Nakama von darktree ================================================================================ Prolog: Abschied ---------------- Die Taubheit, die mich die letzten Tage befallen hat, fällt von mir ab. Es hat keinen Sinn mehr, stehen zu bleiben. Ich muss weitergehen, alles hinter mir lassen. Es ist jetzt Vergangenheit. Und ich habe ein Ziel vor mir. Ein Lächeln erreicht meine Lippen. Ich werde es schaffen. Es wird vielleicht nicht einfach werden, aber ich werde nicht aufgeben. Ich werde seinen Traum für ihn erfüllen. Die Sonne taucht langsam an der anderen Seite der schimmernden Wasseroberfläche auf und lässt die Fenster der kleinen Fischerläden leuchten. Ich will nicht mehr zurück. Nach all den Jahren ist es endlich so weit. Zu lange habe ich die Vögel dabei beobachtet, wie sie in die Freiheit fliegen. Jetzt kann ich ihnen folgen. Was mich auch immer erwartet, ich freue mich darauf, denn jetzt geht es endlich los. Die kleinen Boote stoßen leicht gegen die Stege, es dauert nicht lange und einer der Seemannsknoten ist gelöst. Ein kleiner Stoß mit dem Ruder, als ich das Fischerboot aus dem Hafen manövriere. Still und schnell, bevor sein Besitzer mich bemerkt. Ein letzter Gruß. Als ich den Hafen verlasse, erfasst der Wind auch meine Haare und weht den Geruch von Salzwasser in meine Richtung. Den Geruch von Freiheit. Die Sonne steht hoch am Himmel, als die Insel aus dem Northblue schließlich vollkommen verschwindet und ich nur noch nach vorne sehen kann. Meinem Ziel entgegen. -------- Freiheit war immer das einzige in meinem Leben, das wirklich zählte. All die Menschen um mich herum hielten mich nur davon ab, abhauen zu können. In diese ferne, faszinierende Welt. So dachte ich zumindest immer. Ich habe nie gesehen, wie sehr ich diese Menschen eigentlich brauchte. Ich dachte, nachdem mir meine Familie und mein Zuhause genommen worden waren, gäbe es nichts mehr, was mich noch dort hielte. Dort, in dem leeren Haus, das die Erinnerungen anzog. Erinnerungen an ein besseres Leben. Wenn meine beste Freundin Minako nicht gewesen wäre, hätte ich mich wahrscheinlich von der nächstbesten Klippe gestürzt. Aber sie zeigte mir, dass es noch Sinn gab, zu leben. Und dass man sich rächen konnte. Dass es noch so viel mehr gab als nur unsere kleine Insel. Als wir sieben waren, gab sie mir das Versprechen, das mich am Leben hielt. Egal was passiert, wir werden zusammen in die Freiheit segeln. Sobald wir alt genug wären, würden wir die Insel hinter uns lassen, auf der wir aufgewachsen sind. Auf der ich meine Eltern verlor. Es ist so viel passiert. Ich habe sie seit fünf Jahren nicht mehr gesehen, weiß noch nicht mal, ob sie noch lebt. Aber ich bin davon überzeugt, dass wir uns wiedersehen werden. Denn egal was passiert und passiert ist, sie hat es versprochen. Und sie hält ihre Versprechen. Ich vertraue ihr. Ich habe nie einen Menschen mit einem größeren Herzen gesehen. Wir haben uns so lange nicht gesehen, aber jetzt bin ich endlich so weit. Ich werde sie finden. ----------- Zwei Tage nach dem Aufbruch mit dem gestohlenen Fischerboot sehe ich endlich Land. Gott sei Dank, ich verdurste und die Fische hängen mir auch langsam aber sicher zum Hals heraus. Das bisschen Geld, das ich entbehren will, übergebe ich deshalb auch gleich dem Wirt des erstbesten Gasthauses- es scheint eine normale kleine Insel zu sein, mit einem Dorf voller Läden und offenen Bewohnern. Der Wirt schaut mich skeptisch an, bevor er entnervt die Augenbrauen hebt, als würde er nicht gerne Fremde in seinem idyllischen Dorf sehen. Eine meiner Meinung nach eher kontraproduktive Methode. Dann meint er, für das Geld könne ich eine Nacht bei ihm, inklusive Mahlzeiten, übernachten. Ich lächele ihn an und antworte, dass ich auch nicht mehr will. Abends ist der Raum dann ziemlich gut gefüllt, dient er anscheinend auch als einzige Kneipe des Dorfs. Ich stehe am Geländer der Treppe im ersten Stock und schaue auf die Gäste herunter, die sich alle um eine Zeitung geschart haben. "Der hat ihn einfach umgebracht!? Das muss ein Gerücht sein!" "Der größte Hakimeister des Northblues von Admiral Kizaru vernichtet?" "Wie soll das denn jetzt hier aussehen- die Piraten haben wegen Meister Syvian einen Bogen um unsere Inseln gemacht- und jetzt!?" "Der hat den doch niemals umgebracht! Niemand kann den Meister besiegen!" "So stark sind die Admiräle der Marine!?" Also erreicht diese Nachricht nun auch den Rest der Welt. Dabei ist es schon zwei Tage her. Ich habe auch nicht gedacht, dass mein Meister besiegt werden könnte. Ich habe in seine Kraft vertraut. Wenn er sein ganzes Leben darauf hingearbeitet hat, dachte ich, wird er dieses Ziel erreichen. Meister Syvian war mein Vorbild. Vor allem, was das betraf. Leicht machte Hakimeister Syvian es Admiral Kizaru ganz sicher nicht. Als er ging, konnte er sich kaum auf den Beinen halten. Gewonnen hatte er trotzdem. Mein Meister war tot, sein Traum mit Füßen getreten und ließ zwei Lehrlinge zurück, einen, der nicht in der Lage war, irgendetwas zu tun, und eine, die unbedingt etwas tun musste, um nicht alles zu zerstören. Viel war eh nicht mehr übrig. Das Haus war nur noch ein Haufen Staub. Wir hatten das Licht unterschätzt. Wussten nicht, dass es so zerstörerisch sein kann. Aber das alles liegt hinter mir. Dilan, der verzweifelt versuchte, die Überreste unseres Meisters aufzusammeln und der Fels, unter dem wir alles was er fand letztendlich begruben, die Insel, das Anwesen, die Zeit mit ihnen und der Hausfrau Hannah- es kommt mir alles vor wie ein anderes Leben. Fünf Jahre ist es her. Als ich alles, was ich noch hatte, verlor und mich früher als geplant auf den Weg machte. Fünf Jahre ist es her, seit ich von dem Schiff sprang und mich auf den Weg durch das Dorf machte. Seit ich erfuhr, dass es so etwas wie Haki überhaupt gibt. Als ich begeistert beschloss, genau das zu lernen. Bei dem besten Hakimeister des Northblues und vielleicht sogar der Welt. Der zufälligerweise direkt auf dieser Insel in einem großen Anwesen wohnte. Und keine Schüler wollte. Die nächsten zwei Jahre bestanden aus täglichen Besuchen eben jenes Anwesens, was den Besitzer so in den Wahnsinn trieb, dass er irgendwann tatsächlich zustimmte, mein Können zu testen. Ich muss grinsen, wenn ich daran denke. Ich war schrecklich, aber ich schaffte es. Ich habe nie wirklich etwas gekonnt, als Kind stand ich immer hinter allen anderen zurück und lernte, dass ich nur mit viel Fleiß andere übertreffen konnte. Also trainierte ich mehr als jeder andere und war im Endeffekt immer noch nicht besser. Der Grund, wieso ich kämpfen immer hasste. Aber Haki konnte ich. Als er merkte, dass ich ziemliches Potenzial habe, steckte er mich in ein Zimmer und bevor ich auch nur realisierte, was hier eigentlich los war, war ich seine Schülerin. Ich verstehe immer noch nicht, wieso er mich genommen hat. Aber in den letzten Jahren gab es vieles, was ich nicht verstand. Das gehört einfach zu ihm, so wie seine grausamen mausgrauen Baumwollsocken und sein mehr als schwarzer Humor. Und jetzt habe ich selbst seine Insel verlassen. Ich vermisse ihn. Auch wenn ich es nicht will. Aber ich weiß nicht, was mich hier erwartet und er kann mir nicht mehr helfen. Egal was kommt, ich bin auf mich allein gestellt. Ich habe viele Rückschläge in meinem Leben erlebt. Und doch gab es immer Menschen, die mir geholfen haben, weiter zu gehen. Auch wenn ich es in diesen Momenten nicht begriffen habe, ohne diese Menschen hätte ich es wohl kaum geschafft. Ich habe zwar ein Ziel, aber keine Ahnung, wie ich es erreichen soll. Eine Crew, die mir vor vielen Jahren das Leben rettete, zeigte mir, dass man nur zusammen viel erreichen kann. Und dass nicht jeder alles können muss. Dass man Hilfe annehmen darf und dass sich ergänzen eine Stärke und keine Schwäche ist. Ich kann diesen Weg nicht alleine gehen. Kapitel 1: First Mate --------------------- Das erste, das ich am nächsten Morgen mache, ist einkaufen. Na gut, einkaufen kann man es nicht wirklich nennen, denn das Geld bleibt aus spararmen Gründen leider aus und deswegen muss ich die Geschäfte notgedrungen unauffällig verlassen. Leider klappt das nur manchmal und so laufe ich bald die Straßen entlang, auf der Suche nach einem geeigneten Versteck. Nachdem ich gestern Abend erfahren habe, dass die nächste Insel nur so von Marines wimmelt, muss ich jetzt noch ein paar Vorkehrungen treffen, bevor ich an die Öffentlichkeit gehe. Es ist dämlich, ich weiß das. Aber seit ich klein war, habe ich diesen einen bescheuerten Traum. Weit segeln, weiter als je einer von unserer Insel gesegelt ist und groß werden. Stark. Bis alle Mächtigen dieser Welt vor Ehrfurcht und Angst vor mir erzittern. Nicht mehr so schwach sein. Ich habe die Vögel immer bewundert, vor allem weil sie durch ihre Flügel frei sein können, zu fliegen, wohin sie wollen. Mein Lieblingsvogel war immer der Falke, ein Tier, das in den Wäldern unserer Insel herrschte, ein Raubvogel, mächtig, aber doch elegant. Ich erinnere mich nicht mehr wirklich an meinen Vater, der starb als ich sieben war, aber mir wurde erzählt, wie er genannt wurde. Der Falke, der Adler, ein flinker aber doch starker Krieger, der den Kampf beherrschte. Ich verband diese Vögel immer mit ihm, dem starken Krieger meiner Kindheit, dem scheinbar unzerstörbar Majestätischen, meinem Vorbild. Und so machte ich den Falken zu meinem Zeichen. Wie sagte mein Meister doch immer? Wenn man aufhört, Kind zu sein, ist man kein Mensch mehr. Oder so ähnlich. Ich hoffe, ich versau es nicht. Nachdem die Verfolger erfolgreich abgewimmelt sind, mache ich mich mit Farbeimer und Pinsel auf den Weg zu meinem Fischerboot, das etwas abseits des Hafens vor sich hin dümpelt. Das Segel schnell vom Mast entfernt, breite ich es auf dem Deck aus und beginne zu planen. Ich kann nicht zeichnen. Aber man muss erkennen, dass es ein Falke ist. Kein Adler, kein Murmeltier oder ähnliches(sehen ja eh alle gleich aus), ein Falke. Das Resultat ist mickrig. Ein Kreis mit etwas, das man noch als Schnabel identifizieren kann, und damit ich mein Meisterwerk nicht noch zerstöre, belass ich es erst mal dabei. Darunter schreibe ich in etwas krakeliger Schrift das Wort "Falke", das Schriftzeichen leicht verschmiert und noch glänzend. So hänge ich das Segel wieder auf, nicht ganz zufrieden, aber froh, dass man es jetzt wenigstens nicht falsch interpretieren kann. Mein Timing ist perfekt. Sobald der Wind das Segel erfasst und ich bereit zum Auslaufen bin, höre ich sich mir nähernde Stimmen den kleinen Gebirgspfad herunterkommen. Wütende Stimmen. Meine Verfolger haben mich entdeckt. So schnell ich kann, lichte ich den Anker und manövriere das kleine Fischerboot aus der Bucht. Gerade noch rechtzeitig, denn schon tauchen die ersten verärgerten Gesichter hinter dem Felsen auf. "Dieb! Komm sofort zurück!" Ich denke nicht dran. Als könnten die einen Eimer Farbe, einen kleinen Pinsel, ein paar Decken und Lebensmittel nicht mal verkraften! Geizhälse. "Bleib gefälligst stehen!" So ist also das Leben eines Gesetzeslosen. Ich könnte mich dran gewöhnen. Vier Tage brauche ich mit meinem kleinen Schiff bis zur nächsten Insel. Das Schiff ist für ein Fischerboot sogar relativ groß, mit Kabine, Küche und vier Hängematten, aber es ist eben doch ein Fischerboot. Ich bin froh, überhaupt am Leben zu sein, als ich in den Hafen einbiege. Schon hier ist alles mit Mauern gesichert und obwohl ich keinen Totenkopf sondern nur einen Kreis mit Schnabel auf meinem Segel habe, muss mein Boot trotzdem erst gründlich untersucht werden. Der Farbeimer wird konfisziert. Könnte ja Sprengstoff drin sein. Ich muss mich echt zusammenreißen, um dem jungen Soldaten nicht den Hals umzudrehen. 'Das bringt nichts', sage ich mir immer wieder, 'Du musst das ganze System vernichten, so ein kleiner Soldat schmerzt die nicht im Geringsten.' Nachdem ich endlich ankern darf, auch wenn das Schiff jetzt nicht mehr mir gehört, weil ich nicht genügend Geld hatte, um die Hafenpacht zu bezahlen, bin ich endgültig aggressiv. Dieses Segel war ein Haufen Arbeit! Bevor ich noch wahnsinnig werde, verlasse ich lieber den Hafen mit dem Geld, das noch übrig bleibt und dem Gedanken, das Schiff später eh zurück zu stehlen. Überall stehen Soldaten und bewachen die Insel oder patrouillieren durch die Straßen. Hier wäre es nicht so einfach etwas mitgehen zu lassen oder unauffällig zu verschwinden. Keine Insel, die man angreifen sollte, wenn es nicht auch leichtere Ziele gibt. Aber dafür bin ich Gott sei Dank nicht hier. Ich habe seit Tagen nicht richtig gegessen und eine meiner Planken fängt an zu lecken, deswegen gebe ich mein Geld erst mal für Lebensmittel und Werkzeuge aus. Als ich alles erfolgreich auf meinem Boot verstauen kann, was eines sehr umständlichen Balancierakts auf den Dächern bedurfte, wird es auch schon dunkel. Die Wachen lösen sich ab. Die Straßen, vorher gut gefüllt, leeren sich, die Laternen werden angezündet. In die zunehmende Stille klingen Rufe und das Geräusch kreuzender Klingen. Soldaten entfernen sich von der Mauer und laufen in die Stadt hinein. Die perfekte Chance. Obwohl ich jetzt abhauen könnte, hält mich etwas zurück. Ich frage mich, was da wohl los ist... Wer ist so irre und legt sich mit dieser Insel an? Ich will keine Aufmerksamkeit auf mich ziehen, aber einmal kurz schauen? Wenn ich vorsichtig bin, sollte das doch kein Problem sein... Je weiter ich laufe, desto lauter werden die Stimmen und bevor ich weiß, was passiert, bin ich von Soldaten umgeben. Sie kommen von überall und es ist nicht so, als würden sie mich einfach ignorieren. Eher das Gegenteil. So viel zu Vorsicht. Als ich versuche, mich aus der Menge zu befreien, schubsen mich ein paar besonders eifrige Exemplare zurück. "Ich hab ihn!", ruft einer. "Das ist der Schwertkämpfer, der unsere Insel angreift!" "Stimmt, er hat sogar zwei Schwerter!" Genau. Und wenn du dein Hirn mal anschalten würdest, würdest du sehen, dass "er" eine Frau ist. "Auf ihn!" "Lasst ihn nicht entkommen!" Ich sehe mich gezwungen, meine Schwerter zu ziehen. Man, ich wollte doch kein Aufsehen erregen! Zumindest bis zur Grandline nicht. 'Das hat ja prima geklappt', denke ich noch, dann fließt auch schon Blut. Ich hab keinen Bock mehr. Ich bin angepisst. Und die Soldaten bekommen es zu spüren. Locker erledige ich die um mich herum, aber es kommen immer mehr. Es scheint wie ein endloser Ansturm von verblödeten Marines, die alle erfolglos versuchen, mich zu fassen zu bekommen. Unabsichtlich dringe ich immer tiefer in die Menge und treffe schließlich auf den Auslöser dieser Menschenmassen. Da hat doch jemand meinen Kampfstil geklaut. In der Mitte der Soldaten steht ein rothaariger Typ mit zwei Schwertern und metzelt. Aber das absurde: er scheint dabei auch noch Spaß zu haben! Grinsend erledigt der Irre Schwertkämpfer einen Soldaten nach dem anderen. Und dann entdeckt er mich. Und das gefällt ihm gar nicht. Das Grinsen ist schneller durch ein grimmiges Starren ausgetauscht, als ich blinzeln kann. "Hey was soll das?!" Ja, was soll das? Als wär ich freiwillig hier! "Hau gefälligst ab, ich schaff das hier alleine!" Das sieht man. "Ich bin ganz sicher nicht hier um dir zu helfen! Und überhaupt, seit wann gehören die Marines nur dir? Dürfen nicht auch andere Menschen sie brutal abmetzeln?" "Ich war zuerst hier also verpiss dich!" Jetzt ist er richtig angepisst. Und ich auch. Es reicht. "Verpiss du dich doch! Du bist bestimmt eh zu schwach um die alle zu besiegen!" Das war's. Die Soldaten um uns sind erst mal Geschichte. Jetzt wendet er seine Schwerter mir zu. "Das sagst ausgerechnet du!? Kannst du überhaupt ein Schwert halten? Wieso kopierst du eigentlich meinen Kampfstil?" "Wer sagt denn, dass du nicht meinen kopierst?" "Ich war ja wohl zuerst da!" "Ach ja?" Ok, er ist sicher einen Kopf größer als ich, aber das heißt noch lange nicht, dass er auch älter ist! Ich weiß wie jung ich wirke. Und selbst wenn. Als könnte der mich besiegen. "Ist ja auch egal, ich bin auf jeden Fall stärker als du." "Das glaubst du doch selbst nicht!" "Soll ich's dir zeigen?" "Na komm!" Und schon laufe ich auf den jungen Schwertkämpfer zu, der sich in Kampfposition stellt. Er ist definitiv stärker als ich, scheint aber nicht so schnell zu sein. Kurz bevor ich bei ihm ankomme, springe ich in die Luft, mache einen Salto über seinen Kopf und kreuze dabei die Klingen, sodass sie in seine Schultern einschneiden. Sollten sie zumindest. Seine Schwerter sind schon da und wehren den Schlag locker ab, als wären sie schon immer da gewesen. Ok. Er ist schneller als er aussieht. Wesentlich schneller. "War das schon alles?", meint er spöttisch. "Nein." Nach all den Soldaten bin ich etwas außer Atem. "Ich musste nur kurz meine Klingen reinigen." Ich grinse. Endlich ein echter Gegner. Aber auch ihn werde ich besiegen. Alle anderen Attacken werden genau so mühelos abgewehrt, wie die erste. Aber auch seine Angriffe können mir nicht schaden. Langsam aber sicher kommen wir beide ins Schwitzen. Der Ehrgeiz, den anderen zu besiegen wird immer größer. Ich kann es in seinen Augen sehen, immer wenn wir uns begegnen. Ich spüre mein Blut durch den Körper fließen, mein Herz schlagen, meine Muskeln anspannen. Ich fühle mich lebendig. So habe ich mich noch nie gefühlt. Die Soldaten um uns haben das Kämpfen fast komplett eingestellt und schauen gebannt dabei zu, wie ihre Gegner sich grinsend gegenseitig verprügeln. Alles was ich versuche, wird geblockt. Auch wenn wir beide immer schwächer werden, wirkliche Wunden trägt keiner davon. Und ich muss fairerweise sagen, dass ich keine Ahnung habe, wer gewinnen wird. Obwohl ich langsam erschöpft werden sollte, gibt mir dieser Blick, dieser Ehrgeiz, doch mehr Energie, als ich wahrscheinlich jemals hatte. Und als all diese Kraft durch meinen Körper fließt, weiß ich, ich kann es schaffen. Nicht diesen Typen besiegen, auch nicht diese mickrigen Soldaten. Nein, ich kann mein Ziel erreichen! Ich weiß es jetzt. Der Krieger mir gegenüber zeigt mir das, was ich nicht sehen konnte. Als ich den nächsten, stärkeren Angriff starten will, voller Glück, Hoffnung und Stärke, abgeschottet von dem Rest der Welt, nur fokussiert auf den rothaarigen Schwertkämpfer vor mir, werde ich auf einmal durch einen Schlag von der Seite von den Füßen gestoßen, und mit dem Boden unter mir verschwindet auch all die Kraft und Energie. Über mir steht ein Riese. Zumindest wirkt er so. Er ist mindestens vier Meter groß und seine muskulösen Arme könnten Baumstämme sehr alter Bäume sein. An dem Mantel um seine Schultern erkenne ich, dass es sich um einen höher stehenden Marine handeln muss. Dass die auch so hässliche Kolosse aufnehmen, ist mir neu. Auch mein nun ehemaliger Gegner schaut das Biest, das eine gefährlich aussehende Keule schwingt, fast genervt an und als ich mich neben ihn stelle knurrt er nur kurz und wendet sich dann dem Neuankömmling zu. Ähnlich genervt wie mein Kampfpartner stürze ich mich wieder in die Schlacht. Die Soldaten zu besiegen, ist keine große Herausforderung. Nur der Riese scheint ein Problem darzustellen, ist er nicht nur groß und unglaublich stark, sondern auch ziemlich schnell. Zwei Mal scheitert der Schwertkämpfer, dann dreht er sich zu mir um. Ich stehe inzwischen mit dem Rücken zu ihm und bekämpfe jegliche durchtrainierte Soldaten. Wirkt fast, als gehörten wir zusammen. Das nenn ich mal Ironie. "Hey!" Ich drehe mich kurz um. Meinte der mich? Anscheinend schon, er sieht mich an, als würde er irgendwas von mir erwarten. Jetzt mit ihm streiten ist das Letzte, was ich noch brauche. "Kannst du dem Typen da was abschneiden, wenn du auf meine Schwerter springst?" Warte. Höre ich richtig? Fragt der mich gerade, ob ich mit ihm zusammenarbeiten kann? "Wir können den nicht alleine besiegen. Mir macht das auch keinen Spaß, aber wir haben keine andere..." "Schon gut. Schieß los." "Also, wenn er seinen Arm hebt, springst du auf meine Schwerter und greifst ihn oben an, dann kann ich ihn von unten erledigen. Meinst du, du schaffst das?" Ich wehre einen Schlag ab und schicke den Soldaten in die Hölle. "Mit wem sprichst du?" Kurz sehe ich ein Lächeln auf seinem Gesicht aufflackern, dann hebt der Riese seinen Arm und es ist Zeit für den Angriff. Schnell springe ich auf die Schwerter, die er über kreuz vor sich hält und lasse mich vor das Biest katapultieren. Das scheint auf mich aufmerksam zu werden, denn als ich meine Schwerter hebe, muss ich erst mal einen harten Schlag gegen meine Brust abfangen, der mich auch all meine Kraft kostet, um nicht zurückgeschleudert zu werden. Das wird nicht einfach. Der Typ unter mir greift jetzt die monströsen Beine an, aber auch da ist die Keule rechtzeitig an ihrem Platz und er muss zur Seite springen um nicht zerquetscht zu werden. So wird das nichts. Ich muss irgendetwas tun. Als ich auf seinen Hals ziele, hebt der Marine seine Waffe wieder in atemberaubender Geschwindigkeit. Aber diesmal bin ich darauf vorbereitet. Anstatt zu versuchen, ihn zu verletzen, lasse ich mich von der Keule nach oben schleudern und springe über seinen Kopf. Dabei lasse ich die Schwerter auf den fetten Dickschädel fallen. Während er von den Klingen abgelenkt wird, verhärtet sich mein Arm und ich schaffe es tatsächlich, einen Treffer in seinem Gesicht zu landen. Unser Gegner erholt sich aber schnell wieder und bevor ich reagieren kann, ist seine Hand ausgestreckt und hat mich fest in ihrem Griff. Keine Möglichkeit zu entkommen. Die Finger umschließen mich immer enger und langsam aber sicher geht mir die Luft aus. Es tut scheiße weh. Ich kann nichts tun. Meine Schwerter liegen am Boden und es ist unmöglich mich zu bewegen. Werde ich jetzt sterben? Wegen dem da? Wegen irgend so einem minderbemittelten Troll? Das kann doch nicht das Ende sein! Aber ich meine, was sollte mir noch helfen? Als ich gerade mit dem Leben abschließen will, verzieht der Riese sein Gesicht und auf einmal bin ich wieder frei. Auf einmal fehlt meinem Gegner ein Arm und ich kann wieder leben. "Das passiert, wenn man mich einfach übersieht." Der Schwertkämpfer! Den hab ich doch tatsächlich komplett vergessen! Auf einmal bin ich sehr froh, dass er hier ist und nicht irgendwo anders. Während der Marinekapitän brüllend auf die Knie sinkt, falle ich langsam Richtung Erde. Ein rotes Schimmern in meinem Augenwinkel und der Koloss fällt. Obwohl es ein klaffendes Loch in der Schulter und einen tiefen Schnitt in der Brust hat, kann das Monster immer noch die Keule heben. Ich sehe nur den Schwertkämpfer, der mir gerade -absichtlich oder nicht- das Leben gerettet hat, und auf den viel zu schnell diese Keule zurast. Er sieht sie nicht, sie kommt feige von hinten, bereit, ihn in den Tod zu schicken. Und ich weiß, wenn ich jetzt nichts tue, darf ich mich selbst gleich mit begraben. Die Schwerter liegen unter dem Riesen, also unmöglich zu erreichen, und ich weiß wirklich nicht, wie ich diese Keule sonst aufhalten soll. "Arme hoch!" Ich habe einen Entschluss gefasst. Tatsächlich schafft der Schwertkämpfer vor mir, sofort das zu machen, was ich ihm sage, und so sind seine beiden Schwerter bald vor mir, sodass ich mir eins greifen und mich am anderen abstoßen kann. Er ist zu überrascht, um sich wirklich zu wehren, und so befinde ich mich bald vor der Keule, Kopf klar, hochkonzentriert. Als mich die Keule erfasst, halte ich mit dem Schwert dagegen, ohne mein eigentliches Ziel aus den Augen zu lassen. Als ich mein Schwert in den faltigen Hals ramme, sehen wir uns in die Augen. Es ist nur ein kurzer Moment, aber er verändert alles. Von der Seite grinst mich ein Krieger an, mit dem ich kämpfe, der mit mir alles um uns vernichtet. Ein Krieger, den ich respektiere und der mich respektiert. Diesen einen Moment fühle ich mich zu diesem Menschen verbundener als je zu jemandem in meinem ganzen Leben. 'Das ist es', denke ich und ich weiß, jetzt bin ich endgültig frei. Das ist das, von dem alle reden. Nichts kann die Beziehung der Krieger zerstören, die im Kampf gemeinsam ihr Leben riskieren. Die gemeinsam gewinnen, verlieren, bis zu ihrem Tod kämpfen, sich opfern, fliegen. Das ist das, was ich gesucht habe. Ich rolle mich nicht am Boden ab, versuche nicht, den Sturz irgendwie abzufangen, ich falle einfach auf den Rücken, unfähig mich zu bewegen. Um mich herum Beine. Sie fliehen. Weg vor den mächtigen Kriegern, die ihren Anführer vernichtet haben. Wir haben ihn vernichtet. Als ich mich zu dem anderen Krieger umdrehe, merke ich, dass auch er flieht. Wovor weiß ich nicht. Er rennt in den Wald, der die Stadt vor der Marinebasis umgibt. Und auch ich stehe auf, noch wie betäubt, sammle meine Schwerter ein und mache mich auf den Weg in Richtung Hafen. War's das jetzt? Werde ich ihn vielleicht nie wieder sehen? Wahrscheinlich ist es besser so. So soll es nun mal sein. Mein Boot liegt verlassen an einem der Stege und erst als ich mich auf das Deck fallen lasse, merke ich, wie fertig ich eigentlich bin. Ich drehe mich auf den Rücken und schaue in den Himmel. Der Mond ist inzwischen aufgegangen und lässt die Welt kalt und grau wirken. Das ist eigentlich meine Zeit. Aber gerade vermiss ich einfach nur die Sonne. Ich habe kämpfen immer gehasst. Ich war nie besonders gut darin, musste mich dauernd beweisen, mehr trainieren als alle anderen. Es musste eben sein, ich habe nie darüber nachgedacht, dass es sogar Spaß machen könnte! Heute hat es Spaß gemacht. Heute habe ich mich lebendig gefühlt, stark, akzeptiert und respektiert. Ich konnte die Energie durch meinen Körper strömen lassen, konnte wirklich frei sein, alles vergessen. Etwas, das ich nie für möglich gehalten hätte. Dieser Krieger hat es ermöglicht. Will ich das wirklich einfach so aufgeben, ihn einfach in seinem Wald lassen und gehen? Ist es das, was ich will? Ich habe die Freiheit, mein Leben selbst in die Hand zu nehmen. Es ist niemand mehr übrig, auf den ich achten müsste. Also wieso tue ich es nicht einfach? Was hindert mich daran? Ich will wieder mit ihm kämpfen. Nein, ich will meinen Weg mit ihm gehen. Ich will mit ihm an der Seite mein Ziel erreichen. Wenn nicht er, wer dann? Wenn mich dieses Gefühl nicht dazu bringt, einen Nakama zu finden, was wird es dann? Und bevor ich es weiß, stehe ich. Laufe zu den Bäumen, hinter denen er irgendwo sitzt und denkt. Um meinen First Mate zu holen. Kapitel 2: Into the Woods ------------------------- Alleine zu sein ist das Schlimmste, das einem Menschen passieren kann. Man kann arm sein, am verhungern, durch das Leben stolpern, ohne etwas zu schaffen- aber solange man Menschen hat, denen man vertrauen kann, die einem beistehen und die einem helfen, alles durchzustehen, was man nicht alleine schaffen kann, wird man leben. Doch Jemand, der in der Sonne sitzt, den Wind im Rücken und alles erreicht hat, was er wollte, aber allein ist, der hat alles verloren. Allein sein zerstört die Menschen. Wir sind nicht dafür gemacht, alleine zu kämpfen. Manches kann man eben nicht alleine machen, man braucht Hilfe in so vielen Dingen. Ich stehe in der Sonne, den Wind im Rücken, aber ich weiß, ich werde nichts erreichen, wenn ich die Menschen um mich herum einfach ignoriere. Wenn ich meine Chance nicht ergreife. Und dann mache ich einen Schritt nach vorne, dort, wo kein sicherer Boden unter meinen Füßen ist. Ich weiß nicht, ob ich fliegen oder fallen werde. Aber ich muss es versuchen. Die Sonne versinkt langsam hinter der glitzernden Oberfläche und lässt nur einen Schimmer zurück. Bald werde ich nicht mehr sehen können. Aber ich werde weiterlaufen, denn ich weiß, wo mein Ziel ist. Ich spüre es. Die letzte Wärme verblasst und als ich zwischen den Bäumen verschwinde, ist es schwer, nicht irgendwo gegen zu laufen. Ich vertraue auf meine Instinkte und tauche in das Blättermeer ein, auf der Suche nach ihm. Ein Flackern in der Dunkelheit erregt schließlich meine Aufmerksamkeit. Feuer. Auf einer Lichtung im Wald ist ein kleines Lager aufgeschlagen. Vor einem improvisierten Unterschlupf brennt ein Lagerfeuer, an dem ein junger Mann sitzt. Er starrt in die Flammen, als würde er mich nicht bemerken und erst als ich mich ihm gegenüber setzte, hebt er den Kopf. Grüne Augen starren mich herausfordernd an und ich starre zurück. Sie blitzen belustigt. Man sieht ihm an, dass er nicht aufgeben wird, genau wie bei unserem Kampf. Er wird immer weiter kämpfen, einfach weil er seinen Stolz bewahren will. Nicht dass es bei mir anders ist. Aber so einen Ehrgeiz, nicht gegen ihn zu verlieren, hatte ich noch bei keinem. Ich weiß, dass wir uns aufführen wie kleine Kinder, aber den Blick abwenden werde ich deswegen trotzdem noch nicht. Obwohl es wahrscheinlich klüger wäre. Nach einer gefühlten Ewigkeit beginnt er endlich zu sprechen. Ich fühle mich grundanalysiert. "Du schon wieder." Ja, ich schon wieder. Und jetzt? "Wieso tauchst du immer da auf, wo ich gerade bin?" "Glaub mir, es liegt nicht an deiner umwerfenden Anziehungskraft." "Ach ja!?" "Ganz sicher." Und von sich überzeugt ist er auch noch. Auf einmal kommt mir das gemeinsam Kämpfen doch nicht mehr so toll vor. Aber dann denke ich an seinen Blick und ich weiß, ich muss das durchziehen. Und wenn das heißt, dass er mal gewinnt. Es geht doch eh nur um sowas albernes, wie "wer als erstes blinzelt". Also lächele ich nur und wende meinen Blick ab. "Ne schöne Hütte hast du da." "Gefällt sie dir?" Es scheint ihn nicht zu stören, dass ich unseren kleinen Kampf so abrupt unterbrochen habe. "Ich weiß nicht... Sicher nicht sehr gemütlich..." "Och es geht..." Wieder diese verteidigende Haltung. Als würde ich denken, er ist schwach. "Ich hab ein Schiff, das ist wesentlich gemütlicher." "Wenn du meinst" Wahrscheinlich fragt er sich gerade, wieso ich das alles überhaupt erzähle. Ich frage es mich ja gerade selber. Und weil ich ein Mensch bin, der schnell zum Punkt kommt, weil ich das ganze unnötige darum herum einfach nicht leiden kann, sage ich einfach das, was ich denke. "Du hattest recht, vorhin, alleine hätten wir das nicht geschafft. Keiner von uns." Jetzt hab ich ihn sicher komplett verwirrt. Will ich ihn nicht dazu bringen, mit mir zu kommen? So wird das ja nie was. "Hab ich doch gesagt. Aber wieso kommst du jetzt damit an?" Ok. Er ist auch direkt. Das ist doch schon mal ne gute Gesprächsgrundlage. "Ich hab mich gefragt, ob es nicht sinnvoll wäre, das ne Weile so durchzuziehen... Also wenn's gut funktioniert..." "Was willst du?" Ok, jetzt rede ich doch ums Thema herum. Ich hasse es. "Ich will zur Grandline. Und ich hab gedacht, dass es für uns beide doch nur hilfreich sein könnte, wenn wir uns ne Weile zusammentun..." "Wieso sollte ich mit dir arbeiten wollen? Ich brauche keine Hilfe." "Ja, das hast du schon gesagt. Ich mein ja auch nicht, dass du Hilfe brauchst, nur dass wir zusammen weiter kommen..." "Ne danke, ich komm schon allein klar." "Das ist doch bescheuert! Es bringt dir doch nur was, wenn du mit mir kommst!" "Ach ja!? Ich hab meine eigenen Ziele, da muss ich mich nicht noch um deinen Scheiß kümmern." "Wie du meinst! War ja auch nur ein Vorschlag!" "Ja, dann ist ja alles gut." Eine Zeit lang sitze ich einfach nur da und starre wie er ins Feuer. Und jetzt!? "Ich geh dann mal." Langsam stehe ich auf und warte auf die Reaktion meines Gegenübers. Sie bleibt aus. Scheiße. Ich mache mich hier zum kompletten Idioten! Schnell drehe ich mich um und gehe, bevor ich noch was Dummes sagen kann. "Und tschüss...", murmelt der Typ in meinen Rücken, von dem ich immer noch nicht den Namen weiß. Ich hab's total versaut. Ich wollte ihn auf mein Schiff holen. Anstatt dessen denkt der jetzt, ich bin anhänglich und schwach und wer weiß noch was. Was will ich eigentlich von dem? Er nervt und ist einfach nur ein Arschloch. Ich bin weg. Die nächsten Tage verbringe ich auf meinem Boot und flicke die Planken, schlafe und trainiere. Die einzigen Male, die ich das Versteck verlasse, wohin ich das Boot noch am gleichen Abend gebracht habe, sind die Aktionen, in irgendeiner Weise ungesehen an Essen und Geld zu kommen. Wieso ich immer noch auf dieser Insel bin, weiß ich selbst nicht. Doch, eigentlich weiß ich es. Ich will nicht, dass es vorbei ist. Dass die Chance endgültig verspielt ist. Endgültig. Was für ein grausames Wort. Solang ich die Möglichkeit habe ihn sprechen zu können, ihn irgendwie sehen zu können fühle ich mich nicht so, als wäre alles vorbei. Obwohl es das ist. Ich werde nicht mehr in den Wald gehen und mich nochmal so blamieren also ist es sinnlos noch auf dieser Insel zu bleiben! Er will nicht mitgehen und ich werde ihn nicht zwingen. Aber obwohl ich das weiß, bleibe ich. Lebe Tag für Tag ohne wirklich die Absicht irgendetwas zu tun. Am vierten Tag wache ich schon mit Kopfschmerzen auf. Ohne Energie schleppe ich mich in die Stadt, um ein letztes Mal Vorräte zu besorgen, bevor ich am Nachmittag endlich weiter segeln kann. Es hat wirklich keinen Sinn, noch länger hier zu bleiben. Die Motivation, die ich bei meinem Aufbruch hatte, ist komplett verschwunden und weicht Resignation und Trägheit. Es ist, wie als würde es nicht mehr weitergehen. Hoffentlich legt sich das, sobald ich diese Insel verlasse. Sonst kann ich mein Ziel komplett vergessen. Und meinen Traum... Während ich in Gedanken den Laden verlasse, ohne irgendetwas geholt zu haben, stolpere ich fast in einen fetten Händler hinein, der auf dem Markt seine Äpfel verkauft. "Pass doch auf!" "Tschuldigung." Den Kopf gesenkt, will ich einfach nur noch zurück zu meinem Schiff. Hinter den Ständen huscht ein junger Mann mit roten, zerzausten Haaren um die Ecke. Kinder spielen mit streunenden Katzen und Möwen picken das auf, das auf den Boden fällt. Ich bin froh, als ich in eine Gasse einbiege und die Stille mich umfängt. Vor mir, am anderen Ende der Gasse, sehe ich noch einen roten Schimmer, bevor der Mann auch um diese Ecke verschwunden ist. 'Auf nach Hause', denke ich nur und beginne zu laufen. In keine bestimmte Richtung, wird mich schon irgendwie nach Hause führen. Vielleicht hat die Mutter schon gekocht und der kleine Bruder steht am Feuer und steckt den Finger in die heiße Brühe, als er denkt, es schaut keiner. Durch die Tür kommt die große Schwester gestürmt und ruft "bin wieder zuhause!", strubbelt dem kleinen Bruder durch die Haare und schmeißt ihre Jacke in die Ecke. "Was gibt's denn?" "Brühe", meint der kleine Bruder verlegen und seine Schwester lacht. "Schon wieder genascht!?" Der Vater betritt jetzt langsam den Raum, mit seinem freundlichen Lächeln, mahnt seine Kinder, nicht so unordentlich zu sein und hängt die Jacken an den Haken. Dann werden Teller ausgeteilt und die Brühe verteilt. Als alle sitzen, drehen sie sich zu mir um. "Kommst du?", meint die Mutter. "Das schmeckt gut, das magst du sicher!", schmatzt der kleine Bruder, der einen strengen Blick von seinem Vater kassiert. Die große Schwester lächelt nur. Ich erreiche den Wald, ohne dass ich es merke. Vielleicht, weil mich dieser ruhige, grüne Ort immer beruhigt hat. Weil es mich immer dorthin gezogen hat. Der Wald ist mein Zuhause. Ich bin dort aufgewachsen, habe dort die schönsten und schlimmsten Momente meines Lebens erlebt. Bis er mir genommen wurde. Ich lebte auf einer Kriegerinsel im Northblue, auf der sich vier Kriegerstämme seit Jahrtausenden bekriegten. Ein Stamm lebte in den Bergen in Höhlen und war Meister der Schmiedekunst. Ein anderer lebte auf dem Land, die Stammesmitglieder waren Bauern und Reiter. Der dritte Stamm hatte seine Häuser auf dem See und handelte über Schiffe auch mit anderen Inseln. Und unser Zuhause war der Wald. Wir lebten auf den höchsten Bäumen in Häusern in der Luft und waren die Meister der Baumkronen, konnten uns von einem Ast zum anderen schwingen, als wären wir leichter, als eine Feder. Durch diesen Jahrtausende dauernden Krieg, wurden wir Kinder schon sehr früh zu Kämpfern erzogen, uns wurde beigebracht, wie man mit einem Schwert umgeht, einem Bogen oder Messern, je nachdem wo unsere Talente lagen. Doch obwohl wir uns nur untereinander bekämpften, sah die Weltregierung eine Bedrohung in uns, doch durch diese Angst schaffte sie erst eine. Denn zum ersten Mal in der Geschichte unserer Insel taten sich die vier Stämme zusammen, um gegen die Marine zu kämpfen. Der Kampf dauerte Jahre. Immer wieder verließen Krieger unseres Stammes die Insel und es kehrten weniger zurück, als gegangen waren. Erschreckend wenige. Ich war noch klein, vielleicht sieben Jahre alt, deswegen verstand ich nicht wirklich, was da eigentlich passierte, aber ich verstand, dass die, die gingen, in unglaublicher Gefahr waren. Der Grund wieso ich nie wollte, dass meine Familie ging. Mein Bruder war neun Jahre älter als ich und somit schon ein ausgewachsener Krieger, und auch meine Eltern mussten beide immer wieder gehen. Während der Zeit blieb ich zuhause und sperrte unsere Tür ab, als wollte ich unser Baumhaus gegen die Feinde verteidigen, gegen die meine Familie kämpfte. Von einer dieser Kämpfe kehrte nur ein Krieger zurück. Auch er starb kurze Zeit später an seinen Verletzungen. Aber seine Worte ließen keine Zweifel zu. Alle anderen, die ihn begleitet hatten, waren tot. Die Hälfte der Insel war ausgelöscht. Meine Familie war bei diesem Kampf gewesen. Ich glaubte ihnen kein Wort. Versteckte mich tagelang im Wald und begann, alle um mich herum zu hassen. ---- zwölf Jahre zuvor ---- "Jayce?" Der Felsen ist kalt. Keine Sonne mehr, die ihn erwärmen könnte. Er bereitet sich auf die lange Nacht vor, versucht jeden Gedanken an die Wärme zu vertreiben, um sich bloß nicht danach zu sehnen. Es ist einsam in der Dunkelheit. Die Bäume schlafen- alles schläft. Durch diese Zeit muss er alleine gehen. Ich starre auf das weite Meer hinaus und versuche, auch zu vergessen. Ich weiß, ich kann es nicht. Werde es nie können. Ich möchte etwas erschlagen, Schmerzen bereiten. Ich will alle dazu zu bringen, mich zu hassen. Weil ich sie hasse. "Jayce, hier ist es doch viel zu kalt, willst du nicht nach Hause kommen?" Ja hier ist es kalt. Egal wohin ich gehe, die Kälte ist überall. Zuhause. Was bedeutet zuhause? Ein leeres Haus, in dem niemand auf dich wartet? Die Kälte hier ist zu ertragen. Ich weiß nicht, ob ich sie dort aushalten könnte. "Jayce..." Ich will hier weg. Irgendwohin, wo sie mich alle einfach in Ruhe lassen. Aufs Meer. Von wo meine Familie nicht mehr zurückgekehrt ist. Da, wo die Freiheit ist. --------------------- Nur meine beste Freundin Minako und ihre Familie retteten mir das Leben. Sie kümmerten sich um mich und nahmen mich auf, als würde ich eine von ihnen sein. Ich habe mich nie wirklich gefühlt, als würde ich dazu gehören. Aber dankbar bin ich ihnen trotzdem. Ich war 14, als die Marine schließlich auf unsere Insel kam. Wir wurden aus unseren Häusern geholt und in Höhlen gebracht, wo wir auf unsere Eltern warten sollten. Aber niemand kam. Stundenlang hörten wir nur Schreie und Schüsse aber nichts, das auf Rettung hoffen ließ. Und schließlich kamen sie dann doch. Fremde Männer in weißen Uniformen, voller Blut und Wahnsinn. Die Männer, die meine Familie umgebracht hatten. Keine Spur von unseren Leuten. Wir versuchten zu fliehen, aber die Soldaten holten die meisten von uns ein; Kranke, Alte, Kinder. Sie metzelten alles nieder, zündeten Felder und Bäume an, töteten jeden kleinen Vogel an den Klippen, ertränkten selbst die Fische. Als sie uns zu den Höhlen brachten, zeigten uns die Eltern einen zweiten Ausgang, falls es gar keinen Ausweg mehr geben sollte. Dorthin flohen alle, die es schafften, den Soldaten zu entkommen. Ein Boot wartete auf uns. Während die anderen sofort darauf zustürmten, schaute ich mich nach Minako um. Ohne sie ging ich nirgendwo hin. Das war mir sofort klar. Sie war nicht da. Ich sagte den anderen, sie sollten fahren und rannte in die Höhle, um sie dort zu suchen. Doch auch in dem Gang, durch den wir geflohen waren, war sie nicht. In der Höhle musste ich umkehren, wenn ich nicht auch abgeschlachtet werden wollte, und so lief ich verzweifelt wieder zum Strand zurück, an dem kein Boot mehr war. Ich hatte ihnen gesagt, sie sollten fahren und sie hatten auf mich gehört. Hinter mir hörte ich die Stimmen der Soldaten immer näher kommen. Ich war kein schlechter Schwimmer, hatte aber kaum Ausdauer. Wie lange würde ich durchhalten? Ein paar Sekunden später sprang ich ins Wasser, in der Hoffnung, es irgendwie zu überleben. Alles war besser, als mich diesen Soldaten auszuliefern. Wenn ich nur stark genug wäre, mich zu wehren! Als ich das Gefühl hatte, keinen einzigen Zug mehr tun zu können, erleuchtete plötzlich ein großer roter Blitz den Himmel. Das Rettungsschiff war explodiert. Alle Überlebenden meiner Insel waren vernichtet. Das war der Moment, in dem mir die Tränen kamen. Ein Krachen holt mich abrupt aus meinen Gedanken. Bevor ich denken kann, wehre ich auch schon die Schwerter ab, die auf mich niederprasseln. Meine Füße hinterlassen eine Furche im Boden, als mich der Stoß zurückschiebt. Vor mir ein grimmiges Gesicht umrahmt von roten Haaren. Wieso, verdammt!? "Hey! Was soll das!?" "Du bist immer noch hier!?" Sein Gesicht spiegelt komplette Überraschung wider. Ja. Wieso bin ich noch mal hier? Und was macht der da eigentlich? "Wieso springst du mich so von der Seite an!?" "Ich dachte du wärst ein Tier!" "Sehe ich so aus?" "Nicht wirklich." Er lässt von mir ab und klopft sich den Staub von der Hose. "Also was machst du hier?" "Darf ich nicht in diesem wunderschönen Wald spazieren gehen? Du laberst doch hier von Freiheit in dem was man tut" "Jaja schon klar..." "Außerdem kann ich das dich genauso gut fragen. Wolltest du nicht die Insel angreifen? Wieso bist du jetzt immer noch da, wenn doch der Hauptmann besiegt wurde?" "Geht dich gar nichts an." "Na dann sind wir uns ja wenigstens in einem Punkt einig." Er knurrt. "Darf ich dann wieder gehen?" "Du bist doch gekommen!" Ich grinse. "Ich wollte nur sicher gehen, dass du mich nicht wieder für ein Eichhörnchen hältst, wenn ich mich jetzt umdrehe." Dann gehe ich. Ehre wiederhergestellt. Ich fühle mich schon viel besser. Am Boot angekommen, fällt mir auf, dass ich keine Vorräte gekauft habe, aber das macht mir in dem Moment wenig aus, also laufe ich nochmal in die Stadt und gönne mir nach gründlichem Aufstocken der Vorräte auch noch einen Eimer Farbe, um mein Segel noch etwas verschönern zu können, nachdem das erste konfisziert wurde. Leider gibt es kein schwarz mehr und ich muss mich mit rot begnügen, ist aber auch nicht schlimm, heute ist ja ein guter Tag! Der endet aber abrupt, als ich die Klippe umrunde, die mein Boot so gut versteckt und sehe, was sich da unten abspielt. Auf meinem Boot steht der rothaarige Schwertkämpfer, nebenberuflich Jäger unschuldiger Spaziergänger und funkelt den Marinekapitän an, der ihm gegenüber auf einem Felsen steht. Dass er einen wichtigen Posten haben muss, erkenne ich an seinem Mantel. Das erste, was ich denke, als ich den Typen sehe, ist simpel. 'Scheiße.' Danach analysiere ich ihn. Gegen den haben wir auch zusammen keine Chance. Und wieso er hier ist, ist wohl klar; Verstärkung, um die Tyrannen, die die Insel geschändet haben, zu vernichten. Ist ja immer das gleiche. Dann hört man von einem illegalen Schiff irgendwo hinter einer Klippe, das da friedlich vor sich hin dümpelt und meint, das könnte ja das Schiff der Angreifer sein! Dass das in diesem Fall auch stimmt, lassen wir mal außen vor. Der einzige, der nicht ins Bild passt, ist dieser Rothaarige Typ. Aber ich habe keine Zeit darüber nachzudenken, das ist jetzt seine Schuld. Ich muss meine Unentdecktheit nutzen, um irgendwie zum Boot zu kommen, damit ich damit so schnell wie möglich weg kann. Gut dass ich gerade einkaufen war. Und schon segele ich mit einem durchkalkulierten Salto über den Kapitän hinweg, lande elegant auf dem Schiff, gratulier im Stillen mir selbst, und lächele mein Gegenüber freundlich an. "Auf Wiedersehen!" Dann macht mein verdutzter Einbrecher etwas wirklich Überraschendes. Er sieht, dass wir keine Chance gegen diesen Typen haben und lichtet tatsächlich den Anker! Das nenn ich mal Teamarbeit. Bevor ich überhaupt realisiere, was passiert, sind wir aus der Bucht heraus und auf dem offenen Meer. Zeit zum Luft holen und ein paar längst überflüssige Fragen loswerden. "Was machst du auf meinem Schiff und wieso kannst du Gedanken lesen?" Ok, die Kombi sollte man besser nochmal überdenken. Zurück kommt ein trockenes "Tja, ich bin halt gut." Und die Sache ist erledigt. Zeit zum Segel setzten. "Hey stopp mal! Willst du mich nicht vielleicht irgendwo absetzten?" "Spinnst du!? Da sind jetzt überall richtig starke Soldaten! Vielleicht sogar von der Grandline! Ich gehe jetzt ganz sicher nicht das Risiko ein und ankere irgendwo an dieser Insel noch einmal in den nächsten 20 Jahren!" "Aber meine Sachen sind noch auf der Insel!" "Hättest du halt mitnehmen müssen! Was denkst du denn, wenn du auf ein Schiff gehst, was da passiert?" "Ich wollte doch nicht damit wegfahren!" "Ach ja!? Was wolltest du dann?" Auf einmal wird es still. "Kann dir doch egal sein." "Kann es nicht. Das ist mein Schiff. Wolltest du's vergewaltigen oder was macht man sonst noch mit Schiffen?" "Nein verdammt! Ich hab auf dich gewartet! Du warst nicht da und dann dachte ich, ich warte." Jetzt bin ich sprachlos. Was würde der denn von mir wollen? Und überhaupt... Was machen wir hier eigentlich? "Ich nehme dich bis zur nächsten Insel mit. Da kannst du dir neuen Kram kaufen." "Ich hab nicht genug Geld-" "Du hast deine Schwerter, das reicht. Oder willst du mir was anderes erzählen?" Das war's. Er lässt sich auf die Planken fallen und seufzt müde. "Ok. Aber nur bis zur nächsten Insel." "Seit wann stellt denn der Gast hier die Bedingungen? Wer sagt denn, dass du dir die Überfahrt nicht verdienen musst?" "Willst du mich verarschen!?" Und schon stehen wir wieder da und kämpfen, nicht wirklich ernsthaft, und irgendwie macht es auch Spaß, ihn zu provozieren. Ich fühle mich wohl, wenn er da ist. Akzeptiert. Angekommen. So wie seit dem Tag nicht mehr, an dem meine Familie nicht nach Hause zurückkehrte. Kapitel 3: Okami Akaya ---------------------- "Was soll das denn sein!?" Er hat das Segel entdeckt. "Das sieht man doch!" Er schaut grausam verstört. Ist es wirklich so schlimm? "Willst du mich verarschen? Das ist doch nie ein Falke!" "Mach‘s doch besser!" "Damit wärst du eh nicht zufrieden..." Da hat er auch wieder Recht. Müde streiche ich mir durchs Gesicht. Ich brauche endlich wieder Schlaf. Davon hatte ich die letzten vier Tage mal wieder viel zu wenig. Scheiß Albträume. Mit dem nächsten Satz überrascht er mich. "Du hast mir nicht gesagt, dass du ein Pirat bist!" "Pirat?" "Deine Flagge!?" "Das ist doch keine Piratenflagge!" "Du verstößt gegen tausende Gesetze, legst dich mit einer Insel voller Marinesoldaten an und hast... was auf dem Segel, das entfernte Verwandtschaft mit einem Kopf hat. Was bist du denn dann, wenn kein Pirat!?" "Ich hab da nicht so drüber nachgedacht... Mir doch egal, wie man das nennt!“ "Inkompetent...", murmelt er, als würde ich ihn nicht hören. "Das hab ich gehört!" Er verdreht die Augen. Ich schaue mir mein Segel genauer an, beziehungsweise das Stück Stoff mit den schwarzen Flecken darauf, und entscheide, dass das alles ist, aber kein Totenkopf mit zwei gekreuzten Knochen. "So sieht doch keine Piratenflagge aus!" "Ich sag doch, inkompetent." "Und ich hab gesagt, dass ich dich höre!" "Was soll‘s. Dann gib mal her." "Was?" "Na die Farbe!" "Ich hab aber nur noch rot." "Um so besser! Dieses schwarz ist eh zu langweilig." Zwei Stunden später, ich wiederhole, ganze zwei Stunden später, darf ich sein Kunstwerk dann endlich bewundern. "Und du meinst, ich kann nicht zeichnen?", ist das erste, was ich nach ein paar Minuten Schockstarre schließlich hervorbringe. "Was soll das denn bitte darstellen?" "Zwei Schwerter!?" "Das ist ein Kreuz!" "Ja, wie sehen Schwerter denn sonst bitte aus?" "Lass mich mal..." "Ey! Du verunstaltest nur das Segel!" "DU verunstaltest MEIN Segel!" Das Endresultat ist noch grausamer als vorher: Ein blutender schwarzer Fleck, und der Typ neben mir gibt mir den Rest, als er auch noch bestürzend zufrieden unser "Meisterwerk" betrachtet. "So. Jetzt erkennt man wenigstens, dass wir Piraten sind." "Sicher!?", ich bleibe skeptisch. "Wieso bestehst du eigentlich so darauf, dass das jeder weiß?" "Keine Ahnung... Ist doch nur fair, wenn die Karten offen liegen... Ich mag halt keine halben Sachen..." "Baka..." "Wer ist hier der Baka!?" Und schon wieder ist das sonst so ruhige Meer von dem Klingen unserer Schwerter erfüllt. Das nenn ich Teamgeist. Später liegen wir einfach auf dem Deck und schauen in den Himmel. Das Schiff folgt dem Wind und keiner von uns hat eine Ahnung, wohin es uns bringen wird. Vielleicht fahren wir längst in die falsche Richtung. Wir würden es nicht bemerken. Neben mir höre ich ein leises Lachen. „Was ist?“ „Jetzt sind wir schon zusammen auf einem Schiff und ich hab immer noch keine Ahnung, wie du heißt.“ Jetzt muss ich auch lachen. „Scheiße, das hab ich komplett vergessen!“ Er setzt sich auf und grinst zu mir herunter. Dann streckt er seine Hand aus und sein Grinsen wird noch breiter, fast spöttisch. „Okami Akaya. Schwertkämpfer aus dem Northblue. Und mit wem habe ich die Ehre?“ Schmunzelnd schüttele ich seine Hand und lasse mich dann von ihm hochziehen. „Najirota Jayce. Sehr erfreut.“ Ich liebe den Morgen. Wenn die Sonne noch nicht zu sehen ist und trotzdem die hellen Nebelschwaden, die ruhig auf dem Wasser liegen, orange färbt. Wenn die Farbenlose Welt langsam sichtbar wird. In dieser kühlen Luft stehe ich auf dem Deck und trainiere. Was soll ich sonst tun? Schon wieder konnte ich kaum schlafen, zu viele Gedanken und Bilder die mich wach und aufmerksam halten, als würde gleich etwas Schreckliches passieren. Was es natürlich nicht tut. Nicht hier auf offenem Meer. Aber mein Verstand kommt nicht gegen die Angst an. Gegen die Panik. Ich schaue konzentriert auf das Licht hinter der inzwischen sichtbaren Wasseroberfläche. Das Einzige, das mich dazu bringt, noch aufrecht zu stehen, ist trainieren. Darin kann ich versinken und mich für einen kurzen Moment entspannen. Natürlich nur mental, denke ich, als meine Bauchmuskeln sich noch weiter anspannen, damit meine Zehen nicht vom Mast rutschen und ich auf dem kleinen Deck lande. Andere würden es vielleicht meditieren nennen. Aber auch hier gelingt es mir nicht immer abzuschalten. Zu viele Gedanken prasseln auf mich ein. Und vor allem zu viele Erinnerungen. Ich will nicht mehr. Ich will einfach nur vergessen, keine Bilder mehr sehen, fest schlafen können, wie mein Hängemattennachbar, was man an seinem leichten Schnarchen sehr gut feststellen konnte. Auch nicht gerade eine Hilfe zum einschlafen. Es geht besser, wenn ich nicht alleine bin, heißt aber nicht, dass ich dann direkt gut schlafe. Ich brauche Ferien. Aber da ich die nie bekommen werde, hebe ich nur das andere Bein und versuche mich irgendwie zu konzentrieren. Tatsächlich komme ich nach mehreren selbsthassenden Schimpftiraden zur Ruhe und kann allmählich alles um mich herum ausblenden. Für ungefähr zwei Sekunden. "Was machst du da!?" "Aaaaah!" Ok. Jetzt bin ich vom Mast gefallen. Und es tut noch mehr weh, als ich dachte. "Kannst du nicht aufpassen!?" "Ist ja nicht so, dass ich dich runter gestoßen hätte", murmelt der muskulöse Typ mit den nun sehr verstrubbelten roten Haaren über mir. "Trotzdem musst du mich nicht so erschrecken!" "Tschuldigung, nächstes Mal klopf ich an!" Gut, das wäre dann vielleicht auch nicht die beste Idee. Resigniert ziehe ich mich hoch und streiche mir mit der Hand schon wieder übers Gesicht. Scheiße. Ich brauche Schlaf. "Was ist denn?" "Ich bin nur wach geworden und du warst nicht da. Dann hab ich dich gesucht und du standest da oben, wie als wolltest du die Sonne anbeten." "Ich hab trainiert." "Das nennst du trainieren!?" "Ja, wie trainierst du denn dein Gleichgewicht?" "Nicht so." "Ja schön. Ich aber." "Soll ich dir zeigen, wie ich trainiere?" Schon wieder dieses überlegene Grinsen. "Nee danke, ich hab sicher Besseres zu tun..." Ich will an ihm vorbeigehen, aber sein Schwert versperrt mir den Weg. "Hey! Was soll das!?" "Versuch doch vorbeizukommen!" "Das ist kindisch! Lass mich vorbei!" "Komm schon, wenn wir hier schon zusammen festsitzen, sollten wir die Zeit auch irgendwie nutzen!" "Nicht, wenn wir dadurch das halbe Schiff zerschneiden!" "Wir passen eben auf!" "Natürlich. Dann können wir‘s auch gleich sein lassen." "Man, ich habe nicht gerade oft die Gelegenheit, mit einem echten Gegner trainieren zu können!" Ich höre auf, sein Schwert wegdrücken zu wollen. Sonst ist er doch immer so darauf bedacht, dass keiner stärker scheint als er. Und dann das... "Na gut. Aber nur, wenn mein Schiff überlebt." "Das braucht doch eh keiner. Du hast das Segel doch total verunstaltet!" "Willst du mich hier provozieren?" "Und wenn?" Er grinst. Und auch meine Mundwinkel gehen langsam nach oben. „Und was hast du vor?“ Die nächsten Stunden zeigen wir uns gegenseitig unsere besten Tricks, ich helfe ihm, seine Saltos zu perfektionieren und er zeigt mir, wie ich höher springen, meine Muskeln richtig einsetzten kann. Wir machen beide Fortschritte. Fordern uns gegenseitig heraus, unterstützen uns gegenseitig, lachen gemeinsam, wenn einer von uns es wieder einmal schafft, einen Teil des Mastes im Wasser versinken zu lassen. Auch wenn wir kaum noch können, wenn wir uns am liebsten auf den Boden schmeißen und einfach schlafen wollen, geben wir beide nicht auf. Machen immer weiter. Und ich kann alles um mich vergessen. Die Gedanken. Die Bilder. Die Erinnerungen. Es ist schon längst dunkel, als wir beide zugeben, dass es einfach nicht mehr geht. Inzwischen kennen wir alle Attacken des anderen auswendig, seine Stärken und Schwächen und alles was einen in irgendeiner Weise überraschen könnte. Akaya steht mir schwer atmend gegenüber, sein Hemd schweißnass und blutverschmiert. Mir geht es nicht anders. Wir haben uns nicht schwer verletzt und das Schiff steht auch noch aber wir sind beide komplett am Ende. Ich lasse meine Schwerter sinken. "Ich kann nicht mehr", meint Akaya, der seine Waffen einfach aufs Deck pfeffert. Ich verfrachte gleich meinen Hintern auf die Holzplanken und seufze auf. Ich will einfach nur noch ins Bett. Könnte mir vorstellen, dass ich erschöpft genug bin, um sofort einzuschlafen. Warmer Stoff unter mir, einfach nur in der Hängematte versinken, die Augen schließen... Langsam sinkt mein Kopf dem Boden entgegen. Meine Lider sind schwer und noch während ich falle, schlafe ich auch schon. Ich spüre nicht mehr, wie ich am Boden ankomme. Ich bin einfach weg. In einer anderen Welt, in der es keinen Schmerz gibt. Keinen Hass. Keine Albträume. Alles einfach nur schwarz und friedlich. „Still hier.“ Ich öffne verschlafen die Augen. Über mir ist der hellblaue Himmel. Es muss ziemlich früh morgens sein. Ich habe lange geschlafen. Die Erkenntnis trifft mich wie einen Schlag. Dieser Typ schafft es, dass ich alles um mich herum vergesse und jetzt kann ich auch noch schlafen! Er ist ein Wunder. Besagter Schwertkämpfer lehnt neben mir am Mast und schaut aufs Meer hinaus. Seine Schwerter liegen neben meinen auf dem Boden. „Fast zu ruhig“, meint Akaya und seine Stimme klingt irgendwie besorgt. Er hat recht. Man hört keine Welle, keine Möwe, nicht mal ein Plätschern. Ich schaue nach oben. Unser Segel hängt schlaff in den Seilen. Kein Windstoß. Stirnrunzelnd setze ich mich auf. „Irgendwas stimmt hier nicht.“ Wir können nie im Leben schon im Calm Belt angekommen sein. Und irgendwo anders habe ich sowas noch nie erlebt. Akaya bleibt ganz ruhig sitzen, als er seinen Arm ausstreckt und nach Osten zeigt. „Ich glaub ich weiß, was.“ Und dann sehe ich es auch. Ich weiß, Ratlosigkeit ist in dem Kontext nicht angebracht, aber das einzige, was mir einfällt, spreche ich aus. „Ach du scheiße.“ „Meine Rede“, knurrt der junge Mann neben mir und als ich ihn anschaue, sehe ich keine alberne Überlegenheit mehr. Mich schauen ernste Augen an, und in dem Moment weiß ich, dass ich mich auf ihn verlassen kann. Egal was kommt. Ich nicke ihm zu und verfrachte mich dann gähnend auf meine Füße. Das Licht ist rot. Vorsichtig gehe ich auf die graue Wand vor uns zu, die sich, wenn ich mich nicht täusche, rasend schnell um sich selbst dreht. Zu nah, um irgendwie abzudrehen. Zu nah, um zu entkommen. „Dann lass uns mal überleben.“ Zuerst überprüfen wir, ob das Schiff soweit sturmtauglich ist. Akaya holt das Segel ein und bindet es so an den Mast, dass es nicht wegfliegen kann. Ich hab keine Ahnung, was wir tun sollen. Aber irgendwie weiß ich, dass wir es schaffen. Und immer weiter segeln. Dass es nie anders sein kann. Langsam erfasst der Wind unseren unstabilen Haufen Holz und trägt ihn die erste Welle hinauf. Dann kommt der Regen. Und mit ihm die Dunkelheit. Der Sturm ist sogar noch heftiger als erwartet. Wind und Wasser peitschen uns ins Gesicht, innerhalb kürzester Zeit sind wir bis auf die Knochen durchnässt. Wir rennen nur unkontrolliert von einer Ecke zur anderen und versuchen irgendwie, das Schiff am Leben zu halten. Was sich als etwas schwierig herausstellt. Wohin man auch schaut, überall sind dunkle, hohe Wellen. Der Wind wird immer stärker. Ich frage mich nur, wie unser Fischerboot diesen Sturm bitte überleben soll, als ich hinter mir ein lautes Peitschen höre und bevor ich mich auch nur umdrehen kann, trifft mich das Segel schon mit voller Wucht von hinten und ich werde über das ganze Deck geschleudert. Na das hat uns ja gerade noch gefehlt. Wer hat das nochmal festgemacht? Durch den Sturm versuche ich meinen Mitkämpfer auszumachen, der für diese Katastrophe verantwortlich ist. „Hey! Was soll das!?” Ich zeige auf das Segel. „Was soll was?“, schreit Akaya über das Heulen des Windes hinweg. Er steht hinter dem Ruder und versucht verzweifelt, es gerade zu halten. „Wer hat denn das Segel gesichert?“ "Ich habe es so fest gezogen wie es ging! Ich kann doch nichts dafür, wenn diese beschissenen Taue spröde werden und den ganzen Scheiß nicht mehr zusammen halten!“ Ich kann die Anspannung in seiner Stimme hören. Gerade will ich ihm noch einen Kommentar entgegen brüllen, als das Schiff plötzlich von einer Welle erfasst wird und mich freundlicherweise gleich mitnimmt. Ich rutsche auf dem nassen Deck aus und bekomme im letzten Moment noch die Reling zu fassen, aber ich merke. wie sich meine Finger immer weiter lösen und ich dem dunklen Wasser immer näher komme. Die Wellen schlagen gegen meine Beine wie hungrige Hunde, die mich zurückreißen wollen. Dann verliere ich den Halt. ‚Hoffentlich erfrier ich nicht‘, ist mein letzter Gedanke, als etwas meine Hand packt und meinen Fall stoppt. Akayas Finger haben mich im letzten Moment zu fassen bekommen. „Ich hab dich!“, schreit mein Retter und zieht mich wieder ans Deck. Wir brechen keuchend und hustend auf dem Boden zusammen und versuchen unseren Atem wieder unter Kontrolle zu bekommen. „Bist du verletzt?“ Ich hebe den Kopf und sehe Akayas erschöpften Blick, der mich stirnrunzelnd mustert. Das Wasser rinnt sein Gesicht herunter und ich kann sehen, wie seine Arme vor Anspannung zittern. Er sieht unglaublich müde aus. "Nein, geht schon." In diesem Moment kommt alles wieder hoch. Ich bin schwach. Nichts kann ich machen, ohne dass mich jemand rettet. Immer wieder müssen Menschen wegen mir sterben. Ich wollte doch stärker werden! Aber stattdessen bringe ich einen komplett Fremden in Gefahr. Ich sollte einfach sterben gehen. Aber das einzige, was meine schwachen Beine hinbekommen, ist restlos unter mir zusammenzubrechen, als ich versuche, wenigstens aufzustehen. Was, wenn jetzt eine Welle kommt und unser Boot unter Wasser reißt? Wenn es unter der Wucht des Stoßes zerbricht und wir immer tiefer fallen, keine Kraft mehr, um irgendetwas dagegen zu tun? Im Moment wäre mir das ziemlich egal. Vielleicht wäre es genau das, was ich jetzt bräuchte. Einen langsamen und qualvollen Tod, das Licht, das immer kleiner wird vor Augen. Etwas, das ich verdient hätte. Meine Schulter macht wieder Bekanntschaft mit den Planken und ich gebe auf. Ich kann nicht mehr. Kann man ein größeres Häufchen Elend abgeben, als ich gerade? Frustriert drehe ich mich auf den Rücken. Ich will einfach nur noch hier weg und sterben. Weg von diesem Menschen, der meine Schwäche sehen kann. Ich will nicht, dass er sie sieht. Ich will, dass er denkt ich bin stark. Stärker als er. Aber das war‘s dann wohl. Ich starre in die Wolken. Sie sehen grausam aus, dunkel und mächtig. Sie schicken uns ihre kleinen, scharfen Pfeile hinunter und lachen uns aus, wenn uns einer trifft. So wollte ich einmal sein. Dunkel und mächtig. Grausam und rächend. Wer will ich jetzt sein? Ich will niemanden umbringen, der es nicht verdient hat. Töten ist eine notwendige Maßnahme, kein Zeitvertreib für zwischendurch, wie mein Meister immer gesagt hat. Ich weiß nicht, was ich will. Ich hasse diese Welt, sie ist grausam und voller Hass. Aber sollte es nicht auch da Menschen geben, die denken wie ich? Die ein Ziel oder einen Traum haben, die noch lachen können, obwohl sie die grausamsten Dinge in ihrem Leben erlebt haben? Ich wünsche mir schon so lange, solche Menschen zu treffen, und mit ihnen gemeinsam unseren Weg zu gehen. Akaya ist einer dieser Menschen. Er ist stark. Aber sein Leben war mit Sicherheit nicht perfekt. Ich kann den Frust in seinen Augen sehen. Den Schmerz. Er verschwindet nie ganz. Und gerade ist er unerträglich. Dieser Blick durchbohrt mich, als wolle er zu Gedanken in mir vordringen, die ich niemandem zeige. Das wäre viel. Aber auch Akaya wendet seinen Blick irgendwann seufzend ab und er lässt sich gegen den Mast fallen. Seine Augen fallen zu und sein Kopf zurück, den Regentropfen entgegen, die unbarmherzig auf uns herunter prasseln. Wir merken erst viel später, dass die Wellen immer kleiner werden und nur noch der Regen seine grausamen Tropfen auf uns hinunter schickt. Wären wir immer noch im Sturm, wir wären wahrscheinlich ertrunken. Aber wir haben Glück. Und so liegen wir nebeneinander, kaum in der Lage, unsere Arme zu heben, und lassen unser Boot einen Weg aus den nicht enden wollenden Wellen finden. Dass der Sturm aufgehört hat, merke ich erst, als es leiser wird. Der Regen wird immer leichter und unser Boot hört auf zu schwanken. Erst als die Sonne durch die dunklen Wolken bricht, kann ich meine Augen schließen und mich endlich entspannen. Wir haben es tatsächlich überlebt. Akaya hält seine Augen immer noch geschlossen. Er sieht aus, wie ein verlorener Schiffbrüchiger, der seit Tagen nichts gegessen hat. Aber er ist ein Schiffbrüchiger, der mich gerettet hat. Und das einzige was ich für ihn übrig hatte waren ein genervter Blick und ein paar geknurrte Worte. Ich hasse es, mich bei anderen zu bedanken, das ist wie als würde man vor dem anderen zugeben, dass man schwach ist. Aber ich kann das auch schlecht so stehen lassen! Also lehne ich mich gegen die Reling und beobachte eine Weile, wie sich die Regentropfen in seinen Haaren verfangen und an ihnen entlang schließlich zu Boden tropfen. Ich habe Angst, dass er die Augen öffnet und mich wieder so ansieht. Als würde irgendetwas fehlen. Mein Blick findet seine Lider und auf einmal ist alles ganz einfach. "Danke." Es klingt leise, aber bestimmt. Und zu meiner Erleichterung dankbar. Von meinem Gegenüber kommen lediglich ein Brummen und ein fast unscheinbares Schulterzucken. Dann muss er grinsen. Und ich kann nicht anders, als belustigt den Kopf zu schütteln. Wir sind schon echt kompliziert. Kapitel 4: Der Weg ------------------ - Akayas point of view- „Hey! Würdest du endlich mal deinen faulen Arsch bewegen und mir helfen? Oder willst du den Rest des Weges zur nächsten Insel schwimmen?“ Ich werde von einem kräftigen Tritt in die Seite aus meinem Schlaf, wenn man das so nennen kann, geholt. Sofort sinkt meine Laune auf ihren Tiefpunkt. Ich setze mich auf und rolle meine Schultern und meinen Nacken in dem Versuch meine verspannten Muskeln etwas zu lockern. Das laute Knacken lässt mich leicht zusammenzucken; zwei Stunden Schlaf auf einem nassen Deck nach einer anstrengenden Nacht zollen ihren Tribut. „Ich war die ganze Nacht auf, um zu verhindern, dass dieses schwimmende Stück Schrott, das du Schiff nennst nicht sinkt, und wir mit ihm! Also krieg dich wieder ein! Auf der nächsten Insel bin ich eh weg, dann kannst du wieder dein eigenes Ding machen.“ Wiederwillig stehe ich auf, strecke meine Arme über den Kopf und gehe zu dem Mast des kleinen Schiffes. Das Segel ist an einer Seite etwas eingerissen, und an manchen Stellen haben sich die Taue gelöst und schwingen nun leicht hin und her in der leichten Brise, die uns langsam aber stetig zur nächsten Insel bringt. Hinter mir höre ich immer noch das Gefluche von Jayce, begleitet von dem rhythmischen Schaben eines alten Eimers über das Deck. Zu dem kaputten Segel kommen mehrere Lecke am Bug und die zerstörte Inneneinrichtung, bestehend aus einer Kühltruhe die als Kühlschrank fungiert, Stühle die durch den Raum geschmissen wurden, ebenso wie der kleine Holztisch und das bisschen Geschirr was Jayce besitzt. Und deswegen müssen wir jetzt arbeiten, anstatt einfach zu warten bis wir die nächste Insel erreichen. „Planst du den ganzen Tag da rumzustehen oder willst du dich zur Abwechslung auch mal nützlich machen?“, höre ich erneut die Stimme, die mich die ganze Nacht angeschrien hat, was ich zu tun und zu lassen hab. Ich unterdrücke ein Knurren, schnappe mir einen weiteren Eimer und beginne das Wasser, das sich mit der Zeit am Bug gesammelt hat, wieder zurück ins Meer zu schaufeln. So verbringen wir die restliche Stunde in angenehmer Stille. Die einzigen Geräusche die zu hören sind, sind das stetige Schaben von Metall über Holz und das angestrengte Schnaufen, jeder seiner eigenen Arbeit zugewandt, bis schließlich eine Insel in Sicht kommt. Wir änderten den Kurs leicht, und keine weitere Stunde später konnten wir anlegen. Ich lasse den Anker runter und springe vom Boot, froh, endlich an Land zu sein und sich die Beine vertreten zu können. Ich drehe mich zu Jayce um, die gerade damit beschäftigt ist, das Tau festzuziehen. Um ehrlich zu sein, ich weiß nicht genau, was ich als nächstes machen soll. Endlich nicht mehr alleine zu essen, zu reisen, zu kämpfen; es war wirklich eine willkommene Abwechslung zu meinem bisherigen Leben. Alleine kämpfen um mein Ziel zu erreichen. Alleine reisen um weiter zu kommen. Alleine Leben um zu überleben. Ich weiß nicht was es war, aber irgendetwas hielt mich davon ab mich erneut von allem und jedem abzuwenden, erneut zu dem einsamen schwarzen Panther zu werden, der ich geworden zu sein schien. Mein Blick schweift zu meinem rechten Handgelenk und bleibt an dem mehrmals darum gewickelten Lederband hängen, das einst die Kette meiner Schwester war. Ich schüttele meinen Kopf und schiebe diese Gedanken beiseite. Ich habe mir geschworen, Rache zu nehmen, und diesen Weg muss ich alleine gehen. „So, das wär‘s fürs Erste. Haust du direkt ab und verschwindest wieder oder kann ich noch auf deine Hilfe bei der Reparatur zählen?“ Jayce sieht mich mit einem abschätzenden Blick an. Die Gedanken von eben versuchen sich erneut in mein Bewusstsein zu drängen, aber ich ignoriere sie. Stattdessen zucke ich mit den Schultern und schiebe meine Hände in die Taschen meiner Hose. „Ich kann dir noch helfen wenn du meinst, du brauchst Hilfe. Wenn ich dich aber nur nerve dann verpiss ich mich.“ Ich kann sehen, wie sich ihre Schultern anspannen und muss ein Grinsen unterdrücken. Es macht wirklich zu viel Spaß, sie zu verärgern. „Nur damit du es weißt, du arrogantes Arschloch: ich kann auch sehr gut allein mein Schiff reparieren. Aber weil dieses beschissene Segel wegen dir den Geist aufgegeben hat, ist es mehr als angebracht, dass auch du mal etwas Nützliches dazu beiträgst! Wer von uns hat es denn nicht fest genug gesichert, dass es jetzt ersetzt werden muss?!“ Ich grinse, drehe mich um und gehe in Richtung Dorf, wo sich bestimmt ein Laden auffinden lässt, der die benötigten Materialien hat. „Ist ja gut. Ich helfe dir diesen Schrott vorm sinken zu bewahren. Nachher musst du noch zur nächsten Insel schwimmen“, rufe ich ihr über meine Schulter zu ohne mich nochmal umzudrehen. Als ich Fluchen und kurz darauf das wütende Stampfen von Stiefeln auf dem Kopfsteinpflaster höre, kann ich nicht anders, als zu lachen. -Jayces point of view- Fluchend renne ich hinter dem Idioten her, der sich auf einmal entschlossen hat, dass seine Hilfe nicht schnell genug kommen kann. Kann der sich bitte mal entscheiden? Erst als wir die ersten Häuser erreichen, hole ich ihn wieder ein. Die Fassaden sehen aus, als würden sie jede Sekunde zusammenstürzen. Ähnlich die Bewohner. Ein Wunder, dass von denen der Schmutz nicht abbröckelt. Auch eine Art, sich zu schützen. Akaya hat den Blick immer noch starr nach vorne gerichtet, als versuchte er, mich zu ignorieren. Die Seitenblicke, die über die eingestürzten Dächer streifen, verraten ihn aber. Nach einer gefühlten Ewigkeit sieht er mich dann endlich an. "Wo willst du hin?" "Wir brauchen Holz." "Und wo ist das?" "Woher sollte ich das wissen? Sehe ich aus, als wäre ich von hier?" Ein arrogantes Grinsen."Ein bisschen, ja." "Du kannst mich mal." Er lacht leise. Ich will eigentlich noch einen bissigen Kommentar hinterherwerfen, aber dann sehe ich den Laden hinter ihm. "Schiffsreparatur" ist in grün auf das Holzschild gepinselt und ich greife wortlos seinen Arm und ziehe ihn in die entgegensetzte Richtung. "Wenn du deine Energie etwas weniger auf beleidigen und mehr auf deine Umwelt konzentrieren würdest, hättest du es wesentlich leichter im Leben." Und der will Schwertkampf beherrschen? Angesprochener knurrt nur. Ausnahmsweise gebe ich mal den Ton an. Berauschendes Gefühl. Der Laden ist dunkel und wird nur durch eine gedimmte Öllampe erhellt. Am Tresen steht eine kleine Frau in einem Kleid, das aussieht, als wäre es vor Jahrhunderten selbstgefilzt. Was ist mit dieser Insel los? "Was kann ich für Euch tun?" Die Stimme klingt kratzig. "Wir bräuchten Material, um unser Schiff zu reparieren" "Schiff!?" Akayas Kommentar wird geflissentlich überhört. "Haben sie einfache Bretter oder sowas? In... der Größe ungefähr..." Sofort beginnt die kleine Verkäuferin in ihren Kisten herumzuwühlen. "Ist das Euren Vorstellungen entsprechend?" Ich schaue mir das Holz genauer an. Alles, was ich in der Dunkelheit ausmachen kann, sieht nicht schlecht aus. "Ja danke, das nehm ich. Vier Bretter sollten reichen." Ein kleines Lächeln, dann halte ich schon vier Holzplanken im Arm. "Das macht dann 15 Berry" "Ausbeuter." Ich hole mein Geld aus dem Beutel und gebe es ihr lächelnd. "Ok, danke. Dann nen schönen Tag noch!" Der finstere Blick wird hinter mir her geschleift, dann sind wir wieder im Freien. "Wieso..." "Du nervst!", unterbreche ich ihn und laufe wieder in Richtung Hafen. Je schneller wir das hinter uns gebracht haben, desto besser. "Hey!" Schritte von hinten. "Was ist denn los?" "Du nervst, das ist alles. Und jetzt beeil dich, ich will nicht ewig hier bleiben!" Seine Augen verengen sich, aber er sagt nichts mehr. Nicht, dass er wirklich etwas getan hätte, aber diese Kommentare... Was ist an dem eigentlich so besonders? Er ist ein ganz normales arrogantes Arschloch. Und er nervt. Mehr nicht. Und auf einmal merke ich, dass diese ganze Wut auf ihn eigentlich auf mich ist. Ich verstehe mich selber nicht mehr. Ich will unabhängig sein, frei, mich nie mehr an Menschen binden, aber dauernd stelle ich mir vor, wie es wäre, wenn wir immer so zusammen reisen würden. Wenn wir wirklich ein Team wären. Aber das ist Schwachsinn. Wir würden uns irgendwann gegenseitig umbringen. Ich bin hier um Minako zu finden. Nicht, um mich mit irgendwelchen Möchtegernkämpfern zusammenzuschließen. Die kleinen Bretter reichen mehr als genug, um "den Schrotthaufen", wie Akaya mein Schiff respektvoll nennt, zufriedenstellend zu flicken. Für die ersten fünf Minuten hält er die Klappe, aber dann geht der ganze Schwachsinn wieder von vorne los. Nein. Ich will wirklich nicht mit Jemandem auf einem Schiff leben, der seine unnötigen Kommentare nicht für sich behalten und mit dem man sich nicht mehr als zwei Sekunden normal unterhalten kann. Es würde mich wahnsinnig machen! Ich bin nun mal ein Einzelgänger. Besser, wenn das auch so bleibt. -Akayas point of view- „Den Rest schaff ich allein. Du musst mir nicht weiter helfen.“ Zwei Stunden und viele Argumentationen später sieht das Stück Holz wieder einigermaßen nach einem Boot aus. „Ok. Dann verschwinde ich jetzt. War … eh … nett, mit dir, glaub ich.“ Ich springe vom Boot runter auf den Pier und drehe mich noch einmal zu meiner kurzzeitigen Gefährtin um. Sie stellt sich an den Bug und sieht auf mich herunter. Ich kann nicht anders, als erneut zu grinsen. Plötzlich sieht sie wesentlich bedrohlicher aus als eben, als wir beide noch den neuen Mast hochgezogen haben. Wenn man sie noch dazu kämpfen sieht, könnte man sie fast für den Captain einer Piratencrew halten. „Vielleicht sieht man sich ja nochmal irgendwo. Aber glaub nicht das ich es dir bei einem Kampf leicht machen werde, nur weil wir eine Zeit zusammen gesegelt sind.“ „Als ob du mich besiegen könntest!“, werfe ich ihr über meine Schulter zu, während ich mich umdrehe und langsam davon gehe. Dann wende ich ihr endgültig den Rücken zu und laufe in Richtung Stadt. Seit einiger Zeit sitze ich nun schon in dieser kleinen, schäbigen Bar, das Nächste was ich finden konnte wo ich meine Ruhe habe. Ich setzte mein schon drittes halbleeres Bier an meinen Mund und lasse die kalte bittere Flüssigkeit meine Kehle runter laufen. Mit einem zufriedenen Seufzer stelle ich den Krug auf der Holztheke ab, und genieße das angenehme Gefühl, das sich langsam in mir ausbreitet. Doch anders als mein Körper will mein Kopf nicht abschalten und sich dem betäubenden Gefühl des Alkohols hingeben. Ich kann nicht anders, als an den Kampf gegen die Marines zurückzudenken. An die Art wie Jayce gekämpft hat. Mein erster Gedanke war, dass sie meinen Kampfstil kopiert hat, bewusst oder unbewusst war mir egal, aber bei genauerer Betrachtung sah man die Unterschiede. Von außen mögen unsere Techniken fast identisch aussehen, beide Meister des Nitoryu, aber das geprüfte Auge sieht schnell, dass die Feinheiten, die unsere Attacken so stark und effektiv machen, doch aus ganz verschiedenen Arten des Trainings stammen. Was bei mir die Kraft eines Angriffes ausmacht, ist bei Jayce ihre Geschwindigkeit. Was ich an Wendigkeit besitze, hat Jayce schon in ihrer Statur und somit in ihren geschickten Bewegungsabläufen. Ich frage mich bei welchem Meister sie gelernt hat, als mir auffällt, dass ich noch nicht einmal weiß woher sie eigentlich kommt. Plötzlich werde ich grob von rechts zur Seite gestoßen und ich kann mich gerade noch an der Theke abstützen um nicht vom Barhocker zu fallen. „Hey, du! Hast du nicht gehört?!“ Ich drehe mich nach rechts, und bin plötzlich Auge in Auge mit einem glatzköpfigen Typen. Ich mustere ihn mit einem finsteren Blick, meine Gedanken bereits vergessen. Er ist ein Stück größer als ich, um einiges breiter, und hat eine hässliche Narbe die von seinem Kinn bis über den linken Kiefer bis unter sein Ohr verläuft. Sofort bemerke ich den Säbel, der an seiner linken Hüfte befestigt war, und meine rechte Hand zuckt bedrohlich. „Verschwinde“, sage ich, und wende mich wieder der Theke und meinem Bier zu, beobachte den Kerl und seine Mitläufer jedoch aus den Augenwinkeln. „Willst du mich verarschen?!“ Mit diesen Worten weht ein ekliger Gestank zu mir herüber, und ich bin gezwungen meine Aufmerksamkeit wieder dem Typen zuzuwenden, schaue ihn jedoch nicht an. „Spreche ich undeutlich? Du sollst mich in Ruhe lassen“, knurre ich genervt. Gibt es keinen Ort an dem ich mal keiner nervt? Ich will gerade erneut nach meinem Bier greifen, als eine fleischige vernarbte Hand es mit Wucht von der Theke stößt. Der Krug samt Inhalt wird erst gegen meine Brust geschleudert, bevor er neben mir auf dem Boden aufprallt. Das dicke Glas zerspringt sofort in tausende Scherben, und die goldbraune Flüssigkeit läuft über den staubigen Boden und durch die Ritzen im Holz. Plötzlich ist es ganz still um uns herum geworden, die ganze Bar hält vor Schock den Atem an. Ich halte meinen Kopf gesenkt und höre nur das Tropfen des Bieres, das aus meinen durchnässten Klamotten auf den Boden tropft, und das bellende Lachen meines Gegenübers, unterstützt von den anderen drei Männern die hinter ihm stehen. Ohne auch nur das kleinste Muskelzucken drehe ich mich blitzschnell um und schlage dem Typen mit meiner geballten Faust mitten in sein rundes Gesicht. Ich erwische ihn direkt zwischen seinen kleinen Augen und der Schwung hinter meinem Schlag wirft ihn leicht zurück. Er taumelt, völlig überrascht von solch einem Hieb, und stößt einen erschrockenen Schmerzensschrei aus, als er gegen seine Leute stößt. Diese versuchen noch verzweifelt ihren Anführer aufrecht zu halten, schaffen es jedoch nicht auf Grund seines Gewichts und der Wucht des Zusammenpralls. Ich kann erschrockenes Keuchen von anderen Gästen hören, schenke ihnen jedoch keine Beachtung. Mein Gegner, welcher sich mittlerweile von seinem Schock erholt hat, steht schnell wieder auf und schnauzt seine Männer an die unbeholfen versuchen ihm dabei zu helfen. Ich muss ein Grinsen unterdrücken. Das Gesicht des Mannes läuft rot an, und ich kann anhand seiner pulsierenden Schläfe seinen rasenden Puls erkennen. „Das wirst du bereuen, du Arsch“, zischt der Kerl und knackt mit seinem Nacken. Ich erwidere nichts, sondern stelle mich ihm gegenüber, bereit einen kommenden Angriff entgegen zu nehmen. Mit der steigenden Spannung im Raum merke auch ich wie mein Puls sich beschleunigt und das Adrenalin durch meine Adern gepumpt wird. Leider bemerke ich dabei auch den Alkohol. Scheiße, denke ich. Ich hab einfach zu lange nichts mehr getrunken. Bevor ich auch nur einen weiteren Gedanken an meine Unvorsichtigkeit verschwenden kann, sehe ich, wie mein Angreifer Luft holt und mit einem kehligen Schrei auf mich zustürzt. Vorgewarnt durch das offensichtliche Andeuten des Angriffes ducke ich mich unter seiner Faust hinweg und kontere mit einem gezielten Ellbogen in seinen Solarplexus. Ich höre ein Aufkeuchen, und noch bevor er reagieren kann trete ich ihm in die Kniekehle, rolle mich seitlich weg um nicht unter ihm zu landen und verharre in gehockter Position, meinem Gegner zugewandt. Dieser konnte, anders als erwartet, sich trotz des Kicks halbwegs aufrecht halten und ist somit schnell wieder auf den Beinen, immer noch tief Luft holend und angepisster als zuvor. Noch so eine Angriffsmöglichkeit wird er mir nicht mehr bieten. Ich mustere ihn weiter aus meiner gehockten Position, Puls und Atmung ruhig und kontrolliert, und halte Ausschau nach der nächsten Vorwarnung eines Schlages. Plötzlich grinst der Kerl, seine gelben Zähne fast leuchtend in der dunklen Bar, und ich runzele irritiert die Stirn. Noch bevor ich auch nur eine Frage in meinem Kopf formulieren kann, spüre ich eine bedrohliche Präsenz neben mir, und das letzte was ich sehe ist ein Knie das auf mein Gesicht zurast. Als der Schmerz in meiner Nase förmlich explodiert verschwimmt meine Sicht und alles wird schwarz. Ich weiß nicht wie viel Zeit vergangen ist, als sich die Schwärze vor meinen Augen langsam in unscharfe Bilder entwickelt. Aber das Bild bleibt nicht das Gleiche, und es ist schwer sich auf einen Punkt zu konzentrieren um wieder klar sehen zu können. Ich schüttele benommen meinen Kopf in einem Versuch meine Gedanken zu klären, als ich bemerke das ich getragen werde. Oder besser gesagt, halb über den Boden geschliffen werde. Ich starre auf das vorbeiziehende Kopfsteinpflaster vor meinen Augen. Ich spüre wie ich von zwei Männern halb getragen werde, meine Arme sind nach rechts und links hochgezogen, die Gelenke in meinen Schultern sind angespannt von meinem Gewicht, und meine Füße streifen über den unebenen grauen Boden, ab und zu begleitet von einem meiner Knie das hart auf die Steine aufschlägt wenn einer der Männer mich tiefer sacken lässt. Ich kann noch weitere Schritte hinter und vor uns hören. Also bin ich nicht alleine mit den zwei Schwächlingen, und eine Flucht würde schwerer werden. Wenigstens habe ich noch meine- …! Mein Kopf schnellt in die Höhe und erschreckt meine beiden Träger. Ich beachte sie jedoch gar nicht, sondern schaue an meiner linken Seite runter um mit Erleichterung festzustellen, dass meine beiden Katana noch fest an ihrem Platz sitzen. Diese Idioten, denke ich. Wenn man schon so feige ist und einen Schwertkämpfer unfair ausknocken muss, dann nimmt man wenigstens sofort seine Waffen an sich. Während meiner Inspektion haben die beiden Typen wohl Alarm geschlagen, denn als ich meine Kopf erneut hebe und meine Beine mit festem Stand unter mir aufstelle um endlich wieder Kontrolle über meinen Körper zu haben, blicke ich auch schon dem Arsch aus der Bar in sein grinsendes Gesicht. Ich kann mein eigenes Grinsen nicht unterdrücken als ich den Bluterguss sehe der sich um sein linkes Auge formt. Er hat sogar eine beachtliche Größe; er nimmt nicht nur die Region um sein Auge ein, sondern verläuft auch noch über seinen Wangenknochen bis zum strähnigen Haaransatz. Das Gesicht meines Peinigers verdunkelt sich sofort als er bemerkt worüber ich grinse. „Wenn du mich einfach gehen lässt müssen deine kleinen Mitläufer und du nicht noch mehr leiden. Gegen ein kleines Training hätte ich aber auch nichts einzuwenden“, sage ich ihm mit selbstbewusster Gelassenheit. Erstaunlicherweise hat es nicht den gewünschten Effekt auf ihn den ich erhofft hatte. An Stelle eines Wutausbruchs oder wenigstens eines Schlages scheint der Typ mir gegenüber sich zu entspannen, und das ekelige Grinsen kehrt auf sein Gesicht zurück. „Mach dir mal um uns keine Sorgen“, antwortet er, woraufhin seine Männer anfangen zu lachen. „An deiner Stelle würde ich mir mal Sorgen um meinen eigenen Arsch machen.“ Mit hochgezogenem Kinn tritt er aus meinem Sichtfeld und ich lasse meinen Blick über die sich mir bietende Szene schweifen. -Jayces point of view- Auf einmal ist es unglaublich still. Ich kann das Wasser hören, das leicht an meinen Bug schwappt und sogar den Wind, der durch mein zerrissenes Segel streicht. Noch nie war Stille so befreiend. Ich muss nochmal los, um etwas zum Flicken zu holen. Mein Schiff wird richtig befestigt, dann springe ich auf den Steg, wie Akaya ein paar Minuten vor mir. Der Wind ist kalt. Je schneller ich hier weg bin, desto schneller werde ich Minako wieder sehen. An diesem Gedanken klammere ich mich fest. Das ist mein Ziel. Das ist das, was ich tun muss. Und nicht irgendwelche wildfremden Arschlöcher auf meinem Schiff herumkutschieren. Wie konnte ich das vergessen? Der Stoffladen ist am anderen Ende des Dorfes. Überall begegne ich diesen komischen Menschen, die meisten sind Männer, überall Waffen und dreckige Klamotten. Es scheint auch niemanden sonst auf dieser Insel zu geben. Wirken fast wie Banditen, die nach dem ganzen Reisen von einer Insel zur anderen beschlossen haben, sesshaft zu werden. Aber das wäre Schwachsinn. Zwei dieser Typen überzeugen mich vom Gegenteil. Kurz bevor ich an dem Laden ankomme, stellen sie sich mir auf einmal in den Weg. "Ah, da haben wir sie ja!" "Wen?", frage ich äußerst geistreich. "Du gehörst doch zu dem rothaarigen Versager, der dem Boss Ärger gemacht hat!" Was hat dieser inkompetente Idiot jetzt schon wieder angestellt? "Nein, gehöre ich nicht." "Hahaha das glaubst du doch selber nicht!" "Wir haben dich zusammen mit ihm gesehen!" Der größere der Beiden kommt immer näher. "Was auch immer er angestellt hat, ich trage keine Verantwortung dafür. Ich hab nichts mehr mit ihm zu tun, also auch nicht mit dem Scheiß, den er macht." "Das kannst du alles in Ruhe dem Boss erzählen." Schon wieder dieser Boss. Dieser dreckige Haufen hat ernsthaft einen Anführer? Ich weiß, dass ich mich nicht wehren sollte, wenn ich weiterkommen will ohne aufzufallen, aber sich von zwei beschränkten Dreckbegossenen mitschleifen zu lassen erweist sich als grausam schwierig. Ich darf echt keinen Finger rühren, wenn ich die Marine wirklich überraschen will. Unser kleiner Trip endet an einem geräumigen Platz, auf dem sich hunderte dieser Gestalten versammelt haben. In der Mitte ist ein kleines Podium aufgebaut, auf dem ein Mann mit Glatze steht und über die Menge hinweg brüllt. Wenn das ihr "Boss" ist, dann gehe ich mich offiziell vergraben. Hinter ihm lehnt an der Säule eines der Häuser ein großgewachsener Mann halb im Schatten. 'Das ist dann wahrscheinlich sein Bodyguard' Es ist wirklich schwer, meine neuen Feinde ernst zu nehmen. Ich korrigiere. Unsere. Vor dem Podium in der Mitte des Platzes hockt ein gewisser rothaariger Dummkopf, der von zwei Sumoringern am Boden gehalten wird. Und ich dachte, ich sehe ihn nie wieder. Schon traurig, dass ich jetzt neben ihn geschmissen werde und noch nicht mal der Glatzkopf kommt, um mich festzuhalten. Aber das will ich doch, oder? Unterschätzt werden. Dann richtet sich der Redner an uns und wir sind auf einmal der Mittelpunkt des Geschehens. Die Attraktion. "Ihr wollt wohl Ärger, was?" Ein kurzer Seitenblick reicht, und mir ist klar, dass Akaya jetzt am liebsten explodieren würde. Was kann der eigentlich? „Wieso musst du eigentlich immer Scheiße bauen?“, knurre ich ihn an. Ich hätte jetzt wirklich besseres zu tun, als mein Schicksal in die Hände von ein paar Idioten zu legen. „Du hast doch gar nichts mehr mit mir zu tun, also was willst du?“, knurrt er zurück. Die Ausgeburt der Angepisstheit. Mir geht’s aber nicht anders. „Ja, aber das wissen die leider nicht. Was hat dir der Typ bitte getan? Musst du immer wegen jeder Kleinigkeit ausrasten?" „Er hat angefangen.“ Jeder Ton klingt, als wäre es unglaublich schmerzhaft, ihn hervorzubringen. Ganz sicher kein tolles Gefühl, von solchen Schwächlingen fertig gemacht zu werden. „Außerdem lacht er über uns. So wie alle anderen. Wieso lässt du dir das gefallen? Ist ja nicht so, als wärst du machtlos gegen sie!“ „Ich will nicht so viel Aufmerksamkeit erregen…“ „Scheiß auf Aufmerksamkeit! Die lachen dich aus!“ „Ich weiß.“ Gerade, als ich darüber nachdenke, es ihm vielleicht zu erklären, meldet sich der Zwerg vor uns wieder zu Wort. „Was besprechen unsere zwei kleinen Schwertfuchtler denn da?" In dem Moment fällt mir auf, dass sie uns gar nicht die Schwerter weggenommen haben. Wie dämlich kann man eigentlich sein? „Überlegt ihr, wie ihr fliehen könnt?" "Gebt‘s auf, ihr habt keine Chance!“ Die Typen aus den vorderen Reihen steigen in den Chor der großen Demütiger ein. Und der Rest lacht. Akaya hat recht. Hier ist es echt schwer, nicht einfach loszulaufen und sie alle umzubringen. „Was habt ihr denn gedacht, dass die Welt so ist, wie in euren kleinen Bilderbüchern?“ „Mama ist sicher gar nicht stolz auf euch!“ „Oder lebt Mama vielleicht gar nicht mehr?“ "Oh nein! Die armen!" Das Gelächter wird immer lauter. Grausamer. Bis es fast nicht mehr geht. Als sich mein Griff um Hitos Saya fast verkrampft, hebt auf einmal der große Mann an der Säule seinen Kopf und läuft auf das Podest zu. Von einer Sekunde auf die andere wird es um uns herum still. Dann fängt er an, zu reden. „Mama kann die Kleinen jetzt auch nicht mehr beschützen. Sie sind auf meine Insel gekommen und machen hier einfach, was sie wollen." Vor Akaya bleibt er stehen. "Das gefällt mir gar nicht. Wischt die Fliegen weg, wir haben Besseres zu tun, als uns von diesen Insekten aufhalten zu lassen." "Boss!" "Geht klar Boss!" "Du bist der Größte!" Noch einen letzten Blick auf Akaya werfend dreht sich der "Boss" um und will anscheinend wieder gehen, bleibt aber vor dem Podest noch einmal stehen. "Und das Mädchen gehört euch.“ mit diesen Worten dreht er sich endgültig um und läuft auf eine der Straßen zu, die auf den Platz führen. Von allen Seiten grinsen uns dreckige Gesichter dreckig entgegen. Aber ich beachte sie nicht. Ich schaue zu ihm. Und er schaut zurück. Seine dunklen Augen sind von den roten Strähnen verdeckt, aber der Hass ist nicht zu übersehen. „Ich kümmere mich um den Boss.“ Ein kurzes Nicken. „Um den Rest musst du dir keine Sorgen machen.“ „Ich weiß“, grinse ich emotionslos. Kapitel 5: Strike ----------------- Ich kämpfe mich durch die Menschen. Schenke den Waffen keine Beachtung, die versuchen, mich zu verletzen. Ich spüre nichts mehr. Sehe nur den Mann, der uns den Rücken zugewandt hat. Der sich über alles stellt und meint, einfach so meine Freiheit nehmen zu können. Mich wie ein wertloses Ding behandelt, noch nicht mal wert, umgebracht zu werden. Und schlimmer. Schwach. Keiner Beachtung würdig. Er bleibt nicht einmal stehen, als er mich bemerkt. Er wirft lediglich einen genervten Blick über die Schulter, als wäre ich nichts als ein lästiges Insekt. Wer ist er schon? Was kann er, dass er sich für so wichtig halten darf? Was hat er bitte in seinem Leben schon geleistet? So viele Menschen erleben so viel Scheiße und haben die Kraft trotzdem weiterzumachen und die, denen es immer gut ging, die halten sich dann für die Helden der Welt. Ich könnte kotzen. Der Schmerz, den ich seit ich denken kann in mir halte, verwandelt sich in Wut. Grausame Wut. Ich will ihn leiden sehen. Ich will ihn leiden lassen, ihm Schmerzen bereiten, wie er sie noch nie erlebt hat. Ich werde ihn stürzen. Und ich werde überleben und meinen Weg weiter gehen. Das Leben besteht nicht aus Vernunft. Es ist so viel mehr! Vertrauen. Treue. Freundschaft und Mut. Und die Kraft, alles zu schaffen, wenn man nur daran glaubt. Ich bin doch frei oder? Wieso zwänge ich mich dann selbst so ein? Wieso stelle ich Regeln auf, die alles nur noch schwerer machen? Ich muss endlich lernen, loszulassen. Und in mich zu vertrauen. Auf mein Herz zu vertrauen. Anstatt alles immer lenken zu wollen. Ich will für die Menschen kämpfen. Für die, denen es schlecht geht und die nicht beachtet werden. Ich will mich für das rächen, das so Vielen angetan worden ist. Wie kann ich ein so großes Ziel erreichen, wenn ich nicht mal die kleinen Dinge regeln kann? Ich sollte die Augen öffnen. Vor mich blicken. Und den Augenblick erleben. Anstatt immer einen Schritt weiter denken zu müssen. Ich werde mein Ziel erreichen. Aber ich kann nicht mein Leben lang nur daraufhin arbeiten und alles andere ignorieren. Das ist das Leben, verdammt! Es gehört so viel mehr dazu, als nur seinen Hintern hochzubekommen. Ich muss für das kämpfen, was mir wichtig ist. Vernunft. Wer hat das bitte erfunden? Wo bleibt die Freiheit? Entschlossen hebe ich meine Schwerter. Ich will schreien. Der ganzen Welt mitteilen, dass sie warten soll, dass ich da bin. Die Welt ist so groß. Und ich bin so klein. Was kann ich schon tun? Und dann fange ich an zu laufen. Alles. Ich kann alles tun. Wenn ich nur immer weiter mache, kann ich alles erreichen. Und hier werde ich beginnen. Mein Weg hat ein Ziel. Ich werde es nie aus den Augen verlieren, aber dieser Weg ist lang. Niemand weiß, was noch passiert. Und ich kann nichts erreichen, wenn ich alles plane, wenn ich die Menschen um mich in mein Muster zwinge und auch ihnen die Freiheit nehme, ihren eigenen Weg zu gehen. So funktioniert die Welt nicht. Jeder hat sein Ziel. Ich kann nicht erwarten, dass sich alle nach meinem Plan richten. Kann ich das? Meinen Plan einfach vergessen? Auf mich und die Welt vertrauen, dass wir am Schluss etwas erreichen? Meinem Herz die Freiheit lassen, dieses Ziel alleine zu finden? Egal was noch kommt? Kann ich loslassen und meinen Instinkten folgen, den Menschen, die ich liebe und die Vernunft einmal hinten anstellen? Kann ich die Kontrolle abgeben? In dem Moment, in dem meine Klingen wie von selber anfangen, sich zu drehen und ich spüre, wie meine Füße in einem lautlosen Takt auf den Boden aufschlagen, weiß ich, dass ich es kann. Zum ersten Mal in meinem Leben schalte ich mein Gehirn aus und höre auf mein Herz. Es will vernichten. Und ich weiß, es wird vernichten. Um alle zu rächen, die unnötig gestorben sind. Um gegen die Ungerechtigkeit dieser verfaulten Welt zu kämpfen. Ich werde aufstehen und zuschlagen, und auf alle Konsequenzen scheißen. Als wäre das das, was zählt. Auf einmal ist mein Kopf klar. Ich weiß, was ich tun muss. Mein Gegner dreht sich zu mir um aber es ist zu spät. Die Klingen drehen sich so schnell, dass selbst ich sie nicht mehr erkennen kann. Kurz vor ihm springe ich in die Luft und lasse die kreisenden Schwerter den Körper vor mir zerschneiden. "Senkai Strike!" Er blockt. Natürlich. Wenn es zu einfach wäre, wäre er nicht mein Gegner. Der Stoß reißt mich zurück und ich kann mich erst ein paar Meter von ihm entfernt abfangen. Mein Kopf pocht. Meine Arme zittern und über meinem Gesicht breiten sich die Schatten aus. Ich muss kämpfen, oder ich zerstöre alles um mich herum. Meine Muskeln sind angespannt. Mein Blick starr nach vorne gerichtet. Mein Atem geht ganz ruhig. Er folgt meinem Herzschlag. Alles ist ruhig um mich herum. Nichts zählt mehr, außer der Person vor mir. Ich weiß nur, ich muss sie vernichten. Mein Kopf ist klar. Mein Griff um die Schwerter fest. Als ich den Blick hebe, sehe ich den Hass in seinen Augen. Er sieht mich. Er sieht einen Gegner, dem man nicht einfach den Rücken zuwenden kann. Einen Gegner, der durchaus in der Lage ist, beim Mittagsschläfchen zu stören. Das Grinsen erreicht nicht meine Augen. Ich weiß mein Ziel. Ein. Und Aus. Es ist alles langsamer als zuvor. Ich schaue meinen Lidern dabei zu, wie sie sich schließen und wieder öffnen. Und dann bin ich bereit. Meine Beine spannen sich an. Meine Schwerter heben sich wie von selbst. Und dann hebe ich ab. Mit dem Himmel hat er nicht gerechnet. Es wirkt lächerlich langsam, wie er seinen Blick hebt und in die Wolken starrt. Ich bin längst vorbei. Ein Salto über seinen Kopf, dann drehe ich mich um 90 Grad und schmettere mein mit Haki gehärtetes Bein in seine düstere Fresse. Wenigstens ist ihm dieses überhebliche Grinsen vergangen. Er ist schnell genug, mir ausweichen zu können und startet zum Gegenangriff. Seine Faust schnellt ein paar Millimeter an meiner Seite vorbei, aber meine Schwerter bekommen sie auch nicht. Dann ein weiterer Schlag von unten. Einen Augenblick früher und ich hätte ihn nicht abwehren können. Aber so reißt mich der Stoß nur zurück und ich schlittere ein paar Meter nach hinten. Stirnrunzelnd sehe ich den Mann vor mir an, der so liebevoll von seinen Leuten als der "Boss" betitelt wurde. Das ist zu leicht. Der ist nicht Anführer einer so großen Menge an Menschen, wenn das alles ist, was er kann. Ich habe ja noch nicht mal richtig angefangen! Sein Blick gefällt mir nicht. Er schaut mich immer noch so an, als müsste er nur einmal blinzeln und ich wäre am explodieren. Aber was soll da jetzt noch kommen? Versteckte Waffen, die er aus dem Ärmel zaubert? Irgendwelche versteckten Fallen in der Gasse, in der wir kämpfen? Das wäre traurig. Und ganz sicher nichts, was mich besiegen könnte! Ich mein, er ist nicht schlecht, aber so wie er jetzt kämpft, brauche ich nicht mehr lange und er liegt am Boden. Ohne mich wirklich anzustrengen. Nein. Das war noch nicht alles. Ich muss einfach aufpassen. Mich nicht überraschen lassen. Wenn ich das nach vier Jahren Haki Training nicht hinbekomme, dann kann ich gar nichts. Wieder lasse ich die Klingen kreisen. Wieder renne ich auf ihn zu, immer schneller, bis selbst ich nicht mehr weiß, wo ich eigentlich gerade bin. Von vorne. Von der Seite. Von hinten. Als er gerade einen Schlag auf seinen Hals abgewehrt hat, kreuze ich meine Schwerter vor ihm und ziehe sie nach unten. Sie beschreiben einen kleinen Bogen und bevor er reagieren kann, bin ich unter seinen Armen hindurch getaucht und lasse den Schwung die Katana in sein Herz rammen. Kurz bevor die Klingen seinen Körper berühren, können mir auch seine Augen endlich folgen. Von unten grinst ihm ein verhasstes Gesicht entgegen. "Kibo Strike." Es klingt fast dreckig. Dann ziehe ich durch. Und es wird schwarz. Dass ich zurückgeschleudert wurde, merke ich erst, als mein Rücken schmerzhaft auf dem steinigen Boden auftrifft. Wann hat der mich bitte gestoßen? Das Licht ist hell. Zu hell. Die Sonne sticht in meine Augen und lässt meine Sicht verschwimmen. Was ist passiert? Als ich mich langsam aufrichte, trocknen die Tränen im kalten Wind. Ich scheine nicht verletzt zu sein, alles noch da, wo es hingehört. Und dann verschwindet die Sonne hinter einem Berg. Um mich herum wird alles klarer. Der Boden ist uneben. Die Häuser riesig. Und mein Gegner, der gerade noch drei Köpfe grösser war als ich, beugt sich jetzt grinsend zu mir herunter. Sein Bauch verdeckt den halben Horizont. Ich hatte ihn gar nicht so fett in Erinnerung. "Ups, das tut mir leid, das wollte ich nicht!" Oh, der Berg kann sogar sprechen! "Passiert mir leider ab und zu mal, wenn mich Jemand verärgert" Der arme Kerl. "Ja, ich hab‘s einfach nicht gern, wenn Jemand nicht das macht, was ich von ihm erwarte." "Oh, hab ich Sie überfordert!?" Selbst meine Stimme klingt höher. Sehr unvorteilhaft. Aber seine komische Lache macht alles wieder wett. Sieht gleich weniger bedrohlich aus. "Und wie ist der Blick von da unten!?" "Durchaus inspirierend." Ich bin geschrumpft. Ungefähr einen halben Meter. Also etwas, was man überlebt, aber sicher nicht normal. Was ist das für ein Mensch? Sein Grinsen wächst nur, als ich ihn von da unten anlinse. "Du fragst dich sicher, wie ich das geschafft habe." Schweigendes Anstarren meinerseits bringt ihn etwas aus dem Konzept und ich bin stolz auf mich, aber dann plustert sich der Riese vor mir wieder auf und ich darf seine schneeweißen Klunker bewundern. "Ich habe von der saku- saku no mi gegessen!" Ok. Nicht zu lachen gestaltet sich als immer schwieriger. "Du weißt sicher nicht, was das ist! Schon mal von den Teufelsfrüchten gehört?" "Ach die Dinger, die dafür sorgen, dass man nicht mehr schwimmen kann?" Teufelsfrucht. Natürlich. Hab ich mir doch gedacht, das war noch nicht alles. Na das kann ja lustig werden. "Die Teufelsfrüchte verleihen ihrem Besitzer unvorstellbar starke Kräfte! Ein Teufelsfruchtnutzer ist unbesiegbar!" Jetzt verstehen wir auch die Überheblichkeit die er an den Tag legt. Er denkt, er ist unbesiegbar, weil er ein Stück Obst gegessen hat. "Immer, wenn ich etwas berühre, kann ich es verkleinern. Also würde ich dir raten, aufzupassen, sonst bist du bald nicht größer als eine Ameise!" Planänderung. Ich darf ihn nicht berühren und mich nicht von ihm berühren lassen. Gott sei Dank ist meine Stärke nicht boxen, sonst hätte ich jetzt ein Problem. Der Boden unter mir ist durchlaufen von Grasbüscheln und Moosstreifen. Ich habe nicht viel Zeit und wahrscheinlich auch nicht die Kraft, es in einer noch kleineren Version zu schaffen einen ausgewachsenen Mann aufzuschlitzen, der zusätzlich auch noch nicht gerade langsam ist. Wenn ich die nächsten Attacken verkacke, kann ich schon mal mein Testament schreiben. Und in diesem Moment realisiere ich, dass ich in meinem ersten ernsthaften Kampf bin. Kein Training mehr. Keine einfachen Gegner. Ich könnte hier draufgehen. Und auf einmal ist es schwer, nicht zu lachen. Ich hab aber nicht vor, draufzugehen! Ich glaube ich bin irre, aber ich bin überzeugt, das ist gut so. 'Ok, Freunde', meine ich leise zu Hito und Tsuyo, 'lasst uns jemanden umbringen'. Meine Schwerter heben ihre Köpfe und ihre Augen leuchten. Sie wollen Blut lecken. Und ich will besiegen. Vernichten. Träume erfüllen. Als ich ihn anschaue, ist jeglicher Humor aus meinen Augen erloschen. Und dann laufe ich los. Auch wenn sich meine Schwerter meiner Größe angepasst haben, ist es schwer, mich in dieser komplett neuen Welt zurechtzufinden. Wenn ich nur gegen einen Riesen kämpfen würde, gut, aber der Boden ist viel zu uneben und die Sonne sticht immer noch unnatürlich stark in meine Augen. Ein Kieselstein könnte mich erschlagen. Aber am schlimmsten ist der Wind. Eine Bewegung mit seinem Arm reicht und wenn ich nicht rechtzeitig reagiere, werde ich durch die Luft geschleudert. Egal was ich auch versuche, er ist immer da und blockt. Verkleinerungen bleiben zwar fürs Erste aus, aber wenn ich ihn nicht bald besiegen kann, bringt mir das auch nichts mehr. Jedes Mal, wenn ich seinen empfindlichen Hals erreichen will, muss ich mehrere Meter in die Luft springen oder mich irgendwie an Häuserecken oder Felsbrocken abstoßen. Überflüssig zu erwähnen, dass solche Katapulte relativ selten zu erreichen sind. Ich kann nicht ewig so weitermachen. Irgendwann kackt mein Körper einfach ab und dann kann ich das mit dem Überleben vergessen. Ich muss einen anderen Weg finden, um ihn zu besiegen. Ein weiterer Rückstoß. Und wieder laufe ich. Wird er eben auch verkürzt. Kurz bevor ich eigentlich in die Luft springen würde, rolle ich mich am Boden ab und schlittere unter seinen Beinen hindurch. Einen Vorteil hat diese Größe anscheinend doch. Auch wenn meine Schwerter nur noch halb so groß sind, die Sehnen kann ich gar nicht verfehlen. Einen Augenblick, bevor ich hinter ihm nach oben springen will, um ihn endgültig zu erledigen, spüre ich seine Hand auf meinem Rücken. 'Scheiße.' Wieder wird mir schwarz vor Augen. Wieder werde ich ein paar Meter nach vorne geschleudert und verfehle gerade noch den Brunnen, der in der Mitte der Straße steht. Alles dreht sich um mich herum. Die Häuser kippen in den Himmel und wieder zurück. Und der dunkle Schemen vor mir fällt brüllend auf die Knie. Langsam richte ich mich wieder auf. Der Brunnen neben mir sieht aus wie ein Schloss. Die Häuser wie endlose Klippen. Und der Schatten vor mir ist so riesig, dass es schwer ist, seinen Bewegungen zu folgen. Allein die Reflektion der Sonne macht mich auf das Messer in seiner Hand aufmerksam. Er hebt es langsam über seinen Kopf. Die Augen leuchten. "Dachtest du wirklich, du könntest mich besiegen!?" Nichts in meinem Leben war je so laut wie diese Stimme. Keine Explosion der Welt, und wäre sie auch noch so nah, könnte diesen Donner übertönen. Mich würde nicht wundern, wenn ich für den Rest meines Lebens taub sein dürfte. "Niemand kann mich besiegen! Und erst recht nicht so jemand wie du! Menschen wie du sind Versager. Was auch immer du versuchst, nie wirst du etwas gegen Jemanden wie mich ausrichten können! Nie!" Menschen wie Du sind Versager. Sie nehmen sich alles und denken, sie können sich über alles und jeden stellen, dabei können sie eigentlich gar nichts. Menschen wie du sind schwach. Ich habe nicht mein ganzes Leben trainiert, um gegen Menschen wie dich zu verlieren. Ich bin nicht schwach. Das Messer ist so groß, wie ein halbes Schiff. Ich weiche ihm trotzdem mit Leichtigkeit aus und renne auf die grässliche Fratze zu, die weiter von Schwäche und Undankbarkeit faselt. 'Wofür sollte ich mich bitte bedanken?' Ich stoße mich ab und schlage auf ihn ein. Schneller als er schauen kann, springe ich von einer Seite zur anderen. Ich bin nicht schwach. Überall ist Blut. Der überhebliche Blick wirkt auf einmal gar nicht mehr so überheblich. ICH Er wirkt gehetzt. BIN Ein paar meiner Attacken kann er noch abwehren, aber auf Dauer hat er keine Chance gegen mich. NICHT Jetzt leuchten meine Augen. In ihnen brennt ein Feuer. Es wird geschürt von Hass, Sehnsucht und Verzweiflung. Von Wut und Erkenntnis. Von Liebe. SCHWACH! Als es wieder schwarz wird, merke ich, dass ich lache. Es klingt irre. Nicht wie ich. Und gleichzeitig ist es unglaublich befreiend. Das erste, das ich sehe, als ich meine Augen wieder öffne, sind die Sohlen seiner unglaublich geschmacklosen Stiefel, die mich um ein paar Zentimeter überragen. Ich gebe nie wieder auf. Trotzdem brauche ich ein paar Anläufe, bis ich seinen Hals wieder erreiche. Er hockt auf dem Boden, mit Blut beschmiert und rührt sich kaum. Muss er auch gar nicht, ich bin so winzig, dass es nur einen leblosen Schlenker seines Arms braucht, um mich zum nächsten Haus zu katapultieren. Meine Schwerter verhindern gerade noch eine weitere Verkleinerung aber viel kann ich nicht tun. Ich falle. Stolpere über die Kante eines Backsteins. Und bleibe liegen. Vielleicht ist es an der Zeit, dem "Unbesiegbaren" meine wahre Stärke zu beweisen. Oder ihm zumindest eine Kostprobe zu geben. Er wollte mir nicht glauben, doch jetzt liegt er am Boden, obwohl ich noch nicht mal richtig angefangen habe. Wer ist hier schwach? Sekunden später bin ich wieder in der Luft. Meine Schwerter schimmern dunkel und strahlen mit dem Licht der alles vernichtenden Macht. Ich liebe dieses Gefühl. Die Schwärze breitet sich auch auf meinen Armen aus und ich fange an, mich zu drehen. Zwei Sekunden bis zu seinem Gesicht. Eine. Die Klingen kreuzen sich und verbinden die Energie. Seine Augen sind noch irgendwo in der Luft, als ich die Energie freilasse und sie sich auf seiner Nase entlädt. "Chikara Strike." Auf einmal sind es vier Nasen. Vier Köpfe. Vier Arme. Vier Teile eines Bergs. Mit Leichtigkeit zerschneiden meine kleinen Schwerter seinen Körper. Der Schlag ist Mächtig. So mächtig, dass es meine ganze Energie kostet, stehen zu bleiben. Normalerweise. Doch jetzt bin ich wirklich nicht viel größer als eine Ameise. Der Druck reißt mich so schnell von dem Körper meines Gegners weg, dass ich nicht mal die Möglichkeit habe, zu reagieren. Das letzte, das ich sehe, sind meine wieder wachsenden Finger, die die kleinen Spielzeugschwerter fest umklammert halten. Im Flug nehme ich wieder meine gewohnte Größe an. Dann verlässt die Luft meine Lungen und alles wird grau. Kapitel 6: Rise or Fall ----------------------- Die Straße ist kalt. Ich spüre die kleinen Steine, die sich in die aufgekratzte Haut meines Gesichts bohren. Mein Bein tut weh. Und mein Kopf. Eigentlich alles. Nicht, dass es was Neues wäre. Langsam richte ich mich auf. Meine Arme zittern vor Anstrengung unter meinem Gewicht aber ich schaffe es nach einigen Anläufen mich aufzusetzen. Um mich herum noch mehr Steine. Natürlich, das Haus! Ist es wirklich vorbei? Hab ich ihn wirklich besiegt oder taucht er gleich hinter der nächsten Ecke wieder auf um mich endgültig zu erledigen? Es ist still. Still und dunkel. Nur durch einen kleinen Spalt dringt ein wenig Sonnenlicht. Wie lange hab ich hier gelegen? Ich habe keine Ahnung. Es könnten Stunden gewesen sein. Die Erinnerungen sind verschwommen, wie in Nebel getaucht. Mein Kopf fühlt sich an, als wäre nicht ein Haus, sondern eine ganze Stadt darauf gefallen. Das einzige was ich weiß, ist, dass ich hier raus muss. Dann höre ich die Schritte. Mein Herz bleibt stehen. Ich halte die Luft an und bin nicht in der Lage, mich zu bewegen. Bitte, lass es nicht Ihn sein. Ich habe keine Kraft mehr... Die Schritte kommen näher. Jemand flucht. Steine werden geschoben. Dann verschwindet die Sonne. "Jayce!?" Mein Trommelfell zerplatzt. Aber mein Herz fängt wieder an zu schlagen. "Musst du mich so erschrecken?" Meine Stimme klingt etwas schwächer als sonst und irgendwie kratzig aber definitiv besser, als ich mich gerade fühle. "Wie, du lebst!?" Na da hat ja jemand Vertrauen in seine Mitstreiter. Ok, streng genommen bin ich gar nicht mehr sein Mitstreiter. Wieso ist er eigentlich hier? Kann ich ihm nicht egal sein? "Sieht so aus. Aber wenn du schon mal hier bist, hättest du doch sicher nichts dagegen, diesen Felsen von mir zu heben?" Eine Augenbraue geht gen Himmel und die Sonne kommt wieder. Dann bewegt sich die Wand über mir und bald wird ein auch nicht gerade unbeschadet aussehender rothaariger Krieger sichtbar, der mit zusammengezogenen Augenbrauen auf mich herunterschaut. "Kannste laufen?" "Klar." Als würd ich dem zeigen, wie beschissen ich mich fühle. "Dann mal los." Von oben kommen eine Hand und ein ungeduldiger Blick. "Wie jetzt!?" "Ja kommst du jetzt?" "Wieso? Und was machst du überhaupt noch hier?" "Hallo!? Ein Haus ist auf dich gefallen? Darf man dir dann nicht mal helfen, hier raus zu kommen?" "Wieso? Ich bin dir egal! Wir haben nichts mehr miteinander zu tun! Du schuldest mir nichts!" "Und deswegen soll ich dich einfach hier zurücklassen?" "Ich komm schon selbst klar!" Er lacht spöttisch. "Verarschen kannst du dich selber. Du kannst doch kaum sitzen!" "Ich hab dieses Haus überlebt dann werden mich diese paar Schritte auch nicht umbringen!" "Jaja", meint mein ehemaliger Mitstreiter, packt mich an den Armen und hebt mich hoch, als würde ich nichts wiegen. "So. Und jetzt hältst du mal deine Klappe." Dann dreht er sich um und sucht einen Weg aus den Trümmern. In Richtung Hafen. Akaya ist für mich Kraft. Er steht auf, wenn ich nicht mehr kann und geht den Weg weiter, und wenn er mich mitschleifen muss. Auch wenn es ihn eigentlich gar nichts angeht. Irgendwie hat er es auch zu seinem Weg gemacht. Ich protestiere, aber er ignoriert mich, auch wenn man das Grinsen, das sich immer weiter auf seinem Gesicht ausbreitet, nicht übersehen kann. Dieses Arschloch! Aber was kann ich tun? Ich hab ja kaum Energie, mich zu beschweren! Außerdem auch kaum Zeit. Schneller als gedacht stehen wir am Hafen, ich wie ein Sack über seine Schulter geworfen und starren auf das Meer. Irgendwas fehlt hier. Ich werde ähnlich liebevoll wie ich getragen wurde auf dem Boden abgesetzt und schaue Akaya dabei zu, wie er verzweifelt den Hafen absucht. Und so groß ist der nicht. Als könnte man da ein Schiff übersehen! Nein, hier gibt es nichts zu übersehen. Alle Schiffe sind verschwunden. Kein Wunder! Schließlich sind die Piraten alle abgehauen, als sie erfahren haben, was mit ihrem Anführer passiert ist. Kein Mensch auf der ganzen Insel mehr zu sehen. Ich seufze leise. Wenigstens mein Boot schaukelt noch am Ende des Steges, als warte es auf seinen Besitzer. "Komm, das macht doch keinen Sinn!" Akaya dreht sich zu mir um. "Ach, und was schlägst du vor?" "Du hast wohl keine andere Wahl als nochmal mit mir mitzukommen." "Was!?" "Ja hast du hier noch nen Hafen gesehen? Oder willst du dir dein Boot etwa selber bauen?" "Mach ich zur Not eben!" Ich muss lachen. "Natürlich." "So schwer kann das doch nicht sein!" "Das ist bescheuert! Beweg deinen Hintern auf mein Deck und ich bring dich zur nächsten Insel. Ist ja nicht so als müsstest du für immer mit mir segeln!" "Und du willst nichts dafür?" "Wieso? Mir wird Arbeit abgenommen und Essen hab ich auch genug für zwei." Er schaut skeptisch. "Mir gefällt der Gedanke mit dir nochmal eine Woche unterwegs zu sein ja auch nicht unbedingt, aber ich kann dich ja auch schlecht hier lassen!" Ok, das ist nicht komplett die Wahrheit, aber ich muss ihm jetzt auch nicht unter die Nase binden, dass ich ganz froh bin, wenn er mit mir kommen muss. "Und wenn ich lieber ewig hierbleiben würde als noch einmal mit dir auf diesem Schiff eingesperrt sein zu müssen?" "Tja, dann bleibst du eben hier." Vorsichtig und unter Anstrengung, die man mir hoffentlich nicht so deutlich ansieht komme ich auf die Beine und laufe langsam auf den Steg zu. "Deine Entscheidung." Dass die Entscheidung gefasst ist, merke ich, als ich wieder in die Luft gehoben werde und meinen Stammplatz an seiner Schulter einnehmen darf. "Aber nur bis zur nächsten Insel!" Wieso kommt mir das jetzt so bekannt vor? "Hey! Ich kann selber laufen! Lass mich los!" "Sonst was?" Wieso darf er nochmal mitfahren? Das Holz ist dunkel. Vor ihm heben sich der rote und schwarze Griff meiner beiden Katana ab, hinter ihnen das blaue Meer. Und darüber der Himmel. Alles ist in einen leichten Rotton gehüllt, als hätte jemand das unglaublich sinnfreie Hobby, die Sonne mit Erdbeermarmelade zu beschmieren. Was für ein Bild. Ich muss lachen. Der Wind weht leicht durch meine Haare und bringt den Geruch nach Salz mit sich. Nach Freiheit. Über mir fliegt eine Möwe. Die Wellen schwappen leicht an den Bug unseres kleinen, schrotten Fischerbootes. Wir fahren. Immer weiter. Und bleiben nie mehr stehen. Für immer. "Geht‘s dir besser?" Die zweite und nicht wirklich legitime Hälfte dieses "wir"s setzt sich neben mich an den Bug, mit dem Rücken zu diesem strahlenden Sonnenuntergang. Als Romantiker würde ich ihn auch definitiv nicht bezeichnen. Aber vielleicht als fürsorglich. Ein bisschen. "Ging mir nie besser." Diese leicht genervte Antwort bringt mir eine hochgezogene Augenbraue und einen für meine Verhältnisse brutalen Schlag auf den Arm ein. Keine Reaktion- Keine Reaktion! "Na dann..." er streckt sich gähnend und lässt sich gegen die Reling fallen. "...ist ja alles in Ordnung" "Genau so ist es." Ich hasse ihn. Nie jemanden mehr gehasst. Diese leichte Erhebung der Mundwinkel meines Gegenübers macht mich wahnsinnig. Zwei Minuten Stille. Dann fallen meine Schwerter auf den Boden und ich neben ihn an die Reling. Seit wann bin ich so schrecklich kindisch? "Und jetzt?" Ein halbes Auge linst mich von unten an. "Jetzt- wird geschlafen." Damit ist das Thema erledigt. Ja, wir haben eine Kajüte. Ja, wir haben Hängematten. Ja, wir haben genug Energie um uns dahin zu bewegen. Aber hier haben wir den Sonnenuntergang. Den Wind. Diese stille plätschernde Dunkelheit. Es wird noch ein paar Stunden dauern, bis man die Sterne erkennen kann. Aber ich werde sowieso noch wach sein. Und denken. In den Himmel starren. Und dann irgendwann den Kopf schütteln. Ganz langsam. Mit diesem Lächeln, dem du ansiehst, dass es nicht so gemeint ist. Und dass es weh tut. "Scheiß Nebel!" Die Kälte lässt die Tropfen auf meiner Haut gefrieren. Nicht mehr lange und ich bin komplett in Eis gehüllt. Wieso das meine ersten Gedanken sind, als ich durch Akaya‘s leise Stimme aus dem Schlaf geholt werde, weiß ich nicht. Mein Nacken fühlt sich an, als hätten zwölf Nilpferde darauf genächtigt und ich fühl mich wie eine halbe Stunde Schlaf. Höchstens. Und leider auch sehr wahrscheinlich. Benommen setze ich mich auf und versuche irgendwie die Müdigkeit aus meinen Knochen zu strecken. Mit eher mäßigem Erfolg. Mein einziger Passagier steht am Mast und starrt in die unendliche Weiße des Nebels hinaus. „Da war doch grad was!“ Stirnrunzelnd dreht er sich zu mir um. „Ich hab da grad ein Licht gesehen und ich glaub da ist irgendwo ein Schiff aber in diesem beschissenen Nebel kann man einfach gar nichts erkennen!“ „Groß oder klein?“ „Was?“ „Das Schiff!“ Stöhnend schleppe ich mich zu ihm und für ein paar Sekunden stehen wir einfach nebeneinander und schauen etwas unterbelichtet in die Wolken hinein. Kein Licht. Nicht mal ein Schatten. Heißt aber noch lange nicht dass da nicht vielleicht doch irgendwo etwas ist. Und wenn das etwas ist, was uns Probleme machen könnte, dann haben wir jetzt definitiv eins. Akaya dreht sich zu mir um und öffnet den Mund, doch daraus kommt nur ein ohrenbetäubendes Tuten. Lautstärke und Licht hatte ich definitiv genug für diese Woche, allerdings scheint das das riesige Kriegsschiff vor uns wenig zu interessieren. Vielleicht ist es aber auch das hinter uns. Oder die beiden von den Seiten? Oder vielleicht doch die dahinter? Wir sind umstellt. Keine Möglichkeit mehr hier rauszukommen. Ein Wunder, dass uns die Schiffe nicht aus Versehen überfahren haben! Dann schaue ich nach oben. Erkenne dieses viel zu vertraute Zeichen. Und mein Herz bleibt stehen. Nein. Bitte nicht schon wieder. Wir können nichts tun. Nur da stehen und mit ansehen, wie uns die Schiffe mitnehmen. Eskortieren zu ihrer Insel. Erst da lichtet sich der Nebel etwas und steile Klippen werden sichtbar, große, dunkle Gebäude und viel zu viele dieser überdimensionalen Kriegsschiffe. Was bitte ist dieser Ort? Als ich mich zu Akaya umdrehe sehe ich Hass in seinen Augen. Die Lust, zu töten. „Okami Akaya, Schwertkämpfer, auffällig geworden auf der Insel Nalima, als er die komplette Besatzung ausschaltete und dem Vizeadmiral Husten entkam und der dem, der ihn findet 5.000.000 Berry bringt. Und Najirota Jayce, die ehemalige Schülerin des Hakimeisters Syvian, der vor einem Monat endlich von dem großen Admiral Kizaru vernichtet wurde, auch 5.000.000 Berry wegen dem gleichen Vergehen. Glaub nicht, wir nehmen Rücksicht auf dich, nur weil du ein Mädchen bist!“ Ein Seitenblick von rechts. Nein. Nicht ernsthaft. Ich habe es nicht wirklich geschafft, nach einem Monat schon ein Kopfgeld von verdammten 5.000.000 Berry zu erhalten! Das ist Wahnsinn! Dass Akaya meine Verzweiflung nicht wirklich teilt, ist unschwer an dem heroischen Grinsen zu erkennen. Idiot. „Tja, wie auch immer, hier ist die Reise nun zu Ende.“ Nein, ich bin der Idiot. Genau sowas sollte nicht passieren! Neben mir hebt Akaya den Kopf und schaut dem Marineoffizier direkt in die Augen. Das Grinsen ist verschwunden. Dafür wieder dieser hasserfüllte Blick. Nicht gut. Wenn ich ihn jetzt nicht abhalte, bringt der uns in noch größere Schwierigkeiten, als in denen wir uns eh schon befinden. „Hey!“, zische ich. Sein Blick bleibt auf unser Gegenüber gerichtet. Aber ich weiß, dass er mich hört. „Wegen dir sitzen wir jetzt überhaupt in der Scheiße, ok? Also hör einmal in deinem Leben auf mich und halt dich zurück! Wenn wir gegen die ne Chance haben wollen dann müssen wir nachdenken und nicht direkt drauf losrennen!“ Von ihm kommt ein genau so leises Knurren, dann senkt er langsam den Blick, nicht ohne seinen Gegner nochmal anzublitzen, aber er tut es. Wenigstens etwas. Der Offizier hebt nur kurz die Augenbrauen, dann werden wir auch schon wieder mit seiner lieblichen Stimme beschallt. „Was habt ihr euch denn darunter vorgestellt? Dass ihr damit durchkommt? Wie dumm dachtet ihr sind wir? Es gibt weitaus zu viele Schwächlinge, die einfach so unsere Leute angreifen. Sie denken nur weil irgendwer mal auf diese bescheuerte Idee mit der Piratenfreiheit gekommen ist, können sich alles erlauben!“ „Ach, das können wir nicht?“ Ich habe es gesagt, bevor ich angefangen habe nachzudenken. Und dann ist es mir auch egal. Er lacht nur, lässt sich aber nicht beirren. Der Satz muss anscheinend noch zu Ende gesprochen werden. „Ihr seid aber keine Schwächlinge! Ihr seid Kämpfer, die man nicht einfach so unterschätzen darf! Aus welchem Loch auch immer der Kleine hier geschlüpft ist, dich hatte ich schon länger im Auge. Schülerin eines Hakimeisters. Wie man sieht hast du wenigstens was gelernt. Hier nützt dir das aber auch nichts mehr! Du bist komplett auf dich allein gestellt. Deine ganze Crew besteht aus einem Kämpfer. Was willst du gegen uns ausrichten?“ Akaya sieht mich von der Seite an. Sein Blick hat etwas Belustigtes und gleichzeitig sieht er so ernst aus… Wieder dieses Lachen. „Oh, jetzt sag nicht du bist nicht der Captain! So etwas sieht man." Sieht man das? Und wenn ja, sehe ich wirklich so aus wie ein Captain? Oder benehme mich so? Wirke ich so wie Akayas Captain? Ich muss grinsen. Ja manchmal kommandier ich ihn schon ziemlich herum. Oder vielleicht auch etwas öfter als manchmal. Aber der Captain? Was für eine Scheiße. Für einen kurzen Moment schauen wir uns an. Nein. Er sieht das definitiv genau so. "Wie auch immer." unser Feind grinst. "Ob ihr nun Piraten seid oder wer auch immer von euch der Captain ist, jetzt hat sich's ausgespielt! Über euch wird die Gerechtigkeit walten!" Dann winkt er mit den Händen und wir werden abgeschleppt. In die Tiefen des Berges hinein. Die Stufen und Gänge wollen einfach nicht aufhören. Von meinen Schwertern muss ich mich schon bei der ersten Abzweigung verabschieden. Und davon gibt es definitiv zu viele. Ich schaue zu Akaya hinüber, der neben mir hergeschleppt wird, den Kopf gesenkt. Selbst er wehrt sich nicht mehr. Als hätte er aufgegeben. Aber das ist absurd. Akaya wäre wahrscheinlich der letzte, der aufgeben würde, egal wie aussichtslos die Situation ist. Nein, der hat bestimmt einen Plan. Kapitel 7: Ins Licht -------------------- "Und was ist jetzt dein Plan?" Zwei grimmige Augen schauen mich erwartungsvoll an. "Plan!?" Wir sitzen in der kleinen Zelle, in die man uns vor ein paar Sekunden geschmissen hat und starren uns gegenseitig Löcher in die Augen. "Ich dachte, du hättest einen Plan!" "Wie kommst du denn da drauf? Du hast doch gesagt, ich soll warten!" "Das hab ich nie gesagt! Ich meinte nur, es ist dumm einfach drauf loszurennen!" "Ja und da dachte ich du hättest eine Idee, wie wir hier wieder rauskommen!" "Was stellst du hier eigentlich für Bedingungen? Ich erinnere dich gern nochmal daran, wieso wir überhaupt hier sind!" "Also hast du keinen Plan." "Ich hab nie-" "Du hast keinen Plan." "Nein." Seufzend lässt sich Akaya gegen die Gitterstäbe der Tür fallen, die uns von der Freiheit trennt. "Na toll." "Ja, soll ich jetzt irgendwie-" "Du sollst grad einfach mal die Klappe halten!" "Du-" "KLAPPE!" Ok. Ich bin ruhig. Anscheinend kann man nicht normal mit ihm reden, wenn er angepisst ist. Auch gut, dann setze ich mich eben hin... "Aaaaah!" Hab ja auch sonst nichts Besseres zu tun... "Aaargh..." Und plötzlich wird mir klar, warum Akaya seine Ruhe haben wollte. "Hö- hö- hör auf!!!" "Als würde ich!" "Neeeein!!! Bitte nicht! Alles nur das nicht!" "Dann sag mir wo ihr sie versteckt habt!" "Aaaaah!" ein Stöhnen. "Stopp! Stopp!! Stopp!!! STOPP!!!" Ein schmerzvoller Aufschrei. Ein zitterndes Schluchzen. "Was..." "Ruhe!" Akaya steht inzwischen an der Tür und versucht verzweifelt, etwas zu erkennen. "Diese Schweine." "Was ist das?" "Diese verfickten Arschlöcher!" Seine Finger klammern sich an die Gitterstäbe, scheinen das Metall zu zerquetschen. "Akaya!" Er dreht sich zu mir um. Wenn ich jemals seinen Blick als hasserfüllt beschrieben habe, war das nichts im Vergleich zu dem, was jetzt in seinen Augen zu sehen ist. Der ganze Schmerz, den ich sonst nur manchmal versteckt aufblitzen gesehen habe, greift so tief, dass es allein wehtut, ihn so zu sehen. Aber sein Blick ist auch dunkel. Hasserfüllt. Keine Aggression dieser Welt reicht an diese Wut heran. Diese verzweifelte, ungebändigte Wut. Und sein Mund wiederholt immer nur die gleichen Worte. "Diese Arschlöcher. Diese verfickten Schweine. Ich bringe sie um! Ich werde sie umbringen! Diese verfickten Arschlöcher! Ich bring sie um!" Die Verzweiflung ist nicht mehr auszuhalten. "Hey... Akaya..." Langsam gehe ich ein paar Schritte auf ihn zu. Bis ich direkt vor ihm stehe. "Hey!" Jetzt schaut er mir in die Augen. Dieser Schmerz will mich erdrücken. Umbringen. Mit in seine Tiefen reißen. Es tut so weh. Wie muss es dann erst für ihn sein? "Ich werde sie alle umbringen." "Ja. Wirst du." Seine Augenbrauen ziehen sich zusammen. "Aber zuerst müssen wir hier raus. Ich kann dich nicht gebrauchen, wenn du jede Sekunde ausrasten könntest, also reg dich wieder ab. Du hast später genug Zeit zum töten." Eine Weile sagt er nichts. Dann nickt er. "Du hast recht. Lass uns hier verschwinden." Ich war mir nicht sicher, ob es wirkt. Aber das ist Akaya. Ein Krieger. Den bekommst du nicht mit leeren verständnisvollen Worten aus seinem emotionalen Loch. Einmal tief durchatmen. Und dann lächeln. "Dann mal los." Ich gehe aus dem Weg, während der Muskeltyp neben mir mit ein paar schnellen Handgriffen die unglaublich schwere Metalltür aus ihren Angeln hebt. Liebe verleiht vielleicht Flügel, aber Hass verleiht Superkräfte. Daran habe ich schon immer geglaubt. Dann wird der Wächter vor unserer Zelle an die gegenüberliegende Wand gekickt und wir wählen den Weg nach links. Weg von den Stimmen. Akaya zögert noch kurz, aber ich packe ihn am Arm und ziehe ihn hinter mir her. "Um die kümmern wir uns später." Er folgt mir. Kann anscheinend nichts anderes mehr. Außer Vernichten. Allen Wachen, denen wir begegnen -und das sind nicht gerade wenige- wird kurzer Prozess gemacht. Ich habe kaum etwas zu tun, so schnell rennt er an mir vorbei und erledigt alle Hindernisse, die ihm in den Weg kommen. Ich muss nur noch die Richtung angeben und schon geht es vorwärts. Das einzige, was ich weiß, ist, dass wir weiter nach oben müssen. Immer den nicht enden wollenden Strömen der Wachen entgegen. Und dann sind wir draußen. Schneller als gedacht stehen wir an der frischen Luft, den blauen Himmel über uns. Ich hätte nie gedacht, dass ich diesen Himmel jemals so sehr vermissen würde. Dabei sind wir nicht einmal so lange unten gewesen... Wir stehen auf einem Dach, neben uns noch weitere große Gebäude. Vor uns geht die Klippe nach unten und mündet in den Hafen. Unser kleines Fischerboot kann ich aber nirgendwo entdecken. Das Dach ist leer. Alle Wachen sind anscheinend nach unten gerannt und haben die komplette Plattform unbewacht gelassen. Wir müssen nur irgendwie mein Boot finden. "Aka- hey!" Akaya ist schon an mir vorbeigelaufen und rennt auf die nächstbeste Tür zu. "Was hast du vor?" Er bleibt stehen. "Ich bring sie alle um!" Als wäre es das Selbstverständlichste auf der ganzen Welt. "Das ist jetzt nicht die Zeit, um auszurasten! Wir müssen das Boot finden und dann weg-" "Ich bin nicht an dich gebunden, oder? Kannst ja fahren, ich schaff das hier schon alleine!" Sprachlos starre ich ihn an. Er hat recht. Wir gehören nicht zusammen. Aber alleine eine organisierte Marinebasis zerstören? Das ist Wahnsinn! Er wird draufgehen. Und dann erinnere ich mich an seinen Blick. Diesen Schmerz. Er hat irgendetwas erlebt, das ihn so außer Kontrolle bringt. Wäre bei mir doch auch nicht anders, oder? Vor mir steht ein gebrochener Krieger, der zerstören will. Und irgendwie fühle ich mich für ihn verantwortlich. Er hat ja noch nicht mal seine Schwerter! Was mache ich mir eigentlich vor? Ich habe doch schon vor Tagen meinen Entschluss gefasst. Auch wenn er mir nicht gefällt. Auch wenn er nichts mit dem zu tun hat, was ich eigentlich wollte. "Ok." Ein paar Schritte in seine Richtung. "Wo geht's lang?" "Wolltest du nicht abhauen!?" "Kann dich das hier ja schlecht alleine machen lassen. Also wo lang? Die Tür hier? Ist ja eigentlich egal wo wir anfangen, oder?" Jetzt scheint Akaya für einen Moment sprachlos, gefolgt von einem fast uninteressierten Schulternzucken. Dann folgt er mir in das Herz der Marinebasis. Die Wachen unten in den Gängen waren stark, aber für uns kein großer Deal. Das ändert sich wie zu erwarten aber, sobald wir das Gebäude betreten. Nach links führt ein Flur, in dem uns die nächste Wache sofort bemerkt und auf uns zustürmt. Ich stabilisiere meine Arme mit Haki und will unseren Angreifer an der Seite treffen, aber er weicht aus und wirft seinen Speer in Akayas Richtung. Akaya duckt sich und rammt seine Faust in den Bauch des Gegners. Der beherrscht aber anscheinend auch Haki und hält so der geschwärzten Hand locker stand. Ich muss ihm von hinten den Fuß auf den Kopf schmettern, damit wir weiterlaufen können. Nichts, was mich freut, aber wir können hier nicht ewig bleiben. Hinter der nächsten Tür warten gleich vier starke Krieger auf uns, die nur kurz ihr Training unterbrechen, um uns aufzuhalten. Akaya übernimmt die links, ich rechts, und so hinterlassen wir auch hier vier gebrochene Seelen mit mehr oder weniger geringem Sachschaden. Die Tür dahinter führt wieder in einen Flur. Überall Türen. Wir schauen uns an. "Welche?" Er zuckt mit den Schultern und stürmt einfach ins erstbeste Zimmer. Zwei Schritte und ein Rücken versperrt mir den Weg. Akaya ist stehen geblieben. Ich will mich gerade beschweren, als er sich umdreht und mich hinter ihm herzieht, weiter den dunklen Flur entlang. "Schnell weg hier!" "Was war da!?" Bevor er antworten kann, tönt über die ganze Anlage eine uns nur zu vertraute Stimme. "Die Gefangenen Okami Akaya und Najirota Jayce haben sich selbstständig gemacht! Ich erwarte höchste Aufmerksamkeit und alle verfügbaren Kräfte in Block A!" Eine Abbiegung nach rechts. "Ernsthaft!?" Es ist schwer, ihm überhaupt noch zu folgen. "Jetzt haben wir die ganze Basis auf einmal gegen uns!" "Ja sorry was kann ich denn dafür, wenn das Zimmer ausgerechnet diesem Typen gehört?" "Dann macht man ihn fertig!" "Der hat mich halt überrascht ok?" "Nicht Ok!" "Dann bring die doch alle alleine um!" "Ach auf einmal keinen Bock mehr!?" "Wer hat denn hier keinen Bock mehr!?" Wir sind stehen geblieben. "Ich hab meine Gründe wieso ich die Marine hasse, ok? Aber wenn du das nicht mehr mitmachen willst, dann hau doch einfach ab!" Akaya würde mich wahrscheinlich am liebsten gleich mit umbringen. "Ach ok dann geh ich jetzt und du regelst das alles alleine?" "Klar, bekomm ich hin!" "Und wenn du deswegen umkommst, bist du selbst schuld!" "Ja! Also hau schon ab!" "Ist mir doch scheißegal was mit dir passiert!" "JA SCHÖN!" "ABER VIELLEICHT BIST DU NICHT DER EINZIGE DER WAS GEGEN DIE MARINE HAT!" "ICH HASSE SIE, VERDAMMT!" "ICH VIELLEICHT AUCH!?" "SIE HABEN MIR ALLES GENOMMEN, WAS ICH HATTE!" "MIR VIELLEICHT AUCH!?" "was?" Auf einmal ist es still. Akaya schaut mich an, als würde ich gleich zerbrechen oder sowas. "Du bist nicht der einzige, dem sein Leben zerstört wurde. Oder was auch immer sie dir angetan haben." Er schüttelt den Kopf. "So.." "Schon gut. Weißt du? Ich habe einen Grund, wieso ich hier so planlos rumsegel. Ich hatte auch mal eine Familie. Ich hatte mal ein Zuhause. Ich hatte mal einen Menschen, der mir all das gezeigt hat, was ich jetzt kann. All das existiert nicht mehr. Die Marine hat es mir weggenommen. Und... Ach egal. Ich will sie auch stürzen. Aber nicht einfach so... So ein paar Soldaten oder eine Basis- das können sie wieder aufbauen. Ich will sie komplett vernichten! Ich will die komplette Marine stürzen! Und nicht nur irgendwelche Basen in irgendwelchen Meeren... Ich will auf die Grandline. Deswegen kann ich mir kein Kopfgeld leisten. Oder Aufmerksamkeit... Ich will, dass sie mich unterschätzen, wenn ich da ankomme. Verstehst du?" Und dann schaue ich ihn endlich an. "Das ist ne verdammt harte Aufgabe." Ich muss lachen. "Ja." "Und wird wahrscheinlich ne Weile dauern, bis das wirklich was wird." "Hab ja mein Leben lang Zeit. Ist ja nicht so, als dass ich irgendwohin zurück müsste." Er grinst humorlos. "Ja. Kenn ich." Für eine Weile sagen wir beide nichts mehr. Dann hebt er den Kopf und nickt. "Ich muss diese Basis trotzdem vernichten." Und ich nicke zurück. "Dann mal los. Ich hab nicht ewig Zeit." Ein Grinsen von links, dann Schritte auf dem Gang hinter uns. "Da lang." Durch eine Tür, eine Wendeltreppe hinunter. Wir laufen schneller, die Stimmen kommen immer näher. Noch eine Tür. Ein kleiner Raum. Nächste Tür. Vor uns erstreckt sich ein Tunnel, von dem immer weiter Türen abgehen. Kein Ende in Sicht. Hinter uns Rufe. Wir überlegen nicht lange. Rennen weiter, einfach immer geradeaus. Irgendwann werden wir schon irgendwo rauskommen. Die Tür fliegt auf. Füße hinter uns. Schüsse. Sie kommen immer näher. Und dann versperrt uns etwas den Weg. Die Sonne empfängt uns, als wir auf den weiß gepflasterten Hof hinausstürzen. Überall Kanonen. Aber noch keine Soldaten. Vor uns erstreckt sich der Hafen und hinter ihm das Meer. Neben den Kanonen führt eine schmale Treppe auf die Außenmauer der Festung. Wir laufen. Hinter uns die ersten Soldaten. Vor uns ein langer, schmaler Weg. Wir rennen auf die Mauer, immer den verfolgenden Kugeln ausweichend. Die großen Kanonen werden auf uns gerichtet. Und dann sind sie auf einmal vor uns. Hinter uns. Neben uns. Überall auf dieser beschissenen Mauer stehen Soldaten. Starke Kämpfer mit Teufelsfrüchten oder Haki, die Elitekämpfer der Marine in Ausbildung. Und wir von ihnen umzingelt. Ohne Schwerter. 'Oh verehrtes Wesen am fernen Himmel', bete ich. 'wenn es dich gibt: Ich vermache all meine Sachen dem Meer. Meinem einzigen Freund.' Schon irgendwie traurig. Ich seufze leise. "Man ich hab doch gesagt, ich hab keine Zeit!" "Dann beeilen wir uns eben", knurrt der Hohlkopf neben mir. Ich nicke nur müde. "Dann beeilen wir uns eben." Für ein paar Sekunden hüllt mich der violette Dampf ein, als ich meinen Körper stähle. Dann kommen auch schon die ersten Gegner. Saltos und Tritte, die Faust in den Magen und Wirbelwinde, die einfach alles wegfegen. Äußerste Disziplin. Konzentriert erledige ich einen nach dem anderen. Hinter mir nimmt sich Akaya der uns folgenden Masse an. Wir kämpfen gemeinsam für die gleiche Sache. Ohne uns auch nur einmal anzusehen, wissen wir, dass der andere klar kommt. Man muss sich nicht gegenseitig das Leben retten oder seine Attacken kombinieren, um ein Team zu sein. In diesem Moment fühle ich mich wirklich wie eine Crew. Wie eine Gruppe von Menschen, die ein gemeinsames Ziel verfolgen. Ohne angepisst vom anderen zu sein. Und auch wenn wir nur zu zweit sind, dieses Gefühl erinnert mich so sehr an diese eine Crew, dass es mich fast umhaut. Diese eine Crew, die mir mein Leben geschenkt hat. Die mir gezeigt hat, dass man alleine gar nichts erreichen kann. Die mir beigebracht hat, ehrgeizig zu sein. Ob er sich noch an mich erinnert? Ob er noch weiß, wer ich bin? Ein Schlag von oben. Ich tauche nach links unten ab und trete zurück. Selbst wenn, das braucht mich wirklich nicht mehr zu interessieren. Wenigstens für diesen einen Moment habe ich meine eigene Crew. Und das ist das einzige, das wirklich zählt. Links neben der Mauer fällt der Fels steil ab und endet in einem dünnen Fluss, in dem jetzt die Leichen schwimmen. Wir laufen immer weiter, kämpfen uns durch die Soldaten, die uns alle so unglaublich unterschätzt haben, dass sie noch nicht einmal angefangen haben, über die nächste Attacke nachzudenken, da liegen sie schon am Boden. Wenn ich nicht wüsste, dass uns die Zeit davonläuft, ich hätte mich erst einmal hingestellt und gelacht. Wahnsinnig gelacht. Genau so habe ich mir das immer vorgestellt. Wir brauchen nicht lange, dann können wir wieder weiterlaufen, ohne dass sich uns jemand in den Weg stellt. Uns ist schon klar, dass das noch lange nicht alles war, aber einen getauschten triumphierenden Blick gönnen wir uns dann doch. Nur einen ganz kleinen. Dann ist auch die Mauer zu ende. Hinter ihr gibt es nur glatte Hauswände und die Schlucht. Nach kurzer Diskussion entscheiden wir uns für die Schlucht. Vorsichtig ertasten wir uns einen Weg nach unten. Hinter uns immer noch organisiertes Getrappel. Die Felswände öffnen sich langsam und der Grund wird flacher. Als wir fast unten angekommen sind, knackt es in den Lautsprechern über uns und er erfüllt wieder die Stille. "Denkt bloß nicht, ihr könntet euch verstecken! Denkt bloß nicht, ihr könntet entkommen! Wir erwarten Verstärkung in weniger als zwei Stunden! Vergesst es, aus dieser Basis lebend wieder rauskommen zu wollen! Ihr seid umstellt! Ergebt euch!" Klack. Akaya lacht. "Als würde uns das jetzt abschrecken!" Vor uns die steile Felswand. "Bock auf klettern!?" Der Krieger sieht mich an. Und in dem Moment realisiere ich, dass wir die beiden Kämpfer sind, wegen denen hier so ein Stress gemacht wird. Wir sind die Idioten, die es schaffen, eine ganze Marinebasis in Verwirrung zu bringen. Dieser Typ, der jetzt vor mir steht und mich fragend ansieht wäre früher einer dieser Leute gewesen, mit denen ich gerne etwas zu tun gehabt hätte. Und auf einmal ist er mein Verbündeter. Auf einmal bin ich wie er. Wir ziehen uns die Felswand hinauf. Über uns werfen die Dächer der Häuser ihre Schatten auf die Schlucht. Vor mir sehe ich nur die roten Haare in der Sonne leuchten. Sie zeigen mir den Weg hinauf. Wieder ins Licht. Wir ziehen uns bis zum Dach hinauf. Springen in einen Hof. Umgeben von Soldaten. Und stürzen uns in den nächsten Kampf. Von mir aus könnte es für immer so sein. Und sich nie wieder ändern. Für immer laufen wir nebeneinander her und zerstören die Überheblichkeit dieser Arschlöcher. Dieser Versager. Auf den Dächern über uns stehen die Schützen. Versuchen, uns in ihre Visiere zu bekommen. Aber wir sind schneller. Ein Soldat nach dem nächsten. Erst nachdem ich den halben Hof überquert habe, merke ich, dass etwas fehlt. Der Idiot ist weg. Die Flammen im grauen Meer sind nirgendwo zu sehen. Und ich habe ganz sicher nicht die Zeit, nach ihm zu suchen. Erst als mich die beiden Schwerter fast erschlagen, richte ich meine Aufmerksamkeit nach hinten. Er steht auf einem der Schuppen, die den Hof umrahmen und hält grinsend seine Katana in den Händen. "Waren da drin!", schreit er mir über die Köpfe zu und deutet auf das Gebäude unter ihm. Ein paar Soldaten wird die Sicht genommen, dann steht er auch schon neben mir. "Ja, geht’s weiter?" Mit meinen Schwertern wieder vereint, geht das Gemetzel wesentlich schneller. Wir brauchen nur ein paar Augenblicke, bis wir in das gegenüberliegende Gebäude einbrechen können. Vor uns erstreckt sich eine Halle. Gefüllt mit mehr Soldaten, die auch nur noch wenige Sekunden zu leben haben. Dass die aber auch nie aufgeben... Als auch das erledigt ist, dreht sich Akaya zu mir um. "Ich glaub den Rest schaff ich alleine." "Und die Verstärkung?" Er zuckt mal wieder mit den Schultern. "Ich hau einfach vorher ab. Gibt ja genug Schiffe hier." Ich nicke. Ich weiß, dass er das alleine hinbekommt, aber ich will nicht gehen. Wenn ich gehe, dann ist es für immer. Und das will ich nicht. Jetzt erst recht nicht. Es hat keinen Sinn. Irgendwann musste es einfach so kommen. Und ich weiß das. Ich kann ihn nicht noch einmal ansehen. Also nicke ich nur und klinke mich dann aus dem Strom der Soldaten aus. Als ich ihm den Rücken zukehre, spüre ich etwas in mir zerbrechen. Wieso nimmt mich das so mit? "Jayce!" Nach nur zehn Schritten werde ich angehalten. Seine Stimme ist ungewöhnlich leise. Aber ich weiß sofort, dass er es so meint. "Danke." Kapitel 8: Captain ------------------ Dank einer Treppe komme ich auf das Dach. Hinter mir die Sonne. Und Klingen, die aufeinander prallen. Schreie. Ich weiß, dass er sie alle fertig macht. Was mache ich hier? Von dem Dach sind es nur noch ein paar Meter bis zu einer Mauer. Schnell schwinge ich mich darüber und lande auf dem Plateau, das uns nach dem Gefängnis schon einmal empfangen hat. Links von mir Wälle, auf denen wahrscheinlich sonst die Soldaten Wache stehen. Dahinter das Meer. Es dauert nicht lange, dann habe ich die kleine Bucht gefunden, die das Wasser wie einen See umschließt. Lediglich ein kleiner Tunnel führt aufs Meer hinaus. Die Felsen hinunterklettern ist nicht schwer. Auch das kleine Fischerboot ausfindig machen und die Ketten durchtrennen, die es an den Felsen fesseln. Was schwer ist, ist abzulegen. Das Ruder gegen den Felsen zu stoßen und loszulassen. Einmal mehr. Der Tunnel wird nur durch die Fackeln an seinen Wänden erhellt. Es ist nicht gerade leicht alleine ein Schiff fortzubewegen wenn gerade kein Wind weht. Schließlich kann ich schlecht auf beiden Seiten gleichzeitig sein. Langsam aber sicher biegt der kleine Fischerkahn trotz allem aus der Bucht und auf das offene Meer hinaus. Endlich wieder frei. Endlich wieder für mich selbst. Alleine. Es wird komisch sein, niemanden mehr zu haben, mit dem man kämpft oder redet, zu dem man gehört. Es wird still werden. Aber ich bin Stille gewöhnt. Ich bin ein Einzelgänger. Und die Einsamkeit ist ja nicht für ewig. Sobald ich Minako gefunden habe, werde ich nie wieder allein sein. Sie ist meine Familie. Sonst niemand. Trotzdem werde ich seine Kommentare vermissen. Seine belustigten Seitenblicke. Und dieses Gefühl der Zugehörigkeit, das ich einfach nicht verstehe. Es ist, wie als wäre ein Teil von mir gewaltsam genommen worden. Nur dass ich nichts tun kann, um ihn zurückzuholen. Er hat seine eigene Freiheit. Und will ich das überhaupt? Ich kann nicht mehr zurück. Und ich weiss ja selbst, dass das auf Dauer nicht gut gegangen wäre. Es ist besser so. Er ist nicht so wichtig, dass ich ihn nicht vergessen könnte. Es ist jetzt vorbei. Und ich nehme Kurs auf die nächste Insel. Mit Wind in den Segeln scheint es fast so als würde niemand fehlen. Aber eben nur fast. "Captain!" Für ein paar Sekunden bleibt die Welt stehen. Die glatte Oberfläche schimmert silbern. Der Himmel fällt in die Unendlichkeit. Und ich falle mit ihm. Captain. Es klingt spöttisch. Was macht der hier? Ich mein Wieso? Er hat doch alles was er will! Ich wollte doch nur gehen und ihn nie wieder sehen. Kann er mich nicht einfach ignorieren? Kann er mich nicht einfach in Ruhe lassen? "Hattest du vor ohne mich los zu segeln?" Wieder diese Stimme. Es dauert, bis ich realisiere was diese Worte bedeuten. Aber...wieso? "Wieso? Willst du auf einmal doch mit?" Das Meer schimmert silbern. Es ist so weit... Gibt es irgendwo ein Ende? Schritte hinter mir auf Holz. "Wieso nicht?" Ich drehe mich zu ihm um. Er steht in der Mitte des Bootes, seine Hände in den Hosentaschen und schaut mich ruhig an. Kein belustigtes Grinsen. Er meint es wirklich ernst! "Ich kann mit dir kämpfen. Ich kann mit dir segeln, du bist der erste Mensch den ich nicht nach drei Sekunden umbringen will und ich kann dich respektieren. Ich glaub wir kommen gut miteinander klar. Und wir können beide unser Ziel besser erreichen wenn wir nicht alleine sind. Wir haben das gleiche Ziel. Du bist der einzige den ich als Captain respektieren könnte. Also wieso nicht? Ich bin nicht gut im folgen aber ich geb mein bestes." Jetzt erheben sich ausnahmsweise mal meine Augenbrauen. "Wer spricht denn hier von folgen?" Ich strecke ihm meine Hand entgegen. "Dann muss ich dich eben noch länger ertragen." Meine Stimme klingt alles andere als bedauernd. Mein einziges Crewmitglied schaut mir dankbar in die Augen, zuckt mit den Schultern und schlägt lachend ein. Dann sind wir jetzt wohl wirklich eine Crew. "Wenn du der Captain bist, bin ich aber der First Mate!" Er grinst. Seine Grünen Augen stechen durch meine. Aber ich halte seinem Blick stand. So wird es wohl immer sein. Egal, was wir zusammen erleben und gegen wen wir kämpfen werden. Sowas gehört wahrscheinlich dazu. Und ich hab auch wirklich nichts dagegen. "Wieso bist du nochmal hier?" Ich schaue belustigt auf den verstrubbelten, dunkelroten Fleck vor mir, der gerade mehr als nur droht, zu verzweifeln. "Hör auf zu jammern, ich geb ja mein Bestes!" "Bestes sieht für mich irgendwie anders aus." Die Hängematte fliegt zurück, als ich herunterspringe. "Ja dann mach du doch, wenn du es so viel besser kannst!" "Ja will ich ja die ganze Zeit, aber du lässt mich ja nicht!" Genervt dreht er sich um und wirft mir das Messer zu. "Bitte! Ich hab keinen Bock mehr!" "Na geht doch!" Ich drehe das Feuer kleiner und versuche das verbrannte Stück Fleisch zu retten, aber keine Chance. "Gieß doch Wasser drüber!" "Denkst du, das hilft?" "Keine Ahnung, probier’s aus!" Ich seufze. "Wir brauchen einen Koch." Dass das darauf folgende Essen wenig mit Freude verbunden ist, muss hier glaube ich nicht erwähnt werden. Akayas finsterer Blick wird nur noch von dem grausamen Gestank übertroffen, der den ganzen Raum erfüllt. Ich nehme an, er stammt von dem braunen Etwas, das den Topf verschmutzt und von meinem First Mate liebevoll als "Suppe" bezeichnet wird. Was daran Suppe sein soll, ist mir noch etwas schleierhaft. Aber ich darf nichts sagen, ich bezweifle dass ich es besser hinbekommen hätte. "Wir sind Krieger, wer erwartet bitte von uns, dass wir kochen können?" "Unsere Mägen, so leid es mir tut." Stöhnend lässt er den Löffel in die Schüssel fallen. "Ich bekomm keinen Bissen von dem Zeug mehr runter." "Wir können nicht ewig hungern! So besiegen wir niemanden." "Die letzte Insel haben wir auch locker platt gemacht, und bitte- was hatten wir davor? Brot?“ „Das war was anderes!“ „Wieso war das denn was anderes?“ „Wir haben die nicht endgültig besiegt. Wir sind abgehauen, bevor Verstärkung kommen konnte. Außerdem… Da waren Menschen. Auf den Wällen waren Menschen, die gegen die Soldaten gekämpft haben. Ich hab die gesehen, kurz bevor ich abgelegt habe. Wer war das eigentlich?“ Das düstere Gesicht verwandelt sich in ein Grinsen. "Auf der Insel?" "Ja, ich dachte, wir wären allein dort gewesen?" Das Grinsen wird breiter. "Nein. Die Typen aus dem Kerker. Ich dachte, ich gebe ihnen eine zweite Chance." Natürlich. Die Schreie. Er ist komplett ausgetickt deswegen und ich habe es einfach vergessen. "Wieso... waren die dir eigentlich so... wichtig?" Die richtigen Worte wollen nicht kommen. Er versteht mich trotzdem. Schaut mich an. Für einen kurzen Augenblick sehe ich wieder diesen Schmerz. Dann ist da nur noch Entschlossenheit. Akaya hatte diese Kindheit, die sich jedes Kind wünscht. Zusammen mit seiner glücklichen Familie lebte er in einem kleinen, friedlichen Dorf auf einer kleinen, friedlichen Insel. Sie waren keine Krieger oder Verbrecher. Wollten helfen und nicht verletzen. Seine Eltern führten eine Pferdefarm am Rande des Dorfes. Sie trainierten Pferde und verkauften sie, kümmerten sich um die starken Tiere, die für Akaya längst ein Teil seiner Familie geworden waren. Manchmal, an guten Tagen, ließ seine Mutter ihn bei der Pflege der verwundeten Pferde helfen, die zu ihnen gebracht wurden. Oder sein Vater nahm ihn zu der Geburt eines neuen Fohlens mit. Sie waren alle so liebevoll. Der kleine, etwas wilde aber fröhliche Junge liebte sein Leben. Er liebte seine Pferde, seine Insel mit dem Dorf und dem Wald und den Weiden. Er liebte seine Eltern, die immer für ihn da waren und er liebte seine kleine Schwester Ilya, die ihm überall hin folgte. Er war ihr großes Vorbild. Der starke Junge, der sie vor allem retten würde. Und er hatte auch nicht vor, sie im Stich zu lassen. Mit zehn hat man viel weniger Macht, als man gerne hätte. Man kann sich kaum wehren, ist schutzlos und auf die Hilfe der Starken angewiesen. Auf dieser Insel gab es keine Starken. Wieso auch? Es war eine friedliche Insel, niemand würde hier daran denken, gegen das Gesetz zu verstoßen. Oder gegen die Marine. "Ich hab Angst." Wie oft hatte seine kleine Schwester das in diesem letzten Jahr gesagt? "Mir ist kalt." Es tat so weh, daran zu denken, an diese Augen, diesen erschöpften Blick, der trotzdem noch daran glaubte, dass der große Bruder es schon schaffen würde, sie da rauszuholen. Und dass Mama und Papa eines Tages wieder vor ihnen stehen würden. "Ich hab Hunger." Natürlich würde das nie passieren. Eines Abends waren sie da. Männer, die erst seinen Vater, dann seine Mutter und schließlich ihn und seine Schwester holten. Abführten auf ihr großes Schiff. Der kleine Akaya konnte nichts tun, war machtlos gegen diese Übermacht an Soldaten. Sein Vater sagte ihm, dass schon alles gut werden würde. "Die Marine will uns nichts Böses, sie beschützen die Unschuldigen. Uns wird nichts passieren." Das war auch eines der letzten Sachen, die er sagte. Jetzt denkt Akaya, dass sie alle so naiv waren. Zu glauben, es gäbe Gerechtigkeit in dieser Welt. Oder Güte. Nein, es gibt nur Hass und Verrat. Und das einzige, was man machen kann, ist sie alle töten. Damit das alles endlich ein Ende hat. Und damit all die bezahlen, die ihm weh getan haben. Die seiner Familie weh getan haben. Er hatte seine Familie geliebt. Doch danach spürte er gar nichts mehr. Sein Vater wurde direkt, als sie ankamen, abgeführt. In eine der Kammern, aus denen die Schreie kamen. Tief unter der Erde, irgendwo in der hintersten Ecke des North Blue, dort, wo sie keiner hört. Es wurden Tage. Tage, in denen die Verletzungen immer schlimmer wurden. Wochen, in denen der Hunger immer größer wurde. Monate, in denen die Erinnerung an das Licht, an Bäume und Wiesen, an den Geruch von frisch gebackenem Brot am frühen Morgen, immer weiter verblassten. Schon früh kam sein Vater immer seltener zurück. Jedes Mal sah er ein bisschen weniger so aus, wie er selbst. Und irgendwann blieb er einfach weg. Für immer. Akaya nahm Ilya in den Arm, damit sie es nicht ansehen musste, dort in dem dunklen Keller, in den kein Funken Leben drang. Seine Mutter war danach an der Reihe. Sie wurde immer dünner und schwächer und immer weniger die liebevolle, fürsorgliche Mutter. Sie hatte Angst. Er konnte es in ihren Augen sehen. Also nahm er auch sie in den Arm, war für seine Familie da. Bis zur letzten Sekunde. Als man sah, dass auch aus der Frau keine Informationen herauszubekommen waren, nahm man sich die beiden Kinder vor. Akaya kämpfte. Alles, nur nicht das. "nehmt mich!", rief er. "Aber lasst meine Schwester in Ruhe! Sie ist doch noch so klein…" Es gibt kein Erbarmen auf dieser Welt. Erst recht nicht bei den Menschen, die "Gerechtigkeit" auf ihrem Rücken stehen haben. Sie fragten ihn. Sie schlugen ihn. Banden ihn an grausame Geräte. Ließen ihn Schmerz fühlen. Und fragten immer noch weiter. "Wo haben deine Eltern das Geld versteckt, nun sag schon!" "Wir haben nicht viel Geld, und alles was wir hatten, habt ihr uns genommen!" "Lüg mich doch nicht an!" Ein weiterer Schlag. Ein weiteres Rad, das enger gedreht wurde. Ein weiterer Hieb, der ihn nicht mehr sehen ließ. "Deine Eltern sind verlogene Schmuggler!" Alles verschwamm. "Die ganze Insel ist verfault, jetzt behaupte nicht, ihr hättet nichts damit zu tun gehabt!" Es tat so weh. "Wir…haben…nie…etwas…getan" Es war so eine ohnmächtige Ungerechtigkeit. Er wollte sie schlagen, ihnen auch Schmerzen zufügen, für alles, was sie getan hatten. Er wollte seine Schwester befreien, seine Mutter mitnehmen und von diesem schrecklichen Ort fliehen. Sie hatten genug erleiden müssen. Er wollte sie beschützen. Die Tränen kamen nicht. Sie kamen nie. Ein kleiner, zehnjähriger Junge kämpfte dagegen an, seine Schwäche zu zeigen. Wenn eine Welt es schafft, Kinder zu früh zu Erwachsenen werden zu lassen, ist sie verfault. Dann ist ganz sicher nicht alles in Ordnung. Dann muss irgendwer aufstehen, irgendwer, der verletzt wurde durch diese Ungerechtigkeit und dagegen ankämpfen. Sobald sie wieder in ihrem zu vertrauten dunklen Keller waren, nahm er seine Schwester in den Arm und gab ihr ein Versprechen. Er würde sie hier rausholen. Er würde stärker werden und dann würde er sie alle fertig machen. Er würde seine Familie für immer beschützen. Jeden Tag Training. Zwischendurch ein bisschen Fleisch mitgehen lassen, ein bisschen mehr Brot, nicht viel, aber genug, um stärker zu werden. Fast ein Jahr lang. Dann kam seine Mutter nicht mehr wieder. Sie wurden nur noch manchmal abgeschleppt, als hätten die Soldaten sie aufgegeben. Immer schmaler wurde seine Schwester. Krank und so schwach. Essen mitgehen lassen wurde immer schwerer. Er musste das Risiko eingehen, den Mitgefangenen wegnehmen, was ihnen gehörte, sonst würde Ilya nicht mehr lange überleben. Und das musste sie. "Nicht mehr lange", sagte er ihr jeden Tag. "Warte nur noch ein bisschen, dann bin ich stark genug und hol uns hier raus." Sie wurde immer stiller. Er wurde immer schwächer. "Nicht mehr lange…" Er erinnert sich noch an ihre kleinen, grünen Augen, die immer langsamer auf und zu fielen. "Akaya…" "Ja?" Er versuchte, zuversichtlich zu klingen. Ein ganzes Jahr lang. "…ich bin…so…" Sie war blass. Die Adern in ihren Augäpfeln hoben sich ungewöhnlich rot vom Rest ihres Gesichtes ab. "…müde…" Der rothaarige Junge war verzweifelt. Er konnte nichts tun. Nur zusehen, wie seine Schwester immer schwächer wurde. "Alles wird gut, du musst nur ein bisschen schlafen, dann geht es dir bestimmt wieder besser." Ihr kleiner Körper zuckte merkwürdig. Die Knochen hoben sich von der fahlen, fleckigen Haut ab. Ihr Atem ging röchelnd. Er hatte versprochen, sie zu beschützen, sie zu retten, aber jetzt saß er nur da. "Bitte…" Starrte sie an. "Bitte… Akaya…" Ein letzter, fast erleichterter Atemzug. Er hatte all die Zeit seine Tränen zurückhalten können. Seine Schwäche. Er wollte stark sein. Für seine Mutter, für seine Schwester. Jetzt gab es niemanden mehr, für den er stark sein musste. Die Tränen flossen die Haare des Menschen hinunter, der ihm noch geblieben war. Dieser verletzbare, fragile Mensch, der sich so sehr auf ihn verlassen hatte. Und er hatte sie enttäuscht. Es waren Tränen der Verzweiflung. Tränen der Unfassbarkeit. Des Aufgebens. Und schließlich waren es Tränen der Wut. Nein. Er würde hier nicht einfach so sterben. Tränen der Entschlossenheit. Er würde aufstehen und sie rächen. Tränen des Hasses. Okami Akaya schloss die Augen seiner kleinen Schwester endgültig. Er legte sie in die Ecke der dunklen Halle und deckte sie mit seiner Jacke zu. Und er nahm sich ihre Kette, um nie zu vergessen, warum er lebte. Warum er sie alle vernichten musste. Er band die Kette um sein Handgelenk, und dann rannte er. Auf die Männer zu, die diesem unschuldigen Mädchen all das hier angetan hatten. Der kleine fröhliche Junge war im Alter von zehn Jahren gestorben und ihm folgte ein verbitterter, hasserfüllter junger Erwachsener, der alles verloren hatte, ein einsames Beispiel für diese ungerechte Welt. Er hatte sein Versprechen nicht halten können. Kapitel 9: Lone Wolf -------------------- Immer dann, wenn man nicht damit rechnet, findet man die Dinge, die man so lange gesucht hat. Immer, wenn man gerade nicht daran denkt, vielleicht sogar kurz vorm aufgeben ist, wenn man vergessen hat, wieso das alles überhaupt so wichtig war. Oder sogar wenn man es gar nicht mehr braucht. Wenn es keine Bedeutung mehr hat. Und dann gibt es die Dinge, deren Bedeutung man erst realisiert, wenn man sie wiederfindet. Die man fast vergessen hat, aber in dem Moment in dem man sie findet, einem erst wirklich fehlen. Und wenn sie dann vor dir stehen, merkst du was die ganze Zeit falsch war. Dass dein Leben erst jetzt wirklich anfängt. Und dass alles davor völlig nebensächlich war. Viel zu sehr in den Vordergrund gerückt ist. Dass alles was du brauchst diese eine Sache ist. Dieses eine Lächeln. Dieser eine Mensch. Manchmal vergisst man, was einen aufrecht erhält. Man geht durch das Leben und denkt, man hat alles, was man je wollte. Dabei ist das Wichtigste am weitesten entfernt. Nach drei Tagen taucht endlich die so lang ersehnte Insel am Horizont auf. Der Wind liebt uns, die Sonne scheint am beinahe wolkenlosen Himmel und wir haben Hunger. Drei Stunden warten wir noch, dann verschwenden wir unsere letzten Kräfte aufs Rudern. Keinen Bock mehr auf diesen halbschrotten Kutter. Und Hunger. Ein Zug. Noch einer. Mein Kopf brennt, meine Augen sind ruhig. Und mein Herz schweigt. Ich habe mein zuhause gefunden. Werde es nie wieder loslassen. Und vergesse dabei alles um mich herum. Keiner von uns spricht. Wir sind viel zu fertig, zu ausgelaugt, hungrig. Ich kann an nichts anderes mehr denken. Brot, locker, knusprig. Ein Traum. Oder Fleisch! Eine fette Keule von egal welchem beschissenen Tier auch immer. Würde ich ihn nicht noch brauchen, hätte ich wahrscheinlich schon vor Stunden meinen Arm verspeist. Umso größer ist die Erleichterung als wir endlich den Hafen erreichen. Stege, soweit das Auge reicht. Überall mehrstöckige Häuser, Menschen auf den Straßen. Eine wunderbar normale Stadt. Mein Leben hat wieder einen Sinn. Schnell ist das Boot angebunden, die Hafenpacht bezahlt. Damit ist auch unsere letzte Münze vergeben, was aber geflissentlich ignoriert wird, als wir in das nächstbeste Lokal einkehren. Um solche Probleme wird sich im Nachhinein gekümmert. Und mit vollem Bauch lässt sich eh viel besser denken. Das Denken besteht im Endeffekt aus einem etwas überstürzten Aufbruch und dem Zurücklassen eines dreckigen Tisches mit Unmengen an benutzen Tellern, nicht zu vergessen der völlig überflüssige aber irgendwie doch nötige Kommentar, als der Tresen passiert wird: "Danke, war wirklich köstlich." Akaya prustet los und wir rennen. Der Umgang mit ihm tut mir nicht gut. Ich mutiere wieder zum Kleinkind. Aber da mich das einen Dreck interessiert, beschränke ich die Reaktion auf mein Benehmen auf einen eine halbe Stunde anhaltenden Lacher und mehrere Schläge auf Kosten meines Nachbarn, der dann doch irgendwann genug hat und zurückschlägt. "Was ist denn mit dir los?" "Ich..." sich zu halten gestaltet sich als schwierig. "Ich bin bescheuert!" Er muss lachen. "Und was ist daran jetzt so lustig?" Das Leben ist lustig. Und scheiß drauf, was alles passiert ist, es kann nur noch lustiger werden. Aufregender. Bescheuerter. Das ist das einzige, woran ich gerade glauben kann. "Ist das wichtig?", frage ich ihn schließlich, als ich mich wieder eingekriegt habe. Er schweigt. Zuckt mit den Schultern. Und ich fühle mich bestätigt. Wir brauchen mal wieder Vorräte und Reparaturmaterial. Wir haben kein Geld. Nichts. Und sind zu faul um zu arbeiten. Aber dann fällt uns wieder ein, wie der Typ in der Marinebasis unsere "Taten" begründet hat: "Piratenfreiheit". Und auf einmal ist ein Bounty ziemlich cool. Wir sitzen am Dock des Hafens, unter unseren Füssen platscht das Wasser, als ich mich hinstelle, zu dem rothaarigen Idioten hinunterschaue und ihn feierlich frage: "Wollen wir Piraten sein?" Woraufhin er aufsteht, mir dramatisch in die Augen schaut, und sich einmal elegant am Kopf kratzt. "Klar, wieso nicht?" Damit wäre das besiegelt. Am Rest scheitert es aber noch ein wenig: Wir können uns weder über einen Namen noch über ein Logo einigen. "Ich find unseres wunderschön!" "Was, diesen Kleks?" Wir sollten uns die inkompetenten Idioten nennen. Einziges Problem: Rekruten bleiben bei dem Namen definitiv aus. Im Endeffekt lassen wir diese Fragen offen und teilen uns lieber auf, um das Benötigte zu beschaffen. Akaya kümmert sich um die Nahrungsmittel. Ich vertraue einfach mal darauf dass er keine Scheiße baut und mache mich auf die Suche nach Reparaturmaterial. Lange hält die Kiste nicht mehr. Und die Moral einfach ein Schiff zu stehlen, das anderen gehört vertrete ich dann doch nicht (dieses eine Mal war eine Ausnahme). Andere Sorgen, die gerade keine Rolle spielen. Irgendwie wird das schon. Ich fühle mich unsterblich. Stark. In der Lage alles zu erreichen. Ich bin schnell. Nur ein paar Minuten brauche ich um alles zu beschaffen. Dabei geht kaum etwas zu Bruch und Niemand kommt ums Leben. Guter Job würd ich sagen. Zehn Minuten nachdem wir uns getrennt haben, will ich wieder zu unserem Boot zurück. Kleines Problem: Das viele Wegrennen und dramatische Entkommen über die Dächer hat mich in die tiefsten Gassen gebracht. Und diese Stadt ist groß. Ich hab absolut keine Ahnung wo ich bin. Oder wie ich wieder zurückkommen soll. Zu viele Sachen besorgt, um einfach auf die Dächer zu steigen. Das ist ja mal so richtig schön scheiße gelaufen. Gefühlte Stunden trotte ich durch die Stadt, schon nach ein paar Minuten scheiße ich auf Vorsicht- ich will einfach nur wieder zurück. Leichter gesagt als getan, jede Straße gleicht der nächsten wie ein Küken dem anderen. Ich habe keine Ahnung, ob ich nicht seit Stunden im Kreis laufe. Langsam gehen diese ganzen Bretter auf die Arme und ich bekomme schon wieder Hunger. Ein bisschen Schlaf würde mir auch ganz gut tun. Ich hab einfach keinen Bock mehr. Als ich mich dann auch noch durch ein paar Gassen in einen Hof verlaufe und mir klar wird, dass ich jetzt den ganzen Weg wieder zurücklaufen darf, ist meine Geduld endgültig am Ende. Genervt lasse ich die Bretter auf den Boden knallen. Über mir verschwindet gerade die Sonne. Die Schatten sind immer länger geworden und nur noch ein kleiner Lichtstrahl erreicht die Wand, an der ich stehe. Die Mauern sind aus einem Sandartigen Stein gehauen und Weinranken bahnen sich daran den Weg nach oben. Eigentlich ein schöner Ort, wenn man gerade bessere Laune hätte. Es wird langsam kalt. Kalt und still. Weder die Stadt noch das Meer sind zu hören. In welcher abgelegen Ecke bin ich denn jetzt gelandet? Ich beschließe gerade, dass es egal ist, wenn diese hart erkämpften Bretter gestohlen werden, und aufs Dach zu klettern, als ich von einem Knarren über mir aus meinen Gedanken gerissen werde. Sofort meine Hand am Schwertgriff von Tsuyo, gehe ich langsam einen Schritt nach vorne. Gegenüber mir, auf dem Dach am anderen Ende des Hofes, ist jemand. Jemand, der weiß, wie man sich versteckt. Meine Ausschauaktion ist fürs erste vergessen und ich versuche auszumachen, was oder wer mich da oben beobachtet. Und dann springt sie. Direkt vor mich. Ich habe mich lange nicht mehr so erschreckt. Sie ist schnell. Gerade noch rechtzeitig kann ich meine Waffe ziehen und mich auf eine Attacke vorbereiten. Aber es kommt nichts. Stattdessen durchbohren mich bernsteinfarbene Augen. Dunkelviolette Haare, die hinten zusammengebunden ein ernstes Gesicht freigeben. Kurze Hosen mit kleinen Taschen an den Seiten. Ein paar Zentimeter größer als ich. Ich weiß nicht, ob ich wirklich realisiere, wer da vor mir steht. Ich weiß es. Aber ich fühle nichts. Alles ist leer. Ich habe so lange gewartet. Und jetzt ist alles weg. Es ist einfach zu viel. Zu groß. Sie steht einfach da. Der wunderschönste Mensch, den ich je gesehen habe. Auf einmal ist es schwer, nicht zu weinen. Dieses Gefühl… Dieses Gefühl der Liebe, der Zuneigung… Ich habe nicht mehr so gefühlt seitdem das alles passiert ist. Es tut so weh, sie zu sehen. Es tut so unglaublich weh. Schlimmer als alles, was ich je erlebt habe. Als ich auf sie zu gehen will, geben meine Beine unter mir nach. Und dann ist es da. Alles. Alles was ich bis jetzt so erfolgreich verdrängt habe, bringt dieses Gesicht wieder zum Vorschein. Diese Augen. Dieser Blick. Ich kann sie nicht mehr ansehen. Nur auf den Boden starren und versuchen, die Kontrolle zu bewahren. Bis ich eine Hand auf meiner Schulter spüre. Nur diese eine Hand. Und mir klar wird, dass sie es ist. Dass ich mich nicht zusammenzureißen brauche. Die Person an der ich mich immer anlehnen konnte, erinnert mich daran, dass ich fallen kann. Mein ganzer Körper zittert und ich weiß, dass ich nicht die Kraft haben werde, aufsehen zu können. Diese Hand. So anders und doch so vertraut. Vertrauter als alles andere. Als ich schließlich wieder aufblicke, spüre ich nichts als Verzweiflung. Ich weiß nicht wieso. Es ist wie als hätte ich längst aufgegeben und wäre jetzt doch an mein Ziel gekommen, kann es aber nicht erreichen. Sie steht direkt vor mir und doch ist sie so weit weg. Ist sie das wirklich!? Wie hat sie das überlebt? Ich habe immer daran geglaubt, aber eigentlich war es doch nur ein verzweifelter Wunsch, an dem ich mich festklammern konnte. Ein Name, der mich daran erinnerte, dass ich weitergehen muss. Und jetzt ist sie wirklich hier. Sie steht vor mir, und ist so anders, als das zwölfjährige Mädchen, das ich vor fünf Jahren aus den Augen verlor. Ich hab sie im Stich gelassen und noch nicht mal richtig nach ihr gesucht. Wie kann es jemals wieder so sein wie früher? Ich hab doch komplett verpasst, wie sie erwachsen geworden ist. Ein Kind ist mir in Erinnerung geblieben, aber die Person vor mir ist eine Kriegerin. Und ich? Ich wollte immer auf sie aufpassen, aber seit ich mich erinnern kann hat sie auf mich aufgepasst. Meine kleine Schwester. Ich hab so unglaublich viel falsch gemacht. Ich weiß nicht, ob ich mir jemals verzeihen kann, wenn sie mir jetzt verzeiht. Mal wieder. Oh Gott, ich habe sie so schrecklich vermisst! Wie konnte ich fünf verdammte Jahre ohne sie überleben? "Es tut mir so schrecklich leid! Ich hab dich im Stich gelassen, ich… konnte nichts tun, es waren einfach zu viele! Aber ich hätte trotzdem gehen sollen! Ich wusste noch nicht mal ob du's geschafft hast. Wenn du… wenn du das nicht überlebt hättest, dann… hätte mein Leben einfach keinen Sinn mehr. Ich hab alles kaputt gemacht!" Ich weiß, dass es bei ihr ankommt. Minako war immer die einzige, die mich verstanden hat. Wahrscheinlich hätte ich trotz der fünf Jahre nicht mal was sagen müssen, und sie hätte trotzdem genau gewusst, was ich meine. Ich liebe sie. Ich brauche sie. Sie war immer mein Sinn des Lebens. Mein Licht in der Dunkelheit und all die ganzen anderen kitschigen Metaphern, die mir gerade nicht einfallen. Sie war immer der Mensch, der mich vorangetrieben hat, und mir einen Sinn gab um weiterzuleben. Nicht wegzulaufen. Zu kämpfen. Sie ist der stärkste Mensch den ich kenne. Hat mich schon immer getragen. Auch wenn sie immer meinte, sie würde nie etwas für mich tun. Und ich doch so viel für sie. Es ist genau anders herum. Ich weiß nicht, wie ich je all das zurückzahlen soll, was sie mir gegeben hat. Einfach, weil sie für mich da war. Ich frage mich, ob sie noch viel schlimmere Dinge erfahren hat. Ob sie vielleicht noch mehr Menschen verloren hat. Und wie lange sie schon auf der Suche nach mir ist. "War es sehr schlimm?" Nicht mehr als ein Krächzen. Aber es lässt ihre Mauern einschlagen. All ihre fürsorgliche Ruhe, den Halt, den sie mir gegeben hat. Ich kann sie auch halten. Ich kann auch für sie da sein, ihr sagen, dass sie nicht mehr alleine ist. Dass jetzt alles besser wird. Eine Träne läuft ihre Wange hinunter. "Ich habe gekämpft. So wie du immer gesagt hast. Aber dieses eine Mal… ich konnte einfach nicht. Ich habe ihn einfach weggehen lassen. Ich habe ihm nicht geholfen, wie ich es eigentlich hätte tun sollen." Ihre Stimme wird immer leiser. "Er ist gestorben, verdammt. Ich wollte ihm helfen, aber ich konnte nichts. Ich kann nichts. Wieso bin ich überhaupt noch auf dieser Welt!? WIESO!? SAG MIR WIESO!" Wieso. So oft habe ich mich das gefragt. Wieso ausgerechnet ich, wieso ausgerechnet all die Menschen um mich herum. Alle, die ich liebe. Aber nein. Einer dieser Menschen steht direkt vor mir, schaut mich verzweifelt an, weiss nicht mehr, was der Sinn an diesem Leben ist. Ich habe sie gerade gefunden. Nein. Das lasse ich nicht zu. "Hör sofort auf, das zu denken. Wir können nichts dagegen tun, was passiert ist, aber wir leben noch! Und wir müssen weiter leben! Verdammt! Steh auf! Du warst doch immer so stark." "Ich bin nicht stark", nicht mehr als ein Flüstern, aber es reicht um mich komplett unter Schock zu setzen. Was ist nur passiert? Wieso? Wieso muss diese ganze Scheiße passieren? Wieso, verdammt? "Du bist nicht stark?", meine Stimme zittert. "Du bist der stärkste Mensch, den ich kenne! Und ich hasse es, dass ich nicht da war, dass ich woanders war die ganze Zeit, dass ich nichts tun konnte, dass ich dich im Stich gelassen habe. Ich bin schuld! SCHEISSE! ICH BIN SCHULD! Du darfst alles machen, was du willst, alles, egal was, ich werd nichts dagegen sagen nur... bitte sag nicht du bist schwach!", langsam hebt sie den Kopf. "Bitte." "Wie soll ich bitte stark sein, wenn ich sie alle nicht retten konnte? Ich bin absolut nutzlos. Wieso kümmerst du dich überhaupt noch darum was ich denke oder mache?" "Wieso?" Ich spüre, wie das Wasser meine Wange hinunterfließt. "Weil du der wichtigste Mensch in meinem Leben bist, verdammt! Weil ich ohne dich nicht leben könnte, weil du mein Sinn des Lebens bist! Weil du der tollste Mensch bist, den es auf dieser beschissenen Welt gibt und weil ich dich nie mehr verlieren will. Du bist mein Leben, Dummkopf! Natürlich kümmere ich mich um dich!" Und endlich lässt sie los. Fällt und lässt sich fangen. Ich halte sie fest. So fest wie ich noch nie einen Menschen gehalten habe. Ich will sie nicht verlieren. Nie wieder. Das würde mich umbringen. "Lang nicht mehr gesehen", flüstert mir eine zitternde Stimme ins Ohr. Es hat sich nichts geändert. Es wird sich nie was ändern. Und dann fang ich an zu lachen. Mein ganzer Körper wird von dem Glück erfüllt, ich kann nichts dagegen tun. Nichts gegen die Tränen, nichts gegen das Zittern, gegen diese Geräusche, die aus meinem Mund kommen und einfach nur gestört klingen müssen. Ich kann einfach nicht mehr. Diese ganzen Gefühle machen mich fertig. Aber ich hab endlich wieder jemanden, an dem ich mich festkrallen kann, um nicht in die Tiefe gerissen zu werden. Und sie steht. Sie heult noch mehr als ich, lacht mich aus, zittert genau so wie ich, aber sie steht. Und deshalb werden wir auch nie untergehen. Wir sehen die Sonne über den verwitterten Dachziegeln aufgehen. Die Kälte verschwindet hinter den grauen Hügeln, die die scheinbar unendliche Hafenstadt umgeben. Wir stehen auf den Dächern, jeder ein paar Bretter unter dem Arm und schauen aufs Meer hinaus. Unten in den Strassen fängt langsam das Leben an. Ein kleiner Markt, auf dem Feuerkünstler ihre Kunststücke vorbereiten. Ladentheken, die vor vollgepackte Schaufenster geschoben werden. Mein Bruder hat einmal gesagt, dass das Leben in den Menschen steckt. Nachts schläft alles. Aber sobald die Sonne aufgeht, ist man nicht mehr allein. Da sind Menschen da draußen, die nicht mal deinen Namen kennen, aber auch sie leben ein Leben. Haben Menschen, die sie beschützen wollen. Zum ersten Mal verstehe ich, was er meinte. Egal, ob ich diese Menschen hier kenne oder nicht, sie fühlen, träumen, glauben. Und irgendwo da draußen sind Menschen, die mir vielleicht bald sehr am Herzen liegen werden. Die genau so sind wie ich. Oder Akaya. Oder Minako. Ich hab gar keine Chance mehr alleine zu sein. Als ich da oben auf den Dächern stehe und die Sonne dabei beobachte, wie sie die Wellen zum glitzern bringt, wird mir auf einmal klar, dass ich an meine Familie denken kann, ohne diesen schmerzhaften Stich zu verspüren. An mein zuhause, alle, die mir je was bedeuteten, an meine Vergangenheit. Minako kennt nicht alle Idioten, die ich kennenlernen durfte, aber meine Familie kennt sie. Sie weiss auch, wie es sich anfühlt auf Falken durch die Luft zu segeln, sich durch die Bäume zu schwingen und über den Waldboden zu jagen. Sie ist meine Kindheit. Meine Vergangenheit. Es tut nicht mehr weh. Ich kann jetzt loslassen, alles teilen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)