The Wolves among us von UrrSharrador ("Die Werwölfe erwachen. Sie wählen ihr heutiges Opfer ... Die Werwölfe schlafen wieder ein." [Video-Opening online]) ================================================================================ Kapitel 22: Der Kreis schließt sich ----------------------------------- ~ 22 ~   „So, meine Freunde, sehen wir uns mal an, welche Leichen das Dorf plötzlich noch findet.“ Sphinx schien bester Laune zu sein. „Die Reihenfolge, in der ich sie erwähne, hat übrigens keine Bedeutung. Zuerst mal: Kankurou. Es tut mir leid, aber du bist tot. Und weiters, hier drüben.“ Er ließ seine Hand kreisen und deutete dann, eine Scherenbewegung imitierend, mit zwei Fingern auf Tenten. „Schnipp-schnipp. Heute werden ja wirklich eine Menge Lebensfäden durchgeschnitten.“ „Wa– Heißt das … Ich bin … wir sind …“, machte Tenten, die sich eben noch im Kreuzfeuer des Verdachts befunden hatte. „Ihr seid beide tot, ja“, sagte Sphinx grinsend. „Das Werk der Vampire, mal wieder“, murmelte Ino. „Ja“, sagte Deidara gedehnt, „nur dass diesmal gleich zwei gestorben sind, hm.“ „Ist das nicht ein toller Weg, seine Unschuld zu beweisen?“, fragte Sphinx. „Ihr werdet doch sicher wissen wollen, ob ein Vampir oder Werwolf unter den neuen Toten war, richtig? Ich sage es euch.“   (1:20 Uhr) Ino war offenbar nicht ganz bei sich. Sie blinzelte in die Runde, musterte ihre Freunde, als fragte sie sich, was sie hier alle wollten. Shikamaru war erleichtert, dass wenigstens sie am Leben war. Sie blutete aus einer Wunde an der Stirn. Anscheinend war sie mit einem Schlag auf den Kopf davongekommen. Außerdem war ihr rechtes Auge angeschwollen. Als sie an sich hinabsah, schrie sie auf. „Blut! Da ist Blut!“ Ihr violettes Top war mit Blutflecken verziert. Ino versuchte aufzustehen und sah dabei Tenten und Kankurou. Sie stieß ein ersticktes Keuchen aus, plumpste wieder zu Boden und versuchte von den Leichen wegzukriechen. „Was … was ist …“ „Ino!“, ächzte Kiba. „Dein … dein Schuh … Sag bloß …“ Shikamarus Blick wanderte zu Inos linkem Fuß. Richtig … sie hatte Stöckelschuhe getragen, selbst heute. Sie und Tenten hatten sich nach ihrer Einkaufstour gar nicht erst umgezogen. Der Absatz ihres verbliebenen Schuhs war vielleicht sieben bis acht Zentimeter hoch … der andere steckte in Kankurous Auge. Temari stieß einen wütenden Schrei aus. „Du! Was hast du mit ihm angestellt?“ Sie riss die verdutzte Ino in die Höhe und stieß sie grob gegen ein Regal, das polternd umfiel, mitsamt Ino. „Du hast ihn umgebracht!“ Sofort wollte Temari Ino wieder packen, aber Kakashi ging dazwischen. „Ruhig. Wir müssen jetzt einen kühlen Kopf bewahren.“ „Gehen Sie aus dem Weg!“, fauchte Temari mit Schmerz in der Stimme. „Sie hat meinen Bruder auf dem Gewissen! Ich bring sie um!“ Sie machte Anstalten, sich an Kakashi vorbeizuwinden, als ausgerechnet Gaara ihr eine Hand auf die Schulter legte. „Temari“, sagte er nur mit tonloser Stimme. Sie starrte ihn mit flackerndem Blick an und biss die Zähne zusammen. Kakashi seufzte tief. „Halleluja. Eure Freunde haben echt schon bessere Tage gesehen.“ Die Straßengang war ihnen gefolgt. Der unpassende Kommentar kam natürlich von Tayuya. „Halt dich da raus!“, schrie Temari sie an. „Haut ab! Verzieht euch!“ „Da ist aber jemand gereizt.“ Temari stieß ein Knurren aus, als sich Naruto zwischen sie und Tayuya schob. „Hast du etwa immer noch nicht genug?“, fragte er die Rothaarige drohend leise. Tayuya musterte ihn einen Moment lang, dann rümpfte sie schnaubend die Nase. Ihre Wange begann bereits anzuschwellen. Kakashi half Ino auf die Beine, die ihren zweiten Stöckelschuh ausgezogen hatte. Sie schien Schwierigkeiten zu haben, aufrecht zu stehen. „Kakashi? Was … machen Sie hier?“ „Ino, kannst du uns sagen, was geschehen ist?“, fragte Kakashi sanft. „Ich … weiß nicht. Es ging alles so schnell … Ich erinnere mich nicht“, murmelte sie betreten. „Du erinnerst dich nicht? Das ist die dümmste Ausrede, die ich je gehört habe!“, schnappte Temari. „Irgendjemand hat Kankurou und Tenten getötet und du bist die Einzige, die bei ihnen war – und dein verdammter Schuh ist …“ „Temari, bitte“, sagte Shikamaru leise. Sie funkelte ihn böse an. „Lass uns ruhig bleiben“, fügte er kleinlaut hinzu, obwohl er sich so zerschmettert fühlte, dass er am liebsten auch tot wäre. „Hier. Seht mal.“ Shino und Sasuke hatten die Nervenstärke bewiesen, sich die Leichen genauer anzusehen. Shino deutete auf Kankurous halb geöffnete Faust. Ein paar lange, blonde Haarsträhnen glänzten darin. „Habt ihr miteinander gekämpft?“, fragte Sasuke, eine neue Zigarette im Mund. „Ich … Wir …“ Inos Blick schweifte in die Ferne. „Wir haben gekämpft … Ja, wir haben gekämpft … Oh, ich weiß es nicht mehr!“ Stöhnend presste sie die Finger gegen ihren Kopf und zuckte dann zusammen. „Es … brennt …“, murmelte sie. „Du bist verletzt.“ Hinata war offenbar die Einzige, die sich wirklich um die Hauptverdächtige zu sorgen schien. Mit spitzen Fingern tastete sie – ausgerechnet das schüchterne, zierliche Mädchen – über die Wunde an Inos Stirn. Etwa auf Höhe des Haaransatzes hatte sie ein hässliches Cut, das nicht allzu tief schien, aber stark geblutet hatte. „Ino … hast du einen Schlag auf den Kopf bekommen? Kann das sein?“ Ino sah sie nur verständnislos an, dann schien sie zu überlegen. „Das würde zumindest erklären, warum sie so neben der Spur ist“, sagte Sasuke. „Hier.“ Chouji konnte schon länger mehr nicht die Hände stillhalten. Shikamaru verstand ihn gut. Wenn sie etwas taten, mussten sie sich ihrer Trauer noch nicht stellen. Sein bester Freund deutete auf ein Regalbrett, das auf dem Boden lag. Es musste zu derselben Stellage gehört haben, aus der jemand den Eisenwinkel gerissen hatte. Eine Kante davon war mit Blut benetzt. „Was war hier nur los?“, murmelte Chouji. „Es wäre gut, wenn sie sich schnell erinnern würde“, merkte Toto an. „Wir haben hier drei Morde aufzuklären.“ „Ach, das wäre uns ohne Sie gar nicht aufgefallen“, sagte Kiba bissig. „Hier ist noch was.“ Sasuke beleuchtete etwas, das neben dem Verkaufstisch lag, an dem Kankurou gelehnt hatte. Shikamaru hob das Ding auf. Es war ein kleines Notebook, halb aufgeklappt. Das Gehäuse war etwas demoliert; es musste zu Boden gefallen sein, funktionierte aber noch. Der Bildschirm leuchtete in mattem Licht und zeigte sogar ein Bild. „Das Ding funktioniert hier? Ohne Strom?“, fragte Kiba. „Das ist eines von diesen Ultrabooks, die gerade in Mode sind“, sagte Shikamaru. „Je nachdem, was man alles damit macht, haben die über zehn Stunden Akku.“ „Ist der … mit dem Internet verbunden?“, fragte Chouji erstaunt, als er auf den Bildschirm blickte und ein Browser-Fenster sah. „Nein. Das ist nur ein Bild von einer Website“, sagte Shikamaru. „Er ist offline.“ Aber der Screenshot war interessant genug. Er zeigte eine Website, die die Freunde bereits kannten – das Forum der Jashin-Anhänger. Und seit dem letzten Eintrag, den sie gesehen hatte, gab es einen neuen. „Jashin hat erneut zu mir gesprochen“, las Chouji vor. „Sein Blutdurst wurde geweckt. Während der Geisterstunde sollen ihm zwei Opfer dargebracht werden.“ Die Zeitangabe schrieb dem Post ein Alter von etwa zwei Stunden zu. Verfasst worden war er wieder von Hidan – der eigentlich tot sein sollte. „Das wird immer verrückter“, murmelte Shino. „Ach, wen kümmert’s? Da will uns jemand verarschen, so sieht’s aus!“, rief Kiba. „Aber wie kann er den Post schreiben, wenn er tot ist?“, stellte Hinata die offensichtlichste aller Fragen. „Er ist doch tot, oder?“ „Hidan schon. Derjenige, der seinen Account auf der Website gehackt hat, offensichtlich nicht“, meinte Shikamaru. „Er will uns nur einen Schrecken einjagen.“ „Ach ja, einen Schrecken“, höhnte Temari. „So würde ich das auch nennen. Hier hat jemand zwei Menschen getötet! Und kurz zuvor hat jemand genau das angekündigt!“ „Ich … ich wusste, dass das Ritualmorde sind!“, stieß Toto aus. „Von wegen! Gestern waren Sie noch der Meinung, es wäre Selbstmord gewesen!“, rief Kiba. „Bitte“, sagte Temari, die sich plötzlich beruhigt zu haben schien. „Können wir das woanders besprechen?“ „Eine gute Idee“, mischte sich Kakashi ein. „Wir sollten den Schauplatz unberührt lassen. Kommt.“   (1:30 Uhr) An der Hotelbar ließen sie sich in die plüschigen Sessel sinken – zumindest jene, die sitzen wollten. Temari, Naruto und Kiba tigerten unruhig auf und ab, die Straßengang stand etwas abseits und schien zu überlegen, wie sie Totos wachsamem Blick entkommen konnte. Gaara stand ebenfalls und blickte in Richtung des Ladens zurück. Lee war zusammengesunken wie ein Häufchen Elend und weinte stumm vor sich hin. Neben ihm saß Neji wie eine Schaufensterpuppe, aber sein Gesicht war trocken. Sasuke rauchte eine neue Zigarette. Shikamaru hatte, trotz Kakashis Warnung, das Notebook aus dem Laden mitgebracht. Es war seltsam, dass sie das Gerät dort gefunden hatten. Keiner von ihnen hatte es dabeigehabt, also musste der Täter es dorthin gestellt haben. „Eigentlich lässt die Sache nur einen Schluss zu“, sagte Shikamaru. „Der Täter will uns weismachen, dass es Ritualmorde waren und Jashin dahintersteckt.“ Er, Kakashi, Sasuke, Chouji, Shino, Gaara und dann auch Naruto versuchten etwas über die Tat herauszufinden. Es lenkte auch angenehm von der Tatsache ab, dass eben das schrecklichste Unglück in der langjährigen Geschichte ihrer Freundschaft geschehen war. „Also hat jemand den Laptop hierhergestellt und zwei Morde angekündigt, und als Ino, Tenten und Kankurou die Nachricht gelesen haben, hat er Tenten und Kankurou umgebracht?“, fragte Chouji unsicher. „Die Sache stinkt doch zum Himmel“, sagte Naruto düster. „Das sehe ich genauso.“ Shikamaru suchte mit seinem Smartphone prüfend nach etwaigen WLAN-Verbindungen. Auch das mobile Standard-Netz fand keine. „Na bitte. Seht mal nach, ob ihr hier mit euren Handys ins Internet kommt.“ Fast synchron begannen die anderen auf ihren Smartphones zu tippen. „Ich hab nicht nur kein Internet, ich hab auch keinen Empfang oder sonstwas“, murmelte Kiba. „Keinen Empfang?“ Hinata hatte Shikamarus Bitte nicht erfüllt, klammerte sich aber jetzt noch mehr an Naruto als zuvor. „Heißt das, wir können … nicht mal die Polizei rufen?“ „Keine Sorge. Kollege Hatake und ich beschützen euch“, sagte Toto. Shikamaru fand die Aussage unangemessen, und den Blicken der anderen nach zu urteilen, nicht nur er. „Ist das nicht komisch?“, fragte Shino. „Wir sind ja nicht unter Tage. Das ist das Erdgeschoss eines modernen Hotels. Wir müssten eigentlich Empfang haben.“ „Vielleicht stört irgendetwas die Verbindung“, versuchte Lee zu philosophieren. Er machte den Eindruck, als hörte er sich selbst nicht wirklich zu. Seit sie Sakura gefunden hatten, war er blass und wortkarg. „Lassen wir das fürs Erste außer Acht“, sagte Shikamaru. „Das Notebook hat hier nicht mal Strom. Der Akku ist halb leer, aber er muss ja nicht voll aufgeladen gewesen sein. In jedem Fall hatte der Täter auch keine Möglichkeit, von hier aus auf das Internet zuzugreifen.“ „Was ist mit einem Internet-Stick?“, warf Neji ein. „Unwahrscheinlich. Ich sage euch, warum. Hätte der Täter hier im Hotel das Posting geschrieben, hätte er nur die Website offen lassen müssen. Er hat aber einen Screenshot davon gemacht und uns nur das Bild gezeigt. Das heißt, er wollte oder konnte hier nicht auf die Seite zugreifen.“ Die anderen schwiegen, also fuhr Shikamaru fort: „Ich sage euch, was ich glaube. Der Täter hat irgendwann, bevor wir alle hergekommen sind, diese Nachricht geschrieben. Vielleicht sogar schon tagsüber. Dann hat er die Website fotografiert, das Bild auf dem Notebook gespeichert und hierher mitgenommen. Und als er das Notebook in den Laden gestellt hat, hat er geschätzt, wann es ungefähr gefunden wird, und dann in einem Bildbearbeitungsprogramm die Uhrzeit des Posts geändert. So etwas ist einfach, vor allem wenn auf dem Bild alle möglichen Zeiten und Zahlen zu finden sind.“ „Und wozu das alles?“, fragte Naruto verwirrt. „Um uns Angst zu machen. Wir sollen glauben, sie wären Jashin geopfert worden.“ „Mir persönlich ist es egal, warum sie tot sind“, murmelte Naruto. „Wenn ich den Kerl finde, der das getan hat …“ Er warf einen Blick auf Ino, die immer noch ins Leere starrte. Die Wunde auf ihrer Stirn war verkrustet. Sie bemerkte sein Starren. „Ich … ich versuche ja, mich zu erinnern. Es ist alles so verschwommen …“ „Entschuldigt mich kurz.“ Kakashi trat etwas in die Dunkelheit und versuchte offenbar, mit seinem Handy jemanden zu erreichen. Shikamaru fasste einstweilen in Gedanken zusammen, was sie wussten. Jemand wollte ihnen weismachen, Jashin hätte etwas mit der Tat zu tun. Jemand, der wusste, dass ihnen das Jashin-Forum ein Begriff war. Sie waren alle zusammen im La Grande gewesen. Das wäre ein zu großer Zufall. „Ich habe da einen Verdacht. Es muss nicht stimmen, aber es ist immerhin möglich.“ Die anderen sahen ihn erwartungsvoll an. „Es betrifft die Zugangsdaten zu diesem Forum. Hidan hat seit seinem Tod eine, vielleicht zwei Nachrichten geschrieben. Das kann nur heißen, jemand anders gibt sich als Hidan aus und benutzt seinen Account, um so zu tun, als wäre er unsterblich. Oder ein Geist oder Dämon oder sonstwas. Entweder hat Hidan also Selbstmord begangen und jemandem sein Passwort verraten, um genau diesen Anschein zu erwecken – oder er wurde wirklich ermordet und der Mörder hat sich den Account einfach zu Eigen gemacht.“ „Ist es denn so einfach, einen Forenaccount zu hacken?“, fragte Naruto. „Kommt drauf an. In Hidans Fall war es einfach genug. Erinnert ihr euch? Als wir in seinem Hotelzimmer waren, waren der Computer an und die Seite geöffnet. Wir konnten ganz einfach darauf zugreifen, ohne ein Kennwort eingeben zu müssen. Das könnte zwar auch der Mörder so inszeniert haben, aber was ist, wenn wir Folgendes annehmen: Hidan hat seinen Computer nicht mit einem Passwort geschützt. Vielleicht hat er auch das Passwort im Forum durch den Browser speichern lassen? Sprich, jeder, der an seinen Computer konnte, konnte sich dort unter seinem Namen anmelden. Und wenn für seinen Mailaccount dasselbe gilt, konnte der Täter sich ganz einfach ein neues Passwort zuschicken lassen und war fortan alleiniger Besitzer des Accounts. So konnte er auch diese letzte Ankündigung von jedem beliebigen Gerät aus schreiben.“ Die anderen schwiegen nachdenklich. Für Shikamaru klang die Sache nachvollziehbar. Aber es gab noch andere Dinge, die der Klärung bedurften. Da war zum Beispiel der Schauplatz der Tat. Ino war bewusstlos gewesen, mit einem Cut in der Stirn, neben ihr ein blutbeflecktes Holzbrett. Ihr Top war mit – wahrscheinlich fremdem – Blut vollgesogen, ihr Schuhabsatz war durch Kankurous Auge in sein Gehirn gedrungen. Kankurou wiederum hatte Strähnen von Inos Haar in der Hand gehalten. Und Tenten war auf den Boden gespießt und wahrscheinlich durch ein Loch im Kehlkopf getötet worden. Einer ihrer Haarknoten war gelockert gewesen, erinnerte Shikamaru sich. Wie passte das alles zusammen? Es musste ein Kampf stattgefunden haben, nur … „Temari“, sagte er. „Eigentlich wolltest du ja mit Ino und Tenten dieses Stockwerk untersuchen. Kankurou und Gaara wollten sich mit Neji und Lee einen Flügel im ersten Stock vornehmen. Wie kommt es, dass du von oben gekommen bist, während Kankurou hier war?“ Temari senkte mit gerunzelter Stirn den Kopf. „Das war so … Ich habe mit Ino und Tenten den Laden erkundet. Das Notebook hatten wir übrigens noch nicht bemerkt. Und dann ist auf einmal … Kankurou gekommen.“ Ino nickte langsam. „Ja, daran erinnere ich mich …“ „Und ihr habt sozusagen die Gruppe getauscht?“, fragte Chouji. „Genau. Er hat gesagt, dass …“ Temaris Blick wanderte unsicher zu Gaara. „Er hat behauptet, ich hätte einen Anfall und er wisse nicht, was er tun soll“, sagte ihr Bruder. Die anderen wechselten Blicke. Sie wussten alle, dass Gaara irgendein traumatisches Erlebnis in seiner Kindheit gehabt hatte. Als er jünger gewesen war, hatte er regelmäßig Anfälle gehabt. Erst als er Naruto und dann die anderen als Freunde gewonnen hatte, war es besser geworden. Dass er in so einer unheimlichen Umgebung rückfällig werden könnte, wunderte niemanden. „Kankurou hat gemeint, er würde bei Tenten und Ino bleiben“, sagte Temari und klang plötzlich zerknirscht, als verheimliche sie etwas. Shikamaru kannte sie doch relativ gut; ihm konnte sie nichts vormachen. „Aber Gaara hatte keinen Anfall, stimmt’s?“, hakte er nach. „Mir hat er erzählt, er müsste ganz dringend was mit Temari bereden, weil er einen Verdacht hätte, dass jemand von euch der Drahtzieher hinter dem Ganzen sein könnte“, sagte Gaara. „Ich sollte einstweilen Neji und Lee im Auge behalten und dafür sorgen, dass sie keinen Verdacht schöpfen. Ich dachte mir, er würde schon einen konkreten Grund haben.“ „Und den hatte er …“, sagte Ino plötzlich mit zittriger Stimme. „Ich glaube … Ich … Oh mein Gott …“ Sie schlug die Hände vors Gesicht. „Ich war es! Ich habe Kankurou umgebracht!“   Die Totenstille, die folgte, war wie eine Explosion. Selbst Temari, die Ino schon beschuldigt hatte, starrte sie nur sprachlos an. Naruto verstand die Welt nicht mehr. Irgendwie war das zu viel Information auf einmal für ihn. Jashin? Ritualmorde? Und jetzt wollte Ino die Verantwortliche sein, nachdem sie festgestellt hatten, dass Kankurou sich seltsam verhalten hatte? Kakashi kam zurück und schüttelte den Kopf. „Ich bekomme auch keine Verbindung. Als wäre das Hotel ein riesiges Funkloch.“ Er bemerkte das angespannte Schweigen. „Was ist los?“ „Ino hat gerade zugegeben, dass sie Kankurou ermordet hat“, sagte Gaara. Er klang ruhig wie immer. „Die Frage ist jetzt, wieso.“ „Ich … Da war … Wir haben gekämpft … Wir haben das Notebook gesehen und die Nachricht gelesen … und dann ist er … Er hat …“ Inos Augen weiteren sich. Offenbar erinnerte sie sich endlich an die Einzelheiten. Sie sprang auf. „Kankurou! Er hat sich auf einmal auf Tenten gestürzt … Sie haben gerangelt … Ich weiß nicht mehr genau, wie es geschehen ist … Ich weiß noch, dass ich die beiden auseinanderreißen wollte, aber er hat mir einen Schlag auf den Kopf verpasst. Dann war ich kurz weg, und als ich die Augen wieder aufgemacht habe …“ Sie stockte kurz und als sie weiterredete, war ihre Stimme nur mehr ein Flüstern. „Er stand über Tenten gebeugt, sie hatte dieses Metallding in der Brust … da bin ich ausgerastet.“ „Und du hast deinen Schuh genommen und ihm den Absatz ins Auge gerammt“, beendete Sasuke die Erzählung. „Dann hast du erneut das Bewusstsein verloren. War es so?“ Ino rieb unbehaglich die Zehen aneinander. Sie lief nun in dünnen Strümpfen. „Das würde erklären, warum das Notebook am Boden lag“, sagte Chouji. „Der Kampf war wohl ziemlich heftig.“ „Und es erklärt, wie das viele Blut auf Inos Kleidung kam, obwohl sie selbst nur eine einzige Wunde hatte. Nicht zu vergessen ihre Haare. Kankurou muss sie ihr ausgerissen haben, als sie gekämpft haben. Deshalb hatte er sie in der Hand“, fügte Sasuke hinzu. „Mein Gott …“ Ino vergrub das Gesicht in Händen. Sie war wieder in den Couchsessel gesackt. „Was hab ich getan …“ Temari schien am Boden zerstört. „Nein …“, murmelte sie. „Kankurou soll sie angegriffen haben? Kankurou? Das würde er niemals tun! Das ist eine bodenlose Lüge, die du da erzählst!“ Sie sprang auf und wollte wieder handgreiflich werden. Naruto fing ihre Faust ab, als sie zuschlagen wollte. „Lass es gut sein, Temari. Tut mir leid“, sagte er leise. „Kankurou hat eindeutig versucht, allein mit den beiden Mädchen zu sein. Er hat sich wohl bei ihnen gute Chancen ausgerechnet. Darum die Lügengeschichte mit Gaara“, sagte Sasuke. „Nein …“ Temari sank in ihren Sessel zurück, während die anderen betroffen schwiegen. „Ich kann es nicht glauben …“   „Kankurou war ein Vampir!“, verkündete Sphinx und überschlug die Beine. „Ich lasse euch mal weiterrätseln und einen neuen Verdächtigen nominieren. Noch zwanzig Spieler sind im Spiel.“ „Hä? Die Vampire haben einen Vampir getötet? Geht das überhaupt?“, fragte Naruto. „Es ist prinzipiell zulässig. Vorausgesetzt, ihre Abstimmung in der Nacht war mehrheitlich.“ „Aber es wäre dumm. Sinnlos“, nahm Sasuke Shikamaru die Worte aus dem Mund. „Erstens verlieren sie einen Mitstreiter, zweitens können wir jetzt überlegen, mit wem Kankurou oft Stimmengleichheit hatte.“ „Drittens wäre eine solche Finte zu einer so frühen Zeit im Spiel, wo noch so viel unbekannt ist, unnötig“, fügte Shino hinzu. „Und viertens können die Vampire nur eine Person pro Nacht auswählen, die dann am Tag stirbt.“ „Tenten war kein Vampir, oder? Und auch kein Werwolf?“, vergewisserte sich Neji. „Richtig. Unter den letzten Opfern war nur Kankurou ein Bösewicht. Auch Sakura war unschuldig, falls ich das nicht schon gesagt habe“, erklärte Sphinx. Shikamaru notierte sich diese Aussage. „Das lässt dann nur einen Schluss zu“, meinte Sasuke, nachdem sie kurz alle überlegt hatten. Er deutete auf eine Zeile auf der Regelkarte. „Diese Alternative mit dem Jäger. Wir spielen nicht mit einem normalen Jäger, sondern mit dem Vampirjäger, der hier erwähnt wird, oder? Wolltest du uns diese Regeländerung vorenthalten, Sphinx?“ Sphinx grinste. „Solange ihr nicht danach gefragt hättet. Du hast recht, für dieses Spiel habe ich den Jäger zum Vampirjäger gemacht.“ „Und was kann der?“ Naruto besah sich stirnrunzelnd seine Karte. „Der gewöhnliche Jäger darf einen Mitspieler töten, sobald er selbst stirbt. Der Vampirjäger darf sich sein Opfer nicht aussuchen; wenn er stirbt, erschießt er automatisch den ersten Vampir, der rechts von ihm sitzt“, erklärte Neji. Automatisch wandten alle ihren Blick auf Tenten und Kankurou, die seit ihrem Tod im Spiel schweigen mussten – genauer gesagt, auf die Stühle zwischen ihnen. Rechts von Tenten saßen Kakashi, Asuma und der alte Toto, dann Kankurou. „Also weil tagsüber ein Vampir gestorben ist …“, überlegte Naruto. „… muss Tenten der Vampirjäger gewesen sein“, erwiderte Sasuke. „Und Kakashi, Asuma und Toto sind keine Vampire.“ „Es könnte aber ein Werwolf unter ihnen sein“, fügte Ino hinzu. „Schön, schön“, sagte Tayuya und gähnte demonstrativ. „Können wir dann weitermachen? Wir haben immer noch jemanden zu lynchen. Wen verdächtigen wir als Nächsten?“ (1:45 Uhr) „Was hast du gesagt?“, fragte Naruto irritiert. „Ich sagte, dass ihr wirklich feine Freunde habt, die sich da gegenseitig umbringen“, wiederholte Tayuya. „Braucht ihr uns in diesem beschissenen Spiel noch? Wir würden gern ‘nen Abgang machen. Die Sache stinkt zum Himmel.“ „Nicht so hastig“, sagte Sasuke. „Wir sind hier noch nicht fertig.“ „Genau! Was ist mit Sakura? Wir haben nicht vergessen, dass ihr vor uns hier wart!“, rief Kiba. Jiroubou schnaubte. Tayuya fasste das Schnauben in Worte: „Das schon wieder? Scheiße nochmal, wir waren’s nicht!“ „Was ist mit Kimimaro? Wo ist er die ganze Zeit gewesen?“, fragte Chouji. „Wart ihr die ganze Zeit über zusammen?“, fragte Shino sachlich. „Seit dem Abend, meine ich. Warum? Es könnte sein, dass einer von euch schon vorher hierher gefahren ist.“ „Das gilt für euch genauso“, schnappte Tayuya. „Sagt es einfach“, bat Shikamaru müde. Sie verzog die Lippen. „Nein, wir waren nicht ständig zusammen. Glaubt ihr, wir kleben wie die Kletten aufeinander? Wir haben diese beschissene Herausforderung von den Wolves erhalten, dann haben wir jeder unsere eigenen Dinge erledigt, und kurz vor Mitternacht haben wir uns wieder getroffen und sind hergefahren.“ Shino nickte. „Das dachte ich mir. Und ihr wart auch nicht immer beieinander, seit ihr hier seid.“ Sie sah ihn mit blitzenden Augen an. „Vielleicht? Woher willst du das wissen?“ „Als wir in der Garage angekommen sind, seid nur du und Jiroubou uns begegnet“, erinnerte sich Shikamaru. „Und ihr habt gesagt, dass ihr euch alle ein wenig umgesehen habt. Getrennt?“ „Im Gegensatz zu euch sind wir keine solchen Pussys, die sich nicht allein in einem finsteren Hotel herumzustöbern trauen.“ Shino nickte. „Ich werde euch etwas zeigen, das ich gefunden habe. Warum ich bisher geschwiegen habe? Ich hielt es für möglich, dass es ein Zufall ist oder dass ich jemanden ungerechtfertigt verdächtige. Aber nun hat sich die Sache geändert. Warum? Weil drei unserer Freunde tot sind.“ „Und wenn euer Kankurou diese Sakura umgebracht hat?“, schlug Jiroubou vor. „Immerhin fehlt diesem Jashin ja jetzt ein Opfer. Oder vielleicht doch nicht?“, ergänzte Tayuya. „Wie lästig.“ Shikamaru seufzte. „Gaara, Temari. Kankurou war sicherlich den ganzen Nachmittag über bei euch, oder?“ Es war seltsam, über ihn zu reden und ihn dabei als Täter zu betrachten. Noch in der vorigen Nacht waren sie auf seinem Konzert gewesen, nun sollte er ein Mörder sein … Die beiden nickten. „Die Blonde wollte ihren Bruder doch schon vorhin decken“, warf Tayuya ein. „Es ist umgekehrt“, sagte Shikamaru. „Es hätte keinen Sinn mehr, ihn jetzt zu decken, nachdem er … entlarvt ist.“ „Und tot, wolltest du sagen“, murmelte Sakon, der wohl einen klaren Moment in seinem angeschlagenen Kopf hatte. „Hier.“ Shino zog etwas aus seiner Tasche und legte es auf das Tischchen vor ihm. Im Licht seines Smartphones traten sogar die Straßenkids näher. Etwas wie zwei lange, glänzende Fäden lag da. „Schon wieder Haare?“, fragte Temari. „Die habe ich in der Schaltzentrale für die Garage gefunden. Dort, wo alles zerstört wurde, damit wir hier nicht mehr rauskommen. Wem sie gehören? Betrachtet einmal die Farbe.“ „Silbrig? Weiß? Oder sieht es nur so aus?“, fragte Chouji. „Sie sind tatsächlich silberweiß. Ich habe es genau überprüft. Und wir haben hier drei Personen, die in etwa diese Haarfarbe haben. Und nur einen, zu dem auch die Länge passt.“ „Kimimaro“, murmelte Naruto. „Kakashis und Totos Haare wären zu kurz.“ „Also hat Kimimaro die Zentrale zerdeppert und uns hier eingesperrt?“, fragte Tayuya und wirkte schockiert. „Macht euch nicht lächerlich. Wozu sollte er das tun?“ „Ganz einfach. Die Wolves, die euch hergelockt haben, sind dieselben Leute, die Sakura entführt haben. Sie wollten sich von Anfang an für etwas rächen. Darum haben sie uns hier eingesperrt.“ Shikamaru warf Sasuke und Shino, die mit ihm so etwas wie die Rädelsführer ihrer Ermittlungen bildeten, einen bezeichnenden Blick zu. Beide nickten. Sie waren also schon zu demselben Schluss gekommen. „Du … du meinst … Sie wollen uns auch umbringen?“, fragte Naruto heiser. „Ich weiß nicht, ob auch Kankurou zu ihnen gehört hat“, sagte Shikamaru leise, „aber hier sind mir bereits zu viele von unseren Freunden gestorben, als dass ich mich noch traue, etwas anderes anzunehmen.“ „Und ich habe auch schon eine Idee für den Grund der Rache“, sagte Shino. „Nämlich mich.“ Die anderen sahen ihn erwartungsvoll an. Shino, der selbst in der Düsternis des Hotels seine obligatorische Sonnenbrille nicht abgelegt hatte, rückte selbige zurecht. „Beziehungsweise, unsere Gruppe. Und eine Kurzschlussreaktion von Tayuya.“ „Was heißt hier …“ „Lass ihn ausreden“, sagte Jiroubou, und ausnahmsweise schien sie auf ihn zu hören. „Kidoumaru. Wir haben ihn enttarnt, wenn ihr euch erinnert. Ich war es, der ihn letzte Nacht gesehen und verdächtigt hat, in der Nähe des Twilights gewesen zu sein. Das hat Tayuya offenbar Anlasse für eine Tat gegeben, wie sie selbst am Telefon gesagt hat. Welche? Ich weiß es nicht, aber Kidoumaru ist nicht unter uns.“ Tayuya presste die Lippen zusammen. Toto beäugte sie äußerst misstrauisch. „Ich weiß schon, was du damit sagen willst“, sagte Shikamaru. „Kidoumaru war nicht allein. Kimimaro und möglicherweise Kankurou steckten mit ihm unter einer Decke. Vielleicht haben sie auch mit dem Mord an Hidan zu tun. Jedenfalls haben wir dafür gesorgt, dass sie einen der ihren verloren haben. Unsere Gruppe hat ihn angeprangert, Tayuya hat uns geglaubt und ihn … Wie auch immer. Und die Überbleibsel von seinem Team, oder was auch immer sie sind, wollen sich jetzt an allen rächen, die damit zu tun hatten.“ „Eine ganz schön gewaltige Aufgabe, die da vor ihnen liegt.“ Sasuke war bereits bei der nächsten Kippe. „Das werden wir auf keinen Fall zulassen.“ Toto sah Kakashi drängend an. „Ich wusste gleich, dass man diesen Straßenkindern nicht trauen kann. Wir werden diese unbescholtenen Leute vor ihnen schützen.“ „Unbescholten!“, rief Tayuya aus. „Ist euer Freund hier durchgedreht, oder wir?“ „Ruhe!“ Toto hielt plötzlich wieder die Pistole in der Hand. Sein faltiger Schädel schwitzte. „Ihr kommt alle mit aufs Revier. Und jetzt raus mit der Sprache, wo ist dieser andere?“ „Meinst du mich?“ Toto zuckte zusammen. Auch die anderen fuhren herum. Unterhalb der Hotelbar, im Dunkel der Lobby, zeichneten sich schwach die Umrisse einer Person ab. „Keine Bewegung!“, rief Toto schrill. „Was tust du hier mit meinen Kumpeln?“, fragte Kimimaro ruhig. „Tayuya, Sakon, Jiroubou. Wir wollten doch im Keller aufeinander warten. Ist was passiert?“ „Kann man wohl sagen“, fauchte Tayuya zornig, und fast gleichzeitig rief Toto: „Die Fragen stelle ich!“ „Beruhigen Sie sich“, sagte Kakashi und trat auf den alten Polizisten zu, dessen Hand merklich zitterte. „Gibt es einen Grund, warum du eine Waffe auf mich richtest?“, fragte Kimimaro. „Kimimaro, sag …“, begann Tayuya zuckersüß, „hast du zufällig irgendwas mit dem verschlossenen Garagentor zu tun?“ Ein Zögern, kaum wahrnehmbar, aber Shikamaru entging es nicht. „Wie kommst du darauf?“ „Unsere private Spurensicherung hat Haare dort gefunden, die aussehen wie deine“, sagte Kiba triumphierend.   „Muss das sein?“, fragte Kimimaro seufzend. „Und ob.“ Tayuya grinste Kiba und Shino an. „Stimmen wir ab.“   „Vielleicht war ich in dem Raum, na und? Was beweist das?“, fragte er. „Komm her“, sagte Toto, als wollte er einen Hund bei Fuß rufen. „Wir werden das alles auf dem Revier klären. Hier wird eine richtige Spurensicherung nach dem Rechten sehen und die Wahrheit kommt ans Licht.“ Kimimaro seufzte, machte einen Schritt – und wirbelte dann plötzlich herum und wollte hinter eine der Säulen in der Lobby springen. Der Schuss hallte von den kahlen Wänden wider wie ein Donnerschlag. Die Freunde wurden Zeuge, wie die Silhouette mitten im Sprung an Spannung verlor und fast aberwitzig langsam zu Boden segelte. Ein dumpfes Geräusch ertönte, zu sehen war die Landung nicht mehr. Fluchend und schreiend sprangen sie auf. Kakashi lief als Erstes los, nicht ohne Toto, dessen Pistolenlauf noch qualmte, einen bösen Blick zuzuwerfen.   „Das ist dann also das Ende von Kimimaro, dem Werwolf. Ja, ihr habt richtig gehört, er war ein Werwolf.“ Ein Aufatmen ging durch die Runde. „Gut gemacht.“ Kiba knuffte Shino in die Seite. „Es ist noch nicht vorbei“, sagte dieser. „Aber immerhin, es läuft diesmal ziemlich gut für uns“, sagte Ino. „Zwei Werwölfe und ein Vampir sind schon außer Gefecht gesetzt.“   - Der Hintere Bezirk, zweite Nacht -   (0:00 Uhr) Kimimaro sah die drei Autos über die Überwachungskameras in die Tiefgarage fahren. Die Pfeile lotsten sie wie geplant weg vom Eingang. Er stand in der kleinen Schalterzentrale, von wo aus eigentlich der Pförtner den unterirdischen Zugang zum Hotel kontrollieren sollte. Als ihre Bande hier angekommen war, hatte er vorgeschlagen, sich getrennt ein wenig umzusehen. Tayuya hatte offenbar keine Ahnung, dass Kidoumaru noch einen Mitstreiter innerhalb der Bande gehabt hatte. Nun waren also alle in dem Hotel versammelt. Ironisch, dass sie versuchten ein Mädchen zu retten, das bereits tot war. Kimimaro drückte den Schalter, der das Gittertor herunterfahren ließ, und demolierte ihn anschließend. Zur Sicherheit schaltete er die anderen elektronischen Geräte ab und zerhackte sie mit dem Feuerwehrbeil, das sich im Gang befunden hatte. Mit dem Notstromgenerator verfuhr er genauso. Dann beeilte er sich, zu den anderen zu gelangen. Der Racheakt für Kidoumaru konnte beginnen.   - Der Hintere Bezirk, zweiter Tag -   (1:55 Uhr) Kimimaro hatte unglaubliches Pech gehabt. Naruto glaubte das, weil Toto einfach nicht aussah wie ein allzu geübter Schütze – obwohl man als Polizist im Hinteren Bezirk sicher öfters ins Kreuzfeuer geriet. Die Kugel hatte sein Herz erwischt. Als sie sich um ihn scharten, regte er sich nicht mehr. „Das war überaus dumm und voreilig“, schalt Kakashi Toto. „Aber ich … ich dachte, er wollte fliehen …“ „Wohin hätte er denn fliehen sollen? Das Garagentor ist zu und die Eingangstür verriegelt.“ „Nun, durch den …“ Toto verstummte, als fiele ihm etwas ein, das er zwischenzeitlich vergessen hatte. „Wie sind Sie beide hier eigentlich hereingekommen?“, fragte Sasuke, dem Kimimaros Tod am wenigsten nahezugehen schien. „Ich bin über eine Leiter geklettert. In einem oberen Stockwerk fehlt ein Fenster. Und Sie?“, fragte Kakashi seinen Kollegen. „Durch den Bediensteteneingang“, druckste dieser unbehaglich herum. „Im hinteren Bereich des Kellers. Aber … ich habe die Tür wieder abgeschlossen.“ „Kann ich diesen Schlüssel mal sehen?“ Toto fingerte ein schweres, schwarzes Ding aus der Tasche. Kakashi riss es ihm mit einer flinken Bewegung aus der Hand. „Und jetzt noch Ihre Waffe, bitte.“ „Ich gebe doch nicht das Einzige aus der Hand, was mich vor diesen wahnsinnigen Jugendstraftätern schützt!“, meinte er empört. „Sie haben gerade einen unbewaffneten jungen Mann erschossen. Das würde ich als wahnsinnig bezeichnen“, sagte Kakashi hart. „Geben Sie die Pistole her.“ „Niemals!“ Toto wich einen Schritt zurück und umklammerte die Waffe wie sein eigenes Kind. „Nicht, solange ich Ihren Dienstausweis nicht gesehen habe!“ Kakashi seufzte und wandte sich dann den andern zu, die um Kimimaro herum standen. Unter seinem Körper hatte sich eine Blutlache gebildet. Jiroubou war es, der nach einem Puls getastet und festgestellt hatte, dass das Einschussloch in seiner Brust nur tödlich gewesen sein konnte. „Es tut mir leid“, sagte Kakashi zu Kimimaros Bandenkollegen. „Ach, halb so wild“, meinte Tayuya. Ihre Zunge klang schwer und strafte ihre Worte Lügen. „Wenn er wirklich genauso ein Bastard war wie Kidoumaru, geschieht ihm das nur recht.“ „Wie kannst du das sagen, wenn gerade dein Freund gestorben ist?“, rief Naruto. Sie sah ihn wütend an. „Wie gesagt. Wir sind nicht solche Pussys wie ihr.“ „Aber er hatte eindeutig etwas zu verbergen!“, rief Toto. „Sonst wäre er nicht weggerannt! Er war sicher …“ Ein funkelnder Blick von Kakashi brachte ihn zum Verstummen. „Vier Tote in zwei Stunden“, murmelte Kakashi. „Ich hoffe, es gibt nicht noch ein Unglück.“ Shikamaru trat auf Tayuya, Sakon und Jiroubou zu. „Ich würde euch gern ein paar Fragen stellen.“ „Und wenn wir keinen Bock haben, sie zu beantworten?“ Er seufzte. „Hör schon auf, dich immer querzustellen. Ich will wissen, was genau diese Sache ist, die du gegen Kidoumaru hattest. Du hast ihn ja eben erwähnt, und offenbar hängt das Ganze auch mit uns zusammen.“ Tayuya schnaubte nur, aber Jiroubou begann zu erklären: „Eine kleine, interne Angelegenheit, könnte man sagen. Kidoumaru und Sakon hatten Streit miteinander. Wegen eines Mädchens.“ „Und deswegen habt ihr ihn umgebracht?“, fragte Naruto fassungslos. „Kommt eben drauf an, wie intim so etwas auf der Straße wird.“ „Wie viele Spritzen sie sich teilen, meinst du?“, fragte Temari spitz. „Nein“, erwiderte Tayuya bittersüß. „Wie viele Körperflüssigkeiten sie austauschen. Willst du’s genauer wissen?“ Temari rümpfte die Nase. „Ich verzichte.“ „Also hatten die beiden Streit um ein Straßenmädchen?“, brachte sie Shikamaru wieder auf Kurs. „Und ihr habt euch auf Sakons Seite geschlagen und Kidoumaru umgebracht?“ „Sieh ihn dir doch an!“ Tayuya deutete auf Sakon, der sich an die Säule gelehnt hatte. Er atmete schwer, Schweiß perlte von seiner knochenweißen Stirn. „Sakon ist zwar meistens der, der die Stänkereien anfängt, aber dieses Mal hat Kidoumaru angefangen. Sakon wusste gar nicht, dass diese dämliche Göre was mit Kidoumaru hatte.“ „Und das schon seit Monaten“, ergänzte Jiroubou. „Kidoumaru hat uns nie etwas gesagt.“ „Klar, weil’s ihm peinlich war. Sakon hat sie mit reinem Gewissen abgefüllt.“ „In der Nacht, bevor wir euch getroffen haben, hat Kidoumaru ihn dann in meinem Namen zu einem Gespräch bestellt. Dort hat er ihn zusammengeschlagen“, sagte Jiroubou. „Maskiert, natürlich. Der Feigling“, murmelte Tayuya. „Und er war nicht allein. Sag’s ihnen.“ Sie knuffte Sakon gegen die Schulter, der zusammenzuckte. „Es … es waren mindestens drei“, sagte er mit verwaschener Stimme. „Die hätten ihn fast umgebracht!“, zischte Tayuya. „Ich würd ihm ja oft auch gern eine reinhauen, aber so eine feige Aktion gehört bestraft, denkt ihr nicht? Blöderweise ist Sakon erst nachher damit rausgerückt, wie viele es waren. Das hatten wir Kidoumaru nämlich nicht gefragt.“ „Ein Eifersuchtsdrama auf der Straße also. Ihr könntet glatt einen Kinofilm draus machen“, schnaubte Kiba. „Ich wusste, mit euch Straßenbanden hat man nur Ärger!“, sagte Toto. „Könnten wir dann vielleicht …“ Alle wandten sich zu Hinata um, die verlegen den Boden anstarrte, dann Neji, der seit Tentens Tod kaum ein Wort gesagt hatte, dann Naruto. „Könnten wir jetzt vielleicht zurückfahren? Ich will hier nicht mehr länger sein.“ „Unsere Autos sind in der Tiefgarage eingesperrt“, sagte Gaara. „Wenn, dann müssten wir zu Fuß gehen.“ „Zu Fuß durch den Hinteren Bezirk?“, meinte Chouji unsicher. „Macht euch nicht ins Hemd. So schlimm ist er auch wieder nicht“, spottete Tayuya. „Oder vielleicht doch, für solche Idioten wie euch.“ „Wir haben zwei Pistolen“, erinnerte sie Kakashi. „Und die Umgebung hier ist verlassen.“ „Glauben Sie! Hier lungern sicher noch mehr von diesen Typen herum, die einfach mal so Leute umbringen“, sagte Kiba. „Willst du der Nächste sein?“, fragte Tayuya. „Hört auf.“ Kakashi ging dazwischen. „Toto, Sie haben von einem Bediensteteneingang gesprochen? Können wir dort hinaus?“ Toto nickte. „Folgt mir.“ Er tat zwei Schritte, dann drehte er sich wieder um und fuchtelte schon wieder mit seiner Pistole in Richtung der Straßengang. „Nein. Ihr geht vor!“ „Wenn du uns sagst, wohin“, sagte Jiroubou.   „Ich habe eine Idee“, sagte Neji. „Ich werde mich jetzt outen. Und ich hoffe, dass der Leibwächter und die Hexe mich kommende Nacht beschützen. Ich bin der Paranormale Ermittler.“ Shikamaru las noch einmal die Beschreibung dieser Figur durch. Der Paranormale Ermittler konnte einmal pro Spiel in der Nacht drei nebeneinandersitzende Personen durchleuchten und prüfen, ob ein Werwolf darunter war. Er würde nicht herausfinden, welcher von ihnen oder wie viele Wölfe es wären, aber Nejis Offenbarung war nun tatsächlich ein mächtiger Zug. „Ich werde nächste Nacht Kakashi, Asuma und Toto überprüfen“, verkündete er. „Wir wissen dank des Vampirjägers, dass kein Vampir unter ihnen ist. Sonst hätte Tentens Kugel nicht erst Kankurou getroffen, der neben ihnen sitzt. Wenn wir Glück haben, ist auch kein Werwolf unter ihnen, und wir haben drei Leute, denen wir vertrauen können.“ Shikamaru nickte anerkennend. Vertrauen zu schaffen war wohl das Wichtigste in diesem Spiel. „Ich möchte die Seherin bitten, mich ihrerseits heute Nacht zu überprüfen, damit sie euch morgen bestätigen kann, dass ich weder Vampir noch Werwolf bin und somit die Wahrheit sage“, fuhr Neji fort. „Dann müsste aber auch jemand die Seherin schützen“, meinte Sasuke. „Der Priester“, sagte Neji. „Sofern er seine Fähigkeit noch nicht benutzt hat.“ Der Priester konnte einmal pro Spiel einen Spieler segnen. Dieser konnte dann nicht mehr als Opfer gewählt werden, weder von Werwölfen noch von Vampiren. Eine sehr mächtige Fähigkeit. „Machen wir’s so“, sagte Kiba. „Guter Plan.“ Shikamaru grübelte indessen über die Botschaft des Geists nach. Ein K. Er brauchte nicht lange, um dahinterzukommen. Anfangsbuchstaben von Spielernamen waren nicht erlaubt, also war das Erste, was ihm dazu einfiel, Kult. Itachi – er war als Einziger in der ersten Nacht gestorben, niemand sonst konnte der Geist sein – wollte Shikamaru auf den Kult aufmerksam machen. Nur wieso? In der ersten Nacht hatte der Geist gar keinen Buchstaben geschrieben, aber er hatte alles, was nachts geschah, mitverfolgt. Vielleicht wollte er Shikamaru damit zeigen, dass die Nachricht, die er in der zweiten Nacht geschrieben hatte, zu seinen Beobachtungen in der ersten Nacht gehörte? Dass er also Informationen so lange zurückgehalten hatte, bis die anderen sie verstehen konnten? Es war nur eine Vermutung, aber sie wurde drängender, je mehr er sie sich durch den Kopf gehen ließ. Es gab etliche Figuren mit Kräften, die mit Verzögerung wirkten, zum Beispiel den Betrunkenen, den Alten Mann oder den Harten Burschen. Nur Letzterer könnte in der zweiten Nacht seine Wirkung entfalten. Das würde bedeuten, das Opfer in der zweiten Nacht war eigentlich in der ersten bestimmt worden? Sakura war also der Harte Bursche? Dann wäre das Opfer der zweiten Nacht verhindert worden … Aber was hatte der Kult damit zu tun? Nein, es musste eine andere Lösung geben. Diejenigen, deren Kräfte ebenfalls verspätet wirkten und die viel gegenwärtiger und in ihren Auswirkungen viel mehr zu spüren waren als der Harte Bursche, waren die Vampire. Wenn die Vampire in der ersten Nacht jemanden gewählt hatten und dieser am folgenden Tag starb, und Itachi in der Nacht darauf auf den Kult deutete … Die Zahnräder hinter Shikamarus Stirn rasteten ein. Er verstand. Itachi hatte ihm keine direkte Lösung bieten können, wohl aber ein Sprungbrett für künftige Überlegungen. Die Sache verhielt sich wie folgt: In der ersten Nacht wählten die Vampire Hidan. Das war eine Tatsache. Itachi bemerkte das und hielt sich mit seiner Nachricht zurück, bis Hidan tatsächlich gestorben war. In der zweiten Nacht teilte Itachi ihm Kult mit. Es war so naheliegend, dass es schon wieder lachhaft war: Die Rolle des Kultführers hatte sich geändert. Der alte Kultführer war tot, und es gab einen neuen. Und das konnte für Itachi wie für Shikamaru nur insofern relevant sein, wenn der neue Kultführer einer der beiden bösen Gruppen angehörte, also entweder Vampir oder Werwolf war. Das würde das Spiel für den neuen Anführer erheblich erleichtern: Er würde nicht mehr nur gewinnen, wenn seine Gruppe alle anderen Dorfbewohner auslöschte, sondern auch, wenn zu irgendeinem Zeitpunkt alle Spieler in seinem Kult waren. Und das wiederum bedeutete, dass Shikamaru die Lynchergebnisse nicht ganz so ernst nehmen durfte, weil einer der Bösen es sich leisten konnte, herumzuspielen, und er außerdem die Leute aus seinem Kult vielleicht nicht so gern tot sehen würde … Itachi hatte ihn also gewarnt. Nun lag es an ihm, etwas daraus zu machen.   (2:10 Uhr) Toto brachte sie über die Treppe ins Kellergeschoss und dann in einen Bereich, der vor Private-Schildern nur so strotzte. Hier waren sie alle noch nicht gewesen; eine der Türen war nämlich versperrt gewesen. Totos Bedienstetenschlüssel – woher auch immer der Polizist ihn hatte – schloss sie auf. Dieser Teil des Hotels glich einem verlassenen Gefängnis. Die Wände waren grau, der Boden aus trostlosem Linoleum. Dann erreichten sie schließlich einen kleinen, eckigen Raum mit einem winzigen Oberlicht. Daneben war eine massive Tür in die Wand eingelassen; wahrscheinlich führten dahinter ein paar Stufen auf die Höhe der Straße. Toto deutete auf die Tür, winkte die anderen mit seiner Pistole zur Seite und bedeutete Kakashi, ihm den Schlüssel zurückzugeben. Dieser zögerte, reichte ihn ihm aber schließlich. Als Toto ihn in das Schlüsselloch stecken wollte, stutzte er. „Was …“ Er versuchte es nochmal, aber irgendetwas schien nicht zu klappen. „Brauchen Sie Hilfe?“, fragte Temari sarkastisch. „Ich … Das gibt’s doch nicht …“ Toto stand plötzlich Schweiß auf der Stirn. Er sah sich hilflos im Raum um, als glaubte er, die falsche Tür erwischt zu haben, obwohl es nur diese eine gab. „Er passt nicht. Seht!“ Wieder versuchte er den Schlüssel in die Tür zu stecken, aber er stieß gegen einen Widerstand. „Komm schon, verarsch uns nicht“, stöhnte Kiba. „Ich … Tu ich ja gar nicht! Er passt nicht!“, rief Toto. Kakashi ging neben der Tür und die Hocke und strich mit dem Fingernagel über das Schloss. „Ich würde mal auf Superkleber tippen.“ „Hä?“ „Jemand hat sich den Spaß erlaubt, das Schlüsselloch zuzukleben. Gibt es noch einen weiteren Zugang?“ Toto erbleichte. „Nicht, dass ich wüsste …“ „Sie sind doch über eine Leiter geklettert, oder?“, fragte Hinata zaghaft. „Allerdings“, meinte Kakashi. „Aber wenn ich mir das Schloss hier so ansehe, halte ich es für zweifelhaft, dass meine Leiter immer noch dort steht.“ „Die Garage ist verriegelt und der Vordereingang sowieso“, sagte Sasuke und führte sein Feuerzeug zu der Zigarette, die er zwischen den Zähnen hielt. „Das heißt, wenn die Leiter auch fort ist und wir das Zeug hier nicht wegbekommen, sitzen wir in diesem Hotel fest.“ Naruto lief ein eisiger Schauer über den Rücken. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)