When I was your woman von myamemo ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Meine Beine zittern. Ich stehe nur aufrecht, weil die Massen hinter mir mich nach vorn drücken, an die Absperrung, die vor einem Graben steht, welcher die Bühne abtrennt. Meine Hände sind krampfhaft um das metallene Geländer geschlungen und meine Fingerknöchel treten weiß hervor. Hätte ich das Geländer nicht, ich würde schon längst auf meinem Po sitzen und sicherlich von den Massen um mich herum zertrampelt werden. Seit knapp einer halben Stunde stehe ich nun schon hier und frage mich, wie ich es überhaupt bis in die erste Reihe geschafft habe, dabei habe ich es nicht mal darauf angelegt. Wie in Trance bin ich durch den Eingang und Sicherheitskontrollen gelaufen, einen Fuß vor den anderen und dann stand ich einfach hier. Genau in der Mitte der riesigen Konzerthalle, genau vor dem riesigen Podest. Wenn ich nur an das Bevorstehende denke, wird mir ganz anders und mein Herz beginnt zu flattern. Mein Puls beschleunigt sich und meine Sicht verschwimmt kurz. Scheinbar war ich wirklich geistig um nächtigt, als ich diese Konzertkarte gekauft habe. Nein, das ist so nicht ganz richtig. Schon oft habe ich so einen Fetzen Papier in der Hand gehalten und war vor der dazugehörigen Halle gestanden. Doch immer wieder habe ich meinen obligatorischen Schwanz eingezogen und bin unverrichteter Dinge gegangen. Doch heute habe ich es geschafft und nun stehe ich hier. Das Stimmengewirr um mich herum wird immer lauter und der Druck von hinten immer stärker. Keine Ahnung ob ich es bis zum Ende durchhalten werde, doch ich muss dich ein letztes Mal sehen. Ein letztes Mal um endlich mit der Sache abzuschließen. Ich möchte die Reue endlich nicht mehr spüren. Die Reue, die ich verspüre, seit dem wir uns das letzte Mal gegenüber gestanden haben. Plötzlich geht das Licht aus und ich werde mit immenser Wucht gegen die Absperrung gedrückt. Keuchend entweicht mir die Luft aus den Lungen und für den ersten Moment habe ich das Gefühl gleich ersticken zu müssen. Meine Bewegungsfreiheit ist komplett eingeschränkt und das Geschrei um mich herum lässt mir beinahe die Trommelfelle zerspringen. Dann setzt laute Musik ein und die Massen hinter mir rasten beinahe komplett aus. Oft habe ich solche Szenen schon gesehen. Gemütlich von meiner Couch aus, im Fernsehen. Ich hätte wirklich nie gedacht, dass es tatsächlich so brutal zugeht. Brutal und ohne Rücksicht auf Verluste. Erneut wird mir die Luft aus meinem Körper gepresst und ich werde später nur so von Hämatomen übersät sein. Immer enger wird es und als ich meinen Blick hebe, weiß ich auch warum. Nach und nach kommen die Männer auf die Bühne. Einer nach dem anderen. Erfreut über die vielen Menschen schauen sie sich um, begeben sich zu ihren Instrumenten, legen sie sich um und beginnen dann schon die ersten Töne zu spielen. Mehr als drei Akkorde bekomme ich selbst allerdings nicht mit, denn dann sehe ich dich. Geschmeidig läufst du auf die Bühne, ganz lässig gekleidet mit schwarzer Hose und Lederjacke. Eine Sonnenbrille thront auf deiner Nase und die Haare stehen dir blond vom Kopf ab. Gebannt starre ich einfach nur auf dich, den Mann vor mir, der sich von Sekunde zu Sekunde immer mehr in seiner Musik verliert. Ich erkenne den Schmerz in deiner Stimme, in deiner ganzen Körperhaltung und sofort werde ich von meiner Reue beinahe in die Knie gezwungen. Einzig die Massen um mich herum halten mich vom Umfallen ab, da man hier regelrecht eingekeilt ist. Mit jedem weiteren Lied zieht es mir mein Herz immer weiter zusammen und ich kann deine Verzweiflung immer mehr spüren und es bringt mich beinahe um, aber kein Wunder, bei dem Scheiß, den du schon durchmachen musstest. Du glaubst gar nicht, wie sehr ich mich schäme, dass ich dich damals immer wieder versucht habe zu einer Entscheidung zu drängen. Fast hätte ich dich auch soweit gehabt, doch dein Traum war dir wichtiger, deine Liebe zur Musik viel stärker als zu mir. Und dann war noch er. Ihr wart Freunde. Ganz am Anfang hat er dir mit der Musik geholfen, er hat dir die ersten Türen geöffnet. Dein Erfolg mit deiner Band wurde immer größer, du immer populärer. Die Eifersucht aber immer stärker. Bei deinem Freund, aber auch bei mir. Ich konnte damals einfach nicht nachvollziehen, warum du nicht dein Leben immer mit mir verbringen wolltest? Warum du dieses ewige Herumgereise, den Stress, mir vorziehst? Ich konnte es immer weniger ertragen wie du von den ganzen willigen Weibern von Mal zu Mal mehr angehimmelt wurdest. Zwar bin ich heute davon überzeugt, dass dir das damals gar nicht so aufgefallen ist, aber mir ist es aufgefallen, mir und deinem besten Freund. Dadurch, dass du immer mehr unterwegs warst, sahen wir uns weniger und auch deinem Freund wurmte es immer mehr. Wir trafen uns ziemlich oft und jedes Mal war da mehr Hass als Freude in seinen Augen zu erkennen, bis bei ihm die Sicherungen durchbrannten. Ich weiß noch ganz genau warum: ihr hattet spontan einen Auftritt angeboten bekommen und anstatt lieber die Zeit mit deinem Freund auf dessen Geburtstag zu verbringen, hast du dich für deine Band und in dieser Sekunde gegen uns entschieden. Da zerbrach in mir die Vorstellung mit dir meine Zukunft zu verbringen. Wir hatten oft über heiraten und Kinder gesprochen. Also genau genommen habe ich oft davon gesprochen. Du hast es dir immer nur mit gequältem Ausdruck im Gesicht angehört. Ganz genau habe ich immer gesehen, wie du dir deine Zukunft definitiv nicht so vorgestellt hast, doch ich wollte dich in diese Rolle drängen, dir meine Wünsche aufdrängen und ich dumme Kuh habe nie bemerkt, dass ich dich damit immer weiter von mir weggestoßen habe. Rasend vor Wut und zerfressen von Eifersucht begann dein ehemals bester Freund Dinge über dich zu erzählen. Er rief dich nachts an, legte wieder auf, sobald du den Hörer abgenommen hast und bestellte dich an Orte, nur um dich an der Nase herum zu führen, da er nie zu euren vereinbarten Treffen gekommen war. Und ich dumme Kuh habe es zugelassen und mich auf seine Seite begeben. Von ihm fühlte ich mich verstanden, da es ihm genauso erging. Da er ebenfalls nicht verstehen konnte, warum die Band dir wichtiger sein konnte, dass das nun dein Leben war. Wie konnte ich damals nur so blöd sein? Selbstverständlich hast du es irgendwann mal spitz gekriegt, da er immer fahriger mit seinen Spielchen wurde, und du hast ihn zur Rede gestellt. Mit jedem Wort, was er dir dabei aus reiner Eifersucht, aus blindem Hass entgegen geschleudert hat, bis du innerlich immer mehr zerrissen. Du konntest nicht glauben, dass du dich so sehr in ihm getäuscht haben sollst und auch in mir. Der letzte Blick, den du mir damals, vor knapp zwanzig Jahren zugeworfen hast, war voll von Abscheu und Verachtung und ich weiß, wir haben es verdient, auch wenn ich es damals noch nicht verstanden habe. Doch mit jedem Tag mehr habe ich es bereut. Ich hätte dich von Anfang an unterstützen sollen. Ich hätte an dich glauben sollen. Nun ist es zu spät und ich weiß genau, dass du nun unerreichbar für mich bist. Ein hoher Schrei lässt mich seit langem wieder den Blick heben. Die Halle ist in rotes Licht getaucht und du liegst direkt vor mir, auf dem Podest. Das Mikrofon liegt auf der Box, steht etwas über und du liegst beinahe drauf. Deine Lippen kleben an dem Mikrofonkopf und du gibst die seltsamsten Laute von dir. Deine Arme bewegen sich mit deinen Geräuschen und wie gebannt starre ich dich einfach nur an. Der Schweiß glänzt auf deinem Körper und lässt deine Tattoos noch mehr hervorstechen, während ich mich gleichzeitig frage, wann du dir überhaupt die Jacke ausgezogen hast? Ich kenne dich nur komplett ohne Tattoos und egal wie sehr ich darüber nachdenke, damals hattest du überhaupt keine Avancen für solche Körperkunst. Mit dem Verlassen deiner Heimatstadt hast du scheinbar nicht nur mit uns abgeschlossen, sondern auch mit dir selbst. Du warst wie vom Erdboden verschluckt und deine damalige Band gab es von jetzt auf gleich nicht mehr, mit dir war auch sie verschwunden. Einige Jahre waren vergangen, ich hatte es beinahe geschafft dich aus meinem Kopf zu bekommen, als du plötzlich in einer Zeitschrift vor mir lagst. Bewusst hatte ich immer Dinge vermieden, die mit Musik zu tun hatten, doch dann wurde ich übermütig und habe mich von dem Titelblatt verführen lassen. Wer damals das Cover zierte weiß ich nicht mehr. Aber ich kann mich noch ganz genau daran erinnern, wer auf Seite dreißig war. Nämlich du. Das Interview, welches dazu gehörte, habe ich regelrecht verschlungen und ich war zu tiefst enttäuscht, dass du nur ein einziges Mal auf eine Frage geantwortet hattest, den Rest hatten deine heutigen Bandkollegen übernommen. Seit dem kam ich nicht mehr von dir weg und ich habe jede Neuigkeit von dir und deiner Band verfolgt. Doch die Reue blieb und wurde wieder stärker. Ein Ellenbogen trifft mich schmerzhaft im Nacken und ich stöhne auf. Kontinuierlich werde ich wieder immer mehr gegen das Geländer gedrückt und die Massen um mich herum springen und singen lautstark mit. Die Stimmung ist mit einem Mal so ansteckend, dass mein Fuß nun selbst beginnt mit zu wippen und davon fasziniert hebe ich meinen Blick. Genau vor mir stehst du. Auf mysteriöse Weise ist dein weißes Muskelshirt auch noch abhanden gekommen und ich kann einfach nur noch mit offenem Mund dich anstarren. Es ist wahrlich etwas anderes, wenn man von dir halbnackte Bilder betrachtet, oder ob du wenig bekleidet vor einem stehst. Das wirre Licht fängt jeden wohldefinierten Muskel deines Six-Packs ein und lässt den Tiger auf der Hüfte tanzen, so dass man das Gefühl bekommt, er würde jeden Moment von deiner Hüfte springen und einen anfallen. Du hast eine Hand in die Stirn gelegt, schaust in die Menge, stachelst damit die Meute an und deine Augen strahlen so sehr, wie ich es zuvor noch nie bei dir gesehen habe. Mit einem verschmitzten Grinsen drehst du dich um, springst von der Box, ehe du das Mikrofon wieder an deine Lippen hebst und mit voller Energie die letzten Zeilen des Liedes von dir gibst. Deine Band spielt die letzten Akkorde des aktuellen Liedes aus, während du noch einmal wie ein Wirbelwind über die Bühne fegst. Zum Schluss springst du auf dein Podest zurück, schaust in die Menge, klatschst und linst zu deinen Kollegen, die sich um dich herum versammelt haben und genauso kaputt aber unendlich glücklich aussehen, genau wie du. Unwillkürlich muss ich daran denken, dass du ohne uns wohl nie auf dieser Bühne stehen würdest. Vielleicht wärst du noch immer in Kyoto, würdest mit deiner damaligen Band durch die Clubs ziehen. Vielleicht wärst du auch ein langweiliger Büroarbeiter geworden. Vielleicht wären wir sogar noch zusammen. Man weiß es nicht, aber eines weiß ich ganz sicher: Du wärst auf keinen Fall so glücklich wie du es jetzt bist, denn das ist das, was du machen willst, für was du lebst. Ein letztes Mal hebst du das Mikrofon an deine Lippen und du holst kurz Luft, fährst dir über dein Gesicht, lächelst dankbar, schaust in die ersten Reihen und mein Herz setzt einen Schlag aus, als deine tiefbraunen, strahlenden Augen für eine Millisekunde meine treffen. "Mata na.", raunst du, lässt das Mikrofon fallen und verlässt mit großen Schritten die Bühne und damit auch mein Leben. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)