Vertauscht von lullulalla (Vertauschte Welten) ================================================================================ Kapitel 6: Eine weitere Chance ------------------------------ Eine weitere Chance AKEMI Es war morgen und die Sonne schien hell und strahlend durch das Fenster. Ich befand mich im Krankenhaus und lag alleine in meinem Zimmer. Noch wusste niemand, dass ich wach war. Vor zwei Tagen war ich wieder zu mir gekommen und es war etwas sehr merkwürdiges passiert. Ich konnte es nicht einmal wirklich beschreiben. Ich hatte es dem jungen Mann erzählt. Sein Name war Tai. Aber er hatte mich nicht verstanden. Er meinte, ich rede wirres Zeug. Niemand wollte mir glauben. Weder er, noch die Eltern von Tai, noch der Doktor, obwohl er verständnisvoll genickt hatte. Doch ich wusste, dass er mir in Wahrheit nicht glaubte. Niemand glaubte mir, dass ich nicht Kari war. Kari war tot. Aber keiner wollte mir dies abnehmen. Ich wusste genau, wer Kari war. Kari war das Mädchen, welches mich retten wollte. Doch irgendwie hatte ihr Körper überlebt und ich befand mich in ihrem. Ich erinnerte mich an dem Ort, wo ich mich noch vor einiger Zeit befand. In dem Nichts, der Hölle, und dort hatte ich mir von Herzen gewünscht wieder leben zu wollen. Und anscheinend hatte es geklappt. Ich war klug genug, um zu wissen, dass das nicht möglich war, aber entweder war ich verrückt geworden oder es war tatsächlich passiert. Ich war in Hikari Yagamis Körper. Vielleicht war ihre Seele durch meine ersetzt worden, doch das war unmöglich. Schließlich hatte auch ich einen eigenen Körper, irgendwo da draußen. Was war mit meinem Körper passiert? Wo war ICH? War mein Körper etwa gestorben? War das vielleicht eine Erklärung für die ganze Sache? Es klopfte an der Tür. „Entschuldige bitte. Habe ich dich geweckt?“ Die Krankenschwester, die mich betreute, betrat das Zimmer und lächelte mich freundlich an. Ich schüttelte den Kopf. Sie blickte mich noch einmal verständnisvoll an, ehe sie zum Fenster hinüberging, um sie zu öffnen. „Heute ist ein wirklich wunderschöner Tag, nicht wahr?“, sagte sie. Ich erwiderte nichts darauf, sondern schaute sie nur stumm an. Sie lächelte wieder. „Dein Bruder wartet draußen. Möchtest du ihn sehen?“ Ich blinzelte. Tai war hier? „Ich hole ihn, ist das in Ordnung?“, fragte sie, immer noch sehr vorsichtig. Leicht nickte ich und sie ging hinaus. Ich schaute auf das offene Fenster und schließlich auf das Fensterglas, worin sich mein Gesicht spiegelte. Beziehungsweise das Gesicht von Kari. Kari war ein ausgesprochen hübsches Mädchen. Keine Schönheit, aber es war ein Gesicht, in das man gerne hineinschaute. Sie hatte freundliche haselnussbraune Augen und ihre ebenso braunen Haare reichten ihr bis zu ihren Schultern. Sie schien älter zu sein als ich. Vielleicht zwei, drei Jahre mehr? Wieder klopfte es an der Tür und neben der Krankenschwester stand nun auch Tai. Karis Bruder. „Hey, Kari.“, begrüßte er mich und lächelte zaghaft. Ich lächelte leicht zurück und blickte dann auf meine Hände. Plötzlich erinnerte ich mich wieder daran, wie verstört er gewesen war, als ich ihm gesagt hatte, dass Kari tot war… „Wie geht’s dir so?“, fragte er mich dann und versuchte dabei fröhlich zu klingen. „Heute ist Sonntag! Und was für einer! Echt schönes Wetter, nicht wahr? Ich glaube, bald ist es warm genug und wir können mit den anderen an den Strand gehen!“ Er setzte sich ans Bett und schaute dabei aus dem Fenster. „Mama und Paps kommen später auch noch, aber ich bin etwas früher gekommen, weil ich dachte, du langweilst dich vielleicht?“ Er grinste mich an und ich schaute wieder in seine Augen. Sein Blick wurde wieder etwas trüb, ehe er dann schnell den Kopf schüttelte. „Hast du denn gut geschlafen? Ich wette, wenn du erst einmal wieder zu Hause bist, wirst du richtig ausschlafen können als in diesem Gestell von einem Bett. Ist bestimmt total ungemütlich hier…“ Plötzlich verstummte er. Anscheinend dachte er wohl nach, was er als nächstes sagen konnte. „Der Arzt meinte, dass das möglich ist. Nach einem Kopfsturz…es kann durchaus passieren, dass man eine leichte Amnesie hat. Wir müssen dir nur vieles aus deiner vertrauten Umgebung zeigen, dein Zuhause, deine Freunde… Ach ja, T.K. möchte dich auch unbedingt besuchen! Er konnte dich ja nicht sehen seit du wieder wach bist. Aber der blöde Arzt wollte nach deinem Aufwachen, dass dich niemand anderes besucht als die Familie. Du weißt gar nicht, wie sauer T.K. darüber war.“, redete er weiter. „Ich hab ihm gesagt, er könne dich besuchen, sobald du wieder zu Hause bist.“ Anscheinend wartete er auf eine Reaktion von mir, weshalb ich nur stumm nickte. Ich wusste nicht, wer dieser T.K. war. Es kam mir aber so vor, als hätte ich diesen Namen schon einmal gehört. Überhaupt kannte ich niemanden in meiner Umgebung, außer dass der junge Mann vor mir Karis Bruder war und es einen Jungen gab, der T.K. hieß und wohl ein Freund von ihr war. „Ist schon okay. Du bist noch durcheinander, das versteh ich schon.“ „Danke…“, flüsterte ich. Er hob seine Hand, um meinen Kopf zu tätscheln, doch ich zuckte unter dieser Geste zusammen, sodass er bei seiner Bewegung inne hielt. Entschuldigend blickte ich ihn an und ich konnte in seinen Augen eine Furcht erkennen, die er zu verstecken versuchte. Sicher hatte er Angst. Angst davor, dass Kari nie mehr so sein wird, wie sie mal war. Dass sie wirklich alles vergessen hatte. Ich wollte ihm nicht den Schmerz geben und ihm sagen, dass es noch schlimmer war, als das. Dass Kari…tot war. Dass es nie wieder eine Kari geben würde und sie vor sich nur ihre Hülle sahen. Mit einer fremden Seele darin. Später kamen seine Eltern und holten uns ab. Der Arzt warnte sie davor, dass ihre Tochter noch nicht zur Schule gehen sollte, erst ein paar Tage später, wenn sie sich ausgeruht hat. „Zeigen Sie ihr die Umgebung und erzählen Sie ihr von Erlebnissen, die sie hatte. Das fällt ihr leichter sich an ihr Leben zu erinnern.“, erklärte der Arzt ihnen. „Aber was passiert, wenn…wenn nicht?“, wollte Karis Mutter besorgt wissen und klammerte sich am Arm ihres Mannes fest. „Dann kommen Sie am besten wieder. Wenn sich Kari trotzdem nicht erinnert, werden wir schauen, was wir für sie tun können.“ Karis Vater nickte und beide Elternteile schauten mich besorgt an. Ich tat so, als hätte ich nichts gehört und blickte auf den weißen Boden. „Wir gehen jetzt am Besten nach Hause.“, erklärte Tai schließlich und alle nickten. „Na komm, Kari. Auf nach Hause.“ Karis Mutter legte mir fast beschützend den Arm um die Schultern und reflexartig verkrampfte ich mich. An solch einer Berührung war ich nicht gewöhnt. Zum Glück aber bemerkte sie es nicht. ——— Es war mitten in der Nacht und noch immer fand ich keinen Schlaf. Ich befand mich in Karis Zimmer, in ihrem Bett und alles, wirklich alles, roch nach einer fremden Person. Ich hatte noch nie in einem fremden Bett geschlafen. Noch immer war ich angespannt und konnte, oder wollte die ganze Situation nicht wirklich begreifen. Da waren die Eltern, die sich so lieb und fürsorglich um mich gekümmert hatten. So etwas kannte ich nicht und es war für mich etwas ganz neues gewesen. Wie lieb mich Karis Mutter angeblickt hatte… Ich schluckte und versuchte plötzlich die Welle von Tränen, die in mir aufstieg, aufzuhalten. War das vielleicht die Liebe, die eine Mutter ihrem Kind gab? Ich dachte an meine eigene Mutter nach, die sich nur einen Dreck um mich gekümmert hatte. Ich konnte mich nicht erinnern, jemals so von meiner Mutter angeschaut zu werden. Nicht einmal ansatzweise. Immer war ich im Weg und sie ließ mich das auch spüren. Mein Vater ignorierte mich völlig und lebte nur für seine Arbeit. Er war so selten zu Hause, dass ich ihn manchmal über Wochen nicht sah. Ein leises Schluchzen drang aus meiner Kehle und ich presste mir die Hand fest auf den Mund. Hätte ich ein Leben wie das von Kari gehabt, wie anders würde mein Leben bloß aussehen? Wie schön würde es gewesen sein? Plötzlich kam mir ein Gedanke auf und ich erschrak. Nein, so darfst du niemals denken!!, dachte ich. Doch der Gedanke festigte sich und ich konnte ihn nicht mehr aufhalten. „Kari ist tot. Und du bist jetzt in ihrem Körper. Möchtest du nicht das Beste daraus machen?“ Niemand würde je erfahren, dass Kari verschwunden war. Und niemand wusste, dass eine andere Person in ihrem Körper war. Jeder dachte, dass sie sich nicht mehr an ihr Leben erinnert. Wäre das dann nicht meine Chance ein neues Leben anzufangen und meine Vergangenheit hinter mich zu lassen…? Ich fing an zu zittern und mein Atem beschleunigte sich. A-Aber das konnte ich nicht tun…! Es war Karis Leben! Es war ihre Familie! Ihre Freunde! Sie hatte sich das alles aufgebaut und ich…ich sollte es ihr einfach so wegnehmen? Das durfte ich nicht… Das war nicht fair gegenüber Kari, die mein Leben retten wollte!! „Sie hat sich für dich geopfert, um dich zu retten. Das bedeutet doch, dass du leben sollst. Auch wenn es dann heißt, Karis Leben zu übernehmen.“ Das stimmte. Sie kannte mich nicht und sie hatte aus freiem Willen einer fremden Person helfen wollen. Und wenn ich jetzt ihr Leben übernehmen würde, dann würde ich für einen Teil auch für Kari leben. „Liebe Kari…Würdest…würdest du das erlauben? Darf ich leben?“, flüsterte ich und starrte an die Decke. Natürlich bekam ich keine Antwort. Ich hatte auch keine erwartet, es war eher eine rhetorische Frage an mich selbst, die ich ebenfalls nicht beantworten würde. Doch eines musste ich mir eingestehen: Ich war in Karis Körper und würde wohl auch in ihrem bleiben. Kari war tot. Ihr Leben lag nun in meinen Händen. Ja. Ich würde ihr Leben weiterleben um ihretwillen, aber auch um meinetwegen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)