The Wolves among us von UrrSharrador ("Die Werwölfe erwachen. Sie wählen ihr heutiges Opfer ... Die Werwölfe schlafen wieder ein." [Video-Opening online]) ================================================================================ Kapitel 29: Opfer und Opfer --------------------------- ~ 29 ~   - Der Hintere Bezirk, sechste Nacht -   (7:35 Uhr) Wo habt ihr ihn denn gefunden?“, fragte Shikamaru. Er fühlte sich wieder müde und kraftlos, als wäre sein Energieschub nur für den Moment gewesen, in dem er Temari überführt hatte. Vielleicht hatte er den Energieschub nur gehabt, eben weil er jemanden der Wahrheit hatte ausliefern können. Er schämte sich fast für sich selbst. Shikamaru schmunzelte bitter. Welches Gefühl hatte er in dieser Nacht wohl noch nicht gefühlt? Er fragte sich, wann er sich plötzlich unsterblich verlieben würde. Sie erklommen eben das Haupttreppenhaus. In Stichworten hatten sie dem verwirrten, aber nicht übermäßig schockierten Deidara erklärt, was in diesem Hotelzimmer alles passiert war – zu jeder Leiche, zu Neji, Lee, Shino, Tayuya und letztlich Temari hatten sie schließlich eine Erklärung. Wer Asuma getötet hatte, war auch relativ klar; immerhin hatten sie sich, als sie ihn gesucht hatten, teils mit Eisenstangen bewaffnet und bei Shinos Leiche hatten sie Asumas Handy gefunden. Wie genau die Sache abgelaufen war, verblieb zwar im Dunkeln, aber Naruto hatte düster gemeint, dass Sasuke wahrscheinlich die Wahrheit kenne. „Das war so“, begann Deidara mit seiner eigenen Erzählung. „Wir wussten ja nicht, wo dieser Tatort ist, von dem ihr immer geredet habt. Sasori und ich waren schließlich die ganze Zeit in der Lounge.“ „Wo ihr Chouji vergiftet habt“, zischte Ino. „Hörst du wohl endlich auf damit!“ Deidara blieb zornig stehen und sah auf sie herab; Ino stand eine Stufe unter ihm, doch sie ließ sich nicht einschüchtern. „Wir waren das nicht, hm!“ „Ach ja, und wer sonst?“, fragte sie. „Tayuya ist selbst ein Opfer von diesen Psychopathen geworden, und Sakon ist jetzt auch tot, hast du gesagt! Oder war es Jiroubou?“ „Was weiß ich! Wahrscheinlich! Keine Ahnung, wo der gerade steckt!“ Der Blonde fuchtelte wild mit den Armen. „Diskutieren wir das später, ja?“, bat Shikamaru mit schleppender Stimme. Sie waren nur noch eine so kleine Gruppe … dabei hatten um Mitternacht vierundzwanzig Personen dieses Hotel lebenden Fußes betreten … Er würde es ja wohl schaffen, diesen traurigen Rest zu beschützen, bis die Polizei eintraf! Dass Kiba telefonieren konnte, hatten sie Deidara schon erzählt. „Also, wir sind aufs Geratewohl losgegangen. Sasori hat dann gemeint, es würde ihm zu langsam gehen, wenn wir gemeinsam suchen, also haben wir uns getrennt.“ „Dass ihr Typen euch immer alle trennen müsst!“, stöhnte Shikamaru entnervt. „Wann kapiert ihr endlich, dass es allein gefährlich ist und ihr zusammenbleiben sollt?“ „Sag das Sasori. Was kann ich dafür, dass er so ungeduldig ist, hm“, murrte Deidara beleidigt. „Jedenfalls haben wir im siebten Stock Licht gesehen, und Sasori meinte, er hätte über uns noch etwas gehört. Er hat gemeint, vielleicht wäre der Mörder auf der Flucht nach oben. Er wollte nachsehen, was das Licht zu bedeuten hat, und ich hab mich bereiterklärt, dem Täter zu folgen.“ „Ohne Waffe?“, fragte Ino zweifelnd. „Ich wollte ja nur nachsehen, wer es ist und wo er sich versteckt“, erwiderte Deidara gereizt. „Das war echt eine dumme Idee“, sagte Kiba. „Es ist eine dumme Ausrede!“, giftete Ino. „Verflucht nochmal, was hast du gegen mich, hm?“, brauste Deidara auf. „Was hab ich dir getan, dass du mich ständig anschwärzt?“ „Schon wieder vergessen?“, fragte sie schnippisch und betonte jedes Wort. „Du. Hast. Mir. Irgend. Ein. Komisches. Zeug. In. Den. Drink. Geschüttet. Erst baggerst du uns an, dann vergiftest du mich halb! Gib doch zu, dass du eine von uns mit allen Mitteln flachlegen wolltest! Ein Kerl wie du hat’s wohl auch nötig, was?“ „Jetzt halt aber mal die Luft an!“, schnappte Deidara. „Das stimmt doch alles gar nicht! Hätte ich gewusst, dass du so eine Kratzbürste bist, hätte ich nie …“ Er unterbrach sich. „Aha? Wer sagt’s denn, wenn das mal kein Geständnis war!“ „Ruhe jetzt!“, sagte Shikamaru scharf. „Erzähl weiter!“ Sie waren in der siebten Etage stehen geblieben, wo Deidara und Sasori angeblich einen Lichtschein gesehen hatten. „Naja, ich bin also in den achten gegangen, hab aber niemanden gefunden. Dann bin ich wieder eins heruntergestiegen und dann hat Sasori mich bemerkt und nach mir gerufen.“ Er öffnete die Tür in den Flur. Aus einem der Hotelzimmer hier drang tatsächlich das Licht von Sasoris Taschenlampe, das merklich schwächer geworden war. „Und da hab ich ihn dann gesehen.“ Sie traten auf die Tür zu. Sasori stand wartend daneben und nickte ihnen mit seinem typischen, unbeteiligten Gesichtsausdruck zu. Das Hotelzimmer sah genauso aus wie das, aus dem sie eben gekommen waren. Diesmal war der Schauplatz des Verbrechens nicht das Bad. Sakon lag auf dem Doppelbett und regte sich nicht. Er war die ganze Nacht über in keinem beneidenswerten Zustand gewesen und war auch kaum blasser, obwohl er nun tot war. Seine Kehle wirkte wie ein zweiter, roter Mund, und in seinem Bauch steckte etwas wie eine weiße Stange. Auf die Matratze waren mit Blut das Dreieck und der Kreis von Jashin geschmiert. Sakons Finger waren ebenfalls blutig und lagen halb auf einem Satz, der undeutlich in Rot auf die Matratze geschrieben war. Mein Blut für Jashin. Es sah fast so aus, als hätte Sakon mit seinen verschmierten Fingern eine Todesbotschaft hinterlassen. „Das Ding ist übrigens ein Teil der Duschkabine“, sagte Deidara und deutete auf die Stange. „Kunststoff, wenig widerstandsfähig. Es steckt auch nur zwei Zentimeter tief und wackelt ziemlich – ich wollt’s rausziehen, aber Sasori hat gemeint, wir sollten’s lassen, hm.“ „Eindeutig diese Jashin-Sekte“, murmelte Shikamaru wenig überrascht. „Und somit eine andere Gruppierung als die von Temari. Vermute ich. Wo sind wir hier nur reingeraten?“ Er wandte sich an Sasori. „Du hast die Leiche also als Erstes entdeckt?“ Sasori schüttelte den Kopf. „Nein, das war Deidara.“ Shikamaru runzelte die Stirn. „Ich dachte …“ „Was redest du da?“, empörte sich Deidara. „Du hast die Leiche gefunden! Ich hab ein Stockwerk höher den Mörder gesucht!“ Sasori sah ihn an, als hätte er den Verstand verloren – was sich darin äußerte, dass er kaum merklich die Augen verengte. „War dir der Anblick zu viel? Ich war es, der den Mörder oben gesucht hat, erinnerst du dich? Oder versuchst du mir hier was anzuhängen?“ „Das ist ja wohl die Höhe!“, stöhnte Deidara. „Du hast sie nicht mehr alle, hm.“ „Dasselbe könnte ich über dich sagen.“ „Moment.“ Shikamaru rieb sich die Schläfen. „Das ist zwar alles sehr aufschlussreich, aber was ist deine Version der Geschichte?“ Sasori erzählte genau das, was sie von Deidara auch schon gehört hatten – nur mit vertauschten Rollen. Ihm zufolge hatte Deidara ein Geräusch im achten Stock gehört und beschlossen, zuerst den Lichtschein im siebten unter die Lupe zu nehmen, und Sasori war nach oben gestiegen, hatte nichts gefunden, und war dann von Deidara gerufen worden, der die Leiche entdeckt hatte. „Und Jiroubou?“, fragte Naruto. „Den haben wir beide nicht gesehen“, meinte Sasori. Immerhin darin waren sie sich einig. „Wahrscheinlich war er es“, murmelte Ino. „Nein“, murmelte Shikamaru. „Diese ganze Verwechslungskomödie bedeutet, dass es entweder Deidara oder Sasori war.“ Langsam lief sein Gehirn wieder auf Hochtouren. „Einer von euch muss lügen. Und allein das beweist, dass er der Mörder ist – sonst hätte er keinen Grund, uns einen solchen Unfug aufzutischen. Er hat den jeweils anderen in den achten Stock geschickt und hier im siebten einstweilen Sakon umgebracht. Die Frage ist nur, wer ist der Lügner? Solange wir das nicht wissen, können wir euch beiden nicht trauen, tut mir leid.“ „Der Letzte, der so schlau war und hinter diese ganzen Sachen gekommen ist, war ein Verräter. Das beunruhigt mich gerade ein wenig“, meinte Kiba mit einem halben Lächeln. Shikamaru seufzte schwer. „Ja, ich weiß. Und wenn das hier noch lange so weitergeht, werde ich mich bald selbst verdächtigen.“ „Dann ist die Sache ja klar“, sagte Deidara, als hätte er nur halb zugehört. „Sasori war es, hm.“ „Im Gegenteil“, erklärte dieser ruhig. „Ich weiß, dass ich es nicht war. Also kann nur Deidara der Mörder gewesen sein.“ „Denkt ihr … Jiroubou lebt noch?“, fragte Hinata. „Sasuke ist momentan auch abgängig“, sagte Ino. „Und wo stecken wir Deidara und Sasori jetzt hin? Ihr könnt nicht von uns erwarten, dass wir euch jetzt noch frei rumlaufen lassen!“ „Wenn ich gewusst hätte, was für Lügen du denen da auftischst, hätte ich dich gar nicht losgeschickt, um sie zu holen“, sagte Sasori anklagend. „Ich lüge nicht! Du bist der, der nicht ganz richtig ist, hm!“, erwiderte Deidara heftig. „Genug davon“, bestimmte Shikamaru. „Ihr beide verhaltet euch ab jetzt ruhig. In Kürze wird die Polizei kommen, soll die doch herausfinden, wer von euch lügt.“ Er setzte wieder seine Pistole in Szene. „Fürs Erste sollten wir nach unten in die Lobby gehen. Sie werden wahrscheinlich eine der Türen aufbrechen, um uns rauszuholen. Kiba, hat dein Smartphone noch Akku?“ „Ähm …“ Kiba kontrollierte kurz das Display. „Ja.“ „Schone ihn zur Sicherheit. Wir anderen werden leuchten. Kommt.“ Shikamaru wollte schon vorausgehen, aber dann blieb er doch stehen und bedeutete den anderen, dass er mit der Waffe zuletzt gehen würde. Er streckte die Hand nach Sasoris Taschenlampe aus, die ihm dieser ohne zu widersprechen übergab. „Was ist mit Sasuke?“, fragte Ino. „Er muss noch irgendwo hier im Hotel sein.“ „Jiroubous Aufenthaltsort ist auch noch unbekannt“, erinnerte Sasori. Shikamaru seufzte tief. „Mir wäre es ehrlich gesagt lieber, wenn wir sie nicht mehr zu Gesicht bekommen, bis dieser Spuk ein Ende hat. Wenn sie nicht gefunden werden wollen, was immerhin eine Möglichkeit ist, finden wir sie auch nicht. Wir werden die Polizei das Gebäude durchkämmen lassen.“ „Aber vielleicht gehen sie einander an die Gurgel!“, sagte Naruto. „Wir müssen sie finden, ehe etwas geschieht!“ „Ich habe genug davon, alle möglichen schlechten Ausgänge abzusichern!“, rief Shikamaru und hörte dabei seine Stimme zittern. „Wir schaffen es nicht, sie zu finden, Punkt! Sasuke ist unberechenbar, und Jiroubou gehört zu dieser Straßenbande. Ich will keinen weiteren Mord in unseren Reihen riskieren, versteht ihr? Es ist schwierig genug, euch zusammenzuhalten!“ Sie waren in den Flur hinausgetreten, und Shikamaru setzte dazu an, noch etwas zu sagen, als Naruto plötzlich stehen blieb. „Da. Das war er“, sagte er mit trockener Stimme. „Wer?“, fragte Kiba. „Sasuke! Ich hab ihn gesehen! Sasuke!“ Und schon stürmte er los, ungeachtet der Rufe der anderen und Shikamarus Stöhnen. „Was hab ich eben noch gesagt? Bleib hier! Naruto!“ Hinata machte einen zögerlichen Schritt, aber Kiba hielt sie zurück. „Lass ihn“, murmelte er. „Ich glaube, das müssen sie unter sich ausmachen. Sasuke hat Naruto schwer enttäuscht. Er wird ihn sicher nicht einfach so davonkommen lassen.“ „Warum bin ich mit solchen Freunden gestraft?“, rief Shikamaru aus und sank an der Wand zu Boden. Ihm war zum Heulen zumute. „Kann es noch lächerlicher werden? Versteht ihr alle gar nicht, was auf dem Spiel steht?“ „Ich glaube, Naruto versteht sehr wohl“, meinte Kiba ernst. „Und darum rennt er ihm nach. Weil es ihm wichtiger ist, auch Sasuke zu verstehen.“ Shikamaru biss die Zähne zusammen. Spielte es überhaupt noch eine Rolle, was geschah? Nein, so durfte er nicht denken! „Shikamaru“, sagte Kiba leise, als Hinata versuchte, seine Hand abzustreifen. Shikamarus nächste Worte waren ein Knurren. „Hinterher.“   „Das ging ja flugs. Der neue Tag bricht an. Die Nacht war wohl doch nicht so blutig, wie ich gehofft hatte. Niemand ist gestorben. Niemand wird verbannt. Der Geist hat ein V geschrieben.“   - Der Hintere Bezirk, sechster Tag -   (7:45 Uhr) Er musste mit ihm reden – er musste einfach! Was auch immer in Sasuke gefahren war, er würde es herausfinden! Er musste ihm helfen – sein Freund manövrierte sich selbst ins Unglück, und auch wenn er so zornig auf Sasuke war wie auf keinen anderen in seinem ganzen Leben, musste er ihn einholen und zur Rede stellen und herausfinden, was zum Teufel mit ihm los war. Naruto hatte ein Poltern gehört und dann hatte sich die Doppelflügeltür, die ins Treppenhaus führte, bewegt. Für ihn war es klar, dass Sasuke dort sein musste – es gab fast keine andere Möglichkeit! Als er die Tür erreichte und den Flügel aufriss, dachte er erst, er hätte sich doch geirrt – halb an die Tür gelehnt lag nämlich Jiroubous massiger Körper, als wäre er dagegengeprallt. Naruto hielt sich jedoch nicht damit auf zu untersuchen, ob er noch lebte, denn über sich hörte er Schritte auf der Treppe. Jemand floh – und das konnte diesmal wirklich nur Sasuke sein. „Sasuke!“, schrie er aus voller Kehle und nahm immer zwei Stufen auf einmal. Durch das Morgenlicht, das durch die Fenster in jeder Etage fiel, konnte er gut die schattenhafte Gestalt ausmachen, die ihm entkommen wollte. „Sasuke, bleib stehen! Du kannst nirgendwohin laufen!“ Es war jetzt zu hell, um sich weiter in den Schatten zu verstecken, wie es die Unbekannten in diesem Hotel bis jetzt getan hatten. Es war endlich Morgen, die Horror-Nacht war zu Ende gegangen, und nun war die lichte Seite wieder auf dem Vormarsch! Sie würden heil aus dem Hotel kommen; wer auch immer versucht hatte sie alle umzubringen, war gescheitert, und Naruto würde verdammt nochmal Sasuke mitnehmen, damit er sich dem stellen konnte, was ihn erwartete! Er hätte nie gedacht, eine solche Ausdauer zu besitzen, selbst wenn es um seinen besten Freund ging. Vielleicht lag es auch daran, dass selbst dem durchtrainierten Sasuke irgendwann die Puste ausging, nach dieser ewig langen Nacht und den zig Stockwerken. Hinter sich hörte Naruto die anderen rufen, doch sein Augenmerk galt nur dem jungen Mann, der vor ihm floh, rauf und rauf, im Kreis und im Kreis, in einer Spirale nach oben. Irgendwann hörte er ein lautes Krachen, als eine Tür ins Schloss flog, die keine Flügeltür mehr war. Er erreichte den nächsten Treppenabsatz und erkannte, dass er im obersten Stockwerk angekommen war. Eine Tür führte zu einem rohen, quadratischen Raum mit einer Stahltreppe, wo es noch ein paar Stufen aufwärts ging. Der Raum war leer, aber die Tür am oberen Ende stand wiederum offen. Naruto stürzte durch sie hindurch und hechtete ins Freie. Kalte Luft umgab ihn, brannte in seiner Lunge und ließ Atemwolken vor seinen Lippen tanzen. Es hatte geregnet; der Morgen war frisch. Rasch sah er sich um. Über ihm erstreckte sich der wolkenbedeckte Himmel wie grauer Brei. Er war auf dem Dach des Hotels angekommen. Die schmutzigen, halb verwitterten Bodenplatten unter seinen Füßen waren glitschig. Außer einem viereckigen Kasten, der wohl den Aufzugsschacht beinhaltete, dem Belüftungssystem und noch zwei nicht zu identifizierenden Dingern, die auf dem Dach prangten, war um Naruto herum nichts als gähnende Leere, die ein trügerisches Gefühl der Freiheit erzeugte. Der Rand der Dachplattform war von einer wackligen Konstruktion aus Maschendraht und Metall umgeben – allerdings schien der Zaun nicht fertig gebaut worden zu sein. An einer Seite standen nur einige Streben, wie leere Türrahmen ins Nichts. „Sasuke!“ Sein Freund stand genau dort und sah nicht in seine Richtung, sondern zum Horizont. Von hier aus konnte man den Stadtrand und die Felder dahinter erkennen. Wenn man sich Mühe gab, konnte man hier sicher vergessen, dass man sich im verrotteten Hinteren Bezirk der Stadt befand. „Sasuke, nicht!“, rief Naruto und lief auf ihn zu. „Lass uns reden!“ Sasuke drehte sich zu ihm um – und Naruto erstarrte, als er seinen Gesichtsausdruck sah. So … mitleidig, zufrieden, und mehr als alles andere überheblich. „Wer sagt, dass ich springen will?“, fragte er ruhig. Seine Hand schwenkte in die Waagrechte. Naruto schluckte, als er die kleine Pistole sah, die er darin hielt. „Du wirst springen, Naruto.“ „Sasuke“, keuchte er. „Hör auf … was immer du vorhast, lass es sein!“ „Dafür ist es zu spät“, sagte Sasuke. „Entweder du verschwindest, oder du springst. Ich habe keinen Streit mit dir, aber komm mir nicht in die Quere!“ „Verdammt, was ist los mit dir?“, stieß Naruto hervor. „Warum tust du das? Warum mussten Gaara und Lee sterben?“ „Ich erwarte nicht, dass du mich verstehst. Also erwarte du keine Antwort.“ Sasukes Stimme war wie tröpfelndes Öl, schmierig, dunkel und leicht entflammbar. „Hau endlich ab. Nimm deine Freunde und lass mich in Ruhe. Ich finde meinen eigenen Weg hier raus.“ „Das sind auch deine Freunde!“, platzte Naruto heraus. Sasuke lachte höhnisch und falsch. Er spannte den Pistolenhahn. „Der Hintere Bezirk macht Freunde zu Feinden, Naruto. Nein – das hier hat schon begonnen, noch ehe wir hergekommen sind. Ich habe, was ich wollte. Jetzt will ich nur mehr eins: keinen von euch je wiedersehen!“ „Verdammt nochmal!“, schrie Naruto, diesmal zornig. „Ich wusste, dass du wahnsinnig bist! Aber ich weiß auch, dass wir das wieder in Ordnung bringen können!“ „Kannst du mir Itachi zurückbringen?“, fragte Sasuke unvermittelt. „Ich …“ Naruto stutzte. „Nein … Aber es ist nicht nur Itachi gestorben! Sakura ist auch tot! Und Neji und … Tenten und …“ Seine Augen drückten die Tränen wie von selbst heraus. Unglücklich und mit erstickter Stimme hielt er ihm die Hand hin. „Komm. Wir müssen zusammenhalten … Wir werden gemeinsam drüber hinwegkommen, ja? Wir sind eine zerbrochene, kaputte Clique, und es kann nie wieder so sein, wie es war, aber wir können uns gegenseitig unterstützen!“ „Naruto! Sasuke!“ Die anderen hatten das Dach erreicht. Sasukes Mund verzog sich abfällig. „Du mit deinem ewigen Freundschaftsgelaber. Vergiss es.“   „Ich bin für Naruto“, sagte Sasuke ruhig. „Ich bin für Sasuke“, sagte Kiba. „Er spielt ja offensichtlich falsch.“ „Dann bin ich auch für Naruto“, sagte Sasori. „Stimmen wir ab.“ Naruto sah sich hektisch in der Runde um. Nun wurde also für sein Leben oder Sterben abgestimmt?   „Sasuke, sei vernünftig!“, rief Shikamaru. „Die Polizei findet es sowieso raus!“, fügte Kiba hinzu. „Sie sind in null Komma nichts hier! Du kannst dich nicht verstecken, wir werden ihnen einfach sagen, dass du noch hier bist! Komm lieber gleich mit!“ „Ich verstehe. So ist das also.“ Sasukes Nasenflügel bebten kurz. Sein harter, dunkler Blick traf Naruto. „Ich bin sicher, in dieser kleinen Knarre sind genügend Kugeln für euch alle. Ich gehe nicht ins Gefängnis.“ Naruto schnappte nach Luft, als er sah, wie sich Sasukes Finger um den Abzug krümmte.   „Dann verkünde ich euch mal das Opfer der Vampire.“   Ein Knall, eine Stichflamme, ein Schrei. Sasuke taumelte, das Gesicht schmerzverzerrt. Die Pistole war ihm regelrecht in der Hand explodiert. Blutspritzer und winzige Metallteile flogen in jede Richtung davon. Sasuke versuchte den Halt wiederzufinden, machte einen unbeholfenen Schritt und glitt auf dem rutschigen Boden aus.   „Sasuke! Obwohl du fleißig mitnominiert hast, darfst du nicht über Narutos Tod abstimmen. Du bist kein Werwolf und kein Vampir.“   Naruto stieß einen entsetzten Schrei aus, als er sah, wie sein Freund über die Kante des Hoteldachs sackte. Beherzt griff er zu, packte sein Handgelenk und versuchte ihn zurückzureißen … und verlor dabei ebenfalls den Halt.   Es machte keinen Unterschied. Naruto zählte die Stimmen. Er selbst, Hinata und Kiba stimmten für Leben. Jiroubou, Deidara und Sasori stimmten für seinen Tod, und Sasoris Bürgermeister-Stimme gab den Ausschlag. „Naruto wird also gelyncht. Zu schade, dass auch er weder Werwolf noch Vampir ist.“ „Verdammt!“, fluchten Kiba und Deidara beinahe synchron.   Wie zwei Puppen, deren Schnüre man gekappt hatte, sah Shikamaru Naruto und Sasuke über die Dachkante stürzen. „Naruto!“ Er, Hinata und Kiba waren im Nu an der entsprechenden Stelle und wären selbst beinahe ausgeglitten. Shikamaru hielt sich an der Stahlstrebe fest und beugte sich vor. Der Bereich direkt vor dem Hotel lag noch so im Schatten, dass er nichts erkennen konnte, aber er war dankbar dafür. Diesen Sturz konnte niemand überleben. „Verdaaaammt!“ Kiba prügelte auf eine Strebe ein, bis seine Knöchel blutig waren. „Seid ihr nun zufrieden?“, schrie er in die Tiefe. „Habt ihr nun, was ihr wolltet, ihr gottverdammten, eigensinnigen Trottel?“ Hinata starrte nur mit leerem Blick, der sich langsam mit Tränen füllte, ins Nichts. „Naruto …“, hauchte sie. Kiba löste sich schließlich von seinem provisorischen Boxsack, legte ihr den Arm um die Schulter und bugsierte sie mit sanfter Gewalt von der Kante weg. Dabei tropfte sein Blut auf ihre Jacke. Shikamaru presste sich den Unterarm auf die Augen und biss die Zähne zusammen. Es war wieder geschehen. Und er hatte es nicht verhindern können. Wieder waren zwei von ihnen gestorben … was für ein verrückter Fluch lag auf diesem Hotel? Sein Blick streifte die zerfetzte Pistole, die ironischerweise auf dem Dach zum Liegen gekommen war. Gehörte sie Sasuke? Er hatte sicher nicht erwartet, dass sie so spektakulär zersprang. Shikamaru war sich auch ziemlich sicher, dass Sasuke unbewaffnet gewesen war –unter seinem engen Hemd hätte er nicht einmal diese kleine Waffe verbergen können, und auch seine Hosentaschen waren nicht ausgebeult gewesen, als sie sich getrennt hatten. Außerdem hätte er ihm sonst in jenem unseligen Moment kaum Totos Pistole entreißen müssen, um auf Shino zu schießen. Wo kam das Ding so plötzlich her? Was geschah hier in diesem Hotel überhaupt?   „Dann lassen wir es wohl wieder Nacht werden. Es gibt noch sechs überlebende Spieler. Wird sich das Spiel nun entscheiden? Wie immer rufe ich jeden Spieler auf, selbst wenn er schon tot sein oder seine Fähigkeit verbraucht haben sollte. Der Kultführer erwacht. Er wählt ein neues Mitglied für seinen Kult. Du schläfst wieder ein. Die Zaubermeisterin erwacht. Wähle einen Spieler, und ich sage dir, ob er die Seherin ist. Du schläfst wieder ein. Die Seherin erwacht. Wähle einen Spieler, und ich sage dir, ob er Werwolf oder Vampir ist. Du schläfst wieder ein. Der Paranormale Ermittler erwacht. Willst du deine einmalige Fähigkeit einsetzen und drei Personen durchleuchten? Ich sage dir dann, ob darunter ein Werwolf ist. Du schläfst wieder ein. Der Leibwächter erwacht. Wen möchtest du in dieser Nacht vor den Wölfen beschützen? Du schläfst wieder ein. Der Verfluchte erwacht. Sieh mich an; wenn ich nicke, heißt das, dass du von den Werwölfen gebissen wurdest und nun selbst zum Werwolf wirst. Du schläfst wieder ein. Die Doppelgängerin erwacht. Du weißt, ob die Person, die du kopiert hast, gestorben ist. Die Karte, die ich dir in dem Fall zeige, ist deine neue Persönlichkeit. Du schläfst wieder ein. Die Unruhestifterin erwacht. Möchtest du, falls du deine Fähigkeit noch nicht ausgespielt hast, dass morgen zweimal gelyncht wird, dann nicke. Du schläfst wieder ein. Der Priester erwacht. Möchtest du, sofern noch ungebraucht, deine Fähigkeit einsetzen, um einen Mitspieler dauerhaft vor Wölfen und Vampiren zu beschützen? Du schläfst wieder ein. Die Alte Vettel erwacht. Zeige mir, wer morgen aus dem Dorf verbannt werden soll. Du schläfst wieder ein. Die Werwölfe erwachen und wählen das Opfer der heutigen Nacht. Ihr schlaft wieder ein. Die Vampire erwachen und wählen das Opfer, das morgen nach der Nominierung sterben soll. Ihr schlaft wieder ein. Die Hexe erwacht. Ich zeige dir das heutige Werwolfopfer. Möchtest du einen Heiltrank einsetzen, um es zu retten? Möchtest du einen Gifttrank einsetzen, um einen Mitspieler zu töten? Du schläfst wieder ein. Zu guter Letzt: der Geist. Schreibe deine heutige Botschaft aus dem Jenseits. Vergiss nicht, dass Initialen verboten sind. Gut, das wär’s mal wieder. Das Dorf erwacht, und der siebente Tag bricht an. Niemand ist gestorben. Niemand wurde aus dem Dorf verbannt. Der Geist hat ein R geschrieben.“   - Der Hintere Bezirk, siebenter Tag -   (8:10 Uhr) Seit zehn Minuten warteten die vier nun schon in der Lobby auf die Polizei. Schweigend, mit bleischweren Gliedern und noch schwereren Herzen waren sie vom Dachgeschoss bis ganz nach unten getrottet, wo der Albtraum seinen Anfang genommen hatte. Sie waren in diesem irrwitzigen Versteckspiel fast das ganze Hotel abgekommen. Shikamaru war einfach nur zum Heulen zumute, aber nicht einmal Tränen kamen noch. Leider. Nur mehr Apathie. Selbst als Kiba festgestellt hatte, dass Deidara und Sasori mal wieder verschwunden waren, war er nicht überrascht gewesen. Die beiden hatten offensichtlich Dreck am Stecken, zumindest einer war hochverdächtig, Sakon umgebracht zu haben. Der andere war sicher auch kein Unschuldsengel, wenn er im Hinteren Bezirk verkehrte. Sicher wollten beide es vermeiden, der Polizei in die Hände zu fallen. Sollten sie. Offenbar waren drei Leute das Äußerste, das Shikamaru zusammenhalten konnte. Sie saßen in den Sesseln an der Hotelbar, wo sie auch nach Tentens und Kankurous Tod über dessen Umstände gerätselt hatten. Abermals versetzte es Shikamaru einen Stich, als er sich erinnerte, wie viele sie damals gewesen waren. Es hatte gar nicht jeder einen Sitzplatz auf den weichen, dunklen Lederstühlen ergattern können. Und jetzt … Hinata weinte vor sich hin, presste seit geschlagenen zehn Minuten die Hand vor den Mund und schluchzte immer wieder krampfhaft. Kiba hatte sie am Anfang noch zu trösten versucht, aber irgendwann war er selbst in trübe Gedanken versunken und hatte seitdem kein Wort mehr gesagt. Nichts konnte einen von ihnen noch aufbauen. Nichts und niemand. „Ich glaube, ich weiß, warum diese Leute wussten, wo wir waren“, sagte Ino irgendwann. „Die Sakura entführt haben, meine ich. Wir haben es Temari gesagt. Dass wir shoppen gehen wollen. Und an dem Tag war Lange Einkaufsnacht in diesem Shopping-Center, also war es ziemlich klar, wohin wir wollten. Nicht, dass es noch irgendeine Bedeutung hat.“ Ihre Stimme war immer leiser geworden. Shikamaru sagte auch nichts dazu außer ein seichtes: „Mhm.“ Die Polizei kam nicht. Es war schon nach acht Uhr, und immer noch kein Anzeichen eines Folgetonhorns oder eines Blaulichtsignals. Arbeiteten die Gesetzeshüter im Hinteren Bezirk tatsächlich so träge? Hatte man Kiba nicht ernstgenommen? Oder – Shikamaru kam ein so schrecklicher Verdacht, dass er sich weigerte, genauer darüber nachzudenken. Hatte Kiba vielleicht nur so getan, als hätte er die Polizei alarmiert? Steckte er mit dem Feind unter einer Decke? Selbst, wenn dem so war. Shikamaru war bereit, sich ebenfalls umbringen zu lassen. Der Schmerz, fast alle seine Freunde verloren zu haben, überwog das Risiko bei weitem. Lieber wollte er diejenigen verdächtigen, die momentan nicht in der Lobby waren. Sasori, Deidara, Jiroubu. Über Letzteren waren sie fast gestolpert, als sie Naruto verfolgt hatten, aber nachdem sie das Dach wieder verlassen hatten, hatten sie ihn nicht mehr im siebten Stock angetroffen. Er musste aus seiner Bewusstlosigkeit erwacht und abgehauen sein. Da Shikamaru nichts anderes tun konnte, beschloss er, über diese drei nachzugrübeln.   Shikamaru grübelte. Es hatte nun schon zweimal hintereinander keine Opfer in der Nacht gegeben. Das war ein zu großer Zufall bei einer so kleinen Menge an Spielern – mit Sicherheit gab es schon gar keine Werwölfe mehr. Dafür aber immer noch Vampire … Wer konnte einer davon sein? Hinata? Unwahrscheinlich. Naruto und sie hatten immer zusammengehalten. Vielleicht waren sie das Liebespaar – nein, dann wäre Hinata bereits tot. Dann Freimaurer. Der Vorteil der Freimaurer war, dass sie im Gegensatz zu gewöhnlichen Dorfbewohnern wussten, wer die anderen Freimaurer waren, und damit, wer auf jeden Fall unschuldig war. Und Naruto war unschuldig gewesen, denn es gab dieses Mal keine Lykanthropin. Kiba? Vielleicht. Deidara, Jiroubou und Sasori? Sasori ließ bei seinen Abstimmungsergebnissen kein Muster erkennen. Shikamaru schien es, als wäre sein Daumen immer ganz willkürlich nach oben oder unten gewandert. Deidara und Jiroubou waren eher geneigt, andere zu lynchen, selbst ohne konkrete Hinweise. Was auch nicht unbedingt für ihre Unschuld sprach … Die schiere Menge an Figuren machte die Sache fast unmöglich. Es war eine harte Nuss zu enthüllen, was im Schutz der Nacht alles geschah, wenn Sphinx so viele Spieler aufrief. Shikamarus Blick glitt auf Itachi. Seit Anbeginn dieses langen Spiels hatte er die Augen offenhalten und mit den Lebenden durch einfache Buchstaben kommunizieren dürfen. Itachi war kein Idiot. Er hatte sicher eine Menge wichtiger Hinweise geliefert, die Shikamaru nur zu entschlüsseln brauchte. Das V in der dritten Nacht zum Beispiel stand garantiert für Verrat. Da hatte Shino begonnen, sich als Seherin zu etablieren, und Itachi hatte gewusst, dass er immer mit den Werwölfen aufgewacht war. Die anderen diskutierten noch. Shikamaru blätterte zu seinen früheren Aufzeichnungen zurück und besah sich die Geisternachrichten. Zweite Nacht – K. Vierte Nacht – M. Fünfte Nacht – U. Sechste Nacht – V. Siebente Nacht – R. Ergaben diese Buchstaben zusammen ein Wort oder eine Abkürzung? Es sah nicht danach aus, obwohl Shikamaru Itachi so etwas zutraute. Immerhin war es klar gewesen, dass das Spiel länger dauern würde, also könnte Itachi versuchen, einen längeren Begriff zu vermitteln … nur welchen? Am markantesten war die Tatsache, dass er in der ersten Nacht gar keinen Buchstaben geschrieben hatte, obwohl er schon da viele wichtige Dinge wie die Identitäten der Vampire und Werwölfe herausgefunden hatte. Das sprach wiederum gegen seine vorherige Theorie – warum hatte Itachi diese Chance sausen lassen? Es gab dazu nur eine Analogie, die ihm nutzen konnte. Schweigen in der ersten Nacht, eine Nachricht erst später. Genauso funktionierte auch das Morden der Vampire. Itachi wollte ihm einen Hinweis zu den Vampiren geben, da war er sich sicher. K. Es gab einige Möglichkeiten, für welches Wort dieser Buchstabe stehen möchte. Itachi kannte Shikamaru und seine Freunde zu wenig, um mit seinen Botschaften Charakterzüge oder Hobbies oder etwas anderes Markantes zu beschreiben. Am naheliegendsten waren daher wahrscheinlich Spielcharaktere, und der einzige, der mit einem K begann, war der Kultführer. So weit hatten Shikamarus Gedanken ihn bereits geführt. Also hatte der Kultführer etwas mit den Vampiren zu tun? Shikamarus Synapsen gruben tiefer in die Materie, schraubten sich um diese Theorie, um sie von allen Seiten zu beleuchten. Der Kultführer und die Vampire. Streng genommen konnten sie nicht dieselbe Figur sein. Was hatten sie also miteinander zu tun? War das erste Opfer der Vampire vielleicht der Kultführer? Das wäre dann Hidan gewesen. War das schon die richtige Antwort? Die ganze Wahrheit hinter Itachis Spielzug? Warum hatte er das dann erst in der zweiten Nacht verkündet? Damit Shikamaru das Vampiropfer nicht mit dem der Werwölfe verwechselte? Oder steckte noch etwas dahinter? Sphinx rief den Kultführer immer vor den Vampiren auf. Itachi schrieb die Botschaft immer, wenn die Nacht fast vorüber war. Er wusste somit mehr als alle anderen, wusste, wer das Opfer war – und auch, wen der Kultführer in jener Nacht in den Kult berufen hatte. Und eines durfte er nicht vergessen: Ein Vampir konnte durchaus Kultführer werden. Wenn der Kultführer starb, wurde das älteste Mitglied des Kultes zum neuen Kultführer. Das konnte in der ersten Nacht geschehen, wenn die Werwölfe den alten Führer töteten – aber in der ersten Nacht war niemand gestorben. Die nächste Gelegenheit fand am Tag bei der Nominierung statt, wenn das Vampiropfer starb. Dann würde der neue Kultführer in der zweiten Nacht sein Amt antreten – in jener Nacht, in der Itachi mit seiner Botschaft auf den Kult aufmerksam gemacht hatte. Shikamaru atmete tief durch und zwang sich, den Gedanken etwas distanzierter zu betrachten. War er auch nicht zu weit hergeholt? Vielleicht galt das K nur entweder dem Kult oder den Vampiren, nicht beiden gleichzeitig? Aber wäre die Nachricht es dann wert gewesen, gleich zwei Nächte dafür zu opfern? Itachi musste sicher gewesen sein, dass sein K Shikamaru einen großen Schritt weiterbringen würde … Aber nur, weil der neue Kultführer ein Vampir war, wusste er immer noch nicht, wer es war – Halt. Natürlich wusste er es. Oder eher, es ließ sich ganz einfach herausfinden, denn ein Kultführer, der gleichzeitig ein Vampir war, musste zwangsläufig ein ganz eigenes Spielverhalten an den Tag legen. Der Kultführer gewann, wenn alle überlebenden Spieler in seinem Kult waren. Die Vampire gewannen, sobald nur noch Vampire lebten. Ein Vampir-Kultführer gewann somit, wenn entweder nur noch Vampire oder Kultmitglieder lebten – daher war es in seinem Interesse, nur Nicht-Mitglieder zu töten. Vampire mussten tagsüber versuchen, Unschuldige zu lynchen, ohne sich selbst zu enttarnen. Eine gewisse vorsichtige Tendenz ließ sich da erkennen, wenn man genau hinschaute – zu vorsichtig, um es mit Sicherheit zu sagen, darum konnte Shikamaru nur spekulieren, wer die Vampire waren. Aber man konnte dennoch bei einigen Spielern erkennen, dass sie gewisse andere aus dem Weg haben wollten. Speziell Sasuke hatte etwas gegen Gaara und Shino gehabt, und Deidara, Jiroubou und Sasori hatten bei den letzten Abstimmungen oft für Tod gestimmt. Shikamaru blätterte erneut seine Aufzeichnungen durch, die eine beachtliche Länge erreicht hatten. Deidara und Sakons Bande, mit Ausnahme von Kimimaro vielleicht, waren immer schnell mit einem Todesurteil gewesen. Sasori jedoch … sein Abstimmungsverhalten war wirklich komplett undurchschaubar. Er hatte für den Tod von Spielern gestimmt, die er am nächsten Tag leben lassen wollte. Es war fast so, als könnte er nicht verlieren. Als könnte er seine Feinde einfach in seinen Kult holen und somit zu Freunden machen, die ihm beim Gewinnen halfen. Shikamaru begann zu schwitzen. War das die Antwort? Es wirkte auf ihn eher wie eine schwankende Hängebrücke zwischen Wahrheit und Irrtum. Er vergegenwärtigte sich, dass das Schicksal seiner Freunde von seiner Antwort abhing. Es war nur ein Faden, an den er sich klammerte, aber er würde auch nicht mehr viele Hinweise erhalten … am besten wartete er dennoch auf das Ende des Spiels und machte sich nur eine Notiz. Um nichts zu verpassen, blickte er wieder in die Runde. Die anderen konferierten eifrig, wen sie dieses Mal lynchen sollten. Ino hatte eben Deidara vorgeschlagen, der sich darüber empörte und sie mit einem Fluch bedachte, woraufhin sie schnippisch ihren Zopf zurückwarf. Zopf. Haar. Shikamaru rieselte eine Gänsehaut über den Rücken. Richtig, Itachi kannte die Vorlieben und Eigenschaften seiner Freunde nicht. Darüber konnte er keine Hinweise schreiben. Was aber ihr Äußeres anging … Die Veteranen unter den Spielern, also alle außer Sasori, trugen die fade Krankenhauskleidung. Sasori selbst war in einen bleichen Anzug gekleidet. Nichts Markantes. Augenfarben waren nicht auffällig genug. Die Haarfarben der Überlebenden waren jedoch etwas, das einem rasch ins Auge stach. Deidara und Ino waren beide strohblond, Hinatas langes Haar war schwarzblau, Jiroubous Haarbüschel hellorange, Kiba war braun-, Sasori rothaarig. R. Die letzte Botschaft. Geschrieben zu einer Zeit, in der es wenig Vielfalt unter den Haarfarben der Überlebenden gab. Sasori war nun, nach Gaaras und Tayuyas Ausscheiden, der Einzige, der gemeint sein könnte. Und der Geist würde wohl eher auf die Bösen im Spiel hinweisen, diejenigen, die es zu lynchen gab – immerhin arbeitete er nicht nur mit Shikamaru, sondern auch mit den unschuldigen Dorfbewohnern zusammen. Dann musste Sasori einer der Bösen sein. Werwölfe gab es keine mehr, also war er ein Vampir. Ein Vampir mit einem ungewöhnlichen Abstimm-Muster. Also der Kultführer, der auch gewinnen konnte, ohne das Dorf ausrotten zu müssen. Also das erste Mitglied, das von Hidan in der ersten Nacht in den Kult gewählt worden war. Das waren eine Menge Erklärungen – wenn Shikamarus Theorie stimmte. Aber das würde er bald sehen, denn soeben hatte Deidara Sasori fürs Lynchen nominiert.   „Ich weiß es“, murmelte Shikamaru gedämpft. „Was weißt du?“, fragte Kiba. „Wer von Sasori und Deidara uns belogen hat. Es war Sasori. Er muss Sakon umgebracht haben, als Deidara einen Stock höher war. Und Sakon war nicht sein einziges Opfer. Sasori hat auch versucht, Shino und Toto zu erschießen, er hat wiederholt die Nachrichten der Jashin-Sekte an uns geschrieben und Chouji getötet. Ich glaube, er ist der Anführer der Sekte, oder eben ein wichtiges Mitglied. Hidan muss er auch auf dem Gewissen haben. Es macht plötzlich alles Sinn.“ „Was redest du da überhaupt?“, fragte Kiba zutiefst verwirrt. „Wie kommst du plötzlich auf das alles? Klar, ich vertrau dem Kerl auch nicht, aber ihm das alles zuzumuten …“ „Ich habe mir auch schon meine Gedanken gemacht“, sagte Hinata. „Aber kann es nicht sein, dass Sakon von alleine gestorben ist? Er war ja in ziemlich schlechter Verfassung … könnte Sasori, wenn er schon ein Jashinist ist, nicht einfach die Stange … ich meine, er könnte es nur ausgenutzt haben, dass da eine Leiche war, versteht ihr?“ „Du bist viel zu gutmütig, Hinata“, sagte Kiba. „Würde es das denn besser machen? Außerdem war seine Kehle aufgeschnitten.“ „So … so genau hab ich nicht hingesehen“, gab sie kleinlaut zu. „Hört mir zu“, sagte Shikamaru. „Es steckt noch viel mehr hinter dieser Sache. Sasori hat einen großen Teil von dem, was in diesem Hotel passiert ist, eigenhändig geplant. Es kann gar nicht anders sein. Er war es auch, der die Leiter entdeckt hat, über die Kakashi und Asuma geklettert waren, und er hat sie umgestoßen.“ „Ich frag dich nochmal, wie kommst du auf das alles?“, fragte Kiba. Ino sah ihn stirnrunzelnd an. Shikamaru seufzte. Alles zu erklären würde eine Qual werden. Aber sie hatten das Recht, es zu erfahren, und er konnte damit Zeit totschlagen. „Also, hört zu. Das sind meine Schlussfolgerungen.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)