigo. Was aus dem Rest der Goldenen wurde wissen wir nicht.“

„Wie passend“, spöttelte die Deutsche. „Wir nämlich auch nicht.“

„Wollt ihr hier weiter herumalbern, oder geht es bald vorwärts“, schimpfte Esteban leise. „Wenn die uns jetzt noch schnappen würden wäre das nämlich mehr als lächerlich.“

Unter allgemeiner Heiterkeit gab Dean Corvin das Zeichen zum Aufbruch. Dass er wieder mit seinen Freunden zusammen war beflügelte ihn ungemein.

Kimi Korkonnen hielt sich ab jetzt an seiner Seite, während sich Andrea von Garding an das Ende der Gruppe, zu Jayden Kerr gesellte, was Corvin ein wenig gegen den Strich ging. Er sagte jedoch nichts dazu sondern schritt, immer wieder zu allen Seiten hin absichernd, voran.

Weniger als zwei Stunden später erreichte die Sechsergruppe die erhöhte Waldlichtung, die ihre Ausbilder als Ziel festgelegt hatten. Rechtzeitig mit dem Ende des Regens wie es schien.

„Das funktioniert immer“, beschwerte sich Miriam Rosenbaum. „Wie üblich, wenn eine Geländeübung gerade eben vorbei ist, wird das Wetter gut.“

Unterdrückt lachend trotteten die sechs Kadetten zu einem beleuchteten Platz, an dem zwei Luftgleiter geparkt waren. Erst jetzt erkannte Dean Corvin die Spuren der Anstrengung in den Gesichtern seiner Begleiter, und er selbst würde kaum besser aussehen. Er erreichte die Gruppe von vier Offizieren die bei den Gleitern stand als Erster, weshalb er es auch übernahm ihre erfolgreiche Rückkehr zu melden.

Einer der Offiziere trat nun etwas mehr ins Licht und erst jetzt erkannte Corvin, dass es sich um Major Omar de la Hoz handelte. Der Offizier nickte anerkennend und meinte zur gesamten Gruppe: „Gut gemacht, Kadetten. Dann können wir diese Übung nun beenden.“

Rodrigo Esteban kratzte sich zwanglos am Kopf und fragte dann etwas verdattert: „Wie meinen Sie das Sir?“

Das feine Lächeln auf dem Gesicht des Ausbilders vertiefte sich und erklärend sagte er mit dunkler Stimme: „Alle anderen Kadetten der Gruppe Gold sind von den anderen beiden Gruppen aufgespürt worden. Sie sind die Einzigen, die es hierher geschafft haben.“

Rodrigo Estebans dunkle Augen wurden kreisrund und ungläubig blickte er in die Gesichter seiner fünf Kameraden.

„Tja, das war es dann wohl mit dem gemütlichen Job für dich“, feixte Miriam Rosenbaum und grinste dabei von einem Ohr zum anderen. „Elitekadetten, wie du, werden als leuchtendes Vorbild an vorderster Front gebraucht, mein Lieber.“

Während Esteban noch immer sprachlos in die Runde sah, schlug ihm Kimi Korkonnen herzhaft auf die Schulter und meinte bedauernd: „Tut mir leid, wenn wir dir einen Strich durch die Rechnung gemacht haben, in Bezug auf den Büro-Posten.“

„Ich habe ja schöne Kameraden“, murmelte Esteban, während sie zu einem der beiden Gleiter schritten. Doch schon einige Augenblicke später grinste er, hoch zufrieden mit sich.

 
 

* * *

 

Am Nachmittag des letzten Tages vor ihrer Versetzung, beziehungsweise ihres Abschlusses, waren sämtliche Kadetten der Sektion-Venus, in Paradeuniform, auf dem Exerzierplatz des Akademie-Komplexes angetreten.

Die Leiterin der Sektion, Brigadegeneral Marija Grlzik, hielt die obligatorische Abschlussrede. Zunächst verabschiedete sie feierlich den Abschlussjahrgang und gratulierte den angehenden Offizieren. Danach beglückwünschte sie die übrigen Kadetten zur Versetzung in den nächsten Jahrgang und sie verlas die Abgänge, die es in jedem Jahr zu beklagen gab, weil deren Leistungen nicht genügend waren.

Besondere Unruhe war bei den Kadetten des abgeschlossenen zweiten Jahrgangs zu beobachten, denn natürlich wollten die Kadetten dieses Jahrgangs wissen, wer es zur Sektion-Terra geschafft hatte. Einer, der besonders nervös war, war Dean Corvin, denn er wusste, dass es einige Kadetten gab, deren Leistungen besser waren als seine eigenen. Zwischen Kimi und Andrea stehend versuchte er, nicht nervös auf den Füßen zu wippen. Beim General wäre das sicher nicht gut angekommen.

Es dauerte Dean Corvin viel zu lange, und die Zeit schien rückwärts zu laufen, bis Brigadier Grlzik endlich damit begann, die Namen jener Kadetten zu verlesen, die dazu ausersehen waren, den Rest ihrer Akademiezeit auf Terra zu verbringen. Seine Nervenkraft wurde dabei auf eine harte Probe gestellt, denn die Akademieleiterin verlas langsam, geradezu andächtig, einen Namen nach dem anderen, ohne dass sein eigener mit dabei war.

Als Miriam Rosenbaum, nach einer gefühlten Ewigkeit, als Neunte genannt wurde sank Dean Corvins bisherige Zuversicht ins Bodenlose. Er ließ traurig den Kopf hängen, sicher, dass er es, anders als Andrea, Kimi und Jayden, nicht geschafft hatte. In seinem Magen begann es zu rumoren und er spürte eine bittere Übelkeit in sich aufsteigen. Für lange Zeit würde er seine Freunde nun nicht mehr sehen. Er hatte versagt.

Etwas verwundert blickte er auf, als er eine Berührung an seiner rechten Hand spürte, und er bemerkte, dass Andrea von Garding, deren Name als erster gefallen war, seine Hand in ihre genommen hatte, sie sachte drückte, und ihm dabei zuversichtlich zu lächelte.

Beinahe im selben Moment hörte er, fast wie durch Watte, dass Marija Grlzik seinen Namen, als letzten von zehn, verlas.

Zunächst ungläubig, dann unendlich befreit lächelnd, drückte Corvin freudig die Hand der jungen Frau. Am liebsten hätte er sie in seine Arme gerissen und herumgewirbelt, doch auch das wäre ein nicht wiedergutzumachender Affront gegenüber Brigadier Grlzik gewesen.

Bereits im nächsten Moment zog Andrea von Garding ihre Hand zurück, doch Dean Corvin gewann den Eindruck, sie noch eine geraume Weile in seiner zu spüren. Endlich den Blick abwendend, bevor es peinlich wurde, stellte der junge Mann in diesem Augenblick fest, dass dies einer der glücklichsten Momente seines bisherigen Lebens war. Er durfte zur Sektion-Terra, zusammen mit seinen besten Freunden. Und auch Rodrigo Esteban und Miriam Rosenbaum waren mit von der Partie.

Vom Rest der Zeremonie und von den anschließenden Glückwünschen seiner Kameraden bekam Dean Corvin kaum etwas mit. Immer wieder schweifte sein Blick ab zu Andrea, die er auch in den nächsten zwei Jahren regelmäßig sehen würde. Vielleicht fand er ja auf Terra einen Weg, sie wissen zu lassen, was er für sie empfand.

Der Kadett ballte seine Hände zu Fäusten, zuversichtlicher denn je, dass sich sein Leben genau so entwickeln würde, wie er es sich momentan vorstellte.

Woher hätte Dean Everett Corvin auch ahnen können, wie sehr er sich in dieser Hinsicht irren sollte…



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