Guarda-costas von Cirque_des_Reves ================================================================================ Kapitel 1: Von Entscheidungen und Gnade --------------------------------------- Die Strassen waren staubig. Es war feucht und warm im Nordosten und Leo verstand nicht, wie die Leute hier nicht von Moskitos aufgefressen wurden. Er hätte schwören können, dass die Mücken in São Paulo nicht annähernd so brutal waren. Es roch nach Frittieröl, Benzin und Abwasser und an jeder Ecke hatte irgendwer einen Lautsprecher auf höchste Stufe gestellt, als wolle man den Motorenlärm von der Strasse mit geschmackslosem Samba übertönen. Rational gesehen, wusste Leo, dass es eine vollkommen dumme Entscheidung gewesen war, selbstständig loszuziehen. Es war nicht umsonst, dass er im Alltag überallhin gefahren wurde, wenn er etwas brauchte. Er war sich ziemlich sicher, dass es keinen einzigen Menschen in der Stadt gab, der nicht bereits auf offener Strasse überfallen worden war. Trotzdem hatte er heute eine ausgeleierte Brieftasche ausgegraben und mit Kleingeld für die Busfahrt gefüllt sowie seinen Handychip in sein ältestes Gerät transplantiert. Wenn ihn jetzt wer ausraubte, würde es ihn wenigstens nicht wirklich um was reuen. Leo wusste nicht, woher seine abenteuerlichen Anwandlungen gekommen waren. Er war ein rationaler Mensch, die Nachrichten erzählten tagtäglich vom Chaos und den Gefahren auf den Strassen. Er war strikt gesehen zu schlau für kindisches Verhalten, gerade wenn es sein eigenes Leben in Gefahr brachte. Es war sechs Monate her, seit sein Vater den Posten des Gouverneurs des Bundesstaates Pernambuco angenommen hatte, aber heimisch fühlte er sich in Recife trotzdem noch immer nicht. Dabei schien er der einzige in der Familie zu sein, der noch seiner alten Heimat nachtrauerte. Seine kleine Schwester Elise hatte in Rekordgeschwindigkeit Freundschaft mit den Mädchen in ihrer neuen Schule geschlossen. Camilla, die vier Jahre älter als er war, genoss das viele Sonnenlicht und warme Wetter und Xander, der Älteste, hatte einen guten Job in der Stadtverwaltung. Recife war chaotisch, unpünktlich und dreckig, aber all seine Geschwister hatten trotzdem ihre eigene Nische gefunden. Derweil war alles, was Leo für sich erobert hatte ein Sessel in der Graphic Novel-Abteilung der Livraria Cultura, seiner liebsten Buchhandlung in der Altstadt. Er hatte sich ignorant und eingepfercht gefühlt, hatte nach Abwechslung gedürstet. Vielleicht hatte er mit seiner Art, den Nervenkitzel zu jagen eine falsche Entscheidung getroffen. Auch wenn sein weisses T-Shirt und die ausgebeulten Jeansshorts die er trug nach einer Viertelstunde bereits so staubig wie die Kleidung aller anderen auf der Strasse gewesen war, seine helle Haut fiel auf. Selbst die Hellhäutigen im Viertel, in dem er sich befand, waren nicht blass wie er, sondern in einem scheinbar ewigen Limbo zwischen gebräunt und sonnenverbrannt gefangen; die grosse Mehrheit hatte klar dunklere Haut als er. Er fühlte sich beobachtet, auch wenn er wusste, dass sich wahrscheinlich kein Mensch wirklich um ihn scherte. Leos Weg führte ihn durch Seitenstrassen, die er normalerweise nie weiter beachtet hätte, vorbei an Marktständen und kleinen Bars die wie Sand am Meer gab und alle in etwa dasselbe im Angebot hatten. Hier und da wurde er von Händlern angesprochen, einmal versuchte eine junge Frau, ihm durch verschmitztes Flirten seine Handynummer zu entlocken. Als die Dunkelheit langsam über dem Viertel einbrach, fühlte sich Leo müde und kein Bisschen schlauer. Er wollte nach Hause und war sich noch immer unsicher, was er genau mit seiner Eskapade hatte bezwecken wollen. Normalerweise zog es ihn an weniger ärmliche Orte, an denen ihm weniger klar unter die Nase gerieben wurde, in welchem Privileg er tatsächlich schwelgte. Es war gut, sich bewusst zu sein was man hatte, aber dafür hätte er nicht herkommen müssen. Die Bushaltestelle war belebt und der öffentliche Verkehr fuhr um die Zeit stockend und unzuverlässig. Als endlich ein Fahrzeug in Richtung Stadtzentrum eintraf, war es vollgestopft. Spätestens da hatte der junge Mann genug vom Leben ausserhalb seiner ein Prozent der Wohlhabenden und zog sich zurück, um das Büro seines Bruders anzurufen. Wenn er Iago, den Stellvertreter seines Vaters kontaktierte, der eigentlich für seine Sicherheit und Mobilität zuständig war, würde er sich danach sicher eine endlose Predigt anhören dürfen. Peri, die Xanders Termine koordinierte, nahm ab. Leo war noch nie so dankbar dafür gewesen, ihre viel zu süssliche Stimme am anderen Ende der Leitung zu hören. „Peri Cruz für Alexandre Alves, wie kann ich ihnen behilflich sein?“ „Peri, hi. Hier spricht Leo. Habt ihr gerade wen im Büro, der mich abholen kann?“ Die Sekretärin gab ein langgezogenes Summen von sich. „Ich kann Senhor Alexandre fragen, wenn Sie das wollen–“ Leo unterbrach sie, bevor sie fortfahren konnte. Sein Bruder durfte von seinem Ausflug genauso wenig wissen wie Iago. „Nein. Wenn keiner frei ist, nehme ich ein Taxi.“ „Oh, nichts da. Das ist gefährlich, Senhor Leo! Ich schick' ihnen Gunter, der ist glaube ich sowieso unterwegs. Wo sind Sie gerade?“ Keine weiteren Fragen. Oh Mist. Was auch immer Leo an Bestechung für sie würde auftreiben müssen, er fürchtete sich bereits etwas davor. Peri wusste besser über seine Ausreisser Bescheid als dass es ihm lieb war und seit er ihr beim ersten Mal eines seiner Videospiele versprochen hatte, kamen ihre Dienste immer mit sehr exzentrischen und nicht selten auch etwas kostspieligeren Wünschen Hand in Hand. „Äh… In Olinda. Kennedy-Boulevard, die Haltestelle hier heisst…“ Er sah von seinen Sandalen auf, suchte nach einem Namen an der Bushaltestelle. „Uff, keine Ahnung. Aber es hat einen Motorradhändler hier in der Nähe.“ Am anderen Ende der Leitung schien Peri zu tippen. „Ich schick Gunter mal das, was mir Google Maps gibt! Geben Sie mir drei Minuten, dann rufe ich sie an und sag Ihnen, wie lange er zu Ihnen braucht, ja?“ Leo nickte, auch wenn die Sekretärin das nicht sehen konnte. „Danke, Peri.“ „Nix zu danken, Senhor Leo. Geben sie mir bloss Acht, hören sie? Bleiben Sie an belebten Orten. Wenn der Motorradladen noch offen hat, gehen sie irgendwie Fahrzeuge angucken oder so. Ist sicherer als auf offener Strasse rumzulungern.“ „Mach ich“, versprach der junge Mann. Er hätte sich einfach an den Ratschlag halten sollen. Peri war aus einer ärmlichen Gegend, sie wusste viel besser als er, wie man sich in einer solchen herumtrieb. Wobei, im Nachhinein war er wohl froh, hatte er es nicht getan. Sie rief fünfzehn Minuten später an, nicht in drei wie versprochen, mit der Nachricht, dass Gunter, der Sicherheitschef seines Bruders, in zwanzig Minuten am Treffpunkt Autohändler auftauchen sollte. Nachdem Leo die akribisch gezählten zwanzig Minuten lang alle möglichen staubigen Honda-Motorräder aus zweiter Hand bestaunt hatte (und dem Verkäufer versichern musste, als Erstes hier vorbeizuschauen, wenn er in Betracht ziehen sollte, sich eines zuzulegen), hiess es, dass der Laden jetzt wirklich schliessen musste und er doch bitte woanders trödeln sollte. Er hätte sich wehren sollen. Wenn er seinen Nachnamen und die Nummer seines Bruders herausgerückt hätte, es hätte sich sicher ein Betrag finden können, der etwas längere Öffnungszeiten für ihn ermöglichte. Er tat es nicht, zu hartnäckig um sich so kurz vor Ende seines Abenteuer des Tages noch an einem weiteren Luxus zu bedienen und so fand er sich erneut in der stickigen Abendluft wieder. Es roch nach Abgasen und bevorstehendem Regen und die nächste Strassenlampe flackerte erbärmlich. Leo bereute seine Entscheidung und seinen Stolz sofort. Es dauerte keine drei Minuten, da hatte sich noch wer zu ihm an die Strassenecke gestellt. Wie die meisten Menschen, die Leo den Nachmittag über gesehen hatte, war auch er dunkelhäutig; das Haar weiss aber sein Gesicht erstaunlich jung. Seine Haltung, Schultern zurück, Kinn hoch und die Hände in den Hosentaschen vergraben, untermauerte den Eindruck. Der Mann hatte ein Lächeln mit scharfen Kanten und über dem rechten Auge trug er eine dreckige, etwas abgewetzte und notdürftig zusammengeschneiderte Augenklappe. Seine Präsenz war beunruhigend. „Warten wir auf was?“ Die Frage kam aus dem Nichts, scheinheilig und beinahe wie ein Schnurren artikuliert. Leo stellte sich das Nackenhaar auf. „Ich glaube nicht, dass wir auf was warten,“ erwiderte er knapp und das Lächeln des Mannes weitete sich. Es erinnerte ihn an den Grinsekater aus Tim Burtons Alice im Wunderland. „Oh? Natürlich würde das reiche Bürschchen sich nicht in der gleichen Liga wie wir armen Schlucker sehen, hm?“ Der Mann rückte näher, zog die Hände langsam aus den Hosentaschen. Etwas glänzte im Licht der Strassenlampen. „Woher– “ Der Mann lachte und unterbrach Leos Frage. „Oh, bitte. Ich weiss, wie man die Leute erkennt, die es wert sind, ausgeraubt zu werden. Ich hab ein gutes Einschätzungsvermögen. Ganz im Gegensatz zu dir, würde ich mal gerne behaupten.“ Das Klappmesser schwebte kaum einen Zentimeter über Leos Hals, die andere Hand des Diebs legte sich auf seine Hüfte. „Komm, spiel mit. Ich will nicht dein hübsches Gesicht beschädigen müssen, weil du unter der Wahnvorstellung leidest, dich wehren zu können. Gib mir alles, was du gerade bei dir hast, dann kannst du gehen.“ Leos Antwort blieb aus. Eine Autotür knallte in der Nähe zu und im nächsten Moment hörte er, wie jemand eine Pistole entsicherte. Für einen Augenblick durchlief ihn ein Schauder, das war's für ihn. Dann versteifte sich die Hand an seiner Hüfte, das Messer zitterte. „Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich schneller schiessen kann als du schnippelst“, knurrte Gunter. „Steck dein Messer weg, Junge.“ Leos Angreifer lachte, die Stimme samtig und weich. „Oha. Hab ich da einen besonders grossen Fisch erwischt? Was sagst du, Engelsgesicht?“ Finger gruben sich fester in den Stoff von Leos Shorts. Der junge Mann wünschte, jemand in den vorbeirauschenden Autos würde anhalten, die Polizei rufen. Aber nichts passierte. Überfälle waren alltäglich. Jeder wusste es besser als den jämmerlichen Versuch zu starten, sich einer allfälligen Gang in den Weg zu stellen und Gunters Pistole tat bestimmt nichts um den Eindruck eines Bandenkriegs abzuschwächen. Hinter ihnen wurden die Läden des Schaufensters des Autohändlers geräuschvoll zugezogen. Verräter, dachte Leo bitter. Hier würde er sicher kein Motorrad kaufen, sollte er je auf den Geschmack kommen. Langsam, Zentimeter um Zentimeter liess der Dieb sein Messer sinken, bevor es zuklappte und mit lautem Klirren auf den Asphalt fallen liess. Gunters Pistole wich nicht von der Stelle. „Weisst du was, Alter?“ Die Stimme des Angreifers blieb leicht, herausfordern. So, als würde er sich pudelwohl fühlen. „Tu's. Pust mir das Hirn weg.“ Leo japste entsetzt nach Luft und riss sich endlich los, seine Schockstarre gebrochen. Das konnte unmöglich sein Ernst sein, dessen war er sich fest überzeugt. Aber der Dieb lächelte müde als sein einzelnes Auge, sturmgrau und unleserlich, Leos ungläubiges Starren registrierte. „Denkst du etwa, er tut mir einen Gefallen, wenn er mich am Leben lässt?“ Er grinste. „Lieber tot als im Gefängnis. War schon oft genug drin um dir sagen zu können, dass es dort–“ „Genug der Spielchen, Junge. Hände hoch und keine Bewegung. Senhor Leo, holen sie mir die Kabelbinder aus dem Handschuhfach. Sie wissen, wo meine Autoschlüssel sind.“ Folgsam trat Leo näher und fischte die Schlüssel aus der Innentasche von Gunters Jacke. Seine Hände zitterten als er den Range Rover aufschloss und eilig nach den verlangten Kabelbindern griff. Als er zurückkehrte, nickte Gunter in die Richtung des Missetäters. „Hände runter, Schuft. Schnell, binden sie ihm die Handgelenke zusammen, Senhor Leo.“ Der Dieb lachte, während Leo sicherstellte, dass er sich nicht aus den notdürftigen Handschellen befreien konnte. „Oh, bitte. Bitte, tu's einfach. Sie tun jedem, mir inklusive, einen riesigen Gefallen.“ „Mund halten. Was auch immer du zu sagen hast, du darfst es gerne der Polizei erzählen.“ „Warte, Gunter.“ Leo überraschte sich selbst dabei, wie er plötzlich seine Sprache wiederfand. Die Worte des Diebs hallten noch immer in seinem Kopf, klar und so voller Gewicht, dass ihm beinahe schlecht wurde. „Kannst du schiessen, Einauge?“ Seine Frage erntete Prusten. „Seh ich wie einer aus, der Geld für 'ne Pistole hat?“ „Wie steht es mit einem rechten Haken?“ Gunter und der Dieb sahen beide gleichermassen verwirrt aus. „Senhor Leo, auf was wollen sie genau hinaus?“ Die Frage des Sicherheitschefs war berechtigt. Leo hörte die Rationalität in sich schreien, dass er hier gerade einen furchtbaren Fehler beging und doch einfach den Typen zum nächsten Revier bringen sollte. „Ich hab noch keinen persönlichen Bodyguard. Ich will ihn anstellen.“ Gunters Protest ging im Lachen unter, der auf die Aussage folgte. „Kleiner, was du hier gerade bringst, das kann sich ernsthaft keiner ausdenken. Oh Mann.“ „Wie viel willst du dafür?“ Leo hatte keine Ahnung, wie die Angestellten im Haushalt gezahlt wurden. Bisher hatte er nie daran gedacht, Xander nach dem Detail zu fragen, schliesslich hatte Iago ihm immer versichert, dass er sich um alle Bürokratie kümmern würde, sollte er sich denn endlich dazu entschliessen, auch etwas für seine eigene Sicherheit zu tun. „Dir ist bewusst, dass ich jetzt einfach sagen kann, dass ich eine Million Reais will, ja?“ „Im Ernst. Ich mach' dir ein Jobangebot. Es ist entweder das oder das Polizeirevier.“ „Senhor Leo, sie wissen nichts über diesen Kriminellen!“ Dieses Mal zogen Gunters Worte die Aufmerksamkeit des jungen Mannes auf sich. „Ich weiss, dass ich ihn als Leibwächter will.“ Leo war sich bewusst, dass er wie ein Fünfjähriger klang, der im Spielzeugladen nach dem grössten Teddy im Sortiment verlangte. Der Dieb wirkte zum ersten Mal seit ihrer Begegnung hoffnungslos überrumpelt. „Der meint's ernst. Jungfer Maria, alter Mann, geht's dem Bürschchen noch gut?“ Der Kommentar bescherte ihm einen Tritt auf den Fuss. Der Dieb stöhnte schmerzerfüllt auf. „Leibwächter oder Gefängnis. Du hast Zeit bis wir vor dem Revier sind, dann will ich eine Antwort.“ Leo legte all seine Autorität in seine Stimme und drehte sich auf den Hacken um, um Gunter die Tür zum Rücksitz zu öffnen. Der ältere Herr bugsierte den immer noch ungläubig lachenden Dieb in den Wagen und sah den Bruder seines Chefs mit harter Miene an. „Ich weiss nicht, was Sie hier gerade spielen, Senhor Leo, aber seien sie sich sicher, dass ihr Bruder davon erfahren wird.“ Sie liessen den Dieb über Nacht bei Silas, dem Torwächter. Gunter traute ihm nicht genug um ihm freien Lauf im Haus zu lassen und Leo durfte sich über Stunden hinweg anhören, wie sein Verhalten verantwortungslos und seine Entscheidung besorgniserregend gewesen war. „Du kannst nicht einfach jeden Schurken von der Strasse adoptieren, Leo. Das ist kein Welpe, sondern ein erwachsener Mann.“ „Ist mir bewusst, Xander. Danke“, erwiderte er frostig und rieb sich über die staubigen Schultern. Xanders Sorgenfalten liessen Leos Bruder mehr nach 40 und nicht 30 aussehen. Die Sturheit, die sie beide an den Tag legten, war familientypisch und wahrscheinlich Grund dafür, wieso alle Streitfälle zwischen den Geschwistern viel zu lange dauerten. Zu Leos Glück war Xander erschöpft und mit seiner Geduld am Ende. „Er hat eine Woche Probezeit. Wenn er beweist, dass er seinen Job im Griff hat, kriegt er seine Anstellung. Aber wenn er dir auch nur einen Cent aus der Brieftasche stiehlt, ist er schneller auf dem Revier als dass er filho da puta sagen kann.“ Und damit hatte sich das Gespräch erübrigt. Leo wurde ins Bad abgeschoben, unter Camillas amüsierter Aussage dass er wie ein niedlicher Strassenköter aussah, und dann durfte er sich Iagos Zetern über sein unverantwortliches Verhalten anhören. Als er den Dieb am nächsten Morgen besuchte, sass er mit Augenringen neben Silas, seinen Stuhl auf den Hinterbeinen balancierend. Er sah wie ein äusserst lässiger, verschmutzter Zombie aus. Im Tageslicht wirkte er weniger angsteinflössend und ausgelaugter, harmloser. Menschlicher. „He, Senhor Leo“, grüsste er mit einem verschmitzten Lächeln. Leo runzelte die Stirn über die Anrede. In seinem schweren nordöstlichen Dialekt klang sie kein Stück höflicher als wenn er mit 'hey, du da' angesprochen worden wäre. „Guten Morgen“, erwiderte er steif und nickte Silas ebenfalls zu. Der Torwächter schmunzelte überraschenderweise, weitaus weniger unglücklich über den Umstand, dass er einen Kriminellen babysitten musste als am Vorabend. „Wissen Sie was? Ich weiss, was ich als Bezahlung will.“ Leo seufzte. Finanzielle Entscheidungen oblagen Iagos Entscheidungen und jetzt um irgendetwas zu bitten würde ein Mordszirkus werden. „Schiess los.“ „Ich hab' ne kleine Tochter, Nina. Vier Jahre alt. Wunderbares Kind, sagt schön "bitte" und "danke" und kann schon lesen. Lebt bei ihrer Mutter, die sie verwahrlosen lässt. Wenn ich für Sie arbeiten soll, dann soll sie bei mir wohnen dürfen. Und zur Schule gehen.“ Er hatte ehrlich gesagt mit vielem gerechnet, nicht aber mit einer solchen Forderung. Der Dieb zuckte mit den Schultern. „Nehmen sie's oder lassen sie's.“ „Du bist nicht wirklich in der Position, mir ein Ultimatum zu stellen, oder?“ Leo grinste und lehnte sich gegen den Türrahmen. Er bekam lediglich eine hochgezogene Augenbraue. „Wie heisst du?“ „Bittewie?“ Der Dieb legte den Kopf schief und zog die Augenbrauen zusammen. „Ich muss ja wohl wissen, wie ich meinen Leibwächter ansprechen soll.“ Für einen Augenblick war es vollkommen still im Wachhäuschen. Dann zogen sich die Mundwinkel des Diebes hoch. Sein sturmfarbenes Auge strahlte vor verhaltener Freude und trotz des mageren Gesichts und der Augenringe sah er zum ersten Mal wirklich schön aus. „Dort wo ich herkomme, nennen sie mich Zéro.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)