Auf der Flucht von mickii-K ================================================================================ Kapitel 1: Gefallen ------------------- Zwei Wochen zuvor Zur Musik von The Pretty Reckless fuhr ich eine kurvige Landstraße entlang, die mich in den Norden führte. Wohin genau, wusste ich nicht, aber ich wollte so weit, wie möglich, von Kalifornien weg. Ich tippte mit dem Zeigefinger im Takt der Musik und konzentrierte mich auf die Straße. Es regnete in Strömen und die Tatsache, dass die Sommerreifen am Auto schon abgefahren waren, beunruhigte mich. Ein grollender Donner ließ mich erschrocken zusammenzucken. Ich hasste Gewitter. Es kam immer so plötzlich und dann mit einer solchen Gewalt, dass es beängstigend war. Mit zittrigen Fingern drehte ich das Radio etwas lauter und brüllte mir die Seele aus dem Leib, als ich mit der Sängerin mitsang, dass ich ein Zombie wäre. Wie hatte ich nur all die Jahre ohne Rock Musik leben können? Ich konnte bloß über mich selbst mit dem Kopf schütteln. Konzentriert kniff ich meine Augen zusammen und versuchte, jeder möglichen Pfütze auf der Straße auszuweichen. Wenn sich das Wetter noch weiter verschlechtern würde, hätten meine Reifen überhaupt keine Haftung mehr und ich würde im nächsten Graben landen. Ich musste, ob ich es wollte oder nicht, eine Pause einlegen. Als hätte Gott meine stillen Gebete gehört, entdeckte ich keine Minute später ein Schild, welches ein Diner in einem Kilometer Entfernung ankündete. Ich seufzte erleichtert auf. Diese Pause würde mir wirklich gut bekommen. Während ich über den Parkplatz lief, versuchte ich mich vor dem Regen zu schützen, indem ich meine Handtasche über den Kopf hielt und rannte zum Eingang des Diners. Ich mochte den Regen nicht besonders. Zumindest glaubte ich, dass ich ihn nicht mochte. Wenn es nach meiner Mutter ging, war Regen das Schlimmste, was einem passieren konnte. Als ich die Türe öffnete, begrüßte mich der Duft von abgestandenem, billigen Kaffee und Frittierfett. All das hier war neu für mich. Ich kannte so etwas überhaupt nicht, weshalb ich mich verunsichert umsah. Zwei ältere Herren saßen an der Theke und aßen Rührei mit Speck, während sie mit der korpulenten Kellnerin redeten. Ich nickte ihnen kurz zu und ging langsam ans hintere Ende, um mich an einem freien Platz beim Fenster zu setzten. Ich kannte solche Lokale nur aus billigen Krimi-Filmen. Mir selbst war es erspart geblieben, in solchen runtergekommenen Restaurants zu essen. Ich nahm die Speise-Karte, welche auf der Seite stand und zog angewidert die Nase kraus, als ich etwas Klebriges anfasste. Widerlich. Erst jetzt dämmerten mir meine Gedanken, weshalb ich erschrocken die Karte losließ, als würde ich mich daran verbrennen. Ich musste damit aufhören. Das war nicht ich. Das waren ihre Gedanken. Niemals würde ich von mir denken, etwas Besseres zu sein. Warum nur konnte ich dieses aufgezwungene Benehmen nicht abstellen? Energisch schüttelte ich den Kopf, in der Hoffnung, dass die abfälligen Gedanken dadurch verschwinden könnten. Sie waren nicht hier! Ich war nun frei. Ich konnte tun und lassen, was ich wollte. Ich konnte nun endlich mir meine eigene Meinung über alles im Leben bilden. Niemand würde mir nun eintrichtern, was gut und was schlecht war. „Ich bin frei“, flüsterte ich mir selbst zu. Die Kellnerin von vorhin räusperte sich und riss mich damit aus meinen Gedanken. Ich lächelte sie entschuldigend an. Es war unhöflich von mir, nicht auf meine Umgebung zu achten. Automatisch setzte ich mich aufrecht und legte meine Hände in den Schoß. „Guten Tag Miss, was kann ich Ihnen bringen?“ Die Stimme der älteren Frau war rauchig, genau wie meine. Ich lächelte sie etwas entspannter an, da ich nun eine Gemeinsamkeit mit ihr gefunden hatte und sah zur Karte. „Eine Portion Pfannkuchen und ein Glas Wasser, wenn es genehm ist“, erwiderte ich freundlich. Verwirrt hob die Frau ihre Augenbrauen an und ihre Mundwinkel zuckten belustigt. „Wie Sie wünschen, Milady.“ Sie lachte lauthals, als sie zur Theke zurück ging. Beschämt biss ich mir auf die Zunge und senkte meinen Blick zu meinen Händen. Ich musste mir diesen Ton und diese Aussprache abgewöhnen. Doch jedes Mal, wenn mich jemand überrascht ansprach, antworte ich mit dieser angelernte Sprache viel zu schnell. Eine vornehme Wortwahl war das Wichtigste für mich gewesen. Manieren zu haben und sich den Anlässen entsprechend richtig kleiden, war von entsprechender Bedeutung gewesen. Ich wurde zu einer perfekten Frau dressiert, die nur darauf wartete, dass ihr Prinz Charming ihr die Hand reichte und sie in sein Schloss führte, wo sie glücklich bis ans Ende ihrer Tage leben würden. Ich lachte ohne Emotionen, als ich daran zurück dachte, wie gern ich nach ihrer Pfeife getanzt hatte. Wie sehr ich es genossen hatte, von ihm umworben und von meinen Eltern, als ein Musterkind gepriesen zu werden. Es grenzte nahezu an ein Wunder, dass mir diese goldene Brille von den Augen gefallen war. Ich wollte nur noch weg. Weg von all diesen Leuten, die keine Gefühle hatten, außer ihren falschen Stolz. Es war eine 'hundertachtzig Grad'-Wendung, die mein Leben genommen hatte und ich liebte es. Seit drei Wochen lernte ich Neues kennen. Ich fand neue Dinge über mich selbst heraus und genoss die Herausforderung, die jeder Tag mit sich brachte. Seit drei Wochen nahm ich das Leben, wie es war, und dachte nicht mehr an ein Morgen. Ich war frei von dem Druck, was andere über mich denken würden. Jetzt war nur noch von Belangen, was ich dachte. Das war der wahre Luxus im Leben, den ich nicht mehr vermissen wollte. Die Pfannkuchen waren überraschend schmackhaft, sogar der Ahornsirup, den es dazu gegeben hatte, war gut gewesen. Obwohl es sich nicht um eine der exquisiten Marken gehandelt hatte, die ich von zu Hause kannte. Als ich die offene Rechnung beglich, ging ich noch auf die Toilette, um nicht während der Fahrt erneut pausieren zu müssen. Nachdenklich musterte ich mein Spiegelbild, während ich mir meine Hände wusch. Unter meinen braunen Augen zeichneten sich deutlich Augenringe ab, die von dem mangelnden Schlaf resultierten. Ich konnte einfach nicht gut in einem Hostel schlafen. Ich mochte den muffigen Geruch nicht, der in diesen Zimmern immer war. Meine vollen Lippen verzogen sich zu einem schelmischen Grinsen, als ich meine Haare, die mein schmales Gesicht in weiche Wellen umrandeten, betrachtete. Noch immer fand ich meine Haarfarbe ungewohnt. Ich hatte sie mir vorgestern spontan violett gefärbt. Mutter würde einen Herzinfarkt bekommen, wenn sie mich so sehen würde. Statt der üblichen, edlen Kostüme und Designerklamotten trug ich nun zerrissene Jeans und ein einfaches T-Shirt. Oh, ich konnte mir ihr entrüstetes Gesicht nur zu gut vorstellen. Kichernd ging ich aus der Toilette raus und winkte der Kellnerin zum Abschied. Vielleicht wäre ich öfters hier her gekommen, wenn ich hier länger bleiben würde. Aber ich hielt mich nie länger als einen Tag in einem Ort auf. Viel zu groß war die Angst, dass mich jemand von diesen unnötigen Vermisstenanzeigen erkennen würde. Einfach lächerlich dieses Theater, was sie aufführten. Seufzend stieg ich in den überteuerten Wagen, den ich von meinen Eltern geschenkt bekommen hatte. Es hatte endlich aufgehört in Strömen zu schütten. Nichtsdestotrotz brach die dicke Wolkendecke nicht auf. Ob hier jemals die Sonne schien? Ich zuckte mit den Schultern, denn es konnte mir egal sein. Ich startete den Motor, der mir leise zu schnurrte, als ich das Gaspedal bediente. Es war kurz vor Mittag. Ich sollte mir schleunigst ein Hotel suchen, bevor ich notfalls noch im Wagen übernachten musste. Das hatte ich nur einmal getan und ich hatte es am nächsten Tag sofort bereut. Danach hatte ich mich nämlich gefühlt, als wäre ich von einem Lastwagen überfahren geworden, der, um sicherzugehen, dass er mich ja richtig erwischt hatte, den Rückwärtsgang eingelegt hatte und mich nochmals überfuhr. Ein kleines Lächeln zierte meine Lippen, als die Landstraße zu den Klippen führte und ich direkt am Ozean entlang fuhr. Mich faszinierte die Sicht von der weiten See. Wenn sich das Meer und der Himmel am Horizont küssten. Einfach wunderschön und faszinierend. Plötzlich rumpelte mein Wagen und dicker Qualm stieg zwischen den Ritzen der Motorhaube hoch. „Fuck. Fuck. Fuck. Fuck.“, schrie ich und schlug mit dem Fäusten gegen mein Lenkrad. Das konnte nicht möglich sein? Das war doch ein schlechter Scherz? Ein sehr schlechter, denn mir war überhaupt nicht zum Lachen zu mute. Was hatte bloß das Schicksal gegen mich, dass es mir ständig einen Strich durch die Rechnung machte? Ich parkte den Wagen am Straßenrand, sodass ich den Verkehr nicht behinderte und stieg aus. Was sollte ich bloß tun? Verdammt, ich kannte hier niemanden, den ich um Hilfe bitten konnte. Ob es hier überhaupt eine Werkstatt in der Nähe gab? Vielleicht sollte ich zurück zum Diner und nach einer Werkstatt fragen? Ich hatte keine andere Wahl. Also schnappte ich mir meine Handtasche und meine schwarze Lederjacke und machte mich auf den Weg zurück. Gott sei Dank hatte ich mich beim letzten Einkauf entschieden, mir Chucks zu kaufen, statt den üblichen Pumps, die ich immer tragen musste. Nach zwei Tagen auf der Flucht wollten mich meine Füße nämlich dafür umbringen, dass ich sie in diese ungemütlichen Schuhe gesteckt hatte. Ein Tropfen landete auf meine Nase, weshalb ich erschrocken zusammen zuckte. „Oh, das kann doch jetzt nicht wahr sein?“, schrie ich den Himmel an. „Verdammte Scheiße.“, grummelte ich und beschleunigte meine Schritte, als weitere Tropfen auf mir landeten. Was hatte mein Schicksal bloß gegen mich? Warum konnte nicht wenigstens jetzt alles geplant ablaufen? Mittlerweile weiß ich, dass das Schicksal nichts gegen mich gehabt hatte. Im Gegenteil. Es wollte mir nur einen Gefallen tun. Einen, der einem unschuldigen Menschen fast das Leben zerstört hätte … Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)