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Verborgen in Stille

von

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Ein kurzer Blick hinter die Maske

Es dauerte, bis ein Ende des Aufbauens der Schränke in Sicht war. Nerven kostete das Einstellen der Türen des Schlafzimmerschrankes. Wir sprachen zwar noch ab und zu, aber eher weniger. Die wenigen Gespräche bezogen sich ausschließlich auf die zu erledigende Arbeit. Ich war etwas in Gedanken versunken. Jack ließ es zu und ich war ihm sehr dankbar dafür. Ich war mir nicht sicher, ob und wie sehr es ihn interessierte, ob ich nun schwul war oder nicht, aber es schien, als ließe er mir mein Tempo. Eine Tatsache, die den Knoten in meiner Brust etwas leichter werden ließ. Ich fühlte mich nicht bedrängt von ihm.

Didi hatten wir in den Garten verfrachtet. Als der letzte Schrank an seinen richtigen Platz stand zündete sich Jack eine seiner Zigarren an. Das gleiche Aroma wie am Tag zuvor stieg mir in die Nase. Gemeinsam gingen wir auf die Veranda um nach dem Hund zu schauen. Von Didi war jedoch nichts zu sehen. „Wo ist der verdammte Köter“, grummelte Jack und schaute systematisch von der Veranda den Garten ab. Auch mein Blick glitt über den Rasen jedoch hatte ich eine Vermutung. Ich ging zum Zaun hinüber und blickte in den Garten meiner Eltern. Dort sah ich den kleinen Welpen an einem meiner Baseballs herumkauen. „Dein Hund ist hier“, rief ich Jack zu und Didi blickte auf und kläffte fröhlich. Ich holte mein Handy aus der Tasche und machte von dem kleinen Hund ein Foto. Er versuchte den Ball in die Schnauze zu kriegen, welcher jedoch noch zu groß für ihn war. „Dafür bist du wohl noch zu klein“, meinte ich und versuchte den Hund anzulocken.

Jack kam zu mir, betrachtete den Hund im fremden Garten und schüttelte den Kopf über sein Tier.

„Ah ja, da war ja ein Loch“, meinte er genervt und rief nach dem Tier.

„Ich geh eben rüber und hol ihn“, meinte ich, denn Didi fand den Weg zurück augenscheinlich noch nicht. Er rannte vor den Büschen am Zaun auf und ab, steckte ab und zu den Kopf hinein und entschied sich dann es an einer anderen Stelle zu probieren.

Also ging ich schnell nach Hause und sammelte das Tier ein. Ich reichte es Jack über den Zaun zu. Schlendernd machte ich mich wieder zurück. Jack hatte mir bereits die Tür geöffnet.

„Danke, ich muss unbedingt das Loch finden“, meinte er ruhig und zog erneut an der Zigarre und hielt sie mir fragend hin. Ich schüttelte leicht den Kopf und meinte: „Nee, lass mal. Eigentlich muss ich heute noch zum Karate und Rauchen und Sport ist nicht gut.“

Jack grinste leicht und entgegnete: „Ach jeder Mensch braucht ein Laster. Wann musst du denn los zum Training?“

Ich seufzte schwer, seit einiger Zeit hatte ich wenig Lust auf das Training. Ich blickte auf mein Handy und meinte: „So gegen fünf. Eigentlich hab ich keine Lust mehr…“

„Dann hör doch auf“, war Jacks verständlicher Kommentar dazu. Ja eigentlich hatte er Recht. Ich hatte dieses Thema bereits Zuhause angesprochen, doch mein Vater verbot es mir. Er wollte, dass Sachen, die begonnen wurden, auch zu Ende gemacht wurden. Für mich war es unverständlich, schließlich hatte ich nicht erst letztes Jahr mit dem Training begonnen. "Was das anging war er eben schwierig", redete ich mir ein.

„Ich soll nicht aufhören. Dad meint, man soll Sachen nicht einfach so hinschmeißen“, ich verdrehte leicht die Augen, denn dieses Thema hatte damals schon eine hitzige Diskussion ausgelöst.

„Das ist albern. Wenn man nicht mehr will, kann man doch aufhören. Ist doch dein Leben und deine Freizeit“, sagte Jack und erneut klang es so simpel, doch war es das für mich nicht.

„Hm“, meinte ich nüchtern und zuckte mit den Schultern. Ich versuchte die Situation mit einem aufgesetzten Lächeln herunterzuspielen. Immerhin wollte ich meinen Vater ja auch nicht schlecht reden. Er hatte ja auch gute Seiten. Als ich noch klein war schien er für alle meine Frage immer die richtige Antwort gehabt zu haben. Er hat mir beigebracht selbstbewusst durch das Leben zu gehen und mich nicht unterkriegen zu lassen. Wenn ich Angst hatte, konnte ich mich ihm bis dahin immer anvertrauen.

Doch leider zeigte er diese Seiten nur noch selten. Er nahm seine Vaterrolle so ernst, dass er meinte, uns vor allem, was er für schlecht befand, schützen zu müssen. Seit Jackson die Familie verlassen hatte wurden seine Ansichten immer radikaler. "Wie konnte ein Mensch sich nur so verändern?", schoss es mir durch den Kopf.

„Deine Sache“, war Jacks neutrale Reaktion auf mein „hm“. Er ging in die Küche und suchte anscheinend etwas zu Essen. Ich seufzte schwer, fand es selbst auch komisch. Ich stand noch einen Moment unsicher herum, als ich mich fing ließ ich mich schwerfällig auf die Couch fallen. Hatte ich wirklich so große Angst vor meinen Vater? Ein kleiner, sehr ehrlicher Teil in meinem Hinterkopf begann zu nicken und ich hasste ihn dafür! Egal was Dad getan oder gesagt hatte, er war immer noch mein Vater, vor ihm sollte ich keine Angst haben, sondern einzig Respekt.
 

Jack kam wieder, hatte eine Packung Brownies dabei und reichte sie mir. Gedankenverloren nahm ich einen raus, aß ihn jedoch nicht sofort.

Ich dachte darüber nach, was ich alles schon von Jack wusste und stellte fest, dass es fast gar nichts war. Er mich jedoch lesen konnte wie ein offenen Buch. "Warum ihn nicht einfach etwas fragen", dachte ich mir. Ich kaute einige male auf den Brownie und fand den Mut zu fragen: „Sag mal…wie war das als du gemerkt hast, dass du auch auf Kerle stehst?“ Jack blickte mir kurz ins Gesicht und schien über etwas nachzudenken, während er mein Gesicht studierte. Sein neutraler, fast emotionsloser Ausdruck wich aus seinem Gesicht. Mit ruhiger und erstaunlich freundlich klingender Stimme begann er zu erzählen: „Es war schon irgendwie komisch…“ Ein offener Ausdruck trat in sein Gesicht, etwas das ich vorher noch nicht an ihm registriert hatte. Und als er weiter erzählte schien diese Offenheit zu bleiben: „Aber da es so viele Menschen gibt, die das auch machen, dachte ich mir, kann es sicher nicht so schlimm sein.“ Ich nickte leicht verstehend, denn auch dies war ein Argument, welches ich mir immer wieder selbst sagte.

„Und als du eine Beziehung mit einem Kerl hattest, was war da anders? Was hat dir…vielleicht besser gefallen?“, wollte ich wissen. Vielleicht konnte er etwas nennen, das mir auch an Beziehungen mit Männern besser gefiel, oder eben auch nicht.

„Ich hatte noch nie eine Beziehung.“

Diese Aussage überraschte mich und so sah ich ihn auch an. „Wieso?“, fragte ich entsetzt klingend. Ja, Jacks Aussehen war speziell, aber dennoch…

„Hatte nie die Zeit dafür“, kam es knapp von ihm als Erklärung und langsam wich die Offenheit aus seinem Gesicht.

„Ich dachte für sowas hat man immer Zeit“, entgegnete ich darauf, wofür er nur ein Kopfschütteln übrig hatte. „Aber wieso?“, fragte ich und klang leicht entsetzt.

„Ich war immer weg - Training, Einsatz, Krankenhaus, Einsatz, Training“, zählte er in neutral klingendem Ton. Seine Maske hatte den Weg in sein Gesicht zurück gefunden.

Bevor die Situation unangenehm wurde, versuchte ich diese zu entschärfen. Ich grinste ihn leicht an und fragte scherzhaft: „Und wie kannst du dir sicher sein, dass du Bi bist? Heißt es nicht, dass Menschen die Bi sind sich nur nicht einig werden können?“ Ich hoffte er verstand meine Art, denn sonst könnten solche Sprüche gewaltig nach hinten losgehen. Doch erleichtert stellte ich fest, dass Jack ebenfalls grinste und ein freundliches Leuchten in seinen Augen erschien.

„Ich denke, ich bin mir bezüglich meiner Sexualität sehr sicher.“ Ich lachte kurz ehe ich ihn fragte: „Worauf stehst du denn bei Frauen?“

Jack überlegte nicht lange als er antwortete: „Blond find ich toll. Und eine große Oberweite hat auch schon was. Ich mag Frauen, die wissen was sie wollen…und das dann auch kriegen. Ich brauch nichts, was unselbständig ist oder nicht auf sich selbst aufpassen kann. Sowohl bei Frauen als auch bei Männern. Ich brauch keinen, der mir ständig zustimmt…Aber eine Diva ist auch schrecklich…“

Ich grinste leicht und nickte, ich konnte mir vorstellen, dass ich es ähnlich sehen würde.

„Und bei Männern?“, fragte ich weiter und spitzte gespannt die Ohren.

Er taxierte mich kurz mit seinem Blick und begann langsam zu sprechen. Es schien so, als beobachtete er mich in diesem Moment genauso eingehend wie ich ihn.

„Männer sollten aussehen wie Männer. Ich kann mit diesen Schwulen nicht viel anfangen, die sich benehmen wie eine Frau. Ich mag, wenn sie trainiert sind. Bei einem schmalen Hemd muss ich ja Angst haben was kaputt zu machen…Ich meine, dass ist bei einigen Frauen auch so, aber da ist es eben auch wieder was anderes. Frauen dürfen süß und zierlich aussehen, dass sollte ein Mann nicht sein.“

Ich hing an seinen Lippen, während er sprach. Es war für mich irgendwie erleichternd. Zwar stellte ich keine meiner Fragen, aber einfach mal über das Thema unbefangen zu sprechen tat gut. Es tat auch gut, dass es mal nicht meine Sexualität war, die zum Gesprächsstoff gemacht wurde. „Hattest du schon viele Männer?“, fragte ich ihn und lächelte ihn offen an. Jack schüttelte den Kopf.

„Es waren drei, aber einer häufiger.“

„Dann hattest du also doch eine Beziehung“, meinte ich. Doch Jack schüttelte den Kopf.

„Wir waren nur Freunde. Mehr war da nicht. Da waren keine Gefühle im Spiel. Das haben wir getrennt.“

„Also warst du nie verliebt? Oder wie?“

Plötzlich veränderte sich die Atmosphäre des Raumes schlagartig. Es schien als schaute Jack kurz in eine andere Ebene oder Zeit.

Sein Blick wurde anders bei der Frage. Ich dachte erst, er würde nur nachdenklich werden. Doch da war noch etwas anderes. Um zu verstehen, was hinter seiner Fassade steckte, brauchte ich nicht lange in diesem Moment.

Er sah traurig aus, fast schon verletzlich.

Ich erwartete fast schon, dass er sich fast augenblicklich unter Kontrolle hatte. So wie ich ihn eben kennengelernt hatte. Doch scheinbar konnte er es nicht.

Ich starrte ihn einige Sekunden lang an, die mir vorkamen wie Stunden. Als ich kaum noch damit rechnete, sprach er: „ Doch, war ich.“ Er zog an seiner Zigarre, die immer noch glühte, bevor er weitersprach. „Es ging aber nicht gut aus.“ Jack sah mir in die Augen, doch wirkte es so, als würde er in diesem Moment jemand ganz anderes ansehen. Als wäre ich nicht da.

Er sprach leise und wirkte sehr bedacht auf das, was er sagte.

Fast war es, als säße plötzlich ein ganz anderer Jack neben mir. Etwas in seiner gesamten Ausstrahlung hatte sich geändert. In diesem einen Moment konnte ich einen verletzten, zu tiefst verletzten Mann neben mir sitzen sehen. Ich traute mich gar nicht weiter zu fragen. Weder was mit seiner Liebe passiert war, noch was auf einmal mit ihm los war.

Es verging ein Moment von absoluter Stille zwischen uns. Eine Stille wie ich so noch nie zwischen zwei Menschen erlebt hatte. Erst nach diesen stillen Sekunden sah Jack wieder mich an.

„Sie lebt nicht mehr.“ Sagte er knapp um auf die Frage zu antworten, die man in meinem Gesicht ablesen konnte.

Er schien sich wieder etwas unter Kontrolle zu haben. Aber immer noch war etwas in seinem Blick, das sich schwer deuten lies. Trauer? Wut? Verbitterung?

Mir war plötzlich als hätte ich eine Grenze überschritten und mir war nicht klar, wie Jack nun weiter auf mich reagieren würde.

Ich legte meine Hand vorsichtig auf seinen Oberschenkel, streichelte diesen fast schon sanft. Als ich ihm wieder ins Gesicht sah meinte ich entschuldigend: „Ich wollte dich mit der Frage nicht…verletzen.“

Er schaute mich an als er erklärte: „Schwieriges Thema…“

Wir hingen jeder unseren Gedanken nach. Ich kaute mir kurz auf den Lippen herum und seufzte schwer. Meine Hand lag weiterhin auf seinem Beim. Ich wollte ihn ablenken. Es war meine Frage gewesen, die ihn so aus der Fassung brachte, die seine Maske hat zerspringen lassen.

Mein Blick fiel auf seinen Hund, der gerade mit einem quietschenden Kauknochen spielte. Ich lächelte als ich ihn betrachtete. Ich sah hinüber zu Jack und auch er sah seinen Hund an. Ein fast schon sanftes lächeln lag auf seinen Lippen als er ihn betrachtete. „Sag mal… was glaubst du wie groß wird Didi?“, fragte ich nach einer Weile, in der wir schweigend dem Hund zugesehen hatten. Jack blickte zu mir und schien über meine Antwort nachzudenken. „Schwer abzuschätzen. Ich geh davon aus das neben Hund auch Wolf in ihm steckt…“ Ich blinzelte mehrmals und sah zu dem kleinen grauen Welpen, den man ganz locker mit einer Hand hoch heben konnte.

„Wow“, meinte ich nur und nickte. Wir redeten etwas über Didi und es schien Jack gut zu tun und nach einigen Augenblicken schien er wieder der Alte zu sein.
 

Als es später wurde verabschiedete ich mich von Jack und als er mir für die Hilfe wieder Geld geben wollte, lehnte ich ab.

„Nein“, meinte ich freundlich lächelnd, „ich hab das freiwillig getan und…na ja, ich finde dich nett. Ich will dein Geld nicht.“

Jack nickte, steckte das Geld wieder weg. Er lächelte mich kurz an ehe er meinte: „Kannst rüber kommen, wenn was ist, ne, Kleiner?“

Ich verdrehte leicht genervt die Augen: „Alter, jetzt hör auf mich Kleiner zu nennen, das ging mir schon beim ersten Mal auf den Sack.“

Jack lachte kurz auf und schüttelte den Kopf: „Vergiss es, Kleiner.“ Und mit einem genervten Seufzen und Augenverdrehen ging ich rüber und packte meine Sachen für das Karatetraining. Doch erneut kreisten meine Gedanken um Jack…



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