The Golden Road von Writing_League ================================================================================ Kapitel 4: Let's Get Lost on a Country Road ------------------------------------------- Wirklich ausgeschlafen waren sie am Morgen alle drei nicht. Keiji sah Augenringe, als er in den Spiegel sah, Bokutos Augen hingen noch tiefer auf Halbmast als sie es sonst taten, und Kuroo hatte wohl so unruhig geschlafen, dass seine übliche Frisur einem explodierten Igel glich. Für Keiji war damit beschlossene Sache, dass sie nie, nie, nie wieder eine Geisterstadt besuchen würden. Oder ein Geisterhaus. Oder einen verfluchten Wald. Oder irgendetwas anderes, das mit Gruselgeschichten und Spuklegenden verknüpft war. Weil Kuroo ihn über seine Kaffeetasse hinweg beim Frühstück mit einem schiefen Grinsen ansah, das beinahe einsichtig aussah, ging Keiji davon aus, dass er nicht der Einzige war, der so dachte.   (Zumindest solange, bis Kuroo und Bokuto sich wieder gegenseitig weit genug hochgepeitscht hatten, um jede Vernunft in den Wind zu schießen.)   Nachdenklich stocherte Keiji in seinem Frühstücksei; sie kamen gut voran, er hatte mit größeren Verzögerungen gerechnet. So, wie es aussah, hatten sie ganz klar keine Eile vor sich. Umso besser, sonst hätte er sich beinahe schlecht mit seiner Verkündung gefühlt: „Bevor wir losfahren, werden wir Wäsche waschen.“ – „Aber Akaashi, das ist langweilig!“, protestierte Bokuto sofort. Keiji sah ihn völlig ungerührt an. „Lieber Langeweile als schmutzige Unterwäsche.“ Darauf fiel Bokuto auch kein Widerspruch ein. Er zog zwar rein aus Prinzip weiterhin einen Flunsch und meckerte noch einmal, dass es langweilig war, aber darüber hinaus war er friedlich.   Als sie schlussendlich im Waschsalon waren, war die schlechte Laune eh wieder vergessen. „Akaashiiiiiiiiii! Lass mich das Kleingeld einwerfen!“     Während sie darauf warteten, dass ihre Wäsche wusch und schlussendlich trocknete, spazierten sie durch das kleine Städtchen. Es war hübsch, typischer Kleinstadtcharme, schlicht, etwas älter. Ganz anders als Japan, und obwohl sie so langsam vertraut wurden mit dem Anblick von amerikanischer Architektur, so war es immer noch interessant genug, um Bokuto bei Laune zu halten, solange er sie nicht nur aus einem Autofenster heraus bewunderte.   So war es leichter zu verschmerzen, dass sie doch einige Stunden an langweilige Haushaltspflichten verloren – wobei Keiji sie ohnehin nicht als verloren empfand. Er genoss es, einfach nur durch die Straßen zu schlendern und schweigend zuhören zu können, wie Kuroo und Bokuto sich verrückte Geschichten erzählten, die schließlich darin endeten, dass sie alte Anekdoten aus der High School auspackten, die Keiji noch viel zu gut in Erinnerung geblieben waren. „Dein Blick war einfach so herrlich dumm, als der Chibi dich das erste Mal mit deiner eigenen Finte geschlagen hat!“ – „Das war gar nicht lustig!!! Das war wie Verrat!“ „Frag mich mal. Ich weiß noch, als Tsukki einfach keinen Bock auf nichts hatte, und dann, in unserem nächsten Spiel… Huh. Ist ganz schön lange her, dass ich ihn das letzte Mal gesprochen habe. Muss ich mal wieder. Er freut sich doch immer so.“ Es war eindeutig Ironie. Bokuto hörte die Ironie nicht: „Bro, jeder freut sich, wenn du anrufst!!!“ – „Außer Yakkun.“ – „Außer Yakkun. Aber das ist seine Art, Freude zu zeigen!“ – „Du ergibst keinen Sinn.“ – „Broooo!!!“ So ging es weiter, die ganze Zeit. Irgendwo zwischen nostalgischem Schwelgen und typischen Kabbeleien vertrieben sie sich die Zeit, ohne dass auch nur ein einziges Mal Langeweile aufkam.   Keiji war am Ende beinahe enttäuscht, als ihre Wäsche fertig war und sie bereit zum Weiterfahren.   „Akaashi?“ Kaum, dass sie losgefahren waren – mit Keiji am Steuer, nachdem Bokuto am Vortag an seiner Stelle gefahren war –, durchbrach Bokuto das Radiogedudel vom Beifahrersitz aus. „Hm?“ „Wir müssen das nochmal machen. Nichtmal unbedingt durch Amerika. Aber nochmal. Und dann mit den Anderen! Komiyan und Konoha! Ah, und den Chibi können wir auch mitnehmen, und Kenma. Und Saru! Und Yakkun. Und – alle eben! Das ist dann fast wie auf den Trainingscamps früher!” Ein Blick in den Rückspiegel zeigte ein wehmütiges Grinsen auf Kuroos Gesicht, das Keiji auch an seinen Mundwinkeln zupfen spürte. „Das wäre sehr schön, Bokuto-San.“ Absolut unrealistisch, aber schön. Wobei sie dann schon fast einen Reisebus brauchen würden… Die Vorstellung war genauso albern wie die ganze Idee, aber Keiji war geneigt, es einfach drauf ankommen zu lassen. Träumen kostete bekanntlich nichts, und selbst, wenn es für einen Roadtrip niemals reichen würde, irgendein nicht-so-ganz-Klassentreffen würden sie schon zusammenbekommen.     Ihr erstes Tagesziel, der Totem Pole Park, war noch viel beeindruckender, als Keiji geglaubt hatte. Die Figuren, die indianisch inspiriert waren, waren teilweise mehr als doppelt so hoch wie ein großgewachsener Mensch, in den buntesten Farben bemalt und stellten die groteskesten Figuren da. Einige waren menschenähnlich. Die meisten tierisch. „Akaashi! Da ist eine Eule! Kuroo! Eine Eule! Hey hey hey!!!“ – “Bild dir mal nichts drauf ein, du Federvieh, hier sind auch Katzen!“ Während Keiji lieber zwischen den Totems und anderen Figuren hindurchspazierte, um sich in Ruhe die Kunst anzusehen, konnte er hören, wie Kuroo und Bokuto sich quer über das Gelände hinweg entgegenbrüllten, wann immer sie wahlweise eine Katze oder eine Eule gefunden hatten. Es schien ein Wettstreit daraus zu werden, wobei Keiji daran zweifelte, dass es irgendeinen Gewinn gab, der über Siegerehre hinausging. Aber es war gut, wie es war. Wie Keiji erwartet hatte, hatte Bokuto seinen Spaß mit den bunten Figuren, und er ließ es sich nicht nehmen, sich zum Abschluss im Souvenirshop einen kleinen Totempfahl im Eulendesign zu kaufen, den er dann sofort an seiner Tasche festmachte. Kuroo kaufte sich einen schwarzen Katzentotem, und während Keiji gerne ohne Souvenir hinausgegangen wäre, hatte er am Ende sogar zwei – sowohl Kuroo als auch Bokuto drückten ihm ein kleines Figürchen in die Hand: Zwei unterschiedliche Eulen, die in ihrem nichtssagend-ruhigen Blick aber identisch waren.   „Du solltest mehr Souvenirs kaufen, Akaashi“, kommentierte Kuroo, während sie zum Wagen zurückspazierten. Er stieß seine Schulter gegen Keijis, brachte sie damit beide für einen Moment aus dem Gleichgewicht. Sein grinsendes Gesicht war nach vorn gerichtet, sein Blick verließ nie Bokuto, der vor ihnen herlief, erpicht darauf, möglichst schnell zurück zu ihrem Auto zu kommen, weil er unbedingt weiterwollte, jetzt, wo er alles spannende gesehen hatte. „Sonst bereust du’s, wenn du zuhause bist, und keine Andenken hast.“ „Ich habe meine Erinnerungen, Kuroo-San.“ Er warf einen kurzen Blick zur Seite, traf auf bernsteinfarbene Katzenaugen, ehe sein Blick zurück nach vorn wanderte. Bokuto winkte, rufend, quengelnd – „Beeilt euch!!!“ – und Keiji grinste flüchtig. „Außerdem kauft Bokuto-San genug für zwei.“ „Auch wieder wahr. Trotzdem. Kauf ein bisschen Plunder, der dir gefällt. Nicht nur ihm.“   Keiji gefiel Bokutos Plunder aber. Einfach, weil er so Bokuto-typisch war, und das war für ihn viel mehr wert als ein dekoratives Souvenirstück, mit dem er keinerlei tiefere emotionale Verbindung hatte. „Du denkst etwas Kitschiges.“ Diesmal schnaubte Keiji. „Nicht über dich“, gab er trocken zurück, ehe er sein Schritttempo erhörte und Kuroo, der sich tragisch an die Brust fasste, einfach stehen ließ, statt das billige Schmierentheater zu ertragen.     Es war ein Katzensprung bis zur nächsten Stadt, kaum genug Zeit, um das Radio einzuschalten. Weil sie durch alles Wäschewaschen erst spät losgekommen waren, beschlossen sie trotzdem, dass es die letzte Station für heute sein würde. Ein Zimmer gefunden und das größte Gepäck abgelagert ging es hinaus, um die Stadt zu erkunden. Kuroo hatte in seinem Reiseführer einen Verweis auf ein Schusswaffenmuseum gefunden. Keiji wurde gar nicht mehr gefragt, ob sie hingehen würden. „Da sind fast 14000 Knarren, Akaashi!!“, echote Bokuto ungefähr zehnmal, was Kuroo ohnehin schon erzählt hatte. Er blinzelte, dann stemmte er die Arme in die Hüften und sah beinahe empört aus. „Auch wenn die alle nicht so cool sind wie meine!“ Dass die Schusswaffen im Museum alle nicht so cool waren, musste Bokuto zurücknehmen. Er nahm es natürlich nicht verbal zurück, aber Keiji sah ihm an, dass er noch an seiner vorangegangenen Aussage knabberte, während er die teilweise uralten Waffen betrachtete, die hier ausgestellt waren. Bokuto war beeindruckt. Bokuto wollte es nicht zugeben, dass diese Waffen cooler waren als seine Dienstwaffe zuhause. Er kaute auf den Worten herum, zog eine Schnute, wand sich und gab sich alle Mühe, es nicht zu sagen, aber schließlich platzte es doch aus ihm heraus: „Die sind total toll, Akaashiiiiii!!! Stell dir vor, wir hätten solche!“ Das wollte Keiji sich aber nicht vorstellen. Wenn man das überhaupt so sagen konnte, dann mochte er seine Dienstwaffe genau so, wie sie war. „Die wären unpraktisch“, kommentierte Kuroo, der sich über Bokutos Schulter lehnte, um die Ausstellungsstücke zu begutachten, die Bokuto gerade anschmachtete. Er rieb sich extra demonstrativ nachdenklich das Kinn. „Viel zu groß. Zu schwer. Das sieht gar nicht mehr cool aus, wenn du die ziehst, Bro. Stell dir das mal vor.“ Die tiefen, angestrengten Runzeln, die sich auf Bokutos Stirn breitmachten, zeigten, dass er sich das gerade sogar sehr intensiv vorstellte, und auch Keiji kam nicht umhin, sich vorzustellen, wie umständlich es wäre, ein so riesiges Gewehr mit sich herumtragen zu müssen.   „Ich hab doch gesagt, meine ist die Coolste, hey hey hey!!!“ – „Du bist überhaupt der coolste Polizist, den es gibt, Bro.“ Bokuto strahlte wie ein kleines Kind über das lapidare Kompliment. Er grinste Kuroo an, als wäre der der größte Schatz der Welt, und im gleichen Moment deutete er mit einer Hand zu Keiji hinüber, als er voller Überzeugung verkündete: „Aber Akaashi ist auch verdammt cool!“ Kuroo lachte, ein warmes, freundliches Lachen. Er klopfte Bokuto auf die Schulter. „Das ist er.“   „Ihr wisst, dass ich neben euch stehe?“   „Natürlich, Akaashi-Kun. Deshalb reden wir über dich – macht mehr Spaß so.“     Neben den ganzen Schusswaffen hatte das Museum noch eine Unzahl an Plakaten, die bis zum ersten Weltkrieg zurückreichten. Sie verbrachten mehr Zeit als erwartet vor den Bildern an der Wand, weil Bokuto all die Aufschriften übersetzt bekommen wollte. Eine Aufgabe, die nicht immer so einfach war, denn letztlich war auch Keijis Englisch nicht das Beste, und Kuroo meckerte ziemlich bald, dass er Sprachen einfach furchtbar fand, bei ihm sollte Bokuto doch gar nicht ankommen.   (Er gab sich trotzdem alle Mühe, zu übersetzen. Sei es aus Stolz oder Freundschaft, das sei einmal dahingestellt.)   Am Ende ihres Museumsausflugs bewunderten sie noch eine Reihe alter Instrumente, die aber bei keinem von ihnen auf richtig viel Interesse stießen; es blieb ein kurzer Abstecher. Bei all der Zeit, die sie zwischen Schusswaffen und alten Plakaten verbracht hatten, war es kurz vor Ende der Öffnungszeit, als sie das Museum verließen. Ein gemütliches, trödeliges Abendessen später begrüßte sie auf den staubigen Straßen eine untergehende Sonne, deren rotgoldenes Licht die ganze Stadt in ein unwirkliches, goldenes Licht tauchte. „Man könnte die Goldgräber damit ködern“, schmunzelte Kuroo.   Man konnte auch aufgekratzte Eulen mit so einem Anblick ködern, stellte Keiji fest, während er Bokuto betrachtete, dessen Augen weit aufgerissen und staunend über die Fluten an Gold wanderten.     ***     Es war Kuroos Reiseführer, der sie schon nach wenigen Minuten Fahrt am Morgen dazu brachte, wieder zu halten. Kuroo wollte nicht verraten, worum es ging; er grinste nur und versprach hoch und heilig, es würde ihnen gefallen. Keiji war sich da nicht so sicher.   Als er sah, was Kuroo ihnen da entdeckt hatte, tat es ihm fast Leid.   Es war die Figur eines riesigen, blauen Wals, dessen Maul aufgesperrt war. Er war so gebaut, dass sein Rücken nur ein niedriger Bogen war, der nach oben hin geöffnet war. Zum Schwanz hin schwang die Figur wieder in die Höhe. Man musste eine kleine Leiter erklimmen, um auf dem Schwanz stehen zu können; von dort aus hatte man einen wunderbaren Ausblick auf den See, von dessen Ufer aus der Wal ins Wasser ragte. Aus dem Wal heraus führte sogar eine Rutsche ins Wasser. Der See, leider, war zum Schwimmen gesperrt, was ein kleiner Wermutstropfen für Bokutos Freude war, aber das dümmliche Grinsen der riesigen Figur lenkte ihn schnell genug wieder ab. „Und guck dir die Zähne an, Akaashi! …Boah! Kuroo! Das ist wie bei Pinocchio!“ – „Ha! Nur, dass uns jeder Wal sofort wieder ausspucken würde, weil wir so cool sind!“ – „Hey hey hey!“   Keiji hoffte für alle Wale der Welt, dass sie wirklich klug genug wären, diese verrückten Idioten wieder auszuspucken – oder gar nicht erst zu verschlucken.     Als sie in der Stadt selbst nach ausreichender Besichtigung des Wals schließlich beinahe augenblicklich über ein Kasino stolperten, tat es Keiji höchstens noch Leid, dass ihm sein Misstrauen beinahe leidgetan hätte.   „Nein, Bokuto-San“, sagte er, noch ehe Bokuto den Mund aufmachen konnte. Das Gebäude war riesig. Mehr als fünfzehn Stockwerke, die mit Glücksspiel und anderen Attraktionen lockten, die für Bokuto natürlich furchtbar attraktiv waren. „Aber Akaashi, du weißt nicht einmal, was ich sagen will!“, protestierte Bokuto. Er brachte Keiji damit nur zu einem Augenrollen. „Nein, Bokuto-San. Wir werden nicht da reingehen. Kein Glücksspiel. Du hast kein Geld dafür.“ – „Aber Akaashiiii…“ Er warf einen angesäuerten Blick in Kuroos Richtung, doch der hob nur mit einem Grinsen abwehrend die Hände. Das ist nicht mein Job, Akaashi-Kun~   Er brauchte eine Möglichkeit, aus dieser Situation rauszukommen, ohne Bokuto völlig zu deprimieren. Das letzte Mal, dass sie ein Kasino umgangen waren, war glimpflich abgelaufen, aber das Kasino war auch nicht halb so spektakulär und einladend gewesen. Bokuto wippte jetzt schon verräterisch nah am Emo-Modus vor und zurück. Wenn er ihn jetzt da hineingehen ließ, würde er ihn einerseits kaum noch wieder rausbekommen, außerdem riskierte er ihre Ersparnisse, und Bokutos gute Laune genauso sehr, sobald der erst verlor. Und das war bei Glücksspiel gar nicht unwahrscheinlich. Ein Emo-Modus, der mit größeren verlorenen Geldsummen einherging klang auf so vielen Ebenen anstrengend, dass es einfach keine Option für Keiji war. Er konnte also nichts anderes tun, als Bokuto davon zu überzeugen, dass es Sinn machte, da nicht hineinzugehen. Wenn er ihm nichts Besseres bot, würde Bokuto deprimiert werden. Der daraus resultierende Emo-Modus konnte sich schnell wieder fangen, wenn er Glück hatte und Bokuto bald etwas neues fand, das seine winzige Aufmerksamkeitsspanne beanspruchte, oder er konnte sich über Stunden ziehen, die er dramatisch herumwobbelnd im Auto sitzen würde, ohne noch ein Wort von sich zu geben. Wahrscheinlich, bis sein Bewegungsdrang zu groß wurde, und er wahlweise aussteigen und herumlaufen wollte, oder alternativ selbst hinters Steuer. In jedem Fall klang es unattraktiv und Keiji wollte es vermeiden, so gut es ging. Blieb also definitiv nur die Möglichkeit, Bokuto etwas zu bieten, das ihn von seinem Leid ablenkte und ihn ködern würde, das Kasino zu vergessen. Kuroo kassierte noch einen angepissten Blick, unverhohlen dieses Mal. Wäre Keiji nicht gezwungen, alle Folgen des aktuellen Ereignisses auch zu tragen, würde er Kuroo einfach alleine mit Bokuto stehen lassen und er konnte endlich einmal lernen, seinen Unfug alleine auszulöffeln.   (Nein. Würde er nicht. Aber er war gerade wirklich angefressen, auch wenn er schon wusste, dass Kuroo das bald wieder raushauen würde. Gerade hätte er ihn gerne mit Zitronen beworfen.)   „Du verstehst da drin doch niemanden, Bokuto-San.“ – „Muss ich ja auch nicht! Es gibt genug Spiele, die man alleine spielen kann!“ „Aber gemeinsam macht’s doch mehr Spaß, huh?“, mischte Kuroo sich nun doch ein. Er verschränkte lose die Arme hinter dem Kopf und musterte Bokuto mit unbekümmert hochgezogenen Augenbrauen. Keiji traktierte ihn mit unfreundlichen Blicken, von denen Kuroo sich allerdings nicht im Geringsten stören ließ. „Ja, schon. Aber wir haben ja überhaupt keine Spiele!“ Ah. Das war einfach. Kuroo grinste selbstzufrieden zu Keiji hinüber und Keiji hätte ihm gerne etwas an den Kopf geworfen dafür. Eine Zitrone. „Wir können Spiele kaufen“, schlug er vor, „Karten. Würfel. Dann können wir im Hotel abends spielen.“ Bokuto sah gar nicht überzeugt aus. Er schürzte die Lippen. Wahrscheinlich malte er sich gerade aus, was für tolle Dinge er sich alles entgehen ließ, um stattdessen mit Kuroo und Keiji in einem ollen alten Herbergszimmer auf dem riesigen Bett zu sitzen und Maumau zu spielen. Bestimmt gewann er dabei überhaupt nichts cooles, und überhaupt fehlte das großartige Kasino-Flair, das er sich sicher aus seinen tausend gesehenen schlechten amerikanischen Filmen zu kennen einbildete.   „Du kannst es Akaashi für das Autorennen heimzahlen~“   Das Argument schien zu ziehen. Und während Keiji die ganze Idee schon dezent bereute, hellte sich Bokutos trüber Blick auf und ein Grinsen verzog seinen Mund. Ein unheilverkündendes Grinsen. „Nicht nur Akaashi! Dich mach ich auch fertig, hey hey hey!“   Keijis einziger Trost war Bokutos schrecklich schlechtes Pokerface. Das Glück war zwar mit den Dummen, aber das half auch nicht mehr, wenn man seine Gedanken auf der Nasenspitze spazieren trug – jedenfalls hoffte Keiji das inständig. So oft war er noch nicht in Versuchung gekommen, irgendwelche Spiele mit Bokuto zu spielen. (Schon alleine, weil er ein sehr schlechter Verlierer war.)     Sie besorgten in einem billigen Ramschladen einen Satz Spielkarten und eine Packung Würfel samt Würfelbecher. Bokuto fand zusätzlich einen Satz im Dunkeln leuchtender Würfel, die wohl erotisch sein sollten mit den Worten, die draufgedruckt waren und durchs Würfeln zusammengesetzte Handlungen vorgeben sollten. Natürlich fand er sie furchtbar lustig. Die Plüschhandschellen fand er genauso lustig.   („Aber unsere sind viel cooler, Akaashi.“ – „Und stabiler, Bro… Die halten hier doch nicht mal ne Fliege fest!“ – „Wir hätten sie mitbringen sollen! Akaashiii! Wieso haben wir unsere Handschellen nicht dabei?!“ Genau deshalb.)   Während Bokuto und Kuroo sich noch die lächerlichsten Spielzeuge für Erwachsene ansahen, fand Keiji noch eine kleine Reisespielesammlung. Und auch wenn Mensch-ärgere-dich-nicht nicht unbedingt spannend klang, konnte etwas Abwechslung nicht schaden, wenn sie wirklich ihre Abende nun spielend verbringen wollten. Als er fertig war, zog er Kuroo und Bokuto von ihrem Unsinn weg, diesmal alles Gejammer ignorierend, denn nein, er würde diese lächerlichen Würfel und Plüschhandschellen nicht einmal kaufen, wenn man ihn dafür bezahlte. Bokuto war wieder zufrieden, als er einen Automaten vor einem Souvenirladen fand, der kleine Spielzeuge verkaufte. Stressbälle, wenn Keiji auch nur halbwegs richtig verstand, was der bunte Aufkleber auf der Maschine ihm sagen wollte. Bokuto wollte unbedingt eines haben, also zogen sie eine der grellroten Kapseln. Das Ding in ihrem Inneren sah seltsam aus, mehr aus Kopf als allem anderen bestehend, blau mit einem gelb-schwarzen Helm und so etwas wie Krallen an den Stummelfingern. „Das ist Wolverine, Akaashi!“ Keiji hatte keine Ahnung, wovon Bokuto sprach.     Die weitere Autofahrt über war Bokuto damit beschäftigt, sein neuestes Spielzeug zu zerknautschen. Alle Nase lang reckte er sich nach hinten zu Keiji, um ihm zu zeigen, zu welchen grotesken Formen er seinen superheldenförmigen Stressball jetzt wieder geknautscht hatte, die Gummihaut an einigen Stellen so straff gespannt, dass Keiji fürchtete, sie würde platzen. Sehr zu seiner Erleichterung platzte sie nicht; er wollte gar nicht wissen, womit das Ding gefüllt war.   Sie fuhren bis über die Rock Creek Bridge, eine alte, kleine Brücke, die schon ewig zur Route 66 gehörte. Nicht weit dahinter parkte Kuroo bei nächster Gelegenheit und scheuchte sie aus dem Wagen, ein breites Grinsen auf dem Gesicht wie ein kleines Kind. Sie war ansteckend, diese Art von ehrlicher, freudiger Begeisterung, die gar nicht unheilverkündend war. Bokuto hibbelte ungeduldig um Kuroo herum, während sie losmarschierten, und auch Keiji war neugierig, was sie erwarten würde. Inzwischen hatte er nicht mehr das Bedürfnis, Kuroo mit Zitronen zu bewerfen.   Sein Fund war ein längst stillgelegtes Autokino, das schweigend, staubig und verlassen in der Wildnis stand. Der Parkplatz war überwiegend von Gras überwuchert, und die riesige Leinwand erhob sich blind und stumm in den Himmel. Es war nur ein leerer Platz im Nirgendwo, der früher einmal vor Leben gestrotzt haben musste, aber– „Können wir eine Weile hier bleiben?“ Bokutos Wunsch wollte niemand abschlagen, also blieben sie.   Weil nigendwo ein Schild war, das es verbot, fuhr Kuroo den Wagen auf den überwucherten Parkplatz. Sie stiegen aus und kletterten auf die Motorhaube, ein Echo ihres Kinobesuchs, der doch nur wenige Tage her war und Keiji trotzdem wie eine Ewigkeit in der Vergangenheit liegend vorkam. Es war surreal. „Nicht schlecht, oder?“, fragte Kuroo amüsiert nach einer Weile. Er grinste nicht, er lächelte, und Bokuto auf der anderen Seite strahlte, als er laut verkündete, wie unglaublich toll er es hier fand. Obwohl hier wortwörtlich gar nichts war.     Wohin die Zeit verschwand, das wusste Keiji auch nicht, aber irgendwo zwischen Gesprächen über Filme, die Keiji nicht gesehen hatte, wurde es dunkel, und ehe er sich versah, saß er unter einem tiefschwarzen Sternenhimmel, der hier draußen in der Pampa so viel heller war als bei ihrem letzten Autokinobesuch. „Akaashiiii! Ich hab den Balletttanzenden Russen gefunden!“ Keiji wünschte sich wirklich, Bokuto würde so viel Energie dafür aufwenden, sich sinnvolle Dinge zu merken, und nicht nur Kuroos Unfug. Trotzdem stimmte er leise in Kuroos Lachen mit ein.   Halb zurückgelehnt saßen sie da, starrten hinauf in die Sterne, und es wurde immer stiller, neben einigen Kommentaren zu den Sternbildern dort oben, die keiner von ihnen kannte. Kuroo war immer noch sehr kreativ darin, neue zu erfinden, und Bokuto ähnlich kreativ darin, sie zu bewundern. Irgendwann schwiegen sie völlig. Keijis Kopf lag inzwischen auf Bokutos Schulter, Kuroo hatte sich wieder gerade aufgesetzt. Es war stockfinster, der Himmel wie ein schwarzer, glitzernder Baldachin über ihnen, an dem eine leuchtende Scheibe klebte. Eine laue Brise wehte den Lärm der nahen Straße noch weiter von ihnen fort; es war still. Keiji spürte, dass Müdigkeit an ihm zu nagen begann, aber er hatte keine Lust, aufzustehen und in den Wagen zu steigen, um wohin auch immer zu fahren. Noch nicht. Das so ruhige Atmen neben ihm verriet ihm, dass Bokuto ähnlich schläfrig war wie er selbst. Eigentlich wäre es besser, wenn sie fuhren. Es wurde nicht gerade früh dunkel im amerikanischen Sommer. Es war garantiert schon verdammt spät. Und gut, es gab entlang der Route 66 eigentlich überall Herbergen, die auch zu den unmöglichsten Uhrzeiten ein Check-In ermöglichten, aber mussten sie das ausreizen?   Weil Keiji müde war, begriff er einen langen Moment nicht, was er plötzlich hörte. Er erkannte das Lied aus dem Radio, und obwohl er nicht einmal ganz die Hälfte verstand, weil sein Hörverstehen einfach nicht gut genug war, wenn Gesangsmelodie und Instrumente die Sprache verzerrten, wusste er zumindest, dass es irgendetwas Wehmütiges war.   Er hatte nicht gewusst, dass Kuroo den Text des Liedes kannte. Er hatte nicht gewusst, dass Kuroo so gut singen konnte. Sein Profil wurde vom Mond angestrahlt, wodurch die Kontur beinahe silbern wirkte. Zwischen Mondlicht und Nachtschatten war sein Gesichtsausdruck schwer auszumachen, aber was Keiji sah, wirkte friedlich und liebevoll. Eine leichte Brise zerzauste das unruhige schwarze Haar. Er musste sich ein wenig anders zurechtrücken, um einen Blick auf Bokutos Gesicht zu erhaschen, aber es lohnte sich – der Ausdruck purer, ungläubiger Überwältigung, der vom Schein des Mondes beinahe demonstrativ beleuchtet wurde, ließ auch auf Keijis Gesicht ein Lächeln erblühen. Langsam wandte er den Blick wieder in den Himmel hinauf, heftete ihn auf das einzige Sternbild, das er kannte.     Zwischen Kuroos Gesang und den endlosen Weiten des Sternenhimmels wirkte die Welt auf einmal winzig klein und riesig groß zur gleichen Zeit, und Keiji wünschte sich, diesen Moment einfach für immer festhalten zu können. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)