Was es heißt, zu siegen von Schangia (Shiratorizawa Girls' Volleyball Club) ================================================================================ Kapitel 6: Saki - Wing Spiker ----------------------------- Saki war ein Winterkind durch und durch. Es mochte daran liegen, dass sie im Dezember das Licht der Welt erblickt hatte, so wie jeder aus ihrer Familie. Eigentlich glaubte sie aber vielmehr, dass es an der Magie lag, die in feinen Partikeln durch die Winterluft zu schweben schien. Irgendetwas war anders an der kalten Luft, die Schnee verheißen konnte und aufregend in den Lungen kribbelte, sobald man sie einatmete. Sie erzählte von Wundern und von fernen Ländern, in denen es das ganze Jahr über nur schneite und die Seen immer so sehr zugefroren waren, dass man problemlos auf ihnen Schlittschuh fahren konnte. Von großen Schlössern aus Eis und Nordlichtern, die aus einem anderen Leben zu stammen schienen, so wie alles, was sie damals auf dem Schneefestival in Sapporo gesehen hatte. Sobald der erste Schnee fiel, gab es für sie kein Halten mehr. Dann zog sie sich in Windeseile ihre dicke Jacke, die gefütterten Stiefel und ihre Handschuhe an und verbrachte fast den ganzen Tag draußen. Häufig waren ihre zwei kleinen Schwestern dabei, während ihre Mutter arbeiten war. Im Winter, wenn Kälte über das Land fegte, war die Welt stiller und schöner als zu jeder anderen Zeit, und genau aus diesem Grund fieberte Saki den Wintermonaten immer entgegen. Mit ihrem alten Team in der Mittelschule hatte Saki viele schöne Erinnerungen im Schnee. Sie war in einem der ländlicheren Teile Miyagis aufgewachsen, fernab von Großstädten und Wolkenkratzern, die einem in einer klaren Winternacht die Sicht auf die Sterne verdeckten. An Tagen, an denen sie kein Training hatten, waren sie oft zusammen durch die Gegend gezogen, hatten auf weiten Feldern Schneeballschlachten und auf einem zugefrorenen See Schlittschuhwettrennen veranstaltet. Trotz der beißenden Kälte hatten sie so viel gelacht, dass sie die Temperaturen nie gestört hatten. Ihr altes Team fühlte sich mehr nach einer zweiten Familie an als nach Kameradinnen, mit denen sie auf dem Spielfeld um den Sieg kämpfte. Sie waren auch nie sonderlich überragend gewesen; nur Saki hatte unbestreitbares Talent für den Sport. So viel, dass man in ihrem dritten Jahr auf einigen Turnieren auf sie aufmerksam geworden war und ihr ans Herz gelegt hatte, die Aufnahmeprüfung von Shiratorizawa abzulegen. Weil sie Volleyball liebte und nur Gutes über die Schule gehört hatte, war sie diesem Rat gefolgt und war sogar angenommen worden – wenn auch nur durch ein Sportstipendium, weil ihre schulische Leistung nicht unbedingt zu den besten zählte. »Warum gibt Akira-san die Anweisungen während des Trainings, und nicht Chii-buchou?« Saki konnte gut mit Kälte umgehen, aber nicht mit der Art von Kälte, die ihr entgegenschlug, als sie diese Frage gestellt hatte. Das war in ihrer ersten Woche im Shiratorizawa Volleyballteam gewesen, und in diesem Moment, in dem alle Augen auf sie gerichtet waren – manche geschockt, manche peinlich berührt, und wieder manche unangemessen ruhig –, wusste Saki nicht, ob sie jemals Teil des Teams würde werden können. Eigentlich hatte sie diese Frage nur an Noriko richten wollen, die von der ersten Minute an unglaublich freundlich und hilfsbereit gewesen war. Doch sie hatte das Problem, dass sie unbewusst lauter sprach, wenn sie aufgeregt war – und das war sie jedes Mal, wenn sie die neue Sporthalle betrat, denn obwohl alle nett zu ihr waren, herrschte eine merkwürdige Stimmung zwischen den Spielerinnen –, und so hatte jeder sie hören können. Plötzlich war jede kurz in ihrer Bewegung eingefroren und hatte sie einfach nur angestarrt. Saki war so schnell nichts peinlich, doch in diesem Moment hätte sie sich zu gerne in Winterluft aufgelöst. »Akira war früher… Akira hat mehr Übung darin, weißt du«, hatte Chihiro nach einer Weile angesetzt, den Blick hilfesuchend auf ihre Managerin gerichtet. Akiras Augen waren hart gewesen, daran erinnerte Saki sich gut, so als würde sie überlegen, ob sie wirklich etwas sagen wollte oder nicht. Schließlich hatte sie lautlos geseufzt und ihr dann geantwortet. »Chihiro ist erst seit kurzem Captain, deswegen unterstützen wir sie alle.« Ihre Tonlage ließ keinen Zweifel darüber zu, dass die Diskussion damit für sie beendet war, also fügte Saki sich und verbrachte die restliche Trainingszeit größtenteils schweigend. Mittlerweile war seit Sakis erster Trainingswoche viel Zeit vergangen, und trotz anfänglicher Startschwierigkeiten wollte sie ihre Teamkameradinnen nun nicht mehr missen. Takako hatte ihr vor ihrem ersten offiziellen Match erzählt, was damals vorgefallen war. Sie war generell kein nachtragender Mensch, und mit den vergangenen Ereignissen im Hinterkopf machte sie sich viel weniger Sorgen um das allgemeine Klima im Team als darum, ob alle Beteiligten hatten loslassen und nach vorne blicken können. Da Saki schon immer eine Optimistin gewesen war, war sie bereits nach ihrer ersten Woche der Meinung gewesen, dass sich alles bessern würde, sobald der Winter ins Land gezogen war. Sie hatte sich vorgenommen, die anderen dazu einzuladen, mit ihr im Schnee spazieren zu gehen und Schlittschuh zu laufen und sich so lange Schneebälle zuzuwerfen, bis die Luft angefüllt war mit feinen Eispartikeln. Vor ihrem inneren Auge hatte sie bereits gesehen, wie alle Sorgen der anderen von ihnen abließen und wie Schnee zu Boden fielen. Sie musste nur fest genug daran glauben, dass mit dem nächsten Winter alles besser werden würde. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)