Words, Hands, Hearts von Miyu-sama (NezumixShion) ================================================================================ Kapitel 1: Sturm ---------------- Schweiß gebadet lag er da. Es regnete und ein stürmischer Wind wehte. Als würde das Wetter ihn verhöhnen wollen: Erinnerst du dich? Damals hat es genauso gestürmt. Damals, als du ihn das erste Mal getroffen hast. Erinnerst du dich? Als könnte er das jemals vergessen. Mittlerweile waren es fast fünf Jahre, doch die Erinnerung daran war noch genauso frisch wie am ersten Tag. Wie sehr er ihm fehlte. Shion hatte beschlossen, die Tage nicht zu zählen, bis er ihn wiedersehen würde. Es mussten nun schon etliche Wochen vergangen sein, die ihm wie eine Ewigkeit vorkamen. Tagsüber war es okay. Es gab so viel zu tun, die perfekte Ablenkung. Er musste sich nur in die Arbeit stürzen. Ja, er arbeitete hart, nicht allein der Ablenkung wegen, sondern auch, um aus dieser Stadt eine Stadt zu machen, auf die Nezumi stolz sein konnte. Natürlich konnte es sein, dass alle Bemühungen umsonst waren. Nezumi hatte die Stadt so gehasst und er konnte es ihm nicht einmal übel nehmen. Wahrscheinlich war das der Grund, wieso er nicht kam. Sein Hass auf No.6 überschattete vielleicht auch diese neue Stadt. Er konnte sich noch erinnern, was Nezumi damals gesagt hatte: „Ich oder No.6.“ War er vielleicht deswegen gegangen? Weil er es nicht in dieser Stadt ertrug, obwohl es nicht mal mehr No.6 war? Und kam er nicht zurück, weil er dachte, dass er sich für die Stadt entschieden hatte? Wenn dem so war, dann würde er vergebens warten. Erschöpft drehte Shion sich auf die Seite. Er war so müde. Müde von den Albträumen, die ihn seit der Besserungsanstalt, seit Nezumis Verschwinden, plagten. Müde vom Warten, müde vom Hoffen. Es zerfraß ihn von innen. „Nezumi.. wo bist du nur?“ Seine Finger berührten seine Lippen. Der Kuss sollte ein Versprechen sein. Würde Nezumi sich wirklich daran halten? Langsam setzte sich Shion auf und blickte auf die Uhr. In zwei Stunden würde sein Wecker gehen. Er könnte sich nochmal hinlegen, aber einen weiteren Albtraum würde er heute nicht mehr ertragen. Shion sah hinaus in den Regen. Würde er kommen, wenn er seinen Namen rief? Würde er da sein, wenn er seinen ganzen Kummer hinaus schreien würde? So wie damals? Er kam auf die Beine, ging zum Balkon hinüber und zögerte. Nezumi..Nezumi! Er riss die Balkontür auf, rannte zum Geländer und schrie. Schrie so laut er konnte, während der Regen in sein Gesicht prasselte und seinen Schlafanzug bis auf die Haut durchnässte. Er schrie weiter und weiter, seinen Schmerz hinaus, Nezumis Namen, bis seine Stimme versagte und seine Knie nachgaben. Shion sank zu Boden und während sein Körper vor Kälte zitterte, spürte er die heißen Tränen auf seinen Wangen.   Nezumi war nicht gekommen. Er war allein.     Es regnete noch immer. Seit gestern Nacht hatte es nicht aufgehört, aber zumindest war der Wind ruhiger geworden. Nezumi blickte in den Wolkenschweren Himmel. Es war viel Zeit vergangen und er war viel herumgekommen. Er wusste, dass er Shion damit verletzt hatte, aber in dem Moment war es das Richtige gewesen. Er hatte sich über vieles klar werden müssen. Und er hatte Angst gehabt. Sein Ziel hatte er erreicht, No.6 war zerstört, aber dann? Was sollte jetzt als nächstes kommen? In dieser verfluchten Stadt leben, als ob nichts gewesen wäre? Wie hätte er das tun sollen? Er wusste, dass Shion alles daran setzte, eine neue Stadt aufzubauen. Aber er konnte nicht. Der Hass gegen No.6 war noch nicht verebbt, die Wunden noch nicht verheilt, als das er dort leben könnte. Es war zu früh. Nezumi wusste nicht, was er mit seinem Leben anfangen sollte und ob es wirklich einen Platz in Shions Leben für ihn gab. Er hatte Shion eine andere Welt gezeigt, dieser war fasziniert gewesen, er hatte langsam begriffen, dass No.6 falsch war. Aber No.6 gab es nicht mehr. No.6 hatte sie zusammengeführt und er fragte sich, ob No.6 sie auch wieder trennen würde. Bei diesem Gedanken hatte es schmerzlich in seiner Brust gezogen. Ja, die ganzen Gefühle, die mit Shion zu tun hatten, machten ihm Angst. Er wollte Shion nicht verlieren, er vermisste ihn, seine Unbekümmertheit, das ruhige Atmen, wenn er nachts neben ihm schlief. Das Lächeln, das wie Sonne war, die warme Hand. Als er fortgegangen war, hatte er nicht geahnt, wie sehr Shion ihm fehlen würde. Er hatte Abstand von dieser Stadt, von seinen Gefühlen gebraucht, um Antworten zu finden; was er wirklich wollte, was er brauchte und welcher Weg der seine war. Er hatte sich einer Wanderschauspielgruppe angeschlossen und war mit ihnen durchs Land gezogen. Dabei hatte er gemerkt, wie Shion ihm keine Ruhe gelassen hatte. Er hatte einfach wissen müssen, wie es ihm ging und somit hatte er seine Ratten los geschickt, um ein Auge auf Shion zu haben. Sie erzählten ihm, was Shion trieb und was nach und nach aus dieser so verhassten Stadt wurde. Shion gab sich Mühe, er kämpfte hart für seine Ideale und das beruhigte ihn. Doch je mehr Zeit verstrichen war, desto öfter kamen Besorgnis erregende Nachrichten. Bis die Ratten ihn erreichten vergingen schon mal ein paar Tage, je nachdem, wo er sich gerade aufhielt. Die erste Nachricht hatte er erst einmal abgetan, wer träumte denn nicht mal schlecht? Doch es blieb nicht bei einem Albtraum. Es blieb nicht bei einer schlaflosen Nacht. Shion litt. Den genauen Grund dafür kannte er nicht, aber er litt. Vielleicht hätte Shion den Ratten etwas erzählt, doch er hatte sie angewiesen, sich ihm nie zu zeigen. Etwas Gutes hatte Shions Leiden jedoch. Es hatte ihm die Antwort auf die Frage gebracht, was er wollte. Was er wirklich wollte war, dass Shion glücklich war. Er wollte ihn beschützen, ihn festhalten, eine Welt erschaffen, die Shion zum Lächeln brachte. Danach hatte er sich auf den Weg gemacht. Mehrere Tage war er unterwegs gewesen und nun hatte er sein altes zu Hause erreicht. Der Westblock hatte sich verändert. Was die Menschenjagd zerstört hatte, war mittlerweile wieder aufgebaut worden. Glücklicherweise war hier bei ihm alles beim alten geblieben. Hier waren keine weiteren Häuser dazu gekommen, er lebte noch immer ein wenig abseits. Es würde ihn nicht wundern, wenn Inukashi ein Auge hierauf gehabt hatte, konnte er doch überall Abdrücke von Hundepfoten entdecken. Müde sah er Richtung Stadt. Er hatte sich beeilt. Da er jetzt wusste was er wollte, hatte er keine Zeit verlieren wollen. „Ich bin ein Idiot..“ murmelte er leise und schickte Hamlet vor, um nach Shion zu sehen. Nezumi seufzte schwer, es fühlte sich an, als hätte er einen Stein im Magen. Ihm gefiel es nicht, dass seine Gefühle eine gewisse Abhängigkeit zur Folge hatten. Er konnte Shion nicht vergessen, geschweige ihn töten, sollte er jemals sein Feind werden. Er hatte versucht, es sich einzureden, dass es ein leichtes war, ohne ihn zu leben, dass er frei war ohne ihn. Doch tief in seinem Inneren hatte er immer gewusst, dass es eine Lüge war. Ja, er hatte sich sehr gekonnt all die Wochen lang belogen. Und obwohl er das wusste, war es ihm dennoch so schwer gefallen, einfach auf sein Herz zu hören. Er war nicht nur ein Idiot, weil er sich verliebt hatte, er dazu auch noch feige. Ein feiger Idiot. Shion machte ihn angreifbar, verletzbar. Und da waren natürlich noch diese kleinen Zweifel, dass Shion ihn nicht mehr brauchte. Dass er sein Glück ohne ihn finden würde. Nezumi schüttelte leicht den Kopf. Vielleicht hatte er es sich eingebildet, aber ihm war, als hätte Shion nach ihm gerufen. „Denn steinerne Grenzen können Liebe nicht fernhalten, und was Liebe kann, das wagt Liebe zu versuchen.“ Zitierte er Shakespeare, um sich selber ein wenig Mut zu machen. Erneut sah Nezumi hoch in den Himmel, der Schal, der ihm als Kapuze diente, rutschte von seinem Kopf. Der Regen war kühl auf seiner Haut. Shion… Ein Fiepsen riss ihn aus seinen Gedanken. Hamlet war schon zurück und zu seiner Überraschung Shion auf den Weg hierher.   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)