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Verborgen in Stille

von

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Ein unfaires Versprechen

So schnell wie ich dachte, gestaltete sich die Arbeit dann leider doch nicht. Wir setzten uns an den Küchentisch und Jack fing an zu erklären, dass es ein Berufsheer gibt, wie viele Soldaten und Soldatinnen ungefähr dazu gehören. Er erklärte mir die einzelnen Funktionen der Reservekräfte. „Na ja und seit dem Vietnamkrieg ist der Wehrdienst ausgesetzt“, erklärte Jack stirnrunzelnd. Er betrachtete mein Gesicht und öffnete den Mund, schloss ihn jedoch wieder.

Ich schrieb den letzten Satz auf und blickte ihn dann fragend an. „Wolltest du noch was ergänzen? Oder war es das“, fragte ich stirnrunzelnd. Wohl mit sich ringend sagte Jack: „Schreib das nicht in deine Arbeit…. Die Regierung will die Wehrpflicht wieder einführen. Soll wohl bald kommen. Damit wieder mehr Menschen der Army beitreten. Du wärst davon dann wohl auch betroffen.“ Ich starrte ihn an, fassungslos. „Äh“, kam es langgezogen von mir, „und wie soll der Spaß dann ablaufen?“ Jack zuckte mit den Schultern.

„Keine Ahnung. Ich krieg nicht mehr alles mit. Außerdem hätte ich mit den Leuten nichts zu tun.“

„Ich will das aber nicht machen!“

Jack musterte mich von oben bis unten. Er schüttelte leicht den Kopf und schlussfolgerte: „Du wirst wohl eingezogen werden. Du bist sportlich, kannst schießen und hast sogar ein wenig Nahkampferfahrung. Die würden dich auch gleich rekrutieren.“ Ich verzog das Gesicht, Jacks Geschichten schossen mir wieder in den Kopf. Ich wollte das nicht! Nicht erleben und auch nicht lernen eventuell auf Menschen zu schießen. „Wird man dann auf richtige Einsätze geschickt“, fragte ich unsicher klingend. Meine Schularbeit hatte ich völlig vergessen. Über meine Frag nachdenkend runzelte Jack die Stirn. „Hm… Ich glaube nicht wirklich, oder jedenfalls keine großen Einsätze“, meinte er nachdenklich.

„Ich würde gar nicht auf Einsätze wollen! Ich bin… Ich könnte nie auf Menschen schießen“, rief ich aufgebracht und Adam blickte von der Couch zu uns rüber. Immer wieder ließ er seine Revolver kreisen. Es schien eine Angewohnheit von ihm zu sein. Er hatte uns in Ruhe arbeiten lassen, doch nun blickte er aufmerksam zu uns. Wie viel er von unserem Gespräch verstand, wusste ich nicht. Beschwichtigend hob Jack die Hände. „Muss du auch nicht“, raunte er mir beruhigend zu, „man lernt auf bewegte Ziele zu schießen, das ist eine reine Übungssache.“

Sprachlos starrte ich ihn an. Perplex von seiner und meiner Aussage. Irgendwie hatten wir uns jetzt nicht verstanden. Nach einem Augenblick begann ich zu erklären: „Ich meinte, dass ich gar nicht auf Menschen schießen will. Weder stehenden, sitzenden, rennenden oder keine Ahnung kackende Menschen!“ Ich war aufgebracht, dass konnte doch wohl nur ein schlechter Scherz der Regierung sein...oder von Jack.

Jack schaute mich überrascht an, als er verstand und nur ein „oh“, entfuhr seinen Lippen. Wir schweigen einen Moment ,bevor er meinte: „Dann hoffe ich mal, dass du nicht auf Menschen schießen musst.“ Ich nickte ernst und sah auf die holzvertäfelte Wand hinter ihm.

„Jazz“, hörte ich die Stimme von Adam, „wenn du schießen, dann schieß. Keine…Sorge.“ Bitter lächelte ich ihn an. Hier saßen zwei Soldaten, vermutlich hatten beide mehr Menschen erschossen, als ich mir vorstellen konnte, doch genau wollte ich darüber nicht nachdenken. „Ich will aber nicht“, sagte ich zu Adam. Ich war mir nicht sicher, ob er mich verstand. Trotzdem nickte er leicht. Nicht mal mein Vater hatte wen erschossen und er war Polizist. Ich musste durchatmen, um meine Gedanken zu beruhigen und zu ordnen. „Ist das denn überhaupt sicher, dass die wieder eingeführt wird“, fragte ich Jack, welcher leicht nickte. Mit einem Blick auf meine Notizen ermahnte er mich streng: „Sag das bloß niemanden in der Schule! Das wirft nur unnötige Fragen auf.“ Ich nickte und sah auf meine Unterlagen. Jack schien mich zu betrachten und auf einmal fragte er mich: „Ich hab eine Idee, wie du einige Zusatzpunkte oder so bekommst.“ Mit diesen Worten erhob er sich von seinem Stuhl und ging hinüber zu der Tür, durch die ich noch nie gegangen war. Unsicher stand ich auf, wollte ihm folgen, als Jack schon wieder heraus kam.

Er hielt eine mir bekannte Holzschatulle in den Händen. Langsam ließ ich mich wieder an dem Küchentisch nieder, während Jack zu mir ging. Er schob mir wortlos das Kästchen zu. Unsicher öffnete ich den Decken und sah die ganzen Orden aufblitzen. Erneut schoss mir sofort die Medal of Honor in die Augen. Mein Blick klebte fast an ihr. Unsicher strich ich darüber und blickte hinauf in Jacks Gesicht. Eingehend beobachtete er mich. „Nehm sie mit. Vielleicht finden einige deiner Klassenkameraden die ja interessant“, nuschelte er. Er griff nach hinten zu einer Kommode und holte sich aus einer Schublade eine Zigarre. Ich nahm einzelne Medaillen heraus und legte sie auf den Tisch. Ich hörte Schritte, welche sich uns näherten und merkte, wie Adam neben uns trat. Auch er schien neugierig in die Kiste zu schauen. Er wirkte schmächtig im Gegensatz zu Jack. Das Gefühl, dass von diesem Mann Gefahr ausgehen könnte, stellte sich nicht ein. Das Aroma der Zigarre zog mir in die Nase und ich blickte zu Jack. „Kann ich die wirklich mitnehmen“, fragte ich unsicher. Er zog einmal an der Zigarre und nickte dann jedoch. „Vielleicht besser nicht alle… Such dir welche aus“, meinte er und lehnte sich in den Stuhl zurück. Sofort glitt mein Blick wieder zu der großen Medaille. Jack blieb dies nicht verborgen. Er griff über den Tisch hinweg in die Schatulle und drückte sie mir kommentarlos in die Hand. Ich spürte das kalte Metall in meiner Hand und sah ihn fragend an. Störte es ihn denn gar nicht?

„Nehm sie mit“, meinte er ruhig. Es schien ihn wirklich nicht zu interessieren oder zu belasten. Vermutlich war seine Aussage, dass sie für ihn Schrott sind ,wirklich wahr. „Was soll ich meinen Mitschülern erzählen, wenn sie fragen, warum die du verliehen bekommen hast“, fragte ich unsicher und blickte von dem goldenen Abzeichen zu seinem Gesicht.

Jack grinste leicht verschmitzt, als er antwortete: „Das weißt du doch selbst nicht. Sag denen es war ein geheimer Auftrag und mehr hat man dir nicht erzählt.“ Stumm nickte ich, strich mit dem Finger über den Kranz.

Ich blickte hinauf in Jacks Gesicht, weiter zu Adams. Er schien nicht verwundert, als er die Medaille betrachtete. Es hatte den Anschein, als sei er verwirrt, dass er sie mir gab. Ohne darüber nachzudenken rutschte die Frage aus mir heraus: „Weiß Adam, warum du sie bekommen hast?“ Von meiner Frage wohl überrascht, blickten mich beide an. Adam vermutlich, weil er seinen Namen gehört hatte und Jack schien von der Frage verwundert. Er nickte bestätigend und paffte weiter an seiner Zigarre. Erneut überkam mich das Gefühl der Eifersucht. Ich konnte es nicht verhindern, dass es da war.

Jack musterte mein Gesicht und erklärte ruhig: „Er weiß es, weil er dabei war… Was stört dich daran?“ Unsicher, ob ich sprechen sollte oder nicht, zuckte ich mit den Schultern. Einige Male öffneten sich meine Lippen, doch kein Laut kam über sie. Ich wusste nicht, wie gut Adam nun englisch konnte, wie viel er verstand. Ich wollte mehr über Jack erfahren, doch wollte ich das nicht vor einem Fremden sagen. Kurz, vermutlich waren es nur Millisekunden blickte ich zu Adam, eher sich mein Blick auf die Medaille richtete.

Jack blickte ebenfalls Adam an und sagte etwas auf Russisch zu ihm. Adam blickte Jack an, grinste leicht und nickte uns beiden zu. Er nahm die Leine von Didi. Den Hund anleinend ging er hinaus. Didi schien nicht Gassi gehen zu wollen und jammerte leise an der Tür. Verwirrt von dem Szenario vor mir, fand ich meine Stimme erst wieder, als sich die Tür hinter den Beiden schloss. „Wieso gehen die denn jetzt?“, fragte ich verwirrt.

„Ich habe ihm gesagt, dass er gehen soll“, meinte Jack mit seiner monotonen Stimme und paffte weiter, während er weiterhin mich betrachtete, „du schienst nicht reden zu wollen, wenn er da ist.“ Entsetzt starrte ich ihn an. Hätte ich Jack so ein, und ich konnte es nicht anders nennen, unhöfliches Verhalten zugetraut? Jedenfalls nicht gegenüber seines Freundes! „Du kannst ihm doch nicht einfach sagen, dass er gehen soll“, rief ich fast schon entsetzt. Jack zuckte nur unbeeindruckt mit den Schultern. „Doch, kann ich. Es hat dich gehemmt. Also! Wo ist das Problem, wenn Adam es weiß und du nicht?“ Ich schluckte, wollte ich doch gerade eigentlich nicht reden.

Jack sah es mir an, doch seine Mine blieb ungerührt, als er mein Hadern bemerkte. Ich wusste, er würde nicht locker lassen. Nicht, wenn er etwas wissen wollte. Ich seufzte schwer und wog ab, was ich sagen sollte. Wie ehrlich ich letztendlich war. Ich entschied mich ehrlich zu sein, denn Jack wusste, wie sehr ich die Geschichte hören wollte.

„Ich weiß nicht, ich will… Ich will dich einfach besser kennen lernen“, meinte ich leise und blickte auf die Tischplatte vor mir. Ich hörte Jacks monotone und neutral klingende Stimme und ich musste nicht erst aufblicken, um zu sehen, dass eben jene Maske wieder in sein Gesicht gemeißelt war. „Adam weiß es nur, weil er an dem Einsatz beteiligt gewesen war.“ Ich seufzte schwer und meine Finger kreisten um einen Kaffeekranz auf dem Tisch.

„Es ist albern aber…. Nein! Das, was da geschehen ist, hat dich verändert und verletzt. Ich will verstehen warum, einfach weil ich dir so gerne helfen würde, Jack.“ Ein letztes Mal kreisten meine Finger um diesen Kranz auf dem Tisch, bevor ich hinauf sah in sein Gesicht. Er sah mich weder gekränkt, noch wütend, noch fröhlich an. Eigentlich konnte man ihn nicht deuten. „Warum willst du mir denn unbedingt helfen? Sehe ich aus, als ob ich Hilfe brauche“, fragte er mit ziemlich neutral klingender Stimme. Vehement schüttelte ich den Kopf. „Ja, weil ich sehe, dass es dir schlecht geht. Ich war schon häufiger da, als du…als es dir scheiße ging!“ Er konnte mich nicht anlügen und als er seinen Blick von mir abwandte war mir klar, dass er es wusste.

Auffordernd sah ich ihm ins Gesicht und sagte: „Komm schon, Jack… Du weißt, dass du mir vertrauen kannst. Warum nicht dabei?“

„Weil ich das Gefühl habe darüber nicht reden zu können“, seine Worte waren so genuschelt, dass ich sie kaum verstand.

Frustriert seufzte ich und meinte fast schon etwas patzig: „Und wenn ich es einfach mal wissen will?“

Keine Reaktion seinerseits. Er sah zur Seite, als würde er hoffen ,eine passende Antwort käme vorbeigelaufen.

Jack zuckte leicht mit den Schultern und legte eine verständnislose Miene auf.

„Dann willst du es wissen.“ Seine Antwort klang fast schon wie eine Gegenfrage, die er mir stellte. Ich schloss kurz die Augen, hatte ich doch das Gefühl, wir drehten uns im Kreis. „Jack… Ich will einfach nur nicht, dass du leidest. Dabei kann sprechen doch einfach helfen. Ich meine… Du bist mir wirklich zu wichtig um dich damit einfach alleine zu lassen“, sagte ich beschwichtigend und ehrlich zu dem Mann, der mir so wichtig geworden war. Ich fühlte mich unsicher in diesem Gespräch, doch war es mir einfach zu wichtig um einfach aufzuhören. Jacks Genuschel, was darauf folgte, verstand ich nicht. Doch das Ende des Satzes war: „Bei Zeiten…“ Ich nickte leicht. Hoffte, er würde es halten, doch war ich mir nicht sicher. Ich nahm Jacks Hand und drückte sie sanft, aber auch bestimmend. Wir blickten einander schweigend an und ich spürte, wie er den Druck erwiderte.

Bevor ich noch etwas sagen konnte klopfte es an der Tür. Schweigend stand Jack auf und ich blickte diesem Mann traurig lächelnd nach. Während ich hinabsah auf meine Notizen stutze ich, als ich die Stimme meiner Mutter hörte. Ich hatte ganz vergessen, dass ich ihr angeboten hatte herüber zukommen. Auch hatte ich Jack nichts davon gesagt.

Ich hörte Jacks verwunderten Ton, als er sie begrüßte. Schnell nahm ich meine Sachen, stopfte die Medaille in meinen Block und ging zügig hinüber zu Jack und meiner Mutter.

„Hey Mum“, sagte ich schnell und lächelte sie fröhlich an. Sie erwiderte das Lächeln, doch sah ich, dass sie ziemlich angespannt war. Wäre meine Mutter nicht immer so eine ängstliche Person, würde sie entspannter durch ihr Leben laufen.

„Ich hoffe, mein Sohn hat dich nicht gestört“, sagte sie höflich zu Jack. Jack nickte. Sah von mir zu meiner Mutter und begann unbeholfen zu sprechen: „Alles gut… Ist ja nicht schwer… oder so.“ Meine Mutter nickte und blickte von Jack zu mir. Auch sie schien etwas überfordert. Innerlich die Augen verdrehend, half ich den Beiden. „Jack konnte mir eigentlich die ganze Arbeit abnehmen. Ich muss das jetzt nur noch in so eine Power Point Präsentation bringen. Er kennt sich ziemlich aus.“ Meine Mutter nickte, meinte dann aber streng zu mir: „Es ist nicht gut, die Arbeit abzugeben. Es schadet dir nicht, dass selbst herauszuarbeiten.“ Ich grinste sie schräg an und zuckte mit den Schultern. „Aber wenn er sich so Zeit spart, dann ist das doch gut“, erklärte Jack und blickte stirnrunzelnd meine Mutter an. Er schien ihre Ansichten nicht nachvollziehen zu können. Doch sagte er nichts weiter dazu.

„Der Junge soll aber lernen selbst die Ergebnisse herauszubekommen“, erklärte sie ihm und blickte hinauf in sein markantes Gesicht. Stirnrunzelnd kratze sich Jack am Kopf bevor er begann: „Es zeugt doch von Intelligenz, dass er hier ist und mich gefragt hat. So hat er noch schneller die Antworten bekommen, die er brauchte.“ Meine Mutter blickte ihn fast schon entrüstet an, wusste jedoch wohl nichts zu sagen. Mit den Schultern zuckend meinte sie: „Wenn du das meinst… Hätten deine Eltern das etwa gut gefunden? Die Arbeit einfach so abzugeben?“

Jetzt war es an Jack, mit den Schultern zu zucken. Es war fast schon amüsant zu beobachten. Meine Mutter, die ängstlich und zurückhaltend war und Jack, der anscheinend nicht genau wusste, wie man mit Alltagsthemen vernünftig umging. Beide überforderten sich in dem Gespräch, so dass der Gesprächsverlauf sicher komische Wendungen genommen hätte, wäre ich nicht eingesprungen. „Mum, ist doch egal, was seine Eltern gesagt hätten“, meinte ich. Wenn Jack meiner Mum noch gesagt hätte, dass er ein Waisenkind war, wäre meine Mutter sicher zur Höchstform aufgelaufen, was ihren christlichen Glauben anging.

Meine Mutter seufzte schwer und nickte leicht. Dann wandte sie sich zu Jack und sprach freundlich klingend: „Irgendwie haben wir noch nicht wirklich miteinander gesprochen, dass tut mir leid. Auch für das Verhalten meines Mannes…“ Jack winkte schnell ab und sagte: „Da kannst du nichts für.“ Überrascht blickte meine Mutter ihn an. Denn dass Jack seine Aussage ernst meinte, hörte man deutlich an seiner Stimme. Es schien, als habe meine Mutter mit einer anderen Reaktion gerechnet und wüsste nun nicht, wie sie weiter sprechen sollte.

„Ähm ja… Schön, dass du das so siehst“, fing sie etwas an zu stammeln. Sie schien sich zu sammeln, eher sie weiter sprach: „Ich wollte dich auch eigentlich noch zu unserem Café am Sonntag nach dem Gottesdienst einladen. Viele aus der Gemeinde sind anwesend. So könnte man sich kennenlernen.“ Nach diesem Vorschlag herrsche Schweigen.

Jack blickte meine Mutter verwirrt an und runzelte die Stirn. Mehrmals öffnete sich sein Mund, doch kein Laut kam heraus. Ich biss mir auf die Wange, um nicht lachen zu müssen. Die Geste meiner Mutter war wirklich nett gemeint, aber so verdammt albern! Das sie wirklich glaubte, Jack würde in die Kirche gehen…

Ich sah es in Jacks Kopf rattern und nach einem Augenblick meinte er zögerlich: „Äh…Ja. Danke. Ich überleg mal…“ Ich war froh, dass er nicht sofort nein gesagt hatte, dass hätte meine Mutter sicher verletzt. Ich hörte den Motor von dem Streifenwagen meines Vaters und kurze Zeit später rollte der Wagen in unsere Einfahrt. Zu uns hinüber blickend, stieg er aus dem Wagen und sah meine Mutter direkt in die Augen. Er zeigte keine Emotionen, nur seine Brauen schienen sich kurz zusammen zu ziehen. Mum schien sich anzuspannen und schnell meinte sie an uns gewandt: „Ich geh mal Kaffee kochen. Komm später rüber Jazzy, ja?“ Ich nickte hölzern und sah meiner Mutter mit einem äußerst flauem Gefühl im Magen nach. Ich sah zu Jack und auch er sah ernst blickend meiner Mutter nach. Ich wurde unruhig. Nervös sah ich zu meinen Sachen.

„Ich geh rüber, Jack“, meinte ich hastig. Wenn er es wieder tat und ich war wieder nicht da um sie zu beschützten, würde ich mir nur schwer verzeihen können. Ich griff hastig nach all meinen Sachen, doch als ich an Jack vorbeiging, hielt er mich auf. Auch er wirkte anders als vorher, fast etwas unsicher. „Jasper… Ich bin…“, er schien mit sich zu ringen. Besorgnis war in seinem Blick. Er sah zur Seite, als er mitten im Satz stockte. Man sah ihm an, dass er grade einen heftigen Konflikt mit sich selbst hatte. Jack biss sich leicht auf die Unterlippe. Doch er ließ mich los, „Komm, wenn du noch Fragen hast…“

Er klang beinahe traurig und ich war mir sicher, dass er etwas völlig anderes sagen wollte. Ob er wusste, was bei mir passierte? Alles an seinem Verhalten deutete grade darauf hin. Ich nickte ihm kurz zu, wollte nicht fragen, was er wirklich sagen wollte. Ich wollte nur noch nach Hause! Nein. Eigentlich wollte ich bei Jack bleiben. Ich hatte einfach nur Angst um meine Mutter.
 

Als ich nach Hause ging, hörte ich aus dem Wohnzimmer ein lautes Scheppern und ich bekam Angst.

Ich hörte meine Mutter entsetzt aufschreien. „Ich hab ihn doch nur zum Café eingeladen…“. Ich ließ meinen Rucksack fallen und hechtete ins Wohnzimmer. Eine Vase lag zerdeppert auf dem Boden. Erde und Splitter hatten sich über den Fußboden verteilt. Bücher lagen herum, eine zerbrochene Tasse Kaffee lag in einer Pfütze der braunen Flüssigkeit. Meine Mutter wimmerte. Sie saß erschrocken auf dem Sofa und blickte panisch zu meinem Vater hinauf, welcher sie vermutlich auf dieses gestoßen hatte. Ihre Augen schwammen in Tränen und erneut sah ich, dass ihre Wange rot war. Sie bemerkten mich nicht. Ihr Blick war gefesselt in den Augen meines Vaters, der sie wütend anfunkelte. Eiskalte Schauer liefen mir den Rücken hinunter als ich sah, wie mein Vater die Hand erneut hob. Ohne groß nachzudenken stürmte ich auf ihn zu und schubste ihn weg. Weg von ihr, weg von uns. Er taumelte, wäre fast gestürzte und sah mich in diesem Moment fast schon hasserfüllt an. Ich blickte hinein in dieses vertraute Gesicht, doch schien es für mich nichts Vertrautes mehr zu haben. Schützend stellte ich mich vor meine Mutter, die etwas jammerte, was ich nicht verstand. Wir sahen uns in die Augen und einen Augenblick lang dachte ich, Vater hätte sich beruhigt. Doch dem war nicht so.

Wütend stapfte er auf mich zu und packte mich grob an den Oberarmen. Alles, was ich beim Karate gelernt hatte, war in diesem Moment vergessen, als ich in das wütende Gesicht meines Vaters blickte. Ich schluckte. Hatte Angst. Meine Atmung war schnell und stoßweise. „Mach das nie wieder!“, raunte er mir böse zu und seine Augen, den meinen so ähnlich, verengten sich.

„Schlag sie nicht!“, sagte ich und war von mir selbst erstaunt, wie feste meine Stimme doch klang, trotz der Angst in meiner Brust. „Du hast mir nichts zu sagen, Junge!“, spuckte er mir fast schon entgegen und schubste mich mit Kraft von sich. Ich stolperte und wäre auf den Boden gefallen, wäre nicht die Couch hinter mir. Dad blickte zu mir runter und nichts erinnerte an den liebevollen Vater, der mich früher ins Bett brachte oder der nach Monstern im Schrank suchte.

Schnell stand ich wieder auf, wollte ich doch nicht zu ihm aufblicken. „Nur Weicheier schlagen andere, die Schwächer sind“, meinte ich und wollte erneut vor meine Mutter treten. Sie schien sich nicht zu trauen irgendwas zu sagen. „Pf“, machte mein Vater abfällig, „pass auf, wie du mit mir redest!“ Er kam einen Schritt auf mich zu und reflexartig wollte ich zurückgehen, doch besann ich mich. Ich blieb, wo ich war! Ich sah ihm direkt ins Gesicht. Ich wusste es war dumm was ich tat, doch wollte ich auf keinen Fall, dass er seine Wut an ihr ausließ. Sie war zu schwach und gerade war ich ihr Beschützer.

Und so sprach ich: „Ich rede so mit dir, wie du es verdient hast.“ Ich wusste, dass der Schlag kam. Auch, dass ich nicht schnell genug sein würde auszuweichen. Kräftig schlug Vater nach mir und mein Kopf flog zur Seite. Meine Wange brannte vor Schmerzen. Die Tränen, die in meinen Augen brannten, hielt ich zurück. Er sollte mich nicht schwach sehen. Wütend schubste ich ihn von mir weg, doch erneut hob er seine Hand und langte aus. Wieder auf dieselbe Stelle. Ich hörte meine Mutter flehen, er solle aufhören, doch er ignorierte sie. Er schubste mich feste gegen die Brust und benommen von den Schlägen fiel ich auf die Couch.

Vater beugte sich über mich. Legte seine Hände neben die Lehne, verhinderten so jede Flucht. „Du redest nie wieder in diesem Ton mit mir, haben wir uns verstanden? Hab ich dir nicht auch gesagt, dass du nicht zu diesem Irren gehen sollst!“ Ich schluckte und mein Körper bebte, während ich zu ihm aufblickte. Ich spürte keine Liebe in diesem Moment zu ihm. Ich hatte nur noch Angst. Ich nickte leicht und sah ihn weiterhin mit geweiteten Augen an. „Hab ich dir das nicht gesagt!“ Er brüllte mich an und am liebsten hätte ich mir die Ohren zugehalten.

Mein Körper erbebte, zitterte. Ich zog den Kopf fast schon erschrocken ein, aus Angst gleich kommt erneut ein Schlag. Er griff in meine Haare und zog schmerzvoll mein Gesicht zu ihm. „Wenn du meinst, dich hier einzumischen, dann werde ich dafür sorgen, dass du es hier nicht mehr so leicht und angenehm hast! Hast du mich verstanden“, fragte er mich eiskalt und Spucke traf mein Gesicht. Während er mich böse anfunkelte, stieß er sich vom Sofa ab und verließ das Wohnzimmer. In der Tür wandte er sich noch einmal um und sah uns an. „Aufräumen“, raunte er und zog sich die Schuhe an. Wenig Augenblicke später hatte er das Haus verlassen. Ich blickte zu meiner Mutter und sah, wie ihr die Tränen die Wange hinunter liefen. Ich starrte auf den Tisch und sah ihn doch nicht. Ich war gefangen in einer anderen Dimension, sah und spürte nichts mehr. Ihr lautes Schluchzten brachte mich in die Realität zurück.

Schnell stand ich auf , setzte mich neben sie und legte die Arme um sie. Auch ich zitterte, ebenso wie meine Mutter, doch weinte ich nicht. Nicht, wenn sie gerade so schwach war. Ich spürte das schmerzvolle Pochen in meiner Wange, die Kopfschmerzen und versuchte sie zu ignorieren. Ich konnte nicht sprechen. Meine Kehle war zugeschnürt. Ich wog sie leicht hin und her. Ich verstand nicht genau, was gerade passiert war, versuchte es in die richtige Reihenfolge zu bekommen. Erst nach einigen Augenblicken beruhigte sie sich und löste die Arme, welche sie hilfesuchend um mich geklammert hatte. Ich konnte ihr nicht ins Gesicht sehen. Nachdem sie sich beruhigt hatte, stand ich langsam auf. Ich sammelte die heruntergefallene Tasse auf, sowie die anderen Scherben von der Vase. Mutter rührte sich nicht. Also ging ich in die Küche und holte Handtücher und für sie etwas, um die Wange zu kühlen.

Ich reichte es ihr wortlos und ohne mich anzuschauen nahm sie es entgegen. Bedächtig drückte sie es sich gegen die Wange. Währenddessen wischte ich den Dreck vom Boden auf. Zerstörte die Beweise, die zeigten, was hier geschehen war. Nur die Beweise auf unseren Körper ließen sich nicht einfach wegwischen. Nach dem ich gesaugt und den Staubsauger wieder weggestellt hatte, stand ich unschlüssig an der Tür. Immer noch saß meine Mutter wie versteinert auf der Couch und mied meinen Blick. Sie wirkte fast wie ein kleines Kind. Hilflosigkeit übermannte mich. Ich wusste nicht, wie ich mit ihr umgehen sollte. Sollte ich etwas sagen? War schweigen besser? Wenn ich was sagte, was sollte ich sagen? Ich schluckte schwer und sah auf meine Füße.

„Ich geh rauf, okay“, sagte ich nach einem Moment leise, doch von meiner Mutter kam noch immer nichts. Zitternd ging ich die Treppe hinauf in mein Zimmer, schloss eilig die Tür hinter mir. Schloss die Welt unten aus. Ich lehnte mich an sie und rutschte runter, während mir endlich die Tränen über die Wange liefen.

Fast wünschte ich mir, meine Mutter oder irgendwer würde kommen und mich in den Arm nehmen. Ich war nicht erwachsen! Ich war erst siebzehn! Doch niemand kam. Ich zog meine Beine an und lehnte meinen Kopf auf die Knie und die Tränen fielen auf den Boden meines Zimmers. Ich habe mich nie im Leben einsam gefühlt, doch nun schnürte mir Einsamkeit die Kehle zu. Das Versprechen, niemanden etwas zu sagen, lastete in diesem Moment so schwer auf mir, dass ich wünschte, ich könnte es einfach brechen. Doch ich konnte es nicht. Ich sehnte mich nach jemanden, der einfach gerade für mich da war. Ich dachte an Jack, doch ich wusste, dass, wenn ich jetzt hinüberging, ich das Versprechen meiner Mutter gegenüber nicht würde halten können. Ich dachte an Jenny, doch sie war zu weit weg und ich sollte ihr nichts sagen. Wieso hat Mutter mir das angetan? War ihr das überhaupt bewusst, wie sehr mich das Versprechen knebelte? Auch Eric konnte ich nichts sagen, er könnte nichts machen und die Sorge, die ich dann ständig in seinen Augen sehen würde, würde ich nicht aushalten. Also musste ich allein kämpfen. Ich wischte mir über das Gesicht, verbot mir weiter zu weinen wie ein schwaches Kind. Männer sollen doch nicht weinen! Doch immer noch saß ich vor meiner Tür auf den Boden und schaffte es nicht aufzustehen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  honeyJ
2016-12-14T06:31:37+00:00 14.12.2016 07:31
Das ist ein echter spannendes Kapitel.
Am Anfang dachte ich gar nicht das es so eine Wendung gibt. Es macht immer Spaß deine Geschichte zu lesen ist echt schön geschrieben. Ein grosses Lob :D

Von:  Pitchermaus
2016-09-23T18:36:49+00:00 23.09.2016 20:36
Wow, das Kapitel ist aber echt hart. Damit habe ich bei dem Anfang überhaupt nicht gerechnet. Aber so langsam scheint es im Storyverlauf voranzuschreiten. Das Jaspers nicht wirklich weiß, wie er sich seinem Vater gegenüber verhalten soll ist verständlich. Auch dass er sich gegen ihn nicht wehren kann. Damit nun alleine zu sein ist auch hart. Ich kann verstehen, dass er sich nach jemanden sehnt, der ihn in den Arm nimmt und tröstet. Seine Reaktion hast du an der Stelle sehr gut beschrieben, wie ich finde. Nur, dass er so eisern an seinem Versprechen gegenüber seiner Mutter festhält verstehe ich nicht. Dass er mit seiner Schwester nicht gleich darüber redet verstehe ich irgendwie schon, aber dass er auch nicht mit Jack darüber sprechen möchte.... Also die letzte Szene ist schon irgendwie hart. Mit so einem Verlauf hätte ich auch nie gerechnet. Hatte eher gehofft, dass der Vater sich noch besinnt oder aber erst richtig ausrastet, wenn er erfährt, dass sein Sohn schwul ist. Es ist wohl nun fraglich, wie das Familienleben bei Jaspers jetzt weitergehen soll, wenn überhaupt noch von einem Familienleben gesprochen werden kann. Ich glaube aber nicht, dass er es vor Jack verheimlichen kann und dass Jazz auf seinen Vater hört und den Kontakt zu Jack abbricht glaube ich irgendwie auch nicht. Zumal ich mir vorstellen könnte, dass Jack das auch nicht zulassen würde.
Ja, irgendwie hat der Schluss doch alles zuvor überschattet. Das Gespräch zwischen Jack und Jazz Mutter war ja schon irgendwie lustig. Und dass Jaspers wieder eine leichte Eifersucht plagt war auch ganz nett. Da dachte ich doch, Jack erzählt ein bisschen über seine Medaillen. Wobei Jack zum Schluss doch merkwürdig war. Mich würde schon interessieren, was er eigentlich sagen wollte.
Du hast mit dem Ende auf jeden Fall für viel Stoff zum Nachdenken bei mir gesorgt, wie es jetzt weitergehen könnte. Daher bin ich schon sehr gespannt, wie sich Jazz jetzt verhalten wird und wie das nächste Treffen von Jack und Jaspers aussehen wird. Aber auch, was Eric sagen wird, denn irgendwie kann ich nicht ganz glauben, dass Jazz die Vorfälle zu Hause einfach so übergehen kann. Ich würde eher vermuten, dass er sich für die Menschen, die ihn gut kennen, anders verhält und dass Eric ihn darauf anspricht.
Von:  bulmamaus
2016-09-23T17:53:22+00:00 23.09.2016 19:53
Hallo,
ich wollte die auch gerne mal mitteilen, das du eine tolle Geschichte postest. Es macht total Spaß die Kapitels zu lesen und ich freue mich immer wenn ich sehe, das ein neues Kapitel rausgekommen ist.
Deine Protagonisten sind dir super gelungen.
Mach weiter so und schreib schnell weiter. Bin so gespannt wie es weiter geht.
Lg
Antwort von:  Strichi
24.09.2016 09:36
Morgen,

freut mich total zu hören, dass dir das lesen so viel Spaß macht. Ich sitzt schon an dem nächsten ;)
muss nur schauen wann ich das dann schaffe fertig zu stellen. Haha :D

LG


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