Spiel mit mir, Sibyl von Reeney ================================================================================ Kapitel 2: Die zwei Psychologinnen ---------------------------------- Tokyo, 13.01.2117 "Es kann doch nicht sein, dass wir diesen Kerl gestern nicht gefunden haben!", murrte Mika am nächsten Morgen im Büro der Einheit 1, als Akane dieses betrat. "Wir hätten jede Wohnung einfach komplett durchsuchen sollen, so viele waren es ja gar nicht mehr." Elf Wohnungen lagen noch über der von Hanayori Heisuke. Sie hatten sich aufgeteilt und an jede dieser Wohnungen geklingelt. Wurde ihnen nicht geöffnet, so hatte Shion die Tür entriegelt und sie konnten die ganze Wohnung absuchen. In dem Fall, dass jemand an die Tür gegangen war, hatten sie nur alle Anwesenden in der Wohnung mit dem Dominator überprüft und gefragt, ob sie den Täter kannten, wie sie zu diesem standen und ob er eben in dieser Wohnung war oder sie ihm gar bei der Tat geholfen hatten. Wer ihn mit dem Opfer in die Wohnung gelassen hatte, würde sich mitschuldig machen und der Dominator hätte das anzeigen können. Allerdings hatte keiner dieser Personen einen Kriminalkoeffizient, der über 100 lag und auch die alarmgesicherte Tür, die auf das Dach des Gebäudes führte, soll nicht geöffnet geworden sein. Abgesehen davon hatten sie selbst das Dach inspiziert, ohne Erfolg. "Ich vermute eher, er hat sich Zugang zu einer der Wohnungen verschafft, deren Besitzer zu dem Zeitpunkt unterwegs waren und ist gleich nach der Tat aus dieser geflohen. Wir sollten jeden dieser Leute herbestellen und befragen", schlug Teppei vor. "Ich glaube nicht, dass es bereits vorbei ist. Er wird wieder einen Mordversuch starten, nur wissen wir diesmal schon Bescheid, sobald er das Gebäude verlässt oder auch nur zurück in seine Wohnung kommt. Nun, immerhin ist das Area-Stress-Level nicht kritisch angestiegen", wandte Akane ein, während sie auf ihren Schreibtisch zuging. "Konnte die Leiche inzwischen identifiziert werden? Sollte es wirklich zu weiteren Morden kommen, können wir vielleicht erahnen, wer die nächsten Opfer sein könnten, falls Hanayori es auf bestimmte Leute abgesehen hat", trug Teppei wieder zum Gespräch bei, worauf Mika den Kopf schüttelte. "Die Untersuchungen des Leichnams laufen zwar, aber Shion-san kann die Ergebnisse erst am Nachmittag auswerten. Sie sagte, sie habe jetzt am Vormittag ein Gespräch mit einer Psychologin", erklärte die junge Inspektorin. "Ach ja, in der Neujahresbesprechung hieß es, dass es für Mitarbeiter des Amts für Öffentliche Sicherheit nun verpflichtend sei, regelmäßig einen Psychologen aufzusuchen", erinnerte sich Akane. "Genau. Ich dachte, das würde nur für uns Inspektoren gelten, um zu verhindern dass wir genauso zu latenten Verbrechern werden wie Ginoza", kam es von Mika genau in dem Moment, als auch schon besagter Vollstrecker das Büro betrat. "So war es auch geplant, jedoch schien die Psychologin, die vom Sozialministerium dafür sogar zum Amt für Öffentliche Sicherheit gewechselt ist, der Meinung zu sein, dass es besser sei, auch uns Vollstrecker zu treffen, damit wir möglichst wenig den Psycho-Pass der Inspektoren beeinflussen." "Vollstrecker Ginoza, wieso kommst du erst so spät?!", fauchte Mika diesen gleich an, kaum dass dieser seinen Satz beendet hatte. "Ich hatte ein Gespräch mit Direktorin Kasei", rechtfertigte sich Nobuchika, dessen Blick kurz zu Akane glitt, ehe er an seinem eigenen Schreibtisch Platz nahm. "Wo sind denn eigentlich Kunizuka-san und Hinakawa-san?", fragte nun Akane mit dem Blick auf die beiden leeren Plätze dieser Kollegen. "Ich habe Yayoi-san gebeten, der Nachricht, die auf den Rücken des Opfers geschrieben wurde, nachzugehen. Sie ist dafür im Analyselabor", erklärte Mika, dann kam auch schon Sho hastig in den Raum gelaufen. "Entschuldigung, ich habe verschlafen." Mit den Worten setzte er sich, wobei Mika ihm einen strengen, unzufriedenen Blick zu warf, auf einen Kommentar allerdings verzichtete. Akane überlegte einen Moment, was sie nun ohne die Ergebnisse der Autopsie tun sollten, ehe sie sich mit ihrem Entschluss den Kollegen zuwandte: "Gut, Shimotsuki-san, ich bitte dich darum, den Bericht über unseren gestrigen Einsatz zu schreiben, ich werde derweil mit Ginoza-san, Sugo-san und Hinakawa-san zum Tatort fahren und dort noch einmal die Wohnungen überprüfen, aus denen der Täter das Opfer geworfen haben könnte. Irgendeinen Hinweis müssen wir finden." "Vollstrecker Ginoza bleibt hier. Einheit 3 hat mich darum gebeten, einen Vollstrecker von uns ihnen als Verstärkung zu schicken. Und da wir eh nicht viel zu tun haben, können wir sicher ohne ihn auskommen", wandte Mika ein. "Für was für einen Fall?", hakte Akane nach, worauf Mika mit den Schultern zuckte. "Es hat wohl nur damit zu tun, dass zwei ihrer Vollstrecker beim letzten Einsatz verletzt wurden und deswegen noch nicht wieder einsatzfähig sind", erklärte Mika, worauf Akane erst diese und dann noch Nobuchika musterte. Ihr Instinkt sagte ihr, dass irgendetwas vorging, von dem sie wissen sollte. "In Ordnung", stimmte die Inspektorin letztendlich nur zu, ehe sie sich mit den beiden übrigen Vollstreckern daran machte, das Gebäude zu verlassen. Der Blick von Mika lag dabei noch eine ganze Weile auf Akane, bis diese nicht mehr zu sehen und damit sicher außer Hörweite war. "Die Direktorin hat dir also auch Bescheid gegeben?", mutmaßte Nobuchika mit einem schwachen Lächeln. "So ist es. Direktorin Kasei bat mich, unter allen Umständen zu verhindern, dass Tsunemori von der Sache Wind bekommt und so auch, dass du es ihr erzählen könntest. Bei einem latenten Verbrecher ist letztendlich nicht auszuschließen, dass er die Regeln bricht, gerade wenn er sich schon öfters nicht regelkonform verhalten hat." "In diesem Fall würde ich es sogar für mich behalten. Sie hat bereits genug gelitten, da möchte ich sie da nicht mit hinein ziehen." "Ach ja? Es fällt mir schwer zu glauben, dass du denkst, ihr Psycho-Pass könne sich hierbei trüben", wandte Mika zickig ein. "Tsunemori besitzt die Fähigkeit, während ihrem Leid ihre Pflichten oder eher das Wohl ihrer Mitmenschen nicht zu vergessen. Ich vermute, dass es das ist, was ihren Psycho-Pass so hell hält. Allerdings befürchte ich, dass dieser Fall sie ihre Ideale vergessen lassen und ihre Psyche stark beeinträchtigen könnte", erklärte Nobuchika nachdenklich sowie in Sorge um Akane. "Jedenfalls solltest du nun wirklich zu Einheit 3. Es ist immerhin ihr Fall. Ich werde dich hinbringen." "Das Büro der Einheit 3 liegt auf diesem Gang. Ich werde schon alleine hinfinden, aber du vertraust mir wohl eher immer noch nicht, dass ich Tsunemori nicht Bescheid gebe", seufzte Nobuchika, worauf die junge Inspektorin zustimmend nickte. Sie begleitete den Vollstrecker aus dem Büro hin zu dem ihrer Kollegen, die Nobuchika freundlich begrüßten. Anschließend begab sich Mika wieder in ihr Büro zurück, ließ sich seufzend an ihrem Schreibtisch nieder und sah auf den Bildschirm vor sich. "Während dem Leid Pflichten und das Wohl der Mitmenschen nicht vergessen, huh?", murmelte sie nachdenklich. Ob das wirklich ein Schlüssel dazu sein konnte, seinen Psycho-Pass hell zu halten? Ließ Sibyl Akane deswegen so viel durchgehen, weil sie im Sinne der Gesellschaft handelte? Aber allein, dass Sibyl sich von ihr korrigieren ließ, zeigte doch, dass das Sibyl-System nicht perfekt war. Mika wusste, dass dieses System einige Fehler hatte, dass es ein Trugbild war, dessen Wahrheit ihr Angst bereitete. Hatte ihre Kollegin denn keine Angst davor, Sibyl könne sie richten, weil sie die Regeln brach? Würde Sibyl mit Mika genauso verfahren, würde sie sich einmal gegen Sibyl stellen? Mika merkte deutlich, dass sie den Mut dazu nicht hatte. Sie schätzte die Sicherheit, die das Sibyl-System seinen Bürgern gab und sie liebte ihr Leben. So schwer es für sie auch geworden war und so wenig sie wusste, wie lange sie das Gewicht dieser ganzen Geheimnisse noch tragen könne, sie wollte nicht sterben, sie wollte glücklich sein. Unter dem Gedanken hielt sie es für sinnvoller, gar nicht weiter darüber nachzudenken. Es war besser, kein Risiko einzugehen, bei dem sich ihr Psycho-Pass trüben könnte, selbst wenn die Lösung, wie sie mit all dem umgehen konnte, so vermeintlich nahe lag. Letztendlich war Mika aber auch einfach nicht Akane. "Es würde mich nicht wundern, wenn Sibyl sie auch einfach nur sympathisch findet. Objektiv ... als ob", entkam es ihr flüsternd mit einem zynischen Schmunzeln, wobei sie selbst über ihre eigene Ansicht etwas entsetzt war. Sie schüttelte den Kopf, atmete einmal tief ein und aus, dann konzentrierte sie sich auf ihre Arbeit, auf den Bericht, bei dem nur die Fakten zählten. Gegen Mittag kehrte Akanes Gruppe wieder zurück in die Zentrale des Amts für Öffentliche Sicherheit. Trotz der leistungsstarken Drohnen hatten sie in den Wohnungen nichts gefunden. Überraschend war es nicht unbedingt. Der Täter oder ein möglicher Komplize hatten genügend Zeit gehabt, Spuren zu verwischen. Bei einem Komplizen lag die Wahrscheinlichkeit hoch, dass es sich wenn um einen der Bewohner handelte, die gestern und heute nicht in ihren Wohnungen anzutreffen waren. Der Psycho-Pass hätte so jemanden eindeutig verraten müssen. So trug Akane, noch während sie mit den beiden Vollstreckern auf dem Weg zu dem Büro ihrer Einheit war, Teppei auf, die betroffenen Personen zu benachrichtigen und herzubestellen. Als die Gruppe das Büro betrat, saß Yayoi wieder an ihrem Schreibtisch, direkt daneben lehnte sich Shion gegen die Tischplatte, was nun doch ein eher ungewöhnlicher Anblick war, da die Analystin sonst nur im Labor anzutreffen war. Mit einem koketten Lächeln grüßte die Blonde die Dazugekommenen, während Yayois Begrüßung eher schlicht ausfiel. Mika, die bis eben selbst an ihrem Schreibtisch gesessen hatte, stand auf und trat Akane entgegen. "Wir haben den Namen des Opfers", verkündete sie, "Tenba Shiori." "In welcher Beziehung stand sie zu Hanayori?", fragte Akane sogleich nach, worauf sich nun Shion vom Schreibtisch abstieß und sich ihr zugewandt gerade hinstellte. "Es ist keine Verbindung bekannt. Tenba war weder eine seiner Kundinnen, noch zählt sie zu den Leuten, die als Gäste zu einer Hochzeit seiner Kunden angegeben wurden oder die mit seinen Kunden zusammengearbeitet hatten. Sie sind nicht mit einander verwandt, haben keine gemeinsame Schule besucht, Telefon- oder E-Mail-Verkehr gab es zwischen ihnen auch nicht und des Weiteren hat sie in den letzten drei Monaten kein Straßenscanner in Koto erfasst", erklärte die Blondine, was für das Team bedeutete, dass es länger dauern konnte, bis sie eine Verbindung und damit hoffentlich ein Motiv für die Tat gefunden hatten. "Wo wurde sie zuletzt gesehen?", stellte Akane ihre nächste Frage, die nun wieder von Mika beantwortet wurde. "An ihrem Arbeitsplatz, die Psycho-Pass-Pflegklinik in Adachi. Sie hat dort als Psychologin gearbeitet und einige latente Verbrecher betreut. Darunter Ginoza." Kurz konnte man sehen, wie Akanes Miene Überraschung ausstrahlte, ehe sie sich an Teppei wandte. "Dort waren Sie doch auch, Sugo-san. Kannten sie Tenba-sensei?" Der angesprochene Vollstrecker schüttelte den Kopf. "Nein, der Name sagt mir nichts." "Jedenfalls wurde sie gestern Vormittag noch dort gesehen. Das ganze Gelände ist videoüberwacht, deswegen konnten wir schnell herausfinden, dass sie gegen elf Uhr die Klinik über einen Seitenausgang verlassen und die angrenzende U-Bahn-Station betreten hat. Dort verliert sich ihre Spur. Aber auf keinen der Überwachungskameras war zu diesem Zeitpunkt Hanayori zu sehen", äußerte Shion, wobei das Lächeln auf ihren Lippen verriet, dass sie noch mehr heraus gefunden hatte, womit man wohl etwas anfangen konnte. Abwartend sah Akane ihr deswegen entgegen. "Ich habe dafür herausbekommen, dass unsere kleine Psychologin, die jetzt hier arbeitet, mit Tenba zusammen studiert hat. Nach dem Terminkalender, den unser Opfer dabei hatte, waren die beiden auch für gestern Mittag verabredet. Wo stand leider nicht mit dabei", fügte die Analytikerin hinzu. "Habt ihr sie gleich darauf angesprochen?", wandte sich nun Teppei ein. Mika schüttelte zur Antwort den Kopf. "Shion hat das Yayoi und mir auch erst mitgeteilt, kurz bevor ihr zurückgekommen seid. Habt ihr überhaupt noch was gefunden?" "Nein, nichts", entgegnete Akane, wobei sie gerade selbst ihren Terminkalender kurz überprüfte. "Dann werde ich mit den Vollstreckern die Wohnung des Opfers untersuchen und Inspektor Tsunemori, du kannst die Psychologin befragen", orderte Mika, worauf Akane nickte. "In Ordnung, allerdings möchte ich, dass Sugo-san hier bleibt und einige Bewohner von unserem Tatort herbestellt und befragt. Wir müssen immer noch herausfinden, wer mit Hanayori zusammen arbeitet und aus welchem Zimmer die Leiche geworfen wurde." "Von mir aus", quittierte Mika desinteressiert, bevor sie Yayoi zunickte und dann das Büro verlassen wollte. Auch Akane verließ nicht viel später wieder den Raum. Das Büro der neu angestellten Psychologin lag drei Stockwerke tiefer. Als Akane es erreicht hatte, ertönte von innen ein sanftes "Herein", worauf die Inspektorin die Tür öffnete und eintrat. Obwohl es der erste Arbeitstag der Psychologin war, hatte diese ein bereits voll eingerichtetes Zimmer. Durch die Holotechnik erschien es so, als würde man sich auf einer weiten Wiese befinden. Die rechte Wand zeigte zudem das Abbild eines Wasserfalls, der von einem Felsvorsprung in einem See endete. Passend dazu ertönten sanfte Klänge von Wasserrauschen und Vogelgezwitscher. Im Gegensatz zu dem Hologramm, das auf allen drei Wänden sowie auf dem mit einem Teppich belegtem Boden zum selben Thema passte, blickte man bei der vierten Wand, die gegenüber der Tür, durch eine Fensterfront auf die hohen Häuser der Hauptstadt. "Ach, Tsunemori-san. Schön Sie wieder zu sehen", kam es von der Psychologin, die an einem Schreibtisch mit dem Rücken zu den Fenstern saß und scheinbar bis eben den Stapel an Dokumenten vor sich bearbeitet hatte. Die Worte ließen Akanes Aufmerksamkeit wieder auf ihre neue Kollegin wandern, bei der sie im ersten Moment, in dem sie viel eher den ungewöhnlichen Eindruck des Raumes wahrgenommen hatte, gar nicht bemerkt hatte, dass sie ihr bereits begegnet war. "Sasayama-san, Sie haben gestern gar nicht erwähnt, dass Sie nun für das Amt für Öffentliche Sicherheit arbeiten", entgegnete Akane, während ihr Gegenüber nun aufstand und am Schreibtisch herum ging. Sasayama Mizue war eine der Personen, die die Ermittler am gestrigen Tatort in einer der Wohnungen oberhalb der von Heisuke Hanayori angetroffen hatten. "Das hätte den Spaß verdorben, zu sehen wie Sie und die betreffenden Kollegen reagieren, wenn man sich hier wiedersieht", kommentierte Mizue mit einem Lächeln. Sie war 28 Jahre alt, jedoch sah sie deutlich jünger aus. Hauptsächlich musste das an ihrer Frisur liegen, lockige rot-braune Haare, ähnlich der Haarfarbe von Sho, legten sich auf die Schultern der Frau, wobei ihr glatter, gerader Pony, der knapp über den Augen endete, ihr etwas kindliches, verspieltes gab. Dazu kam, dass sie ganze zehn Zentimeter kleiner war als Akane. Die Psychologin deutete auf eine cremefarbene, L-förmige Couch, die neben einem kleinen Glastisch in einem anderen Eck des Raumes stand. "Setzen Sie sich doch bitte." Akane kam den Worten nach und nahm Platz, während die andere sich auf die andere Seite des Ls hockte. "Ich bin wegen dem aktuellen Fall hier. Das Opfer, das wir gestern am Tatort gefunden haben, ist Tenba Shiori, eine ehemalige Kommilitonin von Ihnen", erklärte Akane, worauf sich ihre Gesprächspartnerin etwas aufsetzte und benommen zu Boden sah. Sie nickte, wobei man anhand der Bewegung ihres Kehlkopfes ein Schlucken erkennen konnte. Akane vermutete, dass diese Tatsache der Psychologin näher ging als es ihre sonst recht unberührte Miene andeutete. "Laut ihrem Kalender hat sie sich gestern Mittag mit Ihnen getroffen", fuhr Akane fort, worauf Mizue den Kopf schüttelte. "Ja, das war geplant, aber dazu ist es nicht gekommen. Sie hat mich von ihrem Arbeitsplatz aus angerufen und kurzfristig abgesagt." "Wann hat sie sich bei Ihnen gemeldet?" Die Psychologin neigte ihren Kopf nachdenklich zur Seite. "Gegen halb Elf muss das gewesen sein", antwortete sie schließlich. "Dann waren Sie um die Zeit doch sicher schon auf dem Weg zum Treffpunkt?", hakte Akane nach, was Mizue nickend bestätigte. "Ja. Um ehrlich zu sein, war ich richtig wütend auf sie. Wir haben uns schon lange nicht mehr gesehen und wollten gestern endlich mal wieder zusammen in ein Café gehen und uns anschließend bei ihr daheim ein paar Filme ansehen. Wir haben das seit Wochen geplant und dann sagt sie einfach ab. Sie hat mir nicht mal einen Grund genannt, meinte nur, ihr sei etwas Dringendes dazwischen gekommen, das sie nicht aufschieben kann", erklärte die Psychologin, während Akane sie prüfend ansah. Es war seltsam, dass Shiori und Mizue sich treffen wollten, dieses Treffen abgesagt wurde, aber sie sich dennoch später im selben Gebäude befanden hatten und sie sogar im selben Zimmer gewesen sein konnten, aus dem Shiori in ihren Tod gefallen war. Akane hob ihre Smartwatch und aktivierte einen integrierten Scanner, um den Psycho-Pass ihres Gegenübers zu checken. Der Kriminalkoeffizient lag bei 34,7. Bei der gestrigen Begegnung war er kaum höher gewesen, Mizue konnte nicht mit Heisuke gemeinsame Sache gemacht haben, es sei denn sie war kriminell asymptomatisch wie es in der Vergangenheit der Fall bei Makishima Shougo und etlichen Mitgliedern des Sibyl-Systems zu deren Lebzeiten gewesen war. Das jedoch erschien Akane unwahrscheinlich und selbst wenn dem so sein sollte, sie fand nicht, dass die andere eine Gefahr oder nur Begeisterung für solch schreckliche Taten ausstrahlte. "Wieso sind Sie dann zu Ihrem Freund gefahren und nicht nach Hause?", fragte die Inspektorin weiter. Die Wohnung, in der sie auf Mizue getroffen waren, gehörte nicht dieser selbst. Der Mieter, Shirowa Renzo, war ein junger Mann, kaum 30, und der feste Freund der Psychologen. Das hatten die Ermittler bereits am gestrigen Tag erfahren. In der Annahme, dass der Bewohner nicht Zuhause war, hatte Shion ihren Kollegen bereits die Tür zur Wohnung geöffnet, als Mizue leicht bekleidet, verschwitzt und mit wirrem Haar aus dem Schlafzimmer getreten war. Da es für die Ermittler offensichtlich war, in was für einen Moment sie die beiden Verliebten gestört hatten, war dies für beide Parteien ein unangenehmer Augenblick gewesen, den keiner von ihnen in die Länge ziehen wollte. Akane hatte sich damit begnügt, nur den Kriminalkoeffizienten Mizues zu überprüfen, sie nach Heisuke zu fragen und einen kurzen Blick in das Wohnzimmer zu werfen. Laut der Psychologin kannte Renzo Heisuke flüchtig, sie wussten über die Berufe des jeweils anderen Bescheid, aber hatten privat nichts mit einander zu tun. Da auch am Fenster im Wohnzimmer keine Spuren zu sehen waren, hatte es Akane für nicht nötig erachtet, auch noch den Mann selbst aus dem Schlafzimmer zu bemühen. "Ich war aufgebracht. Ich bin manchmal ziemlich sensibel, gerade wenn man mich versetzt. Da wollte ich mich ablenken", antwortete Mizue. "Im Übrigen, er - also Renzo - meinte, dass er bereit wäre, für eine Befragung oder nur der Überprüfung seines Psycho-Passes vorbei zu kommen, falls das noch nötig ist. Gestern war das einfach ein sehr ungünstiger Zeitpunkt", fügte die Psychologin hinzu. "Ich glaube nicht, dass das nötig sein wird. Hätte sich jemand anderes in der Wohnung versteckt, Sie hätten das sicherlich bemerkt, nehme ich an. Gerade wenn dieser Jemand eine Bekannte von Ihnen mit sich trägt und aus dem Fenster werfen will." Mizue bestätigte die Worte seufzend mit einem Nicken. "Allerdings. Aber wie ich Ihnen bereits gestern gesagt hatte, ich war - hoffentlich - mit Renzo alleine in der Wohnung und außer dem Klirren und dann Ihrem Klingeln und Rufen haben wir keine verdächtigen Geräusche gehört." Akane lächelte kurz, dann fuhr sie mit der nächsten Frage fort: "Hat Tenba-sensei denn mal etwas geäußert, dass sie sich unwohl oder beobachtet fühlt? Haben Sie von ihr etwas über einen Hanayori gehört?" "Nein, nicht wirklich. Sie hat in letzter Zeit öfters darüber geklagt, dass ihr Psycho-Pass sich verschlechtern würde, dass der Psycho-Pass latenter Verbrecher auf sie abfärben würde und Pflegemittel zu schlecht wirken. Aber wie sollte sie so dazu kommen, von jemanden ermordet zu werden?", ergänzte die Psychologin skeptisch, ehe sie sich daraufhin mit ihrem Oberkörper etwas zu der anderen vorbeugte. "Aber lassen Sie uns nun nicht weiter über den Fall sprechen. Erzählen Sie mir von sich, was Sie beschäftigt, Ihnen Kummer bereitet, was Sie erfreut und wie zufrieden Sie mit Ihrer Arbeit sind", wechselte die Psychologin das Thema, worauf Akane sich zögernd einließ. Eine Weile unterhielten sich die beiden noch über eher oberflächlichere Dinge, die Inspektorin konnte einer Fremden nicht gleich Privates anvertrauen, jedoch schienen die beiden jungen Frauen einige gemeinsame Ansichten zu haben was Moralvorstellungen und sonstige Interessen anging. Zwischen ihnen war eine gewisse Sympathie spürbar, welcher es Akane scheinbar zu verdanken hatte, dass Mizue noch einen Hinweis auf ihre verstorbene Freundin lieferte: "Ich habe das vorhin nicht gesagt, weil ich nicht schlecht über Shiori-chan reden möchte, aber sie war nicht unbedingt eine Freundin des Systems. Die Art, wie ihr Psycho-Pass von latenten Verbrechern beeinflusst wurde, war weniger die Nähe zu diesen und die Konfrontation mit Leuten, die zu grausamen Taten imstande sind, sondern viel mehr meinte sie, dass sie so nette Leute kennengelernt hatte, die vollkommen bei Verstand waren, Träume und Ziele hatten und voller Gutmütigkeit waren, die niemals einem anderen Menschen schaden könnten. Wegen solcher Leute, die zu Unrecht in der Klinik waren - unter anderem hat sie da auch den ehemaligen Inspektor Ginoza erwähnt - zweifelte sie immer mehr an dem Sibyl-System. Und einmal hat sie sogar gesagt, sie habe weitere Leute kennengelernt, die sich das Ende Sibyls herbeisehnen, dass sie nun Mitglied eines Klubs sei, der sich 'Für das Ende Sibyls' nennt. Sie hat zwar im Nachhinein gemeint, dass sei nur ein Scherz, aber ich vermute, das hat sie nur gesagt, weil ich sehr schockiert darüber gewesen bin." Akane horchte auf. Der Wortlaut des vermeintlichen Klubnamens stimmte exakt mit der Nachricht auf dem Mantel des Opfers überein. "Hat sie noch mehr über diesen Klub erzählt?", hakte Akane nach. Mizue quittierte dies mit einem schlichten Kopfschütteln. Letztendlich war Akane froh, dass sie so zumindest einen Anhaltspunkt hatten. Sie stand auf und wollte sich schon verabschieden, um dieser Spur nachzugehen, als die neue Kollegin noch einmal auf etwas zu sprechen kam, das mit der Sache nichts zu tun hatte. "Karanomori-san hat mich dazu inspiriert eine kleine Feier zu meinem neuen Job im Amt für Öffentliche Sicherheit auszurichten. Geplant war viel eher ein gemütlicher Abend unter den weiblichen Kollegen als eine richtige Feier. Morgen Abend um 20 Uhr hier im Büro, falls es zu dem Zeitpunkt keine Arbeit zu erledigen gibt. Es wäre schön, wenn Sie auch kommen, Tsunemori-san." Akane nickte flüchtig, aber lächelnd. "Eine Willkommensfeier? Das klingt eigentlich ganz schön. Wenn wir nicht wegen Hanayori um die Zeit etwas zu tun haben, komme ich gerne", antwortete die Inspektorin, dann verabschiedeten sich die beiden Frauen. Kurz nachdem Akane das Büro verlassen hatte, ging ein Anruf von Shion auf der Smartwatch der Ermittlerin ein, den sie gleich entgegen nahm. "Akane-chan, wir haben eine weitere Nachricht von Hanayori bekommen. Kannst du ins Labor kommen?", meldete sich Shion sofort. "Ich bin so gut wie da", entgegnete Akane, worauf sie mit schnellen Schritten durch das Gebäude hin zum Analyselabor eilte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)