Schwarzer Komet von Yosephia (Drachengesang und Sternentanz - Teil 1) ================================================================================ Kapitel 5: Der Tag, an dem er tierisch genervt war -------------------------------------------------- 18 Jahre vor der Opferung Juvia war ein winziges Bündel aus mageren Gliedern und verfilzten, blauen Haaren. Die Unterernährung und die Schufterei in den Bergwerken machten ihr schwerer zu schaffen als Gajeel und Totomaru, die zwei Jahre älter waren – oder zumindest glaubten, es zu sein. Solange sie denken konnten, waren sie in den Sklavenhütten von Phantom Lord gewesen und dort hatte sich nie jemand um ihr korrektes Alter geschert. Sie konnten nur anhand von bekannten Vergleichswerten schätzen. Und sie konnten sich Beide daran erinnern, Juvia als krabbelnden Winzling gesehen zu haben. Daher ihre Annahme, dass Juvia zwei – oder vielleicht auch drei – Jahre jünger als sie war. Heute war Juvia vielleicht fünf Jahre alt und sie war seit einem Jahr in der Hölle der Bergwerke gefangen – und dennoch schenkte sie Gajeel und Totomaru bei jeder Begegnung ein strahlendes Lächeln. Sie war ein Sonnenschein, sanft und warm und beständig. Für Gajeel war sie der Halt, der ihn angesichts all der Gewalt um ihn herum vor den Wahnsinn bewahrte, dem so viele andere Kinder in den Bergwerken irgendwann anheimfielen. Aber heute war Juvia kein Sonnenschein. Sie hatte Fieber – so hatte einer der Älteren aus der Sklavenhütte es genannt – und sie wollte einfach nicht essen, obwohl Totomaru ihr Pökelfleisch vom Aufseher gestohlen hatte. Unbeholfen tätschelte Gajeel ihre Wange und sah sich unschlüssig im stickigen Schlafsaal um. Vielleicht täte es ihr gut, nach draußen zu kommen, aber es regnete schon seit den Nachtstunden unablässig. Der Ältere hatte etwas davon gesagt, dass Juvia eine Lungenentzündung bekommen könnte, wenn sie sich jetzt auch noch verkühlte – und so etwas konnte wohl tödlich sein. Tödlich… Gajeel hatte gelernt, was dieses Wort bedeutete, aber es mit Juvia in Verbindung zu bringen, bereitete ihm ein eigenartiges Gefühl in der Brust. Er bekam dann kaum noch richtig Luft und sein Körper wurde noch kälter und tauber als damals, als er in einen unterirdischen Fluss gefallen und beinahe ertrunken war. Ein Poltern ließ Gajeel von Juvias gerötetem Gesicht aufblicken. Die Tür zum Schlafsaal wurde aufgerissen und Totomaru hindurch geworfen. Hustend krümmte er sich zusammen. Gajeel konnte erkennen, dass sein Freund sich den linken Arm an die Brust presste und im Gesicht war Blut. Viel Blut. Gajeel sprang auf und stellte sich zwischen Juvias kümmerliche Pritsche und die Tür, in welcher nun der Aufseher Aria stand, ein riesiger, breitschultriger Mann mit zu kleinem Kopf und grausam-unbeteiligten Gesichtszügen. „So so, ihr schwänzt den Dienst“, stellte der Mann kalt fest und der Blick seiner schlitzartigen Augen huschte zu Juvia hinüber. „Die Kleine krepiert bald, an der ist jede Mühe vergeudetet.“ Gajeel gab ein Grollen von sich und hob die Fäuste. Er weigerte sich, zu glauben, dass das Mädchen hinter ihm bald sterben würde. Er würde Juvia mit allem verteidigen, was er hatte – auch wenn er genau wusste, dass das nicht viel war. „Ich gebe dir eine einzige Chance, Junge: Geh’ an deine Arbeit und lass’ mich an die Göre ran, dann sehe ich davon ab, deine Rationen streichen zu lassen.“ Der Schwarzhaarige blieb, wo er war, und hinter sich hörte er Totomaru husten, der sich wieder aufrichtete. Der Junge stöhnte leise, aber das stärkte Gajeels Entschlossenheit nur noch mehr. Ein kaltes Grinsen umspielte Arias wulstige Lippen, als er vortrat. Gajeel stürzte sich auf ihn und schlug und trat mit aller Kraft auf ihn ein. Aria hielt ihn mit einem brutalen Tritt in die Magengrube von sich fern. Der Junge stolperte ächzend zurück, blieb jedoch auf den Beinen. Doch Aria war noch nie zum Spielen aufgelegt gewesen. Er machte kurzen Prozess und trat Gajeel die Beine unter dem Körper weg. Dem folgte ein ungezügelter Tritt in die Seite. Keuchend drehte Gajeel sich auf den Bauch und stemmte sich mühsam auf Hände und Knie. Ein weiterer Tritt in die Seite ließ ihn beinahe einknicken, doch er drückte die Ellenbogen sofort wieder durch und versuchte, den Schmerz zu ignorieren. Über sich hörte er Arias unwilliges Knurren und er wusste, gleich würde der nächste Tritt folgen – doch dann stieß der Aufseher ein Fauchen aus. Gajeel hob den Blick und erkannte Totomaru mit blutüberströmtem Gesicht und schwer atmend, eine stark rußende Fackel in der rechten Hand. Aria warf seinen brennenden Mantel zu Boden, um ihn auszutreten, dann schlug er nach dem Jungen mit den weiß-schwarzen Haaren. Dieser wich aus, geriet jedoch ins Straucheln. Hastig rappelte Gajeel sich auf und sprang dem Aufseher in den Rücken. Nun verlor Aria endgültig die Geduld. Er wirbelte herum und zog dabei seinen Prügel aus der Gürtelschlaufe. Das verdickte Ende krachte gegen Gajeels Schläfe, bevor dieser ausweichen konnte. Wie ein nasser Sack ging er zu Boden. Sein Kopf pochte grauenhaft und er schmeckte Blut, weil er sich auf die Zunge gebissen hatte. Außer seinen Kopfschmerzen, den schmerzenden Rippen und dem rebellierenden Magen registrierte der Junge nichts mehr um sich herum. Dann stolperte Aria über ihn hinweg und trat dabei wieder in seine Magengrube. Stöhnend fuhr Gajeel hoch und riss die Augen auf. Der Hut des Aufsehers stand in Flammen und lag zu Füßen seines schnaufenden Besitzers, welcher sich den versengten Kopf rieb. Zu Gajeels anderer Seite stand Totomaru, eine blaue Flamme in der Hand und vor Anstrengung am ganzen Körper zitternd. „So so, der Bengel ist also ein Magier und hat es uns verheimlicht, äh?“, stellte Aria sehr gehässig fest. Gajeel spuckte Blut aus und kämpfte sich wieder auf die Beine, um sich vor seinen Freund zu stellen. Dass Totomaru ein Feuermagier war, hatten sie letztes Jahr entdeckt und seitdem immer geheim gehalten. Oft genug hatten sie beobachtet, wie magiebegabte Kinder fortgebracht worden waren – und keiner von ihnen war noch so naiv, anzunehmen, dass es diesen Kindern besser erging als ihnen hier im Bergwerk. „Die Doktoren werden sich freuen, endlich wieder ein Versuchskaninchen zu haben“, erklärte Aria und ließ den Prügel in seine Handfläche klatschen, während er näher kam. Und dann schoss etwas Großes an Gajeel und Totomaru vorbei und ein Schwall Wasser drückte Aria an die Wand und entriss ihm den Prügel. Die beiden Jungen wirbelten herum. Juvia stand schwankend auf ihrer Pritsche, der Blick benommen. Um ihre ausgestreckten Hände flossen unstete Ringe aus Wasser. Gajeel hatte das Gefühl, als würden ihm gleich die Augen aus dem Kopf fallen. Juvia war eine Wassermagierin! „Magiebrand also“, schnaufte Aria und sah sich nach seinem Prügel um. „Angeblich regnet es immer, wenn sehr starke Wassermagier krank sind. Die Doktoren werden sich freuen!“ „Niemals!“, brüllten Gajeel und Totomaru wie aus einem Mund und sprangen vor. Gajeel erreichte den Prügel vor Aria und hob ihn auf. Er war schwer und unhandlich, aber die Sorge um Juvia verlieh Gajeel ungeahnte Kräfte. Er holte aus und schlug Aria den Prügel gegen ein Knie. Er konnte ein Knacken hören und der Aufseher brüllte vor Schmerz. Dann warf Totomaru eine blaue Flamme – die heißeste, die er zustande brachte. Innerhalb von Sekunden fing Arias gesamte Kleidung Feuer und kurz darauf roch Gajeel verbranntes Fleisch. Aria schlug vor Qual um sich. Gajeel blickte auf den Prügel in seiner Hand. Er könnte den Aufseher damit bewusstlos schlagen, dann hätte er es hinter sich… Der Junge schob den Prügel unter den Strick, der die zerschlissenen Hosen auf seinen Hüften hielt, dann wirbelte er herum und eilte zu Juvia. Kurzerhand hob er sich das Mädchen auf die Schulter, drehte erneut um und packte mit der freien Hand Totomaru am Arm, der immer noch Aria anstarrte. „Er hat es verdient“, erklärte Gajeel und zog den Feuermagier mit sich. Im Vorbeilaufen spuckte er Blut in Richtung des brennenden Mannes, der schon so viele Kinder gequält hatte und nun hoffentlich kein einziges mehr würde quälen können… 6 Wochen vor der Opferung Das kleine Segelboot schaukelte im seichten Wellengang hin und her. Hin und her. Am wolkenlosen Himmel segelten einige Möwen und Albatrosse untypisch träge dahin. Die Sonne machte auch ihnen zu schaffen. Und hin und her. Hin und her. Außer einem leisen Rauschen und dem Gluckern des Wassers, das gegen den Rumpf des Bootes schlug, war nichts zu hören. Außer Wasser und Himmel nichts zu sehen. Blau und Blau. Eine blaue Einöde. Und hin und her. Hin und her… „Gah! Ich halte das nicht mehr aus!“ Ruckartig richtete Gajeel sich auf, wodurch das Boot ins Wanken geriet, und raufte sich die wilden, schwarzen Haare. Nichts und niemand rührte sich. Gajeel war mutterseelenallein auf diesem verfluchten Boot und es gab absolut nichts, womit er sich beschäftigen konnte. Nicht zum ersten Mal fragte der junge Mann sich, wie sein Leben eine solche Wende hatte nehmen können. Vor achtzehn Jahren hatte er nach der geglückten Flucht aus dem Bergwerk von Phantom Lord geglaubt, fortan würde alles besser werden. In so mancher Hinsicht war es das auch – aber in anderen Dingen wiederum ganz und gar nicht. Er hatte Totomaru verloren und er war wieder auf der Flucht, das war kaum auszugleichen. Und wenn er sich nach Frieden sehnte, war damit nicht dieses stinklangweilige Meer gemeint. Aber er konnte ja wohl schlecht nein sagen, wenn ausgerechnet Juvia ihn um etwas bat – und sie hatte nun einmal das Kaiserliche Meer erkunden wollen. „Was ist los, Gajeel?“ Der Schwarzhaarige blickte auf, als der Besitzer der tiefen Stimme geschmeidig auf dem Boot landete, ein schwarzbrauner Exceed mit runden Ohren und narbigem Gesicht, der eine Pluderhose trug und am Gürtel ein Federschwert – jene magische Waffe, die nur von einem Exceed geführt werden konnte und derer es seit der Zerstörung von Extalia nur noch so wenige gab. „Mir ist langweilig, Pantherlily“, erklärte Gajeel mürrisch. Der Exceed zog eine Augenbraue in die Höhe. „Wie lange ist sie denn schon unten?“ Zur Antwort zuckte Gajeel mit den Schultern. „Lange.“ Pantherlily seufzte und Gajeel fühlte sich wie ein kleiner Junge vor einem entnervten Vater. Manchmal merkte man sehr deutlich, dass der Exceed mehr Lebenserfahrung und einen Krieg hinter sich hatte. Aber letztendlich, so tröstete Gajeel sich, saßen sie im selben Boot – im wortwörtlichen und im übertragenem Sinn. Auch Pantherlily war auf der Flucht. Er mochte es anders nennen, aber Gajeel steckte schon zu lange selbst in dieser Fluchtsituation, als dass er einen Leidensgefährten nicht erkennen würde. „Wie sieht es auf der nächsten Insel auf?“ „Ruhig, klein, keine Anzeichen von Besiedlung. Auch keine Schmugglerverstecke. Ein paar Lemuren, viele Bananen und Kokosnüsse.“ Gajeel verzog das Gesicht. Abgesehen davon, dass Lemuren scheußlich schmeckten, hatte Juvia es ihm sehr übel genommen, als er eines dieser ihrer Ansicht nach so niedlichen Viecher mal zum Essen serviert hatte. Da würde es heute Abend mal wieder Fisch geben. Und morgen früh Bananen. Wie lange war es her, dass er mal so einen richtig deftigen Hammelbraten gegessen hatte? Er konnte sich kaum noch an den Geschmack erinnern. Das Lamm, das sie letztes Jahr gegen eine gefundene Perle eingetauscht hatten, hätte ein guter Ersatz werden können, aber das hatte Juvia ihm ja mit ihrem vorwurfsvollen Blick madig machen müssen. Vielsagend zog Pantherlily eine Augenbraue in die Höhe, aber Gajeel winkte nur ab. Die Diskussion hatten sie mehrmals geführt und waren nie zu einem Ergebnis gekommen. Gajeel würde sich nicht noch einmal in einer Menschensiedlung niederlassen. Schon allein, weil es Juvia nie irgendwo lange hielt. Von Gajeels Warte aus war es eine Flucht vor der sogenannten Zivilisation, Juvia hingegen war auf der Suche nach etwas, das sie selbst nicht definieren konnte. Nicht dass sie lauter tiefsinnige Gespräche darüber führen würden, aber Gajeel kannte die Blauhaarige nun einmal schon ihr gesamtes Leben lang. Wahrscheinlich kannte er sie sogar besser, als sie sich selbst. Als hätte sie gespürt, dass er über sie nachgedacht hatte, tauchte Juvia neben dem Boot aus dem Wasser auf und ließ sich mit einem leichten Schwenken ihrer Hand von einer kontrollierten Fontäne in die Höhe heben, bis sie bequem ins Boot steigen konnte. „Hallo Lily“, begrüßte sie den Exceed mit jenem unschuldigen Strahlen in den Augen, von dem Gajeel hoffte, es immer bewahren zu können. Sie wrang die langen, blauen Haare aus und schlüpfte wieder in das schlichte Oberkleid, das sie vor ihrem Tauchgang ausgezogen hatte. Mühelos balancierten Gajeel und Pantherlily das Wanken des Bootes aus, welches durch Juvias Bewegungen verursacht wurde. Schließlich ließ die junge Frau sich auf dem Mittelsitz nieder. „Wo ist die nächste Insel, Lily?“ „Etwa fünfzehn Seemeilen im Norden“, erklärte der Exceed und deutete mit dem Daumen hinter sich. Juvia nickte verstehend und machte mit beiden Händen winkende Bewegungen. Sofort nahm das kleine Boot Fahrt auf, getrieben von einer magischen Strömung. Bislang war Juvia die einzige Wassermagierin, der Gajeel je begegnet war, aber er wusste mit völliger Gewissheit, dass ihre Kontrolle über das nasse Element das normale Maß bei weitem überstieg. Gut möglich, dass sie einer der besten Wassermagier von ganz Fiore war, wenn nicht sogar von ganz Ishgar. Natürlich hatte sie dabei ihrer Schwächen, aber dafür war ja Gajeel da. Er beschützte Juvia schon sein ganzes Leben lang und würde es auch weiterhin tun! „Vielleicht sollten wir uns mal wieder mit den anderen Reitern treffen“, begann Juvia ein Gespräch, als sie mit ihren Bewegungen innehielt, damit die Strömung nicht zu stark wurde. Gajeel runzelte die Stirn. „Warum? Wir haben mit ihnen nichts weiter zu tun. Die bisherigen Treffen hingen auch nur mit diesem rührseligen Ritual zusammen.“ Über ihre Schulter hinweg blickte Juvia Gajeel an und zog eine Flunschmiene. „Juvia mag die anderen Reiter aber und sie wüsste gerne, was sie jetzt machen.“ Der Schwarzhaarige zuckte mit den Schultern. „Was sollen sie schon machen. Sting und Rogue haben ihr Klauen-Ding…“ „Aber vielleicht haben sie ja geheiratet“, protestierte Juvia mit schwärmerischer Miene, aber in ihren Augen erkannte Gajeel noch etwas anderes: Sehnsucht. Wollte Juvia etwa heiraten? Wofür denn das? „Was macht das schon für einen Unterschied? Die stecken einander auch so die Zunge in den Hals“, brummte Gajeel mit einem weiteren Schulterzucken. Juvias Wangen bekamen einen kräftigen Rotschimmer, was Gajeel ein fieses Grinsen entlockte. „Und für nächtliche Abenteuer brauchen die auch keine Heirat. Wahrscheinlich treiben die es jede N-“ Juvias schrilles Quietschen und der Ruck, der durch das Boot ging, als die magische Strömung rasant beschleunigt wurde, ließen Gajeel verstummen, aber er kicherte verschlagen in sich hinein. Auch Pantherlilys skeptischer Blick konnte ihm die Freude über diesen kleinen Sieg nicht trüben. Er lehnte sich zurück und genoss den kühlen Fahrtwind. Natürlich hätten er und Pantherlily sich auch in die Riemen legen können, aber mit Juvias Magie kamen sie eindeutig schneller voran und es verlangte ihr im Grunde keine richtige Mühe ab. Damit Juvia ermüdete, musste schon etwas wirklich Großes passieren. Als die kleine Insel in Sichtweite kam, hielt Juvia in ihren Bewegungen inne, damit sich die Strömung von selbst verlangsamen konnte. Dann drehte sie sich wieder mit trotziger Miene zu Gajeel herum. „Juvia würde die Anderen dennoch gerne wieder sehen.“ „Vielleicht ergibt es sich“, winkte Gajeel ab. Es war nicht so, dass er Sting, Rogue und die Anderen nicht leiden konnte, aber er kannte sie kaum und sah keinen Sinn darin, etwas daran zu ändern. Es war ja nicht so, als hätten sie alle viel miteinander zu tun. „Wir könnte-“ Gajeel bemerkte sofort die Veränderung in Juvias Haltung und Miene, als diese einfach verstummte, und er richtete sich mit einem Stirnrunzeln auf. „Was ist los? Ein Sturm?“ Misstrauisch blickte er sich um, doch das Wasser und der Himmel waren immer noch so langweilig blau. Langsam schüttelte Juvia den Kopf und rutschte an den Rand des Bootes, beugte sich darüber und steckte ihr Gesicht ins Wasser. Automatisch verlagerten Gajeel und Pantherlily das Gewicht, um ein Kippen des Bootes zu verhindern. Nach kurzer Zeit zog Juvia den Kopf zurück, ihre Miene nun zutiefst beunruhigt. „Da unten ist ein Leviathan.“ Gajeel und Pantherlily wechselten einen Blick. Die Einzige von ihnen, die jemals einem Leviathan begegnet war, war Juvia. Die Wassermagierin war mit den kolossalen Drachenartigen geschwommen und hatte sie studiert. Damals war sie von der Sanftmut dieser Wesen begeistert gewesen und hatte sich kaum überreden lassen, wieder aus dem Wasser heraus zu kommen. Pantherlily blickte über seine Schulter zur inzwischen gut erkennbaren Insel. Gajeel erkannte, wie die Hand des Exceed langsam zum Griff des Federschwerts glitt. „Wir sind viel zu nahe an der Insel. Wieso sollte ein Leviathan so ein Risiko eingehen?“ Ratlos schüttelte Juvia den Kopf. „Er ist nicht verletzt und er ist auch kein verirrter Schlüpfling. Juvia hat keine Erklärung dafür.“ „Wir sollten so schnell wie möglich an Land“, knurrte Gajeel. Leviathane mochten normalerweise scheu und zurückhaltend sein, aber irgendetwas musste ja an dem Seemannsgarn über die riesigen Seeungeheuer dran sein. Er wollte nicht in Reichweite eines solchen bleiben, wenn sogar Juvia wegen seines Verhaltens beunruhigt war. Ganz unwillkürlich tastete er nach seiner telepathischen Verbindung. Zuerst erhielt er Spott zur Antwort, doch dann spürte er Sorge auf der anderen Seite. Das trug nicht unbedingt dazu bei, dass er sich sicherer fühlte. „Wenn wir das Boot bewegen, wird er es sicher merken“, wandte die Blauhaarige ein. „Vielleicht sollte Juvia versuchen, ihn abzulen-“ „Nein!“, kam es gleichzeitig von Gajeel und Pantherlily. „Bring’ zuerst Juvia auf die Insel und dann komm’ mich holen, Lily“, entschied Gajeel brüsk. Der Exceed nickte grimmig und richtete sich auf, um die weißen Flügel erscheinen zu lassen. Zu spät. Gajeel konnte ein anschwellendes Rumoren spüren und dann krachte etwas gegen die Unterseite des Bootes. Es wurde regelrecht durch die Luft geschleudert und verteilte seine Insassen im Wasser. Gajeel besaß gerade noch die Geistesgegenwart, seinen Körper zu verhärten, dann traf er hart auf das Wasser und ging gleich unter wie ein Stein. Schnell löste der Schwarzhaarige seine Magie wieder, um nicht in noch gefährlichere Tiefen zu kommen, und machte sich daran, wieder aufzutauchen. Er mochte nicht einmal ansatzweise Juvias Eleganz besitzen, aber er war ein passabler Schwimmer und Taucher. Passabel genug, um problemlos die Wasseroberfläche zu erreichen. Er spuckte Salzwasser aus und sah sich hektisch nach den Anderen um. Panik stieg in ihm auf, als er niemanden erkennen konnte, nur unruhige See. Hatte er sich vorhin wirklich über Langeweile beklagt? Er nahm alles wieder zurück! Rechts von ihm brach Pantherlily aus dem Wasser und kam sofort auf ihn zugeschwommen. Er war jetzt in seiner großen Form, ein Muskelberg von einem Panther, aber seine Miene war ernst. „Meine Flügel sind nass geworden.“ Gajeel fluchte farbenfroh und schlug mit der Faust hilflos aufs Wasser. Die Flügel waren die große Schwäche der Exceed. Wurden sie nass, waren sie über Stunden unbeweglich. „Hast du Juvia gesehen?“ Als der Exceed den Kopf schüttelte, schloss sich eine eisige Faust um Gajeels Herz. Juvia war doch nicht…? Unmöglich! Sie konnte nicht! Nicht hier! Nicht jetzt! Niemals! „Gajeel, wir müssen-“ Der Schwarzhaarige erfuhr nicht, was sie angeblich mussten, denn in diesem Moment brach etwas Urgewaltiges aus dem Wasser. Der Körper war massig wie der eines Blauwals – Gajeel hatte welche gesehen, als sie das Nordmeer erkundet hatten –, aber der Schwanz erinnerte an einen Schleierfisch und war noch mal genau so lang wie der Körper. Seltsam grotesk und doch irgendwie harmonisch schloss sich an den stromlinienförmigen Körper ein dicker Halz an, welcher ein lang gezogenes Gesicht mit spitzem, vielbezahntem Maul, großen, schwarzen Augen und einem Schuppenkragen trug. Der gesamte Körper schillerte in Blau- und Grüntönen. Auf dem Rücken waren verkümmerte – aber immer noch sehr imposante – Flügel zu erkennen. Laut Juvia hatten Schlüpflinge noch richtete Flügel und nutzten sie in der ersten Zeit auch sehr ausgiebig. Erst mit zunehmendem Alter und der damit einhergehenden Hauptnutzung des effektiveren Schleierschwanzes bildeten sich die Flügel nicht mehr richtig aus. Dieser Leviathan war genauso lang wie das größte Schiff, das Gajeel jemals gesehen hatte – die Kanaloa, ein gigantisches Schlachtschiff, welches das Kaiserliche Meer durchkreuzte und überwachte – und somit auch ein gutes Stück größer als ein Drache. Doch die weichen Bauchschuppen, der höchst empfindliche Schleierschwanz und die hoch sensiblen Umgebungsbedürfnisse machten den Leviathan gegenüber einem erfahrenen Drachen eindeutig unterlegen. Dennoch konnte Gajeel nichts anderes tun, als zu starren und sich zu fragen, ob dieses riesige Maul Juvias winzigen Körper zermalmt hatte. Erst als Pantherlily ihm einen brutalen Schlag gegen den Hinterkopf versetzte, kam er wieder zu sich und war in der Lage, dem Fingerzeig des Exceed mit dem Blick zu folgen. Gajeel blieb beinahe das Herz stehen: Juvia hing an einem Augenlid des Leviathans und redete anscheinend auf ihn ein. Selbst mit seinem feinen Gehör konnte Gajeel sie aufgrund des Wasserrauschens und des Grollens im Inneren des Drachenartigen nur bruchstückhaft verstehen. „-ir nichts… -rück! Du musst zu-… -fährlich für dich… Wir tun di…“ Der Impuls war, nach Juvia zu schreien, damit sie von diesem verdammten Ungetüm herunter kam, aber Pantherlilys Hand auf seiner Schulter beruhigte Gajeel wieder. Wenn dieses Ding hören konnte, wäre es sehr unklug, herum zu brüllen und es damit noch mehr aufzuregen. Wenn überhaupt jemand heil aus dieser Situation heraus kommen konnte, dann war es wohl eine Wassermagierin von Juvias Format. Gajeel musste darauf vertrauen, dass sie rechtzeitig reagieren würde, wenn der Leviathan vollends ausrastete. Er drehte sich im Wasser, bis er zu seiner Linken die Insel erkennen konnte. Im Vergleich zu dem Leviathan kam sie ihm winzig vor. Ob die überhaupt einen vernünftigen Schutz darstellte – Schleierschwanz hin oder her? Aber was blieb ihnen anderes übrig? Er bedeutete Pantherlily mit einem Nicken die Richtung und der Exceed zog die Lefzen missmutig hoch. Gajeel knurrte zustimmend. Er wollte Juvia auch nicht zurück lassen. Gleichzeitig blickten sie auf, als der Leviathan ein schrilles Kreischen ausstieß und wild mit dem Kopf schüttelte. Vor Schreck hielt Juvia sich fest, statt sich ins für sie rettende Wasser fallen zu lassen. „DU IDIOT!“, brüllte Gajeel außer sich, während er dagegen ankämpfte, von den immer höheren Wellen davon gespült zu werden. „LASS’ LOS!“ Ob sie ihn hörte oder ob ihr einfach die Kraft ausging, Juvia ließ endlich los und stürzte ins Wasser. Es bedurfte keiner Absprache. Pantherlily schwamm sofort in Juvias Richtung, während Gajeel sich dem Leviathan zuwandte, der mit seinem mächtigen Körper in alle Richtungen wippte und wankte und das Wasser immer mehr aufwühlte. Gajeel sammelte seine Magie und holte so tief Luft, wie seine missliche Lage es ihm erlaubte, dann spie er die stärkste Attacke aus, die er zustande bringen konnte: Das Gebrüll des Eisendrachen. Ein wütender, rasender Wirbel aus Eisenschrapnell kam aus Gajeels Inneren und traf den Leviathan am Rücken, zerfetzte einen der Flügel und streifte den Schleierschwanz. Das Geschrei des Wesens ließ Gajeels Ohren klingeln und die aufschlagenden Wellen begruben ihn fast. Mühsam hielt er sich mit den Beinen über Wasser, während er mit den Armen das Gleichgewicht hielt. Der Leviathan hatte offensichtlich grauenhafte Schmerzen, aber die Wunden waren nicht so fatal, dass von Entwarnung die Rede sein könnte. Wenn er es gekonnt hätte, hätte Gajeel auf den Bauch gezielt, das hätte die ganze Sache gewiss beendet, aber unter diesen Umständen konnte er sich wohl glücklich schätzen, überhaupt getroffen zu haben. Eine große Welle schwappte über Gajeel hinweg und drückte ihn wieder unter Wasser. Die heftigen Bewegungen des Ungetüms brachten die Strömungen durcheinander und Gajeel wurde so schnell und so oft herum gewirbelt, dass er nicht mehr wusste, wo oben und wo unten war. Allmählich ging ihm die Luft aus und vor seinen Augen begann es zu flimmern. Wie lächerlich, dachte er bei sich, dass er so drauf gehen sollte. Er war Phantom Lord entkommen und hatte Bosco hinter sich gelassen. Er war verdammt noch mal ein Drachenreiter! Ganz recht, also reiß’ dich jetzt zusammen, erklang eine grimmige Stimme in seinem Kopf und er wurde hart um die Mitte gepackt und aus dem Wasser gerissen. Benommen hing er in den scharfen Krallen und blinzelte das brennende Salzwasser aus den Augen. Unter ihm schoss das Wasser dahin, noch immer aufgewühlt und tückisch. Und dann kam der tobende Leviathan in Gajeels Blickfeld und der Drachenreiter schüttelte den Kopf, um die Erschöpfung zu vertreiben. „Wo sind Juvia und Lily?“, rief er gegen das Getöse an und drehte sich im Griff der Krallen, um nach oben zu Metallicana zu blicken. Der Eisendrache war dunkelgrau mit einem massiven Kopf, der an einen Rammbock erinnerte. Unter den Schuppen spielten wahre Muskelberge und die Flügel warfen einen riesigen Schatten, während der lange, zackenlose Schwanz wie eine Peitsche durch die Luft zischte. „Woher soll ich das wissen?“, grollte der Drache. „Die können schon auf sich aufpassen. Wir müssen uns erst einmal um diesen Fisch kümmern, also hör’ auf, dich da unten herum hängen zu lassen, und komm’ hoch.“ Schimpfend und fluchend drückte Gajeel sich aus den Krallen heraus und kletterte das Bein hinauf. „Hängen lassen, sagt er, dieser Windbeutel von einem Drachen!“ Die Bewegungen der Muskeln unter seinen Händen und Füßen machten den Aufstieg noch schwerer als ohnehin schon. „Hätte ja auch früher kommen können, dieses Drachenloch!“ Mühsam zog er sich am Rückenkamm die Wirbelsäule entlang bis zum Halsansatz. „Woher soll er denn das wissen? Riechen könnte er sie, aber soweit reicht es bei ihm wohl nicht!“, schimpfte Gajeel weiter und ließ sich in die Kuhle sinken, die perfekt zum Reiten geeignet war. „Bist du fertig?“, brummte Metallicana gelangweilt. „Zieh’ nicht so eine Fresse.“ „Ich ziehe überhaupt keine Fresse! Erledige endliches dieses Vieh, bevor es Juvia frisst!“ „Das ist ein Leviathan, kein Vieh.“ „Gerade eben hast du es noch Fisch genannt.“ „Das ist etwas vollkommen anderes“, erwiderte der Eisendrache erhaben und sammelte seine Magie. Sein Gebrüll des Eisendrachen – größer und stärker als Gajeels – hätte das Meeresungeheuer erledigt, wenn es sich nicht im letzten Moment gedreht hätte. So streifte der gewaltige Wirbel aus Eisenschrapnell nur die Seite des Leviathans. Zwar riss er dabei eine hässliche Wunde, aus welcher sogleich die Innereien quollen, aber der Drachenartige lebte noch und vergeudete seine letzte Lebenskraft mit noch mehr Raserei. „Bist du blind? Der war direkt vor deiner Nase!“ „Ach wirklich? Ich habe ihn nicht gesehen…“ Gajeel lag noch so einiges auf der Zunge, doch dann fiel sein Blick auf zwei Gestalten im tobenden Wasser. Er konnte nicht erkennen, wie es um sie bestellt war, nur dass sie gefährlich nah an dem Moloch dran waren. „Runter! Du musst-!“ Dem Schwarzhaarigen blieben die Worte im Halse stecken, als sein Drache einen harten Schwenk nach unten machte und die Flügel anzog, um noch mehr Fahrt aufzunehmen. Gajeel beugte sich vor und beobachtete mit zusammen gekniffenen Augen, wie seine Freunde immer näher kamen. Dann ging ein weiterer Ruck durch Metallicanas Körper, als dieser den Winkel seiner Flügel erneut veränderte und den Schwung des Sturzes für die ersten hundert Mannslängen des Wiederaufstiegs nutzte. Erst als der Schwung nachließ, breitete er wieder die Flügel aus und schlug mehrmals kräftig damit, um weiter an Höhe zu gewinnen. „Ich hab’ sie und Beide leben, also reiß’ dich zusammen“, schalt Metallicana seinen besorgten Reiter und machte eine Kehrtwende. „Und mach’ der Schlange den Garaus, damit endlich wieder Ruhe ist.“ „Fisch, Schlange, was ist es denn nun?“, knurrte Gajeel, sammelte jedoch seine Magie für ein weiteres Gebrüll des Eisendrachen. Er wartete den Moment ab, bis sein Drache nahe am Kopf des Leviathans vorbei flog, dann ließ er die magische Attacke los. Augen und Schuppenkragen wurden völlig zerfetzt, die Nüstern und die flache Stirn aufgerissen. Spätestens als die ersten Eisensplitter in das bloßgelegte Gehirn drangen, hatte die Pein des Drachenartigen endlich ein Ende. Das Geschrei verstummte und der mächtige Körper fiel völlig schlaff ins Wasser. Eine beachtliche Flutwelle breitete sich in alle Richtungen aus, gefolgt von einigen kleineren, als der leblose Körper im Wasser versank. Metallicana setzte zum Landeanflug an. Anhand der Muskelzuckungen erkannte Gajeel, dass der Drache das Bein, in dessen Klaue er Pantherlily und Juvia hielt, anzog, damit ihnen bei der Landung nichts geschah. Als sie endlich auf der kleinen Insel aufgesetzt hatten, sprang Gajeel herunter. Metallicana hatte die Anderen bereits losgelassen. Sie schienen etwas mitgenommen, aber unverletzt, wie Gajeel erleichtert feststellte, dann stapfte er auf Juvia zu und versetzte ihr eine Kopfnuss. „Wehe, du ziehst noch mal so eine Mein Freund, der Leviathan-Nummer ab!“ Die Blauhaarige hielt sich den Kopf, blickte jedoch trotzig zu Gajeel auf. „Juvia musste es versuchen. Etwas hat nicht mit diesem Leviathan gestimmt.“ „Keine Heldentaten mehr! Die kosten uns nur die Köpfe“, fauchte Gajeel. „Merke ich mir“, mischte sich Metallicana ein und schüttelte den imposanten Körper durch, um das Wasser von den Schuppen zu kriegen. „Beim nächsten Mal lasse ich dich einfach absaufen und suche mir einen neuen Reiter.“ „Mach’ doch. Einen so guten wie mich findest du nie wieder“, grollte Gajeel. Der Drache schnaubte. Juvia legte Gajeel eine Hand auf den Arm und drehte sich herzlich lächelnd zu Metallicana herum. „Was Gajeel eigentlich sagten wollte, ist: Danke, dass du uns gerettet hast.“ „Gern geschehen, Wassermädchen, Eisenhirn.“ „Wer ist hier ein Eisenhirn?!“ Wieder schnaubte Metallicana und Gajeel hatte nicht übel Lust, ihm einen richtigen Schlag zu verpassen, aber Pantherlilys Räuspern ließ ihn innehalten. Der Exceed war nun wieder in seiner kleinen Gestalt. Die große kostete ihm viel Magie und damit auch Kraft – und allen Drills und aller Erfahrung zum Trotz war auch Pantherlily nicht unerschöpflich. „Hast du vielleicht eine Idee, was es mit dem merkwürdigen Verhalten des Leviathans auf sich haben könnte, Metallicana?“ „Nicht die geringste.“ Jetzt erlaubte Gajeel sich ein Schnauben und ein triumphierendes Grinsen. Es war ihm eine Genugtuung, dass der Drache eben doch nicht alles wusste. „Zieh’ nicht so eine Fresse, sonst lasse ich dich hier bei den Lemuren, Bananen und Kokosnüssen alleine.“ „Eisenhirn!“ „Wie gut, dass ein Reiter nicht kreativ sein muss.“ „Fledermaus!“ „Bitte?“ „Riesenechse!“ „Versuchst du gerade, mich zu beleidigen…?“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)