P.S. Fuck You von abgemeldet (F**k your clever titles!) ================================================================================ Kapitel 16: Aftermath --------------------- Sakuras Klagerufe hallten schmerzhaft in seinen Ohren, während er damit beschäftigt war, Itachi mit seinen Fäusten zu bearbeiten. Blinde Wut war das, was ihn antrieb und noch nie zuvor hatte er so die Kontrolle über sein eigenes Handeln verloren, doch diese Situation trieb ihn an den Rand seines Verstandes. Das Gesicht seines älteren Bruders war schon längst blutig, sein Schmerzensschreie versagt, doch konnte und konnte er nicht aufhören, bis eine zittrige Hand sanft seine Schulter berührte. »S-Sasuke... Hör auf... Bitte«, schluchzte Sakura und tatsächlich hielt er abrupt inne, doch getraute er es sich nicht, sie anzublicken. Ihr Gesicht war vom Weinen vermutlich aufgedunsen, die Augen rötlich und so arg geschwollen, dass sie kaum mehr als offen zu bezeichnen waren. Er wollte ihr Elend nicht sehen, denn er war Schuld daran. Einzig und alleine er. Er hatte ihr versprochen, dass niemandem etwas passieren würde, doch nun saß er über seinem in Ohnmacht geprügelten Bruder, während Sakuras Mutter... tot auf dem Boden lag. Tot. Alleine das Wort zu denken schnürte ihm schon die Kehle zu, sodass das Schlucken zur Qual wurde. »Hast du... Hast du den Arzt gerufen?«, fragte er und stellte fest, dass seine Stimme sich so gar nicht nach ihm anhörte. Sie war ihm fremd, was ziemlich genau zu dem passte, was er momentan fühlte. Einfach alles war gerade fremd. Surreal, um es zu definieren. Einfach nur wahnwitzig und verückt. »J-ja«, brachte sie zwischen zwei neuerlichen, heftigen Schluchzern hervor, ehe sie auf die Knie sank und sich an seine Schulter lehnte. Innerhalb von Sekunden war der Stoff durchgenässt, sodass er ihre kalten Tränen auf seiner Haut spürte. Erneut brach eine Welle der Schuldgefühle über ihm ein, noch heftiger, als die zuvor. »Das ist nur ein Traum«, stammelte sie wie im Wahn und bohrte ihre Finger in den Stoff seines Pullovers, »Nur ein verrückter, kranker Traum...« Wieder und wieder wiederholte sie diese beiden Sätze, um sich selbst davon zu überzeugen, doch er wusste, dass sie zu intelligent war, um ihnen Glauben zu schenken. Selbst in ihrem jetzigen Schockzustand. »Sakura...« Er griff behutsam nach ihrer Hand, welche immer noch an seiner Schulter verweilte und drückte sie sanft, versuchte sie zu beruhigen, doch er wusste es besser. Er würde sie nicht beruhigen können. Niemand konnte das. Eine Weile verharrten sie in völliger Stille so. Lediglich Sakuras markerschütternde Schluchzer wussten diese Stille zu durchdringen, ehe das ferne Läuten von Sirenen auftauchte. Es war wie eine unfassbar traurige Melodie und noch nie – in ihrem ganzen Leben nicht – hatte sie sich so furchtbar gefühlt. Bereits jetzt war dort, wo ihr Herz schlug, ein gewaltiges Loch entstanden. Ironischerweise gingen ihr all die schlimmen Sachen durch den Kopf, die sie ihrer Mutter an den Kopf geworfen hatte und jetzt...? Jetzt würde sie nie wieder ihre Stimme hören. Ihr Lachen. Ihre fürsorglichen Arme auf ihrem Rücken spüren. Ihre aufmunternden Worte. Nichts. Nie mehr. Leere breitete sich in ihrem Körper aus, betäubte ihre Gelänke, lähmte ihren Verstand. Tränen flossen unaufhörlich aus den Augenwinkeln, obgleich sie schon seit Minuten nich mehr aktiv weinte. Nichteinmal Sasukes geschockten Blick, als er sie zum ersten Mal richtig anblicke, registrierte sie. Auch nicht, wie er sie behutsam an den Armen packte und sie nach oben zog – weg von Itachis ohnmächtigen Körper. Nicht, wie er sie umarmte, als wäre sie aus Glas. Nicht, wie er sie in den Arm nahm, während im Hintergrund die Sirenen immer lauter wurden. Wie im Film lief alles in Slow Motion ab. Die Ärzte, die Sasuke herein ließen und sich um ihre Mutter kümmerten und auch um Itachi. Sie stand einfach da, mitten in der Küche und fühlte nichts. Sakura brach erneut in heftige Schluchzer aus, welche ihren ganzen Körper erschütterten, als sie sah, wie die Männer und Frauen im weißen Kittel ihre Mutter zugedeckt auf einer Bahre aus dem Raum trugen. Ihre Knie vermochten ihr Gewicht nicht mehr zu tragen, doch bevor sie stürzen konnte, fing Sasuke sie auf und drückte ihren Kopf sanft an seine Brust. Er überlegte, was er sagen sollte, doch er wusste nur zu gut, dass nichts, was er sagen würde, ihr helfen würde. Rein gar nichts. Die Ärzte waren so verständnisvoll wie man es sich nur wünschen konnte, denn sie ließen Sakura und Sasuke in Ruhe. Noch. Zuerst kümmerten sie sich um den arg zugerichteten Itachi, wegen dem Sasuke der Polizei später noch einiges zu erklären hatte. Doch er bereute keinen einzigen Schlag, den er auf seinen Bruder gelandet hatte. Er bereute es eher, dass er sich von Sakura zum Aufhören überreden hatte lassen. Jeden Schlag, den er hätte landen können, wäre noch immer einer zu wenig gewesen. Frust und Schuldgefühle kochten in ihm wie ein toxisches Gebräu, brachten seine Adern zum Glühen, doch er wusst, dass es sinnlos war. »Lass mich nicht alleine... Bitte...«, flehte die Rosahaarige nach einer weiteren, kleinen Weile, woraufhin Sasuke sie nur fester umarmte. »Für nichts auf der Welt«, versuchte er sie zu beruhigen und streichelte ihr in Kreisbewegungen über den Rücken, grub die Finger fester in ihr Haar, sorgsam darauf bedacht, ihr nicht wehzutun. Doch er wollte sie festhalten. Und nie wieder loslassen. Denn Halt war das, was Sakura jetzt am meisten brauchte, zumindest ging er davon aus. »Es tut mir wirklich Leid, Miss Haruno« Eine junge Ärztin war an die beiden heran getreten und nur höchst wiederwillig löste Sakura sich von Sasuke. Ihr Gesicht war tatsächlich rot geschwollen, die Augen kaum mehr als Schlitze, aus denen unablässig Tränenflüssigkeit floss. »Wir müssen Sie kurz untersuchen, gewiss haben Sie einen großen Schock erlitten. Ich denke auch, dass es besser wäre, wenn Sie mit uns zur Beobachtung ins Krankenhaus fahren würden, doch das ist schlussendlich Ihre Entscheidung.« Das Mitgefühl in ihren Augen war aufrichtig, doch auch das half Sakura herzlich wenig. Dennoch ließ sie sich auf einem der Küchenstühle ab und ließ die kurze Behandlung wortlos über sich ergehen. »Also, was meinen Sie? Wollen Sie mit uns kommen?« Die Hand der jungen Ärztin ruhte auf ihrem Unterarm und übte sanften Druck auf ihn aus. Auch sie war geschockt von dem Anblick, welcher sich ihnen hier geboten hatte, doch ihre Professionalität erlaubte ihr es nicht, sich das anmerken zu lassen. »Die Polizei wird hier auch noch auftauchen, oder?«, fragte Sasuke, welcher auf dem Stuhl direkt neben Sakura saß und ihren Oberschenkel streichelte. »Ja, jede Minute, sie werden sich den Tatort genau anschauen, Beweise sichern und sie beide befragen. Herr Uchiha ist ja derzeit noch nicht in der Lage dazu. Die Befragung sollte allerdings nicht allzu lange dauern, da die Sache per se ja ziemlich klar ist...« Sie seufzte, als sie erneut in Sakuras ausdrucksloses, aber immer noch weinendes Gesicht blickte. Das Mädchen tat ihr von ganzem Herzen Leid, doch sie wusste, dass sie nichts für sie würde tun können. »Ich will hier bleiben«, sagte Sakura mit tonloser Stimme und legte ihre immer noch zittrige Hand auf Sasukes, welcher ihr einen kurzen Seitenblick zuwarf. »Je... Je schneller ich es hinter mir habe... Desto besser...«, stammelte sie, den Blick gen Boden gerichtet. Die junge Ärztin nickte nur als Antwort, ehe sie sich auf dem Absatz herum drehte und zu ihren Kollegen nach draußen ging. Sie würden ebenfalls noch auf die Polizei warten müssen, um sich mit ihnen kurzzuschließen, doch der Fall war klar, weswegen alles reibungslos über die Bühne laufen sollte. Es dauerte auch nicht lange, ehe Sirenen ein weiteres Mal die Stille in der Küche duchdrangen und sich rasch dem Haus näherten. Wenig später standen einige Beamten in der Küche, manche nahmen Proben vom dem Blut, was auf dem Boden verteilt war. Das von ihrer Mutter und das von Itachi. Auch Itachis Waffe konfiszierten sie, genauso wie die leere Hülse, die einsam und alleine auf dem Boden lag. Danach wandten sich die Beamten an Sasuke und Sakura. Sakura war Sasuke unendlich dankbar, dass er den größten Teil der Befragung allein machte, sodass sie nur hin und wieder bejahend nicken oder verneinend den Kopf schütteln musste. Noch immer kribbelte es in ihrem ganzen Körper vor Taubheit. »Miss Haruno«, sprach einer der Beamten sie freundlich an, »Es tut mir schrecklich um ihren Verlust Leid. Ich weiß, das bringt ihnen nicht viel, aber dennoch.« Damit verbeugte er sich leicht vor den beiden und ließ sie alleine. Sakura saß stocksteif auf ihrem Stuhl, unfähig, irgendetwas zu unternehmen. Sasuke indess schrieb einige Nachrichten an Ino, Naruto, Hinata und Co. und umriss mit wenigen Worten, was heute in Sakuras zu Hause vorgefallen war. Die Reaktionen waren alle gleich, jeder drückte sein Bestürzen aus und verlangten, dass die beiden zurück kehrten, damit sie sich um Sakura kümmern konnten. Ino versprach sogar, umgehend zu Tsunade zu gehen und ihr Bericht zu erstatten, damit ihr längeres Fehlen nicht weiter auffiel. »Sakura?«, begann Sasuke zaghaft, als hätte er Angst, sie zu Tode zu erschrecken, »Wir sollten langsam zurück fahren. Hier zu bleiben, wäre, glaube ich, fatal. Du brauchst ein wenig Ablenkung, damit du... das hier verdauen kannst. Auch wenn das wahrscheinlich nie ganz der Fall sein wird.« Sakura war dankbar dafür, dass er sie mit Samthandschuhen anfasste, doch gleichzeitig machte ihr es das nur noch schwerer. Sie wusste, dass sie, wenn sie hier bleiben würde, am direkten Ort des Geschehens, dann würde sie noch heute Nacht dem Wahnsinn verfallen, aber dennoch wollte sie nicht weg. Es roch hier noch nach ihr und noch immer hatte sie die Hoffnung, dass Mebuki im nächsten Moment ihren Kopf durch die Türe schob und sie schelmisch angrinste, weil Sasuke schon wieder in ihrer Nähe war. Aber das würde nicht passieren. Nie mehr. Die Realisation schlug ihr erneut wie eine stählerne Faust ins Gesicht und trieb ihr die Tränen in die Augen. Ihre Hand wanderte unter Sasukes weg, direkt zu ihrem Mund, um weitere Schluchzer zu unterdrücken. »Hey, Sakura...« Er legte ihr den Arm um die Schulter und schob seinen Stuhl ein wenig näher zu ihr, um sie in den Arm nehmen zu können. Es faszinierte ihn, wie sehr ihn ihr Schicksal mitnahm, war er anderen Menschen sonst doch so kühl und distanziert gegenüber. Doch Sakura war von Anfang an anders gewesen. Ihre Verbindung zu Itachi, ihre sture, eigensinnige Art, ihre spitze Zunge. Schlagartig wurde ihm klar, dass er die Sakura, die er schätzen und lieben gelernt hatte, lange nicht mehr so sein würde. Warte... Lieben? Ruckartig schüttelte er den Kopf, um diesen albernen Gedanken zu verscheuchen, was Sakuras Aufmerksamkeit auf sich zog. »Alles okay?«, fragte sie ihn und schluckte den nächsten Schluchzer herunter. Beinahe hätte Sasuke gelacht, so skuril war es, dass sie ihn fragte, ob alles okay war. Aber nur beinahe. »Ja... Ja, Sakura, alles okay. Lass uns heimgehen, okay?« Er schenkte ihr ein aufrichtiges Lächeln, eines der ersten, komplett ehrlichen Lächeln und es warf sie buchstäblich um. In ihrem bleiernen Magen versuchte etwas verzweifelt, sich Platz zu machen, doch sie konnte es nicht benennen. »Ja... Lass uns nach Hause gehen...« Denn das würde nie wieder ihr zu Hause sein. . . . Im Internat angekommen wurden die beiden förmlich angesprungen von allerlei Schülern. Jeder, der in Reichweite kam, versuchte Sakura anzufassen und ihr oder sein Mitgefühl auszusprechen, doch in ihren Ohren war das alles wertlos. Was allerdings nicht wertlos war, waren ihre Freunde. Naruto, Tenten, Ino und Hinata setzten keine möglichst heiteren Gesichter auf, um zu versuchen, sich abzulenken. Ihre Gesichter waren betrübt und zeigten an, dass der Vorfall sie auf eine andere Art ebenso sehr mitnahm, wie sie selbst. Es war beruhigend, dass sie nicht versuchten, ihre Stimmung aufzuheitern, denn das würde eine lange Zeit sowieso nicht funktionieren. So kam es, dass sich die Menschentraube um Sakura und Sasuke sich recht schnell aufzulösen begann, wofür Sakura insgeheim sehr dankbar war. Natürlich freute sie sich, dass jeder versuchte, Anteil an ihrem Leid zu nehmen, es rührte sie sogar, doch gerade wollte sie niemanden sehen außer ihre engsten Freunde. Und die erwiesen sich als die Besten, die sie sich hätte wünschen können. »Schöne Scheiße«, war das erste, was aus Tenten sprudelte, wofür sie sofort den härtesten Schlag kassierte, den Ino wohl in ihrem ganzen Leben ausgeteilt hatte, was aus Sakura tatsächlich fast so etwas, wie ein Lächeln heraus lockte. »Noch taktloser hättest du nicht sein können, Großmaul? Sogar Naruto hat sich zurück gehalten!«, schimpfte sie und Tenten hob beschwichtigend die Hände. »Tut mir Leid, tut mir ja Leid«, stammelte sie verlegen, »Du weißt doch, dass ich nicht gerade für meine verblümte Art bekannt bin... Sakura, du weißt, wie ich es gemeint habe, oder?« Beinahe flehentlich schaute sie die Rosahaarige an und die nickte, immer noch mit komischer Grimasse. Das Gefühl von vorhin breitete sich in ihrem Magen aus, verdrängte ein wenig von dem alles verschluckenden Blei. »Sakura, wann auch immer du etwas brauchst, du kannst immer – wirklich immer – gerne zu mir kommen, ja?« Hinata lächelte ihr milde zu und berührte sie am Unterarm, so, wie Sasuke es vor wenigen Stunden getan hatte. Und mit dieser Geste sagte sie noch weit mehr aus, als sie es gerade mit Worten getan hatte. Dankbarkeit flutete durch Sakuras Körper und vertrieb ein bisschen die betäubende Kälte, die bis dato in ihr herrschte. »Danke, Hinata. Wirklich.« Und sie meinte es auch wirklich so. Sie versuchte zu lächeln, während sie in die Runde blickte. »Ach, verfluchte Axt nochmal, komm' jetzt her!«, stöhnte Ino und zog ihre beste Freundin in eine heftige Umarmung, in die auch Tenten beherzt mit einfiel. »Ich bin so froh, dass dir nichts passiert ist«, wispert sie so leise, dass nur Sakura es gerade so noch vernehmen konnte. Zum ersten Mal seit Stunden wünschte Sakura sich nicht mehr ganz so sehr, dass die Kugel lieber sie getroffen hätte; ihre Schuldgefühle wurden weniger, wenn auch nur einen winzigen Hauch. »Danke, Leute, wirklich...«, wiederholte Sakura und erwiederte die Umarmung der beiden so fest es ihr möglich war. »Dafür musst du dich wirklich nicht bedanken«, kommentierte Tenten und ließ sie los, um sie mit ernsthaften Augen anschauen zu können. Ein kleines Lächeln, leicht zu übersehen, huschte über Sakuras Lippen. »Ich glaube, ich brauch' erstmal meine Ruhe, Leute. Nehmt es mir nicht übel... Aber ich würde gerne auf mein Zimmer gehen...« Keiner der Anwesenden erhob Protest, schauten ihr nur dabei zu, wie sie schlurfend den Weg ins Internat antrat. . . . Die Wochen verstrichen und Sakura zog sich immer mehr in sich zurück. Hatten ihre Freunde anfänglich noch die Hoffnung gehabt, dass sie den Schock und die Trauer gut überstehen würde, so wurden sie nur kurz darauf eines Besseren belehrt. Der Frühling kam immer näher und die ersten Bäume fingen an, zu blühen, doch Sakura war so ziemlich die Einzige, die daran keine Freude fand. Die Beerdigung hatte eine Woche nach dem Vorfall stattgefunden, doch noch immer trug sie ausschließlich schwarze Klamotten. Ihre Haare waren häufig ungewaschen und strohig, das Gesicht von Müdigkeit geprägt, doch dass, was ihre Freunde – und vor allem Sasuke – am schlimmsten traf, war die Tatsache, dass Sakura ihre spitze Zunge scheinbar verschluckt hatte. Die Stimmung über dem Zimmer von Naruto, Sasuke und Sakura glich einer übervollen Regenwolke, welche sich partout nicht auflösen wollte, was dem Uchiha langsam mächtig an die Nieren ging. Er konnte nicht mehr länger dabei zu schauen, wie Sakura mit der Stirn ans Fenster gelehnt nach draußen starrte und darauf wartete, dass der Tag vorbei war. In den ersten zwei Wochen war man so gnädig gewesen, Sakura von den Tests zu beurlauben, doch das war nun auch vorbei und ihre Noten litten gewaltig. Wieder einmal stand er an den Türrahmen ihres Zimmers gelehnt und beobachtete sie dabei, wie sie, die Arme um ihre Knie verschrenkt, auf dem Stuhl saß, den Kopf ans Fenster gelehnt und in die Leere starrend. »Sakura...«, begann er nach einer Weile vorsichtig, doch – wie immer – reagierte sie kaum auf ihn. Nur, weil sie das Kinn ein klein wenig in die Höhe reckte, bemerkte er, dass sie seine Präsenz überhaupt wahrnahm. Seufzend lief er auf sie zu und lehnte sich neben sie an ihren Schreibtisch, den Blick nicht von ihr nehmend. »Wollen wir ein bisschen spazieren gehen? Das Wetter ist schön.« Wieder kam keine Antwort, fast so, als verstünde sie seine Sprache nicht, doch nach einigen Minuten – der Kontext war eigentlich schon gar nicht mehr gegeben – schütelte sie den Kopf. Ganz langsam. Wieder überkamen ihn diese schrecklichen Schuldgefühle. Es war sein Bruder gewesen, der ihr das angetan hatte. Sein leiblicher Bruder. Fleisch und Blut. Erneut musste er seufzen. »Sakura, so geht das nicht weiter, deine Mutter-« »hätte das nicht gewollt?«, krächzte sie und als sie ihren Kopf zu ihm wand, konnte er Tränen in ihren Augen glitzern sehen. Man merkte deutlich, dass sie ihre Stimme in den vergangenen Tagen und Wochen nicht allzu oft benutzt hatte. »Oh, bitte, erspar mir diese klischeehafte Ansprache. Als ob du wüsstest, was meine Mutter gewollt hätte. Als ob irgendwer das hier wüsste! Ihr kanntet sie alle nicht und werdet sie auch nie kennen lernen! Sie wird nie wieder etwas wollen!« Zum ersten Mal seit diesem Tag fuhr sie aus ihrer Haut. Die geballte Wut und all die Trauer, die sich seitdem angestaut hatten, entluden sich auf plötzlich auf einmal. »Hast du überhaupt eine Ahnung – hat irgendwer hier überhaupt eine Ahnung, wie es ist, dabei zuzusehen, wie der Psychopath, der dir das Leben zur Hölle gemacht hat, in deinem eigenen Zuhause deine Mutter vor deinen Augen erschießt? Hört doch alle bitte damit auf, so zu tun, als würdet ihr irgendetwas von dem verstehen, was in mir vorgeht.« Die Tränen, welche in ihren Augen geglitzert hatten, quollen nun ungehindert heraus, suchten sich ihren Weg zu ihrem Kinn und perlten dann auf ihren schwarzen Rollkragenpulver, der schon die ein oder anderen Flecken hatte. Sakura wusste tief in sich drinnen, dass alle es nur gut mit ihr meinten, aber dennoch war sie sauer, so unendlich sauer. Schluchzer brachten ihren Körper zum Beben, doch sie dachte nicht daran, sich die Tränen vom Gesicht zu wischen. Sie hatte es satt, hatte alles so sehr satt. »Natürlich wissen wir das nicht, aber vergiss nicht, immerhin war es mein Bruder, der das getan hat. Denkst du, das geht alles spurlos an mir vorbei? Ich war zufällig auch da und habe es miterlebt. Ich habe meinen Bruder verloren! Vielleicht nicht in dem endgültigen Sinne, wie du deine Mutter verloren hast, aber er hat vor meinen Augen einen Menschen umgebracht! Ich war dabei, als sie ihm lebenslängliche Haft verordnet haben!«, konterte er, bereute es aber sofort, seine Stimme so erhoben zu haben, denn Sakura vergrub ihr Gesicht hinter ihren Knien und gab sich hemmungslos einem weiteren Heulkrampf hin. »Sakura...« Er legte ihr eine Hand auf die Schulter. »Ich weiß, dass das nicht einfach für dich ist, das wäre es für niemanden... Aber so kann es doch nicht weiter gehen. Sie dich an! Du bist gar nicht mehr du selbst! Wir machen uns alle schreckliche Sorgen um dich!« »Ich weiß! Es tut mir Leid«, nuschelte sie leise und atmete heftig ein, »Ich weiß das doch auch, aber es ist...« Ihre Stimme versagte, doch sie löste den Griff um ihre Beine und fiel ihm in die Arme, wo sie zum ersten Mal wirklich – wirklich! - weinte. Jedes Zimmer im Umkreis hörte sie weinen, spürte, wie die Wolke über dem Zimmer der Drei ein wenig schrumpfte. Es störte niemanden, dass sie fast eine halbe Stunde lang vor Verzweiflung und körperlich schmerzender Trauer schrie. Jeder, der es mitbekam, senkte den Kopf, im Gedanken bei dem Mädchen, dass den grausamen, viel zu frühen Tod ihrer Mutter mit eigenen Augen anschauen musste. Und sie waren froh, dass der tiefste Punkt für Sakura endlich überwunden war. . . . Es war sicherlich nicht viel, aber es war ein Anfang. Beinahe die ganze Klasse blickte überrascht auf, als Sakura Haruno eine Woche später zum ersten mal mit einem lilanen Pulli in den Raum kam. Immer noch sehr dunkel, aber dennoch farbig. Ino hätte vor Freude fast in die Hände geklatscht, doch sie ließ es bleiben. Stattdessen stand sie auf, eilte zu ihrer Freundin und umarmte sie, als hätte sie sie nicht gestern Abend beim Essen zuletzt gesehen, sondern schon seit Wochen nicht mehr. Tenten löste sich von der Unterhaltung mit Neji, mit dem sie mittlerweile fest zusammen war und trat ebenfalls auf die beiden zu. »Und, wie geht's dir?«, fragte sie vorsichtig nach. Sie war in der vergangenen Zeit auf Abstand gegangen, aus Angst, ihre ungehaltene Art könnte Sakura noch mehr erschüttern. Umso froher war sie, zu sehen, dass die Rosahaarige sie anlächelte. Ein schwaches Lächeln, ja, aber es war eins und das war ein großer Fortschritt. Endlich. »Besser... Hört mal...« Sakura schluckte, doch der Kloß in ihrem Hals wurde nicht weicher, schon gar nicht kleiner, »Es tut mir Leid. Dass ich so unerträglich war. Ihr alle hattet Recht, ich hätte mich nicht so krass gehen lassen sollen.« »Schätzchen, niemand macht dir Vorwürfe, wirklich nicht«, beruhigte Ino sie sofort und Tenten nicke heftig, um die Aussage der Blondine zu unterstreichen, »Komm' und setz' dich, Kakashi-sensei wird zwar, wie üblich, vermutlich gar nicht oder viel zu spät zum Unterricht auftauchen, aber dennoch. Ey! Naruto! Sasuke!«, rief sie an die beiden Jungs gewandt durch den ganzen Raum. Die Aufmerksamkeit der beiden ruhte schon länger auf den drei Mädchen, doch hatten sie ihre Runde nicht stören wollen. »Sakura trägt wieder mal was mit Farbe!«, jubelte Ino, als wäre das wie Weihnachten und Ostern auf einmal, »Könnte zwar der Pulli meiner Oma- Au!«, japste sie, als Sakura ihr einen freundschaftlichen Hieb verpasste. Inos Augen wurden größer, denn Sakura lächelte. Zum ersten Mal lächelte sie wieder und meinte es ernst. »Du bist grässlich, wirklich! Und ausgerechnet du sollst meine beste Freundin sein?«, versuchte sie zu scherzen, was Ino zum kichern brachte. »Wir haben sie wieder!«, meinte Tenten nur kopfschüttelnd, doch auch sie lächelte, während sie einen total affig aussehenden Freudentanz darbot, der die ganze Klasse zum Lachen brachte. . . . »Donnerlittchen!« Ino stieß zischend die Luft aus und fächerte sich mit der Hand ein wenig kühle Luft ins Gesicht. »Könnt ihr glauben, wie schnell es schon wieder Ostern geworden ist? Meine Güte... Und wie warm es ist...« Ein paar Schweißperlen waren auf ihrer makellosen Stirn zu sehen. Wenn es etwas gab, was Ino hasste, dann war es Schweiß. Sobald jemand an ihr vorbei lief, der nur ein wenig eigenen Körpergeruch besaß, rümpfte sie sofort ihre kleine Nase und verzog das Gesicht, als wäre sie soeben einer Kackerlake begegnet. »Ja, die Zeit ist erstaunlich schnell umgegangen...«, seufzte Sakura und trank einen Schluck Eistee aus der Flasche, die sie sich mit auf den Sportplatz mitgenommen hatte. Ihre Nase hatte bis gerade eben noch in einem dicken Schmöker gesteckt, doch Inos neuerliche Klage hatte sie aufblicken lassen. Seit dem Vorfall waren nun ganze zwei Monate vergangen und es ging ihr sichtlich besser. Beinahe täglich besuchte sie das Grab am anderen Ende der Stadt und verbrachte dort die ein oder andere Stunde, um mit ihrer Mutter zu “reden”. »Und du und Sasuke seid immer noch nicht zusammen, es ist ein Jammer«, klagte sie melodramatisch und legte sich den Handrücken an die Stirn, als würde sie jede Sekunde dahin scheiden. Sakura hingegen wurde knallrot im Gesicht, was ihr das Aussehen einer etwas seltsam farbenen Flamme verlieh. Sasuke hatte sich in den letzten zwei Monaten wirklich rührend um sie gekümmert und sie konnte nicht behaupte, dass sie ihm noch immer so abgeneigt war, wie zu Beginn des Jahres. Allerdings zwar seit jeher auch mehr als einiges passiert, was die beiden beinahe gezwungenermaßen zusammen geschweißt hatte. »Ich wüsste nicht, was dich das angeht«, naserümpft sie scherzhaft, »Ich weiß nicht...«, fügte sie dann hinzu und klang auf einmal schwermütig, »Er ist immerhin sein Bruder...« Noch immer getraute sie sich nicht, Itachis Namen in den Mund zu nehmen, doch sie hatte einen Entschluss gefasst, von dem sie Sasuke bereits erzählt hatte. Aber auch nur ihm. Sie wollte Itachi im Gefägnis besuchen und mit ihm reden und auch, wenn das für die meisten vermutlich furchtbar dumm klingen mochte, so brauchte sie dieses eine Gespräch, um irgendwie mit der Sache abzuschließen. Wenn das überhaupt möglich war. Seufzend klappte sie ihr Buch zu, ihre Gedanken waren ohnehin ganz woanders. Gedankenversunken blickte sie auf den Sportplatz, auf dem die Jungs und Tenten eifrig Basketball spielten. Immer wieder ertappte sie sich dabei, wie ihr Blick auf Sasukes verschwitzte Gestalt wanderte, fast wie magnetisch. »Naja, aber mit der ganzen Sache hat er doch irgendwie herzlich wenig zu tun, findest du nicht?«, gab Ino zu bedenken und pustete sich einen Käfer vom Armgelenk. »Wenn du wüsstest...«, dachte Sakura sich, beschied aber, dass es für den Moment klüger war, nicht darüber zu reden. In den letzten zwei Monaten hatte sie gelernt, dass es hin und wieder besser für die eigene Gesundheit war, wenn man die Vergangenheit Vergangenheit sein ließ. »Ganz ehrlich, Ino? Ich glaube, so sieht Sasuke mich gar nicht. Er hat sich einfach so um mich gesorgt, aus Schuldgefühlen, weil Itachi so ein... Mistkerl war«, schloss sie lahm, doch diese Sorge war tatsächlich in ihr aufgekommen und als sie das erste Mal daran gedacht hatte, wurde sie sie einfach nicht mehr los. Beinahe wie Herpes. »Also, sorry, Hasi, aber ich bin nicht blind. Ich seh' doch, wie er dich ansieht!« Ino grinste süffisant. »Okay, okay, okay... Ino? Wie läufts mit Shikamaru?« Augenblicklich wurde die Blondine knallrot im Gesicht, was so gar nicht zu ihrem wasserstoffblonden Haar passte, sodass Sakura in schallendes Gelächter ausbrach. »Erwischt. 1:1, Hasi« Ino plusterte ihre Backen in gespielter Ärgernis auf und lies sie zischend wieder heraus. »Hab' ja schon verstanden, ich halte mich raus, okay?« Ein verschwörerisches Grinsen tauchte auf ihren Lippen auf, was Sakura ganz und gar nicht gefallen wollte. »Wenn ich den faulen Sack überredet habe, mit mir auszugehen, bevor du deinen hübschen Arsch an Sasukes Fersen hängst, musst du mit mir shoppen gehen!« »Ich muss nicht extra erwähnen, dass ich mich darauf niemals einlassen werde, oder? Sag mal, wo ist eigentlich Hinata?« »Hey, Sakura!«, wurde sie plötzlich gerufen und sie erkannte die Stimme prompt. Unter hunderten von Stimmen würde sie diese erkennen. Naja, das war schon ein bisschen übertrieben, aber ihr wisst, was ich meine. Schlagartig drehte sie ihren Kopf in die Richtung, aus der sie gekommen war und lächelte milde, als sie Sasuke auf sich zujoggen sah. »Bleib' bloß weg, Uchiha, du stinkst nach körperlicher Betätigung!«, rief sie ihm scherzhaft entgegen. »Haha, wirklich witzig, Sakura.« Er zog eine Grimasse, als er bei den Mädels angekommen war und ließ sich geräuschvoll direkt vor ihnen ins stachelige Gras fallen. »Wir sind fertig.« »Schön. Und?«, frotzelte Sakura und blickte ihn übertrieben neugierig an. »Ich musste gerade daran denken, dass übermorgen Osterferien anfangen und naja... Ich dachte... Nun, weißt du...« Sasuke stammelte und Sakura hätte schwören können, dass er ein klein wenig röter um die Nase war, als er es sonst nach Sport war. Völlig gebannt von der Tatsache, dass Sasuke Uchiha stotterte, starrte sie ihn aus aufgerissenen Augen heraus an. »Ja?«, fragte sie nach, als er stumm blieb, den Mund aber immer noch zum Sprechen geöffnet. Er kratzte sich verlegen am Hinterkopf – Moment! Verlegen? »Naja, du willst vielleicht nicht alleine in deinem Haus sein, deswegen wollte ich dich fragen... ob du vielleicht bei uns Ostern verbringen willst? Also, mit meinen Eltern und mir?« Sakura ging das Herz auf, buchstäblich. Sie drängte den Gedanken, dass er all das wirklich nur aus übertriebenen Schuldgefühl heraus tat und freute sich einfach über das Angebot. »Gerne! Wirklich«, antwortete sie deswegen und linste aus den Augenwinkeln heraus zu Ino herüber, der man mehr als deutlich ansah, wie sehr sie sich bemühte, keinen erfreuten Schreikrampf zu bekommen und nicht in hecktisches Zucken zu verfallen. Ihre Mundwinkel zuckten untrüglich. »Okay, cool, dann sag' ich meinen Eltern Bescheid!« Sasukes stoische Miene war wieder zurück, als er sich erhob und in Richtung Internat joggte. Kaum war die Tür hinter ihm ins Schloss gefallen, ließ Ino ihrer Euphorie freien Lauf. »Oh. Mein. Gott. Es ist Weihnachten und Ostern geichzeitig. Die Hölle gefriert und es regnet Feuer! Wenn das mal keine Chance ist, um-« »meinen hübschen Arsch an seine Fersen zu heften?«, vollendete Sakura spöttisch ihren Satz und Ino nickte so heftig mit dem Kopf, dass ihr Pony verrückt spielte, »Cool, wie sieht es eigentlich aus, wenn ich die Wette gewinne?«, fragte Sakura sich laut und gespielt unschuldig. Inos Blick war unbezahlbar. Darüber hatten sie noch gar nicht geredet. Das Herz sank ihr in die Hose und allein dieser Anblick befriedigte Sakura zutiefst. »Ich könnte dich ebenso sehr quälen, wie du mich quälen würdest, aber ich glaube, ich wäre schon ganz froh darüber, wenn du mich nicht mehr “Häschen” oder “Schnucki” nennen würdest«, sprach Sakura, nachdem sie ihre beste Freundin lange genug auf den heißen Kohlen gelassen hatte. »Ich hasse dich.« Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)