Schwarzer Komet von Yosephia (Drachengesang und Sternentanz - Teil 1) ================================================================================ Kapitel 32: Die Straßen, die leer waren --------------------------------------- Jadestadt war eine Planstadt. Die erste der wenigen in Fiore, die Lyon betrat, und die berühmteste. Selbst für ihn, der sich nicht einmal ansatzweise so umfangreich mit der fiorianischen Geschichte beschäftigt hatte wie Lucy und Levy, war die Gründungsgeschichte des südlichsten Fürstentums wohlbekannt. Im Vergleich zu den anderen Fürstentümern Fiores war Jadestadt blutjung, gerade einmal ein Jahrhundert alt. Damals hatte ein gewitzter Bergbaumeister hier unter der schlichten Sandsteinschicht einer größeren Felsinsel eine Ader mit grünem Marmor gefunden – ein Novum in der Welt der Steinmetze, das sich sofort größter Beliebtheit in Fiores Fürstentümern erfreut hatte. Der Meister hatte ihn Jademarmor genannt und von der Unsterblichen Kaiserin die Genehmigung für eine neue Stadtgründung rund um den Steinbruch mit dem kostbaren Gestein erhalten, die den Kern eines neuen Fürstentums darstellen sollte, das den westlichen Teil der Stillen Wüste vor Boscos damals so gierigen Ambitionen schützen sollte. Und es war eine Bergbaustadt eines völlig neuen Typs entstanden. Alles war von Anfang an einer Planung unterworfen worden, die erst eine Generation nach dem Tod des Meisters vollendet worden war: Eine Stadt, die so wehrhaft wie Crocus oder Sabertooth war und in jedweden Belangen für das Wohl ihrer Bewohner sorgte, auf deren harter Arbeit der immense Reichtum der Stadt fußte. Die Straßen waren hier schnurgerade und eindeutig nach einem Raster angelegt, die Gebäude ihnen angepasst, nicht umgekehrt, wie es sonst für Städte üblich war, die im Verlauf der Geschichte heran gewachsen waren. Die Gebäude waren allesamt aus Sandstein, die Dächer mit Tonziegeln bedeckt. Holzbauten sah man hier nirgends. Es gab Latrinenhäuser, die größer und solider waren als so manches Wohngebäude in Crocus. Selbst die verwaisten Marktstände entlang der Straße, auf denen nun Früchte, Fleisch und Gebäck verdarben, waren aus Stein errichtet. Das alles hätte einen lieblosen, militärisch anmutenden Eindruck gemacht, doch die Bewohner hatten den Gebäuden ihren eigenen Charme verliehen. Eingemeißelte Namensplaketten und Verzierungen über oder neben den Türen und Fenstern, bunte Sonnensegel, Werbeschilder, Blumenkästen auf den Fensterbrettern, kindliche, gelegentlich auch mal wirklich künstlerische Malereien an den Wänden… Das hier war eine lebendige, fröhliche Stadt mit Bewohnern, die stolz auf ihre Heimat waren. Oder sie war es zumindest gewesen. Sein dem gestrigen Nachmittag war Lyon mit Meredy in der verlassenen Stadt unterwegs. Sie hatten sich von der Mauer aus langsam durch die Straßen gearbeitet, aber bei Anbruch der Nacht hatten sie sich in ein Stofflager zurückgezogen, um sich auszuruhen, aber obwohl sie abwechselnd Wache gehalten hatten, hatte keiner von ihnen sich erholen können und sie waren noch vor der Morgendämmerung wieder aufgebrochen. Während er Meredy nun von Schatten zu Schatten folgte, erschauderte Lyon immer wieder beim Anblick der verwaisten Straßen. Karren standen herrenlos mitten im Weg, die Auslagen einiger Stände waren achtlos herunter gestoßen worden. Alles sah ganz so aus, als wäre es in einem Moment noch völlig normal verwendet und dann einfach vergessen worden, sogar Geld und kleine Waffen, wie Privatleute sie oft zum Schutz trugen, lagen unbeachtet auf dem Boden herum. Aus den Latrinenhäusern stank es entsetzlich, wohl weil sie seit Einnahme der Stadt nicht mehr gespült worden waren. Aus einem langgestreckten Stallgebäude drangen der Geruch von Verwesung und das müde Ächzen verhungernder Tiere. Das Summen der unzähligen Fliegen und das Krächzen der verschiedenen Vögel, die sich am verderbenden Essen der Menschen gütlich taten, waren in der Totenstille beinahe Ohren betäubend. Von den gut siebentausend Einwohnern der Stadt fanden sie zunächst keine Spur, aber Meredy ging äußerst akribisch und vorsichtig vor. Sie durchsuchten jedes einzelne Gebäude und waren dabei um völlige Lautlosigkeit bemüht. Irgendwie schaffte Meredy es dabei immer wieder, offene Wege zu vermeiden, selbst wenn sie auf die andere Straßenseite mussten. Meredy war die geborene Assassine und Lyon fragte sich unwillkürlich, warum ihm das früher nie aufgefallen war, selbst als sie ihm ihre wahre Aufgabe verraten hatte. Das gehörte wohl zu einem guten Assassinen dazu, dass man ihm eben das nicht zutraute. Ob im Kreis ihrer Freunde, bei den Manöverübungen der Armee oder bei offiziellen Anlässen bei Hofe, Meredy passte sich den jeweiligen Gegebenheiten mühelos an. Früher hätte Lyon deswegen wohl gezweifelt, ob er die echte Meredy überhaupt kannte, aber heute erinnerte er sich nur zu gut an den Schmerz in ihren Augen und das Zittern in ihrer Stimme, als sie ihm vom Verlust ihrer Heimat erzählt hatte. Er erinnerte sich an ihre Blicke und Berührungen, wenn sie alleine gewesen waren, an zitternde Finger in seinen... Nein, es gab keinen Grund, an Meredy zu zweifeln. Sie war eine Assassine, aber sie war auch die Frau, für die Lyon einen Eispilz bauen wollte… In einer Schreinerwerkstatt suchten sie Schutz, um zu rasten, und Meredy zog einen Bogen Papier und ein Stück Kohle heran, um einen Grundriss von Jadestadt aufzuzeichnen. Sie hielt kein einziges Mal zum Nachdenken inne, als würde sie schon seit vielen Zyklen durch die hiesigen Straßen wandeln. Lyon ging jede Wette ein, dass seine Freundin genauso gut einen Plan von jeder anderen bedeutenden Stadt in Fiore zu Papier bringen könnte. „Wir sind hier“, erklärte Meredy und deutete ohne Zögern auf einen Punkt in der südöstlichen Ecke der Stadt. Dann umkreiste sie ein Gebiet, das Lyon als jenes zu erkennen meinte, welches er und Meredy bisher durchsucht hatten. „Das hier ist vor allem ein reines Wohnviertel. Bei der Planung der Stadt hat man versucht, die Zivilisten von der Seite fernzuhalten, die Bosco zugewandt ist.“ „Das ergibt Sinn. Wenn die Zivilisten bei einer Evakuierung die Tore im Osten und Nordosten nehmen, bewegen sie sich direkt auf Sabertooth zu“, murmelte Lyon und war unwillkürlich beeindruckt von der vorausschauenden Bauweise der Stadt. „Genau. Im Westen liegt die Kaserne mit allem, was dazu gehört. Mehrere Stallungen, Waffenlager, das Spital, die Zeughäuser, die Verwaltung…“ Während sie sprach, füllte Meredy die Karte weiter aus. Schließlich wanderte ihre Hand zum Norden der Stadt. „Nördlich der Stadt liegen mehrere Steinbrüche und Minen. Direkt im Nordviertel selbst liegt auch der Steinbruch für den Jademarmor. Deshalb beherbergt das Nordviertel lauter Werkstätten und Lager.“ „Um also möglichst viele der Einwohner an einem Ort fest zu halten, bieten sich die Lager oder die Kaserne an“, schlussfolgerte Lyon. Wieder nickte Meredy, ehe sie fortfuhr. „Um die gesamte Stadt im Auge zu behalten, ist der Turm am besten geeignet.“ Sie deutete auf das Zentrum der Stadt. „Er ist groß genug. Von seiner Spitze aus sieht man sogar die boscanischen Hochebenen.“ Überrascht blickte Lyon von der Karte auf. „Du warst im Jadeturm?“ Die einzige Antwort war ein feines Lächeln, ehe Meredy mit ihren Ausführungen fortfuhr: „Wenn wir die wahrscheinlich gefangenen Stadtbewohner suchen, sollten wir erst ins West- und dann ins Nordviertel gehen. Wenn wir die Dämonen von Tartaros suchen, empfiehlt sich der Turm.“ Grübelnd blickte Lyon auf den Plan hinunter. Sie hatten hier die Wahl, ob sie vielleicht die Gefangene retten oder den Feind ausspionieren sollten. Beides barg seine eigenen Gefahren. Für den Kriegsverlauf waren die Informationen wichtiger – ein Gedanke, der Lyon absolut nicht behagte, der aber schlicht und einfach logisch war –, aber diese Informationen ließen sich unter Umständen auch durch die Befreiung der Gefangenen gewinnen. „Davon ausgehend, dass sie ähnlich scharfe Sinne wie die Drachenreiter haben, könntest du dich vor Ohren und Nase eines Dämons verbergen?“, fragte Lyon. „Ich hatte bisher keine Gelegenheit, es mit Dämonen oder Drachenreitern auszuprobieren, aber an Wachhunden komme ich immer problemlos vorbei, ohne dass sie sich rühren“, erwiderte Meredy und runzelte skeptisch die Stirn. „Aber das kann ich dir nicht so ohne Weiteres beibringen.“ „Für irgendetwas müssen die vielen Nächte, die du nicht bei mir warst, ja gut gewesen sein“, stellte Lyon trocken fest. Er war erleichtert, als über die Lippen seiner Freundin ein Lächeln huschte. Ob seiner eigenen Sorge und Trauer war es ihm nicht sofort aufgefallen, aber seit ihrer Entdeckung des zerstörten Dorfes war Meredy härter geworden und erinnerte ihn wieder mehr an jenes misstrauische Mädchen, das er vor so vielen Jahren am Kaiserlichen Hofe kennen gelernt hatte. Umso dankbarer war er für jedes aufrichtige Lächeln und Funkeln in den wunderschönen grünen Augen. „Ich dachte daran, alleine weiter zur Kaserne zu gehen, während du zum Turm gehst“, erklärte er schließlich wieder ernst. Als er den Widerwillen durch Meredys Maske hindurch brechen sah, beeilte er sich, seine Gedanken zu erklären. „Ich kann dich im Turm nicht unterstützen, wir müssten uns so oder so trennen, damit die Mission ein Erfolg wird.“ „Warum bist du dann überhaupt mit hierher gekommen?“, warf sie ihm vor. „Du hättest bei Gray bleiben sollen!“ Vorsichtig beugte Lyon sich vor und legte eine Hand auf die makellose Wange seiner Freundin. Sie erzitterte unter der Berührung, kämpfte offensichtlich gegen ihre Ängste an. Ihre grünen Augen flackerten. „Es war vielleicht nicht vernünftig, aber es war meine Entscheidung und ich würde sie immer wieder so fällen“, erklärte er flüsternd und strich mit dem Daumen über die weiche Haut. Für einen Moment spürte er, wie Meredys Kopf sich von ihm abwenden wollte, aber er versuchte nicht, sie daran zu hindern, sondern sprach weiter. „Ich bin kein Assassine, aber ich weiß, dass es gefährlicher wird, je länger wir hier bleiben, denn das hier ist momentan de facto Feindgebiet und wir wissen nicht, wie viele Dämonen sich hier aufhalten. Wir müssen hier möglichst bald wieder raus, aber nicht ohne die Informationen. Sonst war der Tod der Soldaten sinnlos. Wenn wir uns aufteilen, steigen unsere Chancen, an die Informationen zu kommen, und es geht obendrein schneller.“ Meredy rang noch immer mit sich, aber sie erhob keinen Einspruch mehr, senkte nur ergeben den Blick. Seufzend schob Lyon den Stadtplan beiseite, rutschte nach vorn und zog seine Freundin an sich. Sie gab ein schwaches Geräusch von sich und rieb ihre Wange an seiner Brust. Am liebsten hätte Lyon sie nie wieder los gelassen. Am liebsten hätte er mit ihr einfach alles hinter sich gelassen: Ihre Erinnerungen an ihre Heimat, seine Verpflichtungen, diesen Krieg… Aber er konnte es nicht und er wusste, dass Meredy es auch nicht konnte. Also drückte er ihr einen Kuss ins Haar, ehe er sein Gesicht darin vergrub. „Wir kommen hier wieder raus. Wir schaffen das…“ „Warum hast du nichts gesagt?“ Müde blickte Gray zu Natsu auf. Die Miene des Drachenreiters war bitterernst, seit Gray ihm gestern stockend erzählt hatte, was mit der Heimat geschehen war, und auf merkwürdige Art und Weise fühlte Gray sich wirklich von ihm verstanden. Keine hohle Phrase hatte er von sich gegeben, nicht einmal einen mitleidigen oder gar verständnisvollen Blick aufgelegt. Um seine Lippen spielte ein bitterer Zug und sein Blick war hart wie Granit. Welche Erinnerungen mochten Grays Worte in ihm ausgelöst haben? Er war bisher immer so aufrichtig heiter gewesen, dass Gray nicht einmal auf die Idee gekommen war, Natsu könnte etwas mit sich herum schleppen. „Du bist mit Lucy und den Anderen befreundet. Warum hast du keinem von ihnen etwas gesagt?“, präzisierte Natsu seine Frage. Müde ließ Gray den Blick über das Lager schweifen, das sich noch immer hinter den Felsfingern befand, die unweit der Mauern von Jadestadt aus dem Sand ragten. Obwohl keine weiteren Angriffe auf die Stadt geplant waren, herrschte rege Betriebsamkeit. Mehrere Soldatengruppen brachen immer wieder auf, um die Toten vom Schlachtfeld zu bergen. In einiger Entfernung brannten bereits die ersten Leichenfeuer. Derweil wurden die Verletzten von den Feldärzten versorgt und ein nicht unerheblicher Teil der Soldaten hielt unentwegt Wache. Ausnahmslos jeder Mann und jede Frau hier war aufs äußerste angespannt, wartete auf irgendein Zeichen aus der Stadt oder von Minerva, welche das Treiben im Lager mit dem Blick eines Greifvogels begutachtete, der selbst aus fünfzig Mannslängen Höhe eine Maus entdecken konnte. Keiner von ihnen kümmerte sich darum, dass Grays womöglich letzter lebender Verwandter in Jadestadt war. Außer Natsu wusste es wahrscheinlich niemand. „Lucy hat um ihren Vater getrauert und Loke hat sich die ganze Zeit um sie gesorgt. Und Levy hat anscheinend ihr eigenes Päckchen zu tragen…“, erklärte Gray schließlich mit rauer Stimme. Er schämte sich dafür, wie wenig er sich unter Kontrolle hatte, und er war Natsu für seine Umsicht dankbar, ihn zu einem weitgehend blickgeschützten Winkel des Lagers zu bringen. Es war schon schlimm genug, dass er vor Natsus Augen in Tränen ausgebrochen war. Zum Glück waren die Tränen wieder versiegt, aber sonderlich beruhigt fühlte er sich nicht. Er hatte Angst um seinen Bruder, aber gleichzeitig war er unglaublich wütend auf ihn. So gut er Lyons Sorge um Meredy auch verstehen konnte, was hatte dieses Eishirn sich bloß dabei gedacht, ihr in eine von Dämonen besetzte Stadt zu folgen?! Wahrscheinlich gar nichts. Wie Gray seinen liebeskranken Bruder kannte, war der seinem Herzen gefolgt. „Wir wollen die Verantwortlichen finden“, fuhr er leise fort, als Natsu ihn einfach nur abwartend ansah. Woher nahm der Drachenreiter diese Geduld? „Mein Vater und einige der anderen Eismenschen könnten noch leben. Wenn diejenigen, die sie gefangen halten, von unserer Suche erfahren…“ Gray blieben die Worte im Halse stecken. Hilflos rang er mit den Händen. „Du kannst Lucy und den Anderen vertrauen“, sagte Natsu noch immer so erstaunlich ruhig. „Aber ich kann sie nicht einfach so da mit hinein ziehen“, erwiderte Gray matt. „Das ist… Lucy ist Fürstin und Levy Magistra und…“ „Und wir hängen da alle bereits mit drin“, unterbrach Natsu ihn. „Oder glaubst du wirklich, dass unser Treffen in Malba Zufall war?“ Diese Schlussfolgerung hatte Meredy auch schon mal formuliert – dennoch war Gray wiederum erstaunt, dass ausgerechnet Natsu auch darauf gekommen war, und gleichzeitig hörte es sich bei dem Magnolianer irgendwie anders an. Als würde diese Gemeinsamkeit sie alle zusammen schweißen. Als ginge es hier um einen gemeinsamen Kampf oder etwas in der Art. Gray würde Natsu sogar zutrauen, dass er an Begriffe wie Schicksal dachte – und gleichzeitig auch wieder nicht. Natsu schien doch eigentlich eher der Menschenschlag zu sein, der sein Leben selbst in die Hand nahm. „Ich werde dir helfen.“ Überrascht blickte Gray auf, als Natsu ihm die Faust entgegen streckte. Der Blick des Drachenreiters loderte mit einer Entschlossenheit und Kameradschaft, wie Gray sie bisher selten erfahren hatte. Was war Natsu für ein Mensch, dass er sich einfach so einer fremden Mission verschrieb? „Wie stellst du dir das vor?“, formulierte Gray seine Zweifel. „Wie willst ausgerechnet du eine Spur finden? Das alles geht dich überhaupt nichts an. Das ist eine Sache der Eismenschen!“ Unbeirrt und vollkommen wortlos hielt Natsu ihm weiter die Faust hin und blickte ihm in die Augen. Gray musste schwer schlucken. Ob der Drachenreiter überhaupt wusste, wie bedeutsam diese Geste bei den Eismenschen war? Wahrscheinlich nicht. Natsu war laut und kindisch und impulsiv. Ganz anders als die Eismenschen. In vielen Dingen sogar das genaue Gegenteil. Aber etwas an ihm überzeugte Gray, dass er ihm vertrauen konnte. Natsu war ein Sonnenmensch, ein Fremder, aber er war auch ein Kamerad… Langsam hob Gray seine Faust, zog sie wieder zurück, hob sie wieder… Er hatte nicht die geringste Ahnung, was für Vorstellungen Natsu davon hatte, ihm zu helfen, aber andererseits hatte er wohl nichts mehr zu verlieren und konnte sich genauso gut auf die wahrscheinlich eher unkonventionellen Methoden des Anderen einlassen. Wieder hob Gray die Faust und schlug sie schließlich doch gegen Natsus. Und als der Drachenreiter ihn zufrieden angrinste, verspürte er einen Anflug von wohlig warmer Dankbarkeit. Der Wolfsdämon war pechschwarz und deutlich größer als die zierlichen Vollblutpferde, auf welchen Wendy und die Anderen in Sabertooth geritten waren. Obwohl noch offensichtlich jugendlich schlaksig, war er bereits eine beeindruckende Gestalt und das Verhältnis seiner gewaltigen Pranken zum Rest des Körpers verriet, dass er noch nicht ausgewachsen war. Unter dem struppigen Fell ließen sich feste Muskeln erahnen. Aus den wirren Fransen zwischen den Ohren, die stark an die wilde Haarpracht des menschlichen Akis erinnerten, ragten zwei dicke, leicht gebogene Hörner, die gut und gerne eine halbe Armlänge maßen und ausgesprochen bedrohlich aussahen. Ihm ruhte eine Kraft inne, die in gewisser Weise an einen Drachenartigen erinnerte. Ein sehr passender Vergleich, denn nach allem, was Wendy über Wolfsdämonen wusste, gehörte Aki zur Gattung der Königswölfe, den stärksten ihrer Art. Wendy wusste nur von einem weiteren lebenden Vertreter der Königswölfe und fragte sich, ob er mit Aki verwandt war – aber diese Frage war wahrscheinlich müßig, da niemand mehr wusste, wo sich General Wolfheim nun befand… In dieser Wolfsform war es Aki ein Leichtes, sowohl Toraan als auch die immer noch bewusstlose Yukino auf dem Rücken zu tragen und mit den drei Sandschlitten Schritt zu halten. Wann immer Wendy zu dem Wolfsdämon blickte, sie hatte nie das Gefühl, dass er langsamer wurde. Er musste oft so unterwegs sein, wenn es ihm so leicht fiel. Und Toraan schien es gewohnt zu sein, auf Akis Rücken zu reiten. Obwohl es holprig sein musste, schwankte sie nie, nahm nicht ein einziges Mal die zweite Hand zur Hilfe, um sich besser festhalten zu können. Sie hielt mühelos das Gleichgewicht und gleichzeitig das von Yukino. Als Wendy den Blick von Aki löste und nach oben richtete, erkannte sie, dass die Sonne fast im Zenit stand. Bei ihrem Aufbruch von der Golemschlucht gestern früh hatten Aki und Toraan gesagt, dass sie es in etwa anderthalb Tagen zur Zuflucht schaffen konnten, wenn sie sich in der Nacht nur auf eine kurze Pause beschränkten. Darauf bedacht, dass ihre Wasservorräte beinahe erschöpft waren, hatten sie den Vorschlag angenommen. Mittlerweile sollten sie in der Nähe der Zuflucht sein, überlegte Wendy, konzentrierte sich auf ihre Windmagie und nahm einen tiefen Atemzug. Im selben Moment, da sie die Erkenntnis traf, jaulte Aki warnend auf und kam rutschend zum Halt. Toraan hielt Yukino nun mit beiden Händen fest und rutschte bedenklich nach vorn, konnte sich jedoch auf Akis Rücken halten. Wendy stellte das Segel ihres Sandschlittens abrupt gegen den Wind und kam einige Schritte von dem Wolfsdämon entfernt zum Stehen, Romeo und Gajeel schafften es beinahe genauso schnell. „Was ist los?“, fragte Romeo alarmiert, während er vom Sandschlitten sprang, um die steifen Glieder auszuschütteln. „Dämonen in der Zuflucht“, grollte Aki. In seiner Wolfsform klang er ungleich tiefer und bedrohlicher. „Blut. Viel Blut.“ „Gibt es noch Überlebende?“, fragte Romeo, eine Hand an seinem Kurzschwert. „Sie kämpfen noch erbittert“, murmelte Wendy, während sie den entfernten Geräuschen lauschte. Sie zuckte zusammen, als sie das Weinen von Kindern hörte. „Wie viele Dämonen sind es?“, fragte Gajeel. Seine Miene ließ nicht erkennen, ob er Anteil am Schicksal der Wüstennomaden nahm. „Zwei fremde Gerüche“, knurrte Aki. Sein Blick huschte zu Toraan und er fletschte die Zähne. „Wasserdämon im Süden.“ Das Golem-Mädchen schluckte schwer. Seine Gesichtszüge verrieten, wie zerrissen es sich fühlte. Auch wenn es die Suche nach seinen Artgenossen nicht aufgegeben hatte, die Zuflucht war wohl am ehesten seine Heimat. Alle seine Instinkte warnten es vor der tödlichen Gefahr des Wassers, aber dennoch… „Toraan, bleib’ mit Wendy hier und schütze Yukino“, mischte Romeo sich ein und streifte sein Reisebündel ab. „Wenn du merkst, dass wir es nicht schaffen, bring’ die Beiden so schnell wie möglich nach Sabertooth. Sie müssen dort Beschei-“ „Nein!“ Wendy war selbst am meisten über ihren scharfen Protest überrascht. Das Wort war ihr über die Lippen gekommen, ohne dass sie darüber nachgedacht hatte. Doch als sie jetzt die verblüfften Mienen der Anderen sah, straffte sie die Schultern. Sie würde nicht weglaufen, wenn Romeo sich in den Kampf warf! „Dort sind Verletzte, denen ich vielleicht noch helfen kann“, sagte sie laut und deutete in Richtung der Zuflucht. „Ich komme mit!“ Das Entsetzen, das bei ihren Worten über Romeos Züge zuckte, presste ihr das Herz zusammen. Er wollte sie nicht in einem Kampf auf Leben und Tod dabei haben, wurde ihr voller Pein bewusst. Hatte er so wenig Vertrauen in die Fähigkeiten, die er sich über Jahre hinweg angeeignet hatte, um sie zu beschützen? Oder hielt er Wendy für so schwach? Empfand er sie womöglich sogar als Ballast? „Deine Entscheidung“, brummte Gajeel und legte sein eigenes Reisebündel neben Toraan ab, um die muskulösen Schultern kreisen zu lassen, damit sie für den bevorstehenden Kampf gelockert waren. Romeo jedoch rang hilflos mit den Händen. Seine dunklen Augen flackerten immer wieder und wichen Wendys Blick aus. Erst nach mehrmaligem Räuspern konnte er die Stimme erheben: „Wendy, ich habe Mest und den Anderen geschworen, dich niemals in Gefahr zu bringen…“ „Ich bin Grandines Reiterin“, erwiderte sie stur. „Ich bin Ärztin und Heilerin. Es ist meine Pflicht, zu helfen.“ Sie wusste, dass sie es nicht mit einem kampferprobten Magier aufnehmen konnte, aber allein die Vorstellung, hier zu warten, während Romeo sich in Gefahr begab, war der reinste Alptraum für sie. Sie musste bei ihm bleiben. Sie musste ihm auf jede Weise helfen, die ihr möglich war. Wie damals im Kampf gegen den Tatzelwurm. „Wendy, ich…“ Romeo verstummte und sah sich Hilfe suchend um, aber Gajeel zuckte nur ruppig mit den Schultern und Aki legte den schweren Wolfskopf schief. Beinahe tat es Wendy Leid, Romeo in solche Sorge zu versetzen. Der Zwiespalt zwischen seinen Wünschen, den Wüstennomaden zu helfen und seinem Schwur zu erfüllen, schien ihm beinahe körperliche Schmerzen zu bereiten. Genau das war das Problem, dachte Wendy voller Verbitterung bei sich. Solange sie in friedlichen Zeiten gelebt hatten, war es ihnen nicht aufgefallen, aber seit dem Kampf mit dem Tatzelwurm gärte es in Wendys Brust. Wenn sie damals auch hätte kämpfen können, wäre Romeo vielleicht nicht verletzt worden. Wenn sie nicht schon als Kind solch ein Angsthase gewesen wäre, könnte sie heute Seite an Seite mit Romeo kämpfen. Wenn, wenn, wenn… In Worte gefasst hatte dieses Problem ausgerechnet Gajeel, indem er sie nach ihrem Gebrüll gefragt hatte. Seitdem konnte Wendy nicht mehr aufhören, darüber nachzudenken. Nicht dass sie ihren eigenen Wert auf einmal gering schätzte oder sich nach dem Kampf sehnte. Nein, sie musste nur immer wieder daran denken, wie gefährlich ihre Unzulänglichkeit im Kampf war, wenn sie nicht auf sich selbst aufpassen konnte. Natürlich vertraute sie Romeo weiterhin – ihm mehr als irgendjemandem sonst auf der Welt –, aber es kam ihr falsch vor, dass er ihr Beschützer war. Er war ihr Partner. Sie sollten gleichberechtigt sein, doch Wendy wusste, dass Romeo zugunsten seines Trainings bei Mest oft – viel häufiger, als er es wohl jemals zugeben würde – auf andere Gelegenheiten verzichtet hatte. Ginge es etwa nach seinen wahren Vorlieben, wäre er trotz seines jungen Alters bereits ein Meisterschmied. Wendy hatte genau gesehen, wie sehr Romeo es bedauert hatte, vor dem Aufbruch zum Hafen von Heartfilia das Berserkerschwert Meister Capricorn zur Verwahrung zu übergeben, weil er es am liebsten selbst untersucht und eingeschmolzen hätte. Es tat ihnen Beiden nicht mehr gut, wenn Romeo der Einzige war, der kämpfte. Weder ihnen als Individuen, noch dem, was zwischen ihnen entstanden war. Wendy wusste, dass das, was sie als nächstes tat, die Dinge später sogar noch komplizierter machen würde, aber sie konnte hier und jetzt nicht mit Romeo so darüber reden, wie sie es eigentlich müssten. Vor Publikum und mit den Schmerzensschreien der Wüstennomaden im Ohr… Also drehte sie sich um, legte ihr Bündel neben Toraan ab, zog daraus ihre Medizintasche hervor und schlang sich deren Riemen um die Schulter. „Wendy…“ Romeos Stimme war kaum mehr als ein schwaches Hauchen, aber es zerriss ihr regelrecht das Herz. Nur mit äußerster Willensanstrengung konnte sie sich dazu bringen, auf ihren Sandschlitten zu steigen und Romeo mit einem Trotz, den sie kaum empfand, das Kinn entgegen zu recken. „Wir müssen uns beeilen“, erklärte sie mit verräterisch belegter Stimme und wandte den Blick von Romeos verzweifelt flackernden Augen ab, um sich mit ihrem Sandschlitten abzustoßen. Sie konnte hören, wie sich mit nur kurzer Verzögerung zwei weitere Sandschlitten und ein mächtiger Wolfskörper hinter ihr in Bewegung setzten. Gajeel und Aki zogen schnell an ihr vorbei, aber Romeo blieb die ganze Zeit hinter ihr. Als die Zuflucht in Sicht kam, schwenkte Gajeel nach rechts, wo der Duft des dortigen Dämons nun deutlich wahrzunehmen war, der nach kaltem, abgestandenem Wasser roch. Mit all seinen Erfahrungen mit Juvia sollte Gajeel diesem Gegner alleine gewachsen sein, überlegte Wendy und folgte Aki nach links um die Zuflucht herum. Aus der Ferne könnte man die Zuflucht für einen einzigen großen Felsen haben, aber als sie näher kamen, erkannte Wendy, dass es sich um einen riesigen Ring aus ineinander verschobenen, dicken Felswänden handelte. Eine gewaltige, natürlich gewachsene Festung, wenn auch bei weitem nicht von jenem Ausmaß, das sie in der Golemschlucht mit angesehen hatten. Je näher sie der großen Felsinsel kamen, desto stärker wurde der Gestank von Gift. Berserkergift, erkannte Wendy schließlich und blickte über ihre Schulter, um Romeo ihre Erkenntnis mitzuteilen. Als er von ihren Lippen ablas, wich die beständige Sorge in seinem Blick einer grimmigen Entschlossenheit und er richtete seinen Sandschlitten besser aus, um zu Wendy aufzuholen. „Halte mir den Rücken frei!“, rief er über das Knattern der Segelplanen hinweg und Wendy nickte ihm dankbar zu. Was auch immer ihre Konfrontation vorhin noch für Folgen haben mochte, sie würden es gemeinsam klären und es würde ihnen bei dem, was ihnen jetzt bevor stand, nicht im Wege stehen! Sie legten ihre Segel noch ein bisschen besser aus, sodass sie noch mehr Fahrt aufnahmen, bis sie gleichauf mit Aki waren. Sein Maul mit den furchterregenden Zähnen stand halb offen und er stieß immer wieder ein tiefes Grollen aus, das Wendy selbst in dieser Situation eine Gänsehaut bescherte. Die Zuflucht war nun direkt vor ihnen. Als sie noch etwas weiter um das Felsgebilde herum fuhren, gerieten sie in eine Flaute. Die massiven Wände der Zuflucht bildeten einen Windschatten, der die Segel ihrer Sandschlitten erlahmen ließ. Romeo und Wendy ließen sich vom letzten Schwung der vorherigen Fahrt weiter tragen und stiegen schließlich ab. Neben ihnen war Aki zuerst in einen Trab und schließlich in einen Schritt gefallen, sein Blick unablässig auf das gerichtet, was vor ihnen lag. „Da vorne sind die Wächter“, knurrte er. Als Wendy die Augen zusammen kniff, erkannte sie vier Felsfinger, die in einem Abstand von bis zu hundert Schrittlängen vor dem Eingang zur Zuflucht aus dem Sand ragten. Sie hatten ihren Namen zweifelsohne zu Recht erhalten. Wie sie dort standen, jeder mit seiner eigenen Form, erinnerten sie an sitzende und hockende Menschen. Im Umkreis der Wächter und am Eingang der Zuflucht lagen die Leichen von sicher zwei Dutzend Wüstennomaden. Schaudernd trat Wendy an der Seite von Romeo und Aki auf den Eingang der Zuflucht zu und ließ dabei den Blick über die Toten wandern. Den meisten von ihnen fehlten Gliedmaßen oder Köpfe. Eine schlanke Frau war tatsächlich an der Hüfte zweigeteilt worden. Einem bulligen Mann war der Kopf und Hals gespalten worden. Die Wunden waren schwarz verfärbt und stanken nach altem Tod, obwohl sie allem Anschein nach erst vor kurzer Zeit geschlagen worden waren. Nicht eine Fliege ließ sich auf den Körpern nieder und die Aasvögel am Himmel hielten sich fern und blieben stumm, als hätten sie Angst vor dem, was am Boden auf sie lauerte. Neben Wendy hatte Romeo mit gewohnter Schnelligkeit seinen Bogen gespannt und einen Pfeil eingelegt und Aki sah aus, als wäre er jederzeit für einen Angriffssprung bereit. Wendy fragte sich, wie sie sich vorbereiten sollte und konnte. Romeo bewegte sich mit einer Selbstsicherheit, als würde er jeden Tag in ein Kampfgebiet laufen, aber sie hatte keine Ahnung, was sie tun sollte. Sie tauchten in den Gang ein, in dem der Gestank der Berserkerwunden so stark war, dass sogar Romeo leise hustete. Wendy versuchte, sich auf andere Gerüche zu konzentrieren. Ganz schwach lagen die Duftnoten von Sting, Rogue und Yukino noch in der Luft. Sie waren lange nicht hier gewesen, vielleicht einen halben Mond vor der Begegnung in Malba. Unwillkürlich war Wendy froh, dass Sting das hier nicht sehen musste. Als sie ins Innere des Felsenrings und somit wieder ins Sonnenlicht traten, wurden sie von einem Mann mit noch breiteren Schultern als Gajeel empfangen. Obwohl er genauso groß wie der Eisenmagier war, wirkte er durch die kurzen Beine gedrungen und die langen Arme mit den riesigen Fäusten unterstrichen seine groteske Gestalt noch. Der deutlichste Hinweis für seine nichtmenschliche Natur war sein Gesicht, genauer sein Mund: Er war um ein Vielfaches breiter als bei einem Menschen, lippenlos und mit einer Reihe spitzer Zähne versehen. Er war ein Berserker, eine jener Schreckgestalten, die Jahrhunderte lang Menschen, Geister und sogar Dämonen gejagt hatte – obwohl Berserker eigentlich selbst zur letzten Gruppe gehörten. Bei der Herstellung ihrer Waffen verwendeten sie Knochen als Brennmaterial und für die Griffe, Haut anstelle von Leder und beim Schmieden wurden die Waffen mit Blut abgelöscht. Selbst unter Dämonen waren sie gefürchtet oder wurden zumindest verachtet. Sie waren aufgrund ihrer Blutrünstigkeit schon immer eine seltene Erscheinung in Ishgar gewesen und dieser Tage gab es sie in Fiore gar nicht mehr, aber ihre verfluchten Waffen, die nur von kundigen Schmieden eingeschmolzen werden konnten, waren leider nicht selten in die Hände unvernünftiger Menschen geraten. Der Berserker stand mitten in der Freifläche im Inneren der Zuflucht, um ihn herum die Leichen von weiteren Wüstennomaden, sie alle ähnlich verstümmelt wie die Männer und Frauen der ersten Verteidigungslinie am Eingang der Zuflucht. Den Schaft seiner gewaltigen Axt hatte der Dämon gegen seine Schulter gelehnt, das schwarze Blatt schwebte neben seinem Kopf. Von der Spitze tropfte Blut auf seine gepanzerte Schulter und rann von dort aus unbeachtet über seinen rechten Arm. In der linken Hand hielt der Berserker den Oberarm einer Wüstennomadin mit langem, blondem Haar. Sie war mit Quetschungen und Schrammen übersäht. An der Art, wie ihr Atem rasselte, vermutete Wendy mehrere Rippenbrüche, aber immerhin lebte sie noch. Für einen Moment wunderte Wendy sich darüber, dass der Berserker jemanden am Leben gelassen hatte, aber dann fiel ihr auf, dass nirgendwo die Leiche eines Kindes zu sehen war, obwohl zwischen den verwüsteten Arbeitsplätzen hier auch Puppen im Sand lagen. „Lass’ sie los“, grollte Aki, die Zähne gefletscht, das Fell gesträubt. „Frau ist stur“, knurrte der Berserker mit einem monotonen, dumpfen Brummen, seine kleinen Augen ausdruckslos auf die Neuankömmlinge gerichtet. „Will nicht sprechen. Willst du sprechen, Wolf?“ Anstatt zu antworten, sprang Aki vor, die mörderischen Pranken nach der Kehle des Berserkers ausgestreckt. Im letzten Moment warf dieser die Frau nach vorn. Aki machte eine verzweifelte Drehung in der Luft und fing die Blondine auf, ehe er mit ihr zu Boden fiel. Als sie den Grund berührten, schoss Romeos erster Pfeil über sie hinweg. Gerade noch rechtzeitig riss der Berserker den Kopf zurück, ansonsten hätte sich der Pfeil in sein Auge gebohrt. „Guter Schuss, Junge“, grunzte er, ohne dass er tatsächlich anerkennend klang, und deutete mit seiner Axt auf Romeo. Der warf seinen Bogen beiseite und löste die Schnalle seines Köchers vom Gürtel, ehe er sich in Bewegung setzte. Mühelos sprang er über Aki und die Frau hinweg. Noch während der Landung zog er ein Wurfmesser und schleuderte es auf den Berserker zu. Die Klinge prallte von der Axt ab, aber Romeo hatte erreicht, was er wollte. Der Dämon war für einen Herzschlag abgelenkt und Romeo konnte unter der feindlichen Waffe hinweg tauchen und mit seinem gezogenen Schwert auf die Kehle zielen. Wieder wich der Berserker aus, grunzte dabei jedoch unwillig, als Romeos Klinge seine Wange aufschlitzte. Was folgte, war ein schnellerer Kampf, als Wendy es sich bei solch einem Gegner jemals vorgestellt hätte. Doch während Romeos Angriffs- und Ausweichmanöver stets fließend ineinander übergingen und dabei beinahe einem Tanz glichen, waren die Bewegungen des Berserkers ruckartig. Es war fast, als könnte der Koloss sich nur rasend schnell oder sehr langsam bewegen. Wendy riss sich aus ihrer Starre und eilte zu Aki und der Frau. Sie war nicht einmal annähernd in der Lage, Romeo zu helfen, aber sie konnte zumindest für diese Frau sorgen, rief sie sich zur Ordnung. Behutsam zog sie die Frau aus Akis mächtigen Wolfsarmen. Der junge Dämon schnupperte winselnd an den Blessuren der Frau, ehe er zu Wendy aufblickte. Selbst in dieser Gestalt konnte Wendy die Sorge in seinen Augen erkennen. „Das ist Mummy, sie ist Toraans und meine Höhlenschwester… Kannst du sie retten?“ Konzentriert ließ Wendy den Blick über den zerschundenen Körper gleiten, dann sah sie über ihre Schulter zurück zu Romeo und den Berserker. „Ich werde mein Bestes geben“, wandte sie sich wieder an Aki, ihre Stimme fest und sicher. Das hier war etwas, was sie so gut wie kaum ein Anderer in Fiore konnte. Hierfür hatte sie seit ihrem sechsten Sommer gelernt und geübt. „Ich werde sie retten. Pass’ du dafür auf Romeo auf.“ Für einen Moment blickte Aki ihr einfach nur in die Augen. Dann nickte er mit seinem großen, struppigen Kopf und richtete sich wieder zu voller Größe auf. „Ich vertraue dir.“ Wenn er noch etwas sagte, bevor er an ihr vorbei ging, hörte Wendy es nicht mehr. Sie konzentrierte sich bereits auf ihre Patientin. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)