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Verborgen in Stille

von

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Ein verregneter Tag

Als ich am nächsten Morgen in den Spiegel schaute, sah ich einen kleinen kaum auffälligen Fleck an der rechten Seite meines Auges. Vorsichtig strich ich da rüber und zuckte leicht zusammen. Es schmerzte ziemlich. Frustriert stöhnte ich auf. Hoffentlich würde es niemand merken….

Wenn doch, werde ich einfach sagen, dass ich beim Karatetraining was abbekommen hatte. Die Ausrede würde keine Fragen aufwerfen. Ich dachte an Jack. Er würde mir das nicht abkaufen. Zu aufmerksam war dieser Mann. Außerdem wusste er, dass ich nicht bei dem Training war.

Vermutlich würde ich ihn heute sowieso nicht sehen. Vater war gestern nicht mehr nach Hause gekommen. Wo er die Nacht über war, war mir ziemlich egal. Wenn es nach mir ginge, brauchte er auch gar nicht mehr wiederkommen. Schwer seufzte ich auf und machte mich für die Schule fertig. Ich betrachtete mich noch mal im Spiegel, der im Flur stand, eher ich mich auf den Weg machte. Es regnete und ich zog die Jacke enger um meinen Körper. Ich achtete nicht auf den Weg, nicht auf den Regen der meine Haare benetzte noch auf die Anderen als ich in die Schule ging. Mechanisch grüßte ich den ein oder anderen, wenn er mich grüßte und setzte mich in die Klasse.

Ich blickte hinaus auf den Hof. Die Regentropfen zeichneten ein wirres Muster auf die Scheibe und ich verfolgte sie in Gedanken. Das wirre Muster nahm kein Ende und fast schon erschrocken fuhr ich zusammen, als man mich berührte. Ich drehte mich mit geweiteten Augen um und sah in Erics Gesicht. Wie ich, sah auch er mich erschrocken an und fragte: „Jazz, alles klar? Du wirkst ja wie in einer anderen Welt? Schlecht geschlafen?“ Ich blinzelte einige Male, versuchte das komische Gefühl in mir abzuschütteln und setzte mein bekanntes Grinsen auf. „Alles klar, einfach nur wirklich sau schlecht geschlafen“, begann ich, es war nicht mal gelogen.

„Ich hab dich gestern nicht erreicht, wirklich alles gut“, fragte Eric mich stirnrunzelnd. Ja, gestern hatte mein Handy mehrmals geklingelt, doch ich habe nicht abgenommen. Eigentlich bin ich gestern nur noch zum Essen und für das Badezimmer herausgekommen.

Ich fühlte mich nicht wohl, nickte aber dennoch und meinte: „Alles gut. Sonntag war nur scheiße… irgendwie.“ Eric betrachtete mich eingehend und fragte: „Okay, weswegen denn? Ist es wegen…na ja... du weißt schon?“ Er blinzelte kurz Richtung Tobey und ich verdrehte genervt die Augen.

„Ich hab nichts mit dem Typen“, zischte ich ihm böse zu. Eric hob beschwichtigend die Hände und lächelte entschuldigend. „Ja, ist gut. Wie geht es denn deinem Soldaten“, fragte er mich und grinste leicht.

Unsere Englischlehrerin, Mrs. Williams, war noch nicht da und der Rest der Klasse war am quatschen und am rumalbern. Colin und der Rest meines Teams hatten sich zusammengesetzt und schienen über irgendetwas zu lachen. Somit waren Eric und ich ungestört. Leise flüsternd berichtete ich von unserem Wochenende, erzählte die schönen Momente, versuchte an diesen festzuhalten. Er konnte mir kaum glauben, dass ich wirklich Jet fliegen war. Also zeigte ich ihm die Bilder, die Jack von mir vor der Maschine gemacht hatte. Neidisch betrachtete er die Bilder und sah das Selfie von mir und Jack länger an. „Cool, cool, dafür würde ich auch mal schwul sein. Weißt du wie teuer sowas ist?“ Darüber hatte ich gar nicht nachgedacht. Ich zuckte mit den Schultern und wollte gerade anfangen zu berichten, dass Jack wohl noch etwas bei einem alten Kameraden gut hatte. Als Eric mehr erfahren wollte, kam jedoch Colin zu uns und grinste mich verschmitzt an.

„Hey, Williams ist krank. Also gibt es ne Freistunde. Geil oder“, fragte er und setzte sich unaufgefordert zu uns. Ich nickte ihn leicht an und grinste falsch, doch keinem schien es aufzufallen. Die anderen meiner Mannschaft schlossen sich unserem Trüppchen an und so konnten Eric und ich nicht ungestört sprechen.

Dabei sehnte ich mich so, das Schweigen zu brechen und doch wieder nicht. Ich wusste nicht, was ich machen sollte. Das dumpfe Pochen an meinem Auge erinnerte mich immer wieder an das, was geschehen war und doch nicht hätte passieren dürfen.

„Jasper“, meinte Zack zum Ende der Freistunde, „was ist das da an deinem Auge?“ Ich blickte verlegen zu unserem Pitcher und alle Blicke wanderten zu meinem Gesicht. So wie meine Mutter, legte ich meine Hand auf den leichten, aber schmerzvollen Punkt und winkte grinsend ab. „Ach“, meinte ich, „hatte Karatetraining und der Trainer hat mich blöde getroffen. Tut ziemlich weh.“ Eric blickte mich mit seinen geweiteten Augen an und ich sah meinem besten Freund an, dass er mir keinen Glauben schenkte.

Natürlich, wenn ich gestern für ihn nicht erreichbar war. Doch darauf ansprechen tat er mich nicht. Er würde mich nicht bloß stellen. Etwas, wofür ich sehr dankbar war. Unsere Blicke trafen sich und ich schämte mich, dass er sich denken konnte, was geschehen war.

Die Anderen schienen sich mit meiner Erklärung zufrieden zu geben und ich klinkte mich schnell in ein Gespräch ein, welches sich um diesen dämlichen Ball drehte, der irgendwann stattfinden sollte.

Aufgrund des schlechten Wetters musste ich das Training ausfallen lassen und eigentlich war ich heute nicht sonderlich traurig darum. Schnell packte ich nach dem Schulschluss meine Tasche, denn ich wollte nicht, dass Eric mich aufhielt. Als ich jedoch zu ihm blickte, sah ich, dass Zoey bei Eric stand und ihm etwas ins Ohr flüsterte und ihn ablenkte.

So schaffte ich es tatsächlich dem Gespräch zu entkommen und ging schnell die Straßen entlang nach Hause.

In der Einfahrt sah ich das Auto meines Vaters. Mutters Wagen war weg, vermutlich war sie wieder in der Kirche. Frustriert blieb ich stehen. Sah zu dem Haus meiner Familie und ein fester Knoten bildete sich in meiner Brust. Schmerzvoll, unangenehm. Ich wollte nicht nach Hause. Ich wollte nicht mit ihm alleine sein. Hatte ich Angst? Vielleicht ein wenig, wenn ich ehrlich war.

So sah ich zu Jacks Haus. Ohne lange hin und her zu überlegen ging ich da hin und klopfte an. Das Vater nicht wollte, dass ich zu ihm ging, war mir egal. Es dauerte nicht lange und die Tür wurde geöffnet. Jack stand vor mir mit einer Zigarre im Mund.

Er studierte kurz verwirrt mein Gesicht und sein Auge schien sich auf die Verletzung zu fokussieren. Er sah es natürlich sofort. Als hätte er einen Veilchen Detektor. Schnell, ohne etwas zu sagen, trat er beiseite und gewährte mir Einlass, fragte nicht nach.

Er wusste es, hatte es gesehen. Ich wusste es. Ob er auch weiß, dass es von Vater war? Natürlich, so wie Dad gestern zu Mum und mir hinüber geblickt hatte. Ich darf nicht sprechen, du hast es versprochen! Wie würde das denn aussehen? Wie würdest du dann deine Familie hinstellen? Wie die letzten Asozialen. Das geht nicht. Ich ging in das Haus. Dieses Mal kam kein Didi auf mich zugelaufen um mich zu begrüßen. Ich schaute mich um und konnte den Hund nirgends entdecken.

„Wo ist Didi“, fragte ich ihn, schaute über meine Schulter hinweg Jack an. Er kam langsam auf mich zu, vorsichtig, taxierend. „Ist mit Ozelot draußen, der will den Kleinen an Menschenmassen gewöhnen. Was ist mir dir“, fragte er mich mit neutraler Stimme. Wieder mal war keine Regung von Gefühlen in ihr zu erkennen. Er fragte fast so, als würde ihn die Antwort gar nicht interessieren. Es verunsicherte mich, zögerlich nickte ich ihm zu und ließ mich auf seiner Couch nieder. Ich raufte mir die Haare. Ich bemerkte, wie Jack zum Fenster ging und hinüber sah zu unserem Haus. Fast schon prüfend, sein Blick glitt danach langsam zu mir. Ich wüsste zu gerne, was er grade gedacht hat. Ob er wirklich wusste, dass ich hier bin, weil nur mein Vater grade zu Hause war? Fast schon vorsichtig kam er auf mich zu und ich spürte seine kräftige Hand auf meiner Schulter. Erneut zuckte ich zusammen, als man mich anfasste. Wappnete mich für die Inquisition, die folgen würde. „Lass uns in die Stadt“, meinte Jack plötzlich und ließ langsam die Hände sinken.

Verwirrt sah ich über die Schulter zu ihm. Meine Augen weiteten sich. Seine Mimik hatte sich nicht verändert, immer noch ohne Regung von Gefühlen. Einzig in seinem Auge war eine Veränderung zu sehen. Fast schon schimmerten sie mich fürsorglich an. Mein Gesicht entspannte sich und dankbar war mein Blick, mit dem ich ihn ansah.

Ich wusste, dass er es wusste, doch er sprach es nicht an. Ich erhob mich langsam und er ging zu den Schlüsseln seines Autos. Ohne darauf zu achten ob Vater uns sah oder nicht, stieg ich in Jacks Geländewagen. Ich fragte nicht wohin wir fuhren. Ich blickte auf die regennasse Fahrbahn. Mein Kopf lehnte an der Scheibe, während ich auf die vorbeiziehenden Gebäude blickte.

Wir schwiegen. Etwas, was Jack ziemlich gut konnte und ich langsam auch. Nicht mal das Radio wurde angeschaltet. Ich achtete nicht auf die Schilder, darauf, wo wir hinfuhren. Es war mir schlichtweg egal. Einmal kurz strich ich mir über die schmerzende Stelle, doch schnell ließ ich meinen Arm sinken. Jack entging keine meiner Reaktionen, dass wusste ich. Mir war klar, dass er mich ablenken wollte, so dass ich nicht weiter an etwas Schlimmes denken musste. Dankbar war ich dafür. In meiner Brust erwachte ein anderes Gefühl, neben der Dankbarkeit war das Gefühl der Zuneigung für diesen Mann stärker denn je. Ich schaute Jack an und musste unweigerlich leicht lächeln, als ich ihn sah.

Erst als noch einige Minuten verstrichen waren und ich wieder auf die nasse Straße sah, fragte ich leise: „Wohin fahren wir?“

„Zu Ikea“, war seine schlichte Erklärung wieder ohne seine Gefühle zu offenbaren.

Verwirrt sah ich ihn an und fragte: „Ist das jetzt dein Lieblingsladen?“

„Nein, der ist schrecklich, aber ich hatte was bestellt. Das muss ich abholen. Und die Fleischbällchen sind klasse da.“

Ich dachte nach und nach einigen Minuten fing ich mit monotoner Stimme an zu erzählen, dass meine Mutter den Laden toll fand und dass sie Jenny damit angesteckt hatte. Ich plapperte einfach weiter, berichtete von Jenny, wie sehr ich sie mochte. Auch wie traurig ich eigentlich war, dass sie nicht mehr bei uns wohnte. Erzählte Geschichten aus meiner Kindheit. Glückliche Erlebnisse mit meinen vielen Geschwistern. Jack schwieg, nickte und hörte mir zu. Ab und zu sah er zu mir herüber. Ich wollte einfach nicht mehr an gestern denken und flüchtete mich in schöne Erinnerungen aus meiner Kindheit. Ich dachte an meine Großmutter und liebevoll erzählte ich von ihr, dass sie ein sehr lustiger Mensch sei. Welcher viel und gerne lacht und tatsächlich versucht auf dem neusten Stand zu bleiben. Verwirrt sah Jack mich an und fragte nach einem Moment tatsächlich: „Also warte, deine Oma lebt noch? Deine Eltern sind doch älter!“ Ich nickte und grinste leicht. „Ja, sie lebt noch. Ist auch noch ganz fit. Sie braucht nur einen Stock… Meine Oma würdest du mögen“, meinte ich und tatsächlich schaffte ich es sogar, leicht zu grinsen als ich an sie dachte.

„Wieso… was ist sie denn für ein Mensch“, fragte Jack mich ruhig, wohl froh, dass ich aus meinem Schneckenhaus gekrochen kam. „Eigentlich offen, fröhlich und… na ja, für ihre Zeit war sie sehr… sie ließ sich nie die Butter vom Brot nehmen. Einmal hat meinem Großvater die Suppe nicht geschmeckt und er hat sie aus dem Fenster gekippt. Oma hat dann den Teller und das Besteck wortlos hinterher geschmissen. Als er dann fragte, weswegen sie das gemacht habe, meinte sie wohl, sie dachte, er wolle draußen essen.“ Jack schmunzelte belustigt und nickte über meine Geschichte.

Tatsächlich führen wir nach einigen Minuten auf den Parkplatz des Möbelhauses. „Müssen wir um an die Information zu kommen durch den ganzen Laden laufen“, fragte ich ihn und zog skeptisch die Augenbrauen hoch.

Er zuckte mit den Schultern. „Weiß nicht“, meinte er und zog einen Zettel aus der Tasche.

„Was hast du denn bestellt? Noch eine Kommode?“ Ich ging ihm einfach nach und sah mich um. „Einen Badezimmerschrank“, meinte er und runzelte die Stirn. „Hab irgendwie mehr, als ich dachte“, erklärte er mir und ging einfach in den Laden hinein. Ich folgte ihm schweigend und ließ meinen Blick über die Möbel schweifen. Viele sahen wirklich hässlich aus, fand ich. Und tatsächlich überall standen Kerzen herum.

Jack erfuhr, dass er das Schränkchen unten abholen konnte, so dass wir uns entspannt etwas zu Essen holen konnten. Wir saßen einander gegenüber und schwiegen. Ich stocherte in meinem Essen herum, nahm ein zwei Bissen. Schmecken tat ich nicht besonders viel. Wieder fingen meine Gedanken an zu kreisen. Die Ablenkung hatte leider nicht so lange funktioniert wie ich dachte.

„Schmeckt es nicht“, fragte Jack nach einem Augenblick. Meine Augen wanderten zu ihm. Er zog die Augenbrauen hoch und betrachtete mich eingehend. Ich sah hinunter auf seinen Teller, welcher bereits leer war und betrachtete meine vollen. „Doch“, meinte ich schnell, „hab nur nicht so viel Hunger.“

Jack betrachtete mich stirnrunzelnd und fragte nach einem Moment der Stille: „Wieso holst du dir dann so viel.“

Verteidigend meinte ich: „Die haben mir so viel darauf gepackt… Wie bei dir.“ Er nickte nachdenklich und ich spürte, wie sein Blick erneut zu meinem Auge wanderte. „Na gut“, kommentierte er und trank sein Wasser leer.

„Tut mir leid“, begann ich nach einiger Zeit, in der ich gegessen hatte, „ich bin etwas schlecht drauf.“

„Hab ich gar nicht gemerkt“, erwiderte Jack ziemlich trocken. Sarkasmus sprach der Kerl genauso gut wie Russisch. Schwer seufzend ließ ich das Besteck sinken. „Tut mir leid“, meinte ich leise und schob den halb vollen Teller von mir weg. Jack betrachtete mich, nahm seine Gabel zur Hand und aß meine Reste. „Brauchst dich nicht zu entschuldigen. Passiert jedem einmal.“ Ich nickte schwer und schaute ihm beim Essen zu. Er sah mich nicht an, schaute auf den Teller.

Ich runzelte die Stirn und nach einem Augenblick sagte ich: „Ist gerade einfach alles irgendwie… beschissen.“ Sein Auge wanderten vom Teller hinauf zu mir. Jack fixierte mich eingehend. Er schien wegen irgendetwas mit sich zu ringen. Mit was verstand ich nicht. Er griff in seine Hosentasche und zog seinen Schlüsselbund hervor. Mehrere unterschiedliche Schlüssel hingen daran. Er entfernte einen von den Ringen und schob ihn mir herüber.

Ich nahm ihn entgegen und betrachtete den Schlüssel verwirrt. „Wenn was ist und ich nicht da bin, dann kannst du rüber kommen“, meinte er und aß den letzten Rest meines Essens auf. Erstaunt weiteten sich meine Augen und ich betrachtete den unscheinbaren silbrig schimmernden Schlüssel in meiner Hand. Dankbar schloss sich meine Hand. Ich schloss kurz meine Augen und nickte leicht.

Ich war fast gerührt davon.

„Was dagegen, wenn wir Adam und den Hund abholen“, fragte Jack mich nach einigen Augenblicken, in denen er mich wieder beobachtet hatte. Ich schüttelte leicht den Kopf als wir aufstanden. Ich dachte an die letzten Tage. Ich wollte unbedingt über etwas sprechen, was kein Bisschen mit meiner Familie zu tun hatte. Ich wollte, dass mein Verstand sich auf andere Dinge fokussierte. Ich durchstöberte meine Gedanken und landete bei White Shark. Daran, was da passiert ist und worüber die Beiden gesprochen hatte. Nach einigen Momente fragte ich: „Dein Codename war Snake, oder?“ Jack nickte leicht und sein Blick durchbohrte mich nahezu. „Wie kommt es, dass du den bekommen hast“, fragte ich, als wir die Rolltreppe hinabfuhren. „Später“, meinte Jack, während er andere Kunden des Ladens beäugte, die in unserer Nähe standen. Sie schienen jedoch von mir und Jack wenig Notiz zu nehmen. Wir holten das Schränkchen ab und luden es in den Kofferraum.

Wenig später waren wir wieder auf der regennassen Fahrbahn. Ich blickte auffordernd zu ihm. Jack verstand und verdrehte fast schon genervt sein Auge, als habe er gehofft, ich hätte es vergessen. „Man verdient sich Decknamen“, meinte Jack nach einem Moment und schaute auf die Straße. „Oder man bekommt sie einfach.“

Ich nickte verstehend und war neugierig. Ich wollte mehr erfahren und er sah mir die nonverbale Frage an, als er kurz hinüber sah. „Ich habe ihn bekommen. Von meiner Mentorin, während eines Einsatzes. Sie meinte er passe…“

„Also…weiß nicht, bist du gut im Schleichen und schlägst aus dem Hinterhalt zu, oder wie?“ Er runzelte nachdenklich die Stirn und schien abzuwägen. „Hm“, grummelte er vor sich hin. „Ein wenig… Aber das ist nicht der Grund….Die Einheit von meiner Mentorin hieß Kobra. Die Operation, auf die ich geschickt wurde, hatte den Decknamen Snake Eater. Deswegen bekam ich damals den Codenamen.“ Ein Schmunzeln glitt über sein Gesicht und er fügte leicht grinsend hinzu: „Ja, die Army ist da sehr kreativ. Dann gab es noch tatsächlich Informanten, die hießen Adam und Eva.“

„Ist Adam der Adam“, fragte ich und dachte an den blonden Russen der gerade bei Jack wohnte.

„Er kann nichts für seinen Namen, das waren Codenamen…In den seltensten Fällen hat es was gemeinsam.“ Wieder wich er aus. Hatte weder ja noch nein gesagt. Ich runzelte die Stirn und sagte: „Adam kommt mir überhaupt nicht gefährlich vor.“ Jack schaute überrascht zu mir und ein amüsierter Ausdruck erschien auf seinem Gesicht. „Wieso“, fragte er.

„Weiß nicht, er wirkt so nett, freundlich und zurückhaltend… Irgendwie…weiß auch nicht… dir sieht man an, dass man sich mit dir nicht anlegen sollte…“

Das Grinsen auf Jacks Gesicht wurde breiter und amüsiert sprach er: „Sind das dann nicht die Gefährlichsten? Diejenigen, denen man es nicht ansieht?“ Ich stockte und dachte verwirrt nach. Nichts wirkte bedrohlich an Adam, außer den offensichtlichen Revolvern. Stirnrunzelnd sah ich auf die Straße und nickte leicht. Leise murmelnd mutmaßte ich: „Also ist er schon ziemlich gefährlich, oder wie?“ Wieder wich Jack aus und erklärte: „Er kann ziemlich gut schießen…ja…“

Ich schaute fragend zu Jack: „Kannst du auch noch gut schießen?“ Mein Blick glitt zu der Augenklappe. Ich wusste gar nicht, wie lange er sie schon trug. Ich hatte ihn nie danach gefragt. „Hm… Es geht. Ich werde immer sicherer. Was aber überhaupt nicht mehr gut geht, ist rückwärts einparken“, meinte er und blickte zu mir. Ich musste tatsächlich leicht schmunzeln, hätte ich ihm so eine simple Sache doch ganz einfach zugetraut.

„Wie lange ist es eigentlich her“, ich deutete mit meiner Hand kurz auf die Augenklappe. Jack blickte kurz zu mir rüber und antwortete schnell: „Ungefähr 4 Monate.“ Kürzer wie ich vermutet hatte. Erneut blickte ich ihm ins Gesicht und nickte leicht. Erneut war ich beeindruckt, so tapfer wie er damit umging könnte man meinen, dass es bereits Jahre zurücklag.

„Du sagtest deine Mentorin hat dir den Namen Snake gegeben… Kommt sie dich dann bald mal besuchen?“

Jack schüttelte kurz den Kopf. Nach einem kurzen Moment der Stille meinte er: „Ich besuche sie, so oft ich kann.“

Erneut überkam mich die Eifersucht. Er besuchte diese Frau. Wieder jemanden, der ihn so viel länger kannte wie ich. Und wieder stellte ich fest, dass es mir nicht passte! Ich schluckte die Gefühle herunter und fragte: „Ist sie dann nicht sauer, wenn du aus der Army aussteigst?“ Jack schien fast schon melancholisch kurz zu lächeln, fast nicht wahrnehmbar und es verschwand schnell. Dann grinste er mich kurz an und erneut konnte ich feststellen, dass es eine Maske war. Immer besser konnte ich hinter seine Masken schauen.

„Sie würde sicher sehr sauer werden, wenn sie es erfahren würde. Aber eigentlich hat sie mir beigebracht das zu tun, was ich für richtig halte.“, meinte er und konzentrierte sich wieder auf das fahren. Würde, hatte er gesagt… Wenn Jack doch so bekannt war und alle vor ihm Respekt hatten, wieso wusste sie es dann noch nicht. Stirnrunzelnd starrte ich hinaus auf die nasse Bahn und es klickte. Sie war tot… Aber wie konnte er sie dann besuchen. Das ging doch nicht, oder? Zögerlich begann ich zu fragen: „Wo wohnt sie denn…das du sie so regelmäßig besuchst?“

Wieder antwortete Jack ziemlich schnell. „In Arlington.“ Meine Augen weiteten sich, doch Jack merkte es nicht. Arlington, der große Soldatenfriedhof. Reih um Reih standen dort weiße Grabsteine und erstreckten sich bis zum Horizont. Ein Arial, was man sich von der Größe her kaum vorstellen konnte. War das die Frau, die er geliebt hatte? Vermutlich…Sollte es bedeuten, dass er regelmäßig von Texas nach Virginia reiste, um sie am Grab zu besuchen? So konnte er doch niemals los lassen. Unschlüssig betrachtete ich Jack.

„Wieso bist du nach Texas gezogen, wenn du so oft dahin reist“, fragte ich und die Überraschung schwang in meiner Stimmte mit.

„Ich hab es dort nicht mehr ausgehalten“, waren seine Worte und erneut stellte ich fest, dass ich wieder in ein Fettnäpfchen getreten war. Er hatte es nicht mehr da ausgehalten, diese Aussage sagte, wenn man genau hinhörte, so viel mehr über diesen Mann und seine verletzten Gefühle aus, als man im ersten Moment meinte. Alles hinter sich zu lassen, Freunde, Bekannte die bekannten sozialen Infrastrukturen um irgendwo anders neu anzufangen zeigte, wie verzweifelt Jack war. Es klang schon fast wie eine Flucht. Dennoch schaffte er es wohl nicht ganz, wie ich fast schon bitter dachte. Er konnte körperlich fliehen, egal wohin. Jetzt hatte es ihn nach Texas verschlagen, wer weiß wohin es ihn noch treiben würde. Jedoch schien es, dass er in seinem Kopf nicht entkommen könnte. Seine Gedanken schienen ihn festzuhalten, fast schon zu fesseln. Wenn er wieder leben wollte musste er diese Fesseln abschütteln. Ich fragte mich, wie sehr er diese Frau geliebt hat und was mit ihr passiert war.

Ob sie während eines Einsatzes gestorben ist?

Wenn sie doch seine Mentorin gewesen ist, musste sie dann nicht auch deutlich älter sein als er?

Jacks Hand lag auf dem Steuerknauf des Wagens. Zögerlich streckte ich meine Hand nach seiner aus und drückte sie kurz. Jacks Blick wanderte augenblicklich zu mir und sanft lächelte ich ihn an. „Ich hoffe hier hältst du es länger aus. Ich habe dich nämlich gerne hier“, meinte ich mit sanfter Stimme. Blau traf auf braun als sich unsere Blicke trafen, und Jacks Gesicht entspannte sich, bevor er wieder auf die Straße sah. Ich spürte, wie er meine Hand drückte, aber schnell wieder los ließ.

„Ich mag dich auch, Kleiner“, sagte Jack und sah mir nicht in die Augen, sondern fixierte die Straße. Wir fuhren hinein in die Innenstadt und Jack suchte sich einen Parkplatz.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Pitchermaus
2016-09-25T16:41:37+00:00 25.09.2016 18:41
Uhi, je weiter ich lese um so mehr fällt mir immer dazu ein und wenn ich dann am Ende angelangt bin, ist es so viel, dass ich gar nicht weiß, wo ich beginnen soll. Zu Beginn schwankte ich doch ein wenig zwischen Unverständnis, weil Jaspers einfach nicht den logischen Weg geht und Verständnis, da ich denke, dass seine Reaktion und sein Verhalten durch aus realistisch ist. Aber irgendwie dachte ich die ganze Zeit "warum geht er nicht einfach zu Jack oder erzählt seinem Freund was passiert ist bzw. dessen Eltern?" Damit würde er sich vielleicht einiges ersparen. Wobei ich jetzt nicht weiß, wie Erics Eltern sind. Bei vielen könnte ich mir in der Stadt vorstellen, dass sie Jazz Vater nicht zutrauen, dass er Frau und Kind schlägt. Aber Eric hat ja doch etwas mitbekommen, auch wenn er vielleicht noch nicht weiß was. Da bin ich schon gespannt, wie das Gespräch zwischen den beiden Jungs verlaufen wird und inwieweit Eric Jazz helfen kann. Jaspers Reaktion hast du an der Stelle aber sehr schön beschrieben. Auch seine Schweigsamkeit gegenüber Jack finde ich sehr realistisch. Dass Jack das Veilchen aber gleich auffällt war zu erwarten. Das er Jazz nicht gleich darauf anspricht und abwarten, inwieweit dieser bereit ist etwas zu erzählen passt auch zu ihm. Und das Jaspers nicht gleich mit der Tür ins Haus fällt finde ich sehr gut. Auch wenn er Jack vertraut, dass hätte nicht zu ihm und der Geschichte gepasst. Dafür fand ich es toll, dass du auch auf Jazz Gedanken eingegangen bist, wie seine Familie dastehen würde, wenn an die Öffentlichkeit kommt, dass der Vater gewalttätig ist.
Dass Jack Jaspers zum Schluss noch seinen Hausschlüssel gibt ist irgendwie süße, auch wenn es nicht zu Jack passt. Freue mich schon, wenn Jazz den das erste Mal benutzt. Auch wenn ich natürlich hoffe, dass sein Vater der Grund ist. Ja, nun heißt es wohl wieder warten, wie es weitergeht. Es wird jedenfalls immer spannender und momentan fühle ich mich nach jedem Kapitel mehr lost, da ich überhaupt keine Ahnung habe, worauf das Gänze hinausläuft. Naja, eine Vorstellung bzw. Hoffnung schon irgendwie, aber wirklich eindeutig ist es für mich nicht. Was ich aber sehr angenehm finde, da somit die Spannung bestehen bleibt.



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