The Vermilion Bird von Lianait (The Four Chrysalian Symbols) ================================================================================ Kapitel 3: Unheard Mysteries ---------------------------- Den ganzen restlichen Tag über war Henrika unausstehlich gewesen. Zumindest nachdem sie ihren Schock überwunden hatte. Constantin für seinen Teil war wirklich gespannt darauf, ob Hastings es wirklich schaffen sollte, Henrika zu schlagen. Allerdings war Constantin auch mehr als nur froh gewesen, als sich die Gelegenheit geboten hatte, sich vom Studienkolleg zu entschuldigen und so Henrikas Laune und Cecilias Beschwichtigungen zu entfliehen. Der reguläre Unterricht endete normalerweise um drei Uhr nachmittags, doch danach hatten die Schul-AGs noch Zeit sich zu treffen, ehe die Schule schließlich um sechs Uhr endgültig schloss. Schüler, die kein Mitglied einer AG waren oder deren AG nicht stattfand, konnten also theoretisch schon um drei nach Hause gehen. Constantin war nicht nur Mitglied im Multistudienkolleg, sondern hatte sich dieses Jahr auch für das Gesundheitskomitee gemeldet, als der Lehrer, der für gewöhnlich die Biochemie-AG leitete, für unbestimmte Zeit dauerhaft ausgefallen war. Das Gesundheitskomitee hatte zwar vergleichsweise nur wenige Mitglieder, doch diese hatten die Wochentage unter einander aufgeteilt, sodass nicht alle Mitglieder jeden Nachmittag Dienst hatten. Constantin hatte mittwochs und jeden zweiten Freitag Dienst. Obwohl die Schule eine Schulkrankenschwester eingestellt hatte, hatte sich das Gesundheitskomitee zu ihrer Unterstützung gebildet. Als die Durchsage kam, dass sich das zuständige Komiteemitglied doch bitte in Sekretariat einfinden sollte, hatte Constantin seine Sachen schon quasi gepackt, ehe die Durchsage beendet war. Wie sich herausgestellt hatte, waren die neuen Verbandsmaterialien eingetroffen und mussten gegen die alten, abgelaufenen ausgetauscht werden. Sie waren gerade dabei, diverse Verpackungskartons zu entsorgen als Nurse Preston immer wieder auf ihre Armbanduhr sah. „Stimmt etwas nicht?“, fragte Constantin, als er einen weiteren Karton zerkleinerte. „Nichts weiter. Ich hatte damit gerechnet, dass das neue Material eigentlich erst morgen geliefert werden würde und nun wartet meine Tochter auf mich, damit ich sie von der Nachhilfe abhole“, gestand sie widerstrebend. „Wenn Sie wollen, kann ich den Rest auch gerne allein machen, dann muss ihre Tochter nicht so lange auf Sie warten“, bot Constantin an. „Wirklich?!“, platze es aus ihr heraus. „Ähm, ich meine, das geht doch nicht...“ „Ach, was. Es ist doch nicht mehr viel und wir wären eh bald fertig“, entgegnete Constantin mit einem Lächeln. „Gehen Sie ruhig.“ Nurse Preston seufzte geschlagen und erleichtert auf einmal. „Danke, Constantin.“ „Wie gesagt, es ist kein Problem.“ Er lächelte noch einmal und dieses Mal erwiderte Nurse Preston das Lächeln. „Danke. Ach, damit du dich nicht wunderst“, sagte Nurse Preston noch einmal und drehte sich wieder zu ihm um. „Eine Schülerin schläft zwar noch in einem der Krankenbetten, aber Herr Nowitzki ist schon zu ihr gegangen.“ Nowitzki? Der Leiter der Mathe-Abteilung? Und warum sollte ein männlicher Lehrer eine zu einer schlafenden Schülerin ins Krankenzimmer gehen...? Constantins Gesicht musste seine Verwunderung widergespiegelt haben, denn die Krankenschwester lachte kurz auf. „Keine Sorge, es passiert nichts Dubioses“, zerstreute Nurse Preston seine Zweifel. “Das Mädchen ist leider eine recht häufige Besucherin hier und leidet offenbar unter einer starken Migräne. Sie ist höflich, aber bisweilen sehr reserviert und Herr Nowitzki ist scheinbar ihr Vertrauenslehrer. Also mach dir keine Gedanken; du wirst schon nicht auf die Szene einer verbotenen Romanze treffen.“ „Oh. Okay.“ So recht wusste er nicht, was er dazu sagen sollte. „Ich wusste gar nicht, dass Herr Nowitzki als Vertrauenslehrer fungiert?“ „Tut er eigentlich auch nur sehr, sehr selten; meist nur für einzelne Oberstufenschüler seiner Kurse“, erklärte sie. „Soweit ich weiß, war sie die einzige Mittelstufenschülerin, die er unter seine Fittiche genommen hat.“ Zwar gab es an ihrer Schule Lehrer, die sich als Vertrauenslehrer für alle Schüler zur Verfügung gestellt hatten, aber es war nicht selten, dass auch andere Lehrer Schüler speziell betreuten. Wahrscheinlich um den hohen akademischen Druck zu senken. „Aber wie dem auch sei... Danke, Constantin“, erwiderte sie noch einmal und legte ihm dankbar eine Hand auf den Arm. „Kein Problem; es sind ja eh nur noch die Mullbinden“, antwortete er und hob den letzten Karton, den er nun in seinen Armen trug, an. Sie lächelte ihm noch einmal zu und bedankte sich abermals, ehe sie schließlich den Gang hinunterhastete. Constantins leichtes Lächeln schwand allerdings, als er sich selber zum Krankenzimmer wandte. Eigentlich hatte er wenig Lust auf ein Treffen mit Nowitzki. Vielleicht hatte er ja Glück und konnte seine Aufgabe schnell abhaken, ohne großartig Kontakt mit dem berüchtigten Mathelehrer aufnehmen zu müssen. Was Constantin eigentlich durch die Blume hatte sagen wollen, war, dass er sich nicht vorstellen konnte, dass ein spartanischer und stringenter Lehrer wie Nowitzki Vertrauenslehrer für irgendwen sein konnte. Nowitzki leitete die Mathe-Abteilung der Schule und alle Mathelehrer unterstanden ihm. Als Leiter unterlag es ihm, Klausuren abzusegnen und die Aufnahmeprüfungen für den Mathebereich zu erstellen und zu korrigieren. Da er für gewöhnlich nur Oberstufenklassen unterrichtete, hatte Constantin ihn nur einmal in einer Vertretungsstunde selbst als Lehrer gehabt. Aber das hatte ihm eigentlich schon gereicht. Als Constantin eintrat, konnte er durch einen Schlitz zwischen den Verhängen Nowitzki an der Fensterbank lehnen sehen. Er blickte mit einem undeutbaren Ausdruck auf dem Gesicht auf den Schulhof hinunter. Tatsächlich war Nowitzki noch recht jung, vielleicht Anfang dreißig, aber sein strenges Gesicht ließ ihn älter wirken. Im starken Kontrast zu seinem Anzug standen tatsächlich seine langen, dunkelblonden Haare, die er im Nacken zu einem Zopf zusammengebunden trug. „Also wenn du schläfst, schläfst du wirklich wie ein Stein“, hörte Constantin Nowitzki sagen. Es raschelte und ein Gähnen war zu hören. „Es ist eben eine wahre Kunst“, sagte die Stimme eines Mädchens. Eine Stimme wie Glas; farbenfroh, aber klar. Constantins Blick schnellte in die Richtung des zugezogenen Vorhangs. „Also hast du dich endlich entschieden, doch am Unterricht teilzunehmen.“ Es klang eher nach einer Feststellung denn einer Frage. Das Mädchen stöhnte auf. „Diese Klatschbasen... an dieser Schule bleiben unwichtige Dinge wirklich nicht lange geheim...“ „Zur Verteidigung der restlichen Schülerschaft: Ich habe es von Mrs. Dawson erfahren. Sie saß im Lehrerzimmer schwer grübelnd über ihr Handy gebeugt und ich kann auch auf Handyfotos noch deine Handschrift erkennen, weißt du? Danach ist es ein wenig aus Mrs. Dawson... herausgesprudelt, wenn man das so nennen möchte. Du strebst also wirklich den ersten Platz an?“ „Jaah... Ich war wirklich genervt.“ Constantin wusste, dass es sich nicht gehörte, zu lauschen, aber er konnte nicht anders, als er so leise wie möglich den Karton abstellte. Er wusste auch genauso, dass er auf sich aufmerksam machen sollte, aber... er tat es nicht. „Die arme Mrs. Dawson hat sich auch immer wieder gefragt, warum deine Noten so schlecht sind, wenn du doch vorlernst... Ich habe ihr diese Illusion nicht zerstört.“ Das Mädchen schnaubte. „Ich sehe wenig Sinn darin, das Lösungsbuch auswendig zu lernen. Eliteschule, am Arsch...“ Nowitzki räusperte sich mahnend. „Aber es ist doch wahr...“, widersprach das Mädchen. „Meine Noten sind so bescheiden, weil ich mich langweile... Meine gute Tat jeden Tag besteht darin, im Unterricht zu schlafen, statt mich der Jugendkriminalität zu verschreiben... Die einzigen Lehrer, die nicht nach diesem Auswendiglernprinzip unterrichten, sind Mr Shadowstalker, Frau Brandt und du. Was mich dieses Mal wirklich genervt hat, war nicht, dass sie mich beleidigt haben, damit kann ich leben und das kratzt mich herzlich wenig, aber alle anderen Clubmitglieder haben genauso den Aufnahmetest geschafft, wie jeder andere hier auch. Nur sind sie alle demotiviert, weil sie von allen Seiten dämliche Bemerkungen ernten. Wenn ich dieser ständigen Degradierung ein Ende machen will und das nur geht, indem ich den entsprechenden Leuten den Wind aus den Segeln nehme... so sei es.“ „Aber ist das nicht zu, hm, auffällig?“ „Ich rechne damit, dass sie nicht glücklich darüber sein werden, aber so langsam ist mir das egal“, sagte das Mädchen, aber aus ihrem scheinbar gleichgültig Ton konnte Constantin noch etwas anderes heraushören. Ärger? Trotz? „Ich habe meinen Anweisungen soweit Folge geleistet; nichts, was zu sehr an vorher erinnert, keine Clubs, die irgendetwas mit physischen Auseinandersetzungen zu tun haben. Niemand hat etwas von akademischen gesagt.“ Dann trat Schweigen ein. Was für 'Anweisungen'?! 'Vorher'?! Constantin haderte immer noch mit sich, irgendein Geräusch von sich zu geben. Allerdings war auch etwas Seltsames an diesem Gespräch, das sein Interesse geweckt hatte. „Immer wenn ich es sehe“, begann Nowitzki schließlich wieder, „frage ich mich: Tut es weh?“ Constantin hörte wieder das Rascheln von Stoff. „Würdest du mir glauben, wenn ich 'nein' sage?“, fragte das Mädchen ausweichend. „Es sieht so aus, als müsste es wehtun.“ „...da hast du deine Antwort.“ Es war nicht nur der Inhalt des Gespräches, der seltsam war. Erst jetzt bemerkte Constantin, dass das Gespräch auf Deutsch war. Thilon, die Stadt, in der sie lebten, war multilingual; Deutsch und Englisch waren gleichwertige Amtssprachen, doch Französisch und Spanisch waren anerkannte Minderheiten. Auf Liernigat, Constantins Schule, wurde, mit Ausnahme des Deutschunterrichts, auf Englisch unterrichtet und die meisten Konversationen fanden ebenfalls auf Englisch statt. Da Constantin selber allerdings deutscher Muttersprachler war, war ihm zunächst nicht aufgefallen, dass das Gespräch zwischen den beiden auf Deutsch geführt wurde und das Mädchen Nowitzki die ganze Zeit bereits mit dem informellen Du angeredet hatte. „Aber sehen wir es mal positiv: Ich bin noch nicht tot und kann auch noch, zwar bis zu einem gewissen Maße begrenzt, sicher ᛗᚫᚷᛁᛖ wirken“, sagte das Mädchen. „Wenn man bedenkt, dass es nur wegen etwas so kleinem möglich ist...“ Was wirken? Constantin hatte das Wort nicht verstanden, aber nicht weil das Mädchen undeutlich gesprochen hatte; ihre Stimme war wie immer glasklar gewesen. Es hatte sich für Constantin angefühlt, als hätte er für einen kurzen Moment sehr dicke Ohrenschützer getragen, die alle Geräusche dämpften. Nowitzki sagte daraufhin eine Weile nichts, ehe er sich räusperte und wieder das Wort ergriff. „Komm, lass uns gehen. Deine Schwester wartet sicher schon und ich denke, sie würde sich sicher freuen, dich noch einmal zu sehen, bevor sie aufbricht.“ Constantin konnte das Rascheln der Laken vernehmen und es klang so, als sei das Mädchen endgültig aufgestanden. „Arbeitet sie dieses Mal für die Familie oder...?“ „Nein. Für die ᚲᚫᛗᛒᛁᛟᚾ. Soweit ich weiß, kam der Auftrag auch direkt von ihrem Vater.“ Da war es wieder, dieses Gefühl, als hätte Constantin auf einmal Watte in den Ohren. Aber nur für einen Moment und dieses Mal bei Nowitzki für die Dauer von vielleicht ein paar Worten. Danach klang Nowitzkis Stimme wieder gewohnt hölzern. Sie hatte sich angehört, als hätte sie die Laken glatt gezogen, doch nun hielt sie inne. „Das klingt nicht gut.“ Constantin konnte sich seltsamerweise vorstellen, wie sie mit gerunzelter Stirn zu Nowitzki aufblickte. „Irgendetwas scheint sich verändert zu haben“, sagte Nowitzki. Er klang zustimmend und sie setzten sich in Bewegung. Unwillkürlich trat Constantin weiter in die Schatten. Er konnte nicht sagen, warum er sich vorher nicht bemerkbar gemacht hatte, doch nun entdeckt zu werden, wollte er auch nicht. „Vielleicht solltest du mit deiner Emanzipierung doch warten.“ „Woher...?“ Sie wirkte wirklich überrascht. So überrascht, dass sie sogar wieder stehen blieb, als sie und Nowitzki in Constantins Sichtfeld traten. Nowitzki fasste ihr an den Ellenbogen, offenbar um sie dazu zu bringen, weiterzugehen. „Bitte. So schwer ist das nicht zu erraten und es ist ja nicht so, als könnte ich es nicht nachvollziehen.“ Er hörte sich mitfühlend an, was Constantins Vermutung, dass die beiden eine engere, persönliche Bindung zu haben schienen, die über ein Vertrauenslehrer-Schüler-Verhältnis hinausging, bestätigte. Sie antwortete leise etwas, doch Constantin konnte sie nicht mehr genau verstehen, da sie und Nowitzki in den Gang hinaustraten und sich entfernten. Erst als er auch ihre Schritte auf dem Gang nicht mehr vernehmen konnte, wagte er es wieder, sich zu bewegen. Er fühlte sich schuldig, ein privates Gespräch so belauscht zu haben, aber etwas wirklich Seltsames ging mit Gale Hastings vor sich. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)