No Princess von Yinjian ================================================================================ Kapitel 4: Adams Erinnerungen ----------------------------- Die Energie hatte seinen Körper verlassen. Kai ging nach Liams Aussage zurück zur Klasse. Er wollte ihn nicht mehr sehen. Er hat ihm die Zeit genommen. Er hat ihm das Beisammensein mit Anna genommen. In dem Moment hat er sie nicht loslassen wollen. Im Nachhinein… Im Nachhinein war es vielleicht besser so. Man konnte es nicht unterschätzen. Man konnte Anna nicht unterschätzen. „Vielleicht ist sie eine Hexe oder so… Medusa.“ dachte er, als er die Klasse betrat. Mädchen fingen an zu kichern. Kais Lächeln erschien wie ein Werbespot auf seinem Gesicht. Kurz, fröhlich, vorbei als er an seinem Platz stand. Vor ihm drehte sich ein Junge um. „Hey.“ Kai hatte sich nur wenig mit dem männlichen Anteil seiner Klasse abgegeben. „Yo.“ sagte er gedankenversunken und kramte in seiner Tasche nach etwas. Aber was wollte er überhaupt? Seine Hand gefror. Moment. Beim näheren Hingucken sah er, wie blaue Augen unter einem schwarzen Haarschopf auf ihn gerichtet waren. „Du bist doch der von gestern...“ erkannte Kai. Kühle lag in seiner Stimme. Was wollte Adam hier? „Wollt' ich auch gerade sagen. Was wollt ihr von Anna?“ Adam wollte anscheinend nicht lange fackeln. Kai begann zu grinsen. „Eifersüchtig?“ kicherte er schamlos. Doch Adam schien nicht eifersüchtig zu sein. Er schien auch nicht sonderlich beeindruckt zu sein. Was war bloß mit dieser lahmen Reaktion? Adam fing an zu lächeln. „Was machst du überhaupt hier?“ fragte Kai, nun sichtlich genervt davon, dass ein Typ überhaupt mit ihm sprach. „Lernen. Ich sitze seit Anfang des Schuljahres hier, du Idiot.“ entgegnete Adam nun gelassen. Sein Grinsen gab Kai das Gefühl, als würde er sich über ihn lustig machen. Adam stand nun auf und machte Anstalten zu gehen. In der Tür drehte er sich noch einmal um und ging zurück zu Kai. Er legte seine Hand auf Kais Schulter. Dort, wo vorher noch Annas Berührung eingebrannt zu sein schien, brannte nun purer Hass. „Übrigens… Ich bin nicht eifersüchtig. Meine Liebe zu Anna ist unvergleichbar.“ Und es war diese Aussage, diese Bemerkung, mit einem Lächeln gesprochen, die Kai fast zum Würgen zwang. Hass tobte in seiner Magengrube und wollte raus. Er wollte raus, Adam ins Gesicht springen und ihm die Augapfel raus reißen. Er wollte dieses Grinsen zerfetzen. Er wollte es nicht mehr sehen. Doch alles, was Kai tat, war dazustehen und zuzusehen, wie Adam die Klasse verließ. Unterricht begann. Für Adam schien es ein Meeting im Hinterhof zu geben. Adam war an sich ein fröhlicher, offenherziger Junge. Aber nur für die, die ihn kannten. Er war nicht besonders interessiert an schulischen Leistungen, doch schaffte bei jeder Klausur ca. 70% der richtigen Antworten zu erhalten, ohne jemals zu lernen. Schule war nebensächlich. Er trainierte viel, half vielen Sport-AGs aus und war zur Zeit temporäres Mitglied im Fußball-Club, in dem auch Akira als festes Mitglied spielte. Bald stünde ein Spiel gegen die Nachbarschule an, weshalb er oft zum Training gebeten wurde. Doch nicht jetzt. Die Aprilsonne stand im Zenit und warf heißes Licht auf den Schulhof. Geschützt im Schatten der Bäume eilte er zum Hinterhof, zurück zum bekannten und geliebten Gartenschuppen. Nur Yuki war da. „Hey.“ sagte er und vertiefte sich wieder in einen Manga. Anna war nicht da. Seufzend ließ sich Adam auf die Decke nieder, die Mika zum Mittagessen ausgebreitet hatte. „Wo ist Anna?“ „Die Queen?“ entgegnete Yuki ohne aufzublicken. „Nicht wieder aufgetaucht.“. Seine Antwort war knapp. Es nervte Adam, nicht zu wissen, wo Anna war. Die Sekunden verstrichen. Sie wurden zu Minuten. Sie wurden begleitet von einer Melodie aus Vogelgezwitscher. Ab und an hörte man den Schulchor. Ehe er sich versah, war Adam schon in ein Nickerchen verfallen. Es war halb drei, als er die Augen wieder öffnete. Es war nicht mehr so grell, wie zu Mittag. Er packte seine Tasche. Er stupste Yuki gegen die Schulter, der ebenfalls eingedöst war. „Ich hau ab, wir sehen uns morgen.“ Yuki rieb sich den Schlaf aus den Augen. „Warte, ich komm mit.“ Wahrscheinlich wäre Yuki sehr beliebt gewesen. Er hatte eine gute Figur, er war muskulös. Vom Schwimmunterricht her wusste Adam, dass er auch ein Tattoo auf der Schulter hatte. Yukis rotbraune Haare waren nie wirklich gelegt. Man sah die Anläufe, wie er versucht hatte, das Haar mit Gel zu bändigen. Außerdem hatte er mandelförmige, grünbraune Augen. Das Problem war, dass Yuki eher antisozial war. Anstatt mit Leuten zu sprechen, vertiefte er sich in Serien und Comics. Zum Nachteil wurde es dann auch, als er vor einigen Jahren der Gang beitrat. Von dort an hat kaum ein Mädchen außerhalb der üblichen Truppe ihn angesprochen. Mit diesen Gedanken im Hinterkopf schlenderten die zwei Jugendlichen durchs Schultor. Es war immer noch Unterricht, aber wie gesagt: Schule war nebensächlich. An der dritten Kreuzung trennten sich die Wege beider Freunde. „Bis dann.“ Yuki klang nicht besonders aufgeregt. Als Adam Zuhause ankam, war Stille. Anscheinend war seine Mutter gerade fürs Abendessen einkaufen. Normalerweise quatschte sie sich noch mit den Nachbarn fest, aber gesehen hatte er sie nicht. Das, was Adam als „Zuhause“ betrachtete, war ein schönes, geräumiges Einfamilienhaus. Und da sie nur zu dritt hier wohnten, war noch mehr Platz. Liebevoll hatte seine Mutter das Wohnzimmer mit Zimmerpflanzen ausgestattet. Es stand nur ein kleiner Kaffeetisch da, welcher umringt von Sofas und Sesseln war. Gleich nebenan war die Küche, wo meist zusammen zu Abend gegessen wurde. Mit seinen Zehen streifte sich Adam die Schuhe aus. „Bin Zuhause...“ gähnte er. Keine Antwort. Er seufzte. Die Tasche fast über den Boden schleifend trabte er die Treppen hoch. Gleich gegenüber der Treppe war sein Zimmer. Es war direkt über der Garage, wo ein Auto und ein Motorrad stand. Das Auto wurde allerdings seit ein paar Monaten schon nicht mehr benutzt. Liebevoll klopfte Adam an die Zimmertür neben seiner. Keine Antwort. Er öffnete die Tür ohne einen Mucks von sich zu geben. „Anna…?“ Anna lag in ihrem Bett. Der Nachttisch wurde beleuchtet von der Nachmittagssonne, die durchs durch das doppelflüglige Fenster ins Zimmer fiel. Ein Buch lag noch aufgeklappt neben dem schlafenden Körper. Anscheinend war es beim Umdrehen vom Bauch gerutscht. Behutsam nahm der Junge das Buch in die Hand, musterte es kurz, legte ein Lesezeichen in die mögliche Seite und ließ es seinen Platz auf dem Nachttisch finden. Bücher über Dämonen, Vampire und Teufel. Adam seufzte. Anna lag auf der Seite. Diese Sicht verriet ihm, wie immer, was für ein schmales, fragiles Mädchen sie eigentlich war. Ihr Rücken, der ihm entgegen gerichtet war, wurde durch ein altes T-Shirt verdeckt. Die Decke lag nur halb auf ihr. Adam ging in die Hocke und starrte den Rücken an. Die Decke versperrte gerade mal die Sicht auf ihren Po. Vorsichtig, ohne sie wecken zu wollen, hob er das T-Shirt seiner Schwester an und ließ seinen Blick über ihr Rückrat gleiten. Es war deutlich zu erkennen: Kurz über dem Steißbein war ein schwarzer Fleck. Beim näheren Hinsehen erinnerte es an eine Raute. Von ihr aus bahnten sich feine, schwarze Linien den Rücken hoch. Sie gingen nicht besonders weit und endeten meist in abstrakten Formen. Fast sah das Tattoo aus wie der Schatten einer Blume. Nur konnte niemand genau sagen, was für eine Pflanze das eigentlich darstellen sollte. Adam ließ das T-Shirt, was nur an seiner Fingerkuppe hing, wieder fallen, und blickte zu Annas Digitaluhr. 6. April. Normalerweise würde sich Adam langsam Gedanken machen, was er Anna zum Geburtstag schenken sollte. Doch war der ganzen Familie klar, dass dieser Geburtstag nicht wie die bisherigen verlaufen würde. Aus der Sicht eines Menschen war Annas Hintergrundgeschichte wahrscheinlich mehr als lächerlich und unglaubwürdig. Aber was sollte man tun? Anna war nun mal kein Mensch. Es war vor ein paar Jahren, als man ihr erzählte, was es mit dem Tattoo auf sich hatte. Sie war zu dem Zeitpunkt gerade acht Jahre alt geworden. Damals war sie noch bekannt als fröhliches, offenherziges Mädchen mit Zahnlücken. Ihre Haare waren so zerzaust vom Wind und Bäumeklettern, dass ihre Klassenkameraden sie gerne als Affen bezeichneten. Das hatte sie zu diesem Zeitpunkt nie gestört, sie fand es sogar ganz lustig. Aber es war an dem Abend zu ihrem achten Geburtstag, dass ein Mann in Anzug im Wohnzimmer ihres Hauses auf die Kinder wartete. Ihre Mutter hatte ihm Tee serviert, doch die Tasse war bereits kalt und immer noch unangetastet, als Anna und Adam sich zu ihm setzten. Schon damals wusste Adam, worauf das Gespräch hinaus lief. „Es ist an der Zeit, dass du erfährst, wer du bist, Anna.“ begann der Mann, ohne sich vorzustellen. Ihre Mutter schwieg. „Man erzählt sich, dass alle paar Jahrhunderte ein Kind geboren werden würde, dass die Macht der Dunkelheit in sich trägt. Diese Dunkelheit verleiht jedem, der sie besitzt, unvorhersehbare Kräfte. Meistens wurden die, die sie erhielten, zu Königen gekrönt.“ Adam erinnerte sich genau. Annas sonst so strahlend blaue Augen waren gebannt auf die Lippen des Fremden gerichtet, in der Hoffnung, bloß kein Wort verpassen zu würden. „Aber Menschen haben solche Kräfte nicht.“ Schweigen. Adam beobachtete Annas Reaktion. Doch es gab keine. Als hätte sie es schon immer gewusst. „Ich glaube, ich muss nicht noch deutlicher werden, was deine Menschlichkeit angeht. Vielleicht spürst du diese Kraft bis jetzt noch nicht, aber sie wird mit jedem Geburtstag stärker. Du weißt, dass du ein Muttermal auf dem Rücken hast?“ Anna nickte. Auch Adam kannte es. Zu diesem Zeitpunkt war es noch ein Punkt gewesen, der nicht viel größer war als seine Fingerkuppe. „Es wird größer werden. Jedes Mal, wenn ein Jahr vergeht, wird es wachsen. Und so werden auch deine Kräfte wachsen. In spätestens acht Jahren wirst du genau spüren, was mit deinem Körper passiert. Und dann wird es an der Zeit sein, dass du dir einen Prinzen suchst. Einer, den du lieben und vertrauen kannst. Und er wird dich zu einer Königin machen.“ Der Mann hatte kühle, emotionslose Augen. Seine Haare waren strikt nach hinten gekämmt und liefen aalglatt in seinen Nackenansatz über. Er beobachtete Anna. Adam beobachtete Anna. Ihre Mutter schwieg. Anna schwieg und starrte den Mann an. Ihr Blick verlor sich langsam und schien durch ihn hindurch zu wandern. „Nun gut. Um den Rest kümmern Sie sich bitte, Frau Kurosawa.“ Es vergingen nur wenige Sekunden, bis der Mann aus der Haustür verschwand. Annas Mutter setzte sich zu ihr und legte ihre Hände auf die Annas. „Hast du verstanden, worum es ging?“ fragte sie ruhig und liebevoll. Anna nickte wie hypnotisiert. Als wäre jegliche Lebensfreude aus ihr gewichen. Adam erinnerte sich ganz genau an seine Gedanken von damals: „Warum sagst du nichts? Warum hinterfragst du nichts? Warum bist du jetzt so?“ Es waren die Gedanken eines Neunjährigen. „Hör gut zu, mein süßer Engel. Bis du diesen Prinzen gefunden hast, darfst du dich nicht hingeben. Keine Küsschen, keine Umarmungen, nur noch mit Mama, okay?“ sie drückte ihre Tochter fest an sich. Damals war ihr Busen noch üppiger und sie hatte mehr Fleisch auf den Knochen. Anna nickte. Doch wieso sagte sie nichts? „Okay. Das ist mein gutes Mädchen.“ sie kniff Anna liebevoll in die Wange. „Nächste Woche gehen wir Onkel und Tante besuchen, okay? Wir werden da ein bisschen bleiben. Und Onkel und Tante werden dir mehr erzählen, ja?“ Anna schien langsam wieder ihre Worte wiederzufinden. „Onkel und Tante?“. Die Mutter nickte. Anna sah aus, als würde sie stark über etwas nachdenken. „Ich werde mal eine Königin sein?“ fragte sie dann aufgeregt und ihre Mutter fing an zu lachen. „Ja, genau.“ Als Anna 11 Jahre alt wurde, machten sich die ersten starken Veränderungen bemerkbar. Plötzlich wuchs sie in die Höhe, als gäbe es kein Halten mehr. Ihre Gesichtszüge wurden femininer. Ihre Haare länger und voller. Die ersten Jungen machten sich an sie ran. Von Anfang an wusste Adam, dass sie eine Schönheit werden würde. Es war ihr vorherbestimmt. Adam hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, Annas Rücken zu kontrollieren, um den „Verlauf der Sache“, wie er es gerne nannte, im Auge zu behalten. An einem Tag erschrak er so sehr, dass er fast schrie. Das Mal hatte feine Linien gen Schulterblätter gebildet, auch wenn sie noch lange nicht heran kamen. Sie reichten nicht einmal bis zum BH, den Anna neuerdings trug. Auf die Frage hin, ob sie einen Jungen geküsst hätte, wurde sie rot, was mittlerweile selten der Fall war. Sie war beschämt. Anna war zu diesem Zeitpunkt 12 Jahre alt und es war der erste Tag ihrer ersten Periode gewesen. Nur wenige Tage später gab es eine Schlägerei. Jungen, die auf dem Spielplatz anfingen, Annas Klassenkameraden zu bestehlen und zu schlagen, wollten sich nun Anna vorknüpfen. Adam war auch dort gewesen. Viele Erinnerungen hatte er an den Kampf nicht, nur dass er und Anna am Ende mit blauen Flecken übersät, aber als Sieger, übrig waren. Adam war irgendwie an eine lose Metallstange geraten, die er danach immer noch in seinen Händen hielt. Aber er war ruhig. Es war klar, wofür er da war. Er sollte Anna beschützen. Und er würde nicht vor irgendwelchen Kindern Halt machen. Doch hatte er sich keinen Meter bewegt. Sie hatte es alleine getan. Als er Anna ansah, konnte man ihr pures Entsetzen auf einen Schlag erkennen. Sie hatte eine blutige Nase. Ihre Hände zitterten. Sie war nicht cool. Purer Horror war in ihrem Gesicht geschrieben, als sie zu Boden sank und sich übergab. Sie hatte gekämpft und sie hatte gewonnen. Aber irgendwas war nicht normal. So etwas war nicht normal für ein 12-jähriges Mädchen. Man hörte Wimmern. Man hörte, wie Verletzte unter Tränen nach ihren Eltern riefen. Nur wenige Sekunden, nachdem Annas Magen sich beruhigt hatte, kamen die jungen Mika und Yuki angerannt, im Schlepptau mit ihren Eltern. Die Frauen schrien entsetzt auf, einer der Vater zerrte Anna von den Kindern weg, der andere packte Adam am Arm. Es war diese Situation, die Anna 2 Monate Suspendierung bescherten. Dann folgte fast ein Jahr, in dem sie ihre Zeit wieder bei Onkel und Tante hatte verbringen müssen. Ein Jahr, in dem Adam sie nicht sehen würde. Erst seit ein paar Monaten hatte Adam Anna wieder. Diesmal würde er bei ihr bleiben. Diese Erinnerungen bissen sich wie Hunde in seine Gedärme. Jedes Mal, wenn Adam zu diesem Zeitpunkt zurück dachte, wirkte alles noch genau so lebendig, wie als es passiert war. Er starrte Annas Rücken weiterhin an. Seit sie acht war, war aus dem kleinen Punkt auf Annas Rücken ein merkwürdiges Gebilde von Formen und Linien geworden. Es zeigte, dass ihre Macht wuchs. Bald würde sie eine Königin sein. Eine dunkle Königin, die bestimmt, wer genau Macht über diese Welt haben und wer dem Untergang geweiht werden würde. Das Mädchen, das einst voller Freude und Hoffnung steckte, wurde gedrillt, um ihre Rolle im Schicksal der Welt zu erfüllen. Und auch, wenn es Adams Aufgabe war, sie auf dieser Reise zu begleiten, spürte er jedes Mal ein kleines Stechen im Herz, wenn er daran dachte, dass er seinen kleinen Affen nie wieder sehen würde. Dieser kleine Affe war gestorben. Adam stand auf, zog die Decke bis über Annas Schultern und ging in sein Zimmer. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)