Via Inquisitoris - Cum tacent clamant von Hotepneith ================================================================================ Kapitel 10: ------------ Nach einem Mittagessen an einem Stand und einem Burger mit selbst ausgesuchten Beilagen standen der FBI-Agent, der Profiler und die Inquisitorin vor einem Bürohochhaus mitten in der Stadt. Jede Menge Menschen strömten hier und auch in den benachbarten Gebäuden ein und aus, meist Papiertüten mit Essen in der Hand. „Beryll Morris hat es wirklich zu etwas gebracht.“ Daniel McGraw nickte zu dem Metallschild, das, wie so einige, neben der Tür den Namen der Firmen verriet. Und da stand der ihre – sicheres Zeichen, dass sie nicht nur für eine Unternehmensberatung arbeitete sondern sie gegründet hatte. Sarah blickte sich in der Vorhalle neugierig um. Ein Empfangstresen, Sicherheitspersonal. Alles größer, als sie es bei ihren Besuchen mit Lord John in der City von London gesehen hatte. Überdies trugen da die Sicherheitsmitarbeiter keine Colts sichtbar im Halfter. Aber sie drehte sich eilig wieder um, da Daniel seinen Ausweis zeigte. „Miss Morris erwartet uns.“ Die junge Dame am Tresen warf einen Blick auf ihren Bildschirm. „Ja, in der Tat.“ Sarah erkannte daraus, dass Sicherheit hier wohl großgeschrieben wurde. Unangemeldet kam niemand herein. Das zeigte auch, dass die Firmen in diesem Haus Geld hatten. Der Agent nickte nur und schob seinen Ausweis weg, während die Rezeptionistin ergänzte: „Dort, der Lift. Vierzehnte Etage. Es ist ausgeschildert.“ „Danke.“   So erreichte das Trio keine fünf Minuten später die Büroräume der Unternehmensberatung. Eine Vorzimmerdame mit schulterlangen, glatten, fast rabenschwarzen Haaren sah auf, nickte nur, als Daniel seinen Ausweis ziehen wollte. „Ich bin informiert. Miss Morris erwartet Sie.“ Sie erhob sich und klopfte an eine der vier hölzernen Bürotüren, die hier abgingen. Schalldicht, vermutete Sarah – nicht allein. Aber nun gut, Gespräche in solchen Büros mussten vertraulich bleiben. Jedenfalls konnte sie keinen Bannkreis spüren. Berryl Morris war eine sehr schlanke Frau um die Vierzig, eher ein wenig drüber. Sie war offenbar afroamerikanischer Herkunft, trug ihre Haare kurz und ein rotes Kostüm mit schwarzen Säumen, das Sarah als maßgeschneidert einstufte. Und die Inquisitorin schmeichelte sich doch davon etwas zu verstehen. Der Schneider in der Savile Row in London, bei dem die Buxtons seit Jahrhunderten einkauften, war dermaßen elitär, dass er schon bei der Vorstellung in eines seiner Werkstücke einen Aufnäher als Werbung für sich einzusticken in Ohnmacht gefallen wäre. Insgesamt wirkte die Dame hier jedenfalls wie eine erfolgreiche Unternehmerin – nicht wie eine Voodoohexe, wobei Sarah zugab, dass sie keine Ahnung hatte, wie eine solche aussehen sollte. Sie hatte sich damit noch nie beschäftigt. Vorurteil, vermutlich. „Danke, Juana“ sagte Berryl Morris höflich, dann ergänzte sie: „Sie werden nicht erwarten, dass ich begeistert davon bin gleich drei Agents zu Besuch zu haben, aber es wurde dringend gemacht. Setzen Sie sich. Und, bevor Sie mir Ihre Fragen stellen, zwei Dinge. Erstens, ich habe in einer dreiviertel Stunde einen wichtigen Klienten, den ich nicht warten lassen werde. Zweitens möchte ich an Sie eine Frage stellen. Würden Sie die Fragen, die Sie mir stellen wollen, auch einem katholischen Priester stellen?“ „Danke, Miss Morris. Mein Name ist Agent McGraw.“ Daniel wartete, bis auch seine Berater Platz genommen hatten. „Lady Sarah von Interpol und Dr. Philips vom FBI. Er ist Profiler. - Und ja, ich würde auch einem katholischen Priester die Fragen stellen, wenn der Verdacht bestünde, dass einer dieses Berufsstandes als Serienmörder durch die Lande zieht. Oder einem buddhistischen Mönch. Oder dem Papst. Es geht um Menschenleben, Miss Morris, Tote, die man womöglich verhindern kann.“ Die Unternehmensberaterin warf Sarah einen Blick zu, ehe sie sich etwas entspannte. „Nun gut. Also stimmt es, dass Sie mehrere Todesfälle bearbeiten.“ „Fünfunddreißig tote Frauen, womöglich auch mehr. Diese haben wir bislang gefunden und aufgrund der Todesumstände auch genau zuordnen können.“ „Diese Todesumstände führten Sie zu dem Glauben des Voodoo?“ „Nicht nur. Kurz: die Frauen wurden mit Bissmalen und blutleer gefunden.“ Sie unterbrach ihn prompt. „Das scheint mir eher auf Vampire denn auf Zombies zu deuten, nicht wahr?“ Sarah fühlte sich angesprochen. „Kaum, denn ich vermute einmal, dass die Filme über Zombies ebenso übertrieben sind wie die über Vampire. Aber Zombies ist so ziemlich das Erste, was einem einfällt, wenn man an Voodoo denkt. Nicht daran, dass es nur eine Abart des katholischen Glaubens ist.“ Miss Morris musterte sie rasch, zum ersten Mal genauer. Sie hatte sie als jung und Lehrling eingestuft. Aber da war etwas, das sie nicht einordnen konnte, jedoch als Möglichkeit einer physischen Stärke interpretierte. Interpol, ja? „Ich sehe, Sie haben Ihre Hausaufgaben gemacht. Nein, Zombies im Sinn der Filme gibt es nicht. - Voodoo, um einigen Ihrer Fragen schon mal zuvor zu kommen, ist eine Mischung aus den alten, afrikanischen Stammessreligionen und dem aufgezwungenen christlichen, katholischen Glauben der Sklaven. Entsprechend gibt es DIE Religion des Voodoo nicht, sondern wurde und wird je nach Landstrich anders ausgeprägt. In den alten Religionen gab es Zombies. Das war die furchterregendste Form der Bestrafung, die dann auch übernommen wurde. - Es war, und das wird Sie, Agent, überraschen, verboten jemanden, einen Stammesangehörigen, zu töten, gleich, was der angestellt hatte. Hatte dieser seinerseits gemordet oder auch anderes getan, was der Priester und die Ältesten als so böse einstuften, dass er so nicht als resozialisierbar galt, wurde er mit Hilfe von Kräutern und einer gewissen Form der Magie willenlos gemacht. So konnte er als, ja, nicht denkender Mensch, als Geist unter Menschen, tot und nicht tot, doch noch für die Gemeinschaft arbeiten. Die Furcht vor einem solchen Schicksal war allerdings sehr groß. Das wurde auch noch später, vor allem auf Haiti, praktiziert. - Aber gut. Sie kamen sicher nicht wegen der toten Frauen allein auf Voodoo.“ „Nein. Die Mordserie begann nach unserem Wissen vor zehn Jahren, kurz nachdem Catriona New Orleans verwüstet hatte. Zeugen sahen eine verdächtige Frau kurz vor dem Verschwinden mit mindestens drei Opfern reden. Eine Farbige, die sehr, um nicht zu sagen, extrem, dunkel ist. Lassen Sie mich bitte ausreden, Miss Morris. Das trifft natürlich auf sehr viele Frauen zu. Andererseits sind die letzten drei Morde, die immer bei Vollmond stattfinden, in der Gegend um Houston verübt worden, alle nach dem Tod der .... Oberpriesterin?“ „Das ist alles, was Sie haben? Sehr dünn. Und scheint auch nicht zwingend etwas mit meinem Glauben zu tun zu haben.“ „Vor zehn Jahren“, ergänzte Sarah: „Verschwand jedoch aus den Bayous auch eine Voodoopriesterin, gemeinsam mit einer anderen farbigen Frau, die seither beide nicht mehr gesehen wurden. Beide wurden auch nicht tot aufgefunden. Man sagt doch Mambo?“ „Ja. Es gab natürlich Tote bei Catriona, auch unter den Anhängern unseres Glaubens. Und einige davon lebten auch in den Bayous.“ Daniel seufzte fast. Konnte oder wollte ihnen Berryll Morris nicht helfen? Sarah hatte das gleiche Gefühl und blickte einen Moment zu Matho, ehe sie fragte: „Können Sie uns sagen wie man eine Mambo wird? Angeborene Fähigkeiten, eine gewisse Ausbildung oder eher nur Tradition, so von Mutter zu Tochter oder bei Männern von Vater zu Sohn? Mir wurde erzählt, dass Priester Ihrer Religion, wie natürlich auch die von anderen, Personen beeinflussen können. Die Familie der jungen Frau macht sich große Sorgen um sie, da sie nichts mehr von ihr hörten, nachdem sie ihnen erzählte, dass sie sich mit der Mambo angefreundet hat.“ „Aber Sie haben keinen Namen“, erklärte die Unternehmensberaterin. „Dann wären wir kaum hier.“ Matho meldete sich zum ersten Mal zu Wort. „Wir hofften, Sie wüssten einige Namen, die auf unsere, zugegeben mühsamen, Rahmendaten passen könnten. Bedenken Sie, dass der nächste Mord in oder um Houston aller Wahrscheinlichkeit nach zum nächsten Vollmond zu erwarten ist.“ „Und Sie sind sicher, dass es mindestens eine Frau ist.“ „Ja“, sagten ihre drei Besucher sofort. Daniel ergänzte: „Das zahnärztliche Gutachten und die Zeugenaussagen bestätigen, dass es sich um mindestens eine Frau handelt.“ Berryl Morris seufzte ein wenig, ehe sie sichtlich nachdachte. „Vielleicht wissen Sie, dass man bei Priestern und Priesterinnen unserer Gemeinschaft unterscheidet. Einige gehen mehr in die religiöse Laufbahn, wen ich das so sagen darf, andere machen Schadenzauber. Bei Frauen heißt das immer Mambo. Ich persönlich beschränke mich auf Gottesdienste, stelle auch gris-gris her, das sind Amulette, wie sie auch in anderen Religionen üblich sind. Schutz gebend. Sie, Dr. Philips, werden das auch von Ihrem Volk kennen. Ich mache manchmal auch Zauber, um den Liebsten zurückzugewinnen oder anderes. Aber ich schade nie einem Menschen. Andere sehen das anders. Worauf Sie vermutlich hinauswollen ist, ob eine Mambo diese andere junge Frau oder auch die potentiellen Opfer beeinflussen kann. Ja, vermutlich. Man wird geboren mit besonderen Fähigkeiten. Ohne die nutzt jede Ausbildung nichts. Ich wage nur zu bezweifeln, dass sich eine Priesterin an einer anderen Frau so vergreift, dass sie sie zu einem Zombie macht, überhaupt machen kann, ihrem willenlosen Diener, wenn ich das so klar sagen darf.“ „Das denke ich auch“, erwiderte Sarah sofort. Immerhin handelte es sich um einen Vampir, wenngleich nach den Maßstäben dieses Volkes ein Baby. Das sollte dennoch auf seinen „Vater“ fixiert sein. Womöglich war es andersherum und Loyra hatte die Mambo unter Kontrolle? War die junge Vampirin in den kritischen Jahren verrückt geworden? Das kam vor und hatte einst das Amt des Kadash begründet. Leider. „Aber Sie kennen keine Frau Ihres Berufsstandes, die seit zehn Jahren verschwunden ist, und, sagen wir in den letzten drei, vier Monaten bei dem, verzeihen Sie, falls ich das falsch ausdrücke, bei dem Rennen um den Titel einer Oberpriesterin wieder auftauchte.“ „Und, die aus irgendeinem Grund auf junge Frauen Anfang Zwanzig, gleich welcher Rasse,welchen Berufes, so zornig ist, dass sie mordet?“ ergänzte Matho. Die Beraterin sah erneut zu der Inquisitorin. „Wenn ich Sie allein sprechen könnte?“ Daniel, der auf die gewisse Vertrauensbereitschaft gegenüber einer anderen Frau gesetzt hatte, erhob sich prompt. „Natürlich. Wir warten im Vorzimmer.“   Alleingelassen meinte Beryll Morris: „Aus irgendeinem Grund habe ich zu Ihnen Vertrauen. Nennen Sie es eine gewisse Bekanntheit. Sie haben auch so Ihre Beeinflussungsfähigkeiten, nicht wahr? - Eine mögliche Frau auf die das überaus vage Muster des FBI passen könnte, wäre eine gewisse Marianne d´Anjou.“ „Sie nennt sich so oder heißt wirklich so?“ Sie sollte zu dem Thema wie sie Menschen beeinflussen konnte lieber keine Erklärungen abliefern. Das konnte leicht schief gehen, vor allem in Bezug auf die Regel der Unauffälligkeit. „Das weiß ich nicht. Sie lebte in New Orleans und wollte auch die Schülerin von meiner Lehrerin Mama ... gleich … werden. Sie wurde abgelehnt, als sie knapp Zwanzig war. Heute müsste sie so alt sein wie ich. Soweit ich hörte, ging sie dann in die Bayous um allein zu leben. Das war ungewöhnlich, denn jedem hätte klar sein müssen, dass sie ... Nun, sie hätte einfach warten müssen, bis sie in den nächsten Jahren an der Reihe wäre. Ihr Talent war nicht so groß wie das von anderen, aber auch sie hatte die Gabe Leute beeinflussen zu können.“ „Ihr Talent war größer, Miss Morris?“ Sarah lächelte. „Ich spüre es auch bei Ihnen. Man erkennt sich wohl. Nun gut. Aber andere Frauen ihres Alters, oder auch nur eine, wurden ihr vorgezogen?“ „Ja. Ich habe dann auch lange nichts mehr von ihr gehört, aber vor drei Monaten kam ein Brief an … nun, nennen Sie es Sekretariat, die Leute, die die Nachfolgewahl regeln, dass sie sich als Bewerberin präsentierte. Ich war sehr überrascht. Aber sie gab keine Adresse an, keine Telefonnummer, und so vermutete ich, dass sie wieder oder noch immer in den Bayous lebte. Wer ist die Frau, die möglicherweise mit ihr lebt?“ „Die Tochter eines wohlhabenden Mannes, ursprünglich aus New Orleans, jetzt New York.“ „Dann vermute ich, dass er bereits Geld ausgab um sie zu finden und die Mambo dazu. - Es besteht die Möglichkeit, dass sie sich in Houston aufhalten, aber ich denke fast nicht. Marianne war besessen geradezu vom Leben in der Natur. Suchen Sie sie, wenn Sie wollen, in den Wildlife Refuges am Meer. Sie ziehen sich von südlich Houston bis nach Louisiana. Was mich persönlich betrifft, so würde ich Ihnen zu welchen raten, die schon auf Louisiana-Grund liegen. Wetlack Reservation oder Rockefeller Wildlife. Sie sind ziemlich in der Hälfte zwischen New Orleans und Houston und so oder so sollten sich die Damen in solch einer Gegend auskennen. Überdies sind diverse Städte und Städtchen nicht so weit weg, so dass man einkaufen kann ohne allzu sehr aufzufallen. Zumal, wenn beide aus New Orleans stammen und den Dialekt beherrschen. Natürlich ist das alles ohne Garantie und nur aufgrund der wilden Vermutungen des FBI.“ „Natürlich. Vielen Dank, Miss Morris. Ich werde meine Kollegen davon in Kenntnis setzen.“ Sarah erhob sich lächelnd. Ja, in diesen für europäische Verhältnisse großen Schutzparks konnte sich zwei Frauen, die das Leben in den Bayous gewohnt waren, durchaus verstecken. Wo und wie sie zu suchen waren musste Daniel entscheiden. Als sie im Auto berichtet hatte, fragte sie den Profiler: „Warum hat sie doch geredet?“ „Sie haben Ihr wohl Vertrauen eingeflößt, liebe Sarah“, warf der FBI-Agent nach hinten. Matho nickte: „Ja, einmal, weil Sie so wirken, zweitens, weil Sie eben nicht vom FBI sind und drittens: ich vermute, dass Miss Morris durch aus an zwei Dingen interessiert ist: ihre Religion aus der öffentlichen Diskussion herauszuhalten, kurz, uns den Fall so rasch wie möglich beenden zu lassen, und zum zweiten, eine direkte Konkurrentin für den Titel auszuschalten.“ Leider beendete das die Suche des Kadash nicht. Was sollte sie mit dem Vampirkind anfangen, wenn es eine Mambo beeinflusst hatte? Was mit dieser, die doch sicher mehr wusste als erlaubt war? Und die beide Mörderinnen waren? Und was in dem Fall, dass die Mambo die Vampirin unter Kontrolle hatte? Wo lag Recht, Unrecht und die Regel der Unauffälligkeit? Sie sollte jetzt noch die Besprechungen des FBI abwarten, sich dann unter dem Vorwand der Müdigkeit in ihr Hotel zurückziehen und sich dann einen Mietwagen nehmen. Wenn sie langsam genug die Straßen abfuhr – womöglich konnte sie die Vampirin spüren. Natürlich nur, wenn die sich nicht in die echte Wildnis zurückgezogen hatten. Aber diese Reservate waren für Besucher, Spaziergänger, Tierbeobachter und anderes freigegeben, da wären Camper am Rand, zumal zwei Frauen, doch unauffällig. Und es war bequemer.   Lord John saß wie seit Tagen vor seinem Schreibtisch.Die Geschichte um Sarah an sich erschien ihm jetzt so plausibel. Auf die Idee war er eigentlich von der Rückfahrt aus Whitby gekommen, als ihm zum ersten Mal bewusst geworden war, wie blond seine Tochter im Verhältnis zu ihrem dunklen Teint war, der gerade im viktorianischen Zeitalter stets aufgehellt hatte werden müssen. Er hatte bereits länger die Gesellschaftsnachrichten der damaligen Zeit nach einer verschwundenen jungen Dame abgesucht, später auch nach Geburtsanzeigen, aber immer ergebnislos. Jetzt wusste er, wonach er suchen musste. Im Zuge von Napoleons Eroberungen in Spanien waren einige reiche und adelige Leute auch nach London geflohen. Viele waren nach dem Ende des französischen Imperators zurückgekehrt, einige waren geblieben. So oder so hatte es einige Ehen gegeben. So hatte er speziell in dieser Zeit nach Heiratsanzeigen gesucht, deren Namen mindestens einen spanischen Teil verrieten. Es hatte eingie gegeben, die auch einige Jahre später Kinder angezeigt hatten. Deren Leben war er nachgegangen, hatte deren Testamente gesucht und meist gefunden. Bei den wenigen, bei denen das anderes gewesen war, hatte er weiter nachgeforscht. Und er hatte eine interessante Anzeige gefunden. Ein spanischer Graf und ein reicher Handelsherr aus der Londoner City zeigten die Eheschließung ihrer Kinder an. Natürlich der zweite Sohn des Conde, der sein Erbe kaum mit Bürgerlichen schmälern wollte, aber für den Handelsherrn und dessen Tochter eine gute Partie, wurde sie doch eine Viscomtesse. Umgekehrt heiratete der junge Don eine reiche Partie, denn die Dame war die einzige Tochter. Zwei Jahre später gab Don Fernando di Rojo erfreut bekannt, dass seine geliebte Ehefrau Elizabeth eine gesunde Tochter namens Georgette geboren hatte. Nur drei Wochen später war die junge Mutter tot, noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts ein gebräuchliches Schicksal der Mütter. Neugierig geworden war Lod John erneut auf Testamentssuche gegangen. Der Handelsherr hatte seine Tochter als Erbin eingesetzt gehabt, nach deren Tod allerdings seine Enkeltochter. Für den Fall, dass er vor ihrer Volljährigkeit sterben sollte, hatte er Don Fernando als Verwalter eingesetzt. Genau dieser Fall trat ein. Nach Recherchen in der City erfuhr Lord John, dass das komplette Handelsunternehmen daraufhin durch den Vater verkauft worden war.Er behauptete, nach dem Tod seiner Frau und des Schwiegervaters halte ihn nichts mehr in England. Ab sofort fehlte von ihm und Georgette auch jede Spur in den Zeitungen oder der City. So war Lord John vor Monaten nach Spanien gereist und hatte mühselig den letzten Erben der Rojos aufgetrieben, einen alten Trappistenmönch. Dieser bestätigte ihm, dass die Familie nach Spanien zurückgekehrt sei – alle außer Don Fernando, der wohl in London sein Glück gemacht hatte, wie es immer geheißen hatte. Trotz langer Suche hatte John Buxton weder ein Testament des doch sicher wohlhabenden Fernando noch von Georgette gefunden, keine Todesanzeige, kein Grab, nichts. Der Verdacht, dass es sich bei Sarah um Georgette handelte, lag aufgrund ihres Verwandlungsalters nahe. Überdies war sie, als er sie fand eindeutig eine junge Dame mit entsprechender Ausbildung gewesen. Nur, und das war eines der Probleme, die Lord John umtrieben: wie hatte sie das geschützte Haus allein verlassen können, ja, war in eine der ärmsten Gegenden Londons gelangt? Hatte ihr eigener Vater, das Testament seines Schwiegervaters nur zu gut kennend, darum alles verkauft, weil er Geld aber nicht das Unternehmen nach dem Tod seiner Tochter einstreichen konnte? Geplanter Mord? Aber die Gebissenen? Die Vampire? Hatte das Fernando di Rojo auch gewusst? Woher? Und da gab es noch eine Aussage, getätigt vor zwei Jahren am anderen Ende der Welt zu Sarah: ihr Tod sollte eine Gehorsamspflicht sein, hatte Ratsmitglied Ikol gesagt. Für die Gebissenen? Für Fernando, gar? Aber, wenn Fernando Ikols Schüler gewesen war – war er der gleiche Fernando, den Sarah als Inquisitor in Mexiko erschoss? Hatte sie das undenkbare Verbrechen begangen, nicht nur ihren leiblichen sondern gleichzeitig ihren Vampirvater umzubringen? Wo konnte er sich irren? Was war Wahrheit und was Einbildung? Wie sehr durfte er sie mit einem Irrtum belasten? Oder selbst mit der Wahrheit?     Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)