Der Ruf von Bamby ================================================================================ Kapitel 1: 1. Explosionen ------------------------- Es war ein grauer Tag. Die Wolken hingen regenschwer über dem Land. Erste Wasserperlen lösten sich aus ihnen, trafen auf saftiges Gras, rutschten an den dünnen Halmen hinunter und begannen das Erdreich zu tränken. Zuerst wenige, dann folgten dichtere Tropfen. Nur ein schwacher Windhauch fuhr über die weite Wiese und brachte ein seichtes Rascheln in das Geäst der alten Akazie. Bunte Bänder waren an dem schlanken Baum befestigt, welche durch die Nässe schlaff nach unten hingen. So tauchten die, eigentlich farbenfrohen, Bänder in das triste Gesamtbild mit ein und spiegelten die Stimmungslage der Gäste wieder. Heute wollte niemand feiern - ehren und gedenken traf den Sinn der Zusammenkunft wohl besser.   Ein Blick aus müden und geröteten Augen schien die Ansammlung von Hexen und Zauberern zu durchbohren. Da standen sie alle mit trauernden Mienen und in schwarze Roben gehüllt. Stille. Trotz der Massen war kein Laut zu hören. Wahrscheinlich verschluckte der Regen unterdrückte Seufzer und Schniefer.  Ein tonloses "Verzeih“, glitt über die trocknen Lippen des verbliebenen Weasley-Zwillings. Seine Augen richteten sich nun auf das Grab zu seinen Füßen. Dieses Trauerspiel gefiel seiner besseren Hälfte nicht, da war er sich sicher und dennoch konnte er nichts dagegen unternehmen. Keiner hatte die Kraft zu lachen und zu scherzen - nicht einmal er selbst. Dabei wollten sie doch immer Freude in die Welt bringen. Zusammen. Aber heute war es anders. Mit wem sollte George scherzen? Wer sollte ihn so verstehen, wie Fred? Er war nicht allein. Nein. An seiner Seite waren Bill, Charlie, Ron, Ginny und natürlich seine Eltern. Ganz zu schweigen von allen Freunden, Bekannten, seinen ehemaligen Lehrern, Arthurs Arbeitskollegen aus dem Ministerium, Stammkunden aus Weasleys Zauberhafte Zauberscherze, Unbekannte. Traurig, verständnisvoll, mitfühlend, bedauernd sahen sie ihn an und dennoch fühlte er sich alleine. Oder gerade deswegen? In seinem Inneren war es kalt, als fehlte da etwas. Ein Teil seiner Seele schien mit Fred gegangen zu sein. Da war keine geheime Verbindung mehr; niemand schien ihn zu hören und verstehen zu wollen. Alles ging so schnell. Von einer Sekunde auf die nächste konnte er den anderen nicht mehr spüren und seit dem war es in ihm leer. Es schmerzte. Geteiltes Leid, ist halbes Leid - so ein Muggel Sprichwort. Warum fielen ihm die Worte gerade jetzt ein? Der Rotschopf konnte sich dies nicht erklären, aber die Muggel hatten recht. George konnte jede Empfindung mit Fred teilen. Die tollen Gefühle wurden dadurch noch schöner und die schmerzhaften erträglicher. Ein unergründliches Phänomen. Die Muggel sprachen von Zauberei, weil sie diese geheime Verbindung auch nicht besser beschreiben konnten. Aber mit Zauberei hatte es nichts gemein - das konnte jeder Zauberer bestätigen. Genauso wenig, wie sich dieser Schmerz, tief in ihm, wie von Zauberhand lösen würde.   Tränen schlichen sich aus seinen Augen und blieben dennoch unbemerkt. Denn Wassertropfen hatten schon längst die roten Haare durchnässt, fanden an den einzelnen Haarsträhnen keinen Halt und rannen an seiner blassen Gestalt hinab. Aus dem Augenwinkel erkannte er, wie sein Vater den Zauberstab empor hob und eine kleine Lichtkugel in den Himmel steigen ließ. Die Bewegung kam George langsam, träge, fast wie in Zeitlupe vor. Nach dieser Lichtkugel erschien eine weitere und keinen Augenblick später noch eine bis letztendlich ein kleines Meer aus Lichtpunkten über den Köpfen schwappte. Nun musste auch der Weasley-Zwilling den Blick empor heben. Die Lichter waren hübsch anzusehen und um einiges besser, als das schwere Grau der Wolken. Zittrig erhob er selbst seinen Zauberstab. "Hoffentlich ist es bei dir nicht so öde“. Es war ein Flüstern, nicht mehr und trotzdem füllte es für eine kleine Sekunde sein Innerstes mit Wärme aus. Seinen Worten folgte nun auch eine Lichtkugel. Jedoch schoss diese, an den anderen Kugeln vorbei und entlud sich hoch oben zu einem Feuerwerk. Das Krachen, Glitzern, Funkeln, Leuchten erweckte die Gäste aus dieser formellen Starre der Trauer. Heftiges Schluchzen trat an Georges Ohren. Keiner der Gäste konnte mehr an sich halten. Niemand sah bedauernd auf die Weasley Familie, sondern nur noch auf die bunten Strahlen unter dem Wolkenrand. Auf einigen Gesichtern zeichnete sich sogar ein zaghaftes Lächeln ab. Endlich trat Leben und Ehrlichkeit in die Zeremonie ein.    Auch Harry war diese Wendung nicht entgangen. Zuvor war die Luft angespannt. Niemand wollte die bedrückende Stille brechen, es wäre unangemessen. Doch dieses Feuerwerk hielt nun keiner der Gäste für unangemessen. Im Gegenteil. Es funkelte in Gedenken an den Weasley Bruder und zeigte die Lebensfreude, mit welcher Fred jeden der hier Anwesenden faszinierte. Keine Worte dieser Welt hätten das Leben von Fred Weasley besser ausdrücken können. Persönliche Erinnerungen, die jeder von ihnen mit Fred geteilt hatte, erwachten in den Hexen und Zauberern. Die Weasley Zwillinge hatten Harrys Leben geprägt. Etliche Bilder schossen ihm durch den Kopf und immer waren diese mit dem Gefühl eines Hoffnungsschimmers verbunden. Die erste Begegnung am Gleis 9 3/4, die Karte des Rumtreibers, die zahlreichen Aufmunterungen, der Aufstand gegen Umbridges Regime in Hogwarts, die Eröffnung von Weasleys Zauberhafte Zauberscherze waren nur einige der Momente, welche er aufzählen konnte. Harry blickte zu dem verbliebenen Weasley-Zwilling. Ein merkwürdiges Gefühl war es, nicht das unzertrennlich scheinende Doppelgespann zu erblicken. George sah schlecht aus und dies versetzte dem Helden der Zaubererschaft Stiche. Hätte er sich Voldemort zeitiger gestellt, vielleicht würde Fred dann noch Leben. Vielleicht wären dann noch so viel mehr am Leben!   Eine Hand, die sich fester um seine schlang holte Harry aus den düsteren Gedanken. Es war Ginnys Hand. Schnell erwiderte er ihre Geste und strich mit seinem Daumen über den schlanken Handrücken. Traurig lächelte sie ihn nun an und deutete auf Hermine, welche ihren Kopf gegen Rons Halsbeuge presste. Ihr Körper bebte verräterisch, während Ron sie im Arm hielt und auf das frische Grab starrte. Harry konnte nicht sagen, was furchtbarer war. Die Tatsache, dass Fred nicht wieder erwachen würde, oder seine Freunde, die darunter litten. Voldemorts zweite Welle der Herrschaft hatte nicht weniger Tod und Verderben gefordert, als die vorherige. Mit dem endgültigen Tod von Tom Marvolo Riddle war der Albtraum nicht vorbei und es würde wohl Jahre dauern, bis sich eine Normalität auf die Geschehnisse legt.   Harry blickte in den Himmel. Das Spiel aus Licht und Feuer war beendet und die letzten Lichtkugeln entschwanden am Horizont. Der Regen hat sich verzogen. In der Wolkendecke befanden sich kleinere Spalten, durch welche Harry den Himmel erspähte. Leise Trauerbekundungen der Gäste, an die Weasleys gerichtet, konnte der Held vernehmen. Am liebsten hätte er sich nun an dieser Stelle verabschiedet. Diese leidvolle Luft zog sich schwer durch seine Lungen. Aber die Weasleys waren seine Familie, er schuldete es ihnen jedes Leid mit ihnen zu durchleben. Harry staunte wie gefasst Ginny wirken konnte, ahnte er doch, wie es in ihr aussah. Die langen, roten Haare hingen in Strähnen und Augenringe prangerten hervor, dennoch schien ihr Körper völlig ruhig. Erneut war es Ginnys Hand, welche Harry ablenkte. Sie hatte sich ihm nun völlig zugewandt und zupfte ein paar seiner nassen Haarsträhnen zurecht. "Nachher gibt es Kuchen“, erklärte sie weich. Ihm war klar, dass der Informationsgehalt dieser Nachricht nicht sonderlich hoch war und sie ihn damit nur auf andere Gedanken bringen wollte. Sie musste Harrys Blicke bemerkt haben. Sieben Tage seit dem Ende des Krieges am 02.Mai waren vergangen und an jedem einzelnen Tag gab sie auf ihn acht. Als hätte sie Angst, er könnte sich sonst in seinem Kummer ertränken. Dabei sollte er doch stark für sie sein, nicht umgekehrt.   Ein gequältes Lächeln umspielte seine Lippen. "Das klingt gut“, erwiderte er. Harrys Blick wanderte über Ginnys Schulter wieder zu seinen Freunden. Doch Ron´s Aufmerksamkeit schien weder auf dem Grab, noch auf Hermine, die sich langsam gefangen hatte, zu liegen. Er fixierte einen Gast, welcher nun vor Arthur und Molly stand und ihnen seine Trauerbekundung in Form eines kleinen Briefes reichte. Mr. und Mrs. Weasley schienen leicht überfordert mit der Situation, bedankten sich dennoch so, wie bei jeder bisherigen Trauerkarte und nahmen den Brief entgegen.    Die Augen seines besten Freundes hatten sich zu kleinen Schlitzen verzogen und er teilte wohl die Meinung der anderen Trauergäste. Ein Raunen zog sich durch die Reihen, nachdem der unerwartete Gast aus dem Schutz der Masse trat. Selbst Harrys Augen weiteten sich ungläubig. Dumpf lauschte er den Gesprächsfetzen anderer Hexen und Zauberer, während er den besonderen Gast genau beäugte.  "Was will der denn hier?“, "Ein Todesser!“, "Seinen Ruf kann der so auch nicht mehr retten!“, "Das Ministerium ist bestechlich!“, flüsterte es aufgebracht aus allen Richtungen. Einige erhoben sogar ihren Zauberstab, dazu bereit, die Situation eskalieren zu lassen. Bei Merlin, Harry hatte in den letzten Monaten so einiges erlebt und dachte, ihn könne nichts überraschen. Aber dieser Besucher stellte seine These völlig um. Eine Mischung aus Erstaunen und Abneigung vernebelten seinen Geist.   Ron war der erste, der in eine direkte Konfrontation mit dem Besucher trat. Seine Stimme klang ungehalten und wutentbrannt baute er sich vor dem Eindringling auf. "Malfoy! Wir nehmen keine Almosen an! Verschwinde lieber, bevor dich die Dementoren erwischen! Askaban ruft!“ Ron´s Stimme beschallte die gesamte Wiese, sodass dieses Grundgemurmel eingestellt wurde und alle Augenpaare auf ihn gerichtet schienen. Angesprochener wirkte erstaunlich defensiv, konnte einen abschätzigen Blick auf Ron jedoch nicht unterlassen. "Kannst du nicht lesen Weasley? Verfolge doch bitte genauer die Klatschblätter. Dann wüsstest du, es gibt keinen Grund für einen Aufenthalt in Askaban.“ Die kalten, grauen Augen des Platinblonden entfachten nun endgültig das Feuer in Ron´s Irriden.  "Ich liefer denen gleich ´nen Grund!“, stürmte Ron mit geballten Fäusten auf den jungen Malfoy zu.   Harry erwachte aus seiner Starre, überbrückte schnell die wenigen Schritte und hielt Ron am Arm zurück. "Der ist die Aufregung gar nicht wert Ron“, begann er seinen besten Freund zu beruhigen. Ron jedoch wandte sich wütend um. "Harry, der ist ein Todesser!“, quietschte der Rotschopf in einer gefühlten Oktave höher und gestikulierte wild. Die Nerven lagen nach den jüngsten Ereignissen bei allen blank. Harry umklammerte Ron´s Handgelenke und bekam so erneut die Aufmerksamkeit seines besten Freundes. "Bitte nicht jetzt, Ron. Es ist Freds Beerdigung.“ Die letzten Worte flüsterte er nur noch; trotzdem lag ein gewisser Nachdruck in seiner Stimme. Der Körper vor ihm gab den Widerstand auf und schluckte. "Hast ja recht“, murmelte Ron mit gesenktem Haupt und drückte sich an ihm vorbei.   Jetzt stand Harry dem Blonden gegenüber. "Es ist besser wenn du jetzt gehst, Malfoy!“, zischte der Kriegsheld etwas zorniger, als beabsichtigt. Angespannt erwartete er einen zynischen Kommentar Seitens Malfoys, den dieser mit Sicherheit schon auf der Zunge hatte. Doch nichts dergleichen passierte. Nur ein undefinierbarer Ausdruck schwang in dem Blick des Slytherins mit, welchen Harry erhaschen konnte, bevor jener disapparierte. Alle Anwesenden, einschließlich Harry waren nicht minder verwundert. Hatten sie sich auf eine längere Auseinandersetzung eingestellt. Dankbar stellte Harry fest, dass diese nicht von Nöten war.  Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)