The Golden Road von Writing_League ================================================================================ Kapitel 9: Another Day, Another Mile, Another Highway ----------------------------------------------------- Der Regen war bis zum Morgen besser geworden. Trotzdem hingen noch schwere Wolken vor der Sonne. Keine Wolkenbrüche mehr, aber Nieselregen, der gelegentlich stark genug wurde, um störend zu sein. Für Keiji war damit klar, dass der nächste Nationalpark wortwörtlich ins Wasser fiel. Das nächste Ziel danach auf der Liste war Palm Springs.   Wenn Keiji in einem Bild zusammenfassen müsste, was er durch Bokutos Filme und Serien für eine Vorstellung von Kalifornien hatte, er hätte einfach ein Foto von Palm Springs machen können. Grün, luxuriös, gepflegt, und einfach – ja. Kalifornisch. „Boah, Akaashiiiii! Hier sieht es aus wie im Fernsehen!“ Keiji musste ausnahmsweise ganz diskussionslos zustimmen. Wahrscheinlich war die Stadt einfach auch oft genug Drehort für irgendwelche Filme und Serien, so dass es kaum ein Wunder war, dass sie einen hohen Widererkennungswert hatte. Weil ihn die ganze Medienkiste nicht so sehr fesselte, hatte Keiji sich damit nicht auseinandergesetzt. Es hätte natürlich ein wunderbares Gespräch für Bokuto ergeben, aber zwischen allen anderen Planungen und Recherchearbeiten zusätzlich zu seinem normalen Alltag hatte Keiji das einfach nicht mehr geschafft. Und jetzt, im Endeffekt, war es auch egal, denn sie hatten Kuroo und sein Handy dabei. Fünf Minuten auf den Straßen von Palm Springs und er begann, seine gerade ersuchte Trivia an den Mann zu bringen. „James Bond 007 – Diamantenfieber wurde unter anderem hier gedreht“, informierte er grinsend. Während es Keiji nicht interessierte, strahlte Bokuto völlig begeistert. „Bro! Das ist so cool! Hey hey hey! Vielleicht wird hier ja gerade noch was gedreht!!!“   Zu Keijis Glück wurde nichts gedreht. Zu Keijis Unglück lag Hollywood noch vor ihnen, das zweifelsohne ein Abenteuer ganz für sich alleine werden würde. Keiji hoffte inständig, dass Bokuto nicht auf allzu dumme Ideen kommen würde. Aber sie hatten Kuroo dabei. Wieso hoffte er eigentlich?   Letztlich war es ein Problem, das noch auf ihn zukam und gerade nicht zu lösen war, also schob Keiji es von sich. Palm Springs war interessant genug, um ihn von seinen Sorgen abzulenken, und abgesehen davon, dass die dicke Wolkendecke den Charme der Stadt spürbar minderte, war er ihr eigentlich sogar dankbar, denn die Temperatur hielt sich in einem sehr angenehmen Rahmen – zumindest für jemanden, der schwülheiße tokyoter Sommer gewöhnt war. Die Umgebung war auch für Bokuto spannend genug. Immer wieder wollte er stehen bleiben, Fotos machen. Schickte einige an die Griechen, und vermutlich die Meisten an Komi, mit dem er seine Filmleidenschaft schließlich immer noch teilte. Keiji wäre es recht gewesen, einige Stunden so zu verbringen, und dann weiterzufahren. Aber das wäre vermutlich auf lange Sicht wieder zu einfach gewesen, deshalb – natürlich – passierte das nicht. Bokuto erblickte ein Werbeschild des Palm Springs Aerial Tramway – der örtlichen Seilbahn, die sich selbst als die größte rotierende Seilbahn der Welt anpries. Bokuto erblickte das Schild, Kuroo übersetzte ihm, was er nicht selbst verstand, und sofort war er Feuer und Flamme. „Akaashiiii!!! Da müssen wir unbedingt hin! Jetzt sofort!“     Sie warteten eine Stunde, bis sie einen Platz in der Seilbahn bekamen. Die riesige Kabine fasste achtzig Leute, und sie war bis auf den letzten Platz gefüllt. Keiji war es ein bisschen zu viel. Bokuto kümmerte sich keinen Deut um die Menschenmassen. Er klebte mit der Nase förmlich an den Fensterscheiben, und alle paar Sekunden rief er seine neueste Beobachtung heraus. „Akaashiiii! Schau mal! Das sieht aus wie eine Strichmännchenarmee! Und das hier wie ein Volleyballfeld!“ Es war liebenswert. „Akaashiiiiii! Das hier sieht aus wie ein Penis!“ Es war nicht mehr im Geringsten liebenswert. Keijis Mahnung, dass Bokuto solche Kommentare unterlassen sollte, wurde vollkommen ignoriert. Kuroo hatte den Ausruf natürlich gehört, und natürlich nahm er ihn zum Anlass, einen neuen Unfug ins Leben zu rufen: Das Penis-Spiel.   Keiji war in seinem Leben noch nie so froh gewesen, Ausländer zu sein.   (Keiji war vor dieser Reise auch noch nie in die Verlegenheit gekommen, Ausländer zu sein. Insgesamt empfand er es auch nicht als eine Erfahrung, die er noch öfter machen musste. Er mochte es nicht, wenn er sich nicht sicher verständigen konnte und es machte ihn ein bisschen unruhiger, als ihm lieb war. Vor der nächsten großen Reise würde er sein Englisch aufpolieren müssen.)   Es machte die Fahrt um einiges weniger angenehm, alle Nase lang Wörter zu hören, die Keiji nicht hören wollte. Es tat ihm Leid um die schöne Aussicht, die ihm damit latent vermiest wurde. Der einzige Lichtblick war, dass sie das nicht ewig durchziehen konnten. Irgendwann würden ihnen die phallusförmigen Sichtungen ausgehen. Keiji könnte ihnen natürlich dazwischengrätschen. Das brachte ihm aber wenig mehr, als dass er wieder einmal den Platz der Spaßbremse einnahm, und, im schlimmsten Fall, Bokutos gestern so mühselig erst wieder aufpolierter Laune einen neuerlichen Knacks zu verpassen. Während er das Leben mit ersterem gewöhnt war und gerne in Kauf nahm, schreckte ihn letzteres auch nach all den Jahren noch ab. Sollten sie ihren Spaß haben. Sie blamierten sich, aber solange niemand verstand, was genau sie da blökten, blamierten sie sich immerhin nicht zu sehr – und solange musste Keiji nicht einschreiten und sich dafür entschuldigen, dass er mit den beiden peinlichsten Menschen unter der Sonne abhing. (Und er tat es gerne. Er konnte sich ein Leben ohne diese Chaoten einfach nicht vorstellen, und er wollte es auch nicht. Lieber nahm er alle Peinlichkeiten der Welt auf sich und noch mehr. Wenn es zu viel wurde, bekamen sie es trotzdem sehr eindrücklich zu spüren, egal wie gern Keiji sie hatte.)     Als sie am oberen Ende der Seilbahnstrecke ausstiegen, diskutierten Bokuto und Kuroo hitzig darüber, ob die letzte Baumgruppe, die sie gesehen hatten, nun, wie Bokuto behauptete, aussah wie ein Penis, oder ob sie, wie Kuroo sagte, eher aussah wie ein treibender Spross. Keiji fand, sie sah wie eine Baumgruppe aus. Als Bokuto und Kuroo sich schließlich resignierend an ihn wandten, um ihn genau danach zu fragen, war das auch die einzige Antwort, die er ihnen geben konnte. „Du hast zu wenig Fantasie, Akaashi“, meckerte Kuroo kopfschüttelnd. „Du hast doch schon als Kind nicht an Geister und Feen geglaubt, oder?“   (Es stimmte. Keiji war immer ein sehr nüchternes Kind gewesen, hatte weder an böse Geister noch gute Feen oder anderen Unfug geglaubt. Obwohl es nun wirklich eine ganze Menge an Aberglauben gab, mit dem man in Berührung kam als japanischer Bürger, es war nie etwas gewesen, das Keiji tangiert hatte. Und spätestens, seit er Bokuto kannte, hatte er beschlossen, dass er völlig immun sein musste gegen verrückte Ideen und Fantastereien, denn es musste doch einfach immer jemand da sein, der Bokutos irrwitzige Gedanken abfedern konnte. Und das konnte Keiji nicht, wenn er sich in den gleichen fantastischen Unfug hineinsteigerte. Es fehlte ihm nicht, fantasievoll zu sein. Bokuto brachte genug Fantasie für sie beide mit, und warf man Kuroo noch in den Topf, lief er ohnehin über.)   „Akaashi ist sowieso auf meiner Seite“, beharrte Bokuto grinsend, „Er traut sich nur nicht, das zu sagen.“ – „Nein, Bokuto-San.“ Bokuto verzog leidend das Gesicht. „Akaashiiiii! Das ist nicht fair!“ Keiji fand es sehr fair; das war ein Spiel, das er definitiv nicht mitspielen wollte, also sollten die beiden ihn schön da raushalten. Mit einem Seufzen scheuchte er sie raus aus dem Menschengedränge, das hier noch stattfand, bis sie eine etwas ruhigere Ecke fanden. Der Mt. San Jacinto State Park, der sich hier oben erstreckte, war eine beeindruckende Erscheinung unberührter Gebirgsnatur. Neben einigen Aussichtsplattformen, Restaurants und Souvenir– und Infoshops gab es noch einen ewig langen Wanderweg, den Keiji bei besserem Wetter gerne begangen wäre. Aber so trüb, wie es noch aussah, und so kühl, wie es hier oben war, konnte er darauf eigentlich verzichten. Schlussendlich war es genug, die Aussicht für eine Weile zu genießen. Bokuto und Kuroo fanden noch genug Möglichkeiten, ihr dummes Spiel weiter zu spielen, und so hatten sie immerhin bei der Fahrt zurück nach unten schließlich genug gesehen, so dass es keine willkürlichen Ausrufe mehr gab. Keiji hoffte, dass damit dann auch langsam Schluss sein würde.     Er hoffte solange, bis sie eine öffentliche Toilette aufsuchen mussten. „Hey hey hey!!! Ich hab nen Penis gefunden!“ Weil es Grenzen gab, die Kuroo und Bokuto gerade eindeutig überschritten hatten, fand Keiji so kurz vor Ende ihrer Reise noch einmal die Notwendigkeit, neue Regeln einzuführen:   Regel Nr. 11: Das Penis-Spiel ist verboten. Jede Erwähnung des Wortes Penis wird bestraft und führt zu Autofahrverbot. Regel Nr. 12: Es wird sich nicht über mehrere Toilettenkabinen hinweg unterhalten.   „Du bist wirklich eine Spaßbremse“, kommentierte Kuroo kopfschüttelnd. Er grinste viel zu breit, als dass es ihn wirklich stören würde. Wäre es so schlimm, wäre er wohl kaum mitgekommen, also ließ sich Keiji von dem Kommentar auch nicht sonderlich beleidigen. „Akaashi verbietet alles, was Spaß macht…“ „Müssen wir uns eben etwas Neues ausdenken!“ Es lenkte Bokuto von seinem furchtbaren Leid ab. Keiji wollte zwar nicht wissen, was sich Kuroo und Bokuto da ausdenken wollten, das ihnen den Verlust ihres tollen Spiels nehmen konnte, aber er hoffte inständig, dass es nicht noch dümmer und niveauloser wurde. (Wahrscheinlich würden sie seine Erwartungen wieder völlig übertreffen. Im Negativen.)     Weil es noch zu früh war, um Schluss zu machen, und weil Bokuto unbedingt noch weiter fahren wollte, fuhren sie weiter. Zurück die Strecke, die sie gekommen waren, weil Palm Springs ein deutlicher Umweg von ihrer Route war, und dann weiter nach Norden durch die Mojave-Wüste. Es war ein faszinierender Anblick von dürrem, kargem Gestrüpp am Wegesrand und einem Gefühl von staubtrockener Leblosigkeit. Nachdem der Himmel immer noch von Regen kündete, entschieden sie sich gegen jede größere wandernde Erkundungstour und begnügten sich damit, ein bisschen langsamer als nötig die Straße entlangzufahren, um möglichst viel von der Aussicht genießen zu können. „Beim nächsten Mal müssen wir durch die Wüste wandern, Akaashi! Das ist bestimmt voll toll!“ – „Bro, nicht, dass wir dann verdursten!“ „Aber es gibt doch Oasen!“ „Wir werden nicht durch Wüsten wandern, Bokuto-San.“ – „Aber Akaashiiiii…!!“ „Nein.“ Einfach nur nein. „Aber wir könnten–“ – „Nein.“ Bokuto schmollte. Keiji nahm es hin, denn er sah, dass es kein besonders tiefschürfendes Schmollen war, und es würde Bokuto nicht lange davon abhalten, laut und glücklich zu sein.   Schon ihr nächster Stopp ließ die Begeisterung zurückkehren. Das Kelso Depot war eine alte Bahnhaltestelle, die vor einigen Jahren wohl wieder restauriert worden war. Inzwischen fuhren hier nur Güterzüge noch entlang, und die Station selbst war eher ein Museum geworden, das von der Zeit in den Zwanzigerjahren erzählte, als hier noch das Leben geblüht hatte. „Wie in einem alten Film!“, war Bokutos erfreuter Ausruf. Es gab ein kleines Diner hier, also blieben sie, um etwas zu Abend zu essen. Es war noch nicht sonderlich spät, aber bis sie eine Stadt erreichten, in der sie unterkommen konnten, würden noch einmal gut zwei Stunden vergehen, und bis dahin wären sie ausgehungert. Also lieber zu früh als zu spät essen. „Zu schade, dass hier keine Züge mehr fahren, in denen man mitfahren kann…“ In Erinnerung daran, was passierte, wenn man Bokuto und Passagierzüge alleine ließ, besonders, wenn es sich um Sehenswürdigkeiten handelte, fand Keiji, dass das überhaupt kein Grund zum Bedauern war.   (Eher im Gegenteil. Er war froh darum. Die Bahnstrecke wäre viel zu lang, als dass er Bokuto wiederfinden würde, vor allem bei dessen Talent, seinen Aufenthaltsort zu beschreiben. Allein die Vorstellung, angerufen zu werden mit einem „Akaashiiiiii! Hier sind überall Steine!“ war unglaublich nervenzehrend.)     Es begann zu regnen, als sie sich gerade in ihrer Herberge eingerichtet hatten. Es war okay. Das stete Trommeln am Fenster klang nicht mehr halb so deprimierend wie am Vortag, und kombiniert mit Bokutos und Kuroos lachenden Stimmen, während sie ihren Stressball durchs Zimmer warfen, klang es für Keiji sogar richtig hübsch.     ***     Der Morgen grüßte mit Sonnenstrahlen, die durch das Fenster fielen und Keiji wachkitzelten. Als er sich aufrichtete, stellte er fest, dass Kuroo und Bokuto längst wach waren. Sie saßen um den kleinen Tisch herum, der am Fenster stand, vertieft in… einen Haufen Papierschnipsel. Keiji blinzelte verwirrt. „Morgen.“ „Akaashiiiiiiiiiiiiiiii!“ Bokuto sprang strahlend von seinem Sessel auf. Mit einem Satz war er zurück auf dem Bett und warf sich Keiji an den Hals. „Du hast so lang geschlafen! Schau mal, die Sonne scheint!!!“ – „Ich sehe es, Bokuto-San.“ Was Keiji nicht sah, war, wie er so lange hatte schlafen können, ohne aufzuwachen, bedenkend, dass Bokuto und Kuroo beide nicht gerade dafür bekannt waren, unglaublich leise zu sein. Aber es hatte unglaublich gut getan – er fühlte sich ausgeruhter, als er sich bisher auch nur an einem einzigen Morgen ihres Trips gefühlt hatte. Behutsam schob er Bokuto wieder von sich, schwang dann die Beine aus dem Bett. „Was habt ihr gemacht?“ „Wir haben Memory gespielt! Kuroo hat es gebastelt, damit wir was zu tun haben, bis du wach wirst!“   Das waren also die Papierschnipsel. Nicht wirklich hübsch ausgeschnittene Quadrate – sie waren an den Ecken so gewölbt, dass Keiji sicher war, Kuroo hatte seine Nagelschere missbraucht –, auf die die simpelsten Motive gekritzelt waren. Keiji erkannte das Meiste nicht einmal wirklich. Kuroo war kein Künstler. Bokuto auch nicht, aber dessen Stil war immerhin unverkennbar. Das hier… war Gekritzel. „Keine besonders große Kunst“, kommentierte er, während er etwas betrachtete, das aussah wie ein Mensch, der auf einer Banane ritt. „Aber Akaashiii!! Das ist der Balletttanzende Russe!“ „…natürlich. Wie konnte ich das übersehen?“ Die anderen Motive waren ähnlich intelligent. Da war eine schief gezeichnete Insel, die Kreta darstellen sollte. Bokuto verkündete wieder einmal stolz, es sei Feta und brachte Kuroo damit dazu, vor lauter Lachen aus seinem Sessel zu fallen. Ein Ei mit seltsamem Gekrakel drumherum sollte eine Eule sein. Es gab auch eine Krähe, die wenig besser aussah, und ein rundes Mondgesicht mit genervtem Blick und einer Frisur, die aussah, als würde sie aus Ziegelsteinen bestehen – das war unverkennbar Ushijima. Sagte Kuroo. Keiji fand, das hätte alles und jeder sein können. Da war eine schief gezeichnete Katze, und ein Pudding, den man immerhin sogar recht gut erkennen konnte, ein seltsames, winziges Figürchen mit bösem Blick, von dem Bokuto lachend verkündete, dass es Yaku war… Und eine Kaktusblume. Diesmal musste Keiji immerhin gar nicht raten, was die Karte darstellen sollte, es war eindeutig. „Das würde Konoha sicher mega gut gefallen!“ – „Ich bin sicher, Konoha-San wäre begeistert. Ihr solltet ihm die Karte schenken.“ „Bro! Und die andere schenken wir Komi! Das ist dann wie ein Verlobungsring, nur cooler!“ – „Bro!!!“     Bevor sie weiterfuhren, besorgte Akaashi im nächsten Souvenirladen eine kleine Schatulle. Der Aufdruck war hässlich, aber darum ging es ihm gar nicht. „Für eure Memory-Karten.“ Bokuto starrte ihn groß und begeistert an. Kuroo lachte. „Es ist verstörend, wie niedlich du sein kannst.“ – „Akaashi ist eben der Beste, hey hey hey!“   Ob er nun der Beste war oder nicht, Keiji war völlig zufrieden. Memory war nun wirklich ein harmloses Spielchen, selbst wenn die Karten jede für sich alles andere als kunstvoll gestaltet waren. Und wenn es ihm half, ab und zu ein bisschen länger zu schlafen, dann würde er sich sicher noch weniger darüber beklagen. Besonders in Gedenken daran, dass er irgendwann zukünftig nicht nur mit Bokuto geschlagen sein würde, der morgens durch die Wohnung rumorte. Es würde eine Katastrophe werden.   Aber ein bisschen freute er sich darauf.   „Wohin fahren wir eigentlich?“, unterbrach Kuroo seine Gedanken, als er wieder in den Wagen stieg. Rücksitz, wie immer, wenn Keiji fuhr, weil Bokuto natürlich den Beifahrersitz für sich beanspruchte. „Unser Tagesziel ist Huntington. Sehen wir mal, wie weit wir kommen.“ Keiji ahnte schon, dass es nicht laufen würde, wie er es geplant hatte. Eigentlich stand nicht viel an, aber seine Intuition war felsenfest davon überzeugt, dass seine Pläne wieder einmal nicht so funktionieren würden, wie er es sich wünschte.     Und natürlich hatte er Recht damit. Die Bottle Tree Ranch faszinierte Bokuto so sehr, dass Keiji befürchtete, ihn gar nicht mehr hier weg zu bekommen. Es war ein seltsamer Anblick: Aus dem kargen Boden ragten Bäume aus Metall, an deren Ästen bunt leuchtende Glasflaschen hingen. Sie fingen das Sonnenlicht ein und strahlten regelrecht. Auf seine Art war es unglaublich beeindruckend. Keiji hatte aber nicht lange Augen für die Flaschenbäume übrig, denn seine Aufmerksamkeit wurde schnell davon abgelenkt, dass der Besitzer der Ranch zu ihnen trat. Er sprach Englisch in einem deutlichen Dialekt, der es selbst Keiji schwer machte, ihn zu verstehen, aber er war ein gutmütiger, liebenswürdiger alter Mann, der sich nur zu gerne mit ihnen unterhielt. Vor allem mit Bokuto. Keiji war sich sicher, dass sie beide den jeweils anderen nicht verstanden, aber sie unterhielten sich mit vollem Enthusiasmus, benutzten Worte, Gestiken und Mimik, und wenn etwas ganz unklar blieb, kratzten sie mit einem Stöckchen Bilder in den Boden, die genauso wenig kommunikativ wertvoll waren. Kuroo hielt sich genauso wie er selbst aus dem Gespräch heraus. Er stand da, amüsiert grinsend, die Arme vor der Brust verschränkt. „Ich werde nie verstehen, wie man so viel Charisma haben kann. Und dann… So sein. Das ist doch Perlen vor die Säue werfen!“ Er gestikulierte empört. Keiji lachte nur und zuckte mit den Schultern. Sein Blick verließ Bokuto nicht, während er sich gegen Kuroo lehnte. „Wäre er anders, wäre er nicht so charmant.“ – „Hm. Stimmt wohl. Trotzdem macht’s mich kirre!“     Sie blieben für ein rustikales, hausgemachtes Mittagessen, weil Elmer, der Ranchbesitzer, darauf bestand, dass sie unbedingt bleiben mussten. Zum Abschied bekam Bokuto eine winzige Ausführung eines Flaschenbaums geschenkt, den sie sehr sorgfältig zwischen Kleidung gepolstert in Keijis Koffer verstauten.   (Keijis Gepäck war das Ordentlichste. Es gewährleistete am Ehesten, dass dem Bäumchen nichts passierte.)   „Er sagt, wir sollen bald wiederkommen!“, verkündete Bokuto fröhlich, „Akaashi, wir müssen wiederkommen!“ Keiji seufzte. Reisen so weit ins Ausland waren teuer, es war nicht, als könnten sie sich das allzu oft leisten. Aber… er mochte sie. Und es musste ja nicht gleich morgen sein, nicht wahr? „Dann tun wir das, Bokuto-San. Aber eines nach dem Anderen. Wir müssen erst einmal wieder nach Hause kommen.“ „Aber es gibt noch so viel zu sehen, Akaashi!“ „Wir haben auch noch genug Zeit.“ Hoffte Keiji jedenfalls. Aber ein Blick auf den Kalender zeigte ihm, was er ohnehin schon gewusst hatte – sie lagen immer noch sehr gut in der Zeit. Nicht zuletzt deshalb, weil der unerwartete Regen ihre Reise doch beschleunigt hatte.     Das California Route 66 Museum war so klein, dass es sie gar nicht lange aufhielt. Keiji hatte es sich größer vorgestellt, als er darüber gelesen hatte. Im Endeffekt aber hätten sie vermutlich auch dann nicht viel Zeit hier verbracht, wäre es größer gewesen; so interessant die Ausstellung war, nach all den Überbleibseln und Erinnerungsstücken der Route 66, die sie schon gesehen hatten, verloren die Ausstellungsstücke ein bisschen an Faszination. Entsprechend ging es schnell weiter, durch San Bernardino, eine der eher seltenen großen Städte auf ihrem Weg, und schließlich vorbei an einer… riesigen Orange. Es war wohl irgendwann einmal ein Getränkestand in Orangenform gewesen. Heute blieb das Verkaufsfenster geschlossen, und das einzige, was man noch machen konnte, war, Fotos schießen.   (Natürlich waren Bokuto und Kuroo völlig begeistert davon und sie verbrachten alleine zwanzig Minuten damit, auf die verrückteste Art vor und mit der Orange zu posieren, ehe sie die skurrilsten Bilder an alle Freunde schickten, die ihnen einfielen. Memos schickte kurz darauf ein Foto seiner Obstschale zurück, die mit Orangen gefüllt war. Sein grinsendes Gesicht war nur in einer Ecke des Bildes zu sehen, aber es war offensichtlich, dass er sehr viel Spaß hatte an dem ganzen Unfug.)     Sie kamen noch weit vor Sonnenuntergang an ihrem Ziel an: Das Museum Huntington Library, Art Collections, and Botanical Gardens war nicht etwa wegen seiner kunsthistorischen und literarischen Qualitäten Keijis Ziel gewesen, sondern ganz platt wegen der botanischen Gärten. Die Anlage war riesig, aufgeteilt in mehrere Themengebiete, und auch wenn sonst nichts Bokutos Begeisterung wecken könnte – spätestens der Kaktusgarten würde es tun. Bis dahin hatten sie aber noch einen weiten Weg vor sich. Durch Gärten, die inspiriert waren von den verschiedendsten Ecken der Welt. Jetzt im Sommer blühte obendrein beinahe alles. Keiji fand die Blütenpracht und Farbenvielfalt unglaublich schön. Er war nicht unbedingt ein Typ für Kitsch und Romantik, aber er mochte rein objektiv ästhetische Dinge sehr gerne. Er konnte seine Zeit wunderbar damit verbringen, sich die Pflanzen und Blumen anzusehen, die hier und da auffindbaren Infoplaketten zu lesen und sich einfach an der Umgebung zu erfreuen. Immer wieder warf er einen Seitenblick zu Bokuto und Kuroo zurück, doch die beiden schienen selbst gut beschäftigt zu sein – mehr miteinander als mit den Gärten, aber das war Keiji auch recht, solange sie keinen Unsinn anstellten.   Als sie den japanischen Garten erreichten, begann die Sonne, die Landschaft ringsum golden zu färben. Der Abend rückte näher. Keiji drehte sich zu seinen Begleitern um, weil er fragen wollte, ob sie nicht langsam umkehren wollten, und begegnete zwei starrenden Augenpaaren. Er hob die Augenbrauen. „Was?“ „Akaashi… hat dir in letzter Zeit nochmal jemand gesagt, wie hübsch du bist?“ Kuroos Worte kamen – unerwartet. Mindestens. Keiji starrte, völlig entgeistert, während Bokuto wild nickte, begeistert und beinahe ehrfürchtig. Das unangenehm warme Kribbeln in seinem Gesicht machte Keiji auch nicht gerade glücklicher. „Was Kuroo sagen will“, ereiferte Bokuto sich, „ist, dass Akaashi hier richtig gut reinpasst! Wir wollen schon die ganze Zeit Fotos machen!“ Er hob sein Handy hoch, wedelte demonstrativ damit herum. Keiji war immer noch sprachlos genug, dass er einfach nur starrte, unfähig, allzu viel mehr zu sagen. Der Blauregen, der wie ein Baldachin über ihnen blühte und in prächtigen Farben herunterrieselte, glühte im Licht der untergehenden Sonne. Bokuto und Kuroo dazwischen waren ein Anblick, den Keiji sich gerne für die Ewigkeit festhalten wollte. Er zog sein Handy hervor. „Ich zuerst.“   Der Fotowahnsinn hielt sich, bis die Lichtverhältnisse nicht mehr mitspielen wollten. Es war Keiji unangenehm, aber die meiste Zeit konnte er das Knipsen ignorieren, weil seine Aufmerksamkeit doch von anderen Dingen auf sich gezogen wurde. Außerdem sorgte es dafür, dass Bokuto vergleichsweise still war, bis auf einige Ausrufe zwischendurch, in denen er Keijis Schönheit betonen musste. Kuroo sparte sich das immerhin nach dem zweiten bösen Blick und grinste nur noch munter vor sich hin, wenn Bokuto wieder in Begeisterungsstürme ausbrach. Es war überraschend friedlich, alles in allem.   (Und peinlich. Keiji war kein Typ, der Aufmerksamkeit allzu sehr mochte, und gerade bekam er davon einfach viel zu viel, als dass es ihm noch angenehm sein könnte. Weil Bokuto aber die ganze Zeit über mit der untergehenden Sonne um die Wette strahlte und schließlich schon aussah, als wäre er die primäre Lichtquelle, die den Abend noch erhellte, konnte Keiji sich nicht dazu durchringen, die Aktion früher abzubrechen als nötig. Wenn es Bokuto glücklich machte, war er am Ende auch glücklich. Und bei aller Peinlichkeit – es war wirklich schmeichelhaft.)     Ihr letztes Ziel war der Kakteengarten. Es war schon fast völlig dunkel, als sie ihn erreichten, aber das tat dem Anblick kaum einen Abbruch. Selbst in dem diesigen Halblicht der späten Abenddämmerung sahen die Kakteen beeindruckend aus. Und Bokuto liebte sie. „Die sehen alle aus wie Komiyan, Akaashiiii!“, brüllte er lachend, während er auf einige knubbelige, runde Kakteen mit üppigen Blüten zeigte. „Bro, wir haben Komis Familie gefunden!!!“ „Wir müssen unbedingt Fotos machen! Hey hey hey! Konoha freut sich sicher, seine Schwager alle kennen zu lernen!“   Konoha freute sich nicht. Während Komi auf die Fotos hin eine Nachricht zurückschickte, die klang, als hätte er sie geschrieben, während er sich vor Lachen schüttelte, bekam Bokuto von Konoha lediglich ein Selfie mit einer ausgesprochen rüden Geste. Keiji konnte es ihm wirklich nicht verübeln.   Wären diese beiden Chaoten nicht seine besten Freunde, er würde sie auch nicht ertragen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)