Das Legendäre Lanak von UrrSharrador (Bei der Macht des Kanals!) ================================================================================ Kapitel 1: Ein neues Abenteuer mit neuen Pokémon und einer neuen Haremsdame --------------------------------------------------------------------------- Ash sank bis zu den Knöcheln in dem zähen Schlamm ein, der übelriechend und schmatzend in seine Schuhe quoll. Er hatte es längst aufgegeben, sich die Nase zuzuhalten – vornehmlich, weil selbst seine Finger den Abwassergestank angenommen hatten. Wenn er erst wieder hier draußen war, würde er seine Klamotten wegwerfen können. Und wahrscheinlich auch seine obersten zwei Hautschichten, denn Duschen allein würde den Geruch nicht vertreiben. Falls es jetzt nicht ohnehin schon klar ist: Ash watete durch ein Abwasserrohr. Wie er dort hinuntergekommen war, sei erst mal dahingestellt, aber er hatte jedenfalls seine Gründe. Und es waren wirklich gute Gründe – kein Pokémontrainer würde diesen abgründigen Gestank auf sich nehmen, würde nicht ein extrem seltenes Pokémon dabei herausschauen. Ashs Finger tasteten über die von einem ekligen Schleimfilm überzogenen Wände. Der Schlick unter seinen Füßen zog nun etwas schneller vorbei – es ging leicht bergab. Das Rohr mündete in einen großen Tunnel, in dem kniehoch Wasser floss. Es war kühl, als Ash hineinstolperte. Sollte ich erwähnen, dass es stockdunkel war und er deshalb keine Ahnung hatte, wohin er die Füße setzte? „Ash?“, wisperte eine Stimme hinter ihm. „Bist du noch da?“ „Jaja“, sagte er. „Pass auf, da ist eine kleine Rampe.“ Zwei Sekunden später hörte er einen spitzen Schrei und ein Platschen. War ja wieder mal typisch. Richtig, Ash war nicht allein in dem Abwassersystem. Abgesehen von seinem immertreuen Pikachu war noch jemand mit ihm in diese stinkende Düsternis hinabgestiegen, denn auch in diesem Abenteuer hatte er einen neuen weiblichen Sidekick – oder eine neue Haremsdame, je nachdem, wie man es bezeichnen wollte. Ihr Name war Pokémonika, aber sie wurde von allen nur Monika gerufen. Oder war es umgekehrt gewesen? Ash hatte es nie geschafft, sich das zu merken; er fand beide Namen dämlich. Monika trug coole Klamotten und hatte hellbunte Haare – das war irgendwie das einzige Wort, das ihre Farbe beschreiben konnte –, die zu zwei weichen Knubbeln gebunden waren. Sie war ein wenig älter als Ash, also biologisch gesehen etwa achtzehn und physisch sowie psychisch deklarativ um die zwölf, damit sie bei der Zielgruppe besser ankam. Ash hatte sie getroffen, als er versehentlich ihr Fahrrad geschrottet hatte (er hatte keine Ahnung, warum ihm das immer wieder passierte, aber vielleicht war es auch eine blöde Idee gewesen, Relaxo auf dem öffentlichen Parkplatz rauszulassen, damit es sich während seines Nickerchens die Sonne auf den Bauch scheinen lassen konnte). Anfangs hatten sich Ash und Monika nicht riechen können, aber wenn man lange genug in einem Kanalsystem unterwegs ist, in dem man bald gar nichts mehr riechen will, entwickelt sich aus so etwas bald eine dufte Freundschaft. Monika schimpfte ein wenig darüber, dass ihr Outfit nun endgültig ruiniert wäre und sie deshalb bald so aussähe wie Ash an seinen besten Tagen (was will man machen, ein Pokémontrainer auf Wanderschaft hat nun mal zu wenig Geld, um nicht auszusehen wie ein Streuner), während Ash dem Wasserverlauf folgte. Der Geruch in diesem größeren Rohr war nicht mehr ganz so schlimm, aber es stank trotzdem noch wie ein Sleimok, das man mit Parmesan eingerieben und dann zwei Wochen in der Sonne vergessen hatte. Was außerdem die Stimmung drückte, war die ewige Finsternis. Nicht, dass es hier viel zu sehen gäbe – und nichts davon war appetitlich –, aber wenn man nicht mal sagen konnte, ob man die Augen offen oder geschlossen hatte, schlug das schon irgendwie aufs Gemüt. Als sie noch nicht lange unter Tage waren, hatte Pikachu mit einem seiner berüchtigten Stromschläge für Licht gesorgt – was auch keine besonders geniale Idee gewesen war, wenn man bedenkt, dass die meisten der Rohre zumindest ein paar Zentimeter unter Wasser standen. Jedenfalls waren Ash und Monika von gut viertausend Volt gegrillt worden, was etwa der Spannung eines handelsüblichen Defibrillators entspricht und pauschal gesehen das menschliche Herz auf On/Off schalten kann. Aber als Elektropokémon-Trainer war man irgendwann abgehärtet. Seitdem sparte sich Pikachu jedenfalls jeden Donnerblitz, und warf nur hin und wieder seine geistreichen Kommentare in die Runde, die oft für lange Zeit das Einzige waren, das man neben dem Schmatzen ihrer Schritte, dem leisen Plätschern von Wasser und dem stetigen Tropfen hörte. Auch wenn er es gern anders aussehen ließ: Ash verstand in Wahrheit kaum etwas von dem, was Pikachu sagte, und wenn, dann hatte er einfach nur gut geraten. „Ich kann nicht mehr“, seufzte Monika. „Machen wir ‘ne Pause?“ „Willst du dich hier ins Wasser setzen, um dich auszuruhen?“, gab Ash zurück. „Aber wir sind schon voll lang unterwegs! Und ich hab sicher schon voll die Blasen auf den Füßen, ey!“ Irgendjemand schien der Ansicht gewesen zu sein, Ash bräuchte für dieses Abenteuer unbedingt eine Mischung aus verwöhnter Prinzessin und Schickimicki-Proletarierin als Wegbegleiterin. Er seufzte und tastete nach den Wänden des Rohrs. Vielleicht gab es hier irgendwas wie eine Rettungsbucht, in der es zumindest halbwegs trocken war. Seine Gebete wurden erhört. Seine Hände tasteten ins Leere, seine Beine stießen gegen eine weitere Rampe. Vorsichtig kletterte er daran empor zu einer schimmelfeuchten Plattform, die aber immerhin nicht unter Wasser stand. Laut seufzend ließ er sich auf die Pflastersteine sinken. Monika folgte ihm und ihr Seufzer war noch lauter. Sie bleiben eine Weile dort hocken. Ash wrang seine Socken aus, die normalerweise schon ziemlich stanken, heute aber alle Rekorde toppten. Dann bemerkten sie irgendwann, dass sie nicht allein waren. In einer Ecke der unverhofften Rettungsbucht hörte man ein leises Fauchen, als würde etwas Großes atmen. „Was ist das?“, flüsterte Ash. „Keine Ahnung.“ „Wenn wir nur Licht hätten!“, fluchte er. „Pikachu, kannst du noch mal Blitz versuchen? Aber bitte weit genug weg von uns, damit wir nicht wieder geröstet werden.“ Pikachu sprang von seiner Schulter und tappte ein paar Meter in Richtung der Geräuschquelle. Weil die Elektroden in Pikachus Wangen irgendwie mit seinen Stimmbändern gekoppelt waren, entließ es den hellen Blitz wie üblich gemeinsam mit einem lauten Ausruf seines Namens, der von den Wänden des Kanalrohres widerhallte. Eine einzelne Blitz-Attacke ist natürlich vergebliche Liebesmühe. Im ersten Moment blendet sie, im zweiten ist sie schon wieder verschwunden. Darum ließ Pikachu dauerhaft ein paar kleinere Stromstöße ins Nichts folgen, die die Nische im Rohr in gelbes Diskolicht tauchte. Die beiden Pokémontrainer strengten ihre Augen an, um das versteckte Etwas in der Ecke zu erkennen, und sahen … ein Kanalgitter. Es war in der Wand der Nische eingelassen und blockierte ein schmales Rohr, durch das ein Mensch gerade nicht passen würde. „Hat das Gitter da gerade gefaucht?“, fragte Pokémonika. Ash wusste, dass sie nicht die Hellste war, aber er hatte sich dieselbe Frage gestellt. Er ging darauf zu und hob die Hand. Tatsächlich fühlte er einen sanften Luftzug, der mal kam und mal ging, und über Pikachus lästiges Stakkato aus „Chuuu!“-Rufen meinte er wieder das Seufzen zu hören. „Ich glaube, ich spinne“, murmelte er, und wie als Antwort erwischte ihn ein eisiger Wasserstrahl, der urplötzlich zwischen den Gitterstäben aus dem Kanalrohr schoss und ihn auf sein Hinterteil warf – genau auf Pikachu, das selbstredend gerade eine weitere Elektroattacke aus den Wangen blies. Nachdem Ash nun wieder an ein Sparerib erinnerte, das vom Rost gefallen und dann zu lange in der Grillglut gelegen war, Monika ihn auslachte und Pikachu ihm besorgt gegen die Wange klopfte, bis er das Bewusstsein wiedererlangt hatte, kam ihm der Gedanke, dass das gerade eben eigentlich eine mustergültige Aquaknarre hätte sein können. Außerdem keuchte das Rohr nun wie nach einer großen Anstrengung. „Was ist das für ein blödes Ding?“, knurrte Ash und sprang auf. Pikachu, das sich sicher war, jetzt wieder gebraucht zu werden, machte wieder Licht. „Das war voll gemein von dem Gitterding“, fand Monika, grinste dabei aber immer noch. „Ich glaub, es will dich verashen.“ Das war eine Angewohnheit von Pokémonika: Sie fand seinen Namen genauso dämlich wie er ihren und benutzte jede Gelegenheit, ihn in ihre Alltagssprache einzubauen. „Du kannst dich ja reservieren“, schlug sie vor. Ash brauchte einen Moment, um zu begreifen, dass sie revanchieren meinte. „Ich werde mich nicht mit einem Kanalgitter streiten.“ Das Kanalgitter rülpste. Und hatte es nicht eben die Eisenstäbe bewegt? „Jetzt wird’s aber langsam echt unheimlich, ey“, murmelte Monika. „Aber jetzt riechst du wieder besser, weißte?“ Als hätte es das als Einladung aufgefasst, spritzte wieder ein Wasserschwall aus dem Rohr und traf diesmal Monika. „Ey, du Spast!“, fauchte sie. „Dass lass ich mir nicht gefallen!“ Sie griff zu ihrem Gürtel. „Wer auch immer du bist, los!“ Pokémonika hatte die Angewohnheit, ihre Pokébälle ohne bestimmtes Muster an ihrem Gürtel anzuordnen. Deswegen wusste sie auch nie, welches ihrer Pokémon sie gerade rief, oder ob sie – wie gerade jetzt – einfach einen leeren Pokéball warf. In dieser Situation hatte das allerdings einen interessanten Nebeneffekt. In ihrer Rage hatte sie den Ball so heftig geworfen, dass er gegen das Kanalgitter prallte. Dabei klappte er überraschend auf – und mit einem rötlichen Lichtblitz wurde das Gitter samt dem Rohr in den Pokéball gesaugt, der noch ein paar Sekunden wackelnd am Boden liegen blieb und dann abkühlte. Wo eben noch das vergitterte Rohr gewesen war, breitete sich die blanke Wand aus. Ashs Kinnlade krachte gegen den Pflastersteinboden. „Was … was hast du gemacht?“, rief er aus. „Ich hab gar nix gemacht!“, verteidigte sich Monika. „Ich wollt nur irgendein krasses Pokémon rufen, echt, und dem Gitter ‘nen Wums verpassen, ich schwöre!“ „Du hast das Gitter in einem Pokéball eingefangen!“ „Ja, Mann, was kann ich dafür – wenn es sich fangen lässt?“ Ash kratzte sich am Kinn. „Das kann eigentlich nur eines bedeuten …“ „Meine Pokébälle können auch andere Sachen einfangen?“ Plötzlich traf Ash etwas am Hinterkopf. „Aua! Hast du gerade einen Pokéball nach mir geworfen?“ „Was? Nö, wieso? Oh, guck mal, ein Pokéball! Wie kommt der denn hier her?“ Monika lief scheinheilig an ihm vorbei, um den rotweißen Ball einzusammeln und an ihren Gürtel zu hängen. Dann nahm sie auch den auf, der das Kanalgitter geschnappt hatte, und starrte ihn ratlos an. „Wirf ihn nochmal“, sagte Ash. „Ich will was ausprobieren.“ „Oh, okay.“ Der Ball traf Ash diesmal gegen die Stirn. „Au! Nicht den! Den, der das Gitter gefangen hat!“ „Ach so. Pokéball, los!“ Monika warf den Ball zu seinen Füßen. Er klappte auf und entließ seinen Inhalt – das Kanalgitter prangte nun, schwer atmend, zu seinen Füßen. Mitsamt seinem Rohr, durch das man Wasser unter ihnen fließen sah. „Boah“, machte Monika. „Voll Schock, Alter.“ „Das muss ein Pokémon sein!“, sagte Ash und fischte seinen Pokédex aus der Hosentasche. Erst vor Kurzem hatte man wieder einen neuen Abschnitt der Welt entdeckt, was ja alle paar Monate mal vorkam, mit Pokémon, die es nirgendwo sonst gab. Zufälligerweise war dieses neue Gebiet ebenjenes Abwassernetz, das die ganze Kanto-Region durchzog. Warum es bisher noch niemand gefunden oder wer es überhaupt angelegt hatte, war sämtlichen von Ashs Professor-Freunden ein Rätsel, ob sie nun Eich, Birk, Ulm, Eib oder Trauerweid hießen. Aber recht bald hatten Forscher die Pokémon ausfindig gemacht, die hier unten lebten, und Ash hatte ein neues Update für seinen Pokédex bekommen. Inklusive variabler Stimmänderung. „Kanalgitter“, schnurrte die verführerische russische Frauenstimme, die er aus Jux und Tollerei eingestellt hatte. „Das Kanalpokémon. Die weiterentwickelte Form des Gullydeckels. Sein Spezialität sind Wasserattacken. Es kann eingesetzt werden, um Abwasserrohre zu verbinden.“ „Das ist wirklich ein Pokémon!“, rief Ash erstaunt. „Wahnsinn, was es nicht alles gibt!“ „Also mich wundert das gar nicht. Ich find’s nur komisch, dass es so schnauft. Meinst du, es hat Hunger?“, fragte Monika. Als könnte das Kanalgitter sie verstehen, keuchte es noch schneller. „Okay, komm, ich geb dir was ab.“ Sie zog eine Handvoll Beeren aus ihrem Rucksack und warf sie in das Abwasserrohr. „Lass den Blödsinn“, sagte Ash. „Wieso? Es schmeckt ihm. Guck mal.“ Das Gitter rülpste, und ein wenig weißer Schaum schwappte in die Höhe. „Ich glaub, es will Surfer machen“, meinte Monika. „Och, es ist so putzig! Ich glaub, ich mag es.“ „Es ist ein Kanalgitter“, schnaubte Ash. „Pscht, du verletzt noch seine Gefühle, ey.“ Monika streichelte über die Eisenstangen, die immer noch ein dünner Schleimfilm zierte. „Denk dir nix dabei, Kanalgitter. Er ist ein Ashloch.“ „Kannst du bitte mal aufhören, dauernd meinen Namen zu verhunzen?“ Die Dunkelheit, das anschließende Flimmerlicht, die wiederholten Elektroschocks und der Gestank hatten ihn ziemlich gereizt werden lassen. „Ruf das Gitter zurück, wir müssen weiter.“ „Wart mal! Ich hab ‘ne Bombenidee!“, rief Monika plötzlich strahlend. „Dein Pokédex hat gesagt, es kann ‘n Verbindungsrohr machen!“ „Selbst wenn, es ist viel zu dünn, als dass wir hindurch könnten. Und außerdem ist es vergittert. Und ich klettere sicher nicht durch ein Pokémon hindurch!“ „Du bist heut un-ash-stehlich“, sagte sie betont und klappte ihren eigenen Dex auf. „Hier steht, dass es sich noch mal weiterentwickeln kann. Zu ‘nem krassen Abwasserrohr. Und das ist dann größer!“ Ash überraschte langsam nichts mehr. In Monikas Kopf hatte sich nun ein Plan entwickelt, bei dem er nicht länger Mitspracherecht hatte. Sie beschloss, an Ort und Stelle ihr Kanalgitter zu trainieren, bis es zu einem Kanalrohr wurde. Dafür warf sie ihm wiederholt Beeren in den Schlund und ließ ihr Machomei mit den Fäusten gegen seine Eisenstäbe dreschen. Ash setzte sich seufzend in eine Ecke und fragte sich, womit er das verdient hatte. Ungefähr zeitgleich kollabierte Pikachu vom übereifrigen Gebraucht seiner eigenen Elektrizität und sie saßen wieder im Dunkeln.  Kapitel 2: Ein richtig epischer Pokémon-Kampf mit dem Jungen, der immer beschimpft wird --------------------------------------------------------------------------------------- Das ganze Abenteuer begann etwa vor einer Woche. Das Kanalsystem war entdeckt worden und Ash wollte sich von Professor Trauerweid, seines Zeichens Pokémonforscher und ehemaliger Kanalarbeiter, das Update auf seinen Pokédex spielen lassen. Viele andere Trainer waren auch in dem Labor, in dem der Professor arbeitete, unter anderem natürlich Gary, der Enkel von Professor Eich – den bei irgendwelchen kreativen Schimpfnamen zu rufen irgendwie Ashs Hobby geworden war. Der Andrang war so groß, dass das Wartezimmer vor dem Labor proppenvoll war. Wie im Vorraum einer Klinik waren billige Klappstühle bereitgestellt worden. Pokémon-Zeitschriften lagen auf Tischen bereit, manche Trainer plauderten auch oder dösten vor sich hin. An einigen meinte Ash schon Spinnweben zu erkennen. Die Stühle waren ausnahmslos besetzt. Das ging Ash nun gehörig gegen den Strich, denn es widersprach ganz klar seinem Motto. Was Ashs Motto war, ist wohl allgemein bekannt. Im weitesten Sinne besagte es, dass er der Allerbeste sein wollte, wie es noch keiner vor ihm gewesen war, dass er sich sehenden Auges in Gefahr begab, um alle Pokémon ganz allein zu fangen, dass er im ganzen Land nach Pokémon und dem Grund ihrer Kraft suchte, dass er nur mit seinem besten Freund die Welt retten wollte, nebenbei das gute Herz ebenjenes Freundes bewunderte und von ihm lernte und umgekehrt, auf dass sie beide Pokémon fingen; in der zweiten Strophe weiters, dass er jede Beschwerlichkeit seines Weges in Kauf nehmen würde, niemals aufgab und den Platz wollte, der ihm gehörte, und – naja, da war es. Der Platz in diesem Wartezimmer, der ihm gebührte, war der neben dem Fenster und der Tür, und er war sich sicher, dass er da viel schneller drankommen würde! Nur saß eben Gary auf dem Platz und langweilte sich. Er entdeckte Ash im selben Moment wie der ihn. Was dann passierte, kann man sich denken und soll nur in knappen Stichworten abgehandelt werden. Zwischen ihren Augen sprühten Blitze, als sich die Luft mit elektrischer Spannung auflud, die jedem Raichu zur Ehre gereicht hätte. Ash bedachte Gary mit ein paar seiner Lieblingsspitznahmen wie Gayry oder Schweinebacke, sie gingen eiferentflammt nach draußen, ließen ihre Pokémon sich gegenseitig die Seele aus dem Leib prügeln und feuerten sie zu neuen Höchstleistungen an. Ash gewann, als Pikachus Angriff Garys Magneton mit einer Überladung außer Gefecht setzte. Gary trottete rachedurstig von dannen, Ash stolzierte wie ein Pfau in das Wartezimmer zurück. Und sah, dass mittlerweile jemand anders auf seinem Stammplatz saß. Zwei Stunden bitteren Wartens mit lauter erschöpften Pokémon in der Tasche später stand er endlich ebenfalls vor Professor Trauerweid und bewunderte einmal mehr die gewaltigen Tränensäcke unter dessen Augen. Mit verschnupfter Stimme erklärte er Ash die Besonderheiten der neuen Region. „Das Abwassersystem ist äußerst tückisch. Es ist sehr verwinkelt, wie ein Labyrinth, und es gibt ein paar gefährliche Pokémon darin.“ Ash hatte diese Leier schon oft gehört und wartete nur mehr darauf, dass der Professor ihm verbat, durch hohe Algen zu gehen oder so. Außerdem schweifte Trauerweid mehrmals ab, widersprach sich selbst und war allgemein nicht für sein gutes Gedächtnis bekannt. Manchmal schien er zu vergessen, worüber er gerade noch gesprochen hatte. Das würde auch erklären, warum in der Beschreibung des größten Abwasserrohrs dort unten plötzlich ein himmelhoher Berg auftauchte, den er in seiner Jugend mal bestiegen hatte. Ash hörte nur noch mit einem halben Ohr zu, als Trauerweid plötzlich ein äußerst interessantes Thema anschnitt. „Gerüchten zufolge gibt es dort unten auch noch ein noch unbekanntes, legendäres Pokémon, das unheimlich stark sein soll“, sagte der Professor verschwörerisch. „Noch hat es keiner zu Gesicht bekommen, aber es wurde ein altes Steinrelief gefunden, auf dem eine Art Prophezeiung eingraviert ist.“ „Ist das nicht irgendwie billig?“, fragte Ash. „Warum sollte es so was in einem Abwassernetz geben?“ „Warum ist der Himmel blau?“, blaffte Trauerweid. „Willst du mehr davon hören oder nicht?“ „Ja, sicher, Entschuldigung.“ „Also, auf dieser Schriftrolle heißt es …“ „War es nicht gerade noch ein Steinrelief?“ Trauerweid schlug mit der Faust auf seinen Schreibtisch. „Unterbrich mich nicht!“ „‘tschuldigung.“ „Also, wo war ich?“ „Bei der Schriftrolle.“ „Schriftrolle? Nein, das wüsste ich. Ich glaube, ich habe von dem Steinrelief erzählt.“ „Erzählen Sie mir doch bitte einfach über die Prophezeiung.“ „Natürlich, Alan. Also, da in dem Labyrinth fanden unsere Forscher eine uralte Schriftrolle, auf der stand die folgende Prophezeiung: Wenn das Kanalsystem besiegt ist, wird das Legendäre Lanak wie ein Phönix aus der Asche steigen.“ „Das ist alles?“ Trauerweid runzelte die Stirn. „Ich wüsste nicht, was es von meinen Bergsteigerabenteuern sonst noch zu erzählen gäbe.“ Ash war nicht sicher, ob er überhaupt irgendetwas von dem glauben konnte, was der verschrobene Professor von sich gab. Wahrscheinlich schwafelte er einfach nur herum. Darum hatte er auch bei jedem Trainer so ewig lange gebraucht. „Kann ich diese Prophezeiung sehen?“ „Theoretisch schon, Alf, aber sie wird dir nichts sagen. Es ist eine uralte Sprache, die da in die Steinschriftrolle gemeißelt wurde.“ „Jetzt ist es also schon eine Steinschriftrolle?“, fragte Ash ärgerlich. „Und Sie sind sich ganz sicher, dass das Pokémon Lanak heißt und wie ein Phönix aus der Asche steigt, wenn jemand die Kanalisation besiegt?“ Trauerweid nickte heftig. „Absolut.“ Anschließend überspielte er noch das Upgrade auf Ashs Pokédex und verabschiedete ihn mit den Worten: „Bis zum nächsten Mal, Herbert.“   Und das war der Anfang seines neuen Abenteuers unter Tage gewesen. Als Ash nun die Augen aufschlug, war es immer noch finster um ihn herum und Pokémonika feuerte immer noch ihr Kanalgitter an, sich endlich weiterzuentwickeln. Da tanzte plötzlich der Lichtschein einer Taschenlampe durch das Rohr zu ihrer Rechten. Im ersten Moment hielt Ash es für einen Geist. Oder ein Geistpokémon. Aber der Strahl wurde stärker und bald konnte Ash wieder die unappetitlichen Pflastersteine sehen, aus denen das Kanalsystem gebaut war. „Hallo! Wer kommt da?“, rief er, um auf sich aufmerksam zu machen. Das Licht schwenkte herum und blendete ihn kurz. „Ash? Bist du das?“ Die Stimme kannte er doch … „Rocko?“ Sein Freund senkte das Licht und kletterte erfreut zu ihnen hoch. „Dass ich dich hier treffe!“ Sie begrüßten einander erfreut, tauschten etwa eine halbe Minute Neuigkeiten aus, dann bemerkte Rocko Monika. „Wer ist das denn?“ „Frag sie selbst. Ich krieg ihren Namen immer falsch hin.“ „Wieso spricht sie mit einem Kanalgitter?“ „Das ist ihr neuestes Pokémon.“ Rocko machte große Augen. Wer Rocko kennt, kann sich denken, wie merkwürdig das aussieht. „Wie ist sie denn da drangekommen? Ich habe gehört, es ist irrsinnig schwierig, echte Kanalpokémon von einfachen Kanalteilen zu unterscheiden.“ Ash winkte ab. „Frag besser gar nicht.“ In dem Moment stieß Monika einen erfreuten Schrei aus, als das Kanalgitter zu ihren Füßen erbebte, auseinanderfiel und das Rohr darunter sich weitete. Sie verlor den Boden unter den Füßen, und ihr Schrei wurde ein wenig panischer, als sie in die Tiefe plumpste und eine Fontäne schmutzigen Wassers aufspritzte wie ein Geysir. Kanalgitter hatte sich tatsächlich zu Kanalrohr weiterentwickelt. Und seine Trainerin war hineingefallen. „Hast du zufällig ein Seil oder so mit?“, fragte Ash Rocko.   Ein paar Meter tiefer und bis zur Brust in lauwarmem Wasser – lieber wäre es Ash gewesen, es wäre eiskalt – machte Ash seine Freunde miteinander bekannt. Monika rief ihr Kanalrohr zurück, und über ihnen erschien wieder das Gestein, die vorher dagewesen war. Dann warf sie den Pokéball gegen die Wand zu ihrer Linken, Kanalrohr erschien wieder und bildete den Durchgang zu einem weiteren, riesigen Abwasserrohr. „Praktisch“, sagte Ash, beeindruckt, einen so intelligenten Schachzug von ihr zu sehen. Trotz seiner anfänglichen Aversion machte es ihm nichts mehr aus, quasi durch das Innere eines Pokémons zu kriechen. Sie wiederholten die Prozedur noch ein paarmal, bis sie einen gemauerten Tunnel erreichten, in dem zur Abwechslung mal kein Abwasser floss und in dem wesentlich bessere Luft stand. Sie wanderten ein bisschen herum und Rocko erklärte Ash und Monika, was er überhaupt hier unten zu suchen hatte – ein Grund, mit dem ich hier niemanden langweilen will. Es sei nur gesagt, dass Ash heilfroh über Rockos Taschenlampe war. Als ihre Mägen zu knurren begannen und Ashs Augen zufallen wollten, suchten sie sich einen annähernd quadratischen Raum für ihr Nachtlager aus. Die drei Pokémontrainer packten ihren Proviant aus. Monika hatte all ihre Beeren an Kanalgitter verfüttert, aber sie hatten noch Pökelfleisch von einem Rihorn, kalte Karpador-Fischstäbchen, Ponita-Leberkäsesemmeln, Dosen mit Schillok-Suppe, leckere Kangama-Würste und Taubsi-Wings (kein Grund, so entsetzt zu tun. Wo soll in einer Welt ohne Tiere das Fleisch sonst herkommen? Außerdem sollte man nicht vergessen, dass es wirklich schwierig ist, an Rihorn-Schnitzel zu kommen, wegen ihres dicken Panzers). Pokémonika spielte noch ein wenig auf ihrer Mundharmonika, um für Entspannung zu sorgen. Dann legten sich die Freunde aufs Ohr und erwachten schließlich wieder im Dunkeln, ohne den Hauch eines Schimmers einer Ahnung, wie spät es überhaupt war. Als sie weiterwanderten, kamen sie an mehreren Kanalgittern vorbei. Ash wies Pikachu an, auf jeden einen Donnerblitz zu werfen, aber sie schienen alle keine Pokémon zu sein und er kam sich hinterher jedes Mal dämlich vor. Ihr Weg führte sie dann knapp unter die Erdoberfläche, wo ab und zu schon Scheiben aus Sonnenlicht herabfielen. Bei einem Gullydeckel hatte Ash schließlich Glück. Er ließ sein Endivie den Deckel von unten mit seinen Blättern angreifen, und der Kanaldeckel wehrte sich mit nichts Geringerem als Erdbeben! Mit Rockos Hilfe bezwang er den Gullydeckel schließlich und kam somit auch an sein erstes Kanalpokémon. Leider hinterließ der Gully kein Loch, das sie zurück zur Oberfläche hätte führen können, also marschierten sie weiter durch die Dunkelheit, nur geleitet vom Licht von Rockos Lampe, und drangen tiefer in das Labyrinth vor.   Sie trafen ihn in einem hohen Sammelbecken, in das ein gutes Dutzend Rohre mündete und in dem das Abwasser in einem kleinen Wasserfall hinter einem Gatter verschwand. Die Kloake selbst stand nicht ganz kniehoch, und auf einer steinernen, trockenen Aufbaut hatte Gary sein Lager aufgeschlagen: ein kleines Zelt und ein hübsches Feuerchen. „Sieh an“, sagte der Junge mit der braunen Haarmähne, die die Hälfte seines Gesichts verdeckte. So sah Gary also aus, wenn er seine Haare nicht stylte. Ash wusste nicht, warum, aber irgendwie glaubte er für einen Moment ein Rufzeichen über Garys Kopf aufblinken zu sehen. „Ash und sein pokéballscheues Pikachu. Samt Anhang.“ „Sieh an. Gayry“, gab Ash zurück und eine Ader begann auf Garys Stirn zu pochen. „Verdammt nochmal, ich heiße Gary! Ga-ry!“ „Mach dir nix draus, Alter“, winkte Pokémonika ab. „Meinen Namen checkt der auch nie.“ „Du kommst gerade rechtzeitig, meinen Pokémon ist nämlich langweilig“, sagte Gary und streckte einen Pokéball von sich. „Wird Zeit, dass ich mich für die Demütigung bei Professor Trauerweids Labor revanchiere!“ „Von was für einer Demütigung spricht er?“, fragte Rocko. „Das ist eine längere Geschichte“, erwiderte Ash. „Was ist jetzt? Ob du bereit bist oder nicht, ich fordere dich heraus! Los, Magneton!“ Gary schleuderte seinen Pokéball. Monika klatschte erfreut in die Hände. „Oh Mann ich steh voll drauf wenn Pokémontrainer sich wegen irgend ‘ner Kleinigkeit dermaßen dissen dass sie’s nur mehr geregelt kriegen indem sie ihre Pokémon clashen lassen!“ „Den Slang wird immer schlimmer, Monika“, sagte Ash trocken. „In deinem letzten Satz fehlen sämtliche Kommata.“ „Hä?“ „Was ist jetzt?“, rief Gary ungeduldig. Er stand immer noch ein wenig erhöht, während Ashs Gruppe im Dreck vor sich hin sumpfte. Wenn Magneton angriff, würde es wahrscheinlich das Abwasser unter Strom setzen. „Warte noch eine Sekunde.“ Ash entdeckte eine zweite gemauerte Erhebung, die wie ein verschlossener Brunnen aussah. Er kletterte die rostige Leiter empor und befand sich auf einer Augenhöhe mit Gary. Rocko folgte ihm, dann Monika. „Alter, mach ein wenig Platz, du Breitash.“ Zu dritt herrschte auf dem Mauersockel ganz schönes Gedrängel. Ehe Ash etwas erwidern konnte, plapperte Monika schon weiter: „Boah, fast wie ‘ne Arena hier!“ Da musste er ihr Recht geben. Die Halle mit den beiden Sockeln für die Trainer und der großen Fläche aus kniehohem Wasser hätte einen epischen Kampfplatz abgegeben, wäre da nicht der furchtbare Gestank gewesen. Als er Magneton über sich schweben sah, merkte er sofort, dass Pikachu diesmal im Nachteil wäre. Wer auch immer unten durch das Abwasser waten musste, würde schnell von seinen Stromschlägen gegrillt werden. Er richtete sein Käppi und warf einen Pokéball. „Los, Nebulak!“ Der Ball öffnete sich und entließ einen weiteren Ball: das Geistpokémon, das Ash seit Kurzem sein Eigen nannte. Nebulak kündigte seine Anwesenheit mit dem obligatorischen Erwähnen seines eigenen Namens an. „Diesmal wird die Sache anders ausgehen“, prophezeite Gary. „Magneton, setz Donner ein!“ „Nebulak, weich aus und dann Spukball!“ Nebulak wiederholte noch einmal seinen Namen mit einer zugegeben etwas dämlichen – oder sagen wir, gewöhnungsbedürftigen – Geisterstimme, während es blitzschnell dem blitzschnellen Blitz, der Donner hieß, auswich. Dann schleuderte dieser Ball aus dem Pokéball einen Ball auf Magneton, der schwarzviolett zuckte. „Ausweichen, Magneton!“, rief Gary. Er hätte vielleicht spezifizieren sollen, wohin. Wie jeder weiß, besteht ein Magneton aus drei Magnetilos. Garys Magneton hatte sich wohl erst kürzlich entwickelt und war noch weit davon entfernt, ein kohärentes Bewusstsein zu bilden. Wie Professor Trauerweid in seiner wissenschaftlichen Abhandlung zu der neuen Entwicklungsmöglichkeit von Pokémon der Kanal-Ära einmal schrieb: Die neuen Evolutionsperspektiven sind bereits dem Magneton genannten triadischen Konglomerat von Magnetilos immanent, offenbaren jedoch gewisse Defizite in der Kohärenz des triadischen Sinneszentrums des entwickelten Pokémons. Ehe eine variable Akkomodierungsphase abgeschlossen ist, verfügen die elementaren Bestandteile des Magnetons noch über ihr jeweils individuelles Bewusstsein, was bei diskrepanten oder diffusen Anordnungen ihrer Ausbildungskompetenz teils zu disruptivem Verhalten führen kann, was überdies bei dem Traumato einen suboptimal expandierten, hibernationsgleichen Schlaf auslöst. (Selbst bei seinen wissenschaftlichen Auseinandersetzungen sickerte das schlechte Kurzzeitgedächtnis des Professors durch. Der Artikel wurde für eine wissenschaftliche Konferenz zum Thema Kanal-Pokémon geschrieben. Falls sich jemand wundert: Der Begriff Ausbildungskompetenz ist die gendergerechte Form der Pokémon-Trainer. Der Artikel wurde übrigens nicht angenommen. Und das Gerede über diese neuen Fähigkeiten der Kanalpokémon sollte in den kommenden Absätzen verständlicher werden, wenn Ashs Nebulak Garys Magneton ordentlich einheizt.) Lange Rede, kurzer Sinn. Jedenfalls konnten die drei Einzelteile von Magneton sich nicht einig werden, in welche Richtung sie Nebulaks Spukball ausweichen wollten. Jedes zerrte in eine Richtung, was dazu führte, dass Magneton genau in Schussposition zittrig schweben blieb und voll getroffen wurde. Mit einem metallischen Tsching prallte das Pokémon gegen Garys Säule und landete im Abwasser. Ash jubelte. „Verdammt, es ist noch nicht vorbei!“, knurrte Gary. „Nebulak, noch einmal!“ Ein weiterer Spukball traf das noch benommene Magneton, und dann gleich noch einer. „Aber jetzt ist es gleich vorbei“, sagte Ash triumphierend. „Seht ihr, so gut kann man sein, wenn man nicht nach jeder Attacke wartet, was der Gegner macht.“ „Na warte“, sagte Gary und schleuderte eine ganze Handvoll Pokébälle. Ein weiteres Magneton erschien, dazu noch drei Magnetilos. „Hey“, rief Ash. „Wir kämpfen einer gegen einen!“ „Ich lasse ja auch nur ein Pokémon gegen dich kämpfen“, behauptete Gary. „Pass auf! Magneton, wir machen das, was wir besprochen haben!“ Das neue Magneton rief blechern seinen Namen und verschoss dann elektrische Blitze auf die Magnetilos, die die Energie absorbierten. „Was tut er da?“, fragte Monika. „Ich glaube, er verstärkt die Magnetilos“, meinte Rocko. Kaum hatte er das gesagt, wirbelten die drei Magnete im Kreis und schossen dann aufeinander zu, dockten an – und in einem letzten hellen Blitz war ein neues Magneton geboren. „Wow“, sagte Rocko. „Er hat die Magnetilos mit den Stromschlägen dazu gebracht, sich zu entwickeln. Geht das überhaupt?“ „Keine Ahnung“, murmelte Monika perplex. „Aber es sieht echt krass cool aus.“ „Jetzt wirst du gleich sehen, was du davon hast, auf mir herumzutrampeln, Ash!“, drohte Gary. „Was einmal funktioniert, funktioniert nochmal!“ Das ältere Magneton sandte erneut elektrische Wellen aus, und zwar nicht nur auf seinen jüngeren Artgenossen, sondern auch auf das beschädigte Magnet-Tripel, das noch im Abwasser schwamm. Die Schrammen auf seiner Oberfläche schienen, warum auch immer, zu verschwinden. Die ganze Halle leuchtete in den elektrischen Blitzen, und das fast besiegte Magneton erhob sich einmal mehr in die Lüfte – und nun geschah etwas Unglaubliches. Wie schon zuvor die drei Magnetilos, begannen auch die drei Magnetons sich zu umkreisen und klinkten sich beieinander ein – und bildeten ein einzelnes Pokémon, bestehend aus neun Magnetilo-Körpern. Die Magnete standen in alle Richtungen ab. „Unglaublich“, murmelte Rocko, während Ash seinen geupdateten Pokédex hervorholte. „Magnetmehr. Das Magnet-Pokémon. Die weiterentwickelte Form von Magneton, die nur entsteht, wenn sich drei Magnetons zusammenschließen“, erklärte die russische Frauenstimme. „Da staunt ihr, was?“, lachte Gary. „Heute ist es so weit, dass sich meine Magnetons entwickeln. Das ist etwas, das seit der Kanal-Ära möglich ist! Professor Trauerweid und die anderen Forscher haben herausgefunden, dass man Pokémon nun kombinieren kann, damit sie sich gemeinsam weiterentwickeln. Hat ja auch lange genug gedauert – bei Digimon gab’s das ja schon längst. Darf ich vorstellen? Magnetmehr!“ „Voll cool, wie man den Namen von dem Teil auf zwei Arten verstehen kann“, murmelte Monika verzaubert. Ash biss die Zähne zusammen. Das Pokémon, das dort schwebte, war nicht nur viel größer als Magneton (dreimal so groß, um genau zu sein), sondern sicher auch viel stärker. Ihm musste schnell etwas einfallen. Und weil das Kapitel schon zweitausendachthundert Wörter lang ist, gibt es jetzt einen Cliffhanger. Kapitel 3: Ein zwielichtiges Gaunerduo und des Rätsels Lösung ------------------------------------------------------------- Es sah nicht so aus, als könnte Nebulak sich lange gegen Garys Magnetmehr behaupten. Vor allem deswegen nicht, weil es schon beim ersten Donnerblitz fast K.O. war. „Na, wie fühlt es sich an, auf der Verliererseite zu stehen, Ash?“, höhnte Gary. „Warte mal – ich glaube, das weißt du schon längst!“ „Nebulak, komm zurück!“ Ash saugte sein Geistpokémon wieder in seinen Pokéball. „Du bist dran, Gullydeckel!“ Das eklige Wasser im Becken wurde gluckernd weniger, als der Gullydeckel genau in der Senke erschien und das Zeug durch ihn eine Ebene tiefer sickerte. „Oh Mann, wie blöd kann man sein?“, gackerte Gary. „Jeder weiß, das Kanalpokémon vom Typ Wasser sind! Magnetmehr wird es mit einem einzigen Angriff plattmachen!“ „Monika, ruf dein Kanalrohr!“, sagte Ash. „Wieso, ey?“ „Weil ich einen genialen Plan und keine Zeit für Erklärungen habe!“ „Oh, okay, na gut, wennste meinst. Kanalrohr, los!“ Neben dem Gullydeckel stach nun senkrecht das Rohr in die Höhe. Es sah ziemlich deplatziert aus. „So, Gullydeckel! Vereinige dich mit dem Abwasserrohr!“, befahl Ash. Der Gully schwieg und tat nichts. „Ich glaube, du musst die Pokémon selbst zusammensetzen, wenn du sie rufst“, meinte Rocko. „Na gut, dann versuchen wir’s so! Zurück, Gullydeckel! Los, Gullydeckel!“ Er beorderte den Gully wieder in den Pokéball und warf selbigen dann direkt auf das Rohr. Diesmal klappte es. Der Deckel klebte am – beziehungsweise im – Abflussrohr, wodurch man in dessen Inneres sehen konnte. „Bist du bald fertig?“, fragte Gary gelangweilt. „Magnetmehr, mach dich bereit für einen Donner!“ „Rohr plus Deckel, Angriff mit … äh …“, begann Ash. „Surfer“, half Rocko aus. „Surfer!“ Ein ekliges, hellbraunes Gemisch aus Wasser, Dreck und sonstigem Zeug, das vorher in dem Becken gestanden war, floss aufwärts durch das Rohr und schoss aus den Öffnungen des Gullydeckels. Mit einem Splotz traf es Magnetmehr, das daraufhin rückwärts gegen Gary geschleudert wurde und ihn wiederum von seinem Sockel warf. Fast zwei Meter tiefer knallte er auf den harten Boden. „Au!“ „Ob er sich wehgetan hat? Hat ganz schön ‘nen Wumms gemacht“, meinte Pokémonika besorgt. „Halb so wild“, meinte Ash. „Team Rocket segelt regelmäßig mehrere hundert Meter durch die Luft. Der menschliche Körper ist erstaunlich stabil.“ Und wirklich: Schäumend kam Gary wieder auf die Beine. „Na warte, Ash! Das hat ein Nachspiel! Das …“ In dem Moment ertönte ein lautes, steinernes Krachen, als die Decke über ihnen explodierte. In eine flammende Kugel mischten sich Sonnenstrahlen, und durch den Riss schwebte ein kleines Luftschiff. Darauf standen – sicher nur zur Show, da ein Stehplatz auf einem Mini-Zeppelin sicher alles andere als gemütlich ist – zwei zwielichtige Gestalten. Es waren ein Mann mit roten und eine Frau mit blauen Haaren. Sie trugen schwarze Kostüme mit einem grünen M auf der Brust. „Haha!“, lachte der Mann theatralisch. „Jetzt gibt’s Zoff!“ „Und gleich kommt noch härterer Stoff!“, fügte die Frau hinzu. „Kommt euch das nicht bekannt vor?“, murmelte Rocko. „Mhm“, meinte Ash. „In unser Joch den Planeten wir knechten!“, sagte der Mann. „Und die Idee unserer eigenen Nation stets verfechten!“, sagte die Frau. „Sie klingen wie Team Rocket, nur irgendwie … poetischer“, sagte Ash. „Wir scheißen auf Wahrheit und Liebe!“, rief der Mann aus. „Nur Macht befriedigt unsere Triebe!“, fügte die Frau hinzu. „Okay, vergesst, was ich gesagt habe“, brummte Ash. „Rüdiger!“ „Anneliese!“ Die beiden Witzfiguren führten eine Pose aus, die sie beinahe von ihrem Luftschiff fallen ließ, das beständig tiefer in die Kanalarena sank. „Team Missile, wir sind dermaßen schnell, dass wir drüben ankommen, noch bevor wir hier losgegangen sind!“ „Gebt lieber nicht auf, wir mögen’s, wenn man gegen uns kämpft. Kämpfend sind. Ist.“ Die beiden verharrten, sich an den Händen haltend, der Mann Rüdiger mit einer Stange Petersilie im Mund. Erwartungsvoll blickten die Pokémon-Trainer zu ihnen hoch. „Was ist?“, nuschelte Rüdiger. „Wir warten nur, ob da vielleicht noch was kommt“, sagte Ash. „Ein Mauzi oder so.“ „Wer zum Teufel seid ihr? Wie könnt ihr es wagen, unseren Kampf zu unterbrechen?“, schrie Gary wütend. Anneliese grinste und holte ihr Smartphone hervor. „Gerade weil ihr hier gekämpft habt, sind wir hergekommen.“ „Seid ihr ein Abklatsch von Team Rocket, oder was?“, fragte Ash. „Das sind unsere großen Vorbilder!“, jauchzte Anneliese wie ein hysterisches Fangirl. „Dann wollt ihr also auch Pikachu stehlen?“ Pikachu ließ ein empörtes „Pikachu“ hören. „Junge, Junge“, meinte Rüdiger kopfschüttelnd. „Die Welt dreht sich nicht nur um dein Pikachu.“ „Wir sind Pokémon-Run-Spieler“, erklärte Anneliese. „Pokémon-was?“, fragten Ash und Rocko wie aus einem Munde und Monika eine Sekunde später. „Pokémon-Run. Die neue Erweiterung für Pokémon-Go. Man fängt keine Pokémon mehr, sondern Pokémon-Trainer! Mein Smartphone hat mir angezeigt, dass Pokémon-Trainer in der Nähe sind, also haben wir die Kanalisation aufgesprengt.“ „Klar“, murmelte Ash. „Was man halt so macht, um ein Handyspiel zu spielen …“ „Das ist doch Blödsinn!“, fluchte Gary. „Ihr seid zwei dämliche Idioten, das ist alles! Magnetmehr, zeig’s ihnen!“ „Gary, lass es lieber, die sehen gefährlich aus“, warnte Ash. „Klappe! Du hast es oft genug bewiesen, oder? Dass, wenn man etwas nur genug unter Strom setzt, es irgendwann explodiert!“ „Oh, ähm … ja.“ Ash fiel keine Erwiderung ein. „Wir werden ja sehen, wer hier explodiert!“, rief Anneliese. „Los, Hannes!“ „Hannes?“, stieß Ash aus. „Mein Hamster hieß mal Hannes“, warf Monika ein. Ash sah sie finster an. „Was denn? Ich wusste zuerst nicht, dass es ‘n Weibchen ist.“ An der Kabine des Zeppelins schwang eine Tür auf, und ein muskulöser junger Mann mit einem tarzanähnlichen Lendenschurz schwang sich an einem Seil heraus. In der Hand hielt er einen großen Knochen – den Abmessungen nach sicher der ausgehöhlte Oberschenkelknochen eines Bisaflors. Damit drosch er auf Gary ein. „Hey, spinnst du?“, rief dieser. „Und schon haben wir dich!“ Rüdiger warf ein großes Fischernetz herab. Er erwischte zielgenau Gary, gerade als er stolperte und sich somit heillos in den Maschen verstrickte. Team Missile knotete das Seil, das an dem das Netz befestigt war, an den Zeppelin, und wie von allein stieg sich die Flugmaschine wieder höher. Hannes krallte die Finger ins Netz und ließ sich mit in die Höhe ziehen. „Der Typ sieht echt scharf aus mit den Muckis, ey“, schmachtete Pokémonika. „Och, ich finde, die Muskeln sind eher Durchschnitt“, meinte Ash. „Wenn ich jemals älter werde, bin ich sicher muskulöser.“ „Muskeln sind nicht so wichtig“, war Rocko überzeugt. „Wichtiger ist es, viel Charme zu haben. So wie ich.“ „Verdammt, hört auf zu reden und helft mir“, fluchte Gary. „Ash! Tu was!“ „Hm? Wieso?“ Ash pfiff unschuldig vor sich her. „Denk dir nix dabei“, meinte Monika abwinkend. „Manchmal ist er einfach ein Ash.“ „Würdest du bitte aufhören, meinen Namen als eigenständiges Schimpfwort zu benutzen?“, zischte Ash zornig. „Hey!“ Garys Stimme wurde leiser, als der Zeppelin durch das Loch in der Decke stieg. „Team Missile! Da unten stehen noch drei Pokémon-Trainer! Warum schnappt ihr die nicht auch?“ „Tut mir leid“, flötete Anneliese. „Wir haben mit dir schon sechs Trainer gefangen. Wir müssen erst mal wieder welche an unseren Computer daheim ketten, damit wir neue fangen können.“ Wie aufs Stichwort schauten noch vier weitere, eher spartanisch bekleidete Menschen aus der Zeppelinkabine und winkten fröhlich. „Keine Sorge, es wird dir bei uns gefallen“, meinte Rüdiger. „Unsere Pokémontrainer und wir, wir sind alles gute Freunde! Wir suchen später einen Namen für dich aus, dann melden wir dich für einen Schönheitswettbewerb an und danach darfst du dich mit den anderen Trainern schlagen.“ So wurde der zeternde Gary von einem dubiosen Team von Pokémontrainerdieben mit Zeppelin in einem Netz durch die Decke der neu entdeckten Kanalisation gezogen und ward nicht mehr gesehen. Noch Fragen? Eigentlich müsste dieser Twist vorhersehbar gewesen sein und keinen Raum für Fragen lassen. Nun, bei unseren Helden war es jedenfalls anders. „Was war bitte das gerade?“, sprach Ash aus, was sie alle dachten (Monika hatte übrigens zwar an das Gleiche gedacht, hätte es aber anders formuliert). „Ich weiß nicht. Ich wünschte, sie hätten mich statt Gary mitgenommen“, sagte Rocko. „Ich wäre gern Annelieses Sklave geworden.“ „La-la-la, ich will das gar nicht hören!“, sang Ash und hielt sich die Ohren zu. „Was machen wir wegen unserem komponierten Kanalpokémon?“, fragte Monika und deutete auf das Rohr mit dem Gullydeckel auf halber Höhe, das genauso nutzlos in der Gegend rumstand, wie es aussah. „Kombiniert heißt das“, sagte Ash müde. „Und … keine Ahnung. Es zurückrufen? Es wird sich schon wieder in seine Einzelteile auflösen.“ Er hielt aus reiner Routine den Pokédex in seine Richtung. „Kanalsystemteil. Eine kombinierte Form mehrerer Kanalpokémon. Es kann die Kraft mehrerer Kanalpokémon kanalisieren“, schnatterte die Stimme. „Wartet mal!“ Rocko schnippte mit den Fingern. „Ich habe plötzlich eine Idee. Ihr kennt doch die Prophezeiung von dem Kanalsystem, die die Forscher entdeckt haben.“ „Klar. Die auf der Steinplatte, richtig?“ „Nein, die auf der Schriftrolle!“ „Ist doch völlig egal, wo die drauf steht! Das scheint sich sowieso alle zwei Minuten zu ändern!“ Ashs Vorrat an Geduld war für dieses Abenteuer restlos erschöpft. „Es heißt, wenn das Kanalsystem besiegt ist, wird das Legendäre Lanak wie ein Phönix aus der Asche steigen.“ „Ja, und?“ „Das Kanalsystem! Es besteht aus lauter Pokémon, wie wir bereits festgestellt haben. Was, wenn die ganze Kanalisation in Wahrheit ein einziges, riesiges Pokémon ist, das sich aus mehreren Rohren und Kanaldeckeln und so weiter zusammengesetzt hat?“ „Uhh“, machte Ash und versuchte, seine Gänsehaut wegzurubbeln. „Das ist unheimlich.“ „Ich check mal wieder gar nix“, meinte Monika. „Kannste das auch für Doofies sagen?“ „Wenn Rocko recht hat, marschieren wir seit Tagen durch den Bauch eines riesigen Pokémons“, sagte Ash. „Oh. Boah, krass, hätt ich voll nicht gedacht, Alter.“ „Und das Kanalsystem zu besiegen, heißt …“, sagte Rocko und ließ die Zahnräder hinter Ashs Stirn die übrige Arbeit allein tun. „Wir müssen einfach alle Wände und den Boden und die Decke und einfach alles, was hier drin ist, beständig mit unseren Pokémon angreifen! Dann können wir das ganze Kanalsystem in einen Pokéball sperren!“ „Wow“, murmelte Monika. „Voll die arge Story, Alter. Das wird immer krasser. Dann haste das alles in ‘nem Pokéball, das ganze Abwasser und die ganze Schei…“ „Danke, es geht mir rein um die Prophezeiung“, sagte Ash, der sich wieder die Ohren zuhielt, ehe das Niveau unter den Meeresspiegel sank. „Mir gefällt die Idee, sinnlose Gewalt an einem altehrwürdigen Bauwerk auszuüben. Machen wir das!“ Und so forderten die drei Pokémon-Trainer das Kanalsystem heraus. In jedem Gang, Abwasserrohr oder Becken, durch das sie kamen, ließen sie die Attacken ihrer Pokémon gegen die Wände hämmern. Pikachu machte natürlich wieder am inbrünstigsten mit. Pokémonika spielte eine heroische Melodie auf ihrer Mundharmonika, die sie sich wie die Helden eines Actionfilms fühlen ließ, und als ihr die Puste ausging, fischte sie aus ihrem Rucksack eine kleine Ziehharmonika heraus und spielte einen flotten Marsch. War es Zufall oder Schicksal, weil sie tatsächlich dabei waren, die Kanalisation selbst zu besiegen? Jedenfalls erreichten sie bald einen großen, gemauerten Raum, den sie nur als das Herz des Kanalsystems bezeichnen konnten. Hier war es völlig trocken, und durch ein Gitter im Boden konnten sie auf ein riesiges Becken mit Pumpen und Rohren sehen, aus dem lautes, maschinelles Surren und Wasserrauschen kamen. Ash richtete den Pokédex darauf und musste die Lautstärke voll aufdrehen, um gegen den Krach etwas zu hören. „Abwasseraufbereitungsanlage. Das Kanalpokémon. Das am weitesten entwickelte Pokémon der Kanalregion. Nur das Legendäre Lanak ist seltener“, erklärte die russische Frauenstimme. „Was ist eigentlich so toll an diesem Lanak?“, schnaubte Monika. „Es ist das legendäre Pokémon dieser Region!“, erklärte Rocko. „Es heißt, dass es jede existierende Attacke beherrscht!“ „Oh“, meinte Pokémonika großäugig. „Das heißt, es kann alles?“ Ihr Gesicht hellte sich auf. „Ha! Habt ihr das gecheckt, Mann? Voll das geniale Wortspiel!“ Ash ignorierte sie. „Hier beginnt der letzte Akt“, sagte er bedeutungsschwanger. „Das da müssen wir besiegen und fangen. Diese Abwasseraufbereitungsanlage.“ „Also wie ist das jetzt, da unten wird das Abwasser ge-asht oder was?“, fragte Monika. „Du sollst meinen Namen nicht dauernd verwenden!“, schimpfte Ash. „Und außerdem ist das zweite Mittelwort von waschen gewaschen und nicht gewäscht!“ „Jaja, weiß ich doch.“ „Dann wollen wir mal?“, fragte Rocko, deutete auf eine kleine Treppe, die zur Anlage hinunterführte, und hatte schon wieder seine Pokébälle in der Hand. Eine Aktion wie diese wäre wohl einen Bericht in jedem Klatschblatt wert gewesen: Drei Jugendliche und ihre Pokémon verwüsten städtische Wasseraufbereitungsanlage. Und sie verwüsteten sie wirklich gründlich. Ash hatte eine Menge Wut abzubauen, Rocko hatte zu lang mit keiner Frau mehr geflirtet und musste seine ganzen aufgestauten Gefühle anderweitig loswerden und Monika fand es einfach lustig. Sie brauchten bis zum Abend – jedenfalls nahmen sie an, dass es langsam Abend wurde –, bis alles in Schutt und Ash lag, wie Monika betonte. Keuchend ließen sich die drei am Rand des Hauptbeckens nieder, das voller Trümmer war und das Wasser nun noch viel schmutziger entließ, als es hineingeflossen kam. „So, jetzt haben wir den ganzen Kanal voll geb-asht, Alter. Sollen wir versuchen, die Anlage jetzt einzufangen?“, schlug Monika schwer atmend vor. „Nein, warte noch …“, seufzte Ash erledigt. „Wir könnten sonst … meterweit abstürzen … oder mit eingesaugt werden … oder so …“ Er fühlte sich gar nicht gut. „Eigentlich müssen wir die Anlage gar nicht fangen“, sagte Rocko. „Es wäre zwar ein seltenes Pokémon, aber die Prophezeiung besagt, wir müssen die Kanalisation nur besiegen.“ „Mhm“, machte Ash kurzatmig. Er fühlte sich immer noch gar nicht gut. „Was hast du, Ash?“, fragte Monika. „Ich fühle mich gar nicht gut.“ „Hast du Hunger? Hier, iss ‘n Snickers“, bot sie ihm an. Tatsächlich rumorte es plötzlich in Ashs Eingeweiden. Er presste die Hände gegen den Bauch und stöhnte. Plötzlich kreischte Monika. „Iih! Ash! Da!“ Ash sah nach unten – und erstarrte. Sein Hemd war aufgerissen, sein Bauch wölbte sich … und dann ging alles ganz schnell. Um ekliges Horrorvokabular hier auszusparen, sei der Prozess ganz nüchtern und wissenschaftlich beschrieben: Der mittlere Teil vom Korpus des als Ash Ketchum bekannten Individuums öffnete sich und entließ in internes Subjekt in die Freiheit, das vage Ähnlichkeit mit einem Menschen hatte, allerdings anstelle von Haaren Federflaum bildete. Ash Ketchums Bewusstsein wurde während dieses Vorgangs auf nicht nachvollziehbare Weise in dieses Subjekt transferiert, während die Hülle seines vorherigen Bewusstseinsbehältnisses gemäß den Gesetzen der Physik den natürlichen Prozessen der Umwelt preisgegeben wurde, denen sämtliches nichtlebendiges Material unterliegt. So kann man diesen unglaublichen, übernatürlichen Vorgang wohl am besten beschreiben. „Iih!“, rief Pokémonika. „Ash hat sich vom Bauch ausgehend gehäutet!“ Oder so. „Was geht hier vor?“ Rocko war weiß wie die Wand. Das sah ungefähr ebenso witzig aus, wie wenn er ungläubig die Augen aufriss. „Das wüsste ich auch gern“, murmelte Ash und betrachtete seinen Körper. Er sah nicht viel anders aus als vorher, nur dass die feinen Härchen auf seiner Haut nun aussahen wie gelbe bis rötliche Federn. Sein Haupthaar war feuerrot geworden. Und bevor jemand fragt, ja, er trug Kleidung, und auch die war rot und gelb und orange und mit gleichfarbigen Federn verziert. „O mein Gott!“ Monika schlug sich mit den Händen gegen die Wangen, als sie begriff. „Ash! Alter! Du bist Lanak!“ „Hä?“ „Wir haben den Kanal besiegt“, murmelte Rocko. „Jetzt steigt der Phönix aus der Asche. Und Asche heißt übersetzt …“ „Ash, ich weiß!“, rief Ash entsetzt. „Aber was … Hey … Keiner hat mir gesagt, dass das wörtlich zu nehmen ist! Oder dass es um mich geht!“ „Mal wieder“, murmelte Rocko. „Ganz ehrlich, wundert es dich?“ „Ich seh aus wie ein Vogel!“ „Du bist ja auch ein Phönix“, gluckste Monika. „Darf ich nochmal ‘nen Pokéball auf dich werfen? Vielleicht kann ich dich ja diesmal fangen.“ „Das ist nicht witzig! Sehe ich etwa aus wie ein Pokémon?“ Er erstarrte. „Moment – bin ich jetzt etwa ein Pokémon?“ „Äh, ich glaube schon“, meinte Rocko und zuckte hilflos mit den Schultern. „Vielleicht ist das ja auch irgendein neues Phänomen der Kanal-Ära.“ „Da hat dich jemand ganz schön ver-asht“, grinste Monika. „Komm, probier‘s mal aus, ey! Ob du wirklich alle Attacken beherrschst und so, probier’s aus!“   Und Ash beherrschte sie wirklich. Fortan konnte er jede Pokémon-Attacke ausführen, die es gab oder die neu entdeckt wurde. Und die Freunde konnten endlich die Kanalisation verlassen, die nun nichts Neues mehr für sie bereit hielt, und gingen wahrscheinlich auch in die Geschichte ein. So endete das Abenteuer mit den Kanalpokémon. Ash konnte fortan persönlich an Pokémonkämpfen teilnehmen und sich seine Arenaorden selbst verdienen. Kurz darauf hängte er sein Dasein als Pokémontrainer an den Nagel, weil er dahinterkam, wie sehr es wehtat, einen Furienschlag abzukriegen. Oder einen Hyperstrahl. Stattdessen machte er sich auf die Jagd nach dem immer gefährlicher werdenden Team Missile, denn er war Trainer und Pokémon zugleich und somit der würdigste Gegner für das schrille Duo. Aber das ist eine andere Geschichte, die zudem nie das Licht der Welt erblicken wird.   ENDE. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)