Familyproject von myamemo ================================================================================ Kapitel 101: Einhunderteins --------------------------- Toshiya Pov. Ziemlich erschöpft, aber durchaus zufrieden schloss der großgewachsene Mann seine Wohnungstür auf, drückte auf den Lichtschalter und schmiss danach schon von weitem sein Schlüssel auf die kleine Kommode, die direkt neben der Tür stand. Zu seinem Glück landete der Schlüssel nicht wieder hinter dem Schrank, denn heute hatte er wirklich keine Lust mehr die halbe Einrichtung von der Wand wegzuziehen, da er sonst nicht mehr an seinen Schlüssel heran kam. Da aber der Schlüssel heute mal vor dem Abgrund liegen blieb, kümmerte er sich nicht weiter darum, sondern seine Augen durchforsteten, mit Hilfe seiner Finger, die Post weiter. Vielleicht sollte er sich angewöhnen doch wieder öfters in den Briefkasten zu schauen und nicht nur aller drei bis vier Tage. Aber außer Rechnungen fand meist nichts anderes den Weg in das kleine eckige Teil und so nötig hatte er die auch nicht. Zwar brach bei ihm nicht gleich der Schweiß aus, so wie bei vielen anderen, wenn sie nur das Wort Rechnung hörten, aber ohne kam Toshiya eigentlich auch ganz gut zu recht. Nachdem alle durchgegangen waren und er festgestellt hatte, dass sie alle nicht wirklich drängten, besah er sich den letzten Brief aus dem Stapel. Der war mal keine Rechnung, aber der Brief kam auch nicht aus Japan und das machte ihn dann doch neugierig. Während er seine Schuhe beim Laufen verlor, ging der große Mann in sein Wohnzimmer und zog nur nebenbei den Reißverschluss seiner schwarzen Stoffjacke herunter. Während seine Finger schon an dem Papier herum hantierten ließ er sich auf den weichen Stoff seiner Couch nieder und nachdem das Loch groß genug gepuhlt war, zog er den Brief aus dem Umschlag und faltete ihn auseinander. Für einen Moment verstand der smarte Mann nur Bahnhof und die Wörter verschwammen vor seinen Augen. Welcher Idiot kam auf die Idee einem reinen Japaner einen englischen Brief zu schreiben? Denn außer der Begrüßung ‚Mister Hara‘, machte für ihn alles keinen Sinn. Vielleicht sollte er demnächst doch mal einen Englischkurs besuchen, damit er das Kauderwelsch wenigstens verstehen konnte und nicht komplett dumm starb. Doch ganz so kampflos wollte Toshiya sich nicht geschlagen geben und er zog sein Smartphone aus seiner Jackentasche. Da musste eben die altbekannte Suchmaschine mit integrierten Übersetzer stand halten, wobei man sich auf das Ding auch nicht wirklich verlassen konnte, aber so bekam er wenigstens ein paar Brocken übersetzt und konnte eventuell den gröbsten Sinn des Briefes in Erfahrung bringen. Nach einer geschlagenen Stunde saß der Bassist noch immer auf seinem Sofa. Nur diesmal hatte er seine Jacke schon ausgezogen, ein Blatt vor sich liegen, genauso wie einen Stift, sowie den Brief und scrollte fleißig in seinem Handy herum, das ihm was ganz komisches ausgespuckt hatte. Das alles konnte nicht ganz stimmen, denn warum bitte solle er in einer Adoptionsfrage entscheiden müssen? Und wie sollte er den bitte der Vater eines Kindes sein? Scheinbar hatte der Absender sich ganz gewaltig vertan, denn zwischen Los Angeles und Tokyo waren schon ein paar Kilometerchen unterschied und die überwand er garantiert nicht nur so zum Spaß und mal eben in fünf Minuten. Apropos Absender, wer war das überhaupt? Schnell suchten seine Augen die Kopfzeile ab und fanden den Namen Natalie Cornwell. Noch nie gehört. Da er aber einfach nicht weiter kam, sackte Toshiya die Sachen wieder zusammen und legte alles auf einen Stapel. Er würde am nächsten Tag einfach mal Yuna fragen. Diese konnte den Brief ohne Probleme übersetzen und dann würde sich alles schon aufklären. Bekräftigend nickte der schlanke Mann sich selbst zu, bis ihm einfiel, dass Yuna ja gar nicht da sein würde. Wie konnte er denn bitte so doof sein? Die junge Frau hatte erst vor siebzehn Tagen ihr zweites Kind auf die Welt gebracht, sie hatte ganz gewiss keine Zeit sich um seine Angelegenheiten zu kümmern, zudem er da zu ihr und Kyo nach Hause fahren müsste und das wollte er eigentlich nicht. Nicht weil er die beiden nicht leiden konnte, aber wenn er ehrlich war, wollte er sie nicht stören. Toshiya wusste, dass sie ihn, wenn er wirklich ein Problem hatte, nicht einfach vor die Tür setzen würden, aber genau das war das Problem, sie waren zu gutmütig. Okay, ihr Sänger würde ihn schon vor die Tür setzen, wenn es ihm zu bunt wurde, aber Yuna eben nicht und da diese ihren Mann auch außerordentlich gut unter Kontrolle hatte, würde er eben doch so lange auf deren Sofa verweilen, bis er von selbst aufstehen würde. Gut, da musste er eben Nora aufsuchen. Hoffentlich war sie morgen auch im Haus. Diese Frau war selbst so vielbeschäftigt, er hatte keine Ahnung wie sie überhaupt noch Schlaf fand. Denn egal was war, sie stand zu jeder Tag- und Nachtzeit auf der Matte. Ziemlich entmutigt stand Toshiya wieder von seinem Sofa aus und huschte in sein Badezimmer, wo er sich nur eine schnelle Dusche gönnte und sich danach gleich in sein Bett schmiss, vorher aber noch eine Boxershort und ein T-Shirt anzog. Kaum war das Licht gelöscht, kreisten seine Gedanken wieder um den Brief und wie der bitte an ihn hatte gelangen können. Natalie Cornwell. Immer wieder sprach er den Namen vor sich hin und versuchte sich irgendwie an eine Frau zu erinnern, die zumindest einen ähnlichen Namen hatte. Doch ein Gesicht zu dem Namen blieb ihm verwehrt und unter seiner ganzen Grübelei schlief er irgendwann ein. Ein stetiges Piepen holte Toshiya aus einem sehr unruhigen Schlaf. Ein wenig orientierungslos sah er sich um, bis er erkannte, dass er tatsächlich in seinem Bett lag. Mit einer geübten Handbewegung schlug er auf seinen Wecker nieder und brachte das kleine Miststück zum Schweigen. Stöhnend ließ er sich auf den Rücken sinken und fuhr sich mit seinen Händen durchs Gesicht. Das war eine beschissene Nacht gewesen und er fühlte sich kein bisschen erholt, eher wie nun total erschlagen. Doch es nützte alles nichts, er musste aufstehen. Also quälte der drahtige Mann sich nach oben und strich sich seine zerzausten, schulterlangen, schwarzen Haare zurück. So wie sie ihm daraufhin wieder ins Gesicht fielen, hätte er doch nicht mit nassen Haaren ins Bett gehen sollen, denn Toshiya wusste jetzt schon, dass er ganz bestimmt aussah, wie ein Donnerbesen. Darüber noch verstimmt stand er nun wirklich auf und zog sich nebenbei wieder das luftige Shirt über seinen Bauch, da es beim Schlafen bis fast zum Kinn gerutscht war. Gähnend enterte er sein Bad und wäre beinahe vor sich selbst erschrocken, als er sich im Spiegel entdeckt hatte. Seine Augen wirkten mehr als nur müde und die dicken Ringe unter seinen Augen behaupteten auch nicht gerade das Gegenteil. Von seinen Haaren fing er lieber gar nicht erst an, denn es war schon kein Vogelnest mehr, sondern eher ein zerrupfter Heuballen. „Das krieg ich doch nie mehr hin“, murmelte er sich selbst zu. Da blieb nur eine Möglichkeit. Er musste seine Haare erneut waschen und damit mal wieder ordentlich zu spät kommen und sich den Zorn ihres Leaders aufbürden. Der Gute war in den letzten Monaten eh schon ziemlich gereizt, wobei das seit der Eskalation mit Kyo, wo dieser ihrem Leader eine gezimmert hatte, nicht mehr ganz so extrem war, trotzdem konnten einem die Launenumschwünge des Mannes ganz schön in den Wahnsinn treiben. Vielleicht hatte Kyo doch Recht und ihr Ältester kam langsam in die Wechseljahre. Na ja, zumindest wusste Toshiya jetzt schon, dass der Tagesbeginn nicht besser werden würde, weswegen er sich nun auch keinen Stress mehr machte und seinen Haaren das gab, was sie verlangten, um danach glatt sein Gesicht zu umranden. Das dauerte beinahe zwei Stunden, da gewisse Pflegeprodukte auch gewisse Einwirkzeiten hatten. Als er endlich wieder aussah wie ein Mann, zumindest seine Haare, zog er sich noch schnell eine durchlöcherte Jeans an und ein übergroßes T-Shirt, was er selbst mit entworfen hatte. Damit war er fertig für den Tag und mit schnellen, routinierten Handgriffen schnappte er sich seine Sachen und verließ seine Wohnung. Bis zu seinem Arbeitsplatz verging auch beinahe noch eine halbe Stunde und als er das Studio betrat, schallte ihm gleich die liebenswürdige Begrüßung entgegen, die Toshiya schon erwartet hatte: „Du bist zu spät.“ „Ich weiß, sorry, hatte einen kleinen Notfall“, murmelte er und entledigte sich seine Sachen, bevor er sich an seinen Arbeitsplatz setzte. „Gab es Tote oder Verletzte?“, fragte Kaoru. „Nein, nur Kollateralschaden.“ „Dann war’s kein Notfall“, brummte ihr Leader und Toshiya verdrehte nur seine Augen. Er kümmerte sich aber nicht weiter drum, sondern verkroch sich in seiner Arbeit, bis ihm ein Kaffeebecher vor die Nase geschoben wurde. Verwundert sah der Bassist auf und blickte in Shinyas sanftes Gesicht. „Ich glaube eine Pause tut dir ganz gut“, lächelte der Drummer und verkroch sich dann wieder in seine eigene Ecke. Kopfschüttelnd schaute er ihn hinterher, stellte dann aber wirklich sein Musikinstrument beiseite und nahm sich den Becher zur Hand um einen kräftigen Schluck zu trinken. Da das sein erster Kaffee war, trank er ihn auch ziemlich schnell aus und als er sich nachschenken wollte, fiel sein Blick auf seine Tasche, wo ein Fetzen des Briefes hinaus lugte. Da sie ja gerade eh eine Pause machten, konnte er auch genauso gut mal die Chance nutzen und Nora um Rat fragen, vorausgesetzt er konnte sie überhaupt finden. Gesagt, getan. Zehn Minuten später klopfte er an eine angelehnte Holztür, hinter der sich angeblich Nora befinden sollte. Nach einem weiblichen Ruf, schob er die Tür ein bisschen auf und lugte vorsichtig mit seinem Kopf durch den Spalt. Tatsächlich saß die engagierte Frau hinter einem Schreibtisch und schien noch ziemlich in ein paar Papieren vertieft zu sein. Doch plötzlich schaute sie auf und traf damit genau Toshiyas Blick. „Toshi, was machst du denn hier?“, fragte sie sofort, aber freundlich und schenkte ihm ein Lächeln. „Hi. Ehm… ich bräuchte mal deine Hilfe“, begrüßte er sie gleichzeitig mit einer Verbeugung und trat letzten Endes ganz ein. „Klar, setz dich“, deutete sie ihm gleich einen Stuhl vor dem Schreibtisch an. Schnell schloss er die Tür hinter sich und nahm Platz, spielte noch ein wenig mit dem Papier in seinen Händen herum, bevor er sich einen Ruck gab und den an Nora weiter reichte. „Könntest du mir den vielleicht übersetzen? Ich hab’s gestern schon allein versucht, aber da kam nur unmögliches Zeug bei raus“, brachte er seine Bitte ans Licht. Verwundert, aber nicht abgeneigt griff sie sich das, schon ziemlich zerknitterte, Blatt und faltete es auseinander. Ohne Miene las sie sich den Text durch, runzelte danach die Stirn und schien danach noch einmal von vorn zu lesen. Diese Reaktion half nicht gerade, dass er ruhiger wurde, viel eher begannen Toshiyas Handflächen zu schwitzen und er wischte sie sich gefühlt aller zwei Sekunden an seiner Hose ab. „Und, was steht drin?“, musste er es einfach wissen und sein Herz hämmerte mittlerweile wie verrückt in seiner Brust, warum, dass konnte er sich ehrlich gesagt nicht erklären. „Nun…“, begann Nora, sah ihn kurz an, leckte sich mit ihrer rosa Zunge die Oberlippe und schielte wieder auf das Blatt Papier. „Ja?“, hakte er nach und Toshiya hatte beinahe das Gefühl, dass er vor Neugier platzte. „Okay. Also hier steht, dass du die Rechte an deinem Kind abtreten und einer Adoption zustimmen sollst, sobald es geboren wurde.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)