The Golden Road von Writing_League ================================================================================ Kapitel 2: Go Down the Wishing Road ----------------------------------- Der nächste Tag, obwohl nicht einmal besonders spannend, verging wie im Flug.   Nach einem späten Frühstück und einem entsprechend späten Aufbruch war es Kuroo, der hinter dem Steuer saß, Bokuto neben ihm auf dem Beifahrersitz, und Keiji saß zufrieden auf dem Rücksitz, wo das Chaos und die Lautstärke von vorn nur halb so schlimm zu sein schienen. Und wo es nicht halb so sehr auffiel, dass er still in sich hineinlächelte, während Kuroo Bokuto mit lächerlichen Witzen zum Lachen brachte. Manchmal grimassierte er auch in den Rückspiegel, und nachdem Bokuto es sah, begann er zu versuchen, allein über den Spiegel stumm mit Keiji zu kommunizieren.   Natürlich verstand Keiji ihn.   (Sie kannten sich seit mehr als zehn Jahren. Waren seit mehr als zehn Jahren befreundet, und Keiji hatte mehr Zeit damit verbracht, jede Bewegung Bokutos zu studieren. Wie hätte er ihn nicht verstehen können?)     Sie kamen an einem ehemaligen Zentrum des Steinkohlebergbaus vorbei. Heute sah man nichts mehr von seiner einstigen Wichtigkeit; es war nur noch eine süße, idyllische Kleinstadt mit einer uralten Tankstelle, die nicht mehr in Betrieb war, aber zumindest zum Fotografiertwerden noch mehr als gut genug taugte – und allein Bokuto und Kuroo davor ließen sie mit einem Schlag wieder viel lebendiger aussehen, als sie war. Obwohl es nichts Besonderes war, wusste Keiji jetzt schon, dass diese Szene eines seiner liebsten Erlebnisse des Roadtrips werden würde. Das Bild der beiden vor den alten Zapfsäulen, mit ihrer modernen Kleidung völlig deplatziert, aber strahlend vor Glück und Abenteuerlust, würde ihn sicher noch lange begleiten.   Ihr nächstes Ziel, nachdem sie sich ein paar Kleinigkeiten für ein Picknick gekauft hatten, war die Cahokia Mounds National Historic Site: Eine Ansammlung riesiger, unförmiger, begrünter Hügel, die irgendwann einmal von Menschenhand aufgetürmt worden waren. Treppen über Treppen ging es hinauf, bis sie sich auf einem der Hügel niederließen und unter einem blauen Himmel ihr Mittagessen zu sich nahmen. Eigentlich hatten sie die Aussicht genießen wollen – die atemberaubend war, keine Frage. Doch über und über nur aufgetürmte Hügel zu erblicken verlor mit der Zeit an Spannung –, doch schnell lenkte Bokuto ihre Aufmerksamkeit auf den Himmel, wo sie schließlich beim Essen nach Bildern in den Wolken suchten.   („Das da sieht aus wie ein Volleyball!“, rief Bokuto begeistert aus. Keiji sah ein Ei. Kuroo, wie er sagte, sah ein Wollknäuel. „Und das da ist ein Außenangreifer!“ – „Ich finde, das sieht eher aus wie Lev beim Balletttanzen“, gab Kuroo grinsend zurück und Keiji enthielt sich, weil die Wolke für ihn einfach nur – ja, Wolkenform hatte. Irgendwie schaffte Bokuto es bei fast jeder weiteren, sie mit Volleyball zu assoziieren, Kuroo fand immer wieder eine nicht ganz charmante Assoziation zu seinen Freunden, und Keiji war verblüfft davon, wie ein ganzes Volleyballspiel in den Wolken für ihn einfach nur aussehen konnte, als hätte jemand eine Tüte Wattebäusche im Himmel ausgeschüttet.)     Das große Highlight des Tages war, für Bokuto, ein Wasserturm, der die Form einer riesigen Ketchup-Flasche hatte.   („Boah, wenn die kaputt geht, dann ist die ganze Stadt voller Ketchup!!!“ – „Bro, stell dir vor, wie viele Pommes man darin eintunken kann!“ – „Bro!!!“)     Den Nachmittag und frühen Abend verbrachten sie wandernd auf der Chain of Rocks Bridge, die Bewegung neben dem Autofahren, selbst wenn sie nie herausragend lang am Stück fuhren, einfach immer wieder willkommen. Es war keine besonders spannende Wanderung, aber sie war angenehm, die warmen Sonnenstrahlen kribbelten sanft auf Keijis Haut. Es wr nicht mehr ganz die drückendste Mittagshitze, aber immer noch heiß genug, um nicht einmal im Traum an lange Ärmel denken zu wollen. Zusammen mit dem leichten Wind, der sie über die unglaublich altmodische Brücke begleitete, war es wunderbar.   Sie kehrten zurück, als Bokuto wieder einmal über Hunger klagte und legten den restlichen Weg bis zu ihrem Tagesziel Mitchell noch zurück, bevor sie dort in ein kleines Diner einkehrten.     „Ich hab doch immer gesagt, dass ein Roadtrip großartig ist, hey hey hey!“, verkündete Bokuto, als sie schließlich im Bett lagen. Kuroo lachte, Keiji vergrub sich lieber unter seiner Bettdecke, weil er schlafen wollte; nach einem langen Tag war er müde, zumal er seit dem Beginn der Reise einfach noch keine Nacht wirklich genug geschlafen hatte. „Wir müssen das noch ganz oft machen, Akaashi!!!“ Zugegeben, Keiji reichte dieses Mal erst einmal für eine lange Zeit – und er hoffte, dass es Bokuto genauso ging, wenn sie erst einmal den ganzen Roadtrip hinter sich hatten und wieder zurück zuhause waren. Wahrscheinlicher war allerdings, dass Bokuto, kaum zurück zuhause, gleich den nächsten Unfug planen würde, und weil Kuroo mit Sicherheit wieder involviert sein würde, würde es vermutlich kaum weniger anstrengend werden als das hier. „Und beim nächsten Mal nehmt ihr mich freiwillig mit.“ Keiji schnaubte erheitert.   „Niemals, Kuroo-San.“     ***     „Akaashiiiii… schon wieder wandern?“   Bokuto, so begeistert er am Vortag noch davon gewesen war, sah jetzt alles andere als wirklich begeistert aus bei dem Ausblick auf noch mehr Wanderungen durch Natur und Sehenswürdigkeiten, denen es an Bokuto-tauglicher Spannung fehlte. Keiji blieb stehen, kaum dass er aus dem Wagen gestiegen war und musterte seinen Freund nichtssagend. Wer keine bessere Idee brachte, folgte dem Programm, so einfach war das. Außerdem wusste er, dass Bokuto unruhig wurde, wenn er zu lange keine Bewegung bekam – sie waren nun zwar nur etwa eine Stunde unterwegs gewesen, aber das reichte in der Regel, dass Bokuto hibbelig wurde, sofern er nicht selbst hinter dem Steuer saß. Wenn sie sich nun eine Weile an der frischen Luft auspowerten, war Bokuto danach immerhin nicht mehr ganz so unruhig.   (Bisher war es noch kein Problem gewesen – die amerikanische Landschaft war fremd genug gewesen, um Bokuto bei Laune zu halten, aber Keiji merkte, dass er sich langsam an die Fremde gewöhnte; er kommentierte viel weniger den Ausblick aus dem Autofenster, sah überhaupt nicht mehr so oft hinaus. Konzentrierte sich mehr auf Kuroo und ihre dummen Späßchen, und die reichten einfach nicht, um Bokuto ein längeres Stillsitzen schmackhaft genug zu machen.)   In der Nähe des Parkplatzes begrüßte sie ein altmodisches Schild mit der Aufschrift Route 66 State Park, hinter dem ein erster Wanderweg in das Gebiet des Parks führte. „Ich würde dir ja zustimmen, dass das langweilig ist, Bro, aber…“ Kuroo grinste. Er wedelte mit seinem Handy, nachdem sein Reiseführer ihn scheinbar einmal verlassen hatte – oder nicht genug Information ausgespuckt. Keiji wusste es nicht, und ihn interessierte zugegeben auch viel mehr, wer so eine verdammte Papierverschwendung überhaupt hatte drucken lassen.   (Wobei er ihr dankbar für das Autokino war.)   „Ihr steht hier auf dem Grund und Boden, der bis Anfang der Achtzigerjahre noch bekannt war als Times Beach. Ein süßes, beschauliches kleines Städtchen, das hier stand und sein Dasein fristete – bis man herausfand, dass das Altöl, das man hier versprüht hat, um den Staub auf den Straßen zu halten, mit irgendwelchen giftigen Stoffen kontaminiert war. Das, und eine Flut des Meramec-Flusses, die die ganze Stadt für eine Woche völlig überschwemmt hat, haben dafür gesorgt, dass sie unbewohnbar geworden ist.“ Er grinste nur noch breiter, offenkundig stolz auf sein Wissen. Bokuto hing förmlich an seinen Lippen und sog jedes Wort auf wie ein Schwamm, die Augenbrauen ungläubig-gespannt erhoben und die goldenen Eulenaugen weit aufgerissen, als könnte er etwas verpassen, wenn er auch nur blinzelte. „Irgendwann hat die Regierung die Stadt gekauft und einstampfen lassen – und die Überreste seht ihr jetzt hier. Und ich meine… gut, es steht nirgendwo geschrieben, aber wer weiß schon, wie viele Leute dabei draufgegangen sind? Und die ganzen Leute, die hier unter unseren Füßen irgendwo noch begraben sind, weil hier mal ein Friedhof war…“ Während Keiji die Geschichte wenig lustig fand, schien Kuroo wirklich viel zu viel Spaß an der Sache zu haben, und Bokuto schaffte es, die Augen irgendwie noch weiter aufzureißen als ohnehin schon. „Du glaubst nicht etwa, dass es hier spukt?! Das wäre ja voll krass!!! Wie bei diesen ganzen Geschichten, wo Leute auf Indianerfriedhöfen gebaut haben und dann verflucht worden sind!“ Zu viel Fernsehen. Immer noch. Seufzend angelte Keiji nach seinem eigenen Handy. Wenn er das jetzt so stehen ließ, würde Bokuto das Thema gar nicht mehr fallen lassen.   Schon die ersten Treffer der Suchmaschine spuckten aus, dass Kuroos Geschichte nicht halb so dramatisch war. „Es ist niemand gestorben, Bokuto-San.“ – „Aber Akaashiiiii!! Die Regierung hat das bestimmt nur vertuscht, das sieht man immer wieder!!!“ Er sah Keiji voller Entsetzen und Überzeugung an, ohne jedes Blinzeln, als versuche er, ihn nur durch seinen intensiven Blick zu überzeugen. Als das nicht zu funktionieren schien, packte er Keiji bei den Schultern und rüttelte ihn zusätzlich. „Wir sollten wieder gehen, Akaashi! Nicht, dass wir die Geister erzürnen und dann kommen sie mit bis in unser Hotelzimmer!“ Keiji atmete tief durch. Geister im Hotel. Genau das brauchte er jetzt noch. Er sah zu, wie Kuroo Bokuto auf die Schulter klopfte und ihm versprach, dass er jeden Geist austreiben würde, und das beruhigte das panische Federvieh immerhin soweit, dass er aufhörte, Teufel an die Wand zu malen, die nicht existierten.   (Es war aber auch das Mindeste, dass Kuroo versuchte, seine eigene Dummheit wieder auszubügeln. Er hatte sogar einen entschuldigenden Blick für Keiji übrig, ehe er sich wieder Bokuto zuwandte und ihm in buntesten Farben davon erzählte, dass sich doch sowieso kein Geist mit jemandem anlegen würde, der zu den Top 5 des japanischen High-School-Volleyballs gehört hatte. Weil Geister sicher Angst vor harten Schmetterbällen hatten.)   Sie schlugen trotzdem den Rückweg zum Auto ein. Niemand wollte einen überpanischen Bokuto, denn ein überpanischer Bokuto hieß, dass kein Beteiligter in der Nacht noch Schlaf bekommen würde. Und wenn sie hier blieben, würde Bokuto sich da doch nur wieder reinsteigern, in jeden knackenden Zweig am Boden und jedes Rascheln der Baumkronen. Es faszinierte Keiji. Manchmal war Bokuto der Typ, der mit dem Gesicht voran in die größten Katastrophen lief, derjenige, der unbedingt in einen Selbstmörderwald fahren wollte, weil es so spannend klang, und dann wieder war er so leicht in Panik zu versetzen, dass er Angst vor einem potentiellen Spuk hatte. Es musste tagesformabhängig sein, aber bisher hatte Keiji noch nicht herausgefunden, woran genau es lag. So gut er Bokuto kannte, einige Macken blieben einfach ein Mysterium für ihn. Aber wenn er es recht bedachte, war er in diesem Fall gar nicht unglücklich darüber, dass sie lieber kehrtmachten; es war besser, als wenn Bokuto und Kuroo auf die Idee kamen, Geisterjäger spielen zu wollen.     „Wir kommen bald an einem Botanischen Garten vorbei“, erzählte er, als sie wieder im Auto saßen und er den Wagen vom Parkplatz steuerte. Bokuto hob die Augenbrauen. „Müssen wir uns wieder Erdbeeren angucken?“ – „Es gab in Koufu keine Erdbeeren, Bokuto-San.“ Bokuto zuckte die Schultern – offensichtlich war es ihm egal, und die Botschaft war schließlich angekommen. Er war nicht begeistert von dem Gedanken an noch mehr Flora. „Wisst ihr, woran wir noch bald vorbeikommen?“ Keiji ahnte es. Keiji hatte es absichtlich unter den Teppich fallen lassen, weil er eigentlich keine Lust hatte, den ganzen Rest des Tages in einem Vergnügungspark zu verbringen, wo viel zu viele Menschen waren, zwischen denen Bokuto verloren gehen konnte, und viel zu viele Attraktionen, die ihn davon ablenkten, dass sie als Gruppe zusammenbleiben mussten. Und vermutlich war einer der Hauptgründe, dass Kuroo auf das Ding aufmerksam geworden war, die Tatsache, dass er ahnte, dass Keiji es nicht guthieß. Verdammter Mistkerl. „Vergnügungspark, Bokuto.“   „Akaashiiii! Wir fahren in den Vergnügungspark, hey hey hey!!!“   Keiji hätte gern nein gesagt. Aber Bokuto sah viel zu glücklich aus mit dem breiten Strahlen im Gesicht und den begeistert glühenden Augen. Und: Er war überstimmt. Er war weit überstimmt, und er hasste es. Er warf Kuroo einen vernichtenden Blick im Rückspiegel zu, wofür er einen Luftkuss und ein liebevolles Zwinkern zurückbekam. Es erweichte ihn nicht im Geringsten; Kuroos Charme hatte bei ihm noch nie besonders gut gewirkt.   „Du musst nur aufpassen, dass er nicht verloren geht, Akaashi-Kun~“   (Und eigentlich, ganz vielleicht, war es eine gute Idee, um Bokuto weiter von seinen Geisterfantasien abzulenken. Wenn Keiji dafür seinen Nachtschlaf bekam, konnte er den nervenzerreißenden Stress, der ein Vergnügungspark eben war, irgendwie durchstehen.)     Regel Nr. 5: Es wird nicht ohne Akaashis Erlaubnis weggelaufen.   Trat in Kraft, kaum, dass sie endlich den Vergnügungspark betraten. Weil sie relativ spät dran waren, hatten sie immerhin nicht lange für Tickets anstehen müssen, und jetzt standen sie hinter den Eingangsschleusen und Bokuto hibbelte unruhig neben ihm auf und ab, während er sich Keijis Instruktionen zur neuen Regel anhörte. Oder auch nicht, denn Keiji hatte den Eindruck, so recht zugehört wurde ihm nicht. „Ja ja, ist okay, Akaashi. Können wir jetzt los?“ Sie konnten. Keiji fühlte sich immerhin halbwegs beruhigt davon, dass Kuroo sich keine drei Schritte in den Park hinein ganz subtil bei Bokuto unterhängte, nachdem der schon das erste Mal ganz unsubtil in eine Richtung abdriftete, die ihn von der Gruppe getrennt hätte. Vielleicht konnte das funktionieren.   Jetzt, unter so vielen Menschen – einmal aus dem Eingangsbereich hinaus war es brechend voll –, fiel Keiji das erste Mal auf, dass Amerikaner im Durchschnitt einfach größer waren als Japaner. Er war es gewöhnt, dass er nur nach einem Kopf suchen musste, der die anderen größtenteils überragte, wenn er Bokuto in einer Menschenmenge suchte, aber hier waren genug Leute, die halbwegs auf einer Höhe mit ihm waren, dass er selbst trotz exzentrischer Frisur nicht mehr auffiel. Es machte Keiji nervös. Ihm war nie bewusst gewesen, wie sehr er sich auf Bokutos Größe verlassen hatte. Die allgemeine Lautstärke im Park verschluckte auch Bokutos Gebrüll halbwegs, wodurch nicht einmal das noch wirklich als Hilfestellung dienen konnte. Gerade war er wirklich froh, dass Kuroo bei ihnen war; vier Augen sahen einfach mehr als zwei, für den absolut unwahrscheinlichen Fall, dass Bokuto trotz aller Vorsichtsmaßnahmen und Regeln doch verloren ging; im Moment sah es aber so aus, als müsste Keiji sich keine allzu großen Sorgen machen. All die Fahrgeschäfte und Aktivitäten schienen eine regelrechte Reizüberflutung zu sein, und sie spazierten für Bokuto-Verhältnisse sehr lange nur durch den Park, während dessen Kopf hektisch hin und her zuckte, um möglichst viel von seiner Umgebung wahrnehmen zu können. Als er doch schließlich stehen blieb, war es so abrupt, dass er Kuroo damit ins Straucheln brachte.   „Akaashiii!!! Da will ich drauf!“   Was Bokuto sich ausgesucht hatte, war natürlich eine Achterbahn. Die Schlange davor sah viel zu lang aus, aber weil es Keiji nicht störte, und auch Kuroo keine Einwände hatten, stellten sie sich eben an. Keiji war kein großer Fan von Achterbahnen. Sie störten ihn aber auch nicht. Er wusste, dass Bokuto völlig immun gegen achterbahnbedingte Übelkeit oder Schwindel war, also war das auch kein Problem. Kuroo hingegen war bisher jedes Mal reichlich grün im Gesicht gewesen, wenn er steifbeinig aus einer Achterbahn stieg.   (Keiji fand, es geschah ihm nur recht, nachdem er überhaupt erst Schuld war, dass sie nun hier waren. Außerdem war es gleich doppelt seine eigene Schuld, wo er doch immer zu stolz war, die Fahrten abzulehnen.)   Die Fahrt endete genauso, wie Keiji erwartet hatte: Mit einem rasenden Herzen für ihn selbst, lautem, euphorischem Gebrüll von Bokuto, das sich von Fahrtbeginn bis nach Fahrtende gezogen hatte, und einem Kuroo, der mit seiner windzerzausten Frisur aussah wie ein gerupfter Gockel und dessen Gesicht eine wirklich ungesunde Farbe angenommen hatte. Ihm verging sogar das Grinsen.   Für ungefähr zwei Minuten.   Nach der Achterbahn – mit dem kreativen Namen Batman, den Bokuto sehr gefeiert hatte –, kam thematisch passend ein Fahrgeschäft mit dem Namen Justice League. Eine Mischung aus 3D-Kino und Ego-Shooter, so wie Keiji das Ganze sah. In ihrem kleinen Fahrwagen befanden sich Gegenstände, die wohl Pistolen darstellen sollten und den interaktiven Teil des Fahrgeschäfts ausmachten – „Ich finde, das sieht aus wie ein Föhn“, kommentierte Kuroo mit einem blöden Grinsen, während er eines der Dinger interessiert herumdrehte und betrachtete. „Vielleicht hilft es der Frisur“, schlug Keiji unschuldig vor. Er brachte Bokuto damit zu einem brüllenden Lachen, während Kuroo sich in gespielter Tragik an die Brust fasste und falsch schluchzte. „Akaashi, du verletzt mich.“ Bokuto lachte nur noch mehr, und aus seinem Gelächter und Kuroos Theater entwickelte sich ein herzliches Spottgespräch, in dem jeder von beiden versuchte, den anderen darin zu übertrumpfen, die dümmsten und flachsten Beleidigungen zu finden, die es gab. Keiji hielt sich wohlweislich aus dem Gespräch heraus und konzentrierte sich lieber auf die Fahrt, die immerhin bald losging.   (Hätte er mitgemacht, er hätte gewonnen. Er brauchte die Genugtuung allerdings nicht; einmal im Leben hatte gereicht. Er würde Kuroos entgeistertes Gesicht niemals vergessen, als der Kerl gelernt hatte, dass Keiji sehr ausfallend werden konnte, wenn er wollte.)   „Akaashiiii! Das ist wie 3D-Kino, nur viel cooler!!!“, rief Bokuto nach wenigen Augenblicken aus. Er war voll in seinem Element – in der Art, wie er seine seltsame Föhnpistole hielt, mit der er auf die Attraktionen rings um ihr Gefährt schießen sollte, erinnerte er Keiji an die Schießübungen, die er oft genug hinter sich brachte, und jedes Mal, wenn er irgendetwas traf, jubelte er laut – genau wie auf dem Schießstand.   (Keiji war immer wieder froh, dass sie in ihrer bisherigen Karriere noch nicht zur Waffe gegriffen hatten. Bokuto mochte zielen können, aber das war genauso tagesformabhängig wie seine Volleyballfähigkeiten es waren.)   Nach nicht einmal einer Minute fingen Bokuto und Kuroo an, sich gegenseitig abzuschießen. Nicht, dass sie etwas spürten, aber ihre jeweilige Empörung war trotzdem laut und ohrenbetäubend. „Bro!!! Du sollst die Feinde abknallen, nicht mich!“ – „Ich kann ja nichts dafür, dass dein gerupfter Hahnenkopf im Weg ist!“ – „Das kriegst du zurück, Federbausch!“ Keiji spielte mit dem Gedanken, sich selbst mal daran zu versuchen, die beiden Idioten abzuschießen, aber weil ihm das Ganze dann doch einen zu morbiden Beigeschmack hatte und ihm der Föhn ein bisschen zu nah an seine Dienstwaffe herankam, ließ er es bleiben und machte eher halbherzige Unternehmungen, die epischen Schlachten, die Bokuto und Kuroo inzwischen völlig ignorierten, zu unterstützen.     Eine Wildwasserbahn brachte Abkühlung, nachdem sie in der prallen Sommernachmittagshitze eine Kleinigkeit gegessen hatten; wirklich hungrig war keiner von ihnen, was wahrscheinlich am Ehesten daran lag, dass Kuroo und Bokuto, sonst eigentlich immer sehr verfressen, gerade ganz andere Prioritäten als essen hatten: Fahrgeschäft über Fahrgeschäft auszuprobieren. Nach der Wasserbahn, die sie gemeinsam betraten und schließlich durchweg durchnässt wieder verließen, fanden sie etwas, das Keiji schon vom Zusehen Übelkeit bereitete – da die einzelnen Plätze ohnehin auf zwei Personen beschränkt waren, beschloss er, zu warten. Und mit dem Warten beschloss er, dass es Zeit für eine neue Regel war, schließlich konnte der Fall eintreten, dass sie wieder getrennt wurden aufgrund der Größe eines Fahrgeschäfts oder anderer Widrigkeiten:   Regel Nr. 6: Es wird an den verabredeten Orten gewartet, bis die anderen wieder da sind. Nicht woanders – egal was passiert.   Der verabredete Ort in diesem Fall war eine etwas ruhigere Ecke abseits der Schlange. Keiji genoss den Schatten, den ein Häuschen hier spendete. Es war nicht so schlimm wie Tokyos Sommerhitze, aber trotzdem war es nicht mehr ganz angenehm hier in der Windstille des überlaufenen Parks. Zwischen den Unmengen an Menschen verlor er Bokuto und Kuroo bald aus den Augen, und er spürte leichte Beunruhigung über diesen Umstand in sich aufsteigen. Er mochte es einfach nicht, Bokuto aus den Augen zu lassen. Allein hätte er ihn hier auch gar nicht erst herumstreifen lassen. Kuroos Anwesenheit war tatsächlich beruhigend genug, dass Keiji es schaffte, zu warten, auch wenn er relativ bald begann, unruhig an seinen Fingern herumzunesteln.   Wirklich ruhig wurde er erst wieder, als die beiden schließlich zurückkamen – lachend und taumelnd, aneinandergeklammert, damit sie nicht umfielen, und beide mit vor Begeisterung geröteten Wangen.   Kaum, dass Bokuto ihn sah, war Kuroo aber erst einmal vergessen und er strahlte, ehe er auf Keiji zulief und ihm – vermutlich nicht einmal ganz absichtlich – um den Hals fiel. „Akaashiiiiiiiiii! Das war so cool! Wir sind voll gegen den Sitz gedrückt worden und dann stand die Welt auf einmal Kopf und das war so cool, Akaashiii! Das nächste Mal musst du mitkommen!“ Keiji verzichtete, wenn er ehrlich war, aber das zu sagen sparte er sich, denn er wollte Bokutos fröhliche Laune sicher nicht dämpfen. Lieber tätschelte er Bokuto etwas ungelenk den feuchten Rücken. „Es ist schön, dass du Spaß hast, Bokuto-San.“ „Und ich?“ Und dann war Kuroo plötzlich da, hinter ihm, die Arme lose um seine Hüfte geschlungen und Keiji sah aus dem Augenwinkel, wie der schwarze Schopf sich über seine Schulter vorbeugte, damit Kuroos Nase gegen Bokutos Wange stoßen konnte. Bokuto gab einen empörten Laut von sich, der in einem Lachen endete, und dann fochten sie einen sehr eigenartigen Kampf – oder war es ein Paarungstanz? – mit ihren Nasen aus, Keiji zwischen sich eingeklemmt, und weil er es als Energieverschwendung ansah, sich aufzuregen (er würde eh nichts erreichen), lachte er nur über das irrwitzige Bild, das seine beiden erwachsenen Freunde gerade abgaben.   Er hätte zu gern ein Foto davon gehabt.     Der Park war so riesig, dass sie mit Sicherheit über die Hälfte nicht einmal gesehen hatten auf ihrer Erkundungstour, aber trotzdem schaffte vor allem Bokuto es immer wieder, irgendetwas ausfindig zu machen, das er furchtbar toll fand – sein neuester Fund war eines dieser teetassenförmigen Fahrgeschäfte, die sich einfach nur drehten und noch mehr drehten. Mit der Besonderheit, dass es sich im Wasser befand. Und die einzelnen Tassen über riesige Wasserpistolen an jedem Sitzplatz verfügten. Und man die anderen Fahrgäste und selbst die Passanten ringsum nassmachen durfte. Natürlich war Bokuto Feuer und Flamme. „Hey hey hey!!! Denen zeigen wir, wer die Besten sind! Los!!! Akaashi, Kuroo! Da müssen wir hin!“   Bokuto war, ganz ohne Diskussion, zumindest der Lauteste, wenn auch nicht der Beste. Keiji beobachtete es nicht lange, weil er selbst zu beschäftigt damit war, nass zu werden und andere Leute nasszumachen – er ließ das sicherlich nicht einfach auf sich sitzen! –, aber innerhalb der ersten paar Sekunden Wasserschlacht schon sah Bokuto aus wie eine Eule, die man einmal in die Badewanne getunkt hatte und dann erst tropfend nass wieder herausgezogen. Zwischen Kuroos Flüchen und Zetereien und Bokutos Jubelschreien, wann immer er irgendjemanden nass machte – „Hey hey hey!!!“ –, konnte Keiji sich selbst nicht mehr denken hören. Eigentlich war die Stille in seinem Kopf sogar ganz angenehm und entspannend. Und bisher war noch keine Welt untergegangen, bisher war kein Bokuto verloren gegangen, bisher hatte es keinen Emo-Modus gegeben – auch wenn er es nicht laut tun würde, er musste zugeben, der Vergnügungspark war wirklich keine schlechte Idee gewesen.   Und zu sehen, wie Kuroo immer wieder empört aufjammerte, wenn er nassgemacht wurde, ganz Katze, die er war, war natürlich auch ein großes Plus.   Als sie ausstiegen, waren sie wortwörtlich tropfend nass. Ein paar Sekunden an der gleichen Stelle stehend und sie hatten schon kleine Pfützchen auf den Boden getropft. Es war heiß, bald würden sie wieder trocken sein, und Keiji fand gerade keinen Grund, nicht zufrieden mit der Situation zu sein. Nach einem kleinen Snack aus klebriger Zuckerwatte, die Kuroo und Bokuto sich teilten, während Keiji lieber ein paar gebrannte Mandeln naschte, ging die große Wanderung weiter. Inzwischen war es schon spät genug geworden, dass sich selbst hier in Amerika ein Sonnenuntergang ankündigte. Das goldene Licht der sich senkenden Sonne flutete den ganzen Park, tauchte Menschen und Umgebung in ein warmes, feuriges Licht, das Kuroos nassen Schopf zum Glühen brachte und Bokutos ohnehin goldene Augen zum Lodern. „Lange haben wir wohl nicht mehr, hm?“, kommentierte Kuroo unbekümmert. Er sprach leise genug, dass Bokuto es nicht hörte, der zuckerwattenagend wieder überallhin und nach nirgendwo blickte, statt geradeaus. Keiji zog ihn am Arm näher zu sich, als er drohte, in eine Menschentraube zu laufen. „Mh.“ Eine Weile liefen sie schweigend so nebeneinander her, und das aufregendste, das passierte, war, dass man Bokuto wieder einmal daran hindern musste, mit irgendetwas oder irgendjemandem zu kollidieren. Dann stieß Kuroo gegen Keijis Schulter, völlig aus dem Nichts. Er hob eine Augenbraue, sah auffordernd zu dem Kerl hinüber.   (Inzwischen war von Kuroos Frisur nur noch ein unglückliches Vogelnest übrig, nachdem sie erst vom Achterbahnfahrtwind zerwühlt worden war und dann von den Wassermassen plattgedrückt.)   „He. Da drüben sind Go-Karts.“ Bokuto hatte sie noch nicht bemerkt. „Ich will auch ein Autorennen fahren, Akaashiiiii!!!“ Keiji erinnerte sich noch viel zu gut an das Gejammer, das ihm an der Rennstrecke begegnet war, an der sie vorbeigekommen waren. Na, warum nicht? Es war besser, als wenn Kuroo und Bokuto zuhause ernsthaft ein Autorennen anzettelten. Viel besser. „Bokuto-San“, rief er leise. Sofort ruckte Bokutos Kopf zu ihm herum und die eulenhaft großen Augen fixierten ihn interessiert. Mit einem vagen Fingerzeig deutete Keiji in die Richtung der Kartbahn. Bokuto folgte neugierig, und kaum, dass er sah, was er vor sich hatte, war alles andere vergessen. „Akaashiiiiiiiiiiiii!!!“ – „Ja, Bokuto-San.“   Es dauerte eine Weile, bis sie die zusätzlichen Gebühren bezahlt hatten und die Schlange vor ihnen geschrumpft war, aber schließlich standen sie fast schon vor den kleinen Go-Karts. „Ich mach euch beide fertig, hey hey hey!!!“ – „Bro! Niemals! Ich fahr schon viel länger als du!“ – „Aber ich bin der Beste!“ – „Nicht im Autofahren!“ – „Überall!“ Eine Weile ließ Keiji die beiden streiten und verfolgte interessiert, wie sie sich aufplusterten und beteuerten, so viel besser zu sein als der jeweils andere. Es war immer das Gleiche mit ihnen, und auch nach vielen Jahren wurde Keiji nicht müde, die unnötigen Wettkämpfe zu verfolgen… und manchmal auch an ihnen teilzunehmen. „Wir können wirklich ein Wettrennen fahren“, schlug er schließlich vor. Bokuto sah ihn an, als hätte er gerade den Sinn des Lebens entschlüsselt, während Kuroos Grinsen einen vorsichtigen Zug annahm. „Oya oya? Worum fahren wir, Akaashi-Kun?“ Keiji grinste.   Seine Antwort ließ Kuroo für einen Moment erbleichen und Bokutos glückseligen Ausdruck entgleisen.   Die Herausforderung nahmen sie trotzdem beide an.     Insgesamt fuhren sie dreimal die Kartstrecke ab. Jedes Mal gewann Keiji. Es lag nicht daran, dass Kuroo und Bokuto so schlecht waren. Es lag schlicht daran, dass die beiden Dummköpfe in ihrem Wettkampfdrang immer wieder aufeinander auffuhren und sich gegenseitig in die Leitplanken drängen wollten, während Keiji bequem an ihnen vorbeifahren konnte. Bokuto war unglaublich geknickt. Kuroo sah aus, als hätte er in eine Zitrone gebissen.   (Er mochte Zitrusfrüchte nicht. Keiji hatte es vor Jahren einmal von Yaku erfahren, und seitdem sorgte er dafür, dass immer Orangen im Haus waren, die er Kuroo anbieten konnte, wenn der zu Besuch kam und Keiji gerade mal wieder angepisst von ihm war, weil er Bokuto irgendeine Flause zu viel in den Kopf gesetzt hatte.)   „Akaashiiiiiiiiiiii… das war unfair“, jammerte Bokuto zum gezählt siebzehnten Mal, während sie auf das Riesenrad zusteuerten, das gemeinsam beschlossen der Abschluss ihres Tages sein würde. „Nein“, gab er unbekümmert zurück, „Ihr habt euch darauf eingelassen.“ – „Aber Akaashiiiiiiiiiiii…!!!“ – „Er hat Recht! Das war nicht fair, Akaashi! Niemand hat mir gesagt, dass du so gut fährst!“ Keiji hob unbeeindruckt die Augenbrauen. „Du hast oft genug in meinem Wagen gesessen, Kuroo-San.“ – „Trotzdem! Das ist– das ist– Nötigung! Missbrauch! Folter!“ Jedes Wort wurde mit enthusiastischem Nicken von Bokuto unterstrichen, wobei Keiji sich nicht sicher war, ob er überhaupt zuhörte. Er hatte einen leicht abwesenden Ausdruck auf dem Gesicht, der schon halb von einem Emo-Modus kündete, den Keiji gerade nur deshalb nicht fürchtete, weil Bokuto dafür erfahrungsgemäß noch insgesamt zu lebhaft und laut war. „Tragt es wie Männer.“ „Aber Akaashiiiiiiii!!!“ Keiji seufzte. Kuroo verzog theatralisch leidend das Gesicht und faselte irgendetwas davon, dass das sein Ende sein würde, während Bokuto sein Vergehen schon einmal vorgreifend tragisch beweinte. Ein bisschen fühlte Keiji sich wie im Kindergarten.   (Vielleicht sollte er sich Erziehungstipps von Haiba holen.)   „Hab Erbarmen mit uns, Akaashi-Kun!“ – „Das ist doch bestimmt gegen die Regeln!!!“ War es nicht. Keiji musste es wissen, er hatte die Regeln schließlich geschrieben. „Bokuto hat Recht! Du kannst nicht solche Sachen machen und dann erwarten, dass wir uns an deine Regeln halten! Wie soll man denn so schlafen können?!“ Keiji zuckte unbekümmert mit den Schultern. Sie hatten sich drauf eingelassen, es war ihre eigene Schuld.   Und er sah das Drama wirklich nicht.   Es ging doch nur um ein paar harmlose Bissspuren.     ***     Nach dem Abenteuer Vergnügungspark ging es geradezu in langweilig normalem Tempo weiter.   (Keiji war sehr dankbar darum; er hatte viel. Zu. Wenig. Geschlafen. Er kommentierte es nur nicht, weil er selbst Schuld war. Kuroo sah es trotzdem und grinste ihn fast süffisant an, als er ihm einen guten Morgen zuflötete. Dass die unruhige Nacht Kuroos Frisur völlig ruiniert hatte, und er aussah wie ein Igel, der in eine Starkstromleitung gestolpert war, war aber immerhin ein schwacher Trost.)   Auf ein entspanntes, spätes Frühstück folgte eine trotz Bokuto am Steuer entspannte Fahrt, die sie bis zu den Meramec Caverns brachte, einer Ansammlung von Kalksteinhöhlen. Während Keiji eher die Höhlen selbst interessant fand, war Bokuto sofort Feuer und Flamme über die Geschichten, die Kuroo zu Jesse James zu erzählen hatte; einem Banditen, der die Höhlen seinerseits scheinbar als Unterschlupf und Versteck benutzt hatte.   Dank der Tatsache, dass die Höhlen nur für Führungen betretbar waren und die Fremdenführer sehr aufmerksam darin, ihre Gruppe zusammenzuhalten, hatte Keiji keinen Moment lang die Sorge, dass Bokuto sich verlaufen könnte. Es war eine interessante Führung, zumindest für Keiji, der auch zuhörte, was ihr Fremdenführer zu erzählen hatte. Er war Touristen wohl gewöhnt, denn er sprach langsam und deutlich genug, dass Keiji keine Probleme hatte, ihm zu folgen. Kuroo und Bokuto waren unterdessen mit Jesse James beschäftigt und von dem, was Keiji von ihrem Gespräch mitbekam, malten sie sich gerade wohl ihre eigenen Banditenabenteuer aus. „Bokuto-San, du bist Polizist.“ Stille. Bokuto erstarrte, dann sah er ihn an, als hätte Keiji ihm gerade das Ende der Welt verkündet. Sein Blick wanderte mechanisch weiter zu Kuroo, der nur breit grinste. Sein Kommentar, dass es doch auch korrupte Polizisten gab, ging an Bokuto völlig vorbei. Keiji war dankbar darum; er brauchte nicht noch mehr Flausen in dem Eulenkopf. „Akaashiiii…“ Kuroo hatte gerade eindeutig zu viel Spaß an der Sache. Er grinste immer noch blöde, während Bokuto furchtbar traurig aussah – als hätte man ihm gerade verkündet, dass Osterhase, Weihnachtsmann und Zahnfee nicht existierten, und das gleichzeitig. Keiji selbst konnte sich ein Schmunzeln kaum verkneifen, aber immerhin sah man nicht mehr davon als ein Zucken seiner Mundwinkel. „Es ist doch ohnehin viel cooler, die Verbrecher zu verhaften, findest du nicht?“ Bokutos Augen leuchteten. Die Worte reichten, damit auch Kuroo einfiel und beteuerte, wie cool das war, und sowieso viel besser als Banditentum, immerhin würden sie als Banditen irgendwann im Kittchen landen und die Genugtuung wollte er Daishou nicht gönnen, immerhin würde der sicher noch Beweise fälschen, nur, damit er sie endlich los wurde. Nach ein paar Minuten, die das Gespräch völlig vom Ursprungsthema abdriftete, war Bokuto wieder ganz der Alte: „Ich bin der Beste! Hey hey hey!!!“     Auf den Spuren von Jesse James ging es auch weiter. In der Kleinstadt Stanton, die ganz in der Nähe war, fanden sie neben einem leckeren Mittagessen auch ein Wachsmuseum, das dem Ganoven gewidmet war. Hier wurde felsenfest behauptet, dass ein einhundertjähriger Mann, der einst hier auftauchte, der echte Jesse James gewesen sei, obwohl eigentlich alle Beweise dagegensprachen. Bokuto glaubte es trotzdem. „Ich will auch einhundert Jahre alt werden!“, verkündete er voller Inbrunst. „Bro – ist das nicht einsam?“ „Was? Nein, warum? Ihr werdet natürlich auch so alt werden!“ In Bokutos Welt lief das eben so. Keiji gefiel der Gedanke. Kuroo gefiel es nicht, alt und faltig und grau zu werden.   Bokuto fand die Vorstellung ganz großartig, dass sie irgendwann alle graue Haare haben würden.     Ihre Weiterfahrt führte an einem skurril riesigen Schaukelstuhl vorbei, der Bokuto so sehr gefiel, dass er darauf bestand, dass sie auch einen Schaukelstuhl kaufen mussten, sobald sie wieder zuhause waren. „Einen, der so groß ist, dass Akaashi auch mit draufpasst!“   Nach einem kurzen Stopp, um den Schaukelstuhl zu fotografieren, fuhren sie weiter. Und weiter. Der Großteil des Resttages war eine Mischung aus Autofahren und Zwischenstopps, mal, um eine kleinere Sehenswürdigkeit zu sehen, mal, um etwas zu essen oder einfach nur eine Toilettenpause zu machen. Ein langer Straßenabschnitt, der gepflastert war mit alten Überresten von Motels und Tankstellen, die beinahe alle nur noch leer und verwaist am Wegesrand lagen, hinterließ bei Keiji besonders viel Eindruck. Bei Bokuto und Kuroo leider auch. Sie beschlossen, dass sie unbedingt noch eine Geisterstadt besuchen wollten.   (Obwohl Bokuto sich erst so kurz zuvor von dem Gedanken an Geister und Flüche hatte abschrecken lassen, war eine Geisterstadt natürlich etwas ganz anderes für ihn – das war viel spannender, und wie er Keiji allen Ernstes glauben machen wollte, war das auch viel ungefährlicher, weil diese Geister, das wusste ja jeder, waren ja an den Ort ihres Todes gebunden und mussten dort spuken. Sonst hätten sie ja längst jemanden verflucht und verfolgt, nicht wahr? Keiji fand daran überhaupt nichts logisches, aber solange Bokuto nicht in Panik verfiel, war ihm die Unlogik recht wie sie kam.)   Keiji hoffte inständig, dass das eine dieser fixen Ideen war, die sich im Sand verlief, weil sie nicht schnell genug realisiert werden konnte und dann schon wieder vergessen wurde.     Am Abend blieben sie in der Kleinstadt Lebanon. Es reichte noch für einen kurzen Abstecher ins Route 66 Museum, wo sie auf alten Karten und Werbeflyern den Weg bewundern konnten, der noch vor ihnen lag, bis sie ihr endgültiges Ziel Los Angeles in Kalifornien erreichten. So auf Papier sah der Weg winzig aus, auch wenn noch viele Tage vor ihnen lagen.   Einen Schlafplatz fanden sie auch problemlos, eine kleine, niedliche Herberge, die rustikal und altmodisch daherkam. Familienbusiness, und das alte Großmütterchen hinter der Rezeption hatte mehr Lachfalten als alles andere – sie lachte auch furchtbar viel, während sie ihr Zimmer buchten. Ein warmes, ansteckendes Lachen. Die Herberge gefiel Keiji auf Anhieb richtig gut.   Er wäre auch nur zu gerne schlafen gegangen, aber nach einem so beschaulichen Tag schien dringend noch Action herzumüssen – jedenfalls musste das einfach Kuroos Gedanke sein, als er grinsend mit seinem elenden Reiseführer wedelte und verkündete, weil sie das Glück hatten, gerade an einem Wochenende hier zu sein, könnten sie sich das NASCAR Stock-Car-Rennen auf der nahegelegenen Rennbahn ansehen.   Natürlich war Bokuto Feuer und Flamme.   Natürlich war Keiji es nicht.   Natürlich fuhren sie trotzdem los, um sich dieses Rennen anzusehen, denn wieder einmal war Keiji überstimmt, und da halfen alle unzufriedenen Blicke in Kuroos Richtung nicht. Der Blick in Bokutos strahlendes Gesicht auch nicht, denn allein das Glück und die Aufregung des Kerls machten es Keiji sowieso unmöglich, noch nein zu sagen. Das Rennen ging viel zu lang. Außerdem war es staubig und laut, und es wurde noch lauter, weil Bokuto ihm zu jeder Zeit ins Ohr brüllen musste, was er gerade sah – nicht, dass Keiji es nicht auch selbst sehen würde. Als sie endlich wieder auf ihrem Zimmer waren, hatte Keiji immer noch Kopfschmerzen von dem Lärm. Außerdem waren Bokuto und Kuroo noch so aufgepeitscht und wach, dass es eine mehr als einstündige Kissenschlacht brauchte, um sie auszupowern. Dafür schliefen sie danach auch beinahe augenblicklich ein, Kuroo wie üblich zwischen seinen Kissen eingeklemmt und Bokuto hatte sich wie ein Klammeraffe um Keijis Körper gewunden. Sein Schnarchen kitzelte Keiji ihm Nacken. Es war vertraut, und er brauchte selbst keine zehn Minuten, bis er eingeschlafen war.     ***     Die erste Station, die sie mit Beginn ihrer zweiten Woche des großen Roadtrip-Abenteuers erreichten, war Springfield – zum Zweiten. Keiji stellte sich schon wieder auf unnötig viele Simpson-Referenzen ein, doch sie blieben aus, nachdem sie einen großen Stadtpark erreichten, in dem Bokuto, als hätte er einen natürlichen Radar, sofort das Volleyballfeld entdeckte.   Es stand völlig außer Frage, dass sie loszogen, um einen Ball aufzutreiben und spielen zu können.     Der Park war voller Menschen, und es dauerte nicht lange, bis sie ein paar Gegner fanden, die sich ihnen anschließen wollten. Obwohl sie das Hoch ihrer Volleyballkarriere der Reihe nach schon lange hinter sich hatten, hatten sie durch das hobbymäßige Spielen über die letzten Jahre noch genug an Routine und Training behalten, dass sie ihre Gegner problemlos schlagen konnten. Bokuto war so euphorisch, dass es schon ans Unheimliche grenzte. Kuroos Grinsen strotzte vor Selbstbewusstsein und Ego, wie es immer für den Volleyball reserviert gewesen war. Für Keiji war es immer noch das natürlichste der Welt, Bokuto zuzuspielen, und auch wenn er Kuroo eher auf der anderen Seite des Spielfeldes gewohnt war, es hatte etwas immens befriedigendes, zuzusehen, wie er die Bälle übers Netz schmetterte, die Keiji zu ihm brachte.   Ihre Gegner wechselten mehrfach. Irgendwann hatten sie keine Gegner mehr, und mit Kuroo hinter dem Netz als einziger Block gegen Bokutos Schmetterbälle fühlte Keiji sich, als hätte man ihn in seine High-School-Zeit zurückversetzt, zurück zu den Trainingscamps im schwülheißen Sommer, die, so nervenaufreibend sie auch immer gewesen waren, trotzdem das Highlight des Schuljahres gewesen waren. „Akaashiiiiiiiii!!! Wenn wir zuhause sind, müssen wir die anderen nochmal zusammentrommeln! Und dann spielen wir gegen Kuroo und seine Jungs und machen sie nochmal fertig!“ Keijis Mundwinkel zuckten. Kuroo lamentierte lautstark darüber, dass Kozume sicher keine Lust hatte, mitzumachen – aber vielleicht konnten sie ein kleines Turnier organisieren und auch Ex-Karasuno dazuholen. Wenn Hinata spielte, sah es mit Kozumes Motivation bestimmt anders aus. Es wurde sofort ein ganzes Gespräch daraus, wen sie noch alles zusammentrommeln konnten. Hatte noch jemand Kontakt zu Shinzen? Ubugawa? „Auf Nohebi kann ich verzichten“, meckerte Kuroo allerdings, und Bokuto stimmte lautstark zu, ehe sie weiterrätselten. Was war eigentlich aus Washio geworden? Onaga? Wer hatte denn überhaupt noch die Handynummern? Oder E-Mail-Adressen? Keiji hätte viele ihrer Fragen beantworten können, denn er hielt relativ regelmäßigen Kontakt zu den meisten seiner alten Sportkameraden, doch er verfolgte das Gespräch lieber schweigend, still in sich hineinlächelnd. Konoha hatte vor einem Jahr verkündet, dass er mit dem Volleyball auf regelmäßiger Basis aufhören würde.   Es sah so aus, als müsse er wieder anfangen.   „Machen wir das, Bokuto-San. Trommeln wir sie zusammen.“   Bokuto strahlte breit und begeistert, dann sammelte er viel zu enthusiastisch den Volleyball wieder vom Boden auf. „Dann müssen wir jetzt extra hart trainieren, hey hey hey!!!“     Als sie endlich aufhörten, war es stockfinster und sie alle viel zu erschöpft. Sie lagen ausgestreckt im Gras unweit des Volleyballfelds, eine leichte Brise ließ das Gras immer wieder gegen Keijis nackte Waden kitzeln. Bokuto hatte den Ball neben sich liegen, eine Hand behütend darauf abgelegt, als würde er den größten Schatz der Welt hüten. Kuroos Kopf lag auf seinem Bauch, während er in den Himmel hinaufsah und Sternbilder erfand, die es so bestimmt nicht gab.   (Keiji glaubte jedenfalls keine Sekunde daran, dass der Balletttanzende Russe existierte. Oder der Katzenfutternapf.)   Nach einer Weile wurde er still, und auch Bokutos begeistertes Lachen über Kuroos Idiotie verklang schließlich zu einem zufriedenen Seufzen.   „Das war wie früher“, murmelte er irgendwann. Nicht leise, aber leise für seine Verhältnisse, andächtig beinahe. Keiji nickte gedankenverloren. Kuroo lachte leise, während er sich schwungvoll aufsetzte. Seine Augen glühten in der Dunkelheit, als er auf Keiji und Bokuto hinuntersah. „Wenn ihr mich fragt, war es besser.“ Bokuto tat es ihm gleich und fuhr in eine sitzende Position hoch, den Mund empört aufgerissen. Er mochte es offensichtlich nicht, dass Kuroo seine nostalgischen Gefühle da indirekt beleidigte. „Was?! Warum?“ Einen Moment lang war es still, während Kuroo einfach nur grinste. Er stand auf und stemmte die Hände in die Hüften. Es war noch viel übrig von dem großkotzigen High-School-Schüler, der er einmal gewesen war, aber in seinem Grinsen lag heutzutage viel mehr Wärme und deutlich weniger Unheil – zumindest manchmal. Wir sind erwachsen geworden.   „Weil wir das hier“, er machte eine vage, ausholende Geste, „heutzutage immer haben können. Nicht nur ein paar Wochen im Jahr.“   Keiji war sprachlos. Bokuto war es auch, aber im Gegensatz zu Keiji fand er seine Sprache bald wieder und bejubelte Kuroos Worte mit einem lauten „hey hey hey!“ Keiji begnügte sich mit einem flüchtigen Lächeln, das an Kuroos aufmerksamem Blick nicht verloren ging, und für einen kurzen Moment erwiderte Kuroo es, ehe er sich lachend auf Bokuto stürzte und sie sich in einer Rangelei verloren, die sie vor über zehn Jahren begonnen hatten und niemals beenden würden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)