Was es heißt, zu siegen von Schangia (Shiratorizawa Girls' Volleyball Club) ================================================================================ Kapitel 5: Rina - Libero ------------------------ Ihr erstes Fach heute war Mathematik, und weil Noriko darin unglaublich schlecht war, hatte Rina eine ganze Stunde Zeit für sich. Ihre Freundin musste sich nämlich alle Mühe geben, mit dem Unterrichtsstoff mitzukommen, und hatte somit nicht die Möglichkeit, ihr wie üblich kleine Nachrichten zu schreiben. Rina mochte es, während des Unterrichts mit Noriko zu schreiben, aber sie genoss es auch, ab und an Momente nur für sich zu haben. Mathematik war eines ihrer besten Fächer (obwohl sie es bis heute nicht geschafft hatte, Norikos Noten durch Nachhilfe auf ein akzeptables Level zu bringen) und so konnte sie es sich leisten, sehr viel entspannter und unaufmerksamer zu sein als die meisten anderen ihrer Klassenkameraden. In solchen Momenten, wenn alles um sie herum hektisch war und sie es dennoch schaffte, einen kühlen Kopf zu bewahren, ließ sie ihre Gedanken mit am liebsten schweifen. Es entspannte sie, wenn sie vergessen konnte, wo sie sich gerade befand und sie ihren Gedankengängen freien Lauf lassen konnte. So gerne sie den Tag mit Noriko verbrachte, viel Zeit für sich hatte sie da nicht unbedingt. Rina dachte über alles mögliche nach. Darüber, was sie am besten zum Abendessen machen konnte, falls ihr Vater wieder später von der Arbeit heimkam, oder darüber, dass die Volleybälle in der hinteren Ecke des Abstellraumes eigentlich zu wenig Luft zum Trainieren enthielten. Sie dachte daran, dass sie gerne eine Katze haben würde, und ob sie wohl nach ihrem Studium eine Wohnung finden würde, in der Katzen erlaubt waren. Rina dachte aber auch fast tagtäglich darüber nach, wie dankbar sie ihrer besten Freundin dafür war, dass sie ihr solange in den Ohren gelegen hatte, bis sie es mit Volleyball versucht hatte. Mittlerweile liebte sie den Sport über alles und freute sich auf jede Trainingsstunde, die vor ihr lag. Das lag zu einem großen Teil daran, dass sie auf dem Spielfeld anders sein konnte als im Alltag. Rina war nicht unbedingt schüchtern, aber sie konnte oft nicht erahnen, was in bestimmten Situationen von ihr erwartet wurde. Also zog sie es vor zu schweigen und zu beobachten. Noriko war sowieso viel besser im Reden als sie. Doch wenn sie Volleyball spielte, war alles anders. Auf dem Feld konnte sie alles herauslassen, das ihr auf der Zunge brannte, ohne fürchten zu müssen, dass sie einen Fehler beging. Als Libero war sie es, die in ihrem Team die Anweisungen gab, wenn es während eines Spiels zu hektisch zuging. Mei und Saki konzentrierten sich nur darauf Punkte zu erzielen, Norikos Aufmerksamkeitsspanne war dazu nicht groß genug, Takako war generell nicht der Typ dafür, und Chihiro versuchte es zwar, schaffte es aber in den meisten Fällen nicht. Akira hatte beides gekonnt, punkten und Anweisungen geben, aber das war jetzt Vergangenheit. An den meisten Tagen dachte Rina auch gerne an das Geschenk zurück, das Noriko ihr zu ihrem ersten offiziellen Match überreicht hatte. Es war ein Paar Socken mit einer missmutig dreinblickenden Katze darauf, die ihre Freundin ihr mit den Worten ›Die guckt genauso niedlich wie du immer!‹ überreicht hatte. Rina wusste noch genau, wie rot sie damals angelaufen war (fast so rot wie ihre Haare, und seitdem war das nie wieder vorgekommen), und trug die Socken seitdem zu jedem ihrer offiziellen Matches. Es war zu einem Ritual geworden, und auch, wenn man das Katzengesicht nach den zahllosen Waschgängen nicht mehr perfekt sah, liebte Rina sie genauso sehr wie am ersten Tag. Die Socken machten alles besser, jeden noch so kleinen Fehler oder jede Schwäche, die Rina aufgrund ihrer guten Beobachtungsgabe fast überall sah. Sie ließen sie vergessen, dass Chihiro zwar immer ihr Bestes gab, aber zu verzweifelt versuchte, so zu sein wie Akira; dass Takako so viel Talent für den Sport hatte, das sie wegen des Drucks von ihren Eltern niemals würde ausschöpfen können; dass Mei sich für besser hielt als alle anderen im Team (was sie auch war) und deswegen immer auf dem schmalen Grat zwischen Teamspieler und Egoist wandelte; dass Saki vermutlich niemals erwachsen werden würde; dass Akira nicht loslassen konnte, auch wenn sie dachte, sie hätte genau das schon längst getan. Oder, dass sie selbst zu feige war, Noriko einfach zu küssen, wenn ihr der Sinn danach stand. Solange Rina die Socken trug, die Noriko ihr geschenkt hatte, fühlte sich sie ihr nah, auch wenn der Abstand zwischen ihnen manchmal unendlich schien, sobald sie auf dem Spielfeld standen. Als ein kleines, zusammengeknülltes Papierkügelchen auf ihrem Tisch landete, schreckte Rina aus ihren Gedanken hoch. Sie sah kurz nach rechts, doch Noriko schrieb schon wieder hastig mit, was der Lehrer mit gnadenloser Geschwindigkeit an die Tafel schrieb. Neugierig faltete sie das Papier auseinander und musste schwach lächeln, als sie versuchte, die krakelige Handschrift zu entziffern. ›Rinaaa, erklärst du mir das in der Pause nochmal? Nur die ersten fünf Minuten haben Sinn ergeben! (;﹏;)‹ Obwohl Rina sich ziemlich sicher war, dass Noriko die Aufgaben auch nach einer kurzen Erklärung in der Pause nicht verstehen würde, freute sie sich darauf. Zeit mit Noriko zu verbringen war das Beste, das sie machen konnte, nachdem sie einen Moment für sich gehabt hatte. Hosted by Animexx e.V. 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