Schwarzer Komet von Yosephia (Drachengesang und Sternentanz - Teil 1) ================================================================================ Kapitel 12: Der Nachmittag, an dem sie eine Mission erhielten ------------------------------------------------------------- 5 Tage vor der Opferung „Nein!“ Sogar in Stings eigenen Ohren klang dieser Widerspruch sofort unverfroren, dennoch blieb er, wo er war, die Arme vor der Brust verschränkt, den Blick stur auf Minerva gerichtet. Diese hatte die Hände in die Hüften gestemmt und erwiderte seinen Blick unnachgiebig. Sie standen einander in Minervas privaten Arbeitszimmer gegenüber, jeder an einem Ende des Kartentisches aus Olivenholz, während die übrigen Mitglieder der Körperschaft am Tisch saßen und zwischen ihnen hin und her sahen. „Doch, Sting“, sagte Minerva gefährlich ruhig. „Das war kein Befehl, aber ich kann einen daraus machen.“ „Ich werde Sabertooth nicht in so einer Situation verlassen, um dieser halbgaren Spur nachzugehen! Du hast selbst gesagt, dass da irgendetwas faul ist.“ Von links hörte Sting das Seufzen seines Partners, aber er reagierte nicht darauf. Er blieb bei seiner Meinung. „Es ist die einzige Spur, die wir haben, Sting. Wir müssen das überprüfen und wir müssen es schnell tun. Selbst wenn wir so nicht direkt an die Verursacher der Probleme hier heran kommen, findet ihr dort vielleicht Verbündete unserer Feinde und kommt an neue Informationen. Du und Rogue könnt am schnellsten nach Malba gelangen.“ „Dann schick’ nur mich“, mischte Rogue sich nun doch ein. „Nein!“, sagten Sting und Minerva im Chor. Sting sah seinem Freund die Verblüffung an, Yukino links von ihm hob schnell die Hand, um ihr Lächeln zu verbergen, Orga rechts von ihm verdrehte die Augen und Rufus daneben blickte betont unbeteiligt auf die Karte hinunter, die auf dem Tisch ausgebreitet war. „Wisst ihr, ich bin schon groß, ich werde schon nicht an Malba vorbei fliegen“, sagte Rogue beinahe bockig. Yukinos Augen blitzten spitzbübisch. „Wir werden beide hier gebraucht“, und „Ich will euch Beide in Malba haben“, sagten Sting und Minerva gleichzeitig. „Selbst wenn ihr euch uneins seid, seid ihr euch einig“, brummte Orga Kopf schüttelnd. Sting ignorierte den Hünen und wandte sich an Minerva. „Rogue und ich müssen bei der Evakuierung helfen.“ „Dafür haben wir genug fähige Leute aus Jadestadt und Sabertooth. Orga und Meister Arkadios organisieren die Eskorte und bei der Organisation bist du überhaupt nicht zu gebrauchen“, wischte Minerva das Argument vom Tisch. „Ich will, dass dieser Spur so schnell wie möglich nachgegangen wird. Und da ich nicht weiß, wer oder was in Malba lauert, werde ich garantiert keinen Exceed schicken. Ihr seid auf euren Drachen die nächstschnellere Option.“ „Dann lass’ mich mit Skiadrum doch einfach allein-“ „Nein!“, schnitten Sting und Minerva dem Schwarzhaarigen schon wieder das Wort ab. „Hey!“, protestierte Rogue aufgebracht und machte Anstalten, sich auch aufzurichten, aber Orga drückte ihn auf seinen Stuhl zurück und Yukino tätschelte kichernd seinen Arm. Yukinos und Rufus’ unverhohlenes Amüsement ließ Sting stutzen. War die Situation nicht viel zu ernst für so etwas? „Mit euch gehen die Sandwürmer durch“, erklärte Orga brummend. „Tun sie gar nicht“, maulte Sting trotzig. „Sting, Rogue ist der beste Kandidat, um nach Malba geschickt zu werden“, sagte Rufus ruhig. Als Rogue etwas sagen wollte, hielt Yukino ihm den Mund zu, ehe sie fort fuhr: „Aber wir wissen nicht, wer oder was in Malba auf ihn wartet. Er braucht Rückendeckung. Deine Rückendeckung.“ „Oh…“ Dieses Mal waren Sting und Rogue synchron. Jetzt machte Yukino sich keine Mühe mehr, ihr Grinsen zu verbergen und Orga seufzte wieder: „Von Sting bin ich das ja gewohnt, aber Rogue? Ich habe immer gesagt: Sting hat einen schlechten Einfluss auf ihn.“ „Habe ich nicht!“ „Hat er nicht!“ Yukino kicherte schon wieder. „Warum hast du das nicht gleich gesagt?“, wandte Sting sich an Minerva. „Hätte ich, wenn du Dattelkopf mich mal hättest ausreden lassen“, war die hoheitsvolle Antwort, aber irgendwie wirkte Minerva extrem angespannt auf Sting. Aus irgendeinem Grund kicherte Yukino gleich noch lauter und Minerva warf ihr dafür einen giftigen Blick zu, der die Weißhaarige jedoch nicht einzuschüchtern vermochte. „Minerva, wir sind deine Klauen“, ergriff Rogue das Wort, der aus Yukinos Verhalten auch nicht schlau zu werden schien. „Wir haben geschworen, dich und Sabertooth mit unserem Leben zu beschützen. Sting kann hier besser helfen.“ „Das hier ist kein Schach, bei dem man die Bauern einfach opfert, Rogue“, knurrte Minerva und wandte sich brüsk zum Fenster um, damit keiner der Anwesenden ihr Gesicht sehen konnte. Sting begriff endlich und sein zum neuerlichen Protest geöffneter Mund schloss sich lautlos wieder. Auf einmal packte ihn die Verlegenheit und Rogue schien es genauso zu gehen. Minerva kehrte es selten bis nie nach außen, aber Sting, Rogue und Yukino waren ihre Familie, mehr als das, sie waren vom selben Sand, das war die höchste Verbundenheitsbezeugung bei den Wüstennomaden. Ihre Klauen in eine mutmaßliche Falle zu schicken, musste Minerva schrecklich schwer fallen. Sting hatte keinen Schimmer, wie er damit umgehen sollte. Für gewöhnlich war Minerva in jeder Lebenslage die unerschrockene Wüstenlöwin. Sie ließ sich nicht einfach so einschüchtern. Wenn noch irgendetwas gefehlt hatte, um ihm den Ernst der Lage bewusst zu machen, dann das. „Hey… Nerva… Rogue und ich passen aufeinander auf. Wir sind zäh, das weißt du doch“, begann er zaghaft. Die Schwarzhaarige wandte sich hoch erhobenen Hauptes wieder um. Bei ihrem stählernen Blick lief es Sting eiskalt den Rücken herunter. „Ja, das weiß ich. Wenn du mich noch einmal Nerva nennst, schicke ich dich mit Mysdroy nach Malba.“ Sting verzog beleidigt das Gesicht. „Du bist die schlimmste Fürstin aller Zeiten! Und du hast viel zu viel Spaß an der ganzen Sache!“, schob er gleich noch hinterher und deutete anklagend auf Yukino. Die lachte jedoch unbekümmert: „Kann ich etwas dafür, wenn ihr Drei so niedlich seid?“ „Ist der Ruf erst ruiniert…“, murmelte Rufus vor sich hin und Orga schnaubte zustimmend. Minerva bedachte die Drei mit finsteren Blicken und Rogue schmollte. Yukino zwickte ihm in die Seite und wollte – weil das nun einmal so ihre Art war – unter Garantie etwas Versöhnliches sagen, aber das Quietschen alter Angeln lenkte die Aufmerksamkeit aller auf die Tür. Wie immer ohne zu klopfen und auf einen Zuruf zu warten, betrat Dobengal die Tür, ein schlanker, fast hagerer, junger Mann mit braunem Haar und braunen Augen. Obwohl er einige Jahre jünger als die anderen Anwesenden war, zuckte er nicht einmal mit einer Wimper. Seine Miene passte perfekt zu seinem Rang, war er doch Minervas Assassine. „Minerva, du musst zur Stadtmauer kommen und dir das ansehen“, erklärte er, ohne sich an Förmlichkeiten aufzuhalten, die zu erlernen er sich immer geweigert hatte. „Ist dem Flüchtlingskonvoi etwas zugestoßen?“, fragte Minerva alarmiert und schnallte sich ihren Waffengürtel um, während sie Dobengal bereits folgte – Sting und die Anderen auf den Fersen. „Sie sind alle rechtzeitig rein gekommen, ehe der Angriff kam.“ „Ein Angriff?! Und du redest um den Basilisken herum?!“, brauste Orga auf und ganz automatisch verfielen alle bis auf Dobengal in den Laufschritt. Dass er Jüngere sich ihrem Tempo nicht anpasste, brachte den Rüstungsmeister aus dem Tritt und seine dröhnende Stimme wurde lauter, während er weitere Fragen stellte. „Wer greift uns an? Wie viele Männer? Was für Waffen? Welche Tore? Ist die Reserve informiert?“ „Die Reserve wird nicht benötigt“, erwiderte der Assassine unbeeindruckt, der im Vergleich zu Orga nur eine halbe Portion war. „Seht es euch einfach an.“ Außerhalb des Palasts standen Knechte mit Meldepferden bereit. Sting verzog unwillig das Gesicht, schwang sich jedoch ohne Widerworte auf einen Fuchswallach. Auch die Anderen saßen auf und lenkten ihre Tiere hinter Dobengals her zum Südtor. Die Menschen machten ihnen sofort Platz. Einige riefen ihnen Fragen oder Bewunderungsbezeugungen zu, andere verbeugten sich tief, aber Minerva achtete kaum darauf und Sting tat es ihr gleich. Je näher sie der Mauer kamen, desto ängstlicher wurden die Mienen der Menschen. Der Grund war ein stetig lauter werdendes Geräusch – halb Zischen, halb Kreischen –, das Stings sensiblen Ohren schmerzte und ihm irgendwie bekannt vorkam. Als sie am Fuß der Mauer hielten und ihre Pferde dort anderen Knechten übergaben, war das Geräusch beinahe ohrenbetäubend. Viele der Umstehenden hatten grünliche Gesichter. Wer es sich erlauben konnte, ergriff die Flucht. Auch Stings Magen rumorte aus irgendeinem Grund und seine Nackenhaare sträubten sich. Minerva stürmte regelrecht die Mauertreppe hinauf. Sting folgte dicht auf, Dobengal und Rogue neben ihm. Hinter sich hörte er Orgas schwere Stiefeltritte, während Rufus und Yukino so gut wie gar keine Geräusche machten. Oben angekommen führte Dobengal sie alle zu den Zinnen und deutete hinunter. Was Sting dort sah, ließ ihn entsetzt keuchen: Basilisken, unzählige kleine Basilisken, die meisten noch Schlüpflinge, ihre Schuppen noch glatt und dunkel glänzend, frei von jeglichen Kampfwunden. Es waren Dutzende, vielleicht sogar mehr als hundert. Sie mussten sich aller Schmerzen zum Trotz durch den Ring aus Obsidiansäulen gequält haben, der fünfzig Schritte vor den Stadtmauern lag und bislang jeden Basilisken davon abgehalten hatte, sich der Stadt zu nähern. Dennoch hatten die Erbauer der Stadt damals auf Nummer Sicher gehen wollen und hatten auch in die Mauern selbst Obsidianelemente eingefügt. Nun waren die jungen Basilisken zwischen der Mauer und dem Säulenring eingesperrt und wanden sich vor Qual. Einige verfielen in schreckliche Zuckungen. Hinter sich hörte Sting Kettenrasseln und ein kurzes Gerangel. Als er sich umdrehte, erkannte er, dass Yukino ihre Kettensichel gezogen und Rogue sie an beiden Handgelenken gepackt hatte. Sie wand sich wimmernd in dem Griff, ihr gequälter Blick zuckte immer wieder zu dem grauenhaften Schauspiel vor den Mauern hinunter. Rogue blieb jedoch unnachgiebig und Sting war ihm dankbar dafür. Wenn Yukino da raus gestürmt wäre, um die armen Kreaturen zu erlösen, wäre das ihr sicherer Tod gewesen. „Lass’ mich! Jemand muss das beenden“, krächzte die Weißhaarige. „Aber nicht du“, erwiderte Rogue mit Bestimmtheit. Als hätten sie nur auf dieses Stichwort gewartet, kamen Weißlogia und Skiadrum herangeflogen. Vielleicht hatten sie die Unruhe ihrer Reiter über das telepathische Band gespürt oder womöglich hatten sie die Basilisken gehört oder gewittert, jedenfalls hatten sie offensichtlich nicht gezögert, von ihrem Ruhehort auf einer kleinen Felsinsel ganz in der Nähe der Stadt herbei zu fliegen. Es war ein Gemetzel sondergleichen, aber die Licht- und Schattenattacken der beiden Drachen machten dem Elend der Basilisken ein schnelles, gnädiges Ende. Als er sicher war, dass alle Basilisken tot waren, drehte Sting sich wieder um. Rogue hatte Yukino mittlerweile in seine Arme gezogen und strich ihr nun beruhigend über den Rücken. Sie hatte das Gesicht in Rogues Robe vergraben und zitterte am ganzen Körper. Rufus und Orga hatten sich taktvoll zurückgezogen. Der Rüstungsmeister kam seinen Pflichten nach und kümmerte sich darum, dass die Wachen auf den Mauern ausgetauscht wurden. Rufus wirkte einen Windzauber, um die giftigen Dämpfe, die von den Kadavern der Basilisken aufstiegen, von der Stadt fernzuhalten. „Ich denke, wir sollten gleich aufbrechen“, murmelte Rogue, ohne Yukino loszulassen. Die Weißhaarige gab einen erstickten Laut von sich und klammerte sich an Rogue. Dieser seufzte nachsichtig. Genau wie Sting und Minerva wusste er von Yukinos besonderer Verbindung zu Basilisken, daher hatte er Verständnis für ihren Zustand und versuchte nicht, sie zur Ordnung zu rufen. Minerva, die etwas mit Dobengal besprochen hatte, welcher nun wie ein Schatten verschwand, strich Yukino sanft über die Haare, ehe sie sich an ihre Klauen wandte. „Dobengal besorgt euch Proviant und alles, was ihr sonst noch gebrauchen könnt.“ Sting nickte betreten. Mehr denn je hatte er kein gutes Gefühl dabei, Sabertooth zu verlassen, aber er würde nicht mehr diskutieren. Die Zeit drängte. Zu seiner Überraschung trat Minerva direkt vor ihn, beugte sich vor und lehnte ihre Stirn gegen seine. Da sie nur selten voneinander getrennt waren und Minerva auch nicht unbedingt anhänglich war, tauschten sie diese Geste nur selten aus. Hier und jetzt hatte sie jedoch etwas unglaublich Beruhigendes. Ihr Geruch war Sting so vertraut wie der von Yukino und in seiner Brust spürte er die tiefe Verbundenheit mit der vielgerühmten Wüstenlöwin. „Dass ihr mir ja heil zurückkommt“, mahnte Minerva, aber Sting kannte sie lange und gut genug, um zu begreifen, dass sie ganz schön verlegen war. „Was wäre denn eine Wüstenlöwin ohne ihre Klauen?“ „Ein Schmusekätzchen?“, schlug Sting mit einem verschmitzten Grinsen vor und musste im nächsten Moment einem Faustschlag ausweichen, der ihn gewiss zu Boden geschickt hätte. Munter tänzelnd entfernte er sich von seiner Fürstin und ging zu Rogue, um ihm Yukino abzunehmen, die sich endlich wieder ein bisschen beruhigt hatte. Während Minerva auch mit Rogue den vertraulichen Gruß austauschte, schloss er Yukinos zierlichen Körper behutsam in seine Arme. Er hatte völlig vergessen, wie klein sie eigentlich war. Beinahe hatte er das Gefühl, wieder das winzige Bündel Mensch von damals zu sehen, das er und Minerva im Geäst einer Tamariske gefunden hatten. Nur dass er Yukino damals nicht einmal hatte nahe kommen können… „Wir sind in ein paar Tagen wieder da und dann machen wir diesem ganzen Spuk ein Ende, du wirst schon sehen“, sagte er und lehnte seine Stirn gegen Yukinos. „Keine Dummheiten bis dahin, verstanden?“ „Das ist der Witz des Jahrhunderts! Sting Eucliffe ruft zur Vernunft auf“, schnaubte Minerva. „Du bist eine fiese Stimmungskillerin, Minerva!“, schimpfte Sting und schüttelte eine Faust. Yukino in seinen Armen kicherte leise. „So gefällt mir das schon besser“, schnurrte Minerva zufrieden und schlang einen Arm um Yukinos Schultern, um die Jüngere aus Stings Umarmung zu ziehen. „Und nun husch! Schnappt euch eure Fresspakete und macht euch auf den Weg. Macht mir keine Schande. Rogue, halt’ Sting an der Leine. Ihr repräsentiert mich bei den Grünländern, nicht vergessen.“ „Willst du nicht doch lieber Mysdroy mit ihm mit schicken?“, fragte Rogue ernst, aber seine roten Augen funkelten schelmisch. „Ihr seid alle gemein!“, jammerte Sting, schnappte sich den Rucksack, den Dobengal ihm mit betont beiläufiger Miene hinhielt, und trottete dann die Treppe hinunter. Rogue folgte ihm mit zwei Stufen Abstand. Sting musste sich nicht umdrehen, um zu wissen, dass sein Freund grinste. „Hast du wieder den Kürzeren gezogen, Sting?“, feixte Orga und klopfte ihm zum Abschied auf die Schulter. „Ach, lasst mich doch alle in Ruhe…“ Als sie vor dem Tor warten mussten, bis es hoch gezogen wurde, legte Rogue jedoch einen Arm um ihn und er wurde beinahe schwach. Schmollend blickte er zu seinem Freund auf, der hob jedoch nur die Augenbrauen an und lächelte. „Das ist unfair“, seufzte Sting, als sein Widerstand dahin schmolz. „Finde ich nicht, du machst das auch oft genug mit mir“, erwiderte Rogue und sein linker Mundwinkel zuckte verräterisch. Seine Miene wurde weicher, als er sich vorbeugte… Das Tor öffnete sich viel zu schnell für Stings Geschmack. Bedauernd löste er sich wieder von einem Freund und trabte hinüber zu Weißlogia, der zehn Schritte von der Mauer entfernt gelandet war. Der Lichtdrache schlug einmal mit den gefiederten Flügeln, wodurch Sting Sand entgegen gewirbelt wurde. „Keine Turteleien und Schwärmereien während des Flugs“, mahnte er. „Spielverderber“, entgegnete Sting nur und kletterte auf den Rücken seines Drachen. Beinahe gleichzeitig hoben die beiden Drachen ab und gewannen schnell an Höhe. Sting erhaschte einen Blick auf Minerva und Yukino, die ihnen zuwinkten. Er erwiderte die Geste grinsend. Es tat gut, Yukino wieder lächeln zu sehen. Sting wollte jetzt einfach glauben, dass er und Rogue wieder da waren, bevor etwas passieren konnte. Dann erkannte er Lector und Frosch, die sich beeilten, zu den Drachen aufzuschließen. Lächelnd schüttelte er den Kopf. Es war so typisch für Minerva, dass sie ihnen ihre Exceed mit schickte. So viel zum Schmusekätzchen… 4 Tage vor der Opferung Bereits in Hargeon hatte Gajeel sich zu Tode gelangweilt, aber in Malba war alles noch tausendmal schlimmer. Für Gajeels Empfinden war die Handelsstadt einfach nur eine große Häuseransammlung, in der sich alles nur um langweilige Geschäfte drehte. Hargeon hatte wenigstens noch einen interessanten Hafen gehabt, der Hafen von Malba verdiente kaum diese Bezeichnung. Nach allem, was Gajeel beobachtet hatte, diente dieser kleine Kanalhafen auch eher dem Import der regionalen Erzeugnisse. Schifffahrttechnisch lag Malba einfach denkbar ungünstig. Das Bachflüsschen hatte seine Quelle in den riesigen Mooren südlich der Stadt und war am Rande der Stadt in einen Kanal gelenkt worden, dessen Wasser jedoch so flach war, dass er für echte Handelsschiffe viel zu gefährlich war. Obendrein zu all dieser Langeweile stank es in der gesamten Stadt bestialisch nach den Indigo-Färbereien im Stadtkern. Die Einwohner selbst schienen das gar nicht mitzukriegen. Vielleicht waren ihre Nasen schon abgestorben. Gajeels war es hingegen noch nicht. Abgesehen davon gab es in Malbas Umgebung keine guten Jagd- oder Fischgründe. Lediglich die Moore würden sich für die Gänsejagd anbieten, aber die waren mindestens drei beschwerliche Tagesreisen von der Stadt entfernt. Gajeel stand also nur zur Auswahl, sich entweder in der schmuddeligen Herberge zu langweilen, in der er sich mit Juvia ein Zimmer teilte, oder hier in der Stadtbibliothek, wo Juvia ihre Recherchen fortgesetzt hatte, nachdem sie in Hargeon einfach nicht fündig geworden war. Groß und alt war die Bibliothek, aufgrund der kleinen Fenster schummrig und stickig und obendrein auch noch staubig. Es kitzelte die ganze Zeit in seiner Nase und Gajeel hatte nicht übel Lust, einfach alle Nieser raus zu lassen, um die alte Bibliothekarin mit dem spitzen Gesicht auf die Palme zu bringen, die ihn andauernd so finster anstarrte. Musste ihr das nach drei geschlagenen Tagen nicht langsam mal langweilig werden? Gajeel ödete das alles schon seit dem ersten Tag an. Aber leider, leider ging Juvia bei ihrer Recherche sehr sorgfältig vor. Beinahe schon akribisch besah sie sich jede einzelne Seite in jedem einzelnen Buch über Drachenartige und speziell über Leviathane, das sie finden konnte. Gajeel glaubte schon lange nicht mehr daran, dass Juvia hier eine Erklärung für das Verhalten des Leviathans finden würde, aber da ihm selber nicht Besseres einfiel, bewahrte er Stillschweigen. Zutiefst gelangweilt schlenderte Gajeel durch die engen Regalreihen und ließ den Blick unstet über die vielen alten Bände wandern. Der Gedanke, wie viel Wissen hier gebündelt sein sollte, kam ihm irgendwie absurd vor. Wissen ist Macht, hatte Pantherlily ihm immer wieder gepredigt. Aber Gajeel hatte nicht die Geduld für all diese winzigen Buchstaben auf dem viel zu empfindlichen Papier. Es war ja schon nervig genug gewesen, Lesen zu lernen. Juvia und Totomaru waren ihm da immer um Längen voraus gewesen, einfach weil sie sich auch dafür interessiert hatten. Ein Stoß in seinen Bauch und ein Rumpeln, gefolgt von einem leisen Schmerzenslaut, ließen ihn hinunter blicken. Vor ihm lagen mindestens zehn dicke Wälzer am Boden verstreut und dazwischen saß eine Frau in Juvias Alter. Sie war gut einen Kopf kleiner als Juvia und deutlich flacher gebaut, aber doch nicht kindlich. Ihr schmales Gesicht mit der kleinen Stupsnase und dem spitzen Kinn war das einer Frau. Ihre blauen Haare wurden eher mäßig von einem orangefarbenen Band zurückgehalten, sie waren nicht so lang und geschmeidig wie Juvias, sondern kurz geschnitten und ein wenig strubblig, obwohl sie dem frischen Geruch nach sorgsam gepflegt wurden. Und ihre braunen Augen waren faszinierend groß. Aus ihnen sprachen Klugheit und Sanftmut, aber auch eine Stärke besonderer Art, die Gajeel irgendwie ansprach. „Tschuldigung“, brummte er und hockte sich hin, um der Blauhaarigen dabei zu helfen, die Bücher einzusammeln. Schwindelerregende Titel wie Theorien des Dunklen Jahres, Magie als sozialer Faktor und Die Gesellschaft der Magie kamen ihm da unter. Und jedes Buch war so dick, dass es als Waffe Verwendung finden könnte. „Schaffst du das auch alleine?“, fragte er skeptisch, als er beobachtete, wie die Blauhaarige die Bücher aufeinander stapelte. „Natürlich, ich bin das gewohnt“, erklärte sie nervös. Sie stand wieder auf und hob den Stapel hoch. Gajeel konnte sehen, wie ihre Arme vor Anstrengung zitterten, aber sie schaffte es tatsächlich, sich aufzurichten. Der Stapel überragte ihren Kopf und wackelte bedenklich. Kurzerhand nahm Gajeel ihr einen Großteil der Bücher ab, sodass ihr der Stapel nur noch bis zur Brust reichte. Zuerst schien sie protestieren zu wollen, aber dann nickte sie nur verschüchtert und führte ihn zu einem Tisch. Unschlüssig blieb er davor stehen. Der Tisch war im Grunde bereits übervoll. Gajeel zählte ein Dutzend Bücherstapel und einen dicken Stapel voll geschriebener Papierbögen, sowie zwei Notizbücher, alles mit einer sehr kleinen, sehr akkuraten Schrift versehen. An dieser Frau schien aber auch wirklich alles winzig zu sein, von ihrer Wissbegierde mal abgesehen. „Moment.“ Die Blauhaarige verteilte die Bücher, die sie noch hatte, schnell auf die Stapel, dann nahm sie Gajeel ein Buch nach dem nächsten ab und verfuhr damit genauso, ohne je auch nur einen Herzschlag lang überlegen zu müssen, wo das jeweilige Buch hin sollte. Anscheinend hatte sie ein ausgeklügeltes System dabei, das Gajeel einfach nur nicht durchschauen konnte. „Danke“, sagte die Blauhaarige leise, als sie Gajeel das letzte Buch abnahm. Er zuckte mit den Schultern und brummte: „Nimm beim nächsten Mal einfach weniger. Jemand so Kleines wie du kann nicht so viel tragen.“ „Vielen Dank für die Blumen“, knurrte sie und in ihren großen, braunen Augen erkannte er Trotz. Irgendwie gefiel ihm das. Anscheinend hatte er es mit einer Kämpferin zu tun – oder eher mit einem Kampfzwerg. Er grinste wölfisch. „Na dann noch viel Spaß mit… was auch immer das wird.“ Die Blauhaarige bedachte ihn mit einem beinahe düsteren Blick, dann setzte sie sich einfach an den Tisch. Er ließ sie alleine und wollte sich eigentlich auf die Suche nach Juvia machen – bei all dem Staub konnte er sie gar nicht riechen –, aber sie wartete bereits hinter dem nächsten Regal und sah ihn mit leuchtenden Augen an. „Juvia hat alles gesehen! Du magst sie!“, flüsterte sie mühsam beherrscht. Irritiert blinzelnd sah er die Wassermagierin an. Mögen? Wie verstand Juvia das denn, dass sie davon so begeistert war? Er zuckte mit den Schultern – seine Lieblingsantwort – und setzte sich wieder in Bewegung, was Juvia dazu zwang, ihm zu folgen. „Bist du fertig? Ich habe Hunger.“ „Juvia hat immer noch nichts gefunden“, seufzte seine Ziehschwester betrübt. „Morgen vielleicht“, erwiderte er in einem Versuch, sie zu trösten. „Vielleicht ist sie morgen auch da?“, schwenkte Juvia schnell wieder auf das für sie offensichtlich so erfreuliche Thema um. „Du solltest sie nach ihrem Namen fragen.“ „Du willst ihn wissen. Frag’ selbst“, knurrte Gajeel, während er die Tür der Bibliothek aufstieß. „Du kannst Juvia nicht täuschen. Du magst sie!“ „Also gut, sie ist in Ordnung. Jetzt zufrieden?“ „Frag’ sie morgen, wie sie heißt!“ Gajeel verdrehte die Augen. Da hatte er sich ja etwas eingebrockt. Da war er ein einziges Mal gegenüber einer Fremden hilfsbereit und prompt bildete Juvia sich sonst was ein. Aber auch wenn er das niemals zugeben würde: Eine leise Stimme in seinem Hinterkopf freute sich ebenfalls darauf, die kleine Blauhaarige mit dem Bücherwahn wieder zu sehen… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)