17 Years von NinaNachtigall ================================================================================ Kapitel 1: Claire ----------------- Er würde sein Versprechen nicht brechen. Nicht eines, auf das sie seit Jahren wartete, weil sie immer und immer wieder vertröstet worden war. Sie wäre zu jung. Aber das war sie nicht mehr. Sie war kein Kind. Trotzdem erwischte sie sich dabei wie sie immer wieder aus dem Fenster sah, hinaus auf den Hof und nach ihm Ausschau hielt. Vor ihr auf dem Schreibtisch im kleinen Salon lagen Geschichtsbücher verstreut, die zu ihrem Unterricht gehörten, dem sie normalerweise mit großen Interesse und noch mehr Wissbegierde folgte. Heute war aber Sticken dran. Eine Bekannte erwartete ein Kind und sie beteiligten sich an einem Geschenk, wie es Tradition war. Eleanore fand die Handarbeit mindestens genauso dröge wie sie, aber sie war geschickter darin, wo Claire sich wenig Mühe gab und keinen großen Ehrgeiz zeigte. Außerhalb des Fensters wartete ein warmer Frühlingstag. Es zog sie hinaus und man musste ihr an der Nasenspitze ansehen, wie ungeduldig sie war. Wie auf heißen Kohlen saß sie in ihrem geflochtenen Korbsessel. Ihre Unaufmerksamkeit wurde bestraft, in dem sie sich immer und immer wieder mit der dünnen Nadel in die eigenen Finger stach und sie zum Mund führte, um den Stoff nicht mit Bluttropfen zu verschmutzen. Die dunkelhaarige Frau, die ihrer Arbeit nachging und über die Vorbereitung für die Sommersonnenwende sprach, tat als würde sie das alles nichts bemerken. Wo blieb er? Er hatte gesagt, dass er sich beeilen würde und nun war er eindeutig über der Zeit. Ob man ihn aufgehalten hatte? In der Stadt gab es genug zu tun und Randolph war dieser Tage ständig außer Haus. Claire pustete sich eine Locke aus der Stirn. Ihre Arme fühlten sich steif an, weil sie viel zu verbissen an ihrem blumigen Muster mit dem Kreuzstich arbeitete und dabei elend langsam vorankam. Hufgetrappel! Bevor Eleanore irgendetwas sagen konnte war ihr Rahmen auf dem Tisch gelandet und die junge Frau war zum Fenster gelaufen, das zum Hof zeigte. Roland! Sie winkte ihm zu mit einem breiten Lachen auf ihrem Gesicht. Er konnte sie gar nicht ignorieren, auch wenn der Stalljunge herbeigeeilt kam und ihm mit seinem schwarzen Hengst helfen wollte. Er hielt ihn zurück. Der Rappe tänzelte auf der Stelle und warf schnaufend seinen Kopf herum. Roland winkte sie zu sich. Sie solle raus kommen. Das wollte Claire sich nicht zwei Mal sagen lassen. Sie wirbelte herum, stoppte dann aber. „Nur ein kurzer Ausritt...“, begann sie mit bittenden Unterton. Auf den Lippen ihrer Ziehmutter sammelte sich ein Schmunzeln. Sie nickte mit dem Kinn in Richtung der Tür. „Geh schon. Sag ihm, dass ihr zum Abendmahl zu Hause sein sollt. Wir erwarten Besuch.“ Ein eifriges Nicken war ihre Antwort. Bis zum Abend war mehr als genug Zeit. Nichts konnte sie mehr im Haus halten. Sie gab Eleanore zum Dank einen Kuss auf die Wange. Noch im Flur schlüpfte sie aus ihren Halbschuhen, um sie gegen die festeren Stiefel zu tauschen. Voller Ungeduld brauchte sie länger mit den Schnüren und fluchte leise, weil ihre Finger weh taten von den kleinen Stichen, die sie abbekommen hatte. Es war ihre eigenen Schuld und sie wusste, dass Roland sie aufziehen würde, wenn er davon erfuhr. Sie nahm den hinteren Ausgang der kleinen südländischen Villa, die am Rande der Stadt lag. „Du bist zu spät, Revolvermann“, war das Erste was er von ihr zu hören bekam. Dabei war sie so erleichtert, dass er sie nicht hatte hängen lassen. Sie schirmte ihre Augen gegenüber der Sonne ab, die an einem fast wolkenlosen Himmel stand. In der Luft lag ein Hauch von Sommer, der noch schüchtern war. Die Schritte zu ihm hin eilte sie. Er war nicht mal abgestiegen, wie es sich gehörte, wenn man eine Dame begrüßte. Sein Gesicht lag halb im Schatten seines Huts verborgen und sie wusste trotzdem genau wie der Ausdruck in seinen Augen sein musste. Bis in kleinste Detail konnte sie es sich vorstellen, weil sie es hunderte Male gesehen hatte. Mit dem gleichen Vertrauen griff sie nach seiner Hand, die er ihr hinstreckte, damit sie hinter ihm auf das Pferd steigen konnte. Sie war geübt. Seitdem sie in seiner Welt einen Teil ihres Lebens verbrachte war sie unterrichtet worden und hatte sich an den Aufstieg auf einen Pferderücken gewöhnt. Wenn gleich Kanada sehr hoch war und sie den Steigbügel brauchte. Mit Schwung schwang sie ihr Bein hinüber. Er schnalzte mit der Zunge und hielt den Hengst ruhig, bis sich ihre Arme um seine Körpermitte legte und sie sich leicht an ihn drückte. Über seine Schulter warf er einen Blick zu ihr und sie lächelte. „Bereit?“ Ein Nicken und ein Druck seiner Knie. Kanada setzte sich in Bewegung. Erst im leichten Trab vom Hof. Die Dunkelhaarige sah nicht mehr zurück zum Haus, sonst hätte sie Eleanore am Fenster entdeckt, die ihnen nachsah und sich erst abwendete, als sie die Straße erreichten. Aber sie wollten nicht in die Stadt hinein. Nicht zum Markt oder zu Freunden, die verteilt lebten. Immer schneller wurde Kanada unter ihr, zügelloser sogar als sie die Felder erreichten, die vorbei an vereinzelten Farmhäusern führten. Sie hielt sich an ihn, genoss den Wind in ihren Haare und den Rausch des Ritts, die großen Bewegungen des angespannten Pferdekörpers unter ihr, der so viel Kraft ausstrahlte. Noch waren die Acker an denen sie vorbei kamen leer. Ein paar Bauer arbeiteten auf ihnen. Manche richteten sich auf, sahen dem Reiter und seiner Begleiterin hinter her. Ein paar erkannten sie sicher auch. Er der Sohn des Dinh und sie seine Ziehtochter. Das Mündel, das er aufgenommen hatte nach dem Krieg. Man kannte ihr Gesicht und niemand zweifelte daran aus welcher Welt sie stammte. Von welcher Seite des Abgrunds. Toronto und ihr kleines Zimmer im College waren weit weg. Sie preschten vorbei, immer schneller. Hindurch durch einen kleinen Waldausläufer weiter hinaus weg von der Küste in den grünen Reichtum, der die Stadt umringte. Roland zügelte den Schwarzen, als der Weg enger wurde und sie in den Wald hinein ritten, der ihr vertrauter war als alles andere. Sie waren so oft hier gewesen. Eleanore und sie aber auch die Deschains zusammen. Sie erinnerte sich, wie sie Verstecken mit dem Revolvermann gespielt hatte und wie er sie zwischen Bäumen gejagt hatte, bis sie völlig außer Atem gewesen war. Kinderspiele, die lange her waren. Dabei konnte sie ihm genau den Baum nennen an dem er gezeigt hatte, wie man richtig mit einem Messer umging und in dem sie ihren Namen geritzt hatte. Er war nahe der kleinen Lichtung, die oft von Jägern benutzt wurde, weil ein kleiner Bach an diesem entlang floss, der die Tiere anlockte. Wenn welche da gewesen wäre, verscheuchte sie das Getrappel der Hufe. Kanada kam zum Stehen. Roland ließ ihn auslaufen, bis zu dem klaren Gewässer. Er stieg als erster hinab. Schlug seinen roten Mantel zurück und schob den Hut nach hinten, so dass sie ihm endlich in Gesicht sehen konnte. „Womit haben sie dich heute gequält?“, wollte er wissen und streckte ihr in einer nonchalanten Geste die Hände entgegen. Er wusste, dass sie es alleine schaffen würde und an einem anderen Tag hätte sie abgelehnt oder gelacht, aber heute half er ihr hinunter vom Rücken des Tieres. Seine Hände lagen an ihrer Taille hielten sie sicher, bis ihre Stiefel im frühlingsgrünen Gras landeten. „Historie und Handarbeit. Ich wäre lieber zu Sai Spielman gegangen, aber Eleanore meint ich hinke hinter her.“ Nicht was Historie betraf, sondern ihre Stickereien. Tradition war Tradition und daran war nicht zu rütteln. Sai Spielman hingegen war der Apotheker der Stadt und einer der wenigen Heiler, die es gab, die nicht gleichzeitig der Wahrsagerei verschrieben waren. „Ah“, machte Roland, mehr nicht. Aber im Schatten seines Huts konnte sie sein Grinsen sehen, weil er sie nicht darum beneidete ihre Zeit für Stickereien aufwenden zu müssen. Am liebsten hätte sie ihm einen Knuff in die Seite verpasst, doch der Revolvermann trat in weiser Voraussicht zurück. Er fasste die Zügel und führte den Rappen zu den Bäumen am Rande der kleinen Lichtung, um ihn dort festzumachen. Ihre innerliche Aufregung stieg. Wäre er mit ihr verbunden hätte er ihr Herzflattern spüren können und ihre schwitzigen Hände, die sie aneinander rieb. Die Satteltasche nahm er herab und legte seinen Mantel, sowie den Hut ab. Es war viel zu warm und sie verstand sowieso nicht wieso er ihn überhaupt trug. Darunter kam sein Waffengurt zum Vorschein, den er an der Hüfte trug. Seine Hand streifte ihn, in dieser vertrauten Geste, ehe er sich hinunter beugte um den Wasserschlauch hervor zu nehmen. Claire war ihm die paar Schritte gefolgt und nahm ihn den Schlauch ab. „Du hast es versprochen, Roland“, erinnerte sie ihn im vollen Bewusstsein, dass ihm sehr genau klar war worüber sie sprach. Der Deschain brauchte dazu gewiss nicht ihre Gedanken, denn die zwei dunklen Iriden lagen erwartungsvoll auf ihm. „Und ich halte mein Versprechen. Trink etwas.“ Claire schraubte den Verschluss ab und gab nach. Das Wasser war kühl. Er musste es vor dem Ausritt frisch aufgefüllt haben. Obwohl sie Eleanore versprochen hatten zum Abend zurück zu sein, bekam sie immer mehr das Gefühl, dass der Revolvermann anderes im Sinn hatte. Sie fragte nicht danach und reichte nur das Wasser zurück. Ihr Blick wanderte umher und sie suchte nach der besten Stelle. Brauchten sie nicht ein Ziel? Irgendetwas, dass sie anvisieren konnte. Zu genau hatte sie nicht darüber nachgedacht, aber Roland hatte zielstrebig diese Stelle gewählt. „Bist du sicher, dass du bereit dafür bist.“ Er stand direkt neben ihr. Seine Hand lag an ihrem Oberarm, womit er ihre Aufmerksamkeit zu sich zog. Es war eine freundschaftliche Berührung. Eine, wie sie tausende zuvor geteilt hatte. Trotzdem zog ihre Lippen sich auseinander, was nicht alleine Vorfreude war. In der letzten Woche war es schwierig gewesen Roland für sich alleine zu haben. Immer war etwas dazwischen gekommen und selbst wenn sie in Toronto verblieb und gedanklich bei ihm war, hatte er reserviert gewirkt. Gar nicht so, wie sie ihn kannte. Als würde er angestrengt versuchen etwas vor ihr zu verbergen. Es war beinah lächerlich wie nah sie sich sein konnte und trotzdem wusste sie nicht was sie davon halten sollte. Aber sein Versprechen galt. „Du hast selbst gesagt, dass es gut wäre es zu lernen bevor wir aufbrechen.“ Er nickte. „Kein Wort zu Vater.“ Claire legte einen Finger an ihre Lippen. Roland trat fort von ihr und zog einen der Revolver aus dem Waffengurt. Kapitel 2: Roland ----------------- Der Aufbruch der bevorstand war nach Norden. An der Küste entlang nach Baltimore. Von dort aus immer weiter in Gebiete die Roland nie bereist hatte. Davon sprach sie und damit lockte ihn Claire, weil sie immer wusste, wie sie ihn in der Hand hatte. Es würde eine lange Reise werden, länger als die auf die sie bisher an seiner Seite gewesen war. Vor allem aber war es eine Reise einem Schicksal entgegen, das ihm vorausgesagt wurde, seitdem er vor vielen Jahren im Zelt der Wahrsagerin in Florida gesessen hatte. Damals war Claire in sein Leben gestolpert und damals hatte er erfahren wie es war jemanden beschützen zu wollen. Es war ihr Schicksal in den Norden zu gehen - zusammen. Was sie dort erwartete wussten sie nicht. Darauf war Claire ihr ganzes Leben lang vorbereitet worden. Sie hatte ihre Sprache gelernt, sich in seiner Welt zu bewegen. Und trotzdem... – trotzdem würde sie immer herausstechen. Für ihn war sie wie ein Leuchtfeuer, mit den Augen, die ihn ansahen und viel zu erwachsen wirkten für ihr Alter. Roland schluckte schwer gegen den dumpfen Herzschlag an, von dem sie nichts mitbekam. Umso besser. Sie hätte ihn vielleicht durchschaut, so wie sie es oft tat. In ihrer Art war sie forsch, wenn sie eine Meinung hatte nahm sie kein Blatt vor den Mund und sie wies ihn zurecht. Immer und immer wieder. Er hatte sie so oft abgetan. Als Nervensäge. Als Kind. Als kleines Mädchen. Als Störenfried, wann immer sie ihm in die Quere gekommen war. Aber nie, nicht ein einziges Mal, hatte er sie als seine Schwester sehen können. Am ehesten war er ihr Beschützer. Ihr Revolvermann, wie sie es manchmal dachte, aber nie aussprach. Roland überprüfte seine Waffe, entsicherte sie aber nicht, als er sie ihr reichte. „Halt sie kurz fest.“ Er versuchte sein Zögern nicht zu zeigen. In ihren schmalen Händen sah sie falsch aus. Ihre Hände waren zu anderen Dingen gemacht. Zum heilen. Bei Sai Spielman ging sie in die Lehre, wo sie doch in ihrer Welt so viel mehr Möglichkeiten hatte. Er war mit ihr in dem riesigen Gebäude gewesen, dass sie Universität nannte. Er hatte sich mit ihr auf die Aufnahmeprüfung vorbereitet, in dem er immer und immer wieder Begriffe abgefragt hatte, die ihm nichts sagten. „Er ist schwer.“ Das schien sie zu überraschen. Wie bedächtig sie die Waffe in ihrer Hand hielt. Falsch aber immer hin mit dem nötigen Respekt. Aus einer Tasche zog er ein Stück Schreibkohle und wies Claire an ihm zu folgen. Weg von dem Rappen der graste und den sie nicht aufschrecken wollte. Er suchte einen Baum mit heller Rinde, so dass er einen Kreis auf ihn zeichnen konnte. „Du weißt schon, dass es psychologisch einfacher wäre, wenn du den größer machst, damit ich eine Chance habe je zu treffen“, ertönte prompt die Beschwerde, mit der er gerechnet hatte. Roland lachte auf. Er warf das Stückchen Kohle ins Gras und wischte sich die Finger an seiner Hose ab. „Wer hat gesagt, dass ich dich alleine schießen lasse?“ Claire war schnell darin Dinge zu überstürzen. Sie war es, die ihn immer wieder antrieb, weil in ihrer Welt alles so viel mehr Tempo hatte. Manchmal machte sie es ihm nicht einfach mitzuhalten und selbst nach alle den Jahren war er nicht so an ihre Welt gewöhnt, wie sie an seine. Hier war sie bekannt als das Mündel der Deschains, deren Eltern im Krieg gefallen waren. Gute Leute, die eine kluge Tochter hatten, auf die selbst Randolph Stolz sein konnte. Jemand, der den Namen seiner Familie nicht besudelte. „Ich werd' es dir zeigen. Komm ein Stück näher.“ Claire machte ein paar beherzte Schritte nach vorne, mit dem Lauf des Revolvers auf den Boden gerichtet, bis er sie zum Stoppen brachte. Er kam zu ihr, stupste ihre Hand nach oben, damit sie seine Waffe hoch hielt. Er merkte wie unsicher sie in dem war was sie tat, weswegen er es instinktiv ausglich. „Erinnerst du dich an die alten Worte?“ Ruhig war er dennoch nicht, als er sich hinter sie stellte. Claire drehte leicht ihren Kopf, bis sie über ihre Schulter zu ihm sehen konnte. „Den Kodex?“ Sie nickte. Es waren nichts was jemand wie sie in den Mund nehmen sollte, aber sie kannte sie, weil Randolph ihn ihr beigebracht hatte. Jetzt wiederholte er sie. Wie ein altes Mantra. Etwas, das sich in sein Gehirn eingebrannt hatte und das er nie vergessen würde. Er musste sich nicht mal anstrengen, um die Worte über seine Lippen zu bekommen. Dazu hoben sich seine Hände. Er schob sich näher an sie heran, bis seine Brust sich an ihre Rücken drückte. Fühlte sie seinen Herzschlag, der heftiger gegen seine Rippen klopfte? In seinen Arme war sie lange nicht mehr gewesen. Nicht, seitdem sie eine andere Seite in ihm berührte. Sie war immer das Zentrum gewesen, nach dem er sich richtete, selbst wenn er das selten zugeben wollte. Dabei war sein Herz in ihr verankert. Es war es von dem Moment gewesen, in dem er der Elfjährigen in ihrer Schuluniform und diesen traurigen Augen begegnet war, die in ihm einen Halt gesucht hatte. Damals hatte er es nicht verstanden. „Ich töte mit dem Herzen“, endete sie und er schüttelte hinter ihr sein Haupt. Wenn es nach ihm ging, würde sie das nie tun müssen. Das war nicht ihre Aufgabe, sondern seine. Seine Hände legten sich geschickt an ihre, worunter sie nervöser wurde. „Hier, legt seinen Daumen darauf. Das Handgelenk musst du lockerer lassen. Halt den Arm höher.“ Er klopfte leicht dagegen, damit sie ihn hoch brachte, so weit bis es gut war. „Muss ich ein Auge zum Zielen zukneifen?“ Er lachte. „Hast du mich das je tun sehen?“ Die Antwort war ein Ellbogen, den er in die Seite bekam. „Mach dich nicht über mich lustig. Sonst frag' ich Randolph, wie du dich bei deiner ersten Schießübung angestellt hast“, drohte die junge Frau wenig effektvoll. Ihre Haare kitzelten an seinem Kinn, als er seinen Kopf weiter neben ihren schob. „Das würdest du nicht wagen.“ Hielt sie die Luft an? Rasch korrigierte er die Position ihrer Finger. „Du musst den Hahn mit dem Daumen herunterdrücken. Erst dann kannst du schießen. Bist du bereit?“ Sie war viel zu verspannt. Es war die Aufregung vor dem ersten Schuss, auch wenn ihr Ziel alles andere als lebendig war. Im welchen Alter hatte er zum ersten Mal einen Revolver in der Hand gehalten? Er war mehr als erpicht darauf gewesen. Unter den Jungen hatte man gefeixt und angegeben, aber als es soweit gewesen war, da war ihm mulmig zu Mute gewesen. Von seinem Vater hatte er gelernt, dass man den Respekt vor seiner Waffe nie verlieren sollte. „Atme ruhig. Ich führe dich.“ Vertrau mir. Das tat sie. Ihr Vertrauen war hell und rein und immer da. Sie würde ihm blind ihr Leben anvertrauen. Er wusste das. Und umgekehrt? Er würde sein Leben für sie lassen. Ohne zu zögern. Verdammt. Roland biss sich auf die Innenseite seiner Wange. Heftig genug, dass er die dummen Gedanken loswurde. Gemeinsam drückten sie den Hahn herunter, die Trommel drehte sich, rastete ein. Ihre Hand war zu unruhig. Er versuchte es auszugleichen und ihrer Fehlhaltung entgegen zu steuern. Das Wichtigste war, dass sie abdrückte, als er ihr den Impuls dafür gab. Die Überraschung über die Kraft in dem Revolver war groß, der Schreck über den Knall sogar noch mehr. Kanada hatte den Kopf gehoben. Ein paar Vögel stoben aus den Bäumen. Ihren hatte sie nur gestreift. „Hah. Es ist...“, begann sie und suchte nach den richtigen Worten. Er wäre gerne da, um zu wissen was sie fühlte. „Ich glaube nicht, dass ich gut darin werde.“ „Das hast du über das Reiten auch gesagt und jetzt bist du fast so gut wie ich“, widersprach er ihr mit einem Grinsen in der Stimme. Die leere Patronenhülsen war ins Gras gefallen. „Willst du es nochmal probieren?“ Natürlich wollte sie. Er kannte Claire gut und wusste, dass man in ihr leicht Verbissenheit wecken konnte. Nach dem dritten Schuss, der den Baum nicht mal streifte, war die Enttäuschung da. Sie hatte sich ihre erste Übungsrunde anders vorgestellt und er wusste, dass sie dem entgegen gefiebert hatte. „Es klappt nicht. Was mache ich falsch?“ „Wo soll ich anfangen?“ Der strafende Blick, aus den dunklen Augen, traf ihn zurecht. „Du ziehst die Hand zur Seite sobald der Schuss losgeht. Wenn du ruhig bleiben würdest, dann hätte der Baum keine Chance.“ „Du willst mich doch nur aufziehen“, beschwerte sie sich. „Dann zeig mir wie es geht.“ Die Forderung war begleitet davon, dass sie seinen Revolver in seine Hand schob und zur Seite trat. Roland hob die Augenbrauen an. „Wie du willst.“ Das Schmunzeln huschte über seine Mundwinkel. Die Waffe lag leicht in seinen Finger. Mit einer Bewegung ließ er sie um seinen Finger drehen, bis sie fest in seiner Hand landete und er nur einen Herzschlag später abdrückte. Drei Schüsse, jeder davon traf kurz nacheinander in die Rinde. Claire musste nicht mal hinlaufen. Sie wussten beide, dass er die Mitte getroffen hatte. Als er zur Seite blickte, sah er wie sie die Arme verschränkt hatte. „Du bist ein Angeber, Roland“, kommentierte sie. Gegen Ende war sie tatsächlich ein bisschen besser geworden. Sie hatte geahnt, dass es lange dauern würde, trotzdem war sie überrascht wie schwer es tatsächlich war mit einem richtigen Revolver zu schießen. Es gab so vieles, an das man gleichzeitig denken musste. Die Körperspannung, die Höhe, der Rückstoß. Letzteres bereitete ihr am meisten Probleme. Trotzdem hatte es ihr gefallen. Allein die Tatsache, das Roland sich die Zeit genommen hatte. Die paar Äpfel, die er vorsorglich eingepackt hatte, waren zwischen ihnen und Kanada geteilt worden. Die Sonne hatte sich weit hinter den Bäumen gesenkt. Eleanore hatte sie gebeten zum Abendessen zurück zu sein. Stattdessen war vom Aufbruch nichts zu spüren. Der Abend war noch warm. Warm genug um im Gras zu liegen. Claire zupfte einzelne Grashalme heraus und rupfte sie auseinander. Der Himmel über ihnen färbte sich vom hellen Blau in ein dunkles Orange, das sich an den zarten Wolken spiegelte. Die Stimmung, die sich über sie gelegt hatte war ruhig. Sie musste nicht viel reden. Roland hatte sich neben sie gelegt und wenn sie ihren Kopf ein wenig zur Seite dreht, konnte sie sein Profil betrachten. Den starken Kiefer mit dem gestutzten Bart. Die Nase, die er sich mindestens zwei Mal gebrochen hatte und die deswegen einen Hügel im Nasenrücken hatte. Die dunklen Augen, die in die Ferne gerichtet waren. Seine Lippen, zwischen denen eine selbstgedrehte Zigarette steckte. Er hatte sie angesteckt, obwohl sie effektvoll die Nase kraus gezogen hatte. Natürlich wusste er, dass sie den Rauch nicht mochte und er tat es trotzdem. Manchmal glaubte sie, dass er es machte, nur um eben zu sehen, wie sie ihn belehrte. Genau wie sie ihn belehrte, weil sie sehen wollte, wie er grinste und sich über sie hinwegsetzte. Er stieß den Rauch aus, der sich im sanften Wind verfing. Früher hätte sie ihn gebeten Ringe zu pusten. Jetzt richtete sie rasch ihre Augen nach oben, als er ihren Blick bemerkte. „Ich wollte eigentlich eine Wette mir dir abschließen. Das wenn ich treffe, du für mich die blöden Stickereien übernimmst“, meinte sie leiser. „Mama hätte es bemerkt. Meine Stickereien sind besser als deine.“ Sie schnaubte empört, obwohl sie damit gerechnet hatte. „Nur in deinen Träumen“, entgegnete sie. Ihre Finger glitten über das Gras, das an ihrer Handfläche kitzelte. „Trotzdem...“ Seine Hand hatte nah an ihrer gelegen. Sie stupste gegen diese und wollte sich zurückziehen, bis er sie drehte und ihre Finger sich ganz natürlich miteinander verschränkten. „Danke für heute.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)