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Stormpaw's Destiny

Warrior Cats - New Clans, New Stories
von

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Prolog: Saga 1 - Dunkle Bedrohung

Silbriges Licht umgab Honigblüte, als sie die Augen öffnete und sich im Gebiet des SternenClans wiederfand. Als Heilerin war sie nicht zum ersten Mal hier, denn es gehörte zu den Pflichten der Heiler, sich jeden Halbmond in der Mondhöhle hinter dem Wasserfall niederzulegen, um Kontakt mit dem SternenClan aufzunehmen. Dennoch war dieses Mal etwas anders.

Unter normalen Umständen wäre Honigblüte bereits von ihrem ehemaligen Mentor Federwind in Empfang genommen worden, doch nun stand sie alleine in dem silberblauen Licht, das dem SternenClan eigen war. „Federwind?“ Ihre Ohren zuckten, als sie auf Antwort wartete, doch nichts tat sich. Kein Geräusch war zu hören, nur das Licht und die sanfte Ruhe in ihrem Körper verrieten ihr, dass sie sich auch wirklich am richtigen Ort befand.

Ein wenig perplex, dass ihr Mentor sie warten ließ, setzte sie sich hin und begann abwartend ihre Pfote zu lecken. Was konnte man im SternenClan schon so wichtiges zu tun haben, dass man darüber hinaus die noch lebenden Katzen vergaß? Nicht zum ersten Mal wallte Unmut über die ganze Situation in ihr hoch. Bis heute wusste sie nicht, was der SternenClan sich davon versprochen hatte, als er Federwind in einem Traum mitgeteilt hatte, dass sie, Honigblüte, eine junge Kriegerin, frisch mit der Ausbildung fertig, Heilerschülerin werden sollte. Die Wege des SternenClans waren unergründlich.

Wenige Minuten später begannen links neben ihr zwei und rechts von ihr ein Umriss aus Licht zu flimmern, aus denen kurz darauf die Heiler der drei anderen Clans traten. Sie mussten ebenso überrascht sein wie sie, denn noch nie war es vorgekommen, dass der SternenClan sie alle an einem Ort zusammengerufen hatte.

Im nächsten Augenblick erschienen wie aus dem Nichts vier weitere, geisterhafte Gestalten, unter ihnen Federwind. An der Art, wie sich die anderen verhielten, erkannte Honigblüte, dass es sich um ihre Mentoren handeln musste, die sie jedoch nie kennen gelernt hatte.

Federwind, der alte Zausel mit dem stets struppigen Fell, schenkte Honigblüte ein mildes Lächeln, das so flüchtig war wie eine Sommerbrise. Selbst im Tod war ihm das schelmische Blitzen in den Augen erhalten geblieben.

Fragen brannten in Honigblüte. Sie wollte wissen, was diese Situation zu bedeuten hatte, doch als die drei anderen Heiler demütig ihre Köpfe neigten, tat sie es ihnen gleich. Im Kreis der vier Heiler war sie mit Abstand die vorlauteste und jüngste, was ihr nicht selten das Gefühl gab, dass sie ein schlechtes Benehmen an den Tag legte.

„Heiler der vier Clans des Heiligen Bergs“, begannen die vier Katzen des SternenClans wie aus einem Mund. Sogleich lief es Honigblüte eiskalt den Rücken herunter. „Jeder Clan leidet auf seine Weise. Jeder Clan wird eine Gefahr überstehen müssen. Die Hoffnung auf eine bessere Zukunft darf nicht aufgegeben werden. Nur neues Blut kann den Clan retten.“

„Welchen Clan?“, fragte Honigblüte unvermittelt und spürte die bohrenden Blicke der drei anderen Heiler. „Von welchem der vier Clans sprecht ihr?“

„Nur neues Blut kann den Clan retten“, wiederholte der SternenClan.

Alles um sie herum begann wieder zu verblassen. Honigblüte spürte, wie sie aus dem Reich des SternenClans driftete, obwohl ihr die Antwort fehlte. „Federwind! Sprichst du vom FeuerClan? Welches neue Blut ist gemeint? Ich verstehe nicht, was du meinst! Federwind?“ Sie spürte, wie ein warmer Hauch sie streifte und sie glaubte den würzigen Duft ihres Mentors zu riechen, ehe sie in der Dunkelheit des traumlosen Schlafes versank.

„Sturm! Du musst dich besser benehmen, sonst haben die Zweibeiner dich nicht mehr lieb!“
 

***
 

„Ich bin so enttäuscht von dir, Sturm.“

„Es tut mir leid, Mutter, aber ich will kein Hauskätzchen sein!“

„Oh Sturm …“
 

***
 

„Wohin bringen die mich? Mutter, warum muss ich in diesem Karton sein? Mutter? Mutter!“

„Sturm, egal was passiert, ich werde dich immer lieben!“

„Mutter!“
 

***
 

„Das Metallmonster macht mir Angst. Alle meine Geschwister sind in ihm fortgebracht worden, aber sie mussten nie in so einem stickigen Karton sein. Wir fahren schon so lange. Mutter, bist du da? Warum antwortest du nicht? Bin ich alleine?“
 

***
 

Eisige Kälte umfasste Sturm in einem unbarmherzigen Griff. Ihm war kalt und der Schlaf, der nach langem Umherirren über ihn gekommen war, hatte weiche, warme Zuflucht geboten. Verzweifelt versuchte er wieder darin zu versinken, doch je mehr sein Geist sich in diesen Zustand der Schwerelosigkeit zurückwünschte, desto mehr kämpfte sein Körper dagegen an. Sein Körper wollte leben und klammerte sich verzweifelt daran fest.

Eine Schneewehe traf ihn, woraufhin er schwerfällig die Augen öffnete. Einen Moment brauchte er, bis er überhaupt scharf sehen konnte, dann kehrte auch das Gefühl Stück für Stück in seine tauben Glieder zurück und mit ihm der Schmerz, der Hunger und die Verzweiflung, die ihn die letzten drei Tage angetrieben hatten.

Etwas traf ihn unsanft, aber nicht hart in den Rücken. „Er lebt. Habe ich doch gesagt.“ Die weibliche Stimme klang neugierig und selbstgefällig zugleich.

„Hey, du, was hast du hier zu suchen?“ Eine männliche Stimme, etwas vorsichtiger.

Sturm drehte sich vom Bauch auf die Seite und blinzelte. Die riesigen Wurzeln des Baumes hatten ihm minimalen Schutz geboten, doch über Nacht hatte sich Schnee auf seinem gesamten Körper gesammelt und ihn weiter gekühlt. „Ich …“ Zu mehr fehlte ihm die Kraft und seine Augen fielen wieder zu.

„Ich glaube nicht, dass er es noch lange macht.“ Ein nervöser Unterton war in der Stimme zu hören. „Wir sollten jemandem Bescheid sagen. Nicht, dass wir Ärger bekommen.“

„Er sieht aus wie einer vom ErdClan.“

„Aber er riecht nicht danach. Er riecht überhaupt nicht wie irgendein Clan, also lass uns einfach verschwinden.“

„Du bist so mauseherzig! Egal, wer er ist, er hat auf unserem Territorium nichts zu suchen.“

„Also vertreiben wir ihn?“

Kurzes Zögern. Unsicherheit? „Nein. Der schafft es keine drei Fuchslängen weit. Das würde nichts bringen.“

„Also …?“

Ein Seufzen war zu hören, dieses Mal weiter entfernt. „Du wirst auf ihn aufpassen und ich hole Haselschweif. Er wird wissen, was zu tun ist.“

„Wieso muss ich hier bleiben?“

„Weil ich schneller bin als du. Außerdem wird er dich schon nicht anspringen. Du hast doch selbst gesagt, dass er es nicht mehr lange macht.“

Der knirschende Schnee verriet Sturm, dass sich einer der beiden von ihm entfernt hatte. War es gut, dass die beiden ihn gefunden hatten? Wer waren die überhaupt? Drei Tage lang war er durch die Wildnis geirrt, nachdem seine Zweibeiner ihn samt Karton am Donnerpfad stehen gelassen hatten. Den halben Tag hatte er gebraucht, um sich zu befreien, dann war er fortgelaufen, bis ihn der Einbruch der Nacht überrascht hatte. Auch die folgenden zwei Tage hatte Sturm um sein Leben gefürchtet, hatte sich verirrt, keine Nahrung gefunden und Schnee in seinem Maul schmelzen lassen, um überhaupt etwas trinken zu können. Er hatte so viele fremde Gerüche aufgenommen und alle hatten Gefahr für ihn bedeutet.

„Wer seid ihr?“, fragte er nach einer Weile und öffnete wieder die Augen. „Was habt ihr mit mir vor?“ Würden sie ihn töten? Dann hätte wenigstens sein Leid ein Ende.

Der junge Kater, der einige Meter entfernt von ihm im Schnee saß, zuckte nervös mit den Ohren. „Das geht dich nichts an, Eindringling.“ Er war etwas kleiner als Sturm, hatte glattes, kurzes, schwarz-weißes Fell und lange, weiße Schnurrhaare, die in das nervöse Zucken der Ohren mit einstimmten. Sturm war sich sicher, dass er ihn im Kampf besiegen könnte, wenn er nur bei Kräften wäre.

„Mein Name ist Sturm“, begann er in dem Versuch, doch noch irgendwie Zugang zu dem Kater zu bekommen.

Der andere schnaubte leise und rückte noch ein Stück weiter weg. „Sei still. Ich werde nicht mit dir reden, bis Haselschweif und Milchpfote zurück sind.“

Also hieß die Katze, die gerade noch bei ihnen gewesen war, Milchpfote. Er warf dem gefleckten Kater noch einen letzten Blick zu, rollte sich wieder zurück auf den Bauch, legte die Pfoten sorgsam unter seinen Körper und wartete. Was blieb ihm auch andere übrig?

Die Zeit dehnte sich immer weiter aus und das Adrenalin, das bei der Ankunft der beiden fremden Katzen noch durch seine Adern geschossen war, verflüchtigte sich wieder, sodass Sturm zurück in die schummrige Dämmerwelt driftete, die ihn an die Schwelle des Todes führen würde.

Erneut riss ihn ein Tritt in die Seite zurück in die eisige Wirklichkeit.

„Das ist er.“ Milchpfote zog sich neben einen rostbraunen, schlanken Kater mit einem dicken, buschigen Schwanz zurück, der Sturm nachdenklich musterte. „Wir haben ihn bei der Patrouille gefunden, sein Geruch lässt sich bis zur südlichen Grenze zurückverfolgen.“

„Dann kam er aus der Wildnis“, sagte der Kater, bei dem es sich wohl um Haselschweif handeln musste. „Jedenfalls gehört er zu keinem Clan.“

„Also ist er ein Einzelläufer?“ Der schwarzweiße Kater von vorhin hielt sich im Hintergrund, wirkte aber viel entspannter, da nun jemand anwesend war, der die Dinge regeln konnte.

„Nein.“ Haselschweif trat einen Schritt zurück und schnupperte in die Luft. Dann richtete sich sein Blick zum ersten Mal direkt auf Sturms Gesicht. „Du bist ein Hauskätzchen, nicht wahr? Ich kann die Zweibeiner an dir riechen, aber ihr Geruch ist bereits verblasst. Das hier ist das Territorium des FeuerClans, wie bist du hier hergekommen?“

Sturm rappelte sich auf, wobei ihm nicht die wachsamen Blicke der beiden jüngeren Katzen entgingen. Insbesondere die dunkelgraue Katze mit den weißen Abzeichen spannte die Muskeln an, als würde sie jeden Moment mit einem Angriff seinerseits rechnen. „Ich bin kein Hauskätzchen. Ich war eines, bis die Zweibeiner meiner Mutter mich gepackt, in einen dunklen Karton eingesperrt und aus ihrem Metallmonster geworfen haben.“

„Was ist ein Karton?“, hörte er den Schwarzweißen flüstern.

Haselschweif nickte. „Wie lange ist das her?“

„Drei Tage.“

„Drei Tage sind eine lange Zeit, um vom Donnerweg hier her zu gelangen.“

„Ich …“ Sturm senkte den Blick und ließ die Schultern hängen. „Ich habe mich verlaufen. Alles war so fremd, ich hatte Hunger und Durst, dann die Kälte und die Dunkelheit, ich … Ich wäre hier gestorben, wenn die beiden mich nicht aufgeweckt hätten.“ Nach kurzem Zögern fügte er hinzu: „Vielleicht wäre das besser gewesen. Werdet ihr mich hier zurücklassen?“

„Besser wäre es“, murmelte der Ängstliche im Hintergrund, doch Milchpfote verpasste ihm einen leichten Stoß gegen die Schulter, woraufhin er verstummte.

Eine Weile sagte niemand etwas, dann stand Haselschweif auf und schüttelte sich den Schnee aus dem rotbraunen Pelz. „Diese Entscheidung kann ich nicht alleine treffen. Milchpfote, du stützt seine linke Seite. Fleckenpfote, du seine rechte Seite. Wir bringen ihn zu Schwarzstern ins Lager.“

„Wir nehmen ihn mit?“ Milchpfote und Fleckenpfote tauschten einen schnellen, entgeisterten Blick, doch keiner der beiden widersprach Haselschweif, weshalb sie sich zügig, wenn auch mit Widerwillen zu Sturms Flanken bewegten und ihm auf die Pfoten halfen.

Die ersten paar Schritte konnte Sturm sich kaum aufrecht halten, weil seine Beine immer wieder unter ihm nachgaben, dann spürte er den stützenden Halt der beiden Katzen an seinen Seiten. Gemeinsam gingen sie hinter Haselschweif her und zogen eine Schneise durch den Schnee.

Ihm kam die Wanderung wie eine Ewigkeit voller Schmerzen und Qualen vor. Wie lange sie wirklich gelaufen waren, konnte Sturm nicht einschätzen, da sie nur sehr langsam vorwärts gekommen waren und immer wieder kurze Pausen machen mussten. Schließlich erreichten sie jedoch den Waldrand und ab da kamen sie ein bisschen schneller voran.

Halb wachsam und halb benommen beobachtete Sturm seine Umgebung. Die vielen Laubbäume mussten im Sommer ein dichtes Blätterdach bilden, doch jetzt ragten sie wie knorrige, vertrocknete Finger gen Himmel und boten kaum Schutz. Auf halbem Weg durch den Wald hatte es wieder zu schneien begonnen, was Fleckenpfote einige leise Flüche entlockte, dann war der junge Kater wieder ruhig und setzte, ebenso wie Milchpfote, eine stoische und unnahbare Miene auf.

Als in der Ferne dichte Tannen und andere Nadelbäume in Sicht kamen, stieg Sturm ein beißender, erdiger Geruch nach Moosen und Farnen und undefinierbaren, würzigen Kräutern in die Nase. Sogleich änderten sie ihre Richtung, ließen den Nadelwald hinter sich und kamen nach einer weiteren gefühlten Ewigkeit an eine große Lichtung, die zu drei Seiten von Bäumen umgeben war und zur vierten Seite in einen Hang mündete, von dem aus das Gelände steiniger und unwegsamer wurde.

„Wir sind gleich da“, sprach Haselschweif zuversichtlich und trottete voraus. Leichtfüßig wich er spitzen Steinen und Geröll aus, arbeitete sich den Hang hinab und verschwand zwischen Felsen und Gestrüpp.

Milchpfote, Fleckenpfote und Sturm folgten ihm weitaus langsamer. Mehrfach mussten die beiden Sturm vor einer Rutschpartie bewahren, kamen aber ohne weitere Verletzungen unten an und schlüpften ebenfalls durch das Gestrüpp.

Im nächsten Augenblick schlug Sturm der geballte Geruch des FeuerClans entgegen, den er bisher nur als sanften Unterton im Fell der drei wahrgenommen hatte. Der Hang hatte sie hinab in eine breite Senke geführt, von der aus zu den anderen drei Seiten steile, zerklüftete Felswände hinauf ragten, auf denen bis zum Rand Bäume und Sträucher wuchsen. Auf diese Weise bildeten sie einen natürlichen Schutz vor Feinden.

Haselschweif saß neben einem großen, schwarzen, langhaarigen Kater, der Sturm keine Sekunde aus den Augen ließ. Beide thronten am Eingang einer kleinen Höhle in etwa zwei Metern Höhe, darunter versammelten sich weitere Katzen, die teilweise missbilligend das Fell sträubten oder sich fauchend in den Hintergrund verzogen. Zunächst wurde das Gemurmel, das mit ihrer Ankunft eingesetzt hatte, lauter, dann verstarb es.

Milchpfote und Fleckenpfote ließen Sturm in der Mitte des Lagers stehen und begaben sich zum Rand der Versammlung, wo sie sich niederließen.

„Das ist er?“ Der schwarze Kater strahlte etwas Majestätisches, Gebieterisches aus, das Sturm sofort tief in die Knochen fuhr. Er zweifelte keine Sekunde daran, dass er dem Anführer des FeuerClans gegenüber stand.

Haselschweif nickte. „Ja, das ist das Hauskätzchen, das Milchpfote und Fleckenpfote bei ihrer Patrouille gefunden haben.“

Schwarzstern ließ seine Ohren hin und her wandern. „Wie heißt du, Hauskätzchen?“

„S-sturm.“

„Sturm. Also gut, Sturm, warum bist du hier?“

„Die Zweibeiner meiner Mutter haben mich am Donnerweg ausgesetzt. Ich bin drei Tage lang durch die Wildnis geirrt und wäre gestorben, wenn Milchpfote und Fleckenpfote mich nicht gefunden hätten. Ich verdanke ihnen mein Leben.“

Schwarzsterns buschiger Schwanz peitschte über den Boden. „Das ist mir bereits bekannt. Aber warum bist du hier?“

„Ich …“ Ja, warum eigentlich? „Ich weiß es nicht.“

„Du weißt es nicht?“

„Nein.“

Ein Hauch von Enttäuschung machte sich auf Schwarzsterns Gesicht breit. „Dann werde ich es dir sagen, junger Sturm. Du bist hier, weil du trotz der Gefahren der Wildnis und ohne den Schutz eines Clans, ohne Beute und ohne Unterschlupf drei Tage und Nächte überlebt und deinen Weg zu uns gefunden hast. Das ist nicht gerade typisch für ein gewöhnliches, verweichlichtes Hauskätzchen, meinst du nicht auch?“

„Ein Spion aus dem ErdClan“, rief eine Katze dazwischen und andere stimmten sofort ein.

„Er sieht auch aus wie einer von ihnen!“

„Wir sollten ihn aussetzen und seinem Tod überlassen!“

„Ja, fort mit ihm!“

„Ruhe!“ Genervt warf Schwarzstern seinem Clan einen bösen Blick zu. „Ihr riecht doch selbst, dass er nichts mit dem ErdClan oder einem der anderen Clans zu tun hat.“ Dann wandte er sich wieder Sturm zu. „Wieso bist du nicht auf dem Donnerweg geblieben und zurück zu den Zweibeinern gegangen?“

„Ich wollte nie ein Hauskätzchen sein“, begann Sturm zögerlich, fuhr dann aber mit festerer Stimme fort. „Die Zweibeiner mögen die Besitzer meiner Mutter gewesen sein, aber mein Vater war ein wilder Streuner und ebenso wild und frei wollte ich sein, seit ich denken kann. Nie werden die Zweibeiner mich besitzen können. Lieber sterbe ich den Kältetod in der Wildnis.“

„Ist das so?“ Die Ohren des Anführers zuckten leicht. Schwarzstern öffnete gerade den Mund, um noch etwas zu sagen, als das Rascheln des Gestrüpps und das Keuchen einer Katze die Aufmerksamkeit auf sich zog.

„Hach, ein Glück, bin gerade noch rechtzeitig gekommen.“ Eine braun-getigerte Katzendame umrundete – noch völlig außer Atem – den Neuankömmling. „Puh, ich musste mich ganz schön beeilen. Du bist also das Hauskätzchen, das sich einfach so in unser Revier verirrt hat.“

„Honigblüte …“

Sie ignorierte ihren Anführer, streckte sich und kletterte hinauf zu Schwarzstern und Haselschweif, als wäre es vollkommen normal, dass ihr Platz an der Seite des Anführers war.

„War ganz am anderen Ende von unserem Territorium, als ich von dir gehört habe. So, so.“ Sie schaute Schwarzstern an. „Hast du bereits entschieden, was mit ihm passieren soll?“

„Ich war gerade dabei, als du mich mit deinem Auftritt unterbrochen hast.“

Entweder war Honigblüte der leicht warnende Unterton ihres Anführers egal oder sie bemerkte ihn nicht einmal, als sie es sich bequem machte und begann ihre Vorderpfoten zu lecken. „Lass dich von mir nicht stören, Schwarzstern. Mach einfach weiter.“

Einige der anwesenden Katzen warfen Honigblüte böse Blicke zu und Sturm glaubte das Wort ‚respektlos‘ durch die Menge wandern zu hören, doch keiner sagte laut etwas.

Schwarzstern seufzte, straffte dann seine Schultern und blickte wieder auf Sturm herab. „Diese und die letzte Blattleere haben in allen vier Clans viele Opfer gefordert. Die Kälte, das Eis und der Schnee haben die Beute vertrieben, viele von uns sind verhungert oder am Grünen Husten gestorben.“

Einige schauten augenblicklich betreten oder traurig zu Boden.

„Es schmerzt mich, dies offen sagen zu müssen, aber wir sind geschwächt. Alle Clans sind geschwächt. In dieser schweren Zeit der Hoffnungslosigkeit hat uns der SternenClan eine Botschaft geschickt, die weder Honigblüte noch ich zu diesem Zeitpunkt verstehen, aber es kann kein Zufall sein, dass du, junger Sturm, ausgerechnet jetzt deinen Weg zu uns gefunden hast. Du, der du ein Hauskätzchen mit dem Herzen eines Wilden bist. Du bist jung, kräftig und gesund – genau das, was vielen von uns im Moment fehlt. Das Gesetz der Krieger verbietet uns nicht, jemanden in unseren Clan aufzunehmen, aber es dürfen nur solche Katzen Teil des Clans werden, die mit Leib und Seele loyal hinter dem FeuerClan stehen und jederzeit ohne zu zögern für ihn sterben würden.“

Bei dem Wort ‚sterben‘ zuckte Sturm zusammen, während andere Katzen bereits erkannten, worauf Schwarzstern hinauswollte. Das Gemurmel schwoll wieder an und vermischte sich mit ersten Protesten.

„Schwarzstern, das kannst du nicht ernst meinen!“ Ein junger, kräftiger Kater mit einheitlich blauem Fell trat vor und starrte den Anführer an. „Das da ist ein Hauskätzchen, so jemand ist eine Belastung für den Clan! Die einzig vernünftige Lösung wäre es, wenn wir ihn zurück zum Donnerweg schicken, wo er hergekommen ist!“ Sofort stimmten andere in seine Forderung ein.

Schwarzstern begann zu knurren. „Blaukralle, es hat dich niemand um deine Meinung gefragt.“

„Aber …“

„Willst du deinem Anführer etwa widersprechen?“

„Nein, natürlich nicht. Verzeih mir, Schwarzstern.“ Blaukralle kehrte an seinen Platz zurück, warf Sturm jedoch einen hasserfüllten Blick zu.

„Will noch jemand etwas sagen?“ Als keiner reagierte, nickte Schwarzstern zufrieden. „Gut. Hiermit beschließe ich, dass Sturm bis zum nächsten Halbmond den Schutz und die Fürsorge des FeuerClans genießen darf. In dieser Zeit wird er das Gesetz der Krieger und das Clanleben kennenlernen. Honigblüte wird am nächsten Halbmond den SternenClan zu dieser Sache befragen. Bis dahin hat Sturm Zeit, um zu zeigen, ob sein Herz wirklich so stürmisch und wild ist, wie er behauptet – oder ob er doch nur ein Hauskätzchen ist, das in die Verbannung gehört. Fleckenpfote und Milchpfote, ihr werdet ihn an all euren Übungen und Patrouillen teilnehmen lassen und ihm beibringen, was ein Schüler des Clans wissen muss. Eure Mentoren Haselschweif und Apfelpelz werden euch bei dieser Aufgabe unterstützen.“

Gerade hatte Schwarzstern geendet, da erhob Honigblüte sich wieder, sprang elegant von dem Vorsprung zu Boden und kam vor Sturm zum Stehen. „Und bevor das ganze Training losgeht, kommst du mit in meinen Bau und ich schaue dich von Kopf bis Schwanzspitze durch. So wie du aussiehst, kommst du alleine keine Fuchslänge weit.“ Mit einem letzten Blick zu Schwarzstern drehte Honigblüte sich um und gab allen, die ihr im Weg standen, mit einem Knurren zu verstehen, dass sie Platz machen sollten. „Wir sind hier fertig, also komm.“
 

***
 

„Au!“

„Stell dich nicht so an.“ In Honigblütes Stimme schwang ein amüsierter Unterton mit, als sie Sturm zum dritten Mal abtastete. „Es ist nichts gebrochen, aber dein Körper ist durch die Strapazen sehr geschwächt. Du brauchst zwei, drei Tage Ruhe und viel Beute, dann bist du wieder ganz der Alte.“ Sie wandte ihm den Rücken zu, ging tiefer in ihren Bau hinein und kehrte kurz darauf mit einigen getrockneten Beeren und Blättern zurück.

„Was ist das?“ Sturm schnupperte daran, konnte den Geruch aber weder zuordnen noch aus dem schweren Kräuterduft, der Honigblütes gesamten Bau durchflutete, herausfiltern.

„Das sind Wacholderbeeren und Bachminze. Zum Glück konnte ich in der Blattgrüne und im Blattfall meinen Vorrat aufstocken, sonst wären in dieser Blattleere noch mehr Clankatzen gestorben.“

„Und wofür ist das gut?“ Zögerlich nahm Sturm die Beeren und Blätter ins Maul, kaute darauf herum und schluckte sie herunter, was sein Magen sofort mit einem empörten Grummeln quittierte. Er wollte Fleisch, kein Grünzeug!

Honigblüte streckte sich, setzte sich an den Rand ihres Baus und begann sich zu putzen. „Normalerweise gibt man beides bei Bauchschmerzen und Magenproblemen, aber da du drei Tage lang nichts gefressen hast und dein Körper an das regelmäßige Hauskätzchenfutter gewöhnt ist, wird es dir bei der Umstellung helfen.“

Sturm nickte langsam. „Das heißt, ich bekomme jetzt Futter?“

Honigblüte lachte. „Wenn du fressen willst, musst du etwas dafür tun. Entweder begleitest du die anderen Schüler bei ihrer Jagdpatrouille oder du machst dich anderweitig im Lager nützlich. Vielleicht hat jemand Mitleid und teilt seinen Anteil der Frischbeute mit dir.“ Als sie seinen bedrückten und enttäuschten Blick bemerkte, seufzte sie. „Hör mal, Sturm. Es ist Blattleere, die Beute ist so knapp, dass selbst der Clan nicht satt wird. Mir sind diese Blattleere mehr Katzen an Hunger, Kälte und dem Grünen Husten unter den Pfoten weg gestorben, als gut für den Clan ist. Beim SternenClan, wir können nicht noch ein Maul gebrauchen, das es zu stopfen gilt.“

Bei ihren Worten duckte Sturm sich immer weiter, bis er flach auf den Boden gepresst saß. „Es tut mir leid.“

„Es ist nicht deine Schuld, aber so ist die Situation. Jeder andere der drei Clans hätte dich entweder sofort getötet oder weit hinter die Reviergrenzen gejagt. Schwarzstern hat dir ein sehr großzügiges Angebot gemacht, indem er dich hier bei uns verweilen lässt, aber das Clanleben bedeutet, dass jeder seinen Teil zur Gemeinschaft beitragen muss.“ Ein leises Auflachen entkam Honigblütes Maul. „Aber wenigstens bist du eine willkommene Abwechslung. Kater sind seit den vielen Todesfällen unterrepräsentiert und der Weiberhaufen kann ganz schön anstrengend sein. Ich denke, es ist am besten, wenn du dir im Bau der Schüler einen Platz zum Schlafen suchst und dich erholst. Wenn du wieder wach bist, besorg dir Beute. Morgen werden die anderen Schüler dich ins Clanleben einführen, dafür solltest du ausgeschlafen sein. Und jetzt raus mit dir, ich will auch schlafen.“

Sturm stand auf, ließ Honigblütes Heilerbau hinter sich und fand sich mitten im Lager des FeuerClans wieder. Aus einer Ecke warfen ihm einige Katzen und Kater misstrauische Blicke zu, doch noch bevor er ihre Blicke erwidern konnte, stand Milchpfote neben ihm. Sie wirkte nicht gerade begeistert davon.

„Haselschweif hat mir aufgetragen, dass ich dir das Lager zeigen soll. Folge mir.“

Schon wieder Bewegung, dabei wollte Sturm doch einfach nur schlafen und fressen. Da Widerstand zwecklos war, folgte er Milchpfote durch das Lager. Schwarzsterns Bau kannte er bereits von seiner Ankunft im Lager. In der Ecke, die am weitesten vom Eingang entfernt lag, befand sich unter der Erde ein alter Dachsbau, der in zwei große Höhlen geteilt war. Eine davon war Honigblütes Heilerbau, der andere die Kinderstube, die erst wieder in der Blattfrische von den Königinnen bezogen werden würde, sofern es nach dem Tod so vieler Kater überhaupt Nachwuchs im Clan geben würde. In der Nähe von Schwarzsterns Bau lagen mehrere große Steinplatten verkeilt auf dem Boden. Unter ihnen hatten die Ältesten ihr kleines Nest, aber im Moment gab es nur noch eine einzige Älteste im Clan, Falkenherz. Schließlich gab es noch die breite Seite der Senke, in denen die Krieger unter dichten Büschen und Gestrüpp ihren riesigen Kriegerbau hatten und daneben, etwas kleiner, lag der Bau der Schüler.

„Honigblüte hat erzählt, dass diese Blattleere viele Clankatzen gestorben sind.“

Milchpfotes Schnurrhaare zuckten leicht, dann nickte sie. „Ja, das stimmt. Diese Blattleere und die letzte waren sehr schlimm und alle vier Clans haben herbe Verluste einstecken müssen. Wir im FeuerClan haben vergleichsweise Glück gehabt, immerhin sind wir noch immer achtzehn Katzen. Nur der ErdClan ist größer als wir, was aber nur daran liegt, dass sie in ihrem Waldstück immer irgendwo Beute und Heilkräuter auftreiben können, egal wie schlimm die Blattleere ist. Wie viele Katzen im LuftClan und WasserClan gestorben sind, weiß ich nicht, dazu hat Haselschweif nichts gesagt.“

„Du machst immer genau das, was Haselschweif dir sagt oder?“

Sie schaute ihn an, als wären ihm zwei Köpfe gewachsen. „Natürlich, er ist mein Mentor.“ Vor dem Schülerbau blieb sie stehen. „Ein Schüler befolgt immer die Befehle seines Mentors. Haselschweif ist zudem der Zweite Anführer unseres Clans. Es wäre absolut inakzeptabel, seine Befehle zu verweigern.“

Sturm gähnte erschöpft. „Ich verstehe dieses ganze System noch nicht.“

„Kein Wunder, du bist auch ein Hauskätzchen. Morgen wirst du mit Fleckenpfote und mir den Tag verbringen, dann erklären wir dir alles. Such dir einen Platz irgendwo am Rand und schlaf, heute Abend bringe ich dir ein Stück Beute.“

„Danke, Milchpfote. Danke, dass wenigstens du nett zu mir bist.“

Sie grunzte und ging fort. Selbst wenn ihre Nettigkeit ihm gegenüber nur gespielt war, weil Haselschweif es ihr aufgetragen hatte, fühlte Sturm sich in ihrer Nähe nicht ganz wie ein Außenseiter.

Er betrat den Bau der Schüler. Der warme Geruch von Kameradschaft, Geborgenheit und Wärme schlug ihm entgegen wie eine Wand. Überall auf dem Boden lag getrocknetes Moos und bildete ein weiches Bett. Wie Milchpfote ihm gesagt hatte, begab er sich an den Rand des Baus, direkt an die Rückwand des Lagers. Hier hinten, einsam und alleine in seiner Ecke, rollte er sich zusammen und war keine zehn Sekunden später eingeschlafen.
 

***
 

„Aufwachen, Hauskätzchen.“

Sturm blinzelte und schaute direkt in ein paar grasgrüner Augen. „Ist es schon Abend?“

„Du hast den ganzen Tag verschlafen.“ Die junge Katze, die ihn geweckt hatte, war nur etwa halb so groß wie er. Ihr kurzes, weißes Fell war immer wieder von schwarzen und cremeroten Flecken unterbrochen. Sie sah so jung und zerbrechlich aus. „Milchpfote hat dir ein Stück Beute dagelassen. Wenn du dich nicht beeilst, ist es weg.“

Beute? Futter! Sofort war Sturm hellwach und auf den Pfoten. Er folgte der Katze hinaus vor den Bau und roch augenblicklich die Frischbeute. Warum war ihm der Geruch nur vorher nicht aufgefallen? Im Garten der Zweibeiner seiner Mutter hatte er hin und wieder Mäuse gefangen und genau so ein Exemplar warf Milchpfote ihm nun zu. Sie saß neben Fleckenpfote und beide schienen ihren Anteil bereits verdrückt zu haben.

„Danke!“ Innerhalb kürzester Zeit hatte er die Maus verdrückt und leckte sich noch Minuten später genüsslich mit der Zunge über die Schnauze. Es war verrückt, aber diese kleine Maus gab ihm so viel Energie zurück, dass er sich gleich wacher und fitter fühlte.

Die Katze, die ihn geweckt hatte, saß etwas abseits neben einem großen, jungen Kater mit zotteligem, braun-getigertem Fell. „Wer sind die beiden?“, fragte Sturm.

Fleckenpfotes Ohren begannen schon wieder nervös zu zucken und er atmete dankbar aus, als Milchpfote das Sprechen übernahm. „Ahornpfote hat dich geweckt und das neben ihr ist ihr Bruder Rindenpfote.“

„Sie sieht so klein und jung aus.“

„Sag ihr das ins Gesicht und sie kratzt dir die Augen aus.“ Milchpfotes Ton war vollkommen ernst. „Die beiden sind nur zwei Monde jünger als ich und ich bin jetzt zwölf Monde alt.“

„Dann wurdest du ja im Winter geboren“, schlussfolgerte Sturm nachdenklich. Es war selten, dass Katzen so früh im Jahr geboren wurden, zumindest hatte seine Mutter ihm das erzählt. „Und du bist jetzt immer noch eine Schülerin?“

Unabsichtlich musste er einen wunden Punkt getroffen haben, denn Milchpfotes Blick verhärtete sich und sie stapfte ohne ein weiteres Wort davon. Fleckenpfote hingegen unterdrückte nur mühsam ein Kichern. „Im Alter von sechs Monden werden wir Schüler und unsere Ausbildung dauert meistens etwa vier Monde. Milchpfote hätte ihre Prüfung am liebsten schon vor zwei Monden gemacht, aber Haselschweif ist der Meinung, dass sie noch nicht bereit dafür ist. Lass das Thema am besten aus, dann ist sie dir auch nicht lange böse.“ Mit diesen Worten stand Fleckenpfote auf und folgte den anderen Schülern in eine ruhige Ecke, um sich der Fellpflege zu widmen.

Sturm beobachtete, wie sich überall im Lager Kleingruppen von zwei bis drei Katzen bildeten, die sich putzten und dabei die Neuigkeiten des Tages austauschten. Aus allen Richtungen wehten gewisperte Gesprächsfetzen zu ihm herüber und nicht nur einmal glaubte er seinen Namen dabei zu hören.

Satt und noch immer von den letzten Tagen erschöpft kehrte Sturm an seinen Platz im Bau der Schüler zurück. Durch den Eingang sah er, wie sich die Dunkelheit über das Lager legte und schon bald driftete er wieder in den Schlaf, doch im Gegensatz zu den letzten drei Nächten fühlte er dabei die Sicherheit des Clans tief in seinem Herzen.

Sturm spürte Stolz in jeder Faser seines Körpers, als er mit einem Hauch Genugtuung bemerkte, dass er sowohl Milchpfote als auch Fleckenpfote abgehängt hatte. Es waren zwar nur wenige Herzschläge, die er ihnen voraus war, aber sie hatten ihn definitiv nicht gewinnen lassen, auch wenn sie das Gegenteil behaupteten. Schnaufend pausierten sie unterhalb einer Weide mit tief hängenden Ästen. Nur wenige Fuchslängen entfernt befand sich das Ufer des breiten Bachs, der die natürliche Grenze zwischen dem FeuerClan und dem ErdClan bildete.

Der Fluss entsprang im Norden noch hinter dem Gebiet des WasserClans. Dort befand sich auch der Wasserfall, hinter dem die Mondhöhle lag, in der die Anführer und Heiler Kontakt mit dem SternenClan aufnehmen konnten. Von dem Wasserfall aus floss der Bach in südlicher Richtung mittig durch das Territorium des WasserClans und ging östlich vom Heiligen Berg durch einen großzügigen Bogen in das Revier des FeuerClans über, um südlich vom Heiligen Berg die Grenze zwischen FeuerClan und ErdClan zu markieren. Westlich vom Heiligen Berg lag der LuftClan, der keinen Zugang zum Bach hatte, dafür aber einen kleinen See besaß, der vom Regen und einem unterirdischen Zulauf gespeist wurde.

All das hatte Milchpfote ihm während der morgendlichen Patrouille erklärt, die kurz vor der Grenze zum ErdClan in ein Wettrennen ausgeartet war. Nun lag das Gebiet des anderen Clans direkt vor Sturms Nase und er erkannte den moosigen, intensiven Geruch wieder, den er bereits am Vortag auf seinem Weg zum FeuerClan-Lager wahrgenommen hatte. Es war der Geruch des ErdClans, mit dem die andere Bachseite markiert war.

„Du darfst den Bach niemals überqueren“, wiederholte Milchpfote zum gefühlt einhundertsten Mal. „In der Blattleere ist manchmal alles von einer so dicken Schneeschicht überdeckt, dass man den Bach auf den ersten Blick nicht sehen kann. In diesem Fall orientierst du dich einfach am Geruch oder an den Nadelbäumen. Auf unserem Gebiet wachsen keine Nadelbäume – wenn du unter welchen stehst, ist es schon zu spät.“

„Eigentlich ganz einfach“, munterte Fleckenpfote Sturm auf. Im Laufe des Morgens war Fleckenpfote etwas gesprächiger geworden, auch wenn der Großteil seines Gesprächsanteils darin bestand, dass er die Gefahren der Wildnis betonte und wie wichtig die Einhaltung der Grenzen war.

„Nicht weit von hier habt ihr mich gefunden, nicht wahr?“

„Ja, es ist nicht weit. Willst du den Ort sehen?“

Sturm nickte und folgte den beiden Schülern am Ufer des Bachs entlang bis zur südlichen Grenze. Schnell fand er den Baum wieder, unter den er sich in seiner Verzweiflung gekauert hatte. Das war erst einen Tag her, trotzdem kam es ihm vor wie eine Ewigkeit – wie in einem anderen Leben.

Nun, da er alle Grenzen des FeuerClans kennen gelernt hatte, begann der Theorieunterricht. Milchpfote dozierte über das Gesetz der Krieger, die Hierarchie im Clan und das Zusammenleben. Bald darauf stieg Fleckenpfote mit ein und beide schwärmten von den Geschichten der großen Krieger, über deren glorreiche Schlachten auch noch lange nach ihrem Tod berichtet wurde.

„Steinkralle war in allen Clans für ihre scharfen Krallen bekannt“, erzählte Fleckenpfote mit leuchtenden Augen, wurde aber leiser, als er Milchpfotes bedrücktes Gesicht sah. Etwas gedämpfter fügte er hinzu: „Sie war Milchpfotes Mutter und starb vor drei Monden, als sie die südliche Grenze übertreten hatte, um nahe des Donnerwegs nach Beute zu suchen. Ihr Vater Eisbart brachte sie zwar noch zurück, aber Honigblüte konnte nichts mehr für sie tun.“

„Jetzt jagt sie mit dem SternenClan“, sprach Milchpfote und wechselte schnell das Thema. „Aber einer der größten Krieger war Fuchsauge.“

„Ja, Fuchsauge!“ Fleckenpfote nickte begeistert. „Er war Schwarzsterns einziger Nachkomme. Niemand konnte nachts so gut sehen wie er. Man sagt, dass er so stark war, dass er es selbst mit einem Berglöwen aufnehmen konnte! Und sein Fell war so rot wie das eines Fuchses.“

Milchpfote schaute ehrfürchtig in Richtung Himmel. „Er starb vor fast drei Jahren im Kampf gegen den ErdClan. Apfelpelz und Honigblüte sind seine Nachkommen. Sie waren noch Junge, als es passierte. In diesem Kampf musste Schwarzstern seinen eigenen Bruder Grauwolke töten.“

„Moment, das verstehe ich nicht.“ Sturm war verwirrt. „Wieso hat Schwarzstern seinen eigenen Bruder getötet?“

Milchpfote und Fleckenpfote wechselten einen schnellen Blick. „Schwarzsterns Vater kam aus dem FeuerClan, seine Mutter aus dem ErdClan. Die Loyalität zum Clan steht an oberster Stelle, deshalb wird man verstoßen, wenn man sich einen Partner aus einem anderen Clan wählt. HalbClan-Jungen können sich entscheiden, in welchem Clan sie leben wollen, müssen diesen dann aber als einzige Familie akzeptieren. Schwarzstern hat damals den FeuerClan gewählt und sein Bruder Grauwolke den ErdClan. Aus diesem Grund standen sie sich im Kampf verfeindet gegenüber“, erläuterte Milchpfote.

Fleckenpfote wiegte seinen Kopf leicht hin und her. „Es sei denn, man kommt aus dem WasserClan. Die sind echt krass drauf. Kein Clan legt das Gesetz der Krieger so streng aus wie der WasserClan. Wenn es dort HalbClan-Junge gibt, werden sie verstoßen, was den sicheren Tod bedeutet. Auch ihr Elternteil muss den Clan für immer verlassen und es ist, als wären sie einfach von heute auf morgen verschwunden. Als hätten sie niemals existiert. Niemand erwähnt sie je wieder.“ Unwillkürlich sträubte sich sein schwarz-weißes Fell. „Meine Mutter sagt, dass der WasserClan vom SternenClan mit einem Fluch belegt wurde, weil dort kaum Junge geboren werden. Schon seit eineinhalb Jahren hat es keinen einzigen Schüler mehr gegeben.“

„Habt ihr genug gelästert?“

Alle drei zuckten zusammen, als wie aus dem Nichts Haselschweif und Apfelpelz aufgetaucht waren. Haselschweifs buschiger, rotbrauner Schwanz zuckte amüsiert umher. „Dafür, dass du kurz vor deiner Abschlussprüfung stehst, gehst du nachlässig mit deiner Umgebung um, Milchpfote. Du hättest uns kommen hören müssen.“

„Haselschweif, ich …“ Beschämt starrte sie zu Boden. „Es wird nicht wieder vorkommen.“

Apfelpelz gähnte gelangweilt. Sein langes, dichtes Fell war einheitlich dunkelrot, wurde zum Bauch hin jedoch ein wenig heller und an seiner Stirn kam ein dezentes Tigermuster zum Vorschein. Abgesehen von der Größe und dem langen Fell hatte er keinerlei Ähnlichkeit mit Schwarzstern, der immerhin sein Großvater war. Auch seine Ausstrahlung wirkte kein bisschen autoritär.

„Schwarzstern möchte, dass wir uns heute ausschließlich dem Jagen widmen“, erklärte Haselschweif. „Milchpfote und ich werden alleine gehen und den nördlichen Teil des Reviers übernehmen. Sturm, du kannst Fleckenpfote und Apfelpelz hier im Südteil begleiten.“ Dann zuckte sein Schwanz einmal zur Seite und Milchpfote setzte sich augenblicklich mit ihm in Bewegung.

„Da waren’s nur noch drei.“ Apfelpelz musterte Sturm neugierig. „Du hast einen ziemlichen Wirbel verursacht, Hauskätzchen. Bin gespannt, ob du wirklich das drauf hast, was der alte Schwarzstern in dir vermutet. Setzen wir uns dort drüben hin und dann sagst du mir, was du riechen und hören kannst.“

Fleckenpfote rollte mit den Augen, als Apfelpelz gerade nicht hinsah. „Das ist Lektion 1, total öde. Als ob ich ein Junge wäre, das gerade erst zum Schüler wurde.“

„Ich kann dich hören, Fleckenpfote“, sagte Apfelpelz ruhig und nahm zwischen den Wurzeln einer Eiche Platz. „Außerdem geht es hier nicht um dich, sondern um Sturm. Sollte er wirklich bei uns bleiben, hat er eine Menge aufzuholen. Wie alt bist du?“

„Acht Monde.“

„Also so alt wie Fleckenpfote. Zwei Monde Ausbildung bist du im Rückstand. Ich weiß nicht, wer dein Mentor werden soll, wenn es soweit ist, aber ich will mir nicht sagen lassen, dass ich meine Arbeit nicht richtig gemacht hätte.“ Etwas lockerer und mit einem Zwinkern fügte er hinzu: „Macht nur unnötigen Stress. Und jetzt Ruhe, wir fangen an.“
 

***
 

Die folgenden Tage verbrachte Sturm hauptsächlich mit Fleckenpfote und Apfelpelz. Er lernte im Schnelldurchgang, wie man jagte, welche Wege die Patrouillen nahmen und wie er den Geruch von ErdClan und WasserClan bereits von Weitem erkennen konnte. Apfelpelz gab sich Mühe, verlor nach den ersten paar Tagen aber das Interesse und ließ Fleckenpfote und Sturm fortan die meiste Zeit alleine umherstreifen und jagen.

Nach vier Tagen hatte Sturm seine erste Maus ohne fremde Hilfe erspäht und erlegt. Er freute sich ungemein, bemerkte aber, dass Fleckenpfote ihn dabei nicht ohne gewisse Missgunst beobachtete. Der Schüler hatte zwar eine beachtliche Erfolgsquote vorzuweisen, ging bei der Jagd aber dermaßen streng nach demselben Schema vor, dass er lange brauchte, um überhaupt einen Versuch zu starten.

Manchmal liefen sie Ahornpfote, Milchpfote oder Rindenpfote über den Weg, doch mehr als ein paar schnelle Worte wurden dabei nicht gewechselt – zumindest mit Ahornpfote und Milchpfote, denn Rindenpfote hüllte sich in stoisches Schweigen. Zuerst dachte Sturm, dass dies an Rindenpfotes Mentorin Rosentau lag, die ihm offen ihre Abneigung entgegenbrachte und ihm schon nach den ersten Tagen geraten hatte das Weite zu suchen, solange er noch konnte. Später merkte er dann, dass Rindenpfote einfach kein Kater der großen Worte war und außer mit seiner Schwester Ahornpfote mit niemandem zu sprechen schien.

Weitere Tage vergingen und als die Hälfte seiner Probezeit beim FeuerClan um war, erwischte Sturm Schwarzstern und Honigblüte dabei, wie sie gemeinsam mit Haselschweif tuschelten und dabei immer wieder verstohlen zu ihm herüberschauten.

„Hey, ich rede mit dir.“ Genervt schaute Milchpfote ihn an.

„Oh, entschuldige. Was hast du gesagt?“

Kichernd stupste Ahornpfote ihren Bruder an. „Ein Flohgehirn ist unser Hauskätzchen also auch noch.“

„…“

„Ja, finde ich auch.“ Lachend verspeiste sie den letzten Rest ihrer Beute.

Milchpfote ignorierte Ahornpfotes Lachen und wiederholte betont langsam, was sie gerade gesagt hatte. „Ich sagte, dass Schwarzstern heute Abend verkünden wird, wer ihn zur Versammlung begleiten wird. Heute Nacht ist Vollmond, da treffen sich alle vier Clans auf der Spitze des Heiligen Bergs, der alle vier Territorien miteinander verbindet. Nur eine Pfote voll Krieger dürfen aus jedem Clan mitkommen.“

„Milchpfote hofft jedes Mal, dass Haselschweif sie mitnehmen wird.“ Feixend duckte Fleckenpfote sich unter ihrem Pfotenhieb weg. „Ist doch so. Schüler werden nur selten mitgenommen. Meistens ist es eine Belohnung für besonders gutes Verhalten. Von uns war noch niemand dabei.“

Neugierig ließ Sturm seinen Blick über die verschiedenen Clankatzen schweifen. Rosentau saß zusammen mit ihrem Sohn Blaukralle und dessen Gefährtin Zimtfeder nahe des Eingangs. Unweit von ihnen lagen Eisbart, Schneeflügel und Herbstwolke im Schnee und teilten ihre karge Ration der Frischbeute unter sich auf. Kieselpelz und Herbstfleck streiften umher und Blaufell lag am Rand und döste in den spärlichen Sonnenstrahlen, die durch die graue Wolkendecke drangen. Obwohl der Clan Hunger litt, war Blaufell gut gepolstert, beinahe speckig, was Sturm irritierte. „Alles nur dickes Fell“, betonte der alte Krieger wiederholt, lachte dann und flüchtete sich in seine Tagträume. Wenn Sturm es nicht besser wüsste, würde er Blaufell als den Prototypen des faulen Hauskätzchens sehen, nur dass der Krieger schon sein ganzes Leben im FeuerClan verbrachte.

Mit Einbruch der Dämmerung trat Schwarzstern aus seinem Bau und nahm auf dem Felsvorsprung Platz. „Ich fordere alle Katzen, die alt genug sind, um selbst Beute zu machen, dazu auf, sich hier zu einem Clan-Treffen zu versammeln.“

Sogleich kamen die Katzen des FeuerClans zusammen und verteilten sich unterhalb des Vorsprungs. Selbst Falkenherz, die Älteste, verließ ihren Bau und begrüßte ihren Sohn Haselschweif mit einem zärtlichen Lecken des Ohrs.

„Heute bei Mondhoch werden mich sieben Mitglieder unseres Clans zur Versammlung begleiten.“ Schwarzstern ließ sich Zeit und schaute jedem einzelnen Mitglied des Clans ins Gesicht, selbst Sturm. „Haselschweif, Schneeflügel, Eisbart, Rosentau, Blaukralle, Rindenpfote und Milchpfote, versammelt euch zu gegebener Zeit am Eingang des Lagers.“ Sein Nicken beendete die kurze Zusammenkunft und der Clan verstreute sich quer über das Lager.

Milchpfotes Brust schwoll vor Stolz an. „Ich darf mit!“

„Glückwunsch!“ Fleckenpfote strahlte sie an. „Ich freue mich für dich. Das bedeutet bestimmt, dass du bald eine Kriegerin wirst.“

Milchpfote drehte sich zu Ahornpfote und Rindenpfote um. Ahornpfote sah enttäuscht aus und Rindenpfote … war einfach Rindenpfote. Er schien diese Ehre anzunehmen, ohne sich etwas dabei zu denken. „Was hast du getan, um die Auswahl zu verdienen?“, fragte Milchpfote ihn.

„Er ist der beste Kletterer im ganzen Clan“, antwortete Ahornpfote für ihn. Die Traurigkeit, die sie bis gerade überkommen hatte, schien wie weggeblasen. „Nicht wahr, Rindenpfote?“

„…“

„Rosentau und Eisbart sind beide davon überzeugt, dass er schon bald ebenfalls die Kriegerprüfung ablegen kann.“ Seine Schwester erzählte davon, als würde es um sie selbst gehen.

„Ach, ist das so? Davon hat Eisbart mir gar nichts erzählt.“ Milchpfote musterte Rindenpfote. Es musste ihr schwer fallen, dass ein Schüler, der zwei Monde jünger war als sie, womöglich noch vor ihr zum Krieger ernannt wurde. „Dann werden wir wahrscheinlich gemeinsam die Prüfung ablegen.“

„…“

„Kann schon sein“, plapperte Ahornpfote munter weiter. „Und wer weiß, vielleicht sind wir dann auch zu dritt. Ich werde jeden Tag noch härter trainieren, damit Eisbart mich ebenfalls für würdig befindet.“ Mit einem kessen Augenzwinkern in Richtung Milchpfote und Sturm verkroch sie sich mit Rindenpfote in den Schülerbau, um ihm dort die Zunge zu geben und über die bevorstehende Versammlung zu reden.

„Ahornpfote und Rindenpfote sind toll“, sagte Fleckenpfote schwärmerisch. „Herbstfleck ist so unendlich stolz auf die beiden. Den beiden liegt das Kriegerdasein einfach im Blut.“

„Und uns etwa nicht?“, erwiderte Milchpfote gereizt. „Mäusehirn. Sobald ich die Prüfung ablege, werde ich eine Kriegerin sein, daran besteht kein Zweifel.“

Fleckenpfote gähnte. „Daran besteht wirklich kein Zweifel. Niemand befolgt die Ausbildung so akkurat wie du.“ Mit einem Seitenblick auf Sturm fügte er hinzu: „Wir müssen uns wohl eher Gedanken um das Hauskätzchen machen.“

Diese Worte trafen Sturm mitten ins Herz. Währen der letzten Woche hatte er sich an das Leben im Clan gewöhnt und fühlte sich tausend Mal wohler als bei den Zweibeinern. Er hatte zusammen mit Milchpfote und Fleckenpfote gelacht, stundenlanges Jagen durchlitten und war an ihrer Seite durch Schnee und Eis gelaufen, doch nun fühlte er sich nicht mehr wie ein gleichwertiger Freund, sondern wieder zum Hauskätzchen degradiert. Wütend drehte er ihnen den Rücken zu, marschierte in den Schülerbau und vertrieb dabei Ahornpfote und Rindenpfote. Sollten sie doch alle glauben, dass er nur ein dummes Hauskätzchen war. In ihm steckte der FeuerClan, das spürte er mit jeder Faser seines Körpers – und das würde er ihnen schon noch beweisen.
 

***
 

Eine Woche reichte ganz offensichtlich noch lange nicht aus, um von den Katzen des FeuerClans akzeptiert zu werden. Sturm war mitten in der Nacht wach geworden, als sich Rindenpfote und Milchpfote gemeinsam mit Schwarzstern, Haselschweif und den ausgewählten Kriegern auf den Weg zur Versammlung aller vier Clans gemacht hatten, war dann jedoch schnell wieder eingeschlafen.

Im Morgengrauen wachte Sturm auf und stellte fest, dass die anderen Schüler bereits alle auf den Pfoten waren. Er gähnte, streckte jedes Bein einzeln und trottete dann nach draußen.

Vor dem Bau begrüßte ihn Milchpfote mit einem höflichen Nicken; neben ihr saß ihr Mentor Haselschweif. Fleckenpfote und Eisbart kamen gerade dazu. „Gut, dass du wach bist“, sagte Eisbart, setzte sich aber gar nicht erst hin. „Wir vier sind diesen Morgen für die Jagd eingeteilt, du wirst uns begleiten. Lass uns keine Zeit verlieren, der Clan hat Hunger.“

Sturm ließ sich die erste Hälfte der Strecke zurückfallen, holte dann aber wieder auf, weil er beschlossen hatte, dass er den anderen sein Jagdtalent zeigen würde. Die würden schon sehen, dass er es drauf hatte.

„Wie war es bei der Versammlung?“, hörte er Fleckenpfote Milchpfote fragen. Der junge Kater hatte seine Ohren neugierig in ihre Richtung aufgestellt. „Waren viele aus den anderen Clans da?“

Kam es Sturm nur so vor oder schwellte Milchpfotes Brust gerade vor Stolz auf die doppelte Größe an? „Natürlich habe ich die anderen Clans gesehen“, antwortete sie gönnerhaft, als wäre es das Normalste auf der Welt. „Silberstern ist so schön, wie immer alle sagen. Ihr Fell glänzt im Mondlicht, als wäre es aus dem Silbervlies am Nachthimmel gemacht.“

„Wow …“ Träumerisch hing Fleckenpfote seinen Gedanken nach und konzentrierte sich erst wieder auf Milchpfote, als er über eine Wurzel stolperte und sein Mentor ihn zu mehr Vorsicht beim Laufen ermahnte. „Sagt man nicht auch, dass sie Mondsterns Schönheit in nichts nachsteht?“

„Ich kann es verstehen“, meinte Milchpfote und auch in ihrer Stimme schwang eine ordentliche Portion von Bewunderung mit.

Da hielt Sturm es nicht länger aus. Mit zwei schnellen Sprüngen war er an der Seite der beiden Schüler und drehte neugierig den Kopf in ihre Richtung. „Wer sind Silberstern und Mondstern?“

Fleckenpfote seufzte. „Silberstern ist die Anführerin des WasserClans. Ihre Großmutter, Mondstern, war die einzige Einzelläuferin, die es jemals geschafft hat in den WasserClan aufgenommen zu werden. Noch heute erzählt man sich Geschichten über sie, weil sie den WasserClan vor einem Dachsangriff beschützt hat. Deshalb wurde sie damals erst zur Zweiten Anführerin ernannt. Außerdem soll sie so schnell wie der Wind gewesen sein und ihr Fell so strahlend schön wie der Mond. Sie führte ihren Clan mit Warmherzigkeit und Güte. Schwarzstern hat sie wohl noch gekannt, aber sie starb, als er gerade zum Krieger ernannt wurde.“

„Mit Sicherheit wird die Hälfte aller Geschichten über sie erfunden sein.“ Milchpfote verzog das Gesicht. „Und Silberstern hat kein bisschen ihrer Warmherzigkeit und Güte.“

„Stimmt.“ Fleckenpfote kicherte leise. „Silberstern ist einfach nur streng. Jeder weiß, dass sie den WasserClan mit eiserner Pfote regiert.“

„Genug davon“, knurrte Eisbart genervt. „Ihr vertreibt uns noch das bisschen Frischbeute, das vorhanden ist.“

Alle drei verstummten augenblicklich und verteilten sich nahe des Bachufers an der Grenze zum ErdClan. Da diese Blattleere so hart war, hatte sich auch die Beute zurückgezogen und es gab nur noch wenige Stellen im FeuerClan-Territorium, an dem man überhaupt etwas fangen konnte. Eine dieser Stellen war das Bachufer, an dem sie nun ihr Glück versuchten, doch zur Enttäuschung aller fiel ihre Ausbeute sehr karg aus. Bis zur Mittagszeit waren nur Milchpfote und Haselschweif jeweils eine Maus über den Weg gelaufen und Eisbart hatte auf dem Eis eine Meise erlegt.

„Davon werden wir aber nicht alle satt“, kommentierte Sturm hungrig und erntete dafür sogleich einen bösen Blick von Eisbart.

„Königinnen, Älteste und Heiler zuerst, das solltest du doch so langsam begriffen haben.“

Sturm duckte sich unter den harschen Worten sofort weg. Er, Sturm, der ach so große Jäger, hatte keinen Beitrag für den Beutehaufen im Lager geliefert. Eisbart hatte Recht, er war noch weit davon entfernt, dass er das Gesetz der Krieger und das Leben im Clan verinnerlicht hatte. Aber er würde nicht aufgeben, bis dem so war.
 

***
 

Sturms Atmung war im Gleichklang mit seinen Bewegungen, doch sein Herz schlug vor Anspannung schnell. Sein Blick war auf die Drossel fixiert, die seelenruhig zwischen den Bäumen im Schnee scharrte und nach den letzten roten Beeren des Busches suchte, der sich dazwischen erstreckte. Das blaue Gefieder am Kopf wurde immer mal wieder aufgeplustert, dann huschte der rotbraune Körper umher und der Vogel stürzte sich auf die nächste Beere.

Nur noch wenige Fuchslängen. Ein kleiner Schritt. Noch einer.

Sturm duckte sich so tief in den Schnee, wie er nur konnte, sodass sein graues Fell mit der tristen Winterumgebung und den dunklen Baumstämmen zu verschmelzen schien. Ob Eisbart ihn beobachtete? Vorhin war er noch in der Nähe gewesen. Oh wie würde er staunen, wenn Sturm ihm einen Vogel brachte!

Noch ein Schritt.

Sturm atmete ein. Aus. Wieder ein. Er spannte die Muskeln zum Sprung, doch in genau diesem Augenblick bemerkte ihn der Vogel und flatterte panisch auf. Sturm sprang, doch seine ausgefahrenen Krallen verfehlten die Flugbahn um einige Schnurrhaarlängen.

Frustriert rollte er im kalten Schnee herum, stand wieder auf, schüttelte sich das Fell ab und begegnete dabei den Blicken von Eisbart und Milchpfote, etwas weiter daneben standen Rosentau und ihr Sohn Blaukralle.

Rosentaus grüne Augen ruhten auf Sturm und als sie seine Niederlage bemerkte, zuckten ihre Mundwinkel amüsiert nach hinten. „Sieh an, sieh an, sieh an. Die Zweibeiner-Missgeburt will das Fliegen lernen.“

Blaukralle zischte lachend. „Such dir lieber etwas, was deinem Kaliber entspricht, Hauskätzchen. Lass mich kurz überlegen. Wie wäre es mit einer Schnecke? Oder ist dir auch die noch zu schnell?“

Sturm sträubte sein Fell und gab ein leises Knurren in Blaukralles Richtung ab, das der Kater mit dem dichten, einheitlich blauen Fell sofort durch ein lauteres, drohenderes Knurren quittierte.

„Das reicht“, sagte Eisbart ruhig, doch als er Sturm einen Seitenblick zuwarf, lag darin eindeutig eine Warnung. Er setzte sich zwischen die beiden Parteien und schaute zu dem Busch. „Dafür, dass du ein Hauskätzchen bist, hast du dich nicht schlecht angestellt.“ Und mit Blick auf Blaukralle und Rosentau fügte er hinzu: „Selbst wir Clan-Katzen haben keine einhundertprozentige Trefferquote, nicht wahr?“

Rosentau ging darauf nicht ein. Stattdessen gesellte sie sich in einer eleganten, fließenden Bewegung neben Eisbart. „Eisbart, mein Lieber, es gehen Gerüchte im Clan um, dass unser kleines Hauskätzchen hier den Anforderungen der Jagd bei Weitem nicht gewachsen ist. Ich wollte mich nur persönlich davon überzeugen, immerhin bin ich eine der Hauptverantwortlichen für die Jagdpatrouillen. Das sollte keinesfalls eine Kritik an deinen Mentorenfähigkeiten sein.“ Sie leckte sich in einer dramaturgischen Pause grazil über die linke Vorderpfote und ließ ihren Blick über Eisbart hinweg bis zu Milchpfote wandern. „Wobei es durchaus verwunderlich ist, dass ausgerechnet dein Fleisch und Blut mit zwölf Monden noch immer nicht zur Kriegerin ernannt wurde.“

Sowohl Eisbart als auch Milchpfote spannten sich unwillkürlich unter dem prüfenden Blick der Katzendame an. In diesem Augenblick erkannte Sturm, dass Rosentau ihrem Namen alle Ehre machte. Sie war so wunderschön wie eine blühende Rose, doch ihr Charakter glich eher den stechenden Dornen. Er hatte schon mitbekommen, dass viele Rosentau als die schönste Katze im Clan bezeichneten. Das leuchtende Grün ihrer Augen machte selbst der saftigsten Sommerwiese Konkurrenz und ihr braungetigertes Fell war seidig und glatt.

„Oh, ich wollte dich nicht verärgern, mein Lieber.“ Rosentau erhob sich wieder und schaute Milchpfote betont nachdenklich an. „Ich habe mich nur gefragt, ob es nicht besser gewesen wäre, wenn Schwarzstern dich zum Mentor deiner Tochter ernannt hätte. Du hättest aus ihr schon längst eine vollwertige Kriegerin gemacht. Ich bin mir sicher, dass sie dein Talent geerbt haben muss, so wie auch Blaukralle nach mir kommt. Blaukralle, mein Lieber, in welchem Alter bist du noch gleich zum Krieger ernannt worden?“

Ihr Sohn streckte die stolzgeschwellte Brust heraus. „Mit acht Monden, Mutter.“

„Acht Monde.“ Rosentau ging herüber zu Blaukralle und leckte ihm stolz über den Kopf. „Gemeinsam mit Fuchsauge ist er der jüngste Krieger, den der FeuerClan je hatte. Nichts geht über das reine Blut eines talentierten FeuerClan-Mitglieds. Aber ich will dich nicht länger aufhalten, Eisbart. Viel Erfolg noch mit dem Hauskätzchen, mein Lieber.“

Sturm sah zu, wie die beiden zwischen den Bäumen verschwanden, dann sprang er aufgebracht im Kreis herum und stapfte breitbeinig zu Eisbart herüber. Auch Milchpfote ging zu ihm. „Sie ist eine falsche Schlange“, zischte Sturm und sein Schwanz glich einer buschigen Klobürste. „Wieso hast du dir das von ihr gefallen lassen? Sie hat dich vorgeführt, Eisbart!“

Der ältere Kater starrte Rosentau ebenfalls finster hinterher, schüttelte dann jedoch den Kopf. „Rosentau und Blaukralle sind dem FeuerClan treu ergeben. Sie meint nicht böse, was sie sagt.“

„Da bin ich anderer Meinung“, knurrte Sturm noch immer aufgebracht und schüttelte sich. „Sie musste dir unter die Nase reiben, dass Blaukralle ihr Vorzeigesohn ist.“ Dann, nach kurzem Zögern, fragte er etwas kleinlauter: „Ist er wirklich so toll, wie sie gesagt hat?“

Eisbart seufzte. „Ich fürchte ja. Fuchsauge, Schwarzsterns einziger Nachkomme, war ein sehr angesehener und talentierter Krieger. Er vergötterte Rosentau und sie ihn. Die beiden bekamen zwei Kinder, Apfelpelz und Honigblüte, aber kurz nach ihrer Geburt verstarb Fuchsauge. Rosentau hatte immer gehofft, dass ihre Kinder in Fuchsauges Pfotenstapfen treten würden, aber … Nun ja, du weißt ja, wie Apfelpelz ist. Kommt er heut‘ nicht, kommt er morgen. Er war eine einzige Enttäuschung für Rosentau. Dann wurde Honigblüte zur Heilerschülerin ernannt. Ich glaube, Rosentau hätte sich etwas Anderes für ihre Tochter gewünscht, aber sie gibt sich damit zufrieden, weil Heiler ebenfalls in allen Clans angesehen sind. Trotzdem war ihr Wunsch nach einem Nachkommen, der eines Tages Anführer des Clans werden könnte, unerfüllt. Also suchte sie sich den nächstbesten Kater und Blaufell, der sie schon lange anhimmelte, fiel auf sie herein. Blaukralle wurde geboren und Rosentau erzog ihn vom ersten Atemzug zu dem Sohn, den sie sich mit Fuchsauge gewünscht hätte. Man mag davon halten, was man möchte, aber Blaukralle ist tatsächlich überaus talentiert, engagiert und zielstrebig. Niemand im Clan wird etwas Schlechtes über ihn sagen.“

Schweigend hatte Sturm dieser Geschichte gelauscht. Er verstand, dass Rosentau stolz auf Blaukralle war, trotzdem konnte er die beiden nicht leiden. „Wenn Blaukralle in seinem Wurf alleine war, kann sein Blut aber nicht so super sein, wie Rosentau behauptet.“

Überrascht blickte Eisbart ihn an. „Wie meinst du das?“

Sturm knetete den Boden mit seinen flauschigen Pfoten durch. „Na ja … Meine Mutter hat mir das mal erklärt. Wenn man sich immer nur mit dem gleichen Pool an Blut verpaart, leidet irgendwann die Qualität der Würfe darunter. Aus diesem Grund haben ihre Zweibeiner sie immer zu weit entfernt lebenden Katern gebracht, wenn sie Nachwuchs bekommen sollte. Je durchmischter das Blut ist, desto gesünder und kräftiger sind die Jungen, auch wenn es natürlich trotzdem mal schlechte Würfe geben kann.“

„Interessant, aber durchaus möglich.“ Eisbart nickte. „Schwarzstern ist eine HalbClan-Katze, weißt du? Seine Mutter stammte aus dem ErdClan, sein Vater aus dem FeuerClan. Da so eine Verbindung nicht geduldet wird, wurden seine Eltern ausgestoßen, aber sein Bruder Grauwolke und er durften bleiben. Grauwolke wuchs im ErdClan auf, Schwarzstern bei uns im FeuerClan. Sowohl Grauwolke als auch er sind kräftig und gesund. Soweit ich gehört habe, hat Grauwolke sogar einen Wurf mit fünf Nachkommen gehabt.“

„Weil sie gemischtes, gesundes Blut hatten“, stimmte Sturm zu.

„Interessant“, wiederholte Eisbart. „Darf ich fragen, wie viele Geschwister du hattest?“

„Ich hatte fünf Brüder und zwei Schwestern, aber ich war der Älteste.“

„Zu acht?“ In Eisbarts Blick schwang eine Mischung aus Überraschung und Respekt mit. „Überaus interessant“, sagte er nun schon zum dritten Mal und murmelte noch einige Dinge vor sich hin, ehe er Milchpfote, die die ganze Zeit mit gesenktem Kopf ihren eigenen Gedanken nachgehangen hatte, und Sturm zurück zum Lager schickte.

Den ganzen Rückweg über wurde Sturm das Gefühl nicht los, dass das, was er Eisbart erzählt hatte, in irgendeiner Form wichtig war und seinen Weg zu Schwarzstern finden würde.

Die Anspannung hing bereits seit den frühen Morgenstunden wie ein Schleier über dem Lager des FeuerClans. Sturm spürte, wie sich sein Fell sträuben wollte, als wäre eine nicht greifbare Gefahr in der Nähe. Als er den Bau der Schüler verließ und alle vier Beine nacheinander streckte, musterten ihn die schneeweiße Kriegerin Schneeflügel und ihre Schwester Herbstwolke vom anderen Ende des Lagers und verfielen sogleich in leises Getuschel. Schwarzstern lag auf dem Felsvorsprung vor dem Bau des Anführers und neben ihm saß Haselschweif, der Sturm ebenfalls musterte, sich dann zu Schwarzstern beugte und ihm etwas ins Ohr flüsterte.

Es war der letzte Tag von Sturms Probezeit im Clan. Morgen war Halbmond, der Tag, an dem Schwarzstern darüber entscheiden würde, ob Sturm im FeuerClan bleiben und ein Schüler des Clans werden durfte. Soweit er das mitbekommen hatte, gab es einige, die bereits jetzt dagegen waren. Auch wenn keine Namen genannt worden waren, wusste Sturm, dass von Blaukralle und Rosentau die Rede war.

Trotzdem musste es noch einen anderen Grund haben, dass der Clan noch in der Morgendämmerung vollständig versammelt im Lager unterwegs war. Sogar Falkenherz, die einzige Älteste, hatte sich hinkend aus ihrem Bau bequemt und blickte neugierig umher.

„Katzen des FeuerClans“, begann Schwarzstern unvermittelt und es kehrte Ruhe ein. Der Anführer ging von seiner liegenden in eine sitzende Position über. „Heute ist ein besonderer Tag für einige von uns. Ich habe mit Haselschweif, Eisbart und Rosentau gesprochen und alle drei haben ihre Schüler für erfahren genug eingestuft, um die Kriegerprüfung zu absolvieren.“

Milchpfote reckte augenblicklich den Kopf in die Höhe. Sie suchte nach Haselschweif, ihrem Mentor, der ihr kaum merklich zunickte. Auch Eisbart wirkte stolz, blieb aber neben seiner Schülerin Ahornpfote sitzen, die neben so ziemlich jedem Mitglied des Clans klein und zierlich wirkte.

„Sobald die Sonne aufgegangen ist, wird der Prüfungszeitraum beginnen und bis zum Sonnenhoch gehen“, fuhr der Anführer fort. „Eisbart und Ahornpfote, ihr werdet nördlich des Lagers unterwegs sein. Rosentau und Rindenpfote, ihr nehmt den östlichen Teil. Haselschweif und Milchpfote, ihr geht zur südlichen Grenze. Eure Mentoren werden eure Fähigkeiten im Fährtenlesen, Jagen und Kämpfen testen und überprüfen, ob ihr das Gesetz der Krieger verinnerlicht habt. Ich werde euch nacheinander besuchen und eine Weile zuschauen. Bei Sonnenuntergang werde ich die Prüfungsergebnisse dem Clan mitteilen.“

Sobald Schwarzstern geendet hatte, brach aufgeregtes Geplapper im Clan los. Milchpfote stürmte zu Eisbart, der seinen Kopf kurz an der Flanke seiner Tochter rieb und ihr alles Gute wünschte, dann huschte sie weiter zu Haselschweif, der bereits unter dem Anführerfelsen auf sie wartete.

Rindenpfote und Ahornpfote leckten sich ebenfalls flüchtig über die Stirn, dann verließen beide an den Seiten ihrer Mentoren das Lager.

Fleckenpfote hüpfte aufgeregt wie ein junges Reh zu Sturm und tänzelte gespannt von einem Bein aufs andere. „Das ist so aufregend! Endlich hat Milchpfote ihre Prüfung! Sie muss uns unbedingt erzählen, wie es gelaufen ist, sobald sie wieder hier ist.“

Sturm nickte. Gedanklich wünschte er Milchpfote viel Glück, aber was sollte schon schiefgehen? Sie war zwölf Monde alt, ein ganzes Jahr, sechs Monde lang war ihre Schülerzeit gewesen. Mit Sicherheit war die Prüfung für sie nichts weiter als ein Schnelldurchlauf.
 

***
 

Bis zum Sonnenhoch hatte sich die Lage im Clan beruhigt. Die Jagdpatrouille war im westlichen Gebiet unterwegs gewesen und da der Schnee seit zwei Tagen zu tauen begann, kehrte auch die Beute ganz langsam zurück in das Gebiet des FeuerClans. Zum ersten Mal seit Sturms Ankunft im FeuerClan wurden alle satt, was von vielen als positives Zeichen gewertet wurde.

„Die Blattleere neigt sich dem Ende zu“, schnurrte Falkenherz zufrieden. Sie lag vor ihrem Ältestenbau und sonnte sich, wobei ihr rotes, halblanges Fell frisch geleckt war. „Sturm“, rief sie ihn und nickte dem Platz neben sich zu. „Leiste mir doch einen Moment Gesellschaft, ja?“

Sturm warf Fleckenpfote einen fragenden Blick zu, doch der einzige Schüler, der heute nicht seine Prüfung hatte, nickte ihm aufmunternd zu, weshalb Sturm zu Falkenherz ging und sich neben sie legte.

„Ein wundervoller Tag, nicht wahr?“

„Ja, Falkenherz.“

Die Älteste musterte ihn mit wachem Blick. Sturm wusste, dass sie Haselschweifs Mutter war und bereits mit fünf Jahren durch eine Infektion in der linken Hinterpfote zur Ältesten wurde. Seit dieser Zeit humpelte sie, weil sie kaum Gefühl im linken Hinterbein hatte, doch das hatte ihr nie den Lebensmut genommen. Ob sie einsam war, so ganz alleine als einzige Älteste?

Falkenherz schnurrte weiter vor sich hin. „Morgen ist dein großer Tag. Bist du nervös?“

„Ein wenig“, gestand er und merkte, wie er sich in ihrer Gegenwart allmählich entspannte. „Ich hoffe, dass Schwarzstern mich bleiben lässt. Ich wäre gerne ein Teil des FeuerClans.“

„Bist du das denn nicht schon längst?“ Sie öffnete eines ihrer Augen und gähnte träge. „Ich weiß nicht, was der SternenClan zu Schwarzstern und Honigblüte gesagt hat, aber es wird schon seinen Grund haben, dass du hier bist. Hab keine Angst vor morgen. Schwarzstern wäre ein Narr, wenn er einen jungen, kräftigen Kater wie dich nicht aufnimmt. Insbesondere jetzt, nach dieser schrecklichen Blattleere, die so viele Leben gekostet hat, können wir jeden gebrauchen.“

Hoffnung keimte in ihm auf. „Meinst du das wirklich?“

„Oh nein, ich bin nur eine Älteste, die wirres Zeug plappert“, sprach Falkenherz nicht ohne Sarkasmus. Ihr Auge klappte wieder zu und sie bettete den Kopf auf den Vorderpfoten. Kurz darauf schien sie eingeschlafen zu sein, aber ganz sicher war Sturm sich nicht, weshalb er noch eine Weile neben ihr liegen blieb und dann zurück zu Fleckenpfote ging.

„Sie müssten jeden Augenblick wiederkommen“, sprach der Schüler munter. Für ihn hatte es den ganzen Vormittag kein anderes Thema gegeben. Man könnte beinahe meinen, dass er aufgeregter war als die, die geprüft wurden.

Als erstes kam Rosentau zurück in das Lager stolziert. Sie hatte ihr Haupt gehoben und den glatten Schwanz in die Höhe gereckt. Ein Stück hinter ihr trottete Rindenpfote und in seinem Maul baumelten ein Buntfalke und eine Wanderdrossel. Herbstfleck sprang sofort auf, als sie ihren Sohn sah, und bewunderte den erfolgreichen Fang.

„Das ist ein Buntfalke!“, rief sie stolz aus und schnurrte, während sie Rindenpfote über die Ohren leckte. „Rindenpfote, du bist wahrlich ein Krieger, wenn du dem Clan einen Falken gefangen hast.“ Dann drehte sie sich zu Rosentau um und bedankte sich überschwänglich dafür, dass sie ihrem Sohn eine so erfolgreiche und gute Mentorin war.

Rosentau nahm das Schmeicheln bereitwillig auf und wies Rindenpfote an, dass er seine Beute auf den Frischbeutehaufen legen sollte. Kurz darauf gratuliertem ihn auch die anderen Mitglieder des Clans.

Sturm ging als letzter zu Rindenpfote. „Das ist großartig, Rindenpfote! Du hast mit Sicherheit bestanden.“

„…“

„Eh … Ja, also dann auch von mir nochmal alles Gute. Die Ergebnisse gibt es ja erst heute Abend.“

„…“

„Ehm … ja. Ich gehe dann mal wieder zu Fleckenpfote.“ Er ließ den schweigsamen Kater alleine und setzte sich wieder zu Fleckenpfote an den Rand des Lagers.

Wenige Minuten später marschierten Schwarzstern, Eisbart und Ahornpfote durch die Hecke ins Lager. Ahornpfote hatte mehrere Mäuse im Maul und Eisbart trug ein kleines Eichhörnchen. Schwarzstern schien zufrieden zu sein, denn er wirkte ganz entspannt und nickte Ahornpfote und Eisbart zum Abschied anerkennend zu, ehe er sich in seinen Anführerbau begab.

Es fehlten also nur noch Haselschweif und Milchpfote. Allmählich hatte der Clan das Warten leid und Rosentau führte zusammen mit Kieselpelz und Blaufell die Abendpatrouille hinaus. Die Gespräche gingen zu anderen Themen über und als Milchpfote schließlich mit einer Meise und drei Mäusen das Lager betrat, schenkte man ihr kaum noch Aufmerksamkeit. Ohne Sturm oder Fleckenpfote eines Blickes zu würdigen legte sie ihre Beute auf den Frischbeutehaufen, stapfte an ihnen vorbei und verließ sofort wieder das Lager.

Fleckenpfote blieb seine Gratulation im Hals stecken, als er verwirrt hinter Milchpfote herschaute. „Was ist denn mit der los?“

Sturm legte den Kopf schief. „Vielleicht möchte sie alleine sein. Oder es ist nicht gut gelaufen.“

„Quatsch, natürlich ist ihre Prüfung gut gelaufen“, beharrte Fleckenpfote, doch er schien sich nicht sicher zu sein, als er bemerkte, wie Haselschweif neben Eisbart den Kopf schüttelte und sich dann ebenfalls in den Anführerbau zurückzog, um die Prüfungsergebnisse zu besprechen.

Sturm schaute Milchpfote noch eine Weile hinterher, dann seufzte er. Milchpfote konnte nicht durchgefallen sein. Sie kannte das Gesetz der Krieger auswendig, war eine gehörsame Schülerin und hatte die Anweisungen ihres Mentors immer punktgenau umgesetzt. Und falls doch … Falls doch, war er sich sicher, dass es Milchpfotes Herz brechen würde.
 

***
 

„Ich fordere alle Katzen, die alt genug sind, um selbst Beute zu machen, dazu auf, sich hier zu einem Clan-Treffen zu versammeln.“ Schwarzsterns Stimme donnerte in der Abenddämmerung über das Lager des FeuerClans hinweg. Alle Mitglieder des Clans versammelten sich in einem Halbkreis unterhalb des Anführerfelsens, wobei Eisbart mit Ahornpfote, Rosentau mit Rindenpfote und Haselschweif mit Milchpfote am äußeren, linken Rand saßen.

Sturm setzte sich neben Fleckenpfote in die Mitte, genau zwischen Schneeflügel und Honigblüte.

„Wie ihr alle mitbekommen habt, hatten Milchpfote, Ahornpfote und Rindenpfote heute ihre Kriegerprüfungen. Ich habe mir ein Bild von allen drei Schülern machen können und habe mich mit ihren Mentoren unterhalten, bis wir zu einem Ergebnis gekommen sind.“

„Ich freue mich so für alle drei“, flüsterte Fleckenpfote Sturm zu, blieb dann aber still, um die feierliche Zeremonie nicht zu stören.

Schwarzstern nickte Rosentau und Rindenpfote zu, woraufhin Rindenpfote vor trat und alleine im Halbkreis unterhalb seines Anführers stand. „Rosentau, bist du davon überzeugt, dass dein Schüler dazu bereit ist ein Krieger zu werden?“

Rosentau saß kerzengerade. „Ja, er ist bereit.“

„Ich, Schwarzstern, Anführer des FeuerClans, rufe meine Kriegerahnen an und bitte sie, auf diesen Schüler herabzublicken. Er hat hart trainiert, um euren edlen Gesetzen gehorchen zu können und ich empfehle ihn euch nun als Krieger.“ Sein Blick ruhte auf dem Schüler unter ihm, der die Schultern durchstreckte. „Rindenpfote, versprichst du das Gesetz der Krieger einzuhalten und den Clan zu beschützen und zu verteidigen, selbst mit deinem Leben?“

Rindenpfote nickte. „… Ich verspreche es.“ Seine dunkle, tiefe Stimme überraschte Sturm, der ihn bisher noch nicht reden gehört hatte.

„Dann gebe ich dir mit der Kraft des SternenClans deinen Kriegernamen. Rindenpfote, von diesem Augenblick an wirst du Rindentänzer heißen. Der SternenClan ehrt deine Eigenständigkeit und dein Geschick und wir heißen dich als vollwertigen Krieger im FeuerClan willkommen.“

Der gesamte Clan brach in anerkennende Jubelschreie aus und rief dreimal laut den Namen des neusten Kriegers aus: „Rindentänzer! Rindentänzer! Rindentänzer!“ Besonders Herbstfleck, seine Mutter, brüllte inbrünstig seinen Kriegernamen heraus.

Rindentänzer ging zu Schwarzstern, der ihm für einen Moment die Schnauze auf den Kopf legte. Anschließend leckte Rindentänzer seinem Anführer als Zeichen des Respekts die Schulter und kehrte an die Seite seiner ehemaligen Mentorin Rosentau zurück.

Dann war Ahornpfote an der Reihe. Schwarzstern nickte ihr zu und sie nahm den Platz in der Mitte ein, an dem kurz zuvor noch ihr Bruder gestanden hatte. „Eisbart, bist du davon überzeugt, dass deine Schülerin dazu bereit ist eine Kriegerin zu werden?“

Der graue Kater nickte. „Ja, sie ist bereit.“

„Ich, Schwarzstern, Anführer des FeuerClans, rufe meine Kriegerahnen an und bitte sie, auf diese Schülerin herabzublicken. Sie hat hart trainiert, um euren edlen Gesetzen gehorchen zu können und ich empfehle sie euch nun als Kriegerin. Ahornpfote, versprichst du das Gesetz der Krieger einzuhalten und den Clan zu beschützen und zu verteidigen, selbst mit deinem Leben?“

Die kleine Katzendame sprach mit fester, klarer Stimme, aber ihr Schwanz zuckte ganz aufgeregt. „Ich verspreche es!“

„Dann gebe ich dir mit der Kraft des SternenClans deinen Kriegernamen. Ahornpfote, von diesem Augenblick an wirst du Ahornseele heißen. Der SternenClan ehrt deine Aufrichtigkeit und deinen Eifer und wir heißen dich als vollwertige Kriegerin im FeuerClan willkommen.“

„Ahornseele! Ahornseele! Ahornseele!“, hallte es von allen Seiten.

Sturm und Fleckenpfote schauten beide zu, wie Ahornseele Schwarzstern ihren Respekt zollte und warteten darauf, dass nun Milchpfote zur Kriegerin ernannt wurde, doch es kam anders. Schwarzstern straffte und erhob sich, woraufhin Gemurmel im Clan ausbrach. „Rindentänzer und Ahornseele, als neu ernannte Krieger ist es eure Aufgabe, dass ihr schweigend die Nachtwache haltet.“ Mit diesen Worten löste Schwarzstern die Versammlung auf und ging in seinen Bau.

Mitleidige Blicke wurden zu Milchpfote geworfen, die ganz offensichtlich in ihrer Prüfung durchgefallen war. Andere gratulierten den beiden neuen Kriegern, allen voran Herbstfleck, die sich vor lauter Stolz kaum beherrschen konnte. Laut schnurrend strich sie immer wieder um ihre beiden Kinder herum, leckte ihnen über den Kopf und erzählte jedem, der es hören wollte oder auch nicht, wie stolz sie war.

Herbstwolke, eine schwarzweiße Katze und die Mutter von Fleckenpfote, kam zu ihnen gelaufen. „Ich hoffe, du bist der nächste, mein Schatz. Streng dich an, dann wirst auch du sehr bald ein Krieger sein.“

Fleckenpfote ließ seine Mutter stehen und eilte zu Milchpfote, die sich beschämt in den Schülerbau zurückziehen wollte. „Milchpfote! Was ist passiert? Wieso bist du durchgefallen?“

Sie schaute erst Fleckenpfote, dann Sturm an und fauchte, ehe sie ihnen den Rücken zudrehte und niedergeschlagen das Schlafquartier betrat.

„Gönn ihr die Ruhe“, meinte Apfelpelz aus dem Hintergrund und schob sowohl seinen Schüler als auch Sturm vom Schülerbau weg. „Das ist jetzt nicht leicht für sie.“

„Weißt du, warum sie durchgefallen ist?“, fragte Sturm den Mentor von Fleckenpfote.

Apfelpelz nickte seufzend. „Milchpfote stand sich selbst im Weg. Sie war sehr nervös wegen der Prüfung, aber eigentlich lief soweit alles gut, bis Schwarzstern aufgetaucht ist. Von da an ging es bergab – wortwörtlich. Beim Anpirschen an ihre Beute hat sie sich so tollpatschig verhalten, dass sie über lose Steine gelaufen ist und das Bachufer herunterstürzte. Vielleicht hätte Schwarzstern über diesen groben Schnitzer hinwegsehen können, wenn sie danach nicht so mit den Nerven am Ende gewesen wäre, dass sie Haselschweifs Angriffe nicht parieren konnte.“ Erneut seufzte Apfelpelz. Er schien mit Milchpfote zu leiden. „Aber das wisst ihr nicht von mir“, fügte er dann mit einem halbherzigen Augenzwinkern hinzu.

Sturm senkte betreten den Kopf. „Die arme Milchpfote. Das muss schrecklich für sie sein.“

Fleckenpfote stimmte ihm zu. „Oh ja, das kommt einer Blamage vor dem gesamten Clan gleich. Aber sie bekommt bestimmt bald eine neue Chance. Ich glaube, dass Schwarzstern zusammen mit der Blattfrische gerne neue Krieger im Clan hätte.“

Einen Moment überlegte Sturm. Es war jetzt März und der Winter ließ endlich nach. In ein oder zwei Monden würde der Wald wieder in voller Blüte stehen. Wenn Schwarzstern ihn morgen zu einem Schüler des FeuerClans machte, würde das bedeuten, dass auch er in ein oder zwei Monden schon ein Krieger sein konnte? Nein, bestimmt nicht, das konnte er sich nicht vorstellen. Oder etwa doch?
 

***
 

„Du bist zu langsam“, tadelte Milchpfote ihn. Den gestrigen Abend hatte sie schmollend und zurückgezogen alleine im Schülerbau verbracht, doch am nächsten Tag war Milchpfote schon wieder ganz die Alte. Sie stürzte sich heute noch eifriger in ihr Training als sonst und quälte Fleckenpfote und Sturm mit den Kampfübungen, bei denen sie gestern so desaströs versagt hatte.

Milchpfote ging zurück in ihre Ausgangsposition und startete einen erneuten Angriff.

Sturm verlagerte sein Gewicht auf die Hinterbeine, hob die rechte Vorderpfote mit den Krallen und verpasste ihr einen Schlag in die Seite, wobei er allerdings mehr Fell erwischte als Körper.

Beim nächsten Herzschlag hatte Milchpfote ihm bereits einen Pfotenhieb quer über das Gesicht gewischt. Verdammt, waren ihre Krallen scharf! Er fauchte, duckte sich unter dem nächsten Schlag weg, war aber wieder zu langsam und lag im nächsten Moment auf der Seite, Milchpfote direkt an seiner Kehle.

Sie schnaubte, ließ ihn los und fixierte dann Fleckenpfote. „Guck nicht so, sonst bist du gleich dran.“ Dann stupste sie Sturm an. „Sturm, du bist viel größer und schwerer als die meisten im Clan. Wenn du ausgewachsen bist, wirst du dich neben Schwarzstern, Rindentänzer und Apfelpelz behaupten können, aber pure Körpermasse reicht nicht. Du brauchst Taktik und musst deine Stärken besser ausspielen und deine Schwächen ausgleichen.“

Er brummte genervt. „Und wie soll ich das deiner Meinung nach machen?“

Milchpfote setzte sich direkt vor ihn hin und ihre bersteinfarbenen Augen durchbohrten ihn. „Also gut. Deine Schwäche ist ganz eindeutig auch deine Stärke.“

Sturm setzte sich ihr gegenüber auf die Erde, Fleckenpfote neben ihn. „Und das heißt?“

„Du bist, wie gesagt, groß und kräftig und hast langes, dichtes Fell. Dein Fell schützt dich ein Stück weit vor Verletzungen durch Krallen und Zähne, aber deine Größe bietet gleichzeitig auch mehr Angriffsfläche. Vergleich dich einmal mit Ahornseele. Sie mag zwar klein und zierlich sein, aber sie ist unglaublich schnell und wendig und würde bei dir vermutlich doppelt so viele Treffer landen wie du bei ihr. Dein Vorteil ist deine Körperkraft. Du kannst weiter und höher springen als wir und wenn du einen kräftigen Hieb austeilst und richtig triffst, hast du schon halb gewonnen. Außerdem bist du ein ganz passabler Läufer.“

„Ganz passabel?“, unterbrach Sturm sie lachend. „Ich hänge dich in jedem Rennen ab.“

Milchpfote grunzte zerknirscht. „Meinetwegen. Du bist ein sehr guter Läufer, aber nur auf geraden Distanzen, weil du längere Beine und mehr Kraft hast. Wenn du also in einen Kampf gerätst, musst du was tun?“

Er dachte einen Moment lang nach. „Ich bin stärker und kräftiger, also muss ich meine Körperkraft einsetzen, indem ich von Anfang an gut austeile und meine Gegner schnell erledige, weil mein großer Körper sonst zu viel Angriffsfläche bietet.“

Sie nickte zufrieden. „Sehr gut, Hauskätzchen.“ Dieses Wort hatte in der letzten Zeit deutlich an Schärfe verloren, wenn sie es aussprach, und glich mehr einem Kosenamen, mit dem sie ihn aufziehen wollte. „Je länger ein Kampf dauert, desto mehr musst du einstecken, weil du nicht wendig genug bist, um vielen Treffern auszuweichen. An diesem Punkt werden wir ansetzen.“

Auch Fleckenpfote wirkte zufrieden. „Wenn Schwarzstern dich heute Abend zu einem von uns macht, bekommst du einen eigenen Mentor und wirst nicht mehr mit Apfelpelz oder Haselschweif trainieren, aber zumindest weißt du jetzt schon, welche Kampftechnik dein Stil werden kann.“

„Über meinen Mentor habe ich mir noch gar keine Gedanken gemacht“, gestand Sturm. Er war so nervös, dass er heute Morgen kaum einen Bissen herunterbekommen hatte. „Ich hoffe nur, dass es nicht Blaukralle oder Rosentau werden.“

„Unwahrscheinlich“, meinte Milchpfote. „Rosentau hatte gerade erst einen Schüler und Blaukralle ist erst zwei Jahre alt. Theoretisch kann er dich zwar unterrichten, aber ich glaube, dass Schwarzstern eher einen älteren und erfahreneren Krieger nehmen wird. Ich tippe auf Blaufell, Schneeflügel oder Kieselpelz.“

„Hey“, protestierte Fleckenpfote sogleich. „Und was ist mit meiner Mutter?“

Milchpfote verdrehte die Augen. „Oder Herbstwolke.“

„Was hast du gegen sie?“

„Gar nichts, Fleckenpfote. Aber sie passt einfach nicht.“

„Wieso nicht?“

Milchpfote sprang auf. „Ist einfach ein Gefühl. Und jetzt lasst uns zurück zum Lager gehen, ich kriege Hunger.“
 

***
 

Die Abenddämmerung legte sich wie Nebel über das Lager des FeuerClans. Sturms Herz pochte vor Aufregung. Unruhig tigerte er vor dem Bau der Schüler auf und ab. Jeden Moment konnte Schwarzstern eine Entscheidung verkünden.

„Ich fordere alle Katzen, die alt genug sind, um selbst Beute zu machen, dazu auf, sich hier zu einem Clan-Treffen zu versammeln.“

Deutlich langsamer als gestern bei der Verkündung der neuen Krieger, aber dennoch nicht uninteressiert versammelte sich der FeuerClan unter dem Felsen des Anführers, auf dem Schwarzstern nun saß. Honigblüte lag lässig zu seiner Rechten, Haselschweif stand zu seiner Linken. Sturm glaubte, dass ihm sein Herz jeden Moment aus dem Brustkorb fliegen könnte. Mit zittrigen Beinen ging er zu Milchpfote und Fleckenpfote und setzte sich in ihre Nähe.

Schwarzstern kam ohne Umschweife auf den Punkt. „Wie ich beim letzten Halbmond gesagt habe, werde ich heute entscheiden, ob das Hauskätzchen Sturm bei uns bleiben und ein Teil des FeuerClans werden darf. In den letzten zwei Wochen hat er mit uns trainiert, gejagt und gelebt und ich muss sagen, dass ich positiv überrascht davon bin, wie viel in einem Hauskätzchen stecken kann.“ Das Gemurmel, das aufkam, wurde von einem einzigen Zucken seines schwarzen, buschigen Schwanzes unterbunden. „Ich habe lange darüber nachgedacht, mich mit Honigblüte und Haselschweif beraten und die Entscheidung ist mir nicht leicht gefallen, doch letzten Endes vertraue ich darauf, dass der SternenClan weiß, wieso er Sturm zu uns geschickt hat.“ Der Anführer nickte Sturm kurz und knapp zu. „Sturm, du hast das Gesetz der Krieger und das Leben im Clan kennengelernt. Hiermit frage ich dich, ob du bereit dazu bist, deine Herkunft als Hauskätzchen bei den Zweibeinern vollständig und unwiderruflich hinter dir zu lassen, um ein vollwertiges Mitglied dieses Clans zu werden. Antworte ehrlich und aus vollem Herzen, junger Sturm.“

Für einen Augenblick schien die Welt stillzustehen. Sturm sah die ersten Sterne des Abends durch die Wolkendecke herab scheinen. Der Geruch des FeuerClans füllte seine Nase und eine sanfte Brise liebkoste ihn. „Ja, ich bin dazu bereit und möchte ein Schüler des FeuerClans sein.“

Blaukralle knurrte abfällig hinter ihm und auch Rosentau und Blaufell legten missmutig die Ohren an.

Schwarzstern nickte und für einen winzigen Moment glaubte Sturm Zufriedenheit in den Augen des Anführers aufblitzen zu sehen. „Ich, Schwarzstern, Anführer des FeuerClans, rufe meine Kriegerahnen an und bitte sie, jetzt auf diese Katze herabzuschauen. Er hat den ehrlichen Wunsch, die Lebensweise nach eurem edlen Gesetz zu erlernen und ich empfehle ihn euch nun als Schüler. Sturm, versprichst du, das Gesetz der Krieger zu achten, diesen Clan zu beschützen und ihn zu verteidigen, selbst wenn es dein Leben kostet?“

Noch nie war er sich einer Sache so sicher. „Ich verspreche es.“

„Dann gebe ich dir mit der Kraft des SternenClans deinen Schülernamen. Von diesem Augenblick an wirst du Sturmpfote heißen. Der SternenClan vertraut darauf, dass du all deine Tapferkeit und deine Stärke deinem neuen Clan widmen wirst.“

„Sturmpfote! Sturmpfote! Sturmpfote!“ Der Clan bejubelte ihn, wie es sich gehörte, aber die Rufe kamen bruchstückhaft, vereinzelt und bei Weitem nicht so enthusiastisch wie bei Ahornseele und Rindentänzer, auch wenn einige Mitglieder des Clans sich wirklich für ihn zu freuen schienen. Insbesondere Kieselpelz, Blaukralle und Rosentau fielen allerdings dadurch auf, dass sie nicht in den Jubel mit einstimmten.

„Sturmpfote, von diesem Augenblick an wird Schneeflügel deine Mentorin sein. Achte ihr Wort und lerne fleißig.“

„Vielen Dank, Schwarzstern“, formte er stumm mit dem Mund. Dann ging er zu Schneeflügel, die ihr Haupt zum Gruß neigte und ihn dann neugierig mit ihren Bersteinaugen musterte. Ob sie sich freiwillig als Mentorin gemeldet hatte?

„Herzlichen Glückwunsch, Sturmpfote.“ Ihre Stimme war angenehm klar. Wieso war sie ihm bisher nicht weiter aufgefallen? Schneeflügel hatte einheitlich schneeweißes, kurzes Fell, einen wachen Blick und lange, schlanke Beine. „Der heutige Tag war sicherlich sehr aufregend für dich. Geh in den Bau und schlaf dich aus, wir werden morgen bei Sonnenaufgang mit dem Training beginnen.“

„Ja, Schneeflügel.“ Sturmpfote atmete tief ein und aus. Pures Glück schien durch seinen Körper zu strömen. „Ich werde dich nicht enttäuschen.“

Sie lächelte. „Na das hoffe ich doch.“ Dann nickte sie ihm zu und ging mit ihrer Schwester Herbstwolke und ihrem Neffen Fleckenpfote in eine ruhige Ecke, um die Zunge zu teilen.

Sturmpfote war so glücklich, dass es ihn nicht einmal störte, dass Blaukralle und Rosentau ihn so böse anstarrten, als wollten sie ihn höchstpersönlich in den Tod stürzen. Er tänzelte zum Schülerbau, der nun ganz offiziell sein Zuhause war, legte sich auf das trockene Moosnest und schlief fast augenblicklich ein.
 

***
 

Silbrigblaues Licht umgab Sturmpfote, als er die Augen öffnete. Wo war er? War das ein Traum?

Aus der Dunkelheit formte sich eine helle, strahlende Gestalt. „Glückwunsch, Sturmpfote.“ Die Stimme der Katze war so warm und zärtlich, dass es ihm das Herz zusammenzog. Eine unbekannte Sehnsucht ergriff ihn. Kannte er sie etwa? „Ich habe von Anfang an gewusst, dass du es sein würdest.“

„Wer bist du?“

Die Katze war von einem silbrigen Schimmer umgeben, der ihren Körper beinahe unscharf wirken ließ, aber auch sonst musste ihr Fell strahlend weiß sein. Die dunklen, blauen Augen waren so unergründlich wie der Sternenhimmel. „Pass auf dich auf, Sturmpfote. Das Schicksal sieht große Pfotenstapfen für dich vor, die auszufüllen du erst lernen musst.“ Sie roch angenehm, wie eine Blumenwiese an einem sonnigen Sommermorgen.

„Wer bist du? Und wo sind wir hier?“

Sie lachte amüsiert und so wie ihr Lachen verhallte, verblasste auch ihr Körper wieder. „Wir wachen über dich, Sturmpfote.“

Konnte das der SternenClan sein? Sturmpfote war sich nicht sicher, ob er nur träumte oder nicht, denn sprach der SternenClan für gewöhnlich nicht nur mit den Heilern und Anführern? Er fiel zurück in tiefen, erholsamen Schlaf, doch der blumige Duft der unbekannten Katze hing ihm noch eine ganze Weile nach.

Schneeflügel wiegte zufrieden ihren Kopf hin und her und ihre bernsteinfarbenen Augen fixierten den jungen Schüler. „Apfelpelz und Eisbart haben gute Arbeit geleistet.“

„Oder ich bin einfach ein Naturtalent“, feixte Sturmpfote, halb im Scherz und halb ernst gemeint. Ebenfalls zufrieden scharrte er den Sand zur Seite, mit dem er die Frischbeute vom Morgen verdeckt hatte. Zwei Meisen und drei Mäuse, dazu das Eichhörnchen, das er gemeinsam mit Schneeflügel erlegt hatte. Ja, mit dieser Ausbeute konnte er wirklich zufrieden sein.

Sein Training mit Schneeflügel ging bereits seit etwas mehr als einer Woche. Zuerst hatte er die Kriegerin für reserviert gehalten, doch zusammen mit dem Schnee und Eis taute auch Schneeflügel zunehmend auf. Allmählich verstand Sturmpfote, welches tiefe Bündnis einen Mentor und seinen Schüler miteinander verband. Schneeflügel war nun seine erste Ansprechpartnerin im Clan, seine Mentorin, seine Sparringspartnerin. Hin und wieder übte er gemeinsam mit Fleckenpfote oder Milchpfote das Jagen und Kämpfen, aber die meiste Zeit über streifte er entweder alleine mit Schneeflügel oder in einer der Patrouillen durch das Revier des FeuerClans.

Drei Wochen war er bereits beim FeuerClan und er fühlte sich endlich wie Zuhause. Es war Ende März, die Blattleere ging langsam aber sicher in die Blattfrische über und nur noch selten dachte er an seine Zeit als Hauskätzchen zurück.

Schneeflügel half ihm beim Tragen der Beute, die sie gemeinsam durch den Laubwald, über die Lichtung und die Senke hinab ins Lager brachten, wo man bereits auf sie wartete.

Schwarzstern, der gerade mit Haselschweif und Rosentau in ein Gespräch vertieft war, nahm Sturmpfotes Beute zur Kenntnis, nickte einmal kurz und nahm dann den Gesprächsfaden wieder auf. Blaukralle, der gerade von Zimtfeder den Nacken geputzt bekam, schaute ebenfalls auf, versteifte sich aber und warf einen gehässigen Blick in Sturmpfotes Richtung, doch wenigstens blieben die Kommentare aus. Manchmal wünschte Sturmpfote sich, dass der blaue Krieger sich ihm gegenüber offen im Ton vergreifen würde, damit er einen Grund hatte, um ihm die Leviten zu lesen, doch mehr als böse Blicke und Lästereien hinter seinem Rücken gab es nicht.

Als hätte Schneeflügel seine Gedanken erraten, schüttelte sie tadelnd den Kopf. „Vergiss es, Sturmpfote. Erstens würde das nur Unfrieden im Clan stiften und zweitens hättest du keine Chance gegen Blaukralle.“

Er legte die Beute ab, warf Blaukralle einen letzten, finsteren Blick zu und stapfte dann gemeinsam mit Schneeflügel zum Schülerbau. „Wieso nicht? Ich bin ein Stück größer als er und du hast selbst gesagt, dass ich viel Kraft habe.“

„Hast du auch.“ Sie klang, als wäre sie von diesem Thema genervt. „Aber Größe und Kraft sind nicht alles, das solltest du allmählich begriffen haben. Du bist neun Monde alt, Blaukralle zwei Jahre. Er hat mehr Erfahrung im Kämpfen als du, außerdem hast du noch den schlaksigen Körperbau eines Jungtieres.“

Empörung machte sich in ihm breit. Er war mehr als nur ein Jungtier! Sturmpfote plusterte sein Brustfell auf. „Was soll das denn heißen?“

Schneeflügels linkes Ohr, dessen Spitze durch einen Kampf zerfranst war, zuckte, was ein sicheres Indiz dafür war, dass er sie gerade tatsächlich nervte. „Du bist groß und wirst sicherlich noch ein wenig wachsen, aber dir fehlen die richtigen Proportionierungen und die Breite des Körpers. Das kommt erst, wenn du ausgewachsen bist.“

Er wollte etwas erwidern, verkniff es sich aber und murrte stattdessen leise vor sich hin.

Seine Mentorin gähnte, streckte sich und blickte dann zum Bau der Krieger. „Ich werde mich hinlegen. Du hast den restlichen Tag frei. Gute Arbeit für heute, Sturmpfote.“ Dann verabschiedete sie sich mit einem gemächlichen Ruck ihres Schwanzes und krabbelte zu ihrem Nest aus Moos und getrockneten Gräsern.

Sturmpfote streckte sich ebenfalls, verspürte aber zu viel Energie in den Gliedern und stromerte aus diesem Grund einmal quer durch das Lager. Milchpfote lag in der Sonne und döste, wobei er sie nicht stören wollte. Wo war Fleckenpfote? Nicht da. Offensichtlich war er noch mit Apfelpelz unterwegs. Dafür entdeckte er Fleckenpfotes Mutter Herbstwolke, die genau wie ihr Sohn einen schwarzweiß gefleckten Pelz besaß, im Gegensatz zu ihm aber bernsteinfarbene Augen hatte, die sie – so hatte es ihm Milchpfote erzählt – mit ihren Schwestern Steinkralle, Milchpfotes verstorbener Mutter, und Schneeflügel teilte. Das machte Fleckenpfote und Milchpfote zu Cousin und Cousine, außerdem war Sturmpfotes Mentorin die Tante der beiden.

Tief in Gedanken versunken ging Sturmpfote die Verwandtschaftsbeziehungen im Clan durch, was er sehr verwirrend und unübersichtlich fand, da fast jeder irgendwie mit jedem verwandt war, selbst wenn es nur über diverse Ecken und Generationen war.

Schneeflügel, Steinkralle und Herbstwolke waren Schwestern. Ebenso stammten Herbstfleck, Kieselpelz und Zimtfeders Vater aus einem Wurf. Zimtfeders Mutter und Haselschweif waren die Kinder von Falkenherz, der Ältesten. Herbstfleck war die Mutter von Ahornseele und Rindentänzer. Rosentau und Fuchsauge, Schwarzsterns Sohn, hatten zwei Kinder, Apfelpelz und die Heilerin Honigblüte. Rosentau und Blaufell waren die Eltern von Blaukralle. Noch einmal ging Sturmpfote alles durch und kam dann zu dem Schluss, dass Schwarzstern und er als nicht im FeuerClan Geborene frisches, gesundes Blut in die Linien brachten.

Beim SternenClan, was dachte er da eigentlich? Sturmpfote schüttelte sich bei dem Gedanken. Mit seinen neun Monden kam er in das Alter, in dem man auch über andere Bedürfnisse nachdachte. Seine Mutter hatte ihm einmal erzählt, dass Kater und Katzen in seinem Alter von den Zweibeinern an einen Ort gebracht wurden, wo ein anderer Zweibeiner sie aufschnitt und ihnen damit die Fähigkeit nahm, dass sie jemals Junge bekommen konnten. Seiner Mutter war dies erspart geblieben, da ihre Zweibeiner stets gewollt hatten, dass sie Junge mit anderen, langhaarigen Katern bekam.

Wenn Sturmpfote so darüber nachdachte, gab es nicht viele Katzen im Clan, die als Partnerinnen für ihn in Frage kommen würden. Da wären natürlich Milchpfote und Ahornseele, die beide in seinem Alter waren. Oder Zimtfeder, die allerdings bereits die Gefährtin von Blaukralle war, was jeder sehen konnte. Und so, wie der blaue Kater sich in der letzten Zeit um sie kümmerte und um sie herum schlich, würde es Sturmpfote nicht wundern, wenn Zimtfeder bereits Junge von Blaukralle erwartete, die diese Blattfrische geboren werden würden.

Er schien nicht der einzige zu sein, der sich mit den steigenden Temperaturen dem Thema Frühlingsgefühle widmete, denn ein Gespräch zwischen Rosentau und Blaufell riss ihn aus seinen Gedanken.

„Sieh an, sieh an, sieh an“, sprach Rosentau schnurrend, doch in ihrer Stimme lag etwas Schneidendes, Gefährliches. „Du und Kieselpelz. Dann stimmen die Gerüchte also.“

Der große, blaue Kater mit dem dichten Fell nahm Haltung an und musterte Rosentau finster. „Was geht dich das an?“

„Oh, es geht mich überhaupt nichts an, mit wem du dich in deiner Freizeit vergnügst, mein Lieber. Es war lediglich eine Feststellung.“ Rosentau ließ sich elegant auf dem von der Sonne erwärmten Boden nieder und begann sich die Vorderpfoten zu lecken. „Der Clan kann Junge immer gebrauchen. Du wirst dich bestimmt an die glorreiche Zeit erinnern, in der jeder Clan gut drei Dutzend Mitglieder zählte. Die Zeit, in der –“

Blaufell unterbrach sie. „Die Zeit des glorreichen Fuchsauge, ja, ja, ich weiß. Erspar mir deine Nostalgie, Rosentau.“

Die Katze fuhr ihre Krallen aus und wieder ein, als müsste sie sich wirklich beherrschen, um ihrem ehemaligen Geliebten nicht einen Pfotenhieb zu verpassen. „Wie dem auch sei“, sprach sie stattdessen betont ruhig. „Ich wünsche euch beiden für eure Jungen nur das Beste.“ Wieso klang es, als würde sie genau das Gegenteil davon meinen? „Natürlich werden sie niemals auch nur annähernd an Blaukralle herankommen. Du siehst ja selbst, wie weit er es bereits gebracht hat, obwohl er dein lethargisches Blut in sich trägt.“

„Pass auf, was du sagst“, knurrte Blaufell, legte die Ohren an und machte einen drohenden Schritt auf Rosentau zu.

In diesem Augenblick eilte Kieselpelz zu ihm herüber, rieb ihren Kopf beruhigend an seiner Flanke und leckte ihm dann über das Ohr. „Sie ist es nicht wert. Komm.“ Blaufell folgte ihr widerwillig.

„Nur das Beste“, wiederholte Rosentau, dann fiel ihr Blick auf Sturmpfote, der alles mitbekommen hatte. Sie bleckte die Zähne und leckte sich anschließend über die Schnauze. „Auch du wirst noch merken, wo du hingehörst, Hauskätzchen. Auch du wirst es merken.“ Dann rollte sie sich auf die Seite und widmete sich weiter ihrer Körperpflege.
 

***
 

Die Zeit des Trainings flog nur so dahin. Sturmpfote ging vollkommen im Clanleben auf und nach zwei weiteren Wochen – Sturmpfote lebte nun bereits seit bald eineinhalb Monaten im FeuerClan – war wieder Vollmond und die Versammlung der vier Clans stand an. Wie üblich wurde darüber spekuliert, wer Schwarzstern begleiten durfte, doch im Gegensatz zum letzten Mal hatten andere Gesprächsthemen an diesem Tag den Vorrang.

Es war April und Zimtfeder hatte verkündet, dass sie Junge von Blaukralle erwartete, so wie Sturmpfote es sich bereits gedacht hatte. Ihr Bauch war rundlich, prall, aber nicht so dick, wie er es vermutet hätte. Honigblüte hatte sie kürzlich untersucht und angeordnet, dass Zimtfeder in den Bau der Königinnen ziehen sollte, da sie kurz vor der Entbindung stand. Herbstfleck, die es sich zur Lebensaufgabe gemacht hatte den anderen Königinnen und Jungen zu dienen, wich Zimtfeder nun keinen Augenblick mehr von der Seite.

Rosentau stolzierte herum, als würde sie selbst Junge erwarten. Mit stolzgeschwellter Brust ließ sie sich von jedem in ein Gespräch über Zimtfeder und Blaukralle verwickeln und wirkte dabei ungewöhnlich fröhlich und zufrieden. Jeder merkte, wie sehr sie Zimtfeder mochte und sich für ihren Sohn und dessen Gefährtin freute. Trotzdem mutmaßte Sturmpfote, dass Rosentau insgeheim nur darauf hoffte, dass ihre Enkel ebenfalls angesehene Krieger wurden.

Honigblüte hatte sich gegen Mittag zu der Aussage hinreißen lassen, dass Zimtfeders Wurf wohl klein sein würde, aber genau konnte sie das auch nicht vorhersagen.

Am Nachmittag wurde wild darüber spekuliert, wann auch Kieselpelz in den Königinnenbau umziehen würde und wie die Jungen wohl heißen mochten. Die meisten wetteten, dass Blaukralle und Zimtfeder den Namen Fuchsjunges in Gedenken an Fuchsauge wählten, um Rosentau damit eine Freude zu machen.

Am Abend konnten Sturmpfote, Milchpfote und Fleckenpfote das ganze Getratsche nicht mehr hören und zogen sich in ihren Schülerbau zurück, wo sie warteten, bis Schwarzstern eine Versammlung einberief, um zu verkünden, wer ihn bei Mondhoch begleiten würde.

„Ich fordere alle Katzen, die alt genug sind, um selbst Beute zu machen, dazu auf, sich hier zu einem Clan-Treffen zu versammeln.“ Schwarzstern streifte jeden einmal kurz mit seinem Blick, dann nannte er ohne große Umschweife sechs Namen. „Haselschweif, Schneeflügel, Ahornseele, Rindentänzer, Milchpfote und Sturmpfote.“

Ein Raunen ging durch den Clan. Milchpfote stupste ihn erfreut an, während Sturmpfote glaubte, dass er sich verhört haben musste. Doch das Raunen erstarb kurz darauf. Blaukralle und Rosentau warfen ihm finstere Blicke zu, dann verstreuten sich alle über das Lager hinweg.

Haselschweif kam zu ihnen und nickte beiden kurz zu. „Schwarzstern möchte, dass du deine Anwesenheit bei der Versammlung als Ansporn siehst“, teilte er Milchpfote mit. Dann drehte er sich zu Sturmpfote. „Außerdem möchte er dich den anderen Clans als offizielles Mitglied des FeuerClans vorstellen. Haltet euch bereit, wir brechen pünktlich auf.“

Vorfreude, Stolz und Aufregung durchströmte Sturmpfotes Herz.

„Das ist eine große Ehrung“, sagte Milchpfote und nahm ihm damit die Worte aus dem Mund. „Schwarzstern muss wirklich großes Vertrauen in dich und deine Fähigkeiten haben.“

Vor Aufregung wippte sein buschiger, grauer Schwanz unkontrollierbar auf und ab. „Ich freue mich so!“

Fleckenpfote wirkte ein wenig enttäuscht, weil er schon wieder nicht mitgehen konnte, freute sich dann aber für seine beiden Freude und legte sich bald darauf schlafen.

Sturmpfote konnte nicht schlafen. Er bekam kein Auge zu. Zunächst wälzte er sich von einer Seite zur anderen, gab es schließlich ganz auf und wartete einfach, bis Haselschweif am Eingang des Schülerbaus auftauchte. Milchpfote und er folgte dem Zweiten Anführer zum Eingang des Lagers, wo bereits die anderen auf sie warteten.

Wortlos ging Schwarzstern voraus, Haselschweif in etwa einer Fuchslänge Abstand links neben ihm, um Schwarzsterns blinden Fleck, der aus seinem nahezu blinken, linken Auge resultierte, zu decken. Dann Schneeflügel, alleine. Dahinter liefen Ahornseele und Rindentänzer, wobei die junge Kriegerin wie ein Wasserfall ohne Punkt und Komma quasselte, bis sie den Bach erreichten. Zuletzt kamen Milchpfote und Sturmpfote.

Der Bach, der noch vor wenigen Wochen komplett zugefroren und mit einer dicken Schneeschicht bedeckt war, zeigte nun seine wahre Gestalt. Er war an den breitesten Stellen in den Kurven knapp vier Meter breit, ansonsten zwischen zwei und drei Metern und dabei so tief, dass man in der Mitte ein kleines Stück schwimmen musste. Milchpfote erklärte ihm leise, dass es weiter im Norden auch eine Stelle gab, an der sie über Steine und Sandbänke springen konnten, ohne dass mehr als die Pfoten nass wurden, doch Schwarzstern bevorzugte die direkte Streckte ohne Umwege.

Sturmpfote zögerte, weil er nicht wollte, dass das Wasser seinen langen Pelz durchnässte, doch dann legte er die Zweifel ab, um nicht als verweichlichtes Hauskätzchen da zu stehen. Außerdem verzog Milchpfote ebenfalls angewidert das Gesicht, was ihn beruhigte.

Hinter dem Bach schüttelten alle ihr Fell aus und trotteten dann weiter bis zur äußersten, westlichen Grenze des FeuerClan-Territoriums. Von jetzt auf gleich kam eine unsichtbare Linie, hinter der der Geruch des FeuerClans abnahm. Sie ließen die letzten Grenzmarkierungen hinter sich, liefen bergauf und durchbrachen den schützenden Laubwald, als sie auf eine freie Grasebene traten. Der Berg stieg noch eine Weile weiter an, wurde dann oben flacher und schließlich erreichten sie ein Plateau, das übersichtlich war und in dessen Mitte eine riesige, uralte Eiche wuchs – der einzige Baum auf dem gesamten Heiligen Berg.

Der FeuerClan war der letzte Clan. Alle anderen warteten bereits auf sie und Sturmpfote spürte, wie andere ihn bereits verwirrt oder neugierig-interessiert musterten. Er setzte sich absichtlich zwischen Milchpfote und Schneeflügel und legte sich flach auf den Boden, um nicht groß aufzufallen, was natürlich nicht funktionierte. Zu seinem Erstaunen ließ das Interesse an ihm aber schnell nach, als die vier Anführer sich auf zwei tief hängende Äste verteilten. Zu ihren Füßen ließen sich die Zweiten Anführer zwischen den großen, furchigen Wurzeln nieder. Davor verteilten sich in einem Halbkreis die vier Clans.

Das Gemurmel erstarb und alle wandten sich den Anführern zu, die vom Licht des Vollmonds angeschienen wurden.

„Clans des Heiligen Bergs.“ Eine schneeweiße Katzendame mit kurzem Fell und intensiven, blauen Augen ging von einer liegenden in eine sitzende Position über, wobei sie elegant den Schwanz um ihre Pfoten legte.

„Das ist Silberstern, die Anführerin des WasserClans“, flüsterte Milchpfote ihm leise zu. „Ganz links außen ist ihr Clan.“

Sturmpfote war dankbar dafür, dass sie ihm alles erklärte. Er folgte ihrem Blick. Der FeuerClan saß rechts außen, somit dem WasserClan in Luftlinie direkt gegenüber. Bereits auf den ersten Blick war ersichtlich, dass es im WasserClan mehr weiße Katzen gab als in jedem anderen Clan. Mehr als die Hälfte aller anwesenden WasserClan-Krieger war ebenfalls schneeweiß. Auf fünf weiße Krieger kamen nur zwei getigerte. Sturmpfote fielen sofort zwei etwas kleinere, weiße Katzen auf – ebenfalls Schüler?

Dann ergriff Silberstern wieder das Wort. „Hiermit möchte ich die Versammlung eröffnen.“ Ihre Stimme war so klar und schneidend wie die Winterluft und hallte mühelos über alle vier Clans hinweg. „Wie wir bereits bei der letzten Versammlung besprochen haben, hat die Blattleere in allen Clans Opfer gefordert. Die letzten zwei Blattleeren waren – ich muss es leider so nennen – eine Katastrophe für den WasserClan. Umso erfreuter bin ich, dass ich nun verkünden kann, dass wir auf dem Weg zurück zu unserer alten Stärke sind.“ Ihre dunkelblauen Augen hefteten sich auf ihren Clan. „Zum ersten Mal seit sechzehn Monden kann ich verkünden, dass wir wieder Schüler im WasserClan haben. Eispfote und Schneepfote, erhebt euch.“

Die beiden kleineren Katzen standen auf. Eispfote war ein Kater mit glattem, kurzem Fell, einem blauen und einem hellgrünen Auge sowie einem sehr entschlossenen Blick. Schneepfote hatte mittellanges, seidiges Fell und hellblaue Augen. Die ergaben sich demütig den Glückwünschen der anderen Clans und dem stolzen Gejubel aller WasserClan-Krieger, dann legten sie sich wieder hin.

Silberstern wirkte sehr zufrieden. „Wie ihr seht, ist der WasserClan nicht länger durch die Schwäche gekennzeichnet, die uns von einigen anderen nachgesagt wurde.“ Ihren Worten folgte empörtes Zischen und Schnauben des WasserClans. „Wir sind keineswegs angreifbar und steigen bereits zu unserer alten Stärke auf.“ In ihren Worten schwang eine versteckte Drohung mit, doch sie beließ es dabei und legte sich nieder.

Nach ihr stand ein sandfarbener Kater mit dunklen Abzeichen und Gesichtsmaske auf.

„Wacholderstern“, raunte Milchpfote ihm zu. „Der Anführer des LuftClans.“

Wacholderstern reckte sein Kinn in die Höhe. „Auch der LuftClan ist keinesfalls angreifbar. Dank der aufkommenden Blattfrische sind unsere Jagdgründe wieder mit reichlich Beute gefüllt. Leider muss ich euch aber auch eine traurige Nachricht mitteilen. Keiner unserer Ältesten hat die Blattleere überlebt. Davon werden wir uns jedoch keineswegs unterkriegen lassen und wir sehen zuversichtlich in die Zukunft.“ Mit diesen Worten legte auch Wacholderstern sich wieder hin.

„Angeblich hat die Blattleere den LuftClan am schlimmsten getroffen“, murmelte Milchpfote Sturmpfote leise zu. „Jetzt kommt Löwenzahnstern, der Anführer des ErdClans.“

Wie auf Kommando erhob sich ein riesiger Kater mit langem, buschigem Schwanz. Er war sogar noch größer als Schwarzstern und sein Winterfell war dermaßen plüschig, dass es aussah wie eine Löwenmähne. „Dem ErdClan geht es gut. Unsere Jagdgründe sind gut gefüllt und wir erwarten Nachwuchs von drei Königinnen. Außerdem möchte ich euch Rauchpfote vorstellen, unseren neuen Heilerschüler. Tigerfuß wird ihn alles lehren, was er weiß. Erheb dich, Rauchpfote.“

Wie schon zuvor bei Schneepfote und Eispfote stand der Schüler auf und ließ sich von allen vier Clans begrüßen. Rauchpfote hatte rauchgraues Fell und einen wachen, aber auch leicht nervösen Blick. Er schien froh zu sein, als er sich wieder hinlegen durfte.

„Weitere Neuigkeiten gibt es nicht.“ Löwenzahnstern ließ sich nieder. Offenbar war er nicht gerade von der gesprächigen Sorte.

Zuletzt stand Schwarzstern auf. Sturmpfote hatte ihn immer für groß und majestätisch gehalten, aber neben Löwenzahnstern wirkte selbst Schwarzstern klein und zierlich. „Katzen aller vier Clans“, begann Schwarzstern. „Auch ich habe Neuigkeiten zu verkünden, die mit dem Zuwachs des FeuerClans zu tun haben. Zunächst möchte ich euch Ahornseele und Rindentänzer vorstellen, die beiden neusten Krieger im FeuerClan. Erhebt euch.“

Die beiden ließen den Jubel wortlos über sich ergehen und brachten alles schnell hinter sich.

Dann fuhr Schwarzstern fort und mit jedem Wort begann Sturmpfotes Herz schneller zu klopfen. „Wir erwarten Nachwuchs von zwei Königinnen.“ Schwarzstern stockte minimal, aber dennoch wahrnehmbar, als müsste er erst Kraft sammeln, um die folgenden Worte auszusprechen. „Außerdem hat der SternenClan zu unserer Heilerin Honigblüte gesprochen, weshalb wir uns dazu entschlossen haben das Hauskätzchen Sturm in den FeuerClan aufzunehmen.“ Geschockte Laute gingen durch die drei anderen Clans. „Zwei Wochen lang hat er sich bewährt und ist nun zu einem vollwertigen Mitglied des FeuerClans und offiziell zum Schüler ernannt worden. Sturmpfote, erheb dich.“

Sturmpfotes Beine zitterten, als er aufstand, und das Blut rauschte in seinen Ohren. Schwarzsterns letzte Worte gingen in dem aufgebrachten Gerede unter. Der WasserClan sträubte aufgebracht und wütend sein Fell, der LuftClan stimmte ebenfalls in die Abwertung mit ein. Nur der ErdClan blieb vergleichsweise ruhig, auch wenn keiner begeistert aussah.

„Ein Hauskätzchen?“ Silberstern war mit gesträubtem Fell aufgesprungen und fixierte nun Schwarzstern. „Wie kannst du das Gesetz der Krieger dermaßen mit den Pfoten treten! Ein Hauskätzchen ist verweichlicht und schwach und hat nichts am Heiligen Berg zu suchen!“

Schwarzstern erwiderte ihren herausfordernden Blick. „Und was willst du dagegen tun, Silberstern? Der SternenClan hat Sturmpfote als Schüler des FeuerClans bereits akzeptiert.“

„Hat er das wirklich oder erzählst du uns das nur, um zu rechtfertigen, dass eine HalbClan-Katze wie du nun auch noch Hauskätzchen aufnimmt?“

„Hüte deine Zunge!“ Schwarzsterns Worte warten ein tiefes, drohendes Grollen, das Silberstern und ihr Clan damit quittierten, dass sie sich erhoben und laut fauchten.

Wacholderstern funkelte Schwarzstern ebenfalls an. „Einst war der FeuerClan ehrbar, doch nun besteht berechtigter Zweifel daran, dass eine HalbClan-Katze den FeuerClan führen kann.“

„Das reicht“, unterbrach Löwenzahnstern die drei Streithähne und seine pure, massige Gestalt reichte aus, um auch die Clankatzen zu ihren Füßen zu beruhigen. „Schwarzsterns Position als Anführer steht nicht zur Diskussion. Der SternenClan hat ihn als Anführer des FeuerClans angenommen und aus diesem Grund werden wir seine Entscheidungen für seinen Clan akzeptieren.“

Nur widerwillig setzten Wacholderstern und Silberstern sich wieder auf ihren Ast. Sie rückten näher zusammen wie eine Einheit im Kampf gegen HalbClan-Katzen, Einzelläufer und Hauskätzchen.

Löwenzahnstern drehte sich zu Schwarzstern um. „Doch auch ich muss zu bedenken geben, dass ein Hauskätzchen am Heiligen Berg nichts zu suchen hat.“

„Er ist kein Hauskätzchen mehr“, ergriff Schwarzstern für Sturmpfote Partei und der junge Schüler fühlte Dankbarkeit für seinen Anführer. „In seinem Herzen war Sturmpfote auch niemals ein Hauskätzchen. Der SternenClan hat ihn zu uns geführt und nur aus diesem Grund haben wir ihn aufgenommen. Er ist jetzt einer von uns, ein Teil des FeuerClans.“

Löwenzahnstern neigte sein Haupt. „Fürwahr, so sei es dann. Hast du uns sonst noch etwas zu berichten?“

Schwarzstern nutzte die kurze Verschnaufpause, um seine Haltung wieder zu finden. „Nein, das war alles.“

„Gut. Dann beende ich hiermit die Versammlung. Kehrt alle sicher in eure Lager zurück.“ Löwenzahnstern sprang von seinem Ast und landete mit einem dumpfen Geräusch auf dem Boden. Ihm folgten die anderen Anführer und sie alle gingen zu ihren Clans.

„Macht euch bereit“, sagte Schneeflügel leise und erhob sich bereits mit gespannten Muskeln. „Der Heilige Berg ist kein Ort des Kampfes, doch dem WasserClan ist nicht zu trauen. Es ist besser, wenn wir hier so schnell wie möglich verschwinden.“

„Es ist meine Schuld, dass der Streit ausgebrochen ist“, sprach Sturmpfote, doch seine Mentorin schüttelte sanft den Kopf.

„Nein, Sturmpfote. Du kannst nichts dafür, dass Silberstern das Gesetz der Krieger sehr streng auslegt und Wacholderstern nicht genug Mumm besitzt, um ihr zu widersprechen.“

Kaum waren Haselschweif und Schwarzstern bei ihnen, verließen sie als geschlossene Gruppe den Heiligen Berg.
 

***
 

Sie kehrten zum Lager des FeuerClans zurück und rochen die Aufregung noch vor dem Eingang zum Lager.

„Was ist passiert?“ Schwarzstern schob sich an den anderen vorbei, bis er auf Eisbart traf, der wie ein Ruhepol inmitten des versammelten Clans stand.

„Nichts, was diese Aufregung rechtfertigt.“ Eisbart gähnte gelangweilt. „Zumindest nicht für alle von uns. Zimtfeder hat ihre Jungen zur Welt gebracht. Das hat Honigblüte aus dem Schlaf gerissen. Sie ist jetzt zusammen mit Herbstfleck und Blaukralle bei Zimtfeder.“

Schwarzstern entspannte sich. „Gut. Wie geht es Zimtfeder? Wie viele Jungen sind es?“

„Wissen wir noch nicht“, keifte Rosentau ungehalten und stapfte breitbeinig im Lager herum. „Herbstfleck und Honigblüte lassen mich nicht in den Königinnenbau und Blaukralle ist noch nicht draußen gewesen.“

Genervt legte Schwarzstern ein Ohr an. „Es bist auch nicht du, die ein Recht auf die Ruhe des Königinnenbaus hat.“

Rosentau duckte sich unter den barschen Worten ihres Anführers hinweg und kauerte sich schlecht gelaunt in die Menge.

Es dauerte nicht lange, bis sich etwas tat. Blaukralle krabbelte aus der Abzweigung, die Honigblütes Heilerbau vom Königinnenbau trennte, schwieg jedoch beharrlich und wartete, bis Honigblüte an seine Seite trat. Herbstfleck war auch zu sehen, sie blieb jedoch in der Deckung des Baus.

„Was kannst du uns mitteilen, Honigblüte?“, fragte Schwarzstern.

Honigblüte wirkte seltsam gefasst, was gar nicht zu ihrer Art passte, obgleich ihr Schwanz minimal zuckte und verriet, dass etwas tief in ihr vorging. „Kaum dass ihr zur Versammlung gegangen seid, haben bei Zimtfeder die Wehen eingesetzt. Sie hat sich tapfer durch ihre erste Geburt gekämpft und ein gesundes Junge zur Welt gebracht.“

Erleichterung durchströmte den Clan und die ersten riefen bereits Glückwünsche. Rosentau hingegen sah enttäuscht aus, ganz so, als wollte sie sagen: „Nur eins?“

„Aber das ist nicht alles“, stellte Schwarzstern fest.

Honigblüte atmete tief ein und aus. „Nein, das ist nicht alles.“ Sie nickte Blaukralle zu.

Die Augen des Katers leuchteten vor Stolz und Freude. „Ich verkünde hiermit, dass mein erstes Junge, meine Tochter, den Namen Fliederjunges tragen wird.“

Fliederjunges, nicht Fuchsjunges. Rosentau hätte nicht enttäuschter aussehen können, doch sie fasste sich schnell wieder.

Schwarzstern hingegen hatte seinen Blick keine Sekunde von Honigblüte gelassen. Seine Brust vibrierte leicht. „Was noch, Honigblüte?“

Es wurde still und alle warteten auf das, was die Heilerin zu verkünden hatte.

Honigblüte sammelte sich, dann sprach sie: „Der SternenClan hat zu mir gesprochen. Fliederjunges ist dazu auserwählt, meine Nachfolgerin zu werden. Sobald sie alt genug ist, werde ich sie in den Künsten der Heiler unterweisen und im Alter von sechs Monden wird sie meine Schülerin werden.“

Sobald sie alt genug ist. Sturmpfote fand, dass es so klang, als hätte Honigblüte keine Zeit mehr mit Fliederjunges‘ Ausbildung zu verlieren.

Mitte April hatte die Blattfrische endgültig über die Blattleere gesiegt. Überall grünte es, die ersten Blüten bildeten sich an Bäumen und Blumen und alle schienen glücklicher und zufriedener zu sein, da die Jagdgründe wieder ergiebiger wurden. Die Versammlung am Heiligen Berg lag erst wenige Tage zurück, trotzdem war sie schon kein Gesprächsthema mehr. Stattdessen tratschte man einfach über die anderen Clans, ging dem alltäglichen Clanleben nach oder spekulierte, was an Fliederjunges so besonders war, dass der SternenClan sie bereits bei ihrer Geburt als zukünftige Heilerin des FeuerClans auserwählt hatte.

„Lasst mich mit diesem Getratschte in Ruhe“, knurrte Honigblüte jeden an, der ihr auch nur ansatzweise Fragen über Fliederjunges stellte. Blaukralle und Rosentau hingegen waren dafür umso gesprächiger.

„Der SternenClan erkennt damit ganz offensichtlich an, welch wichtiger Bestandteil des Clans meine Blutlinie ist.“ Rosentau machte nicht einmal den Versuch, ihr Ego zu verstecken. Genüsslich leckte sie sich nach ihrer Mahlzeit die Schnauze. „Meine Tochter Honigblüte ist Heilerin und nun wird auch meine Enkelin eine Heilerin werden. Zudem ist Blaukralle der beste Kandidat, um eines Tages Anführer zu werden.“ Sie schnurrte inbrünstig. „Fuchsauge wäre ja so stolz.“

„Fuchsauge und Blaukralle sind nicht mehr miteinander verwandt als du und ich“, korrigierte Eisbart sie genervt, stapfte an ihr vorüber in den Schatten der Büsche, die entlang der Ränder des Lagers wuchsen, und putzte sich dort sein Fell.

Milchpfote machte Anstalten ihrem Vater zu folgen, blieb aber pflichtbewusst stehen, als Haselschweif auf die drei Schüler des Clans zulief. „Du hast heute sehr gut gejagt“, lobte er seine Schülerin und nickte auch Fleckenpfote und Sturmpfote zu. „Du bist zusammen mit Rindentänzer, Blaufell und mir für die Patrouille der nördlichen Revierhälfte eingeteilt. Fleckenpfote, du und Sturmpfote, ihr geht mit Blaukralle, Schneeflügel und Apfelpelz ins südliche Revier.“

„Alles klar.“ Fleckenpfote streckte zuerst seine Hinterläufe, dann die vordere Körperhälfte und schlang noch schnell den letzten Rest seiner Maus herunter. „Auf geht’s! Bis später, Milchpfote.“

„Bis später.“

Die Gruppe trennte sich und sie gingen zum Eingang, an dem bereits Blaukralle, Schneeflügel und Apfelpelz auf sie warteten. Blaukralle schnaubte wie immer abwertend, als er Sturmpfote zu nahe kam, doch Schneeflügel und Apfelpelz verwickelten den blauen Krieger in ein Gespräch über seine Tochter Fliederjunges und seine Gefährtin Zimtfeder, woraufhin er Sturmpfote einfach ignorierte.

Sturmpfote und Fleckenpfote liefen den drei Kriegern schweigend hinterher, lauschten zum Teil dem Gespräch, zum Teil den Geräuschen des Waldes und dem Wind in den Baumkronen.

„Zimtfeder hat sich gut von der Geburt erholt“, erzählte Blaukralle gerade. „Am Anfang hatte Honigblüte Sorge, dass Zimtfeder eventuell nicht genügend Milch produzieren würde, weil sie so klein ist, aber diese Sorge ist unbegründet. So wie es aussieht, wird Fliederjunges mein blaues Fell mit einigen cremefarbenen Stellen bekommen. Man sieht sofort, dass sie meine Tochter ist.“

Bla, bla, bla. Sturmpfote verdrehte die Augen und war froh, dass Blaukralle ihn dabei nicht sehen konnte, denn sonst wäre er ihm unter Garantie direkt an die Kehle gesprungen.

„Meinst du, dass Milchpfote bald erneut ihre Kriegerprüfung ablegen kann?“

Dankbar für den Themenwechsel ging Sturmpfote sofort darauf ein. „Ich denke schon. Ihr letzter Versuch ist jetzt auch schon gut einen Mond her oder nicht? Sie erledigt im Prinzip schon die Aufgaben eines vollwertigen Kriegers, nur dass sie noch ihren Schülernamen trägt.“

Fleckenpfote nickte. „Ich denke auch, dass Haselschweif ihr bald eine neue Chance geben wird. Wie sie dann wohl als Kriegerin heißen wird? Vielleicht Milchsturkopf oder Milchbesserwisser.“ Der gefleckte Kater kicherte vor sich hin.

Nach einer Weile blieb die Gruppe stehen und begann die Grenze zum ErdClan entlang des Bachlaufs zu markieren. Sie hatten gerade die Hälfte der Strecke geschafft, als auf der anderen Seite zwei ErdClan-Katzen aus den Schatten der Nadelbäume traten.

„Oho, das Hauskätzchen auf Patrouille.“ Es schwang keine Feindseligkeit in der Stimme mit, wofür Sturmpfote dankbar war. Der weiße Kater hatte langes, dichtes Fell und eine überdurchschnittliche Größe, so wie fast alle ErdClan-Katzen. Dazu kamen graue und rote Stellen im Gesicht und am buschigen Schwanz sowie türkisgrüne Augen.

„Borkenschnabel!“, begrüßte Schneeflügel den Kater fröhlich und bekam ein Kopfnicken als Antwort. „Und deinen Schüler hast du auch dabei. Mohnpfote, du bist wirklich groß geworden. Als ich dich das letzte Mal gesehen habe, warst du nur halb so groß.“

Mohnpfote plusterte sein flammend rotes Fell stolz auf, sagte jedoch nichts, sondern musterte stattdessen Sturmpfote.

Borkenschnabel lachte. „Ja, ein richtiger ErdClan-Kater. Und das ist also Sturmpfote, über den alle nach der Versammlung geredet haben.“

Schneeflügel blickte ihren Schüler kurz von der Seite aus an. „Ja, das ist er. Mein Schüler.“

„Es ist gut, dass Schwarzstern dich endlich mit einem eigenen Schüler betraut hat. Es wurde wirklich Zeit.“

„Genug Plauderei“, unterbrach Blaukralle sie mit einem leisen Grollen in der Kehle. „Wir sind nicht hier, um uns mit dem ErdClan anzufreunden.“

„Wie immer eine Freude, Blaukralle.“ Borkenschnabel verneigte respektvoll, jedoch mit einem spöttischen Funkeln in den Augen sein Haupt, dann kehrte er dem Bach den Rücken zu und schlenderte davon.

Mohnpfote starrte Sturmpfote noch einen Moment lang an, dann drehte auch er sich weg und schloss zu seinem Mentor auf, wobei man noch gut hören konnte, dass er sagte: „Sturmpfote sieht wirklich aus wie einer von uns.“

Blaukralle blickte den beiden ErdClan-Katern mit zusammengekniffenen Augen hinterher, dann wandte er sich an seine Begleiter. „Wir haben Zeit verloren. Ich schlage vor, dass wir uns aufteilen. Eine Gruppe übernimmt mit mir die Ostgrenze, eine Gruppe macht die Arbeit hier am Bach zu Ende.“

Apfelpelz schien nur vor Augen zu haben, dass sie mit Blaukralles Vorschlag schneller fertig sein würden, weshalb er sofort zustimmte. „Fleckenpfote und ich bleiben einfach hier.“

„Meinetwegen. Hier am Bach haben wir mehr Arbeit. Sturmpfote, du hast die Ostgrenze noch nie gemacht oder?“

Er schüttelte den Kopf.

„Gut, dann wirst du mit Blaukralle gehen und wir machen hier alles fertig.“ Schneeflügel wies Sturmpfote mit einem Zucken ihres Schwanzes an, dass er Blaukralle folgen sollte, während sie am Bach blieb.

Sie durchquerten das Revier auf dem kürzesten Weg, bis sie das Rauschen des Baches nicht mehr hören konnten und auch der Geruch des FeuerClans allmählich schwächer wurde. Sturmpfote war nur einmal an der südöstlichen Grenze gewesen, weil dahinter die Wildnis lag. Alles, was sich hinter der Grenze befand, stellte eine potenzielle Gefahr für die Clankatzen dar. Sturmpfote war überhaupt nicht davon begeistert, dass er nun alleine mit Blaukralle unterwegs war, aber er wollte Schneeflügel auch nicht verärgern.

Schweigend markierte Blaukralle zuerst einen Baum, dann ein Stück weiter einen Felsen und wieder einen markanten Baum. Er trottete unbeirrt weiter und Sturmpfote folgte ihm, bis er merkte, dass sie die Grenze übertreten hatten.

Nervös blickte Sturmpfote sich um. „Wir sollten nicht hier sein oder?“

Blaukralle knurrte leise. „Hast du etwa Angst, Hauskätzchen? Nur weil wir uns an der Grenze zur Wildnis aufhalten?“

„Wir sind doch schon längst hinter der Grenze“, beharrte Sturmpfote, blickte zurück zu den markierten Bäumen, die sich im Dickicht verloren. Doch Blaukralle ging einfach weiter. Er wollte nicht als Feigling dastehen, aber er spürte auch, wie sich sein Herzschlag beschleunigte.

„Du glaubst auch, dass du das Territorium des FeuerClans besser kennst als ich, nicht wahr?“ Herausfordernd blickte Blaukralle ihn an und blieb unvermittelt stehen. „Oder hast du etwa doch Angst und bist in Wahrheit einfach nur ein bemitleidenswertes, schwaches Hauskätzchen?“

Sturmpfote streckte die Schultern durch. „Nein! Ich bin ein Schüler des FeuerClans!“

Blaukralle erwiderte seinen Blick. „Wenn wir hier weiter gehen, kommen wir irgendwann zum Donnerweg der Zweibeiner. Das ist der Weg zu deinem Zuhause, Hauskätzchen.“

Er begann leise zu knurren. „Nein, das war niemals mein Zuhause. Ich gehöre in den FeuerClan und daran wirst du nichts ändern, Blaukralle.“

Der Krieger bleckte seine spitzen, weißen Zähne. „Und du zeigst einem Krieger gegenüber keinen Respekt. Was Schneeflügel und Schwarzstern nur dazu sagen werden, dass du beim kleinsten Anzeichen von Gefahr kneifst?“

Diese Worte rüttelten Sturmpfote durch. Würde Blaukralle wirklich erzählen, dass er an der Grenze zur Wildnis unsicher war? Natürlich würde er das. Empört legte Sturmpfote die Ohren an. „Ich kneife nicht.“

„Gut. Das ist gut.“ Zufrieden ließ Blaukralle seinen Blick über die Umgebung schweifen. „Dann beweise es mir. Eine richtige Clankatze hätte keine Angst, die Grenze zu übertreten und in die Wildnis zu gehen, um Heilkräuter für den Clan zu besorgen.“

Heilkräuter? Wuchs nicht alles, was Honigblüte brauchte, in ihrem Revier? „Welche Heilkräuter?“

„Nichts Besonderes“, sagte Blaukralle gedehnt und deutete in eine Richtung. „Geh einfach in diese Richtung und bring etwas Katzenminze mit. Du hast ja schließlich keine Angst, nicht wahr?“

„Nein, habe ich nicht.“ Er wollte Katzenminze? Gut, dann bekam er diese blöde Katzenminze. Sturmpfote stapfte an Blaukralle vorbei in die Büsche. Die Erde war feucht und moosig, dann wieder trocken. Schritt um Schritt kämpfte er sich durch die Hecken und Büsche, kletterte über Wurzeln, unter tief hängenden Ästen hindurch und entfernte sich dabei unbemerkt immer weiter von der Grenze des FeuerClans.

Zuerst rauschte das Blut in seinen Ohren, weil er sich so über Blaukralles überhebliche Art aufregte, doch je länger er ging, desto mehr fragte er sich, ob Blaukralle ihn einfach nur verarscht hatte. Honigblüte brauchte mit Sicherheit keine Katzenminze von außerhalb, weil sie immer genügend Vorräte hatte. Milchpfote und Fleckenpfote hatten nie davon erzählt, dass sie die Grenzen überschritten hatten. Verunsichert blieb er stehen und witterte. Blaukralle war schon lange nicht mehr zu riechen und auch der FeuerClan drang kein bisschen an seine Nase. Ohne den vertrauten Geruch seines Clans fühlte er sich auf einmal alleine und schutzlos. Ob er einfach umkehren sollte?

Sturmpfote ging noch einige Schritte und bemerkte zu spät, dass sich kleine Steinchen und Split unter dem Gewicht seiner Pfoten lösten. Im nächsten Moment brach der Boden unter ihm weg und er stürzte in die Tiefe.
 

***
 

Mehrmals war Sturmpfote kurz davor in die silberblaue Welt des SternenClans abzutauchen, doch es fühlte sich an, als würde ihm diese mystische Parallelwelt immer wieder durch die Pfoten rinnen wie ein Wasserstrom. Mal glaubte er Umrisse zu sehen, dann wieder versank er in Traumlosigkeit. Ihm schien es, als würde jemand seinen Namen rufen, doch es war niemand da.

Als er stöhnend die Augen öffnete, lag er auf kalter Erde und Geröll. Mindestens drei oder vier Fuchslängen über ihm klaffte ein Hang, an dem noch einige Grasbüschel hangen und sich an die Erdfetzen klammerten, die er nicht mit herunter gerissen hatte. Er war gestürzt – und Blaukralle hatte ihn direkt hierher gelotst.

Knurrend setzte er sich auf. Wie hatte er Blaukralle nur vertrauen können? Er hätte auf sein Bauchgefühl hören sollen! Von wegen die Grenzen nur ein wenig übertreten, er musste ganz schön weit vom FeuerClan-Territorium entfernt sein.

Ein schmatzendes Geräusch lenkte seine Aufmerksamkeit auf sich und als er herumwirbelte, glaubte er bereits Blaukralle zu sehen, doch im nächsten Augenblick starrte er nur auf … ein Etwas? Das Loch, in das er gefallen war, maß vielleicht zwei mal drei Meter und am anderen Ende kauerte ein Kater – unkastriert, das roch man – und kaute auf den Resten einer Nacktschnecke herum. Bei dem Anblick drehte sich Sturmpfote beinahe der Magen um, doch noch schlimmer war der Geruch nach Eiter und Verwesung. Ging er von dem Kater mit den vielen kahlen Stellen aus oder stank er nur danach? Sturmpfote wollte es lieber nicht so genau wissen.

Unsicher schaute er sich um, konnte jedoch keine Möglichkeit erkennen, wie man aus diesem Loch einfach herausklettern konnte.

Der Kater, der gerade sein Mahl beendete, gähnte und entblößte dabei entzündetes Zahnfleisch und Zahnlücken. „Verwirrt?“

„Ich … wer bist du?“

„Wer bist du?“

Gefahr ging von dieser Flohschleuder offensichtlich keine aus, also entspannte Sturmpfote sich wieder ein bisschen. „Sturmpfote aus dem FeuerClan.“

Der Unbekannte begann amüsiert zu keckern. „Nein, nein. Schneckenpfote passt eher.“

„Sturmpfote“, wiederholte er genervt, stand auf und ging an den Wänden auf und ab.

„Schneckenpfote“, beharrte der Kater, schwankte auf ihn zu und tippte ihm mit der stinkenden Pfote gegen den Kopf. „Weil du da drin so langsam bist wie eine Schnecke. Einfach schnurstracks in die Falle gelaufen. Ja, ja. Schnecken im Kopf.“

Sturmpfote ekelte sich vor dem Kater, blieb aber stehen und erwiderte den Blick seiner glasigen, fiebrigen Augen. Sie tränten und eines der Augen zuckte unkontrolliert. „Du hast das beobachtet?“ Warum war ihm der strenge Geruch des Katers dann nicht vorher aufgefallen?

„Augen sind überall. Flohnacken sieht viel, oh ja. Viel. Wenig. Alles. Nichts.“ Wieder keckerte er und eine Spur Wahnsinn legte sich in das abgehackte Lachen. „Was bedeutet das schon?“

„Kannst du mir sagen, wie ich hier wieder raus komme?“

„Hast doch vier gesunde Pfoten, die dich tragen können. Schneckenhirn.“

Er rollte mit den Augen. Welchen Sinn hatte dieses Gespräch schon. Flohnacken schien ein Einzelläufer zu sein und ganz offensichtlich hatte er sie nicht mehr alle.

„Du wirst nie ein Teil des Clans.“

„Bitte?“

„Hat der Blaue gesagt, als er geguckt hat. Der Blaue. Lass Flohnacken überlegen, dann fällt ihm der Name auch wieder ein.“

„Blaukralle war hier und hat mich einfach liegen gelassen?“ Fassungslos starrte Sturmpfote Flohnacken an. Nicht nur, dass Blaukralle ihn absichtlich in die Falle hatte laufen lassen, er hatte ihm nicht einmal geholfen! Vor Wut sträubte sich sein Fell in alle Richtungen. „Wenn ich den in die Pfoten kriege!“ Ja, was dann? Würde Schwarzstern ihm glauben?

Flohnacken hatte sich bereits wieder wichtigeren Dingen zugewandt und pflückte eine weitere schwarze, glitschige Nacktschnecke von der Wand und begann sie mit den noch vorhandenen Zähnen zu zerbeißen.

Sturmpfote war wütend, sehr wütend. Wie ein Wahnsinniger sprang er an dem Hang hinauf, krallte sich in Erde und Wurzeln und hievte sich auf diese Wiese in Rekordschnelle bis ans obere Ende, wo er sich über die Kante zog. Als er einen Blick über die Schulter warf, knatschte Flohnacken noch immer die Schnecke.

„Kümmer dich nicht um mich“, sagte der Kater kichernd und fixierte Sturmpfote von unten. „Flohnacken kommt alleine klar. Ich nehme einfach den alten Kaninchenbau, durch den ich auch zu dir gekommen bin.“

Ein Kaninchenbau? Erst jetzt fiel Sturmpfote das Loch auf, das an einer Stelle der Bruchkante freigelegt war. „Du solltest dir lieber einen anderen Lebensraum suchen. Die Wildnis ist gefährlich.“

Flohnacken begann wahnsinnig mit den Augen zu rollen. „Clanleben ist auch gefährlich. Gesetz der Krieger. Sie stoßen Ihresgleichen aus, nur weil sich Blut vermischt. Hat Flohnacken schon alles gesehen. Augen sind überall. Überall, sage ich dir!“ Dann wurde sein Lachen immer lauter und schriller, bis es in ein schleimiges Husten überging. „Und bald wird Blut fließen, ich habe es gesehen!“

Okay, der war definitiv verrückt. Sturmpfote ließ Flohnacken mit seiner Schnecke alleine, eilte durch die Büsche, das Unterholz und begann bald darauf in einen Laufschritt zu verfallen. Seine Glieder schmerzten vom Sturz, aber das war nichts, was ihn aufhalten würde. Die Sonne ging bereits unter und als er endlich wieder das Gebiet des FeuerClans unter den Pfoten hatte, war es dunkel.

Sturmpfotes Herz klopfte vor Anstrengung, Wut und Angst, als er den Hang zum Eingang des Lagers herunter glitt und mitten in eine Clanversammlung platzte.

Rosentau legte fauchend die Ohren an, als sie ihn sah. Blaukralle stand neben Schwarzstern und Haselschweif, schräg hinter ihm saß Schneeflügel und warf Sturmpfote einen enttäuschten, missbilligenden Blick zu. Kieselpelz und Blaufell sträubten ebenfalls leicht ihr Fell. Verwirrt suchte Sturmpfote die Blicke von Milchpfote und Fleckenpfote, doch beide schauten nur peinlich berührt zu Boden.

„Verräter!“, spuckte Rosentau ihm entgegen. „Erst missachtest du die Grenzen des Clans und behandelst einen Krieger respektlos, indem du seine Anweisungen missachtest, und jetzt traust du dich auch noch zurück!“

Schwarzstern schaute streng zu ihm herüber und winkte ihn mit der Schwanzspitze zu sich. „Sturmpfote, wo bist du gewesen?“

„Ich war mit Blaukralle an der südöstlichen Grenze unterwegs, als er mich dazu angestachelt hat die Grenze zu übertreten und immer tiefer in die Wildnis zu gehen. Ich wollte das nicht, aber ich dachte, dass es das Richtige wäre!“

„Lügner!“ Gemeinsam mit Rosentau erbosten sich auch Kieselpelz und Blaufell über seine Worte. Herbstwolke und Herbstfleck sträubten zwar ein wenig ihr Fell, gaben jedoch keine Kommentare ab. Falkenherz, die alles von ihrem Bau aus beobachtete, verzog das Gesicht, schwieg jedoch ebenfalls.

Rosentau hingegen kam gerade erst so richtig in Fahrt. Sie stapfte langsam auf Sturmpfote zu, dessen Fell sich als Reaktion ebenfalls zu sträuben begann. „Wie kannst du es wagen einen so ehrbaren Krieger wie Blaukralle als Lügner zu beschimpfen!“

„Ich habe einen Zeugen!“, rief Sturmpfote ihr entgegen. Warum nur glaubte man ihm nicht? Zornig funkelte er Blaukralle an, der starr wie eine Statue an Schwarzsterns Seite stand. Er sah nicht aus, als wäre er glücklich mit dem, was er getan hätte, aber ein gewisser Ausdruck von purer Pflichterfüllung strahlte in seinem Gesicht. Dennoch zuckte er bei der Erwähnung des Zeugen minimal zusammen.

Er wusste nicht, ob Schwarzstern dies auch bemerkt hatte, doch der Anführer beendete die Gespräche und das Fauchen. Dann drehte er sich ganz zu Sturmpfote. „Wer soll dein Zeuge sein?“

„Ein Einzelläufer namens Flohnacken. Er hat alles gesehen.“

Blaukralle atmete aus.

Schwarzsterns Ohren zuckten leicht.

Rosentau begann zu lachen. „Flohnacken? Die alte Bazillenschleuder ist wahnsinnig, das weiß jeder. Er streunt in weiten Kreisen um das Gebiet der vier Clans herum. Es wundert mich, dass er überhaupt noch am Leben ist. Gib einfach zu, dass du dir das nur ausgedacht hast. Du bist für das Leben im FeuerClan nicht geeignet!“

Schwarzstern brachte auch Rosentau zum Schweigen. Eine Weile musterte er Sturmpfote schweigend, dann schüttelte er den Kopf. „Du hast das Gebiet des FeuerClans verlassen und damit dich und deinen Clan in der Wildnis in Gefahr gebracht. Zur Strafe wirst du eine Woche lang Falkenherz‘ Bau alleine reinigen und sie versorgen. Zudem verfüge ich, dass du für diese Woche von allen Aktivitäten mit den anderen Schülern ausgeschlossen bist. Schneeflügel wird dich weiter unterrichten. Sieh dies als einmalige Warnung an, Sturmpfote. Sollte so ein Vorfall erneut passieren, werde ich dich härter bestrafen müssen.“

Rosentau und Blaukralle sahen unzufrieden aus, zogen sich jedoch schnell zurück, als sich die Versammlung auflöste.

Sturmpfote atmete erleichtert durch. Zwar bedeutete diese Strafe eine Mehrbelastung für ihn und er würde eine Woche lang nichts mit Milchpfote und Fleckenpfote unternehmen können, aber wenigstens hatte Schwarzstern ihn nicht des Clans verwiesen, so wie Rosentau und Blaukralle es offensichtlich gehofft hatten. Er warf den beiden noch einen letzten, finsteren Blick zu, dann ging er zum Schülerbau.

Milchpfote und Fleckenpfote schlossen kurze Zeit später zu ihm auf. „Sturmpfote, was sollte die Aktion denn!“ Fleckenpfote ließ sich neben ihn auf das Moosnest fallen. „Was hast du dir nur dabei gedacht?“

„Ich wusste zwar, dass Blaukralle mich hasst, aber ich dachte nicht, dass er zu solchen Mitteln greifen würde“, erwiderte Sturmpfote frustriert.

Milchpfote ließ sich zu seiner anderen Seite nieder und begann sich die Pfoten zu lecken. „Du sagst also, dass Blaukralle uns alle angelogen hat und deine Version stimmt?“

„Ja, genau das tue ich. Glaubst du mir nicht?“

Die beiden wechselten einen schnellen Blick, dann seufzte Fleckenpfote. „Ich glaube dir. Dass Blaukralle dich nicht leiden kann, ist allgemein bekannt. Er würde dich am liebsten sofort aus dem Clan verbannen, wenn er könnte.“

„Trotzdem ist er ein sehr angesehener Krieger und das würde bedeuten, dass er seinen Anführer und seinen Clan ganz offen angelogen hat“, gab Milchpfote zu bedenken. „Ich weiß nicht, wem von euch beiden ich glauben soll.“ Dann seufzte sie. „Aber ich bin froh, dass du bleiben darfst. Falkenherz ist sehr nett, sie wird dir das Leben bestimmt nicht zu schwer machen.“
 

***
 

„Wir müssen reden.“

„Ich habe wirklich nicht gelogen!“

Schneeflügel schüttelte den Kopf. „Darum geht es nicht und zu diesem Vorfall möchte ich auch nichts mehr hören. Du weißt selbst, dass du die Grenzen des Clans unerlaubt übertreten hast. Bei allem Weiterem steht Blaukralles Wort gegen deins.“

Sturmpfote war frustriert. Nach dieser Sache straften ihn fast alle im Clan mit Missachtung und ignorierten ihn. Nur Falkenherz war wie immer und schien sich sogar noch mehr Mühe als sonst zu geben, indem sie Sturmpfote mit Geschichten aus ihrer Kriegerzeit aufzumuntern versuchte. „Worum geht es dann?“

Schneeflügel ließ sich unter einer Buche nieder, Sturmpfote folgte ihr. „Es geht um deine Ausbildung. Apfelpelz und Eisbart haben bereits gute Vorarbeit geleistet und auch ich bin mit dir bisher sehr zufrieden. Du machst dich gut und ich denke, dass es ein Vorteil für dich ist, dass du schon acht Monde alt warst, als du zu uns gekommen bist. Dadurch sind deine Sinne und deine Motorik besser entwickelt als bei den anderen Schülern, wenn sie mit sechs Monden ihre Ausbildung beginnen.“

Er gähnte müde. „Das klingt nach einem Aber.“

Schneeflügel lächelte leicht. „Du bist jetzt zehn Monde alt, deine Ausbildung bei uns geht seit zwei Monden. Es gab Schüler vor dir, die nach dieser Zeit bereits zum Krieger ernannt wurden.“

Sturmpfote nickte. „Blaukralle und Fuchsauge, ich kenne die Geschichten.“

Sie wiegte ihren Kopf leicht hin und her. „Ich will damit nicht sagen, dass du schon bereit dafür bist – Schwarzstern würde es ohnehin als zu früh für dich erachten, weil du nicht im Clan geboren bist. Aber ich möchte, dass du weißt, dass ich dich nur noch einen Mond lang unterrichten kann.“

Sofort saß er kerzengerade und jegliche Müdigkeit war wie weggeblasen. „Wieso das? Was passiert in einem Mond? Was wird dann aus mir?“

Schneeflügel strahlte eine innere Gelassenheit und Freude aus, die er bisher erst bei zwei Katzen im Clan gesehen hatte. War sie etwa …

„Ich erwarte Junge“, bestätigte sie seine Vermutung. „Honigblüte sagt, dass es in etwa einem Mond soweit sein wird. Sobald ich in den Bau der Königinnen umziehe, wird Schwarzstern einen Ersatz für mich suchen. Blaukralle, Rosentau und Blaufell würden sich gewiss weigern, dich zu unterrichten. Vielleicht werden Eisbart oder Herbstwolke für mich einspringen. Das weiß ich nicht.“

Sturmpfote spürte, dass er sich einerseits für seine Mentorin freute, andererseits wollte er nicht, dass sie ihn sitzen ließ, denn so fühlte es sich an. „Das ist … ich freue mich für dich. Wirklich.“

„Danke.“

„Wer ist der Vater deiner Jungen?“

Ihre bernsteinfarbenen Augen waren unergründlich. „So etwas fragt man eine zukünftige Königin nicht. Im Clan hat jede Königin das Recht, den Vater ihrer Jungen für sich zu behalten.“

Er musterte sie neugierig. Würde sie etwa mit jemandem aus einem fremden Clan anbandeln? Nein, Schneeflügel doch nicht, dafür war sie viel zu loyal. Schwarzstern und Haselschweif durften wegen ihrer Ämter keine Jungen mehr bekommen. Blaukralle war Zimtfeders Gefährte, Blaufell der von Kieselpelz. Damit blieben nur noch Eisbart, Apfelpelz und Rindentänzer. Oder doch ein Kater aus einem der anderen Clans? Oder gar ein Einzelläufer? Oder hatten Blaukralle oder Blaufell gleich zwei Katzen im Clan beglückt? Fragen über Fragen.

Ihm schwirrte der Kopf, doch Schneeflügel brachte ihn schnell auf andere Gedanken, indem sie ihn einmal quer durch das Revier scheuchte und sie genügend Beute besorgten, um den Clan versorgen zu können.
 

***
 

Am Abend lagen die drei Schüler erschöpft beieinander. Sie waren satt und wollten nur noch schlafen, kamen jedoch nicht wirklich dazu, weil Fleckenpfote sich unruhiger umher wälzte, bis Milchpfote ihm einen Tritt verpasste.

„Was ist denn los mit dir!“

Fleckenpfote rollte sich auf den Bauch. „Mir geht die ganze Zeit etwas nicht aus dem Kopf.“

„Das merken wir. Du bewegst dich so viel, dass es unmöglich ist dabei einzuschlafen.“

Sturmpfote stimmte ihr mit einem Brummen zu. „Sag schon, was bedrückt dich?“

Fleckenpfote seufzte. „Als ich heute mit Apfelpelz und Blaukralle an der Ostgrenze auf Patrouille war, habe ich einen Geruch gewittert, den ich nicht zuordnen konnte, der mir aber irgendwie Angst gemacht hat. Apfelpelz hat nichts gerochen und Blaukralle sagte, ich soll mich gefälligst um meine eigenen Angelegenheiten kümmern und da wäre nichts. Aber ich bin mir absolut sicher, dass ich etwas in der Luft gerochen habe.“

Milchpfote gähnte. „Deine Nase ist besser als die von den meisten im Clan, aber wenn es etwas wäre, worüber wir uns Gedanken machen müssten, hätten Apfelpelz und Blaukralle anders reagiert. Sie haben nichts gewittert, also wird alles in Ordnung sein. Der Geruch war weit entfernt. Vielleicht Fuchsdung oder so. Und jetzt lass uns endlich schlafen.“

Fleckenpfote grunzte. „Du machst dich lustig über mich.“

„Nein, das mache ich nicht.“

„Aber du glaubst, dass ich übertreibe.“

„Keine Ahnung? Schlaf. Jetzt.“

Fleckenpfote grunzte erneut, rollte sich auf die Seite und vergrub seine Nase in dem moosigen Nest, so als wollte er die Erinnerung an den weit entfernten Geruch damit unterdrücken.

Sturmpfote rollte sich ebenfalls auf die andere Seite, schloss die Augen und hatte beim Einschlafen plötzlich wieder die Worte des verrückten Einzelläufers Flohnacken im Ohr: Und bald wird Blut fließen, ich habe es gesehen! Vielleicht hatte Fleckenpfote auch nur Flohnacken gerochen, der sich an der Grenze des FeuerClans herumtrieb. Ja, das musste es gewesen sein. Zufrieden mit dieser Erklärung schlief er ein.

Die nächsten Tage verliefen ohne weitere Vorkommnisse. Sturmpfote ging seiner Bestrafung nach, bespaßte tagsüber Falkenherz und nahm davor an der morgendlichen Jagdpatrouille teil, allerdings nur mit Schneeflügel zusammen, da er die ganze Woche über nicht mit Fleckenpfote und Milchpfote zusammen sein durfte. Sie sahen sich zwar abends im Schülerbau, wenn sie schlafen gingen, aber darüber hinaus sorgten Schneeflügel, Apfelpelz und Haselschweif dafür, dass sich die Schüler nicht großartig über den Weg liefen. Mit Falkenherz verstand er sich gut und jedes Mal, wenn er ihr Nest reinigte, ihr eine Zecke zog oder ihr Futter brachte, erfreute sie ihn mit Geschichten aus ihrer Jugendzeit, in der Fuchsauge der angesehenste Krieger im Clan gewesen war oder Schwarzstern noch Schwarzpelz geheißen hatte.

Blaukralle und Rosentau gingen in ihren üblichen Sticheleien gegen ihn auf, beschäftigten sich die meiste Zeit dann aber doch mit Zimtfeder und ihrer Tochter Fliederjunges, der der Weg der Heilerin vom SternenClan vorherbestimmt worden war. Herbstfleck wachte mit Argusaugen über Zimtfeder und Fliederjunges und sorgte dafür, dass die Königin und ihr einziges Junge genügend Ruhe bekamen. Zudem bellte Herbstfleck den Schülern gerne Befehle entgegen, sodass das Moos im Bau der Königinnen täglich erneuert wurde und auch Kieselpelz mit genügend Frischbeute versorgt wurde.

Am Ende der Woche war es dann soweit. In der Morgendämmerung, kurz nachdem die Patrouillen losgezogen waren, setzten bei Kieselpelz die Wehen ein. Sie knurrte, fauchte und jammerte gegen die Schmerzen an, doch sowohl Honigblüte als auch Herbstfleck ließen sich davon nicht beirren und standen Blaufells Gefährtin bei der Geburt zur Seite.

Sturmpfote war froh, als er mit Schneeflügel das Lager verlassen konnte, denn der Geburtsstress hatte das gesamte Lager erfasst. Draußen im Wald war es entspannter, ruhiger, sodass er sich ganz auf die Jagd konzentrieren konnte. Schneeflügel war zufrieden mit seinen Jagdkünsten und er stellte immer wieder fest, dass er – was das anging – problemlos mit Milchpfote und Fleckenpfote mithalten konnte. Nur beim Kampftraining versagte er noch immer.

„Du wirst dir mehr Mühe geben müssen“, tadelte Schneeflügel ihn. Ihr Bauch war bei Weitem noch nicht so rund wie bei Kieselpelz, aber er wölbte sich bereits. Auch die anderen im Clan hatten zwischenzeitlich erfahren, dass Schneeflügel in etwa drei Wochen Junge bekommen würde und anhand des Bauchumfangs vermutete Honigblüte, dass es auch bei ihr mehrere Junge sein würden.

Sturmpfote schnaufte und legte das Eichhörnchen in seinem Maul ab. Falkenherz‘ Lieblingsspeise war flink, wendig und gar nicht so leicht zu fangen, aber er wollte ihr an seinem letzten Tag eine Freude machen. „Ich weiß nicht, was ich noch tun soll.“

Schneeflügel wiegte ihren Kopf nachdenklich hin und her, dann seufzte sie. „Ich fürchte, dass ich dir in diesem Punkt nur das Grundwissen beibringen kann. Jeder Krieger muss für sich selbst herausfinden, wie er am besten kämpfen kann. Ich kann dir nicht sagen, wie du bei deinem langen Fell und deiner Größe besser kämpfen kannst.“

„Schwarzstern wüsste es wahrscheinlich“, murrte Sturmpfote und hoffte insgeheim, dass sich der Anführer höchstpersönlich um seine Ausbildung kümmern würde, auch wenn die Chancen dafür eher gering waren.

„Wahrscheinlich“, murmelte seine Mentorin. „Apfelpelz hat ebenfalls langes Fell, genau wie Rindentänzer, auch sind beide größer als unser Durchschnitt, aber beide besitzen nicht deine Statur.“

Da musste er ihr Recht geben. Rindentänzer hatte langes, struppiges Fell und dazu eine muskulöse Statur mit breitem Kreuz. Apfelpelz war etwas filigraner gebaut mit kürzeren Beinen, aber bei Weitem nicht so schmal wie Sturmpfote. Unter seinem langen, seidigen Fell war der Schüler drahtig und schlank und er ärgerte sich beinahe täglich darüber, dass seine Statur noch kittenmäßig war. Er sah zwar aus wie ein großer, kräftiger Krieger, aber das meiste davon war nur sein sturmgraues Fell.

Sturmpfote beschloss, dass er das Thema wechseln wollte. „Wann wirst du in den Bau der Königinnen ziehen?“ Er nahm das Eichhörnchen wieder auf und trottete neben Schneeflügel zurück zum Lager.

„Nicht sehr bald.“ Sie lächelte in sich hinein. „Ich bin froh, wenn ich den Trubel lange genug von mir fernhalten kann. Außerdem sind Zimtfeder und Kieselpelz bestimmt auch froh, wenn sie den Bau noch eine Weile für sich haben.“ Eine Weile schwiegen sie und erst kurz vor dem Lager sprach sie noch einmal: „Ich glaube, die Jungen sind da. Es liegt in der Luft.“

Sturmpfote roch nur das Eichhörnchen unter seiner Schnauze, aber im Lager selbst stellte er fest, dass Schneeflügel richtig lag. Der Stress hatte sich gelegt, stattdessen liefen alle munter umher und beglückwünschten Blaufell zum Nachwuchs.

Nachdem er das Eichhörnchen bei Falkenherz abgelegt hatte, ging er zu Milchpfote und Fleckenpfote, die ihn beide schief anguckten, doch Schwarzstern, der gerade in der Nähe vorbeilief, ließ die Schüler trotz des noch heute vorhandenen Verbots gewähren. Offenbar war die Geburt vom FeuerClan-Nachwuchs eine Situation, in der man eine Ausnahme machen konnte.

„Die Jungen sind da“, sagte Milchpfote sachlich und leckte sich dabei über die Pfoten. Sie hatte gerade gefressen und wirkte nun satt und zufrieden.

„Wie viele sind es? Und welche Namen haben sie?“

„Zwei“, sprach Fleckenpfote. Auch er musste gerade gefressen haben, streckte sich und sah schläfrig aus. „Schwarzstern hat Blaufell die Namen verkünden lassen, als du mit Schneeflügel jagen warst. Dachsjunges und Nebeljunges.“

Sturmpfote nickte. „Und kann man schon sagen, ob sie eher nach Blaufell oder nach Kieselpelz kommen?“

„Noch nicht“, antwortete Milchpfote ihm. „Es war eine schwierige und anstrengende Geburt, deshalb durfte Blaufell nur kurz reingucken. Honigblüte möchte nicht, dass die Königinnen heute noch einmal gestört werden und Herbstfleck setzt diese Anweisung inbrünstig durch. Jeder, der sich dem Bau auch nur nähert, bekommt von ihr das Passende zu hören.“

„Hm.“ Er malte sich aus, wie die Jungen wohl aussehen würden, kam aber zu keinem Ergebnis. Blaufell hatte kurzes, blaues Fell und war leicht speckig. Kieselpelz hingegen hatte langes, seidiges, braunes Fell, einen buschigen Schwanz und eine geschmeidige, schlanke Figur. Vielleicht sahen die Jungen ja aus wie kleine, blaue, plüschige Sofakissen. Die Vorstellung fand er lustig und trug sie noch eine Weile mit sich herum.
 


 

***
 

Einen Tag später durfte Blaufell seine Jungen besuchen und verkündete danach stolz, dass es wunderschöne Jungen waren, die mit Sicherheit große Krieger werden würden. Rosentau schnaubte abfällig, verkniff sich in Anwesenheit von Schwarzstern jedoch jeden weiteren Kommentar.

„Dachsjunges wird ein schwarz-weißes Fell bekommen und Nebeljunges scheint nach Kieselpelz zu kommen“, erwähnte Blaufell gerade.

„Es ist noch zu früh, um Prognosen darüber zu stellen“, warf Honigblüte gelangweilt ein. Sie war zwar die Heilerin des Clans, machte aber die meiste Zeit über ihr eigenes Ding und hielt sich größtenteils aus dem Clanleben heraus. Manchmal fragte Sturmpfote sich, ob sie wohl einen Grund dafür hatte, zumal sie ihm in der letzten Zeit noch schweigsamer und mürrischer vorgekommen war, aber er war nicht in der Position, um die Heilerin so etwas zu fragen.

Vom anderen Ende des Lagers näherte sich Haselschweif und sein rostbrauner Schweif begann nervös zu zucken, bis er direkt vor Honigblüte stand. „Honigblüte, ich … A-also nicht ich, eigentlich Schwarzstern, also der Anführer, Schwarzstern, er … E-er würde gerne Zimtfeder und Kieselpelz b-besuchen kommen, weil er der Anführer ist, also Schwarzstern, u-und also … Ja.“ Beschämt ließ Haselschweif seinen Blick quer durch das Lager schweifen, um jeglichen Blickkontakt mit der Heilerin zu vermeiden, kehrte aber trotzdem immer wieder mit großen Augen zu ihr zurück.

Perplex starrte Sturmpfote den Zweiten Anführer an. Wieso brachte er keinen vernünftigen Satz heraus?

Fleckenpfote schien seine Gedanken lesen zu können, denn er wisperte ihm ins Ohr: „Amüsant, nicht wahr? Das ist immer so, wenn Haselschweif alleine mit Honigblüte reden muss.“

Sturmpfote zog eine Grimasse, dann trottete er zusammen mit Fleckenpfote zum Bau der Schüler, vor dem sie sich in die warme Sonne legten. Im Hintergrund sahen sie, wie Schwarzstern, Haselschweif und Honigblüte in deren Bau verschwanden, von dem auch der Bau der Königinnen abzweigte.

„Du schläfst immer noch so schlecht oder?“

Fleckenpfote seufzte. „Ja. Ich träume fast jede Nacht von dem Geruch, von dem ich Milchpfote und dir schon erzählte hatte. Aber seither war ich nicht mehr an der östlichen Grenze unterwegs.“

Sturmpfote nickte. „Dann solltest du darüber mit Apfelpelz reden und ihn fragen, ob ihr heute Nachmittag dort trainieren könnt.“

„Meinst du?“

„Ich denke schon. Du kannst dich gleich vor Ort davon überzeugen, dass du dich geirrt hast und es keinen Grund zur Sorge gibt.“

Fleckenpfote wirkte unsicher. Sein Blick huschte umher und als er seinen Mentor bei Blaufell, Eisbart, Schneeflügel und Haselschweif entdeckte, zuckte seine Nase nervös. „Ich weiß nicht …“

„Trau dich einfach, was soll schon passieren?“

Der schwarz-weiße Schüler seufzte. „Ich will nicht als Versager dastehen. Blaukralle hat mich schon einmal als Wichtigtuer bezeichnet.“

Milchpfote, die gerade vorbeilief, verdrehte die Augen. „Hört endlich auf, euch gegenseitig gegen Blaukralle aufzuhetzen. Er ist ein geehrter Krieger des FeuerClans, daran wird sich auch nichts ändern, nur weil ihr zwei euch auf den Schwanz getreten fühlt“, zischte sie, schüttelte dann den Kopf und ging mit hoch erhobenem Haupt zu ihrem Mentor.
 

***
 

Einen weiteren Tag später streifte Sturmpfote gemeinsam mit Fleckenpfote durch das Revier. Beide hatten am Vormittag gemeinsam mit ihren Mentoren gejagt, am Mittag mit dem Clan gefressen und nun hatten sie Freizeit. Schneeflügel hatte ihnen empfohlen weiterhin das Kämpfen zu üben, sie selbst wollte sich jedoch ausruhen, da die Geburt ihrer Jungen in zwei bis drei Wochen bevorstand und ihr alltägliche Dinge wie das Jagen und die Patrouillen allmählich schwerer fielen.

„Wieso ist Apfelpelz eigentlich nicht mit uns unterwegs?“

Fleckenpfotes Ohren zuckten. „Keine Ahnung.“ In seine Stimme mischte sich eine ordentliche Portion Frust und er kickte einen kleinen Stein mit der Pfote weg. „In letzter Zeit lässt er mein Training zunehmend schleifen. Ich glaube, er hat gar keine Lust Mentor zu sein. Heute Morgen war er zwar mit uns jagen, aber ich wette mit dir, dass ich ihn den restlichen Tag nicht mehr zu Gesicht bekommen werde.“

Sturmpfote verstand den Groll seines Freundes nur zu gut. Fleckenpfote hatte zwei Monde vor ihm mit seiner Ausbildung zum Schüler begonnen, doch nun hatte er ihn bereits eingeholt und sie befanden sich auf demselben Stand. Beide waren zehn Monde alt und wenn Apfelpelz auch nur etwas engagierter wäre, könnte Fleckenpfote bereits die Kriegerprüfung ablegen, so wie es auch Ahornseele und Rindentänzer im Alter von zehn Monden getan hatten. Er selbst lebte erst seit knapp zwei Monden beim FeuerClan – wie groß musste Fleckenpfotes Frust sein, wenn er nicht vor einem geborenen Hauskätzchen Krieger werden konnte?

„Kopf hoch“, versuchte Sturmpfote seinen Freund aufzumuntern. „Ich bin mir sicher, dass es nur eine Phase ist. Wenn Apfelpelz wirklich so offensichtlich keine Lust darauf hat, werden ihm Haselschweif, Schneeflügel und Schwarzstern schon den Kopf waschen.“

„Ich hoffe es“, murrte der andere. „Apfelpelz könnte es gebrauchen, dass man ihn an seine Pflichten als Mentor erinnert.“

Schweigend liefen sie nebeneinander her, immer in östliche Richtung, weil sich Fleckenpfote vergewissern wollte, dass er sich an der östlichen Grenze des Reviers geirrt hatte. Als sie dort ankamen, war alles wie immer. Sonnenstrahlen drangen durch die Baumkronen bis auf den Waldboden, Farne und Gräser wiegten sich im Wind und der Wald dünnte sich ein Stückchen weiter langsam aus. Sturmpfote kannte die Gegend, immerhin hatte ihn Blaukralle hier in Falle geführt. Die Sträucher wuchsen immer dichter, dafür nahm der Abstand der großen, kräftigen Bäume ab, obwohl auch jenseits des FeuerClan-Revier alles von einem dichten Grün bedeckt war. Irgendwo dort vor ihnen lag auch der gefährliche Boden, auf dem er eingebrochen war.

„Und?“

Fleckenpfote reckte seinen Kopf in die Luft und begann angestrengt zu schnuppern. Hin und wieder zuckte er von einer Seite zur anderen, doch Unsicherheit lag in seinem Blick. „Ich bin mir nicht sicher …“

Sturmpfote setzte sich hin und begann sich zu putzen. „Was ist jetzt anders?“

„Die Windrichtung. Damals kam der Wind direkt aus nordöstlicher Richtung, dieses Mal von Westen.“

„Oder du hast dich geirrt.“

Fleckenpfote verspannte sich. „Ich weiß, was ich gerochen habe! Ein Geruch, den ich nicht zuordnen konnte, der mir aber instinktiv Angst eingejagt hat! Da draußen ist etwas, ich weiß es!“

„Ist ja gut.“ Sturmpfote unterbrach seine Fellpflege, schloss wieder zu seinem Freund auf und witterte ebenfalls. Moos, Erde, irgendwo in der Nähe eine Maus, die üblichen Gerüche des Waldes. „Ich rieche nichts Besonderes.“

„Dann warten wir.“ Fleckenpfote setzte sich hin.

Genervt folgte Sturmpfote seinem Beispiel. „Worauf?“

„Dass der Wind sich dreht. Ich weiß, dass ich mich nicht geirrt habe.“ Dann wurde sein Blick wieder etwas milder. „Bitte bleib bei mir, Sturmpfote. Ich will hier nicht alleine sitzen bleiben.“

Sturmpfote gähnte. „Da wir ohnehin nur zu zweit unterwegs sein dürfen und du felsenfest davon überzeugt bist, dass du warten möchtest, bleibt mir doch gar keine Wahl.“ Na das konnte ein langer Nachmittag werden.
 

***
 

Die Stunden vergingen. Irgendwann war Sturmpfote eingedöst und nur wieder wach geworden, weil Fleckenpfote ihn anstieß.

„Hm?“

„Der Wind hat sich gedreht, er kommt jetzt wieder mehr aus nordöstlicher Richtung.“

Sturmpfote setzte sich auf, witterte, stellte jedoch keine große Veränderung fest. Während vorher der Geruch des FeuerClans dominiert hatte, weil der Wind direkt über das Gebiet des Clans geweht war, roch es nun einfach nur nach Wildnis. Und doch …

„Da!“ Alarmiert sprang Fleckenpfote auf und seine Augen weiteten sich gleichzeitig vor Schreck und Erregung. „Riechst du das?“

Angestrengt hielt Sturmpfote seine Schnauze in den Wind. Seine Nase war nicht so empfindlich wie die von Fleckenpfote, aber er glaubte, dass er eine hauchzarte Duftnote wahrnahm. Sie war herb, würzig und schwer, außerdem so unbekannt, dass er sie nicht zuordnen konnte. „Ich glaube, ich rieche es.“

Zufrieden nickte Fleckenpfote. Sein ganzer Körper stand unter Anspannung. „Also hatte ich Recht. Irgendwo dort draußen ist etwas. Heute riecht man es noch deutlicher, es muss näher gekommen sein.“ Unsicher blickte er Sturmpfote an. „Sind das Zweibeiner?“

„Nein, auf gar keinen Fall. Die hätte ich sofort erkannt. Ich weiß auch nicht, was das ist. Da, jetzt ist es verschwunden.“

„Ich rieche es noch, aber nur noch ganz schwach. Was sollen wir jetzt tun? Blaukralle wird uns niemals glauben.“

Entschlossen blickte Sturmpfote seinen Freund an. „Es gibt noch andere Krieger im Clan. Ich werde Schneeflügel davon erzählen und wenn sie uns auch nicht glaubt, dann wird Schwarzstern mit Sicherheit wissen, ob wir uns Sorgen machen müssen oder nicht.“

„Schwarzstern?“ Fleckenpfotes Augen weiteten sich. „Ich weiß nicht … Was, wenn wir beide Wirbel um nichts machen?“

„Dann wissen wir wenigstens, woran wir sind. Also los, komm. Wir haben keine Zeit zu verlieren, es dämmert bald.“ Die Wahrheit war aber, dass auch Sturmpfote instinktiv eine innere Angespanntheit gespürt hatte. Dieser Geruch stammte weder von Zweibeinern, noch von Flohnacken. Nachdem er es selbst gerochen hatte, glaubte er Fleckenpfote, dass dort draußen irgendetwas war. Womöglich sogar etwas Gefährliches.
 

***
 

„Und was sagst du?“ Hoffnungsvoll blickten die beiden Schüler zu Schneeflügel.

Sturmpfotes Mentorin hatte sich ruhig ihre Geschichte angehört, dann eine Weile geschwiegen, doch nun stand sie auf und bedeutete ihnen mit der Schwanzspitze, dass sie ihr folgen sollten. „Wir werden Schwarzstern und Haselschweif davon berichten.“

Erleichterung machte sich zwischen ihnen breit. Wenn Schneeflügel ihnen glaubte, würden es auch andere tun. Sie folgten der Kriegerin zum Bau des Anführers, baten bei Haselschweif um eine Audienz und trugen dann, nachdem Schwarzstern sich mit ihnen in eine ruhige Ecke des Lagers gesetzt hatte, ihr Anliegen vor.

Auch der Anführer des FeuerClans hörte ihnen schweigend zu, wechselte dann am Ende des Berichts einen flüchtigen Blick mit Haselschweif, der sehr nachdenklich aussah. „Ich weiß nicht, was ihr gerochen habt, aber wenn ihr sagt, dass ihr den Geruch nicht kanntet, sollten wir das abklären.“ Der Anführer ließ seinen Blick über die hohen Felsmauern bis hinauf in die Abenddämmerung wandern. „Heute jedoch nicht mehr. Ich werde einer der Patrouillen morgen früh sagen, dass sie die östliche Grenze kontrollieren sollen.“

„Aber dann kann der Geruch wieder verflogen sein“, beharrte Fleckenpfote. „Bitte, Schwarzstern.“

Der Anführer schaute seinen Zweiten Anführer an. „Was meinst du, Haselschweif?“

Der rotbraune Kater seufzte. „Ich denke, sie werden erst Ruhe geben, wenn wir dem nachgegangen sind. Noch ist es nicht dunkel. Wenn wir uns beeilen, könnten wir in einer Stunde zurück sein. Auf der anderen Seite haben Blaukralle und Apfelpelz beim letzten Mal nicht von einem derartigen Geruch berichtet, es kann sich also höchstwahrscheinlich um keinen Ernstfall handeln.“

„Das sehe ich auch so.“ Der Anführer schaute wieder Schneeflügel und die beiden Schüler an. „Morgen früh wird sich eine Patrouille darum kümmern. Bis dahin möchte ich nichts mehr von dem Thema hören.“

„Sehr wohl, Schwarzstern.“ Schneeflügel senkte gehorsam ihren Kopf. Sie stupste Fleckenpfote und Sturmpfote an, drehte sich um und ging.

Ihnen blieb nichts anderes übrig als Schneeflügel zu folgen.
 

***
 

Fleckenpfote hätte nicht enttäuschter sein können. Er lag eingerollt im Schülerbau, blies Trübsal und wollte weder mit Milchpfote noch mit Sturmpfote reden. In der Morgendämmerung hatte sich eine Patrouille, bestehend aus Apfelpelz, Fleckenpfote, Haselschweif und Rindentänzer, auf den Weg zur östlichen Grenze gemacht, doch so wie es Fleckenpfote am Abend zuvor befürchtet hatte, war der Geruch vollkommen verflogen. Die anderen glaubten ihnen zwar, dass sie irgendetwas gerochen hatten, aber für sie war das Thema nun erledigt und Schwarzstern tat es lediglich mit einem Nicken ab.

„Lass ihn“, murmelte Sturmpfote. Auch ihm hatte es auf den Magen geschlagen, aber im Gegensatz zu Fleckenpfote, der sich unverstanden fühlte, hatte er sich wenigstens zu einer kleinen Maus als Frühstück aufraffen können.

Milchpfote, die neben ihm saß, beäugte kritisch den Eingang zum Schülerbau und kniff ihre leuchtend orangefarbenen Augen zusammen. „Er soll sich mal zusammenreißen. Das ist kein vorbildliches Verhalten. Haselschweif sagt, dass ein Krieger immer Haltung bewahren muss.“

„Haselschweif war aber auch bestimmt noch nicht in der Situation, dass man ihm nicht glauben wollte und der einzige Beweis nicht mehr auffindbar ist“, entgegnete Sturmpfote spitz, wofür er sich einen bösen Blick von Milchpfote einfing, die daraufhin ihr Frühstück nahm und zu ihrem Vater Eisbart marschierte.

„Jetzt hast du sie verärgert“, rief Ahornseele dazwischen. Die zierliche Kriegerin war wie immer stets vergnügt, tänzelte quer durch das Lager und mischte sich mal hier, mal dort in die Gespräche mit ein. Im Gegensatz zu ihr teilte ihr schweigsamer Bruder Rindentänzer mit niemandem das Frühstück und brütete alleine abseits der anderen vor sich hin.

Schwarzstern war gerade bei Honigblüte und erkundigte sich nach dem Zustand von Zimtfeder und Kieselpelz, als Apfelpelz in das Lager gestürmt kam. Er atmete schwer, sein rotes Fell war leicht gesträubt und er rannte bis zu Schwarzstern durch. „Schwarzstern!“

Sogleich drehte sich der Anführer alarmiert zu Apfelpelz um. „Was ist passiert? Wo sind Blaufell und Blaukralle? Ihr wart doch gemeinsam auf Patrouille?“

„Es gibt Ärger an der nördlichen Grenze zum Gebiet des WasserClans! Dornstachel und Donnertaucher haben uns an der Grenze abgefangen, eines Attentats beschuldigt und angegriffen! Blaufell und Blaukralle halten sie in Schach, aber ich bin mir sicher, dass Dornstachel bald Verstärkung bekommen wird!“

„Was?!“ Schwarzstern streckte seinen gesamten Körper durch, sodass er in voller Größe vor dem etwas kleineren Apfelpelz stand. Im Hintergrund ertönte erbostes Fauchen aus allen Richtungen. „Wie kann der WasserClan es wagen!“ Mit wenigen großen Schritten stand Schwarzstern in der Mitte des Lagers. „Haselschweif, Eisbart, Milchpfote, Sturmpfote, mitkommen!“ Er wartete nicht, dass die anderen sich zu ihm gesellten, sondern stürmte bereits mit geschmeidigen, zügigen Schritten aus dem Lager hinaus in den Wald.

Nach einigen hundert Metern hatten sie alle zu Schwarzstern aufgeschlossen und rannten in Formation mit ihm hinter Apfelpelz her, der sie zu der Stelle brachte, an der der Kampf stattfand. Links von ihnen hörte man den Bach rauschen, doch sehen konnte man ihn von hier aus nicht. Dafür roch Sturmpfote ganz genau, wo der vertraute, warme Geruch des FeuerClans in den kälteren, feuchten, steinigen Geruch des WasserClans überging.

Zuerst hörte er das Fauchen und Kreischen von zwei ihm unbekannten Katern – Dornstachel und Donnertaucher, wie er annahm – und direkt danach Blaukralles Kampfschrei. Blaufell, halb liegend, war schon sichtlich außer Puste und zog am Rand des Geschehens und ein hinkendes Bein nach. „Endlich!“, stieß der pummelige Krieger aus und legte die Ohren an, als er Eisbarts vernichtenden Blick zu spüren bekam.

Schwarzstern stürzte sich sofort in den Kampf, Haselschweif direkt an seiner Seite. Er packte Dornstachel im Genick, schleuderte ihn von Blaukralle herunter, doch Dornstachel war schnell, kam auf allen vier Pfoten auf, federte sich ab und sprang Haselschweif an die Kehle.

Eisbart rammte Donnertaucher, wurde von dem weißgrauen Kater jedoch zu Boden gerissen. Blaukralle sprang ihm sofort zur Seite, doch er war geschwächt, weil er es alleine mit zwei starken Kämpfern hatte aufnehmen müssen.

Milchpfote sträubte ihr Fell, aber ihr stand die Panik ins Gesicht geschrieben. Ob das ihr erster richtiger Kampf war? Vermutlich. Sturmpfote erging es nicht anders, also nickte er Milchpfote zu und zu zweit zogen sie Blaufell aus der Gefahrenzone in Sicherheit.

Schließlich siegte die Übermacht der FeuerClan-Krieger. Dornstachel und Donnertaucher zogen sich auf ihre Seite des Reviers zurück, gerade als Silberstern durch das Gebüsch geschossen kam und neben ihren Kriegern zum Stehen kann. Sie erblickte zuerst Schwarzstern, dann Sturmpfote und ihr schneeweißes Fell sträubte sich leicht.

„Silberstern, was hat das zu bedeuten!“ Schwarzstern stellte sich vor seine Krieger und Haselschweif kehrte an seine Seite zurück.

„Das frage ich dich, Schwarzstern!“ Blanker Hass flammte in ihren dunkelblauen Augen auf. „Wie mir soeben berichtet wurde, ist Lachssänger, eine loyale Kriegerin des WasserClans, unweit der Grenze zu deinem Clan ums Leben gekommen!“

Donnertaucher atmete schwer. „Sie war meine Gefährtin und die Mutter unserer beiden Kinder. Lachssänger war alleine an der FeuerClan-Grenze auf Patrouille und weil sie bis Sonnenhoch nicht zurückgekehrt war, haben wir sie gesucht und schließlich auch gefunden – blutüberströmt, mit tiefen Wunden und an ihr haftete der Geruch des FeuerClans!“

„Das ist unmöglich!“, verteidigte Blaukralle seinen Clan sofort. „Wir waren alleine in diesem Gebiet auf Patrouille und haben nichts damit zu tun!“

„Lügner!“, zischte Dornstachel sofort. „Verlogenes FeuerClan-Pack! Erst nehmt ihr HalbClan-Katzen und Hauskätzchen in eure Reihen auf, dann verdirbt auch der Rest eures Charakters.“

„Pass auf, wem du hier drohst, Zweiter Anführer“, grollte Schwarzstern mit tiefer Stimme, ehe er sich an Silberstern wandte. „Ich spreche dir mein aufrichtiges Mitleid für den Tod von Lachssänger aus, aber mein Clan hat damit nichts zu tun.“

Silberstern funkelte ihn wütend an. „Und woher kommen dann ihre Verletzungen und der Geruch deines Clans, der zusammen mit dem getrockneten Blut an ihrem Körper klebt?“

Schwarzstern atmete tief durch. „Ich weiß es nicht. Aber ich weiß, dass niemand aus dem FeuerClan so eine schreckliche Tat begehen würde. Wer auch immer Lachssänger angegriffen hat, ist vielleicht ein Stück durch unser Revier gelaufen, daher der Geruch. Aber von uns war es niemand.“

„Und das sollen wir dir glauben?“, schrie Donnertaucher. Der Schmerz stand ihm ins Gesicht geschrieben. „Ich habe meine Gefährtin verloren! Silberstern, ich verlange Rache für ihren Tod!“

Milchpfote und Sturmpfote sahen sich an. Beide dachten in diesem Augenblick dasselbe, also nahm Sturmpfote seinen ganzen Mut zusammen und wagte zu sprechen. „Silberstern, wenn ich dir eine Frage stellen darf: Haben du oder deine Krieger einen ungewöhnlichen Geruch an Lachssänger festgestellt? Etwas, was womöglich vom Geruch des FeuerClan-Territoriums überdeckt sein könnte?“

„Wage es nicht, dein Wort an die ehrwürdige Silberstern zu richten, Hauskätzchen!“, zischte Dornstachel sofort.

Silberstern fixierte ihn mit ihren blauen Augen, starrte ihn durchdringend an, dann blickte sie zu Schwarzstern. „Möglicherweise hat es tatsächlich einen Geruch gegeben, den keiner von uns zuordnen konnte. Viel mehr interessiert mich, wieso ausgerechnet du davon weißt, Hauskätzchen. Vielleicht hast du ja etwas damit zu tun?“

Nun lagen alle Blicke auf Sturmpfote und sein Mut schrumpfte schlagartig auf die Größe einer Maus.

Schwarzsterns Blick war unergründlich. „Zwei meiner Clan-Mitglieder haben kürzlich von einem ungewöhnlichen Geruch berichtet, den sie nahe der östlichen Grenze wahrgenommen haben. Womöglich habe ich diese Gefahr falsch eingeschätzt.“

„Eine Gefahr von außen, sagst du?“ Silberstern erwiderte den Blick des anderen Anführers. „Wer auch immer für den Tod von Lachssänger verantwortlich ist, wird dafür bluten müssen. Sei gewarnt, Schwarzstern, ich werde dieses Thema bei der nächsten Versammlung ansprechen und wenn einer von euch auch nur eine Pfote in das Gebiet des WasserClans setzt, werde ich meine Krieger anweisen keine Gnade walten zu lassen. Ich werde herausfinden, wer Lachssänger getötet hat und wenn sich herausstellt, dass es doch jemand aus dem FeuerClan war“ – ihr Blick streifte Sturmpfote – „, dann werde ich dir und deinem ganzen morallosen Clan den Krieg erklären.“

Noch einen Moment lang starrten sich die beiden Anführer wortlos in die Augen, dann drehte sich Silberstern um. Dornstachel und Donnertaucher folgten ihr, warfen aber immer wieder hasserfüllte Blicke über die Schultern zurück.

Schwarzstern drehte sich ebenfalls um und stapfte zurück in den Laubwald. Milchpfote und Sturmpfote stützten Blaufell, obwohl sich Sturmpfote sicher war, dass Blaufell nicht halb so schlimm verletzt war, wie er tat. Blaukralle humpelte alleine, obwohl er eine klaffende Wunde am Ohr hatte.

Alle schwiegen und spürten die bedrückte Stimmung, bis Schwarzstern erschöpft das Wort erhob. „Sturmpfote, ich will, dass du dir Fleckenpfote nimmst. Gemeinsam mit Apfelpelz, Schneeflügel und Haselschweif werdet ihr unverzüglich die Grenze zum WasserClan, die nördliche und die östliche Grenze kontrollieren. Gebt mir Bescheid, falls ihr diesen mysteriösen Geruch erneut finden solltet. Eisbart, ich möchte, dass die Patrouillen fortan zweimal täglich die Grenze zum WasserClan kontrollieren, dafür bist du verantwortlich. Und Haselschweif, jeder soll sich umgehend bei mir persönlich melden, wenn ihm irgendetwas Ungewöhnliches auffällt.“

Alle nickten, selbst Blaukralle schien nicht mehr an dem Geruch zu zweifeln.

Ein Geruch, von dem Fleckenpfote ihnen bereits vor einer Woche berichtet hatte. Eine Woche, die Lachssänger vielleicht das Leben gerettet hätte.

Der Tod von Lachssänger war auch eine Woche später das Gesprächsthema Nummer Eins im FeuerClan. Direkt danach kam die bald vier Wochen alte Fliederjunges, die ihre ersten wackeligen Schritte im Bau der Königinnen unternahm, sich ansonsten aber wie ein braves Kätzchen verhielt. Im Gegensatz dazu rangelten Nebeljunges und Dachsjunges schon in ihrem zarten Alter von einer Woche herum, traten sich gegenseitig und mit Vorliebe ihre Mutter Kieselpelz.

Blaufell bauschte seinen Anteil am Kampf gegen Dornstachel und Donnertaucher künstlich auf und verwies noch immer auf seine Beinverletzung, um sich vor der Patrouille zu drücken, was nur solange gut ging, bis Schwarzstern ihm mit Konsequenzen drohte.

Es war der Übergang von April zu Mai und Schneeflügel stand geschätzt eineinhalb Wochen vor der Geburt ihrer Junge, weshalb Schwarzstern sie von allen aktiven Pflichten im Clan entbunden hatte, damit sie sich schonen konnte. Dennoch verbrachte sie gerne einen Teil ihrer Zeit mit Sturmpfote, begleitete ihn morgens zum Jagen und plauderte zunehmend über ihr Dasein als Königin.

„Du verrätst mir immer noch nicht, wer der Vater deiner Jungen ist, nicht wahr?“

Schneeflügel lächelte. „Nein, das Thema hatten wir doch schon. Vielleicht wirst du es irgendwann auch so erfahren.“

Sturmpfote seufzte. Er mochte Schneeflügel und hätte sie gerne noch länger als Mentorin behalten. Im Moment trainierte er wieder mit Haselschweif und Milchpfote und wartete darauf, dass Schwarzstern einen Ersatz für Schneeflügel bestimmte, doch laut seiner Mentorin konnte sich dies bis zur Geburt ihrer Jungen hinziehen.

Fleckenpfote hatte zunächst mit Stolz reagiert, als er endlich von Schwarzstern ernst genommen wurde, doch dies hatte sich noch am selben Abend in Furcht verkehrt, denn er wusste nicht, was die Bedrohung aus der Wildnis war. Andere im Clan fürchteten sich ebenfalls, auch wenn dies niemand laut aussprach.

Milchpfote hatte sich in den ersten Tagen noch Gedanken darüber gemacht, ob sie aktiver hätte mitkämpfen sollen – vielleicht hätte Schwarzstern sie dann zur Kriegerin ernannt. Nach einer Weile gab sie diese Gedanken jedoch auf und widmete sich wieder ihrem Training, das sie wie gewohnt fehlerfrei hinter sich brachte.

Sturmpfote dachte oft darüber nach, ob, nein, wie Lachssängers Tod vom WasserClan bei der Versammlung auf dem Heiligen Berg thematisiert werden würde. Er mochte weder Silberstern noch ihren Clan und hatte die Abneigung von den meisten anderen FeuerClan-Katzen übernommen. Man konnte beinahe sagen, dass sich der WasserClan und der FeuerClan auf den Tod nicht riechen konnten und Silberstern keine Gelegenheit ausließ, um Schwarzstern oder den FeuerClan schlecht reden zu können. Mit Sicherheit würde sie bei der Versammlung wieder den Verdacht in den Raum werfen, dass jemand aus dem FeuerClan an Lachssängers Tod Schuld war, weil sie den Geruch des FeuerClans an ihrem Fell getragen hatte. Sie würde gegen den Clan hetzen und alles, was Sturmpfote tun konnte, war zu hoffen, dass sich niemand darauf einließ. Löwenzahnstern war doch sicher ruhig genug, um die Sache objektiv zu betrachten? Und was war mit Wacholderstern? Fragen über Fragen.
 

***
 

„Ich bin wirklich gespannt, wen Schwarzstern als Mentor auserwählen wird.“

Sturmpfotes Ohren zuckten. Er wusste, dass Rosentau unmöglich von ihm sprach. Die gehässige Katzendame lag zusammen mit Herbstwolke, Fleckenpfotes Mutter, und Blaukralle unweit des Beutehaufens, auf dem sich nur noch klägliche Reste befanden. Die Sonne stand bereits tief am Horizont, wärmte aber dennoch den Pelz.

Herbstwolke gähnte. „Dachsjunges und Nebeljunges sind noch so jung. In den nächsten sechs Monden kann sich viel entwickeln.“

Ha! Er hatte es gewusst – sie sprachen nicht über ihn.

Rosentau schnalzte mit der Zunge und warf ihrem Sohn einen langen, prüfenden Blick zu. „Schwarzstern würde Blaukralles Potenzial verschenken, wenn er nicht ihn zum Mentor ernennen würde. Außerdem ist Blaukralle längst an der Zeit. Eine Schande, dass man ihm nicht schon Milchpfote oder Fleckenpfote zugeteilt hat.“

Herbstwolkes Schwanzspitze zuckte leicht. „Du darfst nicht vergessen, dass Blaukralle auch erst eineinhalb Jahre alt war, als mein Sohn geboren wurde. Schwarzstern hat richtig entschieden, als er Apfelpelz und Haselschweif zu Mentoren machte.“

„Apfelpelz“, erwiderte Rosentau spöttisch, jedoch auch mit einem Hauch Verbitterung. „Mein Erstgeborener.“ Sie schüttelte den Kopf und legte ihre Pfote auf die von Blaukralle. „Was Apfelpelz kann, kann Blaukralle doppelt so gut. Wie man so hört, gibt Apfelpelz sich nicht einmal Mühe mit seiner Tätigkeit als Mentor.“

Herbstwolkes Schwanz zuckte erneut, dieses Mal etwas heftiger. „Mein Sohn hat einen guten Mentor und er wird sicherlich schon bald seine Prüfung ablegen dürfen. Fleckenbaum wäre stolz auf Fleckenpfote und alles, was Apfelpelz ihm bereits beigebracht hat.“

„Natürlich wäre er das“, schnurrte Rosentau beschwichtigend, fügte dann aber relativ zügig hinzu: „Aber das ändert nichts an der Tatsache, dass Blaukralle ihn schon längst zum Krieger gemacht hätte. Schwarzstern täte gut daran, Blaukralle eines der Jungen zu überlassen. Außerdem muss Schwarzstern auch an Haselschweif denken.“

„Wie meinst du das?“

„Nun, Haselschweif ist auch nicht mehr der jüngste Krieger im Clan.“ Nun wirkte Rosentau beinahe beruhigt. „Es ist immer gut, sich einen Nachfolger offen zu halten.“

„Aber Rosentau!“ Herbstwolke erhob sich langsam. „Haselschweif ist ein ausgezeichneter Zweiter Anführer.“

„Daran zweifelt keiner.“ Doch ihr Blick machte deutlich, dass sie lieber Blaukralle auf dieser Position sehen würde – und dafür müsste er mindestens einmal Mentor gewesen sein.

Sturmpfote grollte leise und wandte den Blick von dem Grüppchen ab. Wenn Rosentau und Blaukralle ihn aus dem Clan ekeln wollten, war das eine Sache, aber sie würden sich niemals gegen Haselschweif auflehnen. Eher würden sie warten, bis er von selbst starb – und wenn es noch Jahre dauern würde. Rosentau hatte die Karriere ihres Sohnes schon vor dessen Geburt fertig geplant und sie würde mit Sicherheit nichts unversucht lassen, um ihn eines Tages als Anführer des FeuerClans zu sehen.
 

***
 

„Sie sind so anstrengend!“, hörte er Kieselpelz sagen. Die junge Königin lag vor dem Bau der Königinnen in der Sonne und wärmte ihren langen Pelz. Man konnte ihr die Anstrengung, die die Geburt und die beiden Jungen bei ihr verursacht hatten, an ihrem Gesicht ablesen.

Zimtfeder lag neben ihr, deutlich kleiner, eingerollt und die Pfoten ordentlich unter dem Körper versteckt. „Dazu kann ich nichts sagen.“

„Nebeljunges und Dachsjunges haben nur Unsinn im Kopf! Ich frage mich, woher sie das in diesem jungen Alter haben. Ich dachte, sie machen nicht viel mehr als zu schlafen und zu säugen.“ Kieselpelz seufzte. „Ich wünschte, sie wären mehr wie Fliederjunges. Sie ist so lieb. Und rücksichtsvoll. Sie wird eine großartige Heilerin werden.“

Ein stolzes Lächeln huschte über Zimtfeders Gesicht. „Ja, das wird sie. Der SternenClan muss Großes mit ihr vorhaben.“

„Genug Pause für heute.“ Herbstfleck marschierte mit strengem Blick aus dem Bau heraus und baute sich vor den beiden Königinnen auf. „Alle drei haben Hunger.“

Zimtfeder erhob sich langsam, streckte die Glieder und hielt ihr Gesicht noch weiter in die Sonnenstrahlen. „Ich denke, morgen werde ich Fliederjunges mit nach draußen nehmen. Sie ist einen Mond alt – alt genug dafür.“

Herbstflecks Ohren zuckten besorgt. „Man sollte nichts überstürzen, Zimtfeder. Das muss Honigblüte entscheiden. Wir werden sie morgen zusammen fragen.“ Herbstfleck war nach ihrer eigenen Zeit als Königin so sehr in die Rolle hineingewachsen, dass sie von Schwarzstern von ihren Pflichten als Kriegerin entbunden worden war und sie nun als Vollzeit-Königin den anderen Königinnen mit Rat und Tat zur Seite stand. Nicht selten regte Honigblüte sich über dieses Engagement auf, aber selbst sie konnte Herbstfleck nicht von dieser Berufung abbringen.

Nur wiederwillig machte sich auch Kieselpelz auf den Rückweg in ihren Bau, wobei sie einen letzten, wehmütigen Blick zur Sonne warf.

Sturmpfote gähnte. Heute Nacht fand wieder eine Versammlung am Heiligen Berg statt und er war sich sicher, dass Silberstern seinen Clan des Mordes an Lachssänger bezichtigen würde. Sicherlich würde Schwarzstern sich das nicht gefallen lassen. Bisher hatte er nicht bekannt gegeben, wer ihn begleiten durfte, aber alle waren sich einig, dass er sich für einen Tumult rüsten würde.

Bis dahin waren noch einige Stunden Zeit und welchen Sinn hätte es gehabt, sich darüber den Kopf zu zerbrechen? Keinen.

Ein Atemzug.

Zwei Atemzüge.

Sturmpfote machte sich wieder Sorgen. Er wälzte sich von einer Seite zur anderen, bettete den Kopf auf den Vorderpfoten und grollte vor sich hin. Zumindest zweifelte keiner mehr daran, dass sich irgendetwas außerhalb der Reviergrenzen herumtrieb. Fleckenpfote hatte seinen Ruf wieder hergestellt und galt nicht länger als ängstlicher Schüler, die übertrieben hatte. Dennoch fand Sturmpfote, dass der Clan diese potenzielle Gefahr nicht ernst genug nahm. Sie wussten nicht einmal, was dort draußen lauerte. Vielleicht war Lachssänger ein zufälliges Opfer und es würde dabei bleiben. Aber was, wenn nicht?
 

***
 

Schwarzstern und Haselschweif marschierten Seite an Seite voran. Direkt dahinter liefen Blaukralle und Rindentänzer. Beiden konnte man die Anspannung ansehen, doch beide schwiegen und hingen ihren eigenen Gedanken nach. Apfelpelz‘ buschiger Schweif zuckte lässig von einer Seite zur anderen. Er trottete mit etwas Abstand neben Eisbart, der dank seiner Erfahrung und seines sachlichen Gemüts mitkommen sollte. Zuletzt liefen Sturmpfote und Fleckenpfote. Sie waren sich so nahe, dass sich ihre Schultern beinahe berühren konnten. Alle anderen waren im Lager geblieben, um aufzupassen. Schwarzstern hatte sogar angeordnet, dass bei Mondhoch eine Nachtpatrouille durch das Revier laufen sollte, um gegen alle Eventualitäten gerüstet zu sein. Es war, als würde der Wald den Atem anhalten. Als würde die Natur darauf warten, dass etwas passierte.

Vielleicht bildete Sturmpfote sich das aber auch nur ein.

Sie überquerten den Bach, erklommen die Hänge des Heiligen Bergs und erreichten das Plateau. Sie waren früh dran, außer ihnen war nur Wacholderstern mit einigen Vertretern des LuftClans anwesend.

Schwarzstern und Wacholderstern grüßten sich respektvoll, als Schwarzstern seinen Platz auf dem tief hängenden Ast der riesigen Eiche einnahm, während Haselschweif sich zwischen den Wurzeln neben Regenkauz setzte. Sie redeten leise miteinander und so begann sich auch der LuftClan mit dem FeuerClan auszutauschen.

„Lange nicht gesehen!“

„Wie geht es dir?“

Die Stimmen riefen durcheinander, bildeten Pärchen und kleine Gruppen. Der FeuerClan teilte keine Grenze mit dem LuftClan, deshalb sah man sich nur selten.

Ein kleiner, schwarzer Kater mit gelbgrünen, hellen Augen und eine braungetigerte Katze mit grünen Augen kamen gut gelaunt auf Fleckenpfote und ihn zu.

„Hallo!“ Die Katze setzte sich vor sie und leckte ihre Pfote ab. „Ich bin Kleepfote und das ist mein Bruder Hummelpfote. Wir sind zum ersten Mal bei einer Versammlung.“ Dann lächelte sie Sturmpfote an. „Von dir haben wir auch schon viel gehört. Freut mich, dass wir uns endlich mal persönlich sehen.“

Sturmpfote entspannte sich. Die beiden waren die Schüler des LuftClans und offensichtlich wollten sie sich einfach nur von Schüler zu Schüler unterhalten. Auch Fleckenpfote schien erleichtert zu sein.

„Ich bin Sturmpfote, das ist Fleckenpfote.“ Beide neigten kurz ihr Haupt.

„Habt ihr etwas vom WasserClan gehört?“, fragte Fleckenpfote sogleich und wirkte ängstlich.

Kleepfote und Hummelpfote sahen sich kurz an, dann setzte Hummelpfote sich mit keckem Blick hin und kratzte sich am Kinn. „Nicht viel. Wacholderstern und Silberstern haben sich vor einigen Tagen an der Grenze getroffen, aber niemand weiß, was beredet wurde. Ist mir auch egal, ich kann ihren Geruch nicht ausstehen. Immer so kalt und nass.“

Kleepfote kicherte. „Wieso fragst du?“

Fleckenpfote seufzte. „Ich denke, das werdet ihr heute sowieso erfahren. Eine Kriegerin des WasserClans ist gestorben und Silberstern macht den FeuerClan dafür verantwortlich.“

Interessiert spitzte Kleepfote die Ohren. „Und? Seid ihr es?“

„Natürlich nicht!“, antwortete Sturmpfote sofort und sein Fell sträubte sich alleine bei der Vorstellung, dass jemand seinen Clan so vorverurteilen könnte.

Hummelpfote grunzte zufrieden. „Der WasserClan und der FeuerClan sind schon seit Ewigkeiten verfeindet. Lass Silberstern reden. Ich verstehe selbst nicht, warum Wacholderstern ihr so nach der Schnauze redet.“

„Hey, das kannst du nicht einfach sagen!“, ermahnte seine Schwester ihn und schaute sich sogleich um, ob jemand aus ihrem Clan sie gehört hatte. Schließlich fuhr sie mit leiserer Stimme fort: „Wacholderstern ist unser Anführer. Wir stehen hinter ihm und sind LuftClan mit Leib und Seele.“

„Ich meine ja nur“, sagte Hummelpfote. Sein Blick fing den von Sturmpfote ein, als er wieder aufstand und ihm zuzwinkerte. „Dich mag ich. Vielleicht sieht man sich mal wieder. Für ein Hauskätzchen bist du nämlich echt in Ordnung. Im Gegensatz zu euch sind die beiden Schüler vom WasserClan die reinsten Spaßbremsen.“

Kleepfote grinste leicht. „Eispfote redet immer nur von seiner Verpflichtung dem WasserClan gegenüber und wie diszipliniert er dem Training nachgeht.“

„Seht mich an, Silberstern legt große Hoffnung in mich, mir steht eine große Zukunft bevor. Ich bin Eispfote und eines Tages werde ich Anführer sein.“ Hummelpfote äffte Eispfote nach. „Schneepfote scheint netter zu sein, aber sie sagt nicht viel, wenn ihr Bruder dabei ist.“ Hummelpfote verabschiedete sich grinsend und kehrte zu seinem Clan zurück.

Kleepfote stand ebenfalls auf. „Finde ich auch. Ihr seid eindeutig die besseren Gesprächspartner. Bis zum nächsten Mal!“ Gut gelaunt stapfte sie ihrem Bruder hinterher.

Genau in diesem Moment brach der WasserClan wie eine weiße Front durch das Unterholz. WasserClan und LuftClan vermischten sich, Silberstern nahm ihren Platz neben Wacholderstern ein und würdigte Schwarzstern keines Blickes. Wenige Minuten später kam auch der ErdClan.

Die Versammlung konnte beginnen.

Löwenzahnstern eröffnete die Versammlung, aber schon am Anfang konnte man merken, dass eine gewisse Spannung in der Luft lag. LuftClan und WasserClan saßen so eng beieinander, dass sie wie ein großer Clan wirkten, auch wenn es einzelne Katzen wie Hummelpfote oder Kleepfote gab, die lieber mit deutlichem Abstand auf ihrer Seite blieben und den anderen argwöhnische Blicke zuwarfen.

In der ersten Reihe vom WasserClan saß Donnertaucher und warf dem FeuerClan immer wieder hasserfüllte Blicke zu. Direkt neben ihm befand sich ein weiterer weißgrauer, getigerter Kater, der ein ebenso kräftiges Kreuz und einen muskulösen Körper besaß. Vielleicht waren sie Brüder oder gute Freunde, jedenfalls steckten sie immer wieder die Köpfe zusammen und tuschelten leise. Sturmpfote würde es nicht wundern, wenn sie Schwarzstern den Tod wünschten.

„Meine Lieben“, begann Silberstern sogleich und unterbrach damit Löwenzahnstern. „Darf ich?“ Als der Anführer des ErdClans schwieg, fuhr sie fort: „Ich möchte nicht lange hinauszögern, worüber ich mir seit eineinhalb Wochen den Kopf zerbreche. Lachssänger, eine geschätzte Kriegerin des WasserClans und Mutter unserer beiden Schüler Eispfote und Schneepfote, wurde hinterhältig und blutig ermordet.“

Ihre Worte verfehlten die Wirkung nicht. Der FeuerClan schnaubte, erwiderte jedoch nichts. Der ErdClan, der davon noch nichts wusste, bekundete Empörung und Beileid. Der LuftClan senkte den Kopf.

Sturmpfote wusste, was jetzt kam.

„Wir haben eine erfahrene Kriegerin, die Mutter unserer Schüler und die Gefährtin von Donnertaucher verloren.“ Silberstern legte eine Kunstpause ein, ließ ihren Blick über die versammelten Clans gleiten und blieb an Schwarzstern hängen, wobei ihr Blick starr wurde. „Und das alles haben wir dem FeuerClan zu verdanken! Der Geruch dieser Verräter am Gesetz der Krieger klebte in den blutigen Wunden, die man Lachssänger in den Körper gerissen hatte!“

Der WasserClan sprang auf, fauchte und spuckte, das Fell gesträubt. Ganz vorne mit dabei Donnertaucher, dem die Mordlust ins Gesicht geschrieben stand. Er hatte Lachssänger verloren und er wollte Gleiches mit Gleichem vergelten.

Der FeuerClan sprang ebenfalls auf. „Lügnerin!“, rief Blaukralle, die Muskeln bis aufs Äußerte gespannt, um sich jeden Wimpernschlag auf seine Feinde stürzen zu können.

Der LuftClan stimmte in das Jaulen des WasserClans ein, während der ErdClan, umgeben von den Fronten, ebenfalls auf den Beinen war. Buschige Schwänze waren in die Höhe gereckt, Ohren zuckten unruhig umher.

Schwarzstern grollte tief und bedrohlich. „Du wagst es, meinen Clan erneut zu beschuldigen? Dieses Mal vor den versammelten Clans?“

„Gerade hier!“, spuckte Silberstern hervor. Zwischen beiden lagen nur zwei Fuchslängen. Sie könnten sich jederzeit gegenseitig an die Kehle springen. „Wie sonst willst du mir erklären, dass Lachssänger ausgerechnet an der Grenze zum FeuerClan angegriffen wurde? Und dass FeuerClan-Geruch an ihr haftete?“

„Lasst uns das in Ruhe regeln“, sprach Löwenzahnstern, doch seine Stimme ging in der allgemeinen Aufregung vollkommen unter.

„Seit mit dir eine HalbClan-Katze Anführer des FeuerClans wurde, geht es bergab mit diesem einst ehrbaren Clan! Erst das und dann das Hauskätzchen, das du in deine Reihen aufgenommen hast wie dein eigen Fleisch und Blut! Verräter am FeuerClan, Verräter am Gesetz der Krieger, das bist du!“

Schwarzstern grub seine messerscharfen Krallen tief in die Borke der Eiche. Jeder wusste, dass er den Frieden, der den Versammlungen am Heiligen Berg garantiert war, bedrohte, sollte er Silberstern angreifen.

Sturmpfote war sich sicher, dass sie genau das wollte, damit sie ein weiteres Vergehen hatte, das sie ihm anlasten konnte.

Löwenzahnstern trat zwischen die beiden Kontrahenten. Er war größer als sie, baute sich mit seinen breiten Schultern und dem langen Fell auf. „Ruhe!“ Seine Stimme donnerte über die Versammlung hinweg. „Im Namen des SternenClans, beruhigt euch!“ Endlich wurde das Fauchen und Zischen, das Grollen und Brummen leiser, bis es fast ganz verebbte. „Die Ermordung einer Clan-Katze verstößt gegen das Gesetz der Krieger. Es liegt auch in meinem Interesse, dass wir aufklären, wer für den Tod von Lachssänger verantwortlich ist.“

„Das ist doch offensichtlich!“, fauchte Silberstern, doch sie wusste, wann sie sich zurückhalten musste, also schloss sie wieder den Mund.

„Schwarzstern, was hast du zu diesen Anschuldigungen zu sagen?“

Schwarzstern atmete tief ein und aus, bis er genügend Selbstbeherrschung aufbrachte, um die Krallen wieder einzufahren. „Ich verbürge mich für meinen Clan. Der FeuerClan hat damit nichts zu tun. Zum Zeitpunkt des Angriffs war kein Mitglied meines Clans alleine unterwegs.“

Löwenzahnstern nickte. „Und wie erklärst du dir, dass der Geruch des FeuerClans an Lachssängers totem Körper haftete?“

Einen Moment schwieg der Anführer. „Ich weiß es nicht. Ich weiß es nicht, aber es wäre nicht undenkbar, dass der Angreifer durch unser Territorium gekommen ist. Lachssänger wurde nahe der Nordgrenze ermordet. Es wären nur wenige hundert Meter, die der Angreifer bis zur Wildnis hätte.“

Erneut nickte Löwenzahnstern. „Gut. Und nun möchte ich euch an etwas erinnern, was die Heiler uns Anführern vor einigen Monden mitgeteilt haben. Es war ein Traum, den alle vier Heiler miteinander geteilt haben. Ihr erinnert euch. Jeder Clan leidet auf seine Weise. Jeder Clan wird eine Gefahr überstehen müssen. Die Hoffnung auf eine bessere Zukunft darf nicht aufgegeben werden. Nur neues Blut kann den Clan retten.“ Nun legte auch er eine Kunstpause ein, in der er Silberstern fixierte. „Ich sage dies, weil auch ich euch etwas zu berichten habe. Vor wenigen Tagen haben meine Krieger unweit der Südgrenze unseres Reviers Zweibeiner gesichtet.“

„Zweibeiner?“ Unruhig rutschte Silberstern auf ihrem Ast umher.

Auch andere Katzen fielen in das unruhige Gemurmel ein. Das waren keine Neuigkeiten, die gut aufgenommen wurden.

„Zweibeiner“, wiederholte Löwenzahnstern. „Sie kamen, blieben den ganzen Tag, liefen in der Wildnis umher. Mal waren sie weiter weg, mal näher.“

„Haben sie euch entdeckt?“, fragte Wacholderstern besorgt.

„Natürlich nicht“, erwiderte der Anführer des ErdClans mit einem Schnauben. „Wir wissen nicht, wieso sie hier waren. Zweibeiner nahe des ErdClans. Ein unbekannter Angreifer im WasserClan.“

„Ein unbekannter Geruch an der Ostgrenze des FeuerClans“, fügte Schwarzstern hinzu. „Vielleicht dasselbe Wesen, das Lachssänger angegriffen hat.“

„Vielleicht die Zweibeiner“, sagte Wacholderstern mit dünner Stimme.

Löwenzahnstern seufzte. „Ihr seht, worauf ich hinaus will. Der SternenClan warnte uns bereits vor mehreren Monden davor, dass eine Gefahr kommen wird, die Leiden verursacht. Silberstern, ich bitte dich, urteile nicht zu vorschnell. Vertrauen wir darauf, dass Schwarzstern und der FeuerClan das Gesetz der Krieger ehren, wie es sich gehört. Wie wir es alle tun. Ich schlage vor, dass wir die Verhandlung über Lachssängers Tod vertagen, bis wir mehr wissen.“

Es klang wie ein Vorschlag, war aber eindeutig nicht als solcher gemeint. Silberstern zog die Lippen kraus und legte die Ohren leicht an, doch sie beugte sich dem Anführer des ErdClans. „So sei es“, sprach sie verbittert. „Einen Mond lang gebe ich dem FeuerClan Zeit, um seine Unschuld zu beweisen. Sollte es dir bis zur nächsten Versammlung nicht gelingen, Schwarzstern, werde ich Vergeltung für Lachssängers Tod fordern.“

Auch Schwarzstern wirkte unzufrieden, doch er war ebenso wenig wie Löwenzahnstern darauf aus, dass diese Versammlung eskalierte. „Gut.“ Er nickte. „Ich werde meinen Kriegern auftragen, dass sie fortan täglich alle Grenzen kontrollieren. Wenn auch wir Zweibeiner nahe der Reviergrenzen sehen, werden wir es euch wissen lassen.“

„Wir werden ebenfalls wachsam sein und die Zweibeiner nicht aus den Augen lassen“, versprach Löwenzahnstern.

„Und ich hoffe, dass ihr euch irrt“, sagte Wacholderstern leise. „Der SternenClan mag zwar vorausgesagt haben, dass jedem Clan eine Gefahr bevorsteht, doch bislang ist der LuftClan davon verschont geblieben – und ich hoffe, dass dem so bleibt. Wir haben weder etwas mit den Zweibeinern im ErdClan zu tun noch mit der Auseinandersetzung zwischen dem WasserClan und dem FeuerClan.“ Als er das sagte, kassierte er einen bösen Blick von Silberstern, unter dem er zusammenzuckte. Kein Zweifel, dass er gerade in ihrer Gunst gesunken war. „Der LuftClan wird wachsam sein, aber mehr nicht. Klärt eure Probleme alleine und zieht uns nicht in die Prophezeiung des SternenClans mit hinein. Wir wollen keinen Ärger.“

Wie konnte er so naiv sein! Sturmpfote kniff die Augen zusammen. Wenn sich die Zweibeiner an der Südgrenze des ErdClans aufhielten, konnten sie jederzeit auch an die Südgrenzen des FeuerClans oder LuftClans kommen. Beim SternenClan, es waren Zweibeiner! Sie konnten alles Mögliche tun! Niemand wusste, was in ihren Köpfen vorging!

Wenn der SternenClan jeden einzelnen Heiler davor gewarnt hatte, dass eine Gefahr für jeden Clan bevorstand, würde Wacholdersterns Clan nicht davon verschont bleiben, da war Sturmpfote sich sicher. Sie durften die Hoffnung nicht aufgeben, egal wie schlimm es werden würde, das hatte der SternenClan auch gesagt. Und dass nur neues Blut den Clan retten konnte. Aber welcher Clan war damit gemeint?

Einen kurzen Augenblick lang fragte Sturmpfote sich sogar, ob der SternenClan ihn gemeint hatte; immerhin kam er als Hauskätzchen zum FeuerClan und brachte somit neues Blut in die vorhandenen Blutlinien. Doch wenn dem so war, bedeutete das nicht vielleicht auch, dass es den FeuerClan besonders schlimm treffen würde? Sturmpfote verstand diese Prophezeiung nicht. Auch die anderen schienen zum ersten Mal davon zu hören. Bis auf die Anführer und die Zweiten Anführer tuschelten sämtliche Katzen darüber. Warum hatten die Anführer es bislang geheim gehalten? Gab es noch mehr, was sie vor den Clans verbargen?

Fragen über Fragen.

„Wir gehen.“ Eisbart trommelte den FeuerClan zusammen, denn die Versammlung war nun beendet. In derselben Formation wie vorher trotteten sie den Hang gen Osten hinab, bis sie am Fuße des Heiligen Bergs den Laubwald erreichten, der ihr Zuhause war.

„Gruselig“, flüsterte Fleckenpfote leise. „Diese Prophezeiung spricht von Gefahren und Leiden.“ Er schluckte. „Meinst du … Meinst du, dass es wirklich das sein könnte, was wir schon gerochen haben? Welches Tier könnte grausam genug sein, um Lachsfänger so zuzurichten?“

„Ich weiß es nicht“, musste Sturmpfote zugeben, doch auch er machte sich Gedanken darüber. „Aber ich wünschte, ich wüsste es, damit wir etwas dagegen unternehmen könnten.“

Den restlichen Weg über verbrachten sie schweigend, bis sie das Lager erreichten. Sturmpfote entspannte sich, denn nun war er in seiner vertrauten Umgebung. Zu seiner Überraschung waren noch erstaunlich viele Katzen auf den Beinen.

Ahornseele lief unruhig auf und ab und als sie ihren Bruder erblickte, kam sie an und rieb ihren Kopf an seiner Flanke.

„Was ist los?“, fragte Haselschweif sogleich.

„Blaufell“, murmelte Ahornseele unglücklich.

„Was ist mit ihm?“, fragte nun auch Schwarzstern, während sich die Krieger, die mit ihm zur Versammlung gekommen waren, über das Lager verstreuten.

„Ich weiß es nicht.“ Ahornseele verzog das Gesicht. „Wir waren gemeinsam auf Nachtpatrouille und trennten uns nur kurz, um die Südgrenze schneller ablaufen zu können. Mir ist nichts Auffälliges begegnet, aber kurz nach unserer Rückkehr ins Lager ist Blaufell krank geworden.“

„Krank?“ Schwarzsterns Ohren drehten sich in Richtung des Heilerbaus.

Ahornseele nickte, doch ihre Besorgnis wich nun einer leichten Genervtheit. „Er hat die ganze Zeit gejammert, dass er hungrig ist. So schlimm kann es also auch wieder nicht sein.“

Schwarzstern seufzte. „Ich werde mich bei Honigblüte erkundigen. Geh schlafen, Ahornseele. Du hast dir die Nachtruhe verdient.“

Mit einer Geste der Dankbarkeit verabschiedete Ahornseele sich und lief neben ihrem Bruder zum Bau der Krieger.

Lachssänger war tot, Blaufell wurde krank. Sturmpfote fragte sich, was wohl als nächstes passieren würde.

„Bestimmt hat er irgendwo genascht und sich den Magen verdorben“, witzelte Blaukralle schnaubend. „Wäre nicht das erste Mal.“ Sturmpfote glaubte ihn noch so etwas wie „unbrauchbarer Speckkater“ murmeln zu hören, doch es interessierte ihn auch nicht weiter, was ausgerechnet Blaukralle dazu zu sagen hatte.

Alles, was er jetzt noch wollte, war schlafen. Er gähnte. Im Bau der Schüler warteten bereits Milchpfote und Fleckenpfote auf ihn. Neben ihnen rollte Sturmpfote sich ein und schloss die Augen. Es würde alles gut werden. Es musste alles gut werden. Eine andere Alternative gab es gar nicht.

Keine zwölf Stunden später war Blaufell tot.

Der Clan befand sich in Schockstarre. Fassungslosigkeit, Traurigkeit, Angst. Kieselpelz‘ Klagen über den Tod ihres Gefährten hallte ununterbrochen aus dem Bau der Königinnen heraus und Honigblüte konnte kaum etwas dagegen unternehmen.

Ahornseele saß zusammengekauert neben ihrem Bruder und wirkte noch kleiner und zerbrechlicher als sonst. Sie gab sich die Schuld daran, auch wenn sie nichts dafür konnte, was ihr jeder mehr als einmal gesagt hatte.

„Ich habe alles getan, was in meiner Macht stand“, beteuerte Honigblüte sachlich. Blaufells Tod traf sie ebenso hart wie den Rest des Clans, aber sie war die Heilerin und hatte im Verlauf der letzten beiden Blattleeren mehr Katzen sterben sehen als die meisten anderen im Clan. Sie war jedes Mal live dabei gewesen, wenn einer seinen letzten Atemzug getan hatte – und nicht selten hatte sie sich dafür noch rechtfertigen müssen.

„Du hättest ihn retten können!“, jammerte Kieselpelz mit Schmerz im Blick. Sie wollte noch mehr sagen, doch sie verschluckte sich, drehte den Blick gen Himmel und stieß einen furchtbaren Klagelaut aus, der die ganze Welt zu zerreißen schien. „Blaufell!“ Der Kopf sank matt auf die Vorderpfoten und sie ignorierte das Winseln ihrer hungrigen Jungen.

Herbstfleck saß unruhig neben dem Eingang, den sich der Bau der Königinnen und der Heilerbau teilten. Die Schnauze zuckte immer wieder und sie warf Fleckenpfote einen bitterbösen Blick zu, als dieser eine wohlgenährte Maus brachte. „Du bist spät dran!“, blaffte sie, nahm ihm die Maus ab und legte sie vor Kieselpelz ab.

Diese öffnete kaum die Augen. Die Hinterbeine versperrten den Eingang, der restliche Körper lag draußen. Kein Sonnenstrahl kam bis zur Erde. Graue Wolken verschleierten den Himmel. „Ich will nicht.“

„Du musst fressen.“ Herbstfleck starrte sie an, dann fügte sie etwas sanfter hinzu: „Denk an deine Jungen. Du musst fressen und stark bleiben. Für Nebeljunges. Für Dachsjunges.“

„Ich will nicht“, wiederholte Kieselpelz, jaulte erneut auf und rollte sich zu einer flauschigen Kugel zusammen.

Über ihren Körper hinweg sah Herbstfleck Honigblüte fragend an, doch diese rollte nur mit den Augen. „Lass sie.“

„Aber sie muss etwas fressen!“

Honigblüte schüttelte den Kopf. „Niemand kann einem den Schmerz nehmen. Da muss sie alleine durch. Fliederjunges ist fast entwöhnt, zur Not kann sich Zimtfeder noch ein paar Tage um Nebeljunges und Dachsjunges kümmern. Außerdem wird Schneeflügel in etwa einer Woche selbst Junge haben. Schneeflügel ist kräftig und gesund, sie wird genügend Milch produzieren.“

Herbstfleck sah unzufrieden aus. „Kieselpelz ist meine Schwester. Ich kann sie nicht leiden sehen.“

„Sie wird sich wieder beruhigen“, sagte Honigblüte lediglich, leckte Kieselpelz einmal über den Kopf und kehrte dann in ihren Heilerbau zurück.

Seufzend trabte Herbstfleck davon und gesellte sich zu ihren Kindern Ahornseele und Rindentänzer, um ihnen Gesellschaft zu leisten. Zur Abwechslung konnte sie den beiden Königinnen nicht helfen.

Schwarzstern hatte bereits angeordnet, dass Blaufells toter Körper außerhalb des Lagers in einer Sandmulde vergraben wurde. In den frühen Morgenstunden hatte sich jeder im Clan von dem Leichnam verabschiedet, bis Schwarzstern, Blaukralle, Haselschweif und Ahornseele losgezogen waren, um den Körper zu entsorgen. Blaufells Seele wandelte nun beim SternenClan, doch sein Körper würde bei den warmen Temperaturen schnell zu einer Quelle von Krankheit und Aasfressern werden.

Sturmpfote hatte sie dabei aus der Entfernung beobachtet, war dann aber ins Lager zurückgekehrt. Das Leben ging weiter, es musste weitergehen. Die Patrouillen hatten ihre Arbeit wieder aufgenommen, aber nun, am frühen Nachmittag, waren alle im Lager versammelt und ergaben sich wieder dem Schock über den plötzlichen Tod des Kriegers.

„Ich hätte besser aufpassen müssen“, tadelte Ahornseele sich zum wiederholten Mal. „Wir hätten uns nicht trennen dürfen. Wieso habe ich ihn alleine gelassen?“

„Du hast nichts Falsches getan, mein Kind.“ Herbstfleck putzte sie wie damals, als sie noch ein Junges gewesen war.

Milchpfote, Fleckenpfote und Sturmpfote zogen sich zum Eingang ihres Schülerbaus zurück.

„Honigblüte hat gesagt, dass Blaufells Atem einen seltsamen Geruch verströmt hat. Er hat nach Krankheit und Tod gerochen. Nach Gift.“ Milchpfote schüttelte sich.

„Bestimmt hat er etwas gefressen, das ihn vergiftet hat“, schlussfolgerte Fleckenpfote. Nicht nur er hatte diesen Verdacht, aber beweisen ließ sich nichts und Blaufell konnten sie nicht mehr fragen. „So verfressen, wie er war.“

Sturmpfote nickte. „Die Patrouille hat nichts Verdächtiges gefunden, aber das heißt nichts.“

„Wir werden die Augen offenhalten“, meinte Milchpfote bestimmend. „Vielleicht waren es auch die Zweibeiner. Ahornseele und Blaufell waren an der südlichen Grenze unterwegs, von dort ist es nur ein Katzensprung bis zum Gebiet des ErdClans und dort waren die Zweibeiner schon unterwegs.“

„Aber wieso sollten sie Blaufell vergiften?“ Sturmpfote traute den Zweibeinern vieles zu, immerhin hatten ihn die Zweibeiner seiner Mutter einfach im kältesten Winter in der Wildnis ausgesetzt. Aber Gift?

„Und wie“, ergänzte Fleckenpfote. „Wir wissen nur, dass Blaufell vermutlich etwas gefressen hat, das ihn vergiftet hat, mehr nicht.“
 

***
 

Auch wenn Kieselpelz nicht nachzuvollziehen schien, wie Schwarzstern den FeuerClan nach Blaufells Tod zur Normalität antreiben konnte, geschah genau dies. Am Tag nach seinem Tod ging bereits alles seinen geregelten Gang. Ahornseele hatte darauf bestanden die Nachtwache für Blaufell zu halten und Schwarzstern hatte ihr diesen Wunsch gewährt. Kieselpelz kümmerte sich noch immer nur schwerfällig um ihre Jungen, hatte das Säugen aber wieder aufgenommen, was wohl zum größten Teil daran lag, dass Honigblüte, Zimtfeder und Herbstfleck sie immer wieder dazu animiert hatten.

Sturmpfote streckte sich gerade, als Schwarzstern auf seinem Anführerfelsen die Schultern straffte. „Ich fordere alle Katzen, die alt genug sind, um selbst Beute zu machen, dazu auf, sich hier zu einem Clan-Treffen zu versammeln.“

Sogleich parierte der FeuerClan und versammelte sich unterhalb des Felsvorsprungs in einem gedehnten Halbkreis. Auch Honigblüte kam aus ihrem Heilerbau dazu und setzte sich neben Haselschweif in die erste Reihe.

„Wie ihr wisst, hat Blaufell am gestrigen Morgen sein Leben gelassen. Noch immer wissen wir nicht, wer oder was dafür verantwortlich ist.“ Er machte eine Kunstpause, um seine Worte wirken zu lassen und Blaufell noch einmal in Erinnerung zu rufen. „Ich möchte nach dieser Versammlung eine Patrouille zur Südgrenze anführen und dort noch einmal genauer nach der Ursache der Vergiftung suchen. Haselschweif, Eisbart, Apfelpelz, Fleckenpfote und Sturmpfote, ihr werdet mich begleiten.“ Noch einmal pausierte Schwarzstern, dann setzte er sich und wirkte etwas entspannter. „Zudem habe ich mich mit Haselschweif beraten und möchte hiermit verkünden, dass ich Schneeflügel offiziell in den Bau der Königinnen entlassen werde.“

Schneeflügel wirkte kein bisschen überrascht. Hatte sie davon bereits gewusst? Sturmpfote blickte zu seiner Mentorin, die sich nichts anmerken ließ, ihm aber zuversichtlich zunickte.

„Sturmpfote, tritt vor.“

Er tat, wie ihm geheißen, wusste aber nicht, was jetzt kommen würde. Würde er einen neuen Mentor bekommen?

Schwarzstern ließ seinen Blick für eine Weile schweigend auf Sturmpfote ruhen, dann fuhr er fort. „Sturmpfote, du bist seit drei Monden bei uns, seit zweieinhalb Monden ist Schneeflügel deine Mentorin. Sie hat dir bereits vieles beigebracht, über dich gewacht und mir stets von deinen Fortschritten berichtet.“

Ach, war dem so? Was hatte sie dem Anführer alles erzählt?

„Die Verbindung zwischen einem Mentor und einem Schüler ist ein besonderes Verhältnis und es tut mir leid für dich, dass Schneeflügel fortan nicht mehr deine Mentorin sein kann.“

Schneeflügel wiegte ihren Kopf sanft nach vorne und wieder zurück.

„Eisbart, nachdem Blaukralle zum Krieger wurde, bist du wieder bereit für einen Schüler. Du wurdest hervorragend ausgebildet und du hast bewiesen, dass du ein wichtiges Mitglied des FeuerClans bist. Du wirst der Mentor von Sturmpfote sein und ich bin davon überzeugt, dass du dein Wissen an ihn weiter geben wirst.“

Sturmpfote lief ein leichter Schauer über den Rücken. Ausgerechnet Eisbart hatte Blaukralle ausgebildet? Wieso hatte er es nie erwähnt?

Eisbart trat hervor, berührte Sturmpfotes Nase mit seiner und sah ihn mit einem unergründlichen Blick an.

Schwarzstern beendete die Versammlung, rief die Mitglieder seiner Patrouille jedoch dazu auf, dass sie sich bereithalten sollten.

Schneeflügel trat zu den beiden und stupste Sturmpfote an der Schulter an. „Ich bin davon überzeugt, dass Eisbart dich zu einem vollwertigen Krieger ausbilden wird.“

Eisbart lächelte leicht. „Aber nur, weil du bereits gute Vorarbeit geleitet hast.“

„Nachdem du Sturmpfote in das Clanleben eingeführt hast“, erwiderte Schneeflügel. Dann wandte sie sich wieder ihrem ehemaligen Schüler zu. „Du weißt, dass ich bereits jetzt davon überzeugt bin, dass du zur Kriegerprüfung antreten könntest, doch diese Entscheidung liegt nun nicht mehr bei mir. Zweieinhalb Monate Training liegen hinter dir, aber man lernt sein Leben lang weiter. Ich erwarte, dass du auch in Zukunft immer dein Bestes geben wirst, um weder mich noch Eisbart oder den Clan zu enttäuschen.“

„Natürlich, Schneeflügel“, sprach er mit feierlicher Stimme. Noch ein letztes Mal sah er in ihre bernsteinfarbenen Augen, dann senkte sie den Kopf, leckte über seine Stirn, drehte sich um und ging zum Bau der Königinnen.

Eisbart gab ihm einige Minuten Zeit, um sich zu sammeln, dann ertönte auch schon Schwarzsterns Ruf. Die Patrouille sollte sich sammeln; es ging los.
 

***
 

Die Südgrenze wirkte wie immer. Schwarzstern und Haselschweif markierten noch das letzte Stück, während Eisbart, Apfelpelz, Fleckenpfote und Sturmpfote auf die beiden warteten. In einiger Entfernung wiegten sich die Nadelbäume des ErdClans auf der anderen Seite des Baches sanft im Wind. Sturmpfote wurde erst jetzt bewusst, wie sehr er sich an das Leben im FeuerClan gewöhnt hatte, denn das Rascheln der Laubbäume war zu seinem ständigen Begleiter geworden. Während das Gebiet des FeuerClans ausschließlich Laubbäumen eine Heimat bot, fanden sich auf dem Gebiet des ErdClans Laub- und Nadelbäume. Dort war es stiller, dunkler, moosiger.

„Wir wären soweit“, sagte Haselschweif und sein buschiger, rostbrauner Schweif schlug gemächlich in der Luft umher.

Der FeuerClan besaß nur einen schmalen Streifen Südgrenze, die nicht vom Ufer des Baches begrenzt war. Irgendwo hier musste sich Blaufell vergiftet haben, das war allen bewusst. Sturmpfote fragte sich, wieso sie nicht Ahornseele mitgenommen hatten, doch Schwarzstern hatte angeordnet, dass die junge, dreifarbige Katzendame Erholung brauchte.

In Formation marschierten sie vom Ufer weg, immer entlang der Grenze, die durch die Duftmarken des Clans gekennzeichnet war.

Schwarzstern ließ seinen Blick aufmerksam umherschweifen. „Fleckenpfote, du hast den fremden Geruch von Lachssängers Angreifer damals als erstes wahrgenommen, noch vor allen anderen. Ich verlasse mich auf deinen ausgeprägten Geruchssinn.“

„J-ja, Schwarzstern.“ Überrascht von der direkten Ansprache zuckte Fleckenpfote leicht zusammen, reckte dann aber augenblicklich die Nase in die Höhe, um stolz zu schnuppern und zu wittern.

„Und?“

Fleckenpfote zögerte. „Ich bin mir nicht sicher.“

Haselschweif und Schwarzstern wechselten einen flüchtigen Blick, ehe Eisbart das Wort ergriff. „Das ist wichtig, Fleckenpfote, streng dich an.“

Apfelpelz, der bislang geschwiegen hatte, gähnte leise vor sich hin und sagte: „Setz ihn nicht unter Druck. Mein Schüler weiß, was er tut.“

Sturmpfote entging nicht das genervte Augenrollen seines neuen Mentors, doch Eisbart schwieg und mischte sich nicht weiter ein.

„Ich glaube, ich rieche etwas, aber es liegt jenseits der Grenze.“

Beunruhigt wandte Schwarzstern seinen Kopf in Richtung Wildnis. „Jenseits der Grenze?“ Er schüttelte ungläubig den Kopf, ganz so, als könnte er sich nicht vorstellen, wie Blaufell die Regeln des Clans so offensichtlich hätte brechen können. „Und was riechst du?“

„Es ist nur noch eine Spur, aber ich glaube, dass es das Gift ist. Zusammen mit verdorbenem Aas und etwas, das viel Süßlicher ist.“

„Dann müssen wir nachsehen.“

„Schwarzstern!“ Haselschweif schloss dicht zu seinem Anführer auf. „Bist du dir sicher? Die Clans kümmern sich nicht um das, was in der Wildnis passiert, solange die Grenzen gewahrt bleiben. Kein Clan tut so etwas.“

Schwarzstern grollte unzufrieden. „Das weiß ich, Haselschweif. Aber ich denke, wir befinden uns in einer angespannten Lage. Silberstern glaubt nicht an den Angreifer aus der Wildnis und auf einmal kommen von dort Zweibeiner und ein Gift, das nun auch einen der unseren Krieger getötet hat. Ich muss wissen, womit wir es zu tun haben.“ Dann nickte er Fleckenpfote zu. „Führ uns hin.“

Fleckenpfote war mit der ganzen Aufmerksamkeit sichtlich überfordert. Seine Ohren und die Schwanzspitze zuckten unruhig umher, seine Schnurrhaare bebten im Wind. Zuerst ging er vorsichtig über die Grenze, wandte sich immer wieder um, bis er den ganzen Mut zusammennahm und mit festen Schritten die Wildnis betrat. Alle anderen folgten ihm.

Sturmpfote spürte, wie der Blick seines Mentors auf ihm ruhte. Eigentlich wollte er Eisbart nicht in die Augen sehen, tat es dann aber doch.

Eisbart knirschte leicht mit den Zähnen. „Kommt es dir hier von deinem kleinen Ausflug in die Wildnis bekannt vor?“

Er spannte sich an. „Nein. Das war die östliche Grenze, nicht die südliche. Außerdem war es kein Ausflug. Blaukralle hat mich in eine Falle gelockt.“ Sturmpfote wusste nicht, was Eisbart damit bezwecken wollte, doch was immer es war, er ließ es sich nicht anmerken. Anstatt weiter darauf einzugehen, schwieg er, sodass Sturmpfote sich einfach auf Fleckenpfote konzentrierte, der sie noch einige Meter weiter führte, ehe er stehen blieb.

Schwarzstern ging ungehindert an Fleckenpfote vorbei, blieb dann ebenfalls stehen und drehte sich einmal im Kreis. „Hier muss es gewesen sein.“

Sie alle konnten riechen, was Fleckenpfotes feine Nase bereits vorher aufgeschnappt hatte. Es war eine feine Nuance, süßlich, bitter, ätzend, verführerisch. Nichts, was Sturmpfote jemals gerochen hatte und den anderen erging es ebenso.

„Hier drüben!“ Apfelpelz hatte neben einem Busch mit Beeren die Überreste von einem Stück Fleisch gefunden, an dem Überreste von Honig und blauen Körnern klebten. „Es verströmt den Geruch, aber durch die Sonne und die Hitze sind die Reste verdorben.“

„Aas“, stellte Schwarzstern fest, schnupperte daran und knurrte leise. „Aas und Gift. Damit steht fest, was Blaufell gefressen hat.“

Haselschweif seufzte. „Das bedeutet, dass er das Revier des Clans verlassen hat. Ich gehe davon aus, dass dieses Stück Fleisch eine leichte Beute für ihn war. Unwiderstehlich.“

„Die Zweibeiner machen so etwas.“

Alle Augen wandten sich zu Sturmpfote um. Dieser leckte sich über die Lippen. „Ich habe so etwas schon einmal in klein gesehen. Im Garten der Zweibeiner meiner Mutter. Sie präparieren ein gutes Stück Fleisch mit Gift, fügen Leckereien hinzu und töten damit Ratten. Aber das hier“, seine Pfote deutete auf das Aas, „ist nicht für Ratten. Es ist viel größer und mit Honig beschmiert. Die blauen Körner, das ist das Gift. Ich weiß nicht, welches Tier damit vergiftet werden soll.“

Schwarzsterns dichter, langer Pelz sträubte sich. „Die Zweibeiner also. Du bist dir sicher?“

Sturmpfote nickte.

„Das ergibt Sinn. Nur Zweibeiner können so etwas tun“, fügte nun auch Eisbart hinzu. „Und wir sollten unserem Experten für Zweibeiner glauben“, ergänzte er mit einem flüchtigen Blinzeln.

Einen Moment lang standen sie schweigend da, bis Schwarzstern sich als erster wieder rührte. „Gut. Jetzt wissen wir, woran wir sind. Die Zweibeiner waren hier und es muss kurz vor Blaufells Tod gewesen sein, sonst hätte er das Fleisch niemals angerührt.“ Er rümpfte die Nase. „Schon jetzt stinkt es bestialisch nach Verwesung. Blaufell hat das Territorium des Clans verlassen.“ Er pausierte. „Wir hätten nichts mehr für ihn tun können. Gegen das Gift der Zweibeiner kommt auch Honigblüte nicht an. Jeder im Clan soll angewiesen werden, nur Frischbeute zu verspeisen, die von den Jagd-Patrouillen erlegt worden ist.“

„Eigentlich eine Selbstverständlichkeit, sollte man meinen.“ Eisbart legte ein Ohr an, das andere blieb gerade.

Schwarzstern scharrte ein wenig Erde über das Aas, wandte sich dann zum Gehen um. „Haselschweif, sorg dafür, dass der Clan davon unterrichtet wird. Ich werde mich noch heute um eine Audienz bei Löwenzahnstern bemühen, um ihn vor dem Gift zu warnen.“

„Was ist mit Silberstern?“, wollte Eisbart wissen, während er seinem Anführer folgte. „Und Wacholderstern?“

„Es wäre die Pflicht, auch sie davon in Kenntnis zu setzen.“ Dennoch machte Schwarzstern den Eindruck, dass er davon nicht begeistert war. „Ich werde veranlassen, dass Löwenzahnstern die Botschaft an Wacholderstern weiterleitet. Mit Silberstern werde ich mich morgen treffen.“

Mit diesen Worten kehrten auch die anderen der Wildnis den Rücken. Sturmpfote war dankbar, als er wieder den Boden des FeuerClans unter seinen Pfoten hatte.
 

***
 

Sie liefen in westlicher Richtung an der südlichen Grenze entlang, bis der Geruch des ErdClans in Sturmpfotes Nase stieg. Bisher hatte es ihn außer zum Jagen nur selten bis an die Grenze verschlagen, aber der würzige Geruch nach Nadelbäumen, Harz und Kräutern war ihm definitiv lieber als der kalte, moosige, wässrige Geruch des WasserClans. Es war nicht so, dass er den anderen Clan nicht riechen konnte, aber er fühlte sich wohler, wenn er der Grenze des WasserClans nicht zu nahe kommen musste.

Gerade wollten sie sich vom Ufer des Baches abwenden und in einem gemäßigten Bogen zum Lager des FeuerClans zurückkehren, als auf der anderen Seite drei ErdClan-Katzen aus dem Unterholz traten.

Überrascht blieben die drei stehen, ebenso wie Schwarzstern und sein Gefolge.

Mohnpfote, der rote Schüler mit dem dichten, plüschigen Fell, war seit ihrer letzten Begegnung noch weiter gewachsen. Die Proportionen passten nun besser zusammen und seine großen, tapsigen Pfoten mit den Schneeschuhen wirkten nicht mehr fehl am Platz. Als er Sturmpfote erblickte, nickte er ihm freundlich zu.

Borkenschnabel, Mohnpfotes Mentor, ließ seinen Blick flüchtig über die versammelten Krieger des FeuerClans gleiten. Ob er gehofft hatte, dass Schneeflügel dabei sein würde? Zumindest ließ er sich nichts anmerken.

Schräg vor Borkenschnabel und Mohnpfote stand eine etwas kleinere Katzendame. Sie besaß zwar das lange Fell des ErdClans, doch ihre Statur war eher schlank bei einer durchschnittlichen Größe. Sie fixierte Schwarzstern mit ihren hellgrünen Augen. „Schwarzstern, zu dir wollte ich gerade“, sprach sie mit hoher, melodischer Stimme.

„Kirschliebe.“ Schwarzstern neigte sein Haupt leicht zum Gruß, trabte an seinen Kriegern vorbei zum Ufer und stand seiner Gesprächspartnerin nun direkt gegenüber. „Was kann ich für dich tun?“

„Kirschliebe ist die Zweite Anführerin des ErdClans“, erklärte Eisbart seinem Schüler leise, um die anderen nicht zu stören.

Sturmpfote nickte seinem neuen Mentor dankbar zu. Er war zwar schon eine Weile beim FeuerClan, aber das bedeutete nicht, dass er alle Katzen aus allen drei anderen Clans kannte.

„Löwenzahnstern schickt mich“, begann Kirschliebe, zögerte dann jedoch. „Ich würde dieses Anliegen gerne persönlich mit dir klären.“ Ihr Blick wanderte über die anderen und verhärtete sich für einen winzigen Moment. „Alleine.“ Der harte Ausdruck verschwand so schnell, wie er gekommen war. Mit ihrer gewohnt lieblichen Stimme sprach sie weiter: „Ohne das böse zu meinen. Du weißt, dass ich den FeuerClan ebenso sehr schätze wie Löwenzahnstern. Aber es geht um die Zweibeiner.“

Dies ließ sie alle aufhorchen.

Schwarzstern nickte. „Natürlich. Das trifft sich gut, denn ich muss Löwenzahnstern ebenfalls etwas berichten.“

„Ich werde ihm deine Nachricht überbringen.“

Mit einer Selbstverständlichkeit, die nur einem Anführer innewohnte, überquerte Schwarzstern den Bach an zwei flachen, größeren Steinen. Haselschweif folgte ihm, ohne zu zögern. „Du wirst uns sicherlich zu ihm bringen, nicht wahr, Kirschliebe?“

Die Zweite Anführerin verspannte sich minimal und Sturmpfote glaubte zu sehen, wie sie ihre Krallen nur wenige Millimeter in den sandigen Untergrund bohrte, sofort aber wieder zurück zog. „Natürlich. Folgt uns.“ Sie wandte Schwarzstern den Rücken zu, lief voran und verschwand wieder im Unterholz.

Eisbart atmete tief durch. „Kommt mit, wir warten im Lager auf die beiden.“

Apfelpelz und Fleckenpfote folgten ihm sogleich, doch Sturmpfote blieb noch einige Sekunden zurück und starrte auf die Stelle, an der Kirschliebe mit den anderen verschwunden war. Sie mochte klein und lieblich aussehen, doch irgendetwas – wahrscheinlich dasselbe Bauchgefühl, das ihn von Anfang an vor Blaukralle und Rosentau gewarnt hatte – sagte ihm, dass man sie keinesfalls unterschätzen durfte.
 

***
 

Am Abend war der Clan um den Frischbeutehaufen versammelt. Schwarzstern hatte ihnen die Neuigkeiten von der südlichen Grenze mitgeteilt, aber auch, was Löwenzahnstern ihm zu berichten hatte. Die Zweibeiner waren wieder an den Grenzen des ErdClans gesichtet worden und hatten das Clangebiet dieses Mal sogar betreten. Giftköder hatten sie zwar keine ausgelegt, doch einige Krieger des ErdClans hatten sie dabei beobachtet, wie sie unweit der Clangrenzen metallische Kiefer auf der Erde aufgestellt hatten. Einige Stunden später hatte sich ein Reh dort verfangen, der Kiefer war zugeschnappt und hatte ein Bein abgetrennt und ein weiteres zerfetzt. Löwenzahnstern wollte die anderen Clans nun davor warnen, so wie Schwarzstern die Warnung vor den Giftködern ausgesprochen hatte.

Was all das zu bedeuten hatte, wussten sie noch nicht, doch Sturmpfote war sich sicher, dass die Zweibeiner wiederkommen würden und etwas planten.

Nein, sie planten nicht nur. Sie jagten etwas – und er hoffte inständig, dass es nicht irgendwann die Clan-Katzen sein würden.

Haselschweif, Blaukralle und Rosentau waren zum WasserClan ausgesendet worden, um Dornstachel oder Silberstern von den Ereignissen zu berichten. Sie waren nun schon eine kleine Weile fort und der Clan erwartete jeden Moment ihre Rückkehr.

„Was für Zeiten sind das nur“, sagte Milchpfote gerade seufzend. „Zweibeiner. Dass wir uns jemals damit rumschlagen müssen, hätte ich nicht gedacht.“

„Alles ist möglich“, schnurrte Falkenherz, die Älteste, und kniff dabei die Augen zusammen. „Ich habe schon viel gesehen, was für unmöglich gehalten wurde. Eine HalbClan-Katze wird Anführer. Fuchsauge stirbt viel zu früh. Nur der SternenClan weiß, was uns noch bevorstehen wird.“

„Seit wann bist du so negativ gestimmt“, fragte Herbstwolke sie besorgt, doch ihre orangefarbenen Augen huschten nervös umher. „Ich wünschte, Fleckenbaum würde noch leben.“

„Das weiß ich, meine Liebe“, sagte Falkenherz nun in einem versöhnlichen Tonfall. „Jeder wünscht sich doch mindestens einen seiner Lieben zurück.“

Schwarzstern und Honigblüte beratschlagten sich im Bau des Anführers. Herbstfleck wachte vor dem Bau der Königinnen und fraß dort ihr Abendessen. Jeder schien mit sich selbst beschäftigt zu sein, trotzdem entstanden hier und dort kurze Gespräche auf, die nach wenigen Sätzen in Schweigen verebbten.

Fleckenpfote seufzte. „Ich weiß nicht, was ich von der Situation halten soll. Hoffentlich kommen die Zweibeiner nicht auch zu uns.“

Hoffentlich verschwinden sie schnell wieder“, meinte Milchpfote.

Sturmpfote konnte den beiden nur zustimmen und sah sie dabei genauer an. Seit er im FeuerClan war, waren knapp drei Monde vergangen. Er war jetzt elf Monde alt, genau wie Fleckenpfote. Sie beide waren in dieser Zeit noch einige Zentimeter gewachsen, hatten ein breiteres Kreuz bekommen und die letzten Reste des Babyfells abgelegt, sodass ihre Pelze nun seidig glänzten. Fleckenpfote war vermutlich schon ausgewachsen, während bei Sturmpfote auf Grund der Maine-Coon-Gene seiner Mutter noch ein paar Zentimeter dazukommen konnten. Milchpfote war sogar schon dreizehn Monde alt – eigentlich viel zu alt für eine Schülerin. Auch sie war mittlerweile ausgewachsen, hatte ihre schlanke, hochbeinige Gestalt jedoch behalten. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis sie alle zu Kriegern ernannt wurden – und die neue Generation an Krieger-Schülern wuchs mit Dachsjunges, Nebeljunges und Schneeflügels zukünftigen Jungen bereits heran. Die Zeit verging wie im Flug.

Eine Weile hingen sie noch ihren Gedanken nach, dann kehrte die Patrouille aus dem Gebiet des WasserClans zurück.

Pünktlich tauchten Schwarzstern und Honigblüte auf dem Felsen des Anführers auf. „Was habt ihr uns zu berichten?“, fragte Schwarzstern.

Haselschweif trat vor. Ihm stand die Besorgnis ins Gesicht geschrieben. „Es tut mir leid, davon berichten zu müssen, aber es gab einen weiteren Todesfall im WasserClan. Aktuell gibt es dort zwei Königinnen, doch eine hat ihr einziges Junges verloren, als dieses sich davonschlich und ebenfalls einem Giftköder erlag.“

Schwarzstern senkte den Blick. „Das ist bedauerlich.“

Haselschweif nickte. „Silberstern sieht ein, dass die Gefahr durch die Zweibeiner aktuell das größere Problem darstellt, doch sie rückt nicht davon ab, dass der FeuerClan womöglich etwas mit Lachssängers Tod zu tun hat. Sie hat die Informationen über die Giftköder und die Metallfallen zwar zur Kenntnis genommen, weigert sich aber darüber hinaus mit uns zusammenzuarbeiten. Auch über die Lage im LuftClan hat sie nichts gesagt.“

„Störrisches Biest“, murmelte Schwarzstern mit leicht zusammengekniffenen Augen, nickte der Patrouille dann zu und kehrte in seinen Bau zurück.

Honigblüte sprang von dem Felsen herunter, sodass sie direkt vor Haselschweif stand, dessen Schwanzspitze augenblicklich zu zucken begann. „Das sind schlechte Nachrichten. Die Clans sollten zusammenhalten, wenn sie von außen bedroht werden. Ich werde darüber beim nächsten Halbmond mit Gewitterschweif und den anderen Heilern reden müssen.“

„J-ja, Honigblüte.“ Haselschweif verschluckte sich beinahe an den wenigen Silben. „N-natürlich.“

Die beiden schauten sich für einige wenige, kostbare Herzschläge lang tief in die Augen, dann wandte Honigblüte sich abrupt ab und ging davon.

„Dieser blöde WasserClan“, lamentierte Fleckenpfote ungehalten, biss der Maus vor seinen Pfoten den Kopf ab und schluckte ihn herunter. „Immer müssen sie uns Ärger machen.“

Milchpfote stimmte ihm mit einem Brummen zu. „Ich werde Haselschweif fragen, wie wir uns fortan zu verhalten haben.“ Sogleich stand sie in einer fließenden, geschmeidigen Bewegung auf und ging zu ihrem Mentor, der noch immer wie angewurzelt dastand.

Sturmpfote seufzte und widmete sich ebenfalls wieder seinem Abendessen. „So unsympathisch Silberstern mir auch ist, so sehr glaube ich, dass sie ihren Clan nur beschützen möchte. Wenn es nur zwei Königinnen gibt, von denen eine ihr einziges Junge verloren hat, hat der WasserClan schon wieder nur wenig Nachwuchs.“

„Das ist nichts Ungewöhnliches“, entgegnete Fleckenpfote. „Taube, blinde oder schwächliche Junge werden von ihnen verbannt und das kommt wohl relativ häufig vor. Eispfote und Schneepfote waren die ersten Schüler seit eineinhalb Jahren. Ich wette mein nächstes Frühstück darauf, dass die verbleibende Königin auch wieder nur ein Junges hat, das durchkommen wird – wenn überhaupt.“ Dann, etwas lockerer, sagte er: „Ist mir aber auch egal. Besser für uns, wenn sie weniger Krieger haben, die uns Probleme machen.“

„Da hast du auch wieder Recht.“ Sturmpfote gähnte, aber ihm gingen die beiden weißen Schüler des WasserClans nicht aus dem Kopf. Wenn der WasserClan wirklich solche Nachwuchsprobleme hatte, dann war der Druck, der auf den beiden lastete, unbeschreiblich groß. Was für sie wohl schlimmer war – die Gefahr durch die Zweibeiner und den unbekannten Angreifer aus der Wildnis oder die Angst, dass sie Silberstern enttäuschen und versagen könnten?

„Es kann nicht mehr lange dauern“, sagte Schneeflügel, blinzelte träge und sonnte sich in den wenigen Strahlen, die diesen Mittag durch den grauen Wolkenhimmel bis zum Lager des FeuerClans vordrangen. „Ich spüre, wie sie sich bewegen und langsam drückt es ein bisschen. Honigblüte sagt, dass es bald soweit ist.“

Sturmpfote lag neben seiner ehemaligen Mentorin und leistete ihr über die Mittagsstunden Gesellschaft. Seit sie in den Bau der Königinnen umgezogen war, verbrachte sie zwar die meiste Zeit dort, ging aber immer wieder für kleine Auszeiten nach draußen an die frische Luft. Er glaubte, dass sie das Kriegerdasein schon jetzt vermisste und ihn auch als Schüler am liebsten nicht abgegeben hätte. Zwar beschwerte Schneeflügel sich nicht, aber er sah, wie ihre Augen leuchteten, sobald die Patrouillen morgens eingeteilt wurden und das Lager verließen.

Es mochte im ersten Moment harsch klingen, aber Sturmpfote glaubte nicht, dass sie eine Vollblutkönigin werden würde – nicht so wie Zimtfeder, deren Gelassenheit bewundernswert war, oder Kieselpelz, die sich langsam wieder an die Pflege ihrer beiden Jungen herangetastet hatte. Schneeflügel würde temperamentvoll sein und sicherlich auch eine gute Mutter, aber im Herzen war sie eine Kriegerin und daran würde sich nie etwas ändern.

„Na ihr beiden?“ Eisbart trottete zu ihnen herüber und ließ sich neben seinem neuen Schüler nieder. „Du siehst gut aus, Schneeflügel.“

„Wenn du mit gut meinst, dass ich kugelrund bin und mir die Pfoten alleine durch den Weg vom Bau der Königinnen hier her schmerzen, dann ja.“ Sie grinste Eisbart an, stand dann auf und streckte sich. „Ich fürchte, ich muss zurück, sonst wird Herbstfleck mich holen kommen und mir eine Standpauke halten.“

„Wahrscheinlich“, bestätigte Eisbart nickend.

Schneeflügel verdrehte die Augen und fügte in einem etwas gedämpfteren Ton hinzu: „Wenn ihr mich fragt, übertreibt sie es.“ Sie gähnte noch ein letztes Mal, ehe sie sich umdrehte und mit ihrem tief hängenden Bauch im Bau verschwand.

Sturmpfote atmete einmal tief ein und wieder aus. Kaum war Schneeflügel verschwunden, kehrte die Angespanntheit zurück, die ihn – und viele andere – seit den jüngsten Vorkommnissen ergriffen hatte. „Gibt es schon etwas Neues?“

Eisbarts Blick verdüsterte sich, als er zögerlich nickte. „Ich fürchte ja. Komm mit.“ Er führte seinen Schüler zu Fleckenpfote, Milchpfote und deren Mentoren Apfelpelz und Haselschweif. Gemeinsam nahmen sie eine ruhige Ecke neben dem Schülerbau in Beschlag.

Haselschweif seufzte. Seit sie herausgefunden hatten, dass die Zweibeiner Giftköder auslegten und immer weiter in das Revier vom ErdClan vordrangen, hatte er keine ruhige Minute mehr gehabt. Als Zweiter Anführer gehörte es zu seinen Pflichten, dass er Schwarzstern rund um die Uhr mit Rat und Tat zur Seite stand.

Sie wussten nicht, wie es dem LuftClan erging, aber der ErdClan hatte mit den Zweibeinern, den Metallfallen und den Giftködern zu kämpfen. Im WasserClan hatte es bereits zwei Tote gegeben und auch dort trieben sich die Zweibeiner mit ihren Giftködern herum. Das Gebiet des FeuerClans hatten sie zwar noch nicht betreten, aber sie alle wussten, dass es nur eine Frage der Zeit war. Die Zweibeiner jagten etwas – und Sturmpfote war sich sicher, dass das, was die Aufmerksamkeit der Zweibeiner auf sich gezogen hatte, eben jenes unbekannte Wesen war, das Lachssänger getötet hatte und das bereits entlang der nördliche Grenze des FeuerClans unterwegs gewesen war.

Haselschweif sah müde aus. Er hatte kaum geschlafen, weil er sich so viele Gedanken machte. Milchpfote erledigte ihre Aufgaben als Schülerin derweil alleine, was aber nicht weiter schlimm war.

Sobald sie alle saßen, hob Haselschweif den Blick. „Heute Morgen hat eine Patrouille des ErdClans an der Grenze auf uns gewartet. Die Zweibeiner sind in der Nacht in ihrem Revier herumgelaufen. Sie kamen mit ihren Metallmonstern vom Donnerweg, stöberten herum, sammelten die Giftköder und Metallfallen wieder ein und kamen nicht wieder zurück.“ Er pausierte kurz, ehe er fortfuhr: „Löwenzahnstern glaubt, dass es nun vorbei ist.“

Sturmpfote verengte leicht die Augen. „Das kann er nicht ernst meinen! Wieso sollten die Zweibeiner einfach verschwinden?“

„Sie könnten gefunden haben, was sie gesucht haben“, schlug Apfelpelz vor. Zur Abwechslung war er mit seiner ganzen Aufmerksamkeit bei der Sache. „Es sind Zweibeiner. Wir sollten froh sein, dass sie fort sind.“

Haselschweif nickte schwach. „Das denke ich auch. Aber …“ Dann richtete er seinen Blick auf Eisbart und Sturmpfote. „Aber ich würde gerne wissen, was du dazu sagst. Immerhin … warst du ein Hauskätzchen. Du kennst die Zweibeiner besser als wir.“

Sturmpfote spürte, wie sich alle Augen auf ihn richteten. Eisbarts Blick schien ihn förmlich zu durchbohren. „Ich glaube nicht, dass die Zweibeiner so viel Aufwand betreiben würden, nur um dann einfach zu verschwinden. Sie haben Fallen und Gift verteilt, das ist zu viel Aufwand für etwas, was sie erjagen, ohne dass wir es mitbekommen.“

„Also glaubst du, dass es noch nicht vorbei ist?“, schlussfolgerte Eisbart daraus.

„Wobei wir auch nicht alles mitbekommen, was sich außerhalb unseres Territoriums abspielt“, gab Apfelpelz zu bedenken.

Sturmpfote zögerte. „Ich weiß es nicht.“

Eisbart und Haselschweif tauschten einen schnellen Blick. „Ich verstehe. Nun, wie dem auch sei. Wichtig ist für uns vor allem, dass die Zweibeiner ihre Sachen mitgenommen haben und wieder in südöstliche Richtung verschwunden sind. Sie sind nicht mehr hier.“

„Dann müssen wir uns auch keine Sorgen mehr darum machen.“ Apfelpelz stand bereits auf und leckte sich über sein langes, rotes Fell. „Wenn ihr mich nun entschuldigen würdet, ich möchte mir ein wenig die Beine vertreten.“

Fleckenpfote sah seinem Mentor mit säuerlichem Gesichtsausdruck hinterher, verkniff sich aber jeglichen Kommentar dazu, dass er schon wieder von ihm alleine gelassen wurde. Doch sein Blick sprach Bände und es war ein offenes Geheimnis, dass Apfelpelz seine Pflichten als Mentor nicht gerade ernst nahm. Wieso Schwarzstern ihn überhaupt zu einem Mentor gemacht hatte, wusste wohl keiner so genau – aber wenn es nach Rosentau ging, war es reine Vetternwirtschaft, immerhin war Apfelpelz der Sohn von Schwarzsterns berühmten Sohn Fuchsauge.

Auch Haselschweif erhob sich, jedoch deutlich träger und erschöpfter als Apfelpelz. „Ich denke, wir sollten uns nicht auf die Zweibeiner versteifen. Sie sind weg, ihr Gift verliert seine Wirkung automatisch nach ein paar Tagen und ihre Fallen haben sie mitgenommen. Warum sie hier waren und warum sie wieder weg sind, kann uns egal sein. Ich werde zusehen, dass sich noch heute eine Patrouille mit dem WasserClan in Verbindung setzt, um Silberstern darüber zu informieren.“

Eisbart wartete, bis Haselschweif und Milchpfote außer Hörweite waren, dann schickte er auch Fleckenpfote mit einem strengen Blick fort. Schließlich wandte er sich wieder Sturmpfote zu und in seinen Augen blitzte es noch immer unergründlich. „Du bist nicht davon überzeugt, dass die Gefahr gebannt ist. Wieso?“

„Weil wir noch immer nicht wissen, was Lachssänger getötet hat.“

„Es könnten die Zweibeiner gewesen sein. Das ist eine Alternative, die selbst Silberstern in Betracht ziehen muss. Lachssänger starb, kurz darauf kamen die Zweibeiner auch uns und dem ErdClan sehr nahe.“

„Aber …“ Sturmpfote kniff für einen Moment die Augen zusammen. „Die Zweibeiner können grausam sein, das weiß ich selbst.“

„Sie haben dich zum Sterben in der Wildnis ausgesetzt“, unterbrach Eisbart ihn. „Ich denke, das beweist, zu was sie fähig sind. Sie haben kein Herz, kein Gewissen.“

„Und doch weiß ich noch gut genug, wie sehr meine Mutter ihre Zweibeiner geliebt hat“, fuhr Sturmpfote unbeirrt fort. „Ich weiß, dass die Zweibeiner Monster sein können, dass sie mit ihrem Gift und den Fallen töten, aber ich weiß auch, dass sie meine Mutter immer gut behandelt haben.“

Einen Augenblick lang schwiegen beide, starrten sich an. „Also nimmst du sie in Schutz“, sagte Eisbart schließlich.

„Nein!“

„So klingt es in meinen Ohren, mein Schüler.“

„Nein, ich will nur nicht, dass wir vorschnell urteilen! Es kann sein, dass die Zweibeiner nie wieder kommen, aber hast du auch nur eine Sekunde daran gedacht, dass sie gegangen sind, weil sie gescheitert sind? Nicht, weil sie erfolgreich ihre Jagd beendet haben, sondern weil sie aufgegeben haben? Das würde bedeuten, dass das, was sie gejagt haben, jederzeit zurückkehren könnte!“

Eisbart stand auf. Seine hellen, grüngelben Augen spießten Sturmpfote förmlich auf. „Du bist ein Mitglied des FeuerClans. Vergiss das nicht.“

„Was willst du mir damit sagen, Eisbart? Willst du andeuten, dass ich mich gegen den Clan stelle, nur weil ich die Möglichkeit in Betracht ziehe, dass Schwarzstern und Haselschweif sich irren?“

Eisbart bleckte kurz die Zähne, dann schüttelte er sich. „Ich sage gar nichts.“ Noch während er ihm den Rücken zukehrte und fortging, rief er ihm zu: „Sei nachher pünktlich zur Abendpatrouille. Wir übernehmen zusammen mit Herbstwolke und Rindentänzer das nördliche Gebiet.“
 

***
 

„Oh ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll!“

Sturmpfote unterdrückte nur mühsam einen genervten Laut, doch er konnte an Eisbarts angespanntem Kiefer erkennen, dass es seinem Mentor nicht anders erging. Herbstwolke plapperte nun schon den gesamten Weg durch das nördliche Revier fröhlich vor sich hin, ohne dass sie sich daran störte, dass weder Eisbart noch Sturmpfote oder Rindentänzer etwas dazu sagten.

„Das ist alles so furchtbar dramatisch gewesen!“, lamentierte Herbstwolke munter vor sich hin. „Ich bin wirklich so froh, dass die Zweibeiner wieder fort sind und hoffentlich kommen sie nie wieder. Wo wir gerade beim Thema sind, Eisbart, was glaubst du, wann Schwarzstern endlich die nächste Kriegerprüfung anberaumen wird?“

Keine Ahnung, wie sie darauf kam oder was die Prüfung mit den Zweibeinern zu tun hatte. Sturmpfote ließ sich absichtlich einige Schritte zurückfallen und lief nun neben Rindentänzer, der sich bereits zu Beginn der Patrouille zurückgezogen hatte.

„Ich weiß es nicht, Herbstwolke.“

„Oh, aber du musst doch eine Ahnung haben. Als Mentor, meine ich. Schwarzstern oder Haselschweif haben dir doch mit Sicherheit einen Hinweis gegeben.“

„Nein, haben sie nicht.“

„Ach, das kann ich mir nicht vorstellen.“ Sie rümpfte die Nase und schien nur noch gewillter, sich inbrünstig in das Thema zu stürzen. „Milchpfote betrifft es schließlich auch. Du möchtest doch mit Sicherheit auch, dass deine Tochter bald zur Kriegerin wird. Die Ärmste ist schon seit sieben Monden Schülerin, das muss bedrückend sein.“

„Wenn die Zeit reif ist, ist sie reif.“ Eisbarts Ohren zuckten genervt, was Herbstwolke entweder nicht bemerkte oder geflissentlich ignorierte.

Sie schnaubte. „Ja, klar, das weiß ich auch. Milchpfote verdient endlich eine weitere Chance, das sehe nicht nur ich so. Sie schlägt sich so gut und dann musste ihr ausgerechnet dieses Missgeschick mitten in der Prüfung passieren. Das arme Ding.“

Bei jedem ihrer Worte presste Eisbart seine Kiefer ein Stück mehr aufeinander.

„Fleckenpfote ist auch soweit, wenn du mich fragst. Ich habe schon mit Apfelpelz darüber gesprochen, aber er setzt sich nicht genug für Fleckenpfote ein. Meine Meinung. Und nicht nur meine, falls du das denkst!“

„Ich denke nichts, lass es einfach gut sein.“

„Aber Eisbart!“ Herbstwolke blieb stehen und ihre Brust bebte, während sie den etwas älteren Krieger mit ihren bohrenden, orangefarbenen Augen musterte. „Kannst du denn gar nichts tun?“

„Nein.“

„Wir sind da“, unterbrach Rindentänzer die beiden.

Seine tiefe Basstonlage ließ Sturmpfote noch immer jedes Mal erschaudern. Er wusste nicht, ob es daran lag, dass der braune Krieger nur so selten sprach oder ob Rindentänzers Stimme einfach etwas an sich hatte, was er nicht einordnen konnte. So oder so war er dankbar dafür, dass Rindentänzer damit die Diskussion beendet hatte.

Eisbart seufzte ebenfalls erleichtert und markierte den ersten Baum. „Ich kann nichts Ungewöhnliches riechen.“

Die anderen auch nicht, weshalb sie zügig die nördliche Grenze in westlicher Richtung entlang schritten, bis der Geruch des WasserClans wie feiner Nebel in der Luft lag. An einigen Stellen der Grenze konnte man den anderen Clan deutlicher riechen als an anderen, aber präsent war er trotzdem die ganze Zeit. In der Ferne hörten sie bereits das leise Rauschen und Gurgeln des Baches.

Ein anderer Geruch wehte ihnen entgegen, dann zwei weitere, noch einer. Kurz darauf traten vier WasserClan-Katzen zwischen den sich lichtenden Bäumen hervor. Das Ende des Laubwaldes stellte gleichzeitig den Übergang vom FeuerClan zum WasserClan dar, doch auch der Untergrund wurde steiniger.

„FeuerClan“, spuckte der zweifarbige Dornstachel aus. „Wusste ich’s doch. Euren Gestank riecht man drei Meilen gegen den Wind.“

Eispfote, der neben dem Zweiten Anführer lief, stimmte in dessen gehässiges Lachen ein.

„Merk dir diesen Geruch gut, mein Schüler“, fuhr Dornstachel an Eispfote gewandt fort. „Es ist der Geruch von schamlosen Verrätern, die das Gesetz der Krieger mit den Pfoten treten.“

Eispfote grinste breit und zeigte dabei seine schneeweißen Fangzähne. Dann wandte er den Kopf ruckartig zu Sturmpfote um und starrte ihn mit seinen verschiedenfarbigen Augen hasserfüllt an.

„Wir sollten uns von der FeuerClan-Patrouille nicht aufhalten lassen“, sprach der grauschwarze, langhaarige Kater, den Sturmpfote noch nicht kannte.

Dornstachel machte eine gönnerhafte Bewegung. „Aber nicht doch, Otterpelz, so viel Zeit muss sein. Ich bin sicher, deine Schülerin würde ebenfalls liebend gerne aus nächster Nähe sehen, wer für den Tod ihrer Mutter verantwortlich ist.“

Bei diesen Worten verspannte Sturmpfote sich augenblicklich – und die anderen ebenfalls.

Dornstachel funkelte sie herausfordernd an. „Ist dem nicht so, ihr Verräter? Die Zweibeiner sind fort, ihr Gift verliert seine Wirkung, aber Lachssänger haben wir nicht vergessen. Wir wissen, dass ihr sie getötet habt und es den Zweibeinern anhängen wollt. Wie außerordentlich praktisch, dass die Zweibeiner ausgerechnet jetzt aufgetaucht sind, nicht wahr? Oder hat euer kleines Hauskätzchen sie vielleicht absichtlich hergelockt?“

„Das ist eine Lüge“, sprach Eisbart ruhig, doch auch er war komplett verspannt, sprung- und kampfbereit. „Ihr habt keine Beweise, weil es keine gibt. Der FeuerClan hat damit nichts zu tun.“

„Wieso sollte ich einem Clan glauben, der offenkundig HalbClan-Katzen und Hauskätzchen wie das eigen Fleisch und Blut behandelt?“

Sturmpfote wollte Dornstachels Blick standhalten, doch er schaffte es nicht und schaute stattdessen zu Schneepfote, in deren Gesicht er zwar den bitteren Schmerz über den Verlust ihrer Mutter sah, aber darüber hinaus konnte er keinen besonderen Groll erkennen. Auch Otterpelz stieg nicht in die Hetze mit ein.

Eisbart bleckte die Zähne. „Wieso befragen Silberstern oder Gewitterschweif nicht den SternenClan zu dieser Sache? Oder habt ihr das bereits und ihr wisst, dass wir unschuldig sind?“

Dornstachel sträubte sein kurzes Fell, knurrte und peitschte mit seinem dünnen Schwanz durch die Luft. „Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen, Eisbart!“ Abrupt drehte Dornstachel sich um und verschwand wieder zwischen den Bäumen, von wo er gekommen war.

„Gehen wir“, sagte Otterpelz ruhig und für einen winzigen Moment glaubte Sturmpfote den Anflug eines Kopfschüttelns zu erkennen.

Schneepfote folgte ihrem Mentor schweigend, den buschigen, weißen Schwanz gerade in die Luft gestreckt.

Eisbart, Herbstwolke und Rindentänzer drehten sich ebenfalls um und gingen wieder von der Grenze fort.

Nur Eispfote und Sturmpfote blieben zurück, starrten sich an.

„Du und ich“, sprach Eispfote vielsagend und grub seine Krallen voller Vorfreude in die Erde. „Wir werden uns wiedersehen – auf dem Kampffeld. Ich mache dich fertig, Hauskätzchen. So eine Schande wie du besudelt das ehrbare Gesetz der Krieger. Du hast es nicht verdient, die Luft um den Heiligen Berg zu atmen.“

„Wir werden sehen, Eispfote“, erwiderte Sturmpfote und war froh, dass seine Stimme dabei nicht zitterte. „Vielleicht bist auch du die Schande, denn wenn ich mich recht entsinne, hat der SternenClan meinem Beitritt im FeuerClan zugestimmt. Von deinem Clan hingegen kann man wohl nicht behaupten, dass der SternenClan euch in letzter Zeit besonders wohlgesonnen war – sonst hättet ihr nicht so viele kranke Junge, die es nicht einmal bis zum Schüleralter schaffen.“

„Hüte deine Zunge, Hauskätzchen“, zischte Eispfote und Kampflust glitzerte in seinen Augen.

Irgendwo weiter hinten rief Dornstachel nach ihm.

Eispfote spuckte ein letztes Mal Gift und Galle, zog sich dann zurück und huschte seinem Mentor hinterher.

Sturmpfote drehte sich ebenfalls um und schloss zu den anderen auf. Sein Herz klopfte wild. Er zweifelte keine Sekunde daran, dass er mit Eispfote einen neuen Todfeind gewonnen hatte.
 

***
 

„Uh…“ Schneeflügel verzog das Gesicht, als sie unruhig vor dem Bau der Königinnen hin und her lief. Der nächste Tag war angebrochen und mit ihm kündigten sich allmählich die Wehen bei Sturmpfotes ehemaliger Mentorin an.

Herbstfleck tigerte ungeduldig um Schneeflügel herum. „Liebes, komm endlich in den Bau zurück.“

Schneeflügel strafte sie mit einem bitterbösen Blick, schleppte sich trotz des Ziehens im Unterbauch einmal bis zum Frischbeutehaufen und zurück.

Honigblüte saß ebenfalls vor dem Eingang zum Bau der Heiler und Königinnen, seufzte und schüttelte den Kopf. „Schneeflügel, geh in den Bau“, sagte sie mit fester Stimme, die keine Widerworte zuließ. „In wenigen Stunden ist es vorbei und du kannst deine Jungen begrüßen, aber bis dahin wirst du tun, was Herbstfleck und ich dir sagen.“

„Es ist zu eng da unten.“

„Nein, ist es nicht.“

Herbstfleck sah beinahe verzweifelt aus. „Schneeflügel, komm endlich. Bitte. Denk doch nur an deine Jungen! Du brauchst jetzt Ruhe, die Geburt geht bald los.“

„Und zu stickig“, beharrte Schneeflügel weiter, ohne auf Herbstflecks Einwände einzugehen. Ihr Kopf schwang unruhig umher, doch sie ließ sich langsam von den beiden Katzen zurück in den Bau dirigieren. Immer wieder blieb sie stehen, schaute sehnsüchtig zum wolkenverhangenen Himmel empor, ehe sie unter der Erde verschwand, von wo man die erstickten Schmerzenslaute kaum noch hören konnte.

„Na endlich“, kommentierte Milchpfote gähnend und kratzte sich am Ohr. „Sie hat wohl Angst vor der Geburt.“

Sturmpfote seufzte. „Kann schon sein. Ich hoffe, dass sie es bald hinter sich gebracht hat und ihre Jungen alle wohlauf sind.“

Milchpfote nickte. „Das wünsche ich ihr auch. Sie wird sich bestimmt freuen, wenn sie erst einmal da sind.“

„Bestimmt. Und der Vater auch – wer auch immer der Vater ihrer Jungen ist.“

Milchpfotes Blick verriet, dass auch sie sich darüber schon ihre Gedanken gemacht hatte, doch im Gegensatz zu Sturmpfote hatte sie keine Mutmaßungen geäußert und ihren Verdacht, sollte sie einen haben, für sich behalten. „Zumindest kann der Clan kräftige Jungen immer gebrauchen. Fliederjunges wird Heilerschülerin, also haben wir mit Nebeljunges und Dachsjunges bisher nur zwei zukünftige Krieger. Wenn wir dem WasserClan zeigen wollen, dass sie sich mit uns nicht anlegen sollten, wäre es schön, wenn Schneeflügel auch wenigstens zwei Junge bekommt.“

Das wäre ein Schlag ins Gesicht des WasserClans, der ohnehin damit zu kämpfen hatte, dass es die meisten Junge nicht bis zu dem Alter schafften, in dem sie durch die Schülerzeremonie zu Schülern wurden. Sturmpfote nickte. „Hat Honigblüte nicht gesagt, dass ihr Bauch dicker ist als der von Zimtfeder? Dann werden es mit Sicherheit mindestens zwei Junge.“

„Außerdem“, sagte Milchpfote daraufhin gedehnt, „werden wir Krieger sein, bis die Jungen zu Schülern ernannt werden. Vielleicht bekommen wir dann schon unsere eigenen Schüler.“

Sturmpfote konnte sich gut vorstellen, dass Milchpfote gerne Mentorin wäre, um zu beweisen, dass sie eine gute Kriegerin sein konnte, auch wenn sie selbst nun schon seit sieben Monden Schülerin war. Sie hatte es verdient, dass sie sich vor dem Clan beweisen konnte, aber für gewöhnlich wurden nur Krieger zu Mentoren ernannt, die erfahrener waren oder sich bereits bewiesen hatten.

Es war schwül. Die Sonne zeigte sich nicht, aber in der Nacht hatte es geregnet und die Luft drückte auf das Fell. Am liebsten hätte Sturmpfote den ganzen Tag gedöst, doch die Arbeit erledigte sich nicht von alleine. Obwohl die Zweibeiner nicht mehr gesichtet worden waren, hatte Schwarzstern angeordnet, dass zweimal täglich die Grenze zum WasserClan kontrolliert werden sollte. Offenbar glaubte auch er nicht, dass sich Silberstern so einfach zufrieden stellen ließ.

„Willst du noch länger faul herumliegen?“ Eisbart schnalzte tadelnd mit der Zunge, obwohl auch er es sich bis vor wenigen Minuten gemütlich gemacht hatte.

Milchpfote schaute ihren Vater streng an, erhob sich dann gemeinsam mit Sturmpfote und leckte sich etwas Dreck aus dem Pelz. „Ich bin bereit.“

„Ich auch“, stimmte Sturmpfote zu.

„Na dann können wir ja los.“ Eisbart trottete zum Eingang des Lagers, wo bereits Haselschweif auf sie wartete.

Der rostrote Kater hatte müde, gerötete Augen und sah aus, als würde er eine Nacht voller Schlaf mehr gebrauchen können als sie alle zusammen.

„Wir wären soweit“, sagte Eisbart, woraufhin Haselschweif erschöpft nickte.

„Wir werden die Grenze zum WasserClan überprüfen, dann entlang der Grenze bis Osten laufen und von dort wieder zurück.“ Der Zweite Anführer gähnte herzhaft, gab dann aber ein zügiges Tempo vor – ganz so, als würde er es möglichst schnell hinter sich bringen wollen. Vielleicht sehnte er sich wirklich nur nach dem weichen Moos im Kriegerbau.

„Ich hoffe, Silberstern hält Dornstachel etwas mehr an der kurzen Leine“, grollte Eisbart und dachte dabei wohl an die letzte Begegnung an der Grenze. „Er ist ein noch größerer sturer Bock als sie. Beim SternenClan, hoffen wir, dass Silberstern, die Ziege, uns noch lange Jahre erhalten bleibt, damit wir vom großen Anführer Dornstern verschont bleiben.“

Haselschweifs Mundwinkel zuckten amüsiert. „Ja, hoffen wir das Beste.“

Danach verfielen sie in Schweigen.

Milchpfote hatte Sturmpfote einmal erzählt, dass Eisbart und Haselschweif sich schon seit ihrer gemeinsamen Zeit als Schüler kannten. Sie hatten zwar nur ein oder zwei Monde gemeinsam als Schüler trainiert, aber seither verband die beiden eine Freundschaft, in der sie stets zu wissen schienen, wie sie den anderen wieder zum Lachen bringen konnten.

Sturmpfote wünschte sich, dass auch er immer mit Milchpfote und Fleckenpfote befreundet bleiben würde und dass sich niemals etwas zwischen sie stellen würde. Schon kurz nach seiner Ankunft beim FeuerClan waren sie zusammen unterrichtet worden und mittlerweile wussten sie genau, wie die anderen tickten. Es war wahrlich etwas Besonderes, wenn man die Zeit als Schüler gemeinsam verbrachte. Man trainierte, jagte, kämpfte, freute sich und litt miteinander – das würde sie immer miteinander verbinden.

Die Grenze zum WasserClan lag ruhig vor ihnen. Sie erneuerten die Markierungen, aber weit und breit war keine WasserClan-Patrouille in Sicht, weshalb sie zufrieden an der nördlichen Grenze entlangliefen. Nur der schmale Streifen, auf dem sie ihre Markierungen setzten, trennte sie von der Wildnis, die sich schier unendlich dahinter erstreckte.

„Es kann einem Angst einjagen, nicht wahr?“, flüsterte Milchpfote ehrfurchtsvoll, was gar nicht zu ihrer sonst so taffen Art passte.

Aber Sturmpfote verstand, was sie meinte, weshalb er andächtig nickte. „Ja, das stimmt. Die Wildnis ist eine unbekannte Weite. Wir wissen nicht, was dort alles lauert.“

Milchpfote straffte ihre Schultern. „Aber auf dem Gebiet FeuerClans sind wir sicher. Der SternenClan wacht über uns.“

„Das tut er.“

Immer wieder ließ Sturmpfote seinen Blick in die Ferne schweifen, während sie an der Grenze entlang liefen. Manchmal war der Weg steiniger, manchmal sandiger, aber immer umgab ihn der vertraute, warme Geruch des FeuerClans. Das hier war sein Zuhause und er würde alles dafür tun, dass es dabei blieb.

„Gleich haben wir es geschafft“, verkündete Haselschweif schließlich gegen Ende ihrer Grenzroute. Sie markierten gerade das letzte Stück, als er innehielt und sich sein buschiger Schwanz nervös aufstellte.

„Was hast du?“ Eisbart schaute sich sofort wachsam um und auch ihm stellten sich die Nackenhaare auf.

Milchpfote und Sturmpfote schauten unruhig umher. „Was ist los?“, wisperte sie, doch ihr Vater brachte sie mit einem Zucken seines grauen Schwanzes zum Schweigen.

Sturmpfote schaute sie fragend an, doch sie schüttelte nur ebenso unwissend und unsicher den Kopf.

Dann spürte Sturmpfote es auch.

Aus seinem tiefsten Inneren meldeten sich seine Urinstinkte und stiegen heiß kribbelnd in ihm empor. Es war ein unangenehmes Kitzeln, das zu einem brennenden, unruhigen Kratzen wurde und sich fest um sein Herz schloss. Ohne dass er etwas dagegen hätte tun können, sträubte sich sein Fell und ließ ihn doppelt so groß wirken. Sein Herz schlug schneller, Adrenalin pumpte durch seinen Körper.

Wachsam, er musste wachsam sein.

Wieso war es so still? Hatten bis gerade eben nicht noch Vögel gezwitschert oder bildete er es sich nur ein? Selbst der Wald schien den Atem anzuhalten.

Stille. Solche Stille.

Sein Herz schlug noch heftiger.

Er schlich lautlos und unruhig umher, genau wie die anderen. Sie pferchten sich zusammen, Seite an Seite, dann wieder auseinander.

Keine Jäger, sondern Beute.

Der Wind blies in seinen Rücken, trug seinen Geruch und den des FeuerClans über die Grenze hinaus in die Wildnis. Dichte, dichte Wildnis. Die grüne Hölle. Schon einmal war er dort gewesen, als Blaukralle ihn verraten hatte.

Sein Blick huschte umher. Niemand wagte es zu sprechen.

Schwarze, runde Knopfaugen, die ihn regungslos anstarrten.

Er versteifte sich. War erstarrt. Unfähig, sich zu bewegen.

Kein Blinzeln. Seine Augen, die sich darin spiegelten. Kein Jäger. Beute.

Beute.

Beute.

Stille.

Sein Herz blieb stehen. Schlug weiter.

Die tiefe Schwärze verschwand. Die Blätter raschelten. Donner oder Grollen, er wusste es nicht.

Die riesige, schwarzbraune Bestie erhob sich knurrend, brüllend und diese schwarzen, schwarzen Augen ließen ihn nicht mehr los.

Ihr schwerer, massiver Kopf wiegte sich nur leicht hin und her, während die Bestie auf ihren kräftigen Hinterläufen stand wie ein Zweibeiner. An jeder Tatze saßen fünf lange, scharfe Krallen, die in Unsicherheit oder Vorfreude durch die Luft zuckten.

Eisbart hatte seine Augen vor Schreck aufgerissen.

Milchpfote fiepte wie ein Junges.

Haselschweif kauerte sich auf den Boden, fing sich aber als erster wieder. „Lauf! Beim SternenClan, Sturmpfote, lauf!“

In letzter Sekunde konnte Sturmpfote sich aus seiner Erstarrung reißen, sprang zurück und entging nur knapp der massiven Pranke, die nur eine Mausbreite über ihm die Luft zerschnitt und seinen Körper zerfetzt hätte wie den von Lachssänger. Kein Zweifel, das war das Monster, das Lachssänger aufgeschlitzt hatte wie einen Fisch.

„Milchpfote, renn so schnell du kannst! Zum Lager! Zu Schwarzstern! Wir werden von einem Bären angegriffen!“

Milchpfote wimmerte noch immer, doch sie gehorchte den Worten ihres Mentors und wirbelte Staub auf, als sie so schnell rannte, wie sie noch nie in ihrem Leben gerannt war.

Ein Bär? Sturmpfote kannte dieses Wesen nicht, aber er wusste, dass in den schwarzen Knopfaugen die Mordlust glitzerte.

Der Bär schaute Milchpfote hinterher, doch eine Katze alleine schien nicht interessant genug zu sein – nicht, wenn drei Kater als Frischbeute direkt vor seiner Nase herumtanzten. Er knurrte, sank wieder auf alle vier Pranken herab und riss seinen Kopf in der Luft herum. Noch schien er nicht anzugreifen, aber er beobachtete sie und ließ sie keine Sekunde aus den Augen.

„Was ist das für ein Monster?“, fragte Sturmpfote geschockt, blieb dabei aber immer in Bewegung.

Gemeinsam umkreisten sie den Bären, der aussah, als würde er überlegen, wen er zuerst fressen sollte.

„Ein Bär“, wiederholte Haselschweif grollend. „Ich kenne sie nur aus Erzählungen. Falkenherz hat als Schülerin miterlebt, wie ein Bär das Revier durchquert hat, aber seither wurden diese Monster nie wieder um den Heiligen Berg gesehen. Dass sie zurückkehren, kann nur bedeuten, dass sie auf der Suche nach Beute sind.“

„Oder auf der Flucht vor den Zweibeinern“, fügte Eisbart fauchend an und wich dabei einige Schritte zurück, als der schwarzbraune Bär auf ihn zugetrottet kam.

Die Zunge schnellte über das Maul des Bären, befeuchtete seine Nase, die voller Vorfreude zuckte. Dann sprang er ohne Vorwarnung auf Eisbart zu, vergrub die scharfen, langen Krallen in der Erde und patschte nach dem Kater wie nach einem Spielzeug.

Eisbart rollte sich zur Seite, sprang wieder auf und hechtete aus der Gefahrenzone, ohne dass er Zeit hatte sich den Dreck aus dem Fell zu schleudern.

„Wir müssen Zeit gewinnen, bis Verstärkung kommt“, knurrte Haselschweif. „Wenn wir Glück haben, können wir ihn vertreiben.“

„Also müssen wir ihn ablenken“, sagte Sturmpfote. Noch immer klopfte sein Herz wie wild. Er hatte Angst vor diesem Wesen, das er nicht kannte, dass sie aber zweifellos mit einem gut platzierten Schlag töten konnte. Der Bär war groß und schwer wie ein Felsbrocken und trotz seines plumpen Aussehens bewegte er sich schneller als gedacht. Immer hielt er Augenkontakt, ließ die drei Kater nicht aus den Augen und wartete nur darauf, dass einer von ihnen einen Fehler machte.

Sturmpfote scherte nach rechts aus, tänzelte in einem Halbkreis um den Bären herum und sah den kräftigen Rücken, an dessen unterem Ende ein kurzer Stummelschwanz aufgeregt wippte. Im nächsten Augenblick hatte der Bär sich ebenfalls umgedreht, stand Sturmpfote wieder gegenüber und hob die Lefzen zu einem dunklen, bedrohlichen Knurren.

Es blieben nur wenige Herzschläge Zeit. Sturmpfote musste instinktiv entscheiden, wohin er ausweichen wollte. Er sprang nach links zurück, doch der Bär folgte seinen Bewegungen, federte wie ein lautloser Jäger und landete auf halbem Weg zwischen Sturmpfote und den beiden anderen. Mit gesenktem Kopf trieb er Sturmpfote Stück für Stück zurück, trennte ihn von Eisbart und Haselschweif.

Sturmpfote schaute panisch nach links und rechts, wo die Laubbäume dicht an dicht standen, aber nicht dicht genug, um Schutz vor dem Monster zu bieten.

Im nächsten Moment war Eisbart an das Hinterbein des Bären gesprungen und hatte sich darin verbissen und verkrallt. Haselschweif tat es ihm heulend nach, riss ihm Fellbüschel aus und sicherte sich damit die Aufmerksamkeit des Bären, der wild brüllend nach hinten trat und sich gleichzeitig umdrehte.

Haselschweif wurde abgeworfen wie eine reife Frucht, landete aber sicher auf allen Vieren und schüttelte sein gesträubtes Fell.

Eisbart ließ los, sobald er in der Gefahrenzone war, sprang an Haselschweifs Seite und fauchte mit eng angelegten Ohren.

Sie waren nur zu dritt und alles, was sie tun konnten, war den Bären weiter aufzustacheln. Aber was hätten sie sonst tun sollen? Sie mussten Zeit gewinnen.
 

***
 

Jaulen und Fauchen schwoll aus der Ferne an. Es waren Minuten vergangen oder Sekunden oder Stunden. Sturmpfote wusste es nicht, aber sie hatten es geschafft, dass der Bär keinen von ihnen erwischt hatte. Zu dritt hielten sie ihn in Schach, konnten aber nicht verhindern, dass sich der bevorstehende Kampf tiefer ins Clangebiet verlagert hatte.

Schwarzstern brach als erstes zwischen den Bäumen hervor, das pechschwarze Fell gesträubt, die Zähne gebleckt und ein Kampfschrei auf den Lippen. „Zum Angriff! Zeigen wir diesem Bären, dass er auf dem Gebiet des FeuerClans nichts zu verloren hat!“ Noch im Rennen setzte der mutige Anführer zum Sprung an, federte ab und landete mitten im Gesicht des Bären, der aufschrie.

Der Bär stellte sich auf den Hinterläufen auf, peitschte mit den Krallen ziellos durch die Luft und versuchte Schwarzstern, der sich in seinem rechten Ohr verbissen hatte und dessen Krallen blutige Striemen auf der Stirn des Bären hinterließen, abzuschütteln.

Gleichzeitig sprangen ihm Blaukralle und Apfelpelz an die Kehle. Die beiden Halbbrüder kämpften wie eine Einheit, ließen nicht locker. Eisbart und Haselschweif griffen von der Seite an, verbissen sich an der Flanke und im Rücken, kratzten und bisschen so gut wie konnten. Rosentau attackierte ein Bein. Ahornseele und Rindentänzer preschten als letzte aus dem Unterholz, zögerten keine Sekunde und stürzten sich ebenfalls todesmutig auf den Bären.

Die anderen Schüler und Krieger mussten im Lager geblieben sein, um dieses zu schützen oder anderweitig Hilfe zu holen.

Für einen kurzen Moment glaubte Sturmpfote, dass sie eine Chance hatten. Dass sie es gemeinsam schaffen konnten. Er setzte ebenfalls zum Sprung an, zielte auf die Augen des Bären, um ihm die Sicht zu nehmen.

Während er sprang, erkannte er, dass er sich geirrt hatte.

Wenn der Bär bisher noch nicht wütend gewesen war – jetzt war er es.

Unter einem ohrenbetäubenden Brüllen riss der Bär zuerst Apfelpelz und dann Blaukralle von seiner Brust. Die beiden Krieger flogen Sturmpfote entgegen. Apfelpelz knallte mit der Seite hart auf dem Boden auf. Blaukralle erwischte Sturmpfote und schleuderte sie beide gegen den nächsten Baum.

Der Bär wand sich unter den angreifenden Katzen, biss, schlug und trat in alle Richtungen, bis er sich erneut auf die Hinterbeine stellte. Er schnaubte, Geifer lief ihm an den Lefzen herunter.

Außer Schwarzstern hatte sich keiner auf ihm halten können und der Anführer des FeuerClans ließ nicht locker. Erneut verbiss er sich im Ohr, suchte mit den Pfoten neuen Halt und erwischte das linke Auge des Bären, der einen Schmerzenslaut ausstieß, lospreschte und einen Baum rammte.

Die harte Borke blätterte ab. Schwarzstern atmete schwer. Der Bär zog seinen Kopf ruckartig zurück, das Auge blutend und tränend. Schlaff fiel Schwarzstern zu Boden.

Haselschweif stürzte sich sofort zu seinem Anführer, stellte sich schützend über ihn und fauchte aus Leibeskräften.

Der Bär ignorierte die beiden und starrte in die Richtung, aus der die Katzen gekommen waren.

In Richtung des Lagers.

Das Lager, in dem Schneeflügel gerade in den Wehen lag und der Bau der Königinnen gut gefüllt war.

Blaukralle folgte dem Blick des Bären. Seine Flanke blutete an der Stelle, an der der Bär ihn erwischt hatte. Er hinkte leicht, doch seine Augen weiteten sich, als er erkannte, was auch der Bär erkannt hatte. „Er will zum Lager! Wir müssen ihn aufhalten!“

Doch im allgemeinen Chaos wusste niemand, wie sie das anstellen sollten, während der Bär antrabte und sich in Bewegung setzte.

Sturmpfote hustete gegen den Schmerz in seinen Rippen an. Apfelpelz rappelte sich erst jetzt wieder benommen auf und Schwarzstern lag noch immer bewusstlos zwischen den Wurzeln des Baumes. Erst rührte er sich nicht, aber dann kehrte das Leben in seine Glieder zurück und er blinzelte. Schrecken, Schmerz und Verwirrung verschleierten seinen Blick, ehe er wieder klar sehen konnte. Sah es so aus, wenn ein Anführer eines seiner neun Leben verlor?

„Bewegt euch!“, brüllte Blaukralle die anderen an.

Sie setzten sich ebenfalls in Bewegung, schlossen zum Bären auf und liefen auf beiden Seiten von ihm.

Sturmpfote rannte. Er wollte den Bären überholen, doch er schaffte es nicht. Wie konnte ein so riesiges Wesen so schnell laufen?

Es blieb nur eine Möglichkeit.

Sturmpfote sprang, noch ehe er darüber nachgedacht hatte. er landete an der Seite des Bären und konnte augenblicklich die stählernen Muskeln unter dem weichen, langen Fell spüren. Irgendwie schaffte er es sich festzukrallen und ein Stück weiter auf den Rücken zu ziehen, obwohl der Bär seinen Spurt unterbrach, um sich immer wieder zu schütteln.

Blaukralle landete neben ihm und ihre Blicke trafen sich. Hier ging es nicht um sie beide, sondern um das nackte Überleben des Clans. In stiller Übereinkunft gruben sich ihre Zähne sie tief wie möglich in das Fleisch.

Das ganze Maul hatte er voller Fell, aber er erwischte auch die Haut. Sturmpfote biss so kräftig zu, wie er nur konnte, bis er Blut schmeckte, dann noch weiter.

Der Bär heulte auf, wurde langsamer bis er schließlich wieder stehen blieb und sich gegen den nächsten Baumstamm warf. Alles ruckelte, doch Sturmpfote ließ nicht los. Er verlagerte sein Gewicht, nutzte seinen langen Schweif, um die Balance nicht zu verlieren.

Rindentänzer und Blaukralle griffen von vorne an, Apfelpelz und Eisbart von der Seite. Haselschweif und Schwarzstern sprangen den Bären gemeinsam von hinten an, Ahornseele tigerte vor dem Bären auf und ab, um seine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.

Erst jetzt schaffte Sturmpfote es, einen Blick auf die genaue Umgebung zu werfen.

Es lief ihm eiskalt den Rücken runter. Sie waren keine zwanzig Meter vom Lager entfernt. Zwanzig Meter und ein Abgrund trennten den Bären von dem Herzen des FeuerClans.

Rosentau tauchte wie aus dem Nichts auf und blieb angsterfüllt stehen. „Haltet ihn auf! So tut doch etwas!“

Blaukralle, der wieder abgeworfen wurde, warf ihr einen bitteren Blick zu. „Was glaubst du, was wir hier tun, Mutter!“

Der Bär wankte weiter auf das Lager zu. Ein Schritt. Noch einen Schritt.

„Evakuiert das Lager!“ Schwarzsterns Stimme übertönte die allgemeinen Kampfgeräusche. Er sah angeschlagen aus, aber bereit, seinen Clan bis zum letzten Leben zu verteidigen. „Rosentau, schick alle fort zur Grenze vom ErdClan!“ Und dann, nach kurzer Pause: „Hol Hilfe! Wir schaffen es nicht alleine! Hol Löwenzahnstern!“

Rosentau starrte den Bären noch immer wie gelähmt an, nickte dann jedoch und preschte davon.

Sturmpfote hatte dem Gespräch gelauscht. Eine einzige Unaufmerksamkeit. Ehe er reagieren konnte, schleuderte der Bär ihn zu Boden. Staub drang in seine Nase und seinen Mund; er schmeckte Blut.

Ahornseele biss in sein Nackenfell, zog ihn unter ein Gebüsch.

Der Bär zerstampfte auch den letzten Grashalm, wo bis eben noch Sturmpfote gelegen hatte.

Ahornseele hatte ihm soeben das Leben gerettet. Schwer atmend rollte Sturmpfote sich auf den Bauch, keuchte erschöpft. „Danke.“

Die kleine Kriegerin mit der zierlichen Statur zog eine Grimasse. Selbst in dieser Situation hatte sie ihre beschwingte Art nicht verloren. Ihre grasgrünen Augen funkelten aufmerksam und die schwarze Nase zuckte. „Bedank dich später, wenn alles vorbei ist.“ Dann fixierte sie den Bären. „Wenn wir diesem Mistvieh gezeigt haben, dass man sich mit uns besser nicht anlegen sollte.“ Sie grollte leise und robbte bis zum Rand des Gebüschs, um von dort aus den nächsten Angriff zu starten.

Sturmpfote folgte ihr. Er hatte Angst. Schreckliche Angst. Aber dafür war jetzt keine Zeit.

„Und Sturmpfote?“

„Ja?“

Ahornseele lächelte ihn keck an. „Du kannst stolz auf dich sein. In dir steckt das Herz eines wahren Kriegers und jedem, der daran zweifelt, werde ich in Zukunft gehörig die Meinung sagen.“

Für einen Augenblick verschlug es ihm die Sprache. Dann nickte er ihr dankbar zu. „Wir schaffen das.“

Sie erwiderte sein Nicken. „Gemeinsam.“

Und beim nächsten Herzschlag sprang Ahornseele unter dem Gebüsch hervor. „Für den FeuerClan!

Ihr Kampfschrei verhallte noch in Sturmpfotes Ohren, als der Bär seinen Kopf herumriss.

Seine Kiefer schlossen sich um Ahornseeles zierlichen Körper.

Es knirschte.

Die Welt schien stillzustehen.

Grasgrüne Augen, in denen der letzte Funke erlosch.

Achtlos zur Seite geworfen wie ein Stück Dreck.
 

***
 

Atemlos sprang Rosentau aus dem Unterholz, bremste scharf ab und suchte den Anführer des FeuerClans mit ihren weit aufgerissenen Augen. „Schwarzstern! Wir kriegen das Lager nicht vollständig evakuiert!“

„Wo ist das Problem?“, knurrte dieser ungehalten, zog sich für einen Augenblick aus der Reichweite des Bären und schaute zu Rosentau.

„Milchpfote führt Falkenherz, Herbstwolke, Dachsjunges, Nebeljunges, Zimtfeder und Fliederjunges gerade zur Grenze des ErdClans. Fleckenpfote holt Hilfe bei Löwenzahnstern. Aber Schneeflügel liegt in den Wehen, ihr erstes Junges ist gerade zur Welt gekommen und Honigblüte sagt, dass sie den Bau der Königinnen jetzt unmöglich verlassen kann. Es geht nicht, Schwarzstern. Und Herbstfleck und Kieselpelz weigern sich, die beiden alleine zu lassen.“

Schwarzstern knurrte nur noch tiefer, hatte aber keine Zeit, sich weiter auf Rosentau zu konzentrieren, denn der Bär machte einen Satz nach vorne.

Noch fünf Meter und der Abgrund.

Selbst Sturmpfote konnte das Blut riechen, das Schneeflügel während der Geburt verloren haben musste und das nun wie eine Fährte direkt ins Lager führte. Der Bär hätte sie weiter bekämpfen und fressen können – aber eine geschwächte Beute war leichte Beute.

Sie kämpften weiter, während Rosentau wieder verschwand. Gesprächsfetzen wurden mal lauter und leiser, als sie aus dem Bau der Königinnen den Abgrund hinauf getragen wurden.

„Unmöglich!“, hörte man Honigblüte fauchen.

„… gefährlich … auf Leben und Tod!“ Das war Rosentau, aber der scharfe Unterton, mit dem sie sich sonst immer wichtigmachte, war verschwunden. Sie klang wie ein verängstigtes Kätzchen.

Der Kampf verlagerte sich noch ein Stück weiter an den Abgrund. Der Bär hätte nur einmal richtig springen müssen und er wäre direkt an der Kante.

Sturmpfote riss sich von dem Gespräch los, ignorierte Ahornseeles leblosen Körper an seiner Seite und sprang dem Bären direkt zwischen die Beine. Kratzend und beißend kämpfte er sich bis zu den Fesseln vor, biss zu und ließ nicht locker.

Ein Tritt in die Seite, die scharfen Krallen tief in seinem Fell, aber sie verfehlten den Körper. Dieses Glück würde er kein zweites Mal haben. Sturmpfote ließ los, wich den Hinterkrallen aus, doch wie aus dem Nichts wurde er herumgeschleudert.

Seine ohnehin schon verletzte Seite begann heiß zu pochen, das Atmen bereitete ihm Schmerzen und es wurde ihm allmählich schwarz vor Augen. Die Luft brannte in seiner Kehle. Er taumelte, die Beine gaben unter ihm nach.

Schwach.

Zu schwach.

Gefangen zwischen Ohnmacht und Bewusstsein, unfähig weiter zu kämpfen, unfähig sich der Schwärze zu ergeben.

Hohes Jaulen aus der Ferne.

„Steh wieder auf, Hauskätzchen.“ Blaukralle biss ihn in den Nacken und zog ihn wieder zurück auf die Beine.

Sturmpfote schüttelte sich, als die Lebensgeister zurückkehrten. Er sah Blaukralle an. Der Krieger mit dem rundlichen Gesicht sah noch schlimmer aus als zuvor. Sein ganzes Gesicht war zerkratzt, blutige Stellen zogen sich vom Kopf bis zum Schwanzansatz. Fellbüschel fehlten hier und dort. Aber Blaukralle gab nicht auf. Und Sturmpfote wollte auch nicht aufgeben.

„Wir haben keine Chance“, flüsterte er matt.

Blaukralle sträubte sein Fell bei diesen Worten. „Denkst du, das weiß ich nicht? Reiß dich zusammen. Hier geht es nicht um dich und deinen verwöhnten Hauskätzchenhintern. Hier geht es darum, dass wir Schneeflügel genügend Zeit verschaffen und dass wir das retten, was noch zu retten ist.“ Abfällig spuckte er vor Sturmpfote auf den Boden, drehte sich um und stürzte sich wieder in den Kampf.

Niemals aufgeben. Sturmpfote begriff, wieso Schwarzstern und die anderen noch immer ihr Leben riskierten, auch wenn sie längst wussten, dass sie den Bären nicht besiegen konnten. Dort unten lag Schneeflügel und sie alle würden sterben, um sie und ihre Jungen zu beschützen. Das war es, was den FeuerClan ausmachte.

Und er war ein Teil davon.

Sturmpfote schüttelte die Schmerzen ab. Adrenalin begann wieder durch seine Adern zu rauschen und er ging ihre Optionen durch. Zu später kam er auf die Lösung.

Einen winzigen Augenblick zu spät.

Der Bär riss sich los, schüttelte alle Krieger ab, stolperte grollend vorwärts, direkt über die Kante und mindestens fünf Meter in die Tiefe.

Sie hörten den Aufprall, kurzes Winseln, dann wieder die Laute des verletzten Bären.

Sturmpfote stürzte gleichzeitig mit Schwarzstern und Blaukralle an den Rand des Abgrunds. Dort unten lag der Bär, rappelte sich wieder auf, aber eine seiner Vorderpfoten stand in einem seltsamen Winkel ab und er humpelte auf drei Beinen im Kreis. Am Kopf hatte er eine Platzwunde; das Blut lief über das verletzte Auge hinweg.

Herbstfleck und Kieselpelz standen keine zwei Meter neben ihm, dicht an dicht direkt vor dem Eingang zum Bau.

„Lauft!“, schrie Schwarzstern ihnen zu, doch sie bewegten sich nicht.

„Du kriegst unsere Jungen nicht!“, fauchte Kieselpelz, das Fell zu doppelter Größe aufgeplustert.

„Niemals!“, stimmte Herbstfleck todesmutig mit ein.

Sie konnten nicht schnell genug das Lager umrunden, den Hang hintergehen und ins Lager gelangen, trotzdem versuchten sie es.

Das Blut rauschte in Sturmpfotes Ohren, als er den Geröllhang hinunterschlitterte, durch den Eingang preschte und mitten in den Kampf von Herbstfleck, Kieselpelz und dem Bären landete.

Der Bär war verletzt und geschwächt, aber er war wütend, hungrig und entschlossen. Herbstfleck lag schneller in der Ecke, als er gucken konnte. Kieselpelz wehrte sich aus Leibeskräften, verteidigte den Eingang zum Bau, doch auch sie wurde ein Opfer des kräftigen Kiefers und zur Seite geschleudert.

Immer wieder stieß der Bär mit der unverletzten Vorderpfote und seiner Schnauze in den Bau hinein. Honigblüte und Schneeflügel fauchten aus dem Inneren.

Schwarzstern und Haselschweif sprangen den Bären von hinten an. „Konzentriert euch auf seine Verletzungen! Wir müssen ihn vom Bau wegbekommen!“

All das Blut, all das Elend. Ein aussichtsloser Kampf. Sturmpfote riss sich aus seiner Erstarrung und rannte zu seinem Anführer. „Schwarzstern, ich habe eine Idee!“

Schwarzstern warf seinen Kopf herum. „Dafür ist jetzt keine Zeit!“

„Doch, hör mir zu! Die Zweibeiner haben sich zu Anfang bei ihrer Suche auf das östliche Gebiet konzentriert und von dort kam der Bär in unser Revier. Vielleicht sind sie noch dort in der Wildnis. Wir könnten sie herlocken und sie töten den Bären!“

„Vielleicht, vielleicht“, fauchte Schwarzstern.

„Schwarzstern!“, beharrte Sturmpfote und machte noch einen Schritt auf ihn zu. „Das ist die einzige Möglichkeit! Löwenzahnstern muss jeden Moment hier sein, aber das wird nicht reichen, um diesen Bären zu töten. Selbst wenn wir ihn vertreiben, wird er wiederkommen!“

Völlig unerwartet stand Eisbart neben ihm. „Schwarzstern, er hat Recht. Wir haben keine Wahl. Wir müssen es versuchen.“ Flüchtig streifte er seinen Schüler mit einem undefinierbaren Blick. „Wir sollten auf Sturmpfote hören. Wenn er sagt, dass die Zweibeiner den Bären töten können, müssen wir sie herlocken.“

Schwarzstern erstarrte. Fieberhaft schien er nachzudenken, ehe er nickte. „Ihr zwei, sonst keiner. Geht. Versucht euer Glück. Beim SternenClan, ich hoffe, wir können dieses Massaker damit beenden.“
 

***
 

Sturmpfote rannte so schnell, wie er noch nie zuvor gerannt war. Seine Pfoten schienen kaum den Boden zu berühren und wie durch ein Wunder durchströmte ihn neue Kraft. Er war der Wind. Er war der Sturm, der sich am Himmel zusammenbraute. Der Geruch einer Blumenwiese an einem sonnigen Sommermorgen stieg ihm in die Nase. Silbriges Licht am Rand seines Gesichtsfelds, nur einen Herzschlag lang, dann war es verschwunden.

Er bremste nicht ab, wurde nicht langsamer, als sie die Grenze zur Wildnis überquerten. Immer weiter und weiter. Durch die Büsche und Hecken, hinter denen Blaukralle ihn verraten hatte. Vorsichtig, aber nicht weniger langsamer über den brüchigen Boden, der damals unter ihm zusammengestürzte war. Nur wenige Stellen waren unter seinen Pfoten so morsch, dann wurde der Boden wieder fester.

Flohnacken saß zwischen den Wurzeln eines großen Baumes, zusammengekauert und kaum wahrnehmbar. Ein heller Fleck zwischen Grün und Braun. „Lauf, Schneckenhirn, lauf!“ Die Worte verhallten hinter ihm, er schenkte weder ihnen noch Flohnacken Beachtung.

Eisbart hatte Mühe mit ihm mitzuhalten, schaffte es in einigem Abstand, schloss aber erst auf, als Sturmpfote langsamer wurde.

„Ich rieche sie“, sagte Sturmpfote und blickte dabei hektisch umher. „Weiter dort entlang.“

Eisbart nickte ihm zu. „Ich folge dir.“

„Wir hätten Flohnacken nach dem Weg fragen sollen“, meinte Sturmpfote, als er sich wieder in Bewegung setzte. Wieso fiel ihm so etwas erst hinterher ein?

„Wen?“

„Flohnacken“, wiederholte er. Sein Herz schlug so schnell wie ein junger Vogel. „Er saß doch zwischen den Bäumen. Wir sind an ihm vorbei gelaufen.“

Eisbart schüttelte nachdenklich den Kopf. „Ich habe niemanden gesehen.“

„Ist auch egal.“ Sturmpfote trabte an, dann rannte er wieder, wenn auch nicht ganz so schnell wie zuvor.

Der Geruch der Zweibeiner wurde immer intensiver. Einige Minuten später hörte er dann endlich ihre kratzigen Stimmen und das Gebell ihrer Hunde. „Wir hetzen die Hunde gegen uns auf.“

Eisbart sah ängstlich aus, ließ sich jedoch nichts anmerken. „Und du meinst, dass das funktionieren wird?“

Sturmpfote nickte. „Wir haben den Geruch des Bären an uns. Sie werden uns jagen und dann führen wir sie direkt zum Lager. Dort können sie ihn töten.“

„Und was ist mit Schneeflügel?“

Das hatte er nicht bedacht. „Ich weiß es nicht. Vielleicht hat sie bis dahin ihre Jungen bekommen und kann das Lager verlassen. Oder die Zweibeiner beachten sie nicht.“

„Das ist also der Plan.“

„Das ist der Plan“, bestätigte Sturmpfote, atmete tief durch und trat hinaus ins Sichtfeld der Hunde.

Sie witterten ihn, bevor sie ihn sahen. Kläffend und knurrend sprangen sie in ihre Leinen, fletschten die Zähne und schlugen an.

Sturmpfote zog sich sofort wieder zurück und stupste Eisbart an, der die Ohren angelegt hatte. „Wir dürfen nicht zu schnell sein, sonst kommen die Zweibeiner nicht hinterher.“

„Lahmes Pack“, kommentierte Eisbart, doch gemeinsam begannen sie zu rennen, direkt zurück in das Gebiet des FeuerClans, aus dem sie die Zweibeiner noch wenige Tage zuvor verbannt haben wollten.
 

***
 

Heißer Atem in seinem Nacken. Das Bellen und aufgeregte Winseln der Jagdhunde. Eisbart und Sturmpfote kauerten unter einem Felsvorsprung im Wald, atmeten gierig die Luft ein. Seine Beine brannten und prickelten vor Erschöpfung, aber Sturmpfote dachte noch nicht daran, dass es vorbei sein könnte.

Die Zweibeiner hatten sie verfolgt, bis die Hunde an der Grenze zum Gebiet des FeuerClans den Bären selbst gewittert hatten. Die Jäger hatten die Hunde von den Leinen gelassen und zu Sturmpfotes Verwunderung hatten die Hunde ihn nicht weiter beachtet, sondern waren direkt zum Lager gerannt. Er hatte nie viel von diesen kläffenden, dummen Wesen gehalten, aber offenbar waren sie tatsächlich nur darauf abgerichtet den Bären zu jagen, keine Katzen.

Schwarzstern, Haselschweif und der Rest des FeuerClans kauerte ebenfalls entlang des Ufers und wartete darauf, dass die Zweibeiner wieder verschwanden. Eine Weile hörten sie das Knurren und Brummen des Bären, dann ein seltsames Geräusch, das entfernt an einen Knall und das Schreien eines Adlers erinnerte. Danach Stille und das zufriedene Winseln der Hunde.

Es dauerte bis in die Abendstunden, bis die Zweibeiner verschwunden waren und wieder Ruhe im Wald einkehrte. Löwenzahnstern hatte Verstärkung geschickt, dank der der FeuerClan bis zum Eintreffen der Zweibeiner hatte durchhalten können, aber nun waren alle müde und wollten nur noch nach Hause.

Das Bild der Zerstörung war offensichtlich. Der Bär hatte im Lager gewütet, aber erstaunlicherweise waren alle Unterkünfte unversehrt geblieben. Honigblüte lief neben der wackeligen Schneeflügel und stützte sie auf dem Weg zurück zum Bau der Königinnen, wo sie während des Kampfes ihre vier Jungen zur Welt gebracht hatte. Vier Junge, von denen nur drei überlebt hatten. Eins, das erste, hatte der Bär gefressen.

Sie alle waren verletzt, erschöpft, ausgelaugt, aber Schwarzstern schickte sie los, um die Toten zu bergen, damit sich alle von ihnen verabschieden konnten. Ein Abend, ein Angriff – und nichts war mehr wie zuvor.

Es war bereits finstere Nacht und der Sturm peitschte ihnen den Regen ins Gesicht, als sie sich unterhalb des Felsvorsprungs vor dem Bau des Anführers versammelten.

Schwarzstern thronte nicht über ihnen, er lehnte sich an Haselschweif wie ein alter König, der seine letzte große Schlacht geschlagen hatte. Wie viele Leben hatte er wegen des Bären verloren? Nur das eine, das Sturmpfote mitbekommen hatte, oder sogar noch mehr, nachdem Eisbart und er fortgelaufen waren, um die Zweibeiner zur Hilfe zu holen?

„Ich fordere alle Katzen, die alt genug sind, um selbst Beute zu machen, dazu auf, sich hier zu einem Clan-Treffen zu versammeln.“ Schwarzstern schaute müde auf sie herab. Jedem waren die Verletzungen des Kampfes anzusehen, auch ihm.

„Der heutige Tag ist ein schwarzer Tag in der Geschichte des FeuerClans.“ Er pausierte. „Trauer erfüllt mein Herz, die so groß ist, dass ich sie nicht in Worte fassen kann. Ich habe meinen Bruder Grauwolke im Kampf verloren. Ich habe meinen Sohn Fuchsauge im Kampf verloren. Aber heute … Heute habe ich einen Teil meines Herzens im Kampf verloren.“ Wieder pausierte er und keiner wagte es, ihn zu unterbrechen. „Wir trauern um Ahornseele, die voller Mut und Entschlossenheit gegen den Bären gekämpft hat, um den Clan zu beschützen, den sie liebt. Wir trauern um Kieselpelz und Herbstfleck, die ihr Leben gaben, um sich dem Bären in den Weg zu stellen und ihn daran zu hindern, den Bau der Königinnen zu betreten. Wir trauern um Lichtjunges, der fortan vom Silbervlies aus über seine Geschwister wachen wird. Vier Leben, die der Bär uns genommen hat. Vier Mitglieder unseres Clans, die nun mit dem SternenClan jagen.“

Alle senkten den Kopf in Gedenken an die Verstorbenen, bis Schwarzstern fortfuhr.

„Doch es gehört auch zu meinen Aufgaben als Anführer, dass ich die Hoffnung nicht sterben lasse. In dieser dunklen Stunde erinnere ich daran, dass es noch mehr zu sagen gibt. Drei gesunde, kräftige Junge haben überlebt. Flockenjunges, Schattenjunges und Frostjunges werden uns jeden Tag daran erinnern, dass auch ein Bärenangriff die Zukunft des FeuerClans nicht zerstören kann.“

Zustimmende Jubelrufe ertönten.

„Schneeflügel und Zimtfeder werden sich gemeinsam um die Aufzucht von Kieselpelz‘ verwaisten Jungen kümmern. Leider hat sich Schneeflügel durch den Bärenangriff so schwer verletzt, dass sie nach ihrer Zeit als Königin eine Älteste werden wird.“

Bedauerliches Murmeln.

„Aber es gibt noch eine Sache, die erwähnt werden muss.“ Schwarzstern schaute auf Sturmpfote herab, dann auf Milchpfote und Fleckenpfote. „Unsere drei Schüler haben bewiesen, dass sie zu echten Kriegern geworden sind.“

Milchpfote wirkte überrascht, aber ihre Augen leuchteten augenblicklich glücklich auf. Fleckenpfote straffte seinen Rücken und lächelte Sturmpfote freudig zu.

„Fleckenpfote, du hast als erster gewusst, dass dem Clan Gefahr von außen droht und wir alle müssen uns dafür bei dir entschuldigen, dass wir zu spät auf dich gehört haben. Milchpfote, du hast heute einen ruhigen Kopf bewahrt und die Jungen in Sicherheit geführt. Sturmpfote, ohne dich hätten die Zweibeiner den Bären nicht rechtzeitig getötet. Ihr alle habt eindeutig bewiesen, dass ihr keine Schüler mehr seid.“

Schwarzstern nickte ihnen nacheinander wohlwollend zu. „Apfelpelz, Haselschweif und Eisbart, seid ihr davon überzeugt, dass eure Schüler bereit sind Krieger zu werden?“

Alle drei nickten synchron. „Ja, das sind sie.“

„Ich, Schwarzstern, rufe meine Kriegerahnen an und bitte sie, auf diese Schüler herabzublicken. Sie haben hart trainiert, um euren edlen Gesetzen gehorchen zu können, und ich empfehle sie euch nun als Krieger.“

Sturmpfote, Milchpfote und Fleckenpfote schauten sich aufgeregt an.

„Fleckenpfote, versprichst du, das Gesetz der Krieger einzuhalten und den Clan zu beschützen und zu verteidigen, selbst mit deinem Leben?“

Fleckenpfotes Stimme klang ein wenig piepsig, so aufgeregt war er. „Ich verspreche es.“

„Dann gebe ich dir, mit der Kraft des SternenClans, deinen Kriegernamen. Fleckenpfote, von diesem Augenblick an wirst du Fleckennase heißen. Der SternenClan ehrt deine Voraussicht und deine Aufrichtigkeit und wir heißen dich als vollwertigen Krieger im FeuerClan willkommen.“

Als nächstes schaute er zu Milchpfote. „Milchpfote, versprichst du, das Gesetz der Krieger einzuhalten und den Clan zu beschützen und zu verteidigen, selbst mit deinem Leben?“

Sie blickte ihn entschlossen an. „Ich verspreche es!“

„Dann gebe ich dir, mit der Kraft des SternenClans, deinen Kriegernamen. Milchpfote, von diesem Augenblick an wirst du Milchkralle heißen. Der SternenClan ehrt deine Geduld und dein Temperament und wir heißen dich als vollwertige Kriegerin im FeuerClan willkommen.“

Zuletzt fixierte er Sturmpfote. „Sturmpfote, versprichst du, das Gesetz der Krieger einzuhalten und den Clan zu beschützen und zu verteidigen, selbst mit deinem Leben?“

Er atmete tief durch. Dies war der Augenblick, auf den er die letzten Monate hingearbeitet hatte. „Ich verspreche es.“

„Dann gebe ich dir, mit der Kraft des SternenClans, deinen Kriegernamen. Sturmpfote, von diesem Augenblick an wirst du Sturmherz heißen. Der SternenClan ehrt deine Entschlossenheit und dein Tatkraft und wir heißen dich als vollwertigen Krieger im FeuerClan willkommen.“

Der Clan bejubelte sie und rief ihre Kriegernamen aus. „Fleckennase! Milchkralle! Sturmherz!“

Sie traten vor, streckten sich und leckten Schwarzstern nacheinander in einer Geste des Respekts über die Schulter, während er ihre Stirn mit seiner Schnauze berührte. Dann löste Schwarzstern die Versammlung auf und schickte die drei neuen Krieger in die Nachtwache.

Die Nachtwache, die ihr Dasein als Krieger endgültig besiegelte.

Sturmherz schloss für einen Augenblick die Augen und ihm war es, als würde er schon zum zweiten Mal an diesem Tag den Geruch von einer Blumenwiese an einem sonnigen Sommermorgen wahrnehmen. Sturmherz, das war sein Kriegername.

Er war ein Krieger.

Er war im FeuerClan angekommen.

Prolog: Saga 2 - Dunkles Blut

Aus der Ferne drang das Grollen eines herannahenden Gewitters an ihre Ohren. Regen lag in der Luft. Honigblüte öffnete ihre Augen, doch im nächsten Moment waren die Eindrücke verschwunden und sie befand sich – wieder einmal – auf dem Gebiet des SternenClans.

„Da bist du ja“, begrüßte ihr Mentor Federwind sie mit seinem schelmischen Funkeln in den Augen. „Hast dir ganz schön Zeit gelassen.“

Honigblüte erwiderte sein Grinsen mit einem spielerischen Blecken ihrer Fangzähne. „Man wird schließlich nicht jünger, aber das muss ich dir ja nicht erzählen.“

Federwinds zerzaustes Fell hob und senkte sich, als er sein Lachen unterdrückte. „Im Tod altert man nicht mehr, meine Liebe.“

Suchend blickte sie sich um. Sie befanden sich auf einer Art endlosen Wiese, das Gras konnte sie sogar unter ihren Pfoten spüren und wenn sie ganz genau hinhörte, hörte sie – kaum wahrnehmbar – doch wieder das heranrollende Gewitter. Oder irrte sie sich? „Wo ist Fliederpfote?“

Federwind stand auf. „Ah, bemerkst du es auch endlich. Sie ist heute nicht bei uns.“

Skeptisch folgte sie dem Vorbild ihres ehemaligen Mentors und erhob sich ebenfalls. Federwind trottete voran, also folgte sie ihm. Wenn sie eines gelernt hatte, dann war es die Tatsache, dass die Katzen im SternenClan ihre Eigenarten im Tod nur noch weiter herauskehrten – und dass sie nur genau so viel preisgaben, wie sie wollten.

„Sie macht sich gut, Blaukralles kleine Tochter.“

„Das tut sie. Aber du hast mir trotzdem noch nicht gesagt, warum ihr sie heute nicht zu euch gelassen habt. Ich dachte … ich dachte, es würde wie bei uns sein. Ich habe dich damals immer begleitet, auch zum SternenClan und zurück.“

„Heute nicht. Die anderen beschäftigen sich mit ihr.“ Das schien ihm Antwort genug zu sein. „Wir sind gleich da.“

„Und wohin –“ Doch weiter kam Honigblüte nicht mehr, denn kurzerhand änderte sich der Boden unter ihr. Aus Gras wurde Sand, dann weiche Erde. Waldboden. Vor ihnen tauchten die anderen Heiler und deren Mentoren auf, wie schon damals, bevor Sturmherz zum FeuerClan gekommen war und der Bär sie wenige Monate später angegriffen hatte. Das ließ nichts Gutes erahnen.

„Da seid ihr“, sagte einer der anderen Mentoren. Er saß Gewitterschweif, dem Heiler des WasserClans, gegenüber und strafte sowohl Honigblüte als auch Federwind mit einem harten Blick.

Federwind ließ sich davon nicht beirren und setzte sich in die Reihe der anderen Mentoren. „Kann passieren, dass man sich verläuft, nicht wahr?“

„Wohl eher hast du noch ein kurzes Schwätzchen mit ihr gehalten“, sagte der andere missbilligend.

„Nun hab dich nicht so, Wolfszahn.“ In einem unbeobachteten Augenblick rollte Federwind mit den Augen und zwinkerte seiner ehemaligen Schülerin zu.

Im nächsten Moment legte sich eine bedrückende Stille über die Lichtung. Die vier SternenClan-Heiler versteiften sich und begannen zu flimmern. „Jeder Clan leidet auf seine Weise. Jeder Clan wird eine Gefahr überstehen müssen. Die Hoffnung auf eine bessere Zukunft darf nicht aufgegeben werden. Nur neues Blut kann den Clan retten.“

Verständnislos schaute Honigblüte die anderen an. Dieselbe Prophezeiung? Erneut? War die Gefahr etwa noch nicht ausgestanden?

Das silbrigblaue Licht um sie herum wurde stärker, begann die Lichtung zu verschlucken, dann löste sich alles auf.

Gewitterschweif, Tigerfuß und Nessellicht verblassten zuerst, dann auch ihre Mentoren. Honigblüte sah Federwind fragend an. „Ich dachte, der Bär wäre unsere Gefahr gewesen. Wieso sagt ihr uns das erneut?“

„Denk nach, Schülerin“, mahnte Federwind sie, ehe auch er verblasste und das Licht Honigblüte zurück in die Mondhöhle hinter dem Wasserfall trug.

Es gab nur eine Möglichkeit: Sie hatten sich geirrt. Die Gefahr war noch nicht gebannt – und es war etwas, was alle vier Clans gleichermaßen betreffen würde.

„Du bist zu langsam.“ Dachsjunges stolzierte mit spöttischem Blick an Flockenjunges vorbei. „So wirst du niemals ein Krieger werden.“

„Du bist echt gemein, Dachsjunges“, erwiderte Flockenjunges traurig und ließ den Kopf hängen. Sein weißes, langes, flauschiges Fell erinnerte noch am stärksten an seine Mutter Schneeflügel, die gerade am anderen Ende des Lagers in der Herbstsonne döste. Er war größer als seine beiden Brüder – für die Verhältnisse im FeuerClan ein richtiger Riese, genau wie Schwarzstern oder Sturmherz, die beide die Gene der großen, langhaarigen Waldkatzen in sich trugen.

Neben ihm saß Frostjunges, sein Bruder. Genau wie er hatte er langes, seidiges Fell, allerdings in einem rauchigen Grauton. Außerdem war er kleiner als Flockenjunges und passte somit besser in die Optik des FeuerClans. Frostjunges war nicht gerade gesprächig, weshalb er sich prächtig mit Rindentänzer verstand, die beide stundenlang schweigend nebeneinander saßen konnten und grimmig durch die Gegend starrten.

Schließlich streckte Schattenjunges grollend die Brust heraus. Er war der kleinste der drei Brüder, hatte kurzes, pechschwarzes Fell, in dem seine gelben Augen zu leuchten schienen. „Kümmere dich um deinen eigenen Kram, Dachsjunges“, spuckte er ihr inbrünstig entgegen und sträubte sein Nackenfell.

Dachsjunges streckte ihm die Zunge heraus. „Ist doch wahr.“

Daraufhin schien Flockenjunges nur noch weiter in sich zusammenzusinken, was ihn wie eine traurige, weiße Wolke aussehen ließ.

„Dachsjunges, lass gut sein“, versuchte es ihr Bruder Nebeljunges, woraufhin sie nur mit den Schultern zuckte.

Schattenjunges hingegen gab sich damit nicht zufrieden. „Nur weil Nebeljunges und du einen halben Mond älter seid als wir, bedeutet das nicht, dass ihr die Weisheit gepachtet habt. Außerdem wüsste ich nicht, dass du überhaupt schon zur Schülerin ernannt worden bist. Du bist immer noch ein Junges, genau wie wir.“

Das saß. Dachsjunges begann zu schmollen. „Aber es wird jeden Tag soweit sein, dass Schwarzstern uns zu Schülern ernennt. Wir sind immerhin einen halben Mond älter als ihr. Wir werden die besseren Mentoren bekommen und ihr bekommt nur die, die übrig bleiben.“

„Lieber schlechtere Mentoren und dafür lebende Eltern“, konterte Schattenjunge böse, doch im nächsten Augenblick tat es ihm leid und er senkte schuldbewusst den Blick. „Tut mir leid, das war nicht so gemeint.“

„Das war jetzt gemein von dir“, jammerte Flockenjunges aus dem Hintergrund und ließ sich auf seinen Bauch sinken. „Warum müsst ihr beiden euch immer streiten. Streit ist böse. Ich will nicht, dass sich irgendwer streitet. Warum können wir uns nicht einfach alle vertragen.“

Dachsjunges Blick wurde hart. Sie starrte Schattenjunges an, straffte dann ihre Schultern und hob das Kinn. „Ihr werdet schon sehen, dass wir euch immer eine Fuchslänge voraus sein werden. Nebeljunges und ich werden die besseren Schüler und die besseren Krieger sein. Kieselpelz und Blaufell werden stolz auf uns sein und wachen im SternenClan über uns und unseren Erfolg. Wenn wir den SternenClan auf unserer Seite haben, kann gar nichts schief gehen.“

„Das reicht jetzt“, ging Nebeljunges dazwischen, flankierte seine Schwester und begleitete sie zurück zum Bau der Königinnen, in dem sie noch immer schlafen mussten. Nebeljunges und Dachsjunges hatten beide kurzes, dichtes Fell und teilten ihr Aussehen nicht mit ihren Eltern. Trotzdem wussten sie, dass die Krieger ihre Eltern in ihnen sahen. Ob sie sich manchmal wünschten, Kieselpelz und Blaufell würden noch leben?

Sturmherz hatte die ganze Szene gemeinsam mit Fleckennase und Blaukralle vom Frischbeutehaufen aus beobachtet. Er seufzte und schüttelte den Kopf. „Sie geraten fast jeden Tag aneinander.“

„Das ist normal“, erwiderte Milchkralle, wobei ihr linkes Ohr leicht zuckte. „Ahornseele und Rindentänzer sind auch vor uns zu Schülern ernannt worden, weshalb es gerade in der Übergangszeit von Jungen zu Schülern Spannungen gab. Als auch Fleckennase und ich Schüler wurden, haben sich die Spannungen wieder gelegt. Dachsjunges ist sehr aufgeregt, das ist alles.“

„Ich frage mich, wen Schwarzstern als Mentoren aussuchen wird“, sagte Fleckennase. Immer, wenn er Dachsjunges ansah, begannen seine Augen zu leuchten, was Sturmherz darauf schob, dass die beiden schwarzweißes Fell hatten und sich somit vielleicht verbunden fühlen konnten.

Milchkralle gähnte gelangweilt, doch ihre wachen Augen sagten etwas ganz anderes. Nachdem sie ungewöhnlich lange eine Schülerin gewesen war, wusste jeder im Clan, dass sie darauf brannte, sich beweisen zu können. Welche Chance wäre passender als die Position des Mentors?

Herbstwolke, die ihr Gespräch mit angehört haben musste, kam freudestrahlend von der Seite angetänzelt und leckte ihrem Sohn Fleckennase über die Schulter, was dieser peinlich berührt zur Kenntnis nahm. „Ich habe rein zufällig mitbekommen, dass ihr über die zukünftigen Mentoren gesprochen habt. Natürlich drücke ich euch allen ganz fest die Krallen! Jeder spekuliert schon fleißig darüber und die ersten Wetten werden abgeschlossen, aber ich bin ganz fest davon überzeugt, dass Schwarzstern Blaukralle nehmen wird.“

Das senkte die gute Laune schlagartig ab.

Fleckennase begann zu maulen. „Wie kommst du denn jetzt darauf, Mutter?“

„Na ja“, entgegnete diese gedehnt, „es ist nun einmal so, dass Blaukralle vor euch ein Krieger wurde und er diese Chance wirklich verdient hat. Er hat im Kampf gegen den Bären Mut und Tapferkeit gezeigt.“ Als sie den Blick der drei jungen Krieger bemerkte, ruderte sie sogleich zurück. „Nicht, dass ich es euch nicht gönnen würde! Oh Fleckennase, mein Kleiner, ich würde mir wünschen, dass auch du diese Chance bekommst.“

„Vielen Dank, Mutter.“ Er rollte genervt mit den Augen und schüttelte Herbstwolke ab. „Kommt einer von euch mit jagen? Ich glaube, wir könnten noch ein paar Mäuse gebrauchen, um die Lästermäuler zu stopfen.“

Milchkralle und Sturmherz erhoben sich zeitgleich und schlossen sich Fleckennase an.

Sturmherz war aufgefallen, dass sich Fleckennase und Herbstwolke in den letzten Monaten ein wenig voneinander entfernt hatten. Als er seinen guten Freund kennen gelernt hatte, war Fleckennase ein schüchterner, unsicherer Schüler und Herbstwolke eine gluckende Mutter gewesen, die ihren Sohn am liebsten noch länger verhätschelt hätte. Vor etwas weniger als sechs Monden hatte dann der Bär den FeuerClan angegriffen. Das hatte sie drei zu Kriegern werden lassen und auch dem letzten Zweifler im Clan gezeigt, dass sie hier her gehörten, an die Seite der anderen Krieger. Fleckennase hatte endlich den Respekt bekommen, den er verdient hatte. Er ließ sich nicht mehr von Herbstwolke bevormunden und diese hatte einsehen müssen, dass aus ihrem einzigen Jungen, aus ihrem Kleinen, ein erwachsener Kater geworden war.

Auch Milchkralles Selbstbewusstsein hatte die offizielle Ernennung zur Kriegerin wohlgetan. Nun wusste jeder, dass sie ihren Platz im Clan gefunden hatte. Wie schon als Schülerin zeichnete sie sich durch ihre Genauigkeit und ihren Ehrgeiz – und leider auch durch ihre Besserwisserei – aus.

Schließlich war auch Sturmherz seit einem halben Jahr ein Krieger. Seit seiner Ernennung hatte ihn niemand mehr angezweifelt, zumindest nicht offenkundig. Noch immer herrschte zwischen Blaukralle und ihm eine Spannung, die sich mit Worten nicht beschreiben ließ. Es war keine offene Feindschaft, kein fehlender Respekt, aber ein Abgrund, der zwischen ihnen lag und nur darauf wartete, wieder aufbrechen zu können.

Mittlerweile war es Oktober geworden, aber der Blattfall war noch nicht wirklich in Sicht. Zwar verfärbten sich die ersten Blätter der Laubbäume rot und golden, doch es herrschten noch immer angenehme, warme Temperaturen und die Sonne wärmte das Fell der Katzen beinahe täglich. Trotzdem merkte man, dass sich die Beutetiere ganz allmählich zurückzogen und damit begannen, sich auf die kalte Jahreszeit vorzubereiten. Der Sommer war heiß gewesen, unbarmherzig heiß. Der Bach, der die Grenze zwischen dem FeuerClan und dem ErdClan sowieso zwischen dem FeuerClan und dem WasserClan darstellte, war zeitweise zu einem kaum mehr als zwei, drei Pfoten breitem Rinnsal ausgetrocknet. Mittlerweile führte der Bach zwar wieder pfotentief Wasser, doch wenn die Regenzeit nicht bald wieder einsetzte, würden die Clans vor großen Problemen stehen.

Doch all das waren Gedanken, die sich zurzeit niemand im FeuerClan stellte. Die bevorstehende Ernennung der Schüler war das interessanteste Thema von allen. Jeden Tag konnte es soweit sein. Jeden Tag.
 


 

***
 

Gut gelaunt putzte Schneeflügel sich den letzten Rest Staub von ihrem schneeweißen Fell. „Eigentlich darf ich nichts verraten“, begann sie und senkte dabei verschwörerisch die Stimme.

Sturmherz schaute auf. Wie so oft hatte er sich eine Weile zu seiner ehemaligen Mentorin gesetzt und sich mit ihr unterhalten. Seit seiner Zeit als Krieger war sie zu einem engen Freund und Vertrauten geworden. Die Zeit als Königin hatte ihr Herz erblühen lassen, doch auch jetzt, da diese Zeit kurz vor dem Ende stand, besaß sie dieselbe, strahlende Lebensfreunde. Selbst der Umstand, dass sie vom Bau der Königinnen in den Bau der Ältesten umziehen musste, minderte ihre gute Laune nicht.

„Aber Schwarzstern wird noch heute die zukünftigen Mentoren zu einem vertrauensvollen Gespräch bitten.“

Er hielt inne. „Und das weißt du, weil du erneut ausgewählt wurdest?“

„Ach Quatsch, Mäusehirn.“ Sie schnaubte und nahm ihn überhaupt nicht ernst. „Natürlich nicht. Ich habe meine Pflichten als Mentorin erfüllt und ich kann mit Recht behaupten, dass aus dir ein guter, ehrenwerter Krieger geworden ist. Schwarzstern hat Eisbart, Haselschweif, Apfelpelz und mich um eine Einschätzung darüber geben, ob Milchkralle, Fleckennase und du für diese Aufgabe bereit seid.“

„Oh.“ Sturmherz schluckte. Das war eine Ehre, mit der er nicht gerechnet hatte. Davon geredet hatten sie oft, das schon, aber keiner von ihnen rechnete damit, dass Schwarzstern sie nur ein halbes Jahr nach der Ernennung zu Kriegern überhaupt in Betracht ziehen würde. „Wieso das?“

Schneeflügel seufzte. „Ich dachte eigentlich, dass die viel wichtigere Frage wäre, welche Antwort wir gegeben haben. Aber gut, dann eben das. Die letzten beiden Winter waren sehr hart und haben in allen Clans ihre Opfer gefordert. Auch im FeuerClan sind nicht wenige Krieger in den letzten zwei Jahren gestorben. Wir, die ältere Generation von Kriegern, haben alle schon Schüler gehabt. Wir hatten unsere Chance. Schwarzstern hat sich mit Haselschweif beraten und die beiden sind zu dem Entschluss gekommen, dass eine neue Generation von Kriegern diese Chance verdient hat.“

Sturmherz nickte leicht benommen. „Und was ist mit Herbstwolke? Ich wusste nicht, dass auch sie schon einen Schüler gehabt hat.“

Für einen Augenblick verdüsterte sich Schneeflügels Blick. „Ja, das hatte sie. Auch er fiel dem harten Winter zum Opfer. Du kennst sie. Wenn sie jemanden ins Herz geschlossen hat, dann sind ihre Gefühle aufrichtig und stark.“

Das erklärte, warum sie Fleckennase so bemuttert hatte – und Sturmherz verstand. „Ihr Schüler war wie ihr eigener Sohn.“

Seine ehemalige Mentorin nickte andächtig. „Ja, das war er. Sein Tod hat ein Stück ihres Herzens gebrochen und nachdem ihr Partner Fleckenbaum, Fleckennases Vater, den Winter danach ebenfalls starb, schwor sie, niemals mehr einen Schüler zu haben, um nicht noch einen Verlust zu erleiden.“ Einen Moment lang schwiegen sie beide, dann fuhr Schneeflügel wieder fröhlich fort. „Jedenfalls sind es fünf zukünftige Schüler, die einen Mentor brauchen, und, da Zimtfeder bis auf Weiteres im Bau der Königinnen leben wird, fünf junge Krieger, die noch nie einen Schüler hatten. Du bist schlau genug, um eins und eins zusammen zu zählen, nicht wahr?“

„Wir werden alle Mentoren.“ Die Erkenntnis traf ihn wie ein Blitzschlag. Es elektrisierte ihn, zu wissen, dass Schwarzstern auch ihn mit einem Schüler ehren würde. „Aber wer bekommt wen?“

„Das ist es, was Schwarzstern nachher mit euch besprechen wird. Aber verrate den anderen nichts!“

Er nickte. „In Ordnung, ich verspreche es.“

Und dieses Versprechen hielt er, bis Schwarzstern sie kurz vor der Abenddämmerung zur Seite nahm.
 

***
 

Der Bau des Anführers war mit so vielen Katzen etwas eng. Dicht an dicht saßen sie im Halbkreis um Schwarzstern und seinen Vertreter Haselschweif herum.

„Einige von euch werden vielleicht schon wissen oder vermuten, warum ich euch zu mir bestellt habe“, sagte Schwarzstern in seiner gewohnt ruhigen, tiefen Stimme, wobei sein Ohr leicht zuckte, als sein Blick Sturmherz streifte. „Ich habe mich dazu entschieden, dem jungen Blut im FeuerClan die Chance zu geben, zu beweisen, dass eure Fähigkeiten als Krieger die letzte Stufe erreicht haben.“ Der Reihe nach schaute er sie an. „Ihr fünf werdet die Mentoren unserer zukünftigen Schüler sein.“

Milchkralles stolzgeschwellte Brust hob und senkte sich vor Aufregung schneller als sonst, aber ansonsten ließ sie sich nichts anmerken.

Fleckennase schaute ein wenig überrascht und dümmlich drein, fing sich dann aber wieder und grinste Sturmherz kurz an.

Blaukralle verzog keine Miene, doch in seinem Blick funkelten Ehrgeiz und Siegeswille. Mit Sicherheit würde er kein nachsichtiger, sondern ein sehr strenger und fordernder Mentor werden.

Rindentänzers buschige Ohren zuckten freudig, doch auch er sagte nichts.

Als keiner etwas erwiderte, fuhr Schwarzstern fort. „Ich könnte es mir einfach machen und einfach jedem von euch einen Schüler zuteilen, so wie ich es sonst auch getan habe. Aber da die Jungen nur zwei Wochen auseinander liegen, werdet ihr alle sehr bald eure Chance bekommen. Ihr habt beim Angriff des Bären alle auf eure Weise bewiesen, dass ihr individuelle Stärken habt. Aus diesem Grund möchte ich, dass ihr euch selbst einen Schüler aussucht, von dem ihr denkt, dass er am besten zu euch passen wird.“

Die Luft im Bau schien still zu stehen.

Schwarzstern nickte Blaukralle zu. „Blaukralle. Du bist der älteste von euch fünf, deshalb darfst du deine Wahl zuerst treffen. Du bist Fliederpfote immer ein guter Vater gewesen und seit drei Wochen ist sie Honigblütes Heilerschülerin. Sie macht sich übrigens sehr gut.“

Blaukralle nickte seinem Anführer zu und nahm damit das Kompliment zur Kenntnis.

„Auch deinem zweiten Wurf mit Zimtfeder wirst du ein guter Vater und ein gutes Vorbild sein. Ich bin mir sicher, dass Fuchsjunges und Bienenjunges stolz auf ihren Vater sein werden – und ich weiß, dass auch du deinen Teil dafür tun wirst, dass dein zukünftiger Schüler den Clan stolz macht.“

Erneut nickte Blaukralle, nicht ohne mit Genugtuung das erneute Lob zu ernten. „Vielen Dank, Schwarzstern. Ich werde dein Vertrauen in mich nicht enttäuschen.“

„Wen würdest du wählen?“

„Nebeljunges“, sagte er ohne zu zögern.

Sturmherz atmete tief aus. Das hatte er erwartet. Jeder wusste, wie ambitioniert Blaukralle war. Niemals hätte er sich die Chance, zwei Wochen früher Mentor zu werden, entgehen lassen. Die Wahl wäre also zwischen Nebeljunges und Dachsjunges gefallen und da Nebeljunges ein Stückchen größer und kräftiger war als seine Schwester, war ihm die Entscheidung wohl sehr leicht gefallen. Blaukralle wollte keinen Verlierer. Er wollte einen Schüler, der seinen Ansprüchen gerecht werden konnte.

„Eine gute Wahl.“ Schwarzstern nickte ihm mit einer leichten Kopfbewegung zu. „Rindentänzer, als zweitältester Krieger von euch darfst nun du wählen.“

Rindentänzer zögerte es nicht lange hinaus und brauchte wie immer nicht viele Worte, um auf den Punkt zu kommen. „Frostjunges.“ Auch das überraschte niemanden. Frostpfote und er verstanden sich bereits blendend und waren beide vom selben, schweigsamen Schlag. Sie würden hervorragend miteinander zurechtkommen.

Wieder nickte Schwarzstern. „Nun zu euch. Ihr drei könnt es unter euch ausmachen.“

Fleckennase ließ Schwarzstern kaum ausreden. „Ich nehme Dachsjunges!“

Milchkralle und Sturmherz sahen sich kurz an, dann zuckten sie mit den Schultern.

Sturmherz wusste, welches der beiden verbliebenen Jungen sie lieber nehmen würde. Er wusste, wen sie nicht wollte. Er wusste, wen niemand wollte. Genau das versetzte Sturmherz einen heftigen Stich mitten ins Herz. Schattenjunges war klug, flink und aufgeweckt. Unter jedem Mentor würde er erblühen und zu einem verlässlichen Krieger werden. Und dann gab es Flockenjunges. Groß. Tollpatschig. Langsam. Milchkralle hätte keine Geduld mit ihm. Niemand hatte Geduld mit ihm, weil er die Welt durch unschuldige, naive, kindliche Augen sah. Flockenjunges war ein Außenseiter im Clan. Er benahm sich nicht wie ein zukünftiger Krieger und er sah aus wie jemand aus dem ErdClan. Ein vollkommener Außenseiter, so wie Sturmherz, als er zum FeuerClan kam. Es würde ein mühevoller, langer, steiniger Weg werden, aber wenn nicht er Flockenjunges zur Seite stand, würde es keiner tun. Aus diesem Grund stand die Entscheidung in seinem Herzen bereits fest. „Ich nehme Flockenjunges.“

Blaukralle konnte ein hämisches Grinsen nicht unterdrücken. Selbst Rindentänzer und Fleckennase sahen ihn bemitleidend an, während Milchkralle einfach nur erleichtert schien und sich schnell zu Schattenjunges bekannte.

„Gut, damit steht die Entscheidung fest. Blaukralle und Fleckennase, haltet euch bei Sonnenuntergang bereit. Ihr werdet noch heute eure Schüler bekommen.“

Als sie den Bau des Anführers verließen, schaute Sturmherz noch einmal zurück, und ihm entging nicht, dass Schwarzstern ihn nachdenklich, aber auch wissend musterte.
 

***
 

Die Sonne ging tief über den Bäumen unter. Man merkte, dass es auf den Herbst zuging, weil es früher dunkel wurde und die Nachtluft frischer war als in den Hochsommermonaten. Orangerotes Licht wurde durch das Grau der Wolken getrübt und durch die Baumkronen weitgehend geschluckt, sodass das Lager des FeuerClans bereits vollständig in Schatten lag.

„Ich fordere alle Katzen, die alt genug sind, um selbst Beute zu machen, dazu auf, sich hier zu einem Clan-Treffen zu versammeln.“ Schwarzstern musste nicht lange warten, denn der Clan hatte bereits Wind davon bekommen, dass noch an diesem Abend zwei Junge zu Schülern ernannt werden sollten. Selbst Zimtfeder, die sich immer nur kurz aus dem Bau der Königinnen entfernen konnte, weil Fuchsjunges und Bienenjunges nicht einmal einen Mond alt waren, saß mit elegant um die Pfoten gelegtem Schwanz neben ihrem Gefährten Blaukralle.

„Heute ist ein freudiger Tag für den FeuerClan“, begann Schwarzstern von seinem erhöhten Posten aus. „Nebeljunges und Dachsjunges sind sechs Monde alt – alt genug, um offiziell zu Schülern ernannt zu werden.“

Die beiden saßen stocksteif am Rand der Versammlung, die Schnurrhaare bebten gleichmäßig vor Aufregung und die Ohren zitterten leicht.

Schwarzstern nickte ihnen gutmütig zu. „Ich bin mir sicher, dass Kieselpelz und Blaufell in diesem Augenblick vom Silbervlies aus auf euch hinabschauen und euren Weg zu ehrenwerten Kriegern immer begleiten werden. Macht sie und euren Clan stolz.“

„Das werden wir“, sprach Dachsjunges lautlos, während Nebeljunges stumm blieb, aber mit leuchtenden Augen gen Himmel blickte, obwohl man nur Wolken sah und keine Sterne.

„Nebeljunges, du bist nun sechs Monde alt und es ist an der Zeit, um mit deiner Ausbildung zu beginnen. Von diesem Tag an, bis dieser Schüler sich seinen Kriegernamen verdient hat, wird er Nebelpfote heißen. Ich bitte den SternenClan, über diesen Schüler zu wachen, bis er in seinen Pfoten die Kraft und den Mut eines Kriegers findet.“ Schwarzsterns Blick wanderte weiter zu Blaukralle. „Blaukralle, du bist nun bereit einen Schüler auszubilden. Du wurdest von Eisbart hervorragend ausgebildet und du hast bewiesen, dass du stark und mutig bist. Du wirst der Mentor von Nebelpfote sein und ich bin davon überzeugt, dass du dein Wissen an ihn weitergeben wirst.“

Blaukralle trat vor, trabte auf Nebelpfote zu und berührte dessen Nase mit seiner eigenen, dann drehten sie sich gemeinsam zum Clan um, der zu rufen begann: „Nebelpfote! Nebelpfote! Nebelpfote!“ Seite an Seite gingen sie zurück an Blaukralles Platz und setzten sich wieder. Zimtfeder leckte ihrem Gefährten stolz über das Ohr, dann erhob sie sich und ging zurück zum Bau der Königinnen.

Honigblüte und Fliederpfote, die am Rand gewartet hatten, schauten Zimtfeder hinterher. Fliederpfote schien unsicher zu sein, ob sie ihrer Mutter zum Bau folgen sollte, weshalb sie Honigblüte fragend anschaute, doch diese schüttelte kaum merklich mit dem Kopf, woraufhin beide ruhig sitzen blieben.

Sturmherz entging nicht, wie glücklich Nebelpfote aussah. Er strahlte aus dem Inneren heraus voller Energie und Tatendrang. Dachsjunges hingegen wirkte … unzufrieden? Neidisch? Ja, Sturmherz glaubte Neid in ihren Augen aufflammen zu sehen, als sie ihren Bruder mit Blaukralle zusammen sah. Offenbar hatte sie sich denselben Mentor gewünscht.

„Jetzt reiß dich zusammen“, hörte er Milchkralle leise raunen, als Fleckennase seinen Hintern kaum still halten konnte. Ob er nervöser war als seine zukünftige Schülerin? Vermutlich.

„Dachsjunges, du bist nun sechs Monde alt und es ist an der Zeit, um mit deiner Ausbildung zu beginnen. Von diesem Tag an, bis diese Schülerin sich ihren Kriegernamen verdient hat, wird sie Dachspfote heißen. Ich bitte den SternenClan, über diese Schülerin zu wachen, bis sie in ihren Pfoten die Kraft und den Mut eines Kriegers findet.“ Schwarzsterns nickte Fleckennase zu. Augenblicklich schienen Dachspfote die Gesichtszüge zu entgleiten, doch wenige Sekunden später hatte sie sich wieder gefangen. „Fleckennase, du bist nun bereit einen Schüler auszubilden. Du wurdest von Apfelpelz hervorragend ausgebildet und du hast bewiesen, dass du stark und mutig bist. Du wirst der Mentor von Dachspfote sein und ich bin davon überzeugt, dass du dein Wissen an sie weitergeben wirst.“

Fleckennase strahlte aus jeder Pore seines Körpers Zufriedenheit und Stolz aus. Er stolzierte beinahe zu Dachspfote, berührte ihre Nase mit seiner und kehrte dann mit ihr in die Reihen der anderen Clankatzen zurück.

„Dachspfote! Dachspfote! Dachspfote!“, rief der gesamte Clan, dann löste Schwarzstern die Versammlung auf und alle verstreuten sich über das Lager.

„Wir werden bei Sonnenaufgang mit dem Training beginnen“, wies Blaukralle seinen Schüler an und musterte Nebelpfote dabei von oben bis unten. „Ich erwarte, dass du immer dein Bestes gibst, verstanden?“

„Ja, Blaukralle.“

„Und ich erwarte, dass du mir ein loyaler Schüler sein wirst. Wenn ich dir eine Aufgabe übertrage, wirst du sie ausführen. Ich werde sehr streng mit dir sein, aber du wirst die beste Ausbildung bekommen, die in diesem Clan möglich ist, wenn du dich anstrengst und voll und ganz darauf konzentrierst.“

„Ja, Blaukralle.“

Blaukralle schaute noch einen Moment auf Nebelpfote herab, dann nickte er zufrieden. „Und nun geh in den Bau der Schüler und schlaf dich aus. Die Zeit des Faulenzens ist vorbei.“ Mit diesen Worten entließ Blaukralle ihn und trottete zum Bau der Königinnen, an dem seine Mutter Rosentau bereits auf ihn wartete.

„Auch wir beginnen morgen bei Sonnenaufgang mit dem Training“, sagte Fleckennase gerade, wirkte dabei aber deutlich unsicherer und improvisierter als Blaukralle. Ob er sich überhaupt schon Gedanken darüber gemacht hatte, wie er das Training gestalten würde?

Dachspfote rollte mit den Augen, doch Fleckennase schien es nicht zu bemerken.

„Bis morgen früh.“

„Bis dann“, erwiderte Dachspfote und beeilte sich, um zu Nebelpfote zu gelangen, der am Eingang des Schülerbaus auf seine Schwester gewartet hatte.

Milchkralle und Fleckennase gingen bereits zum Bau der Krieger, während Sturmherz sich zurückfallen ließ. Sein Blick fiel auf Schattenjunges, Flockenjunges und Frostjunges, die am Rand des Lagers saßen und angeregt miteinander diskutierten. Einzelne Gesprächsfetzen flogen bis an Sturmherz‘ Ohren. Sie versuchten zu erraten, wen sie in zwei Wochen als Mentoren bekommen würden. Gleichzeitig mutmaßten sie, dass Nebelpfote früher zum Krieger ernannt werden würde als Dachspfote.

Sturmherz trottete weiter, bis Dachspfote und Nebelpfote in Hörweite waren.

„Du hast so ein Glück“, murrte Dachspfote gerade. „Du hast Blaukralle bekommen, den besten Krieger im Clan. Ich wünschte, ich hätte ihn als Mentor.“

Nebelpfote schien eine Grimasse zu ziehen. „Ich bin zufrieden.“

„Das ist so unfair!“, jammerte Dachspfote weiter. „Ich habe Fleckennase. Fleckennase! Er macht keinen besonders fähigen Eindruck. Wenn es wenigstens Milchkralle oder Sturmherz geworden wären! Die sind zwar genauso jung wie Fleckennase, aber ihnen traue ich viel mehr zu. Milchkralle ist so strategisch und cool, sie weiß alles. Und Sturmherz ist so groß und kräftig, außerdem hat er in der ersten Reihe gegen den Bären gekämpft und die Zweibeiner benutzt, um den Clan zu retten.“

„Fleckennase hat die Gefahr zuerst gerochen“, warf Nebelpfote ein. „Die Geschichte kennt doch jeder.“

„Er hat sie gerochen, oh, super“, spottete Dachspfote nun bitter. „Und die Krieger und Schwarzstern haben ihm nicht geglaubt. Das sagt doch schon alles. Er ist unfähig. Ich werde mich selbst ausbilden müssen.“ Und dann, ein bisschen leiser und zögerlicher: „Du musst mir helfen.“

Doch zu Sturmherz‘ Überraschung wandte Nebelpfote sich von seiner Schwester ab. „Es tut mir leid, aber das kann ich nicht. Wir sind jetzt Schüler, keine Jungen mehr. Jeder ist für sich selbst verantwortlich und muss die Ausbildung zum Krieger mit eigenen Pfoten durchlaufen.“

Dachspfote wirkte geschockt. Ihre sonst so kratzbürstige Art kam erheblich ins Wanken. „Aber … Nebelpfote! Wir sind Geschwister, wir müssen zusammenhalten!“

„Das mag bisher so gewesen sein, Dachspfote, aber jetzt nicht mehr. Ich möchte hart trainieren, um schnell zum Krieger zu werden. Blaukralle hat Recht, wenn er sagt, dass ich mich voll und ganz auf meine Ausbildung konzentrieren muss.“

Einen Augenblick lang herrschte Stille. Sturmherz konnte durch das Dickicht erkennen, wie geschockt Dachspfote war, doch sie fing sich schnell wieder und konterte gewohnt gehässig: „Bitte, wenn du meinst, dass du auf einmal etwas Besseres bist, dann nur zu. Ich werde dir schon zeigen, was in mir steckt. Mutter und Vater werden stolz sein. Der ganze Clan wird stolz sein.“ Sie versuchte selbstsicher zu wirken, doch ihre Stimme bebte. Dann drehte sie sich schwungvoll um, rollte sich auf dem Moos ein und schloss die Augen.

Sturmherz hatte Mitleid mit ihr, doch das war nicht sein Kampf, nicht seine Verantwortung. Er ließ den Bau der Schüler hinter sich und legte sich neben Milchkralle und Fleckennase in sein eigenes Nest. Noch zwei Wochen, dann würde auch er einen Schüler haben, um den er sich kümmern musste. Es wurde Zeit, sich Gedanken über das Training zu machen.

Sturmherz lag hoch oben auf dem breiten Ast der Buche, die ihr Blätterdach über eine kleine Waldlichtung ausgebreitet hatte. Den Genen seiner Mutter war es zu verdanken, dass er neben Schwarzstern die größte Katze im FeuerClan war, aber darüber hinaus hatte er von ihr auch die langen, starken Krallen geerbt, dank derer er spielend einfach auf Bäume klettern konnte – eine Fähigkeit, die man sonst nur dem ErdClan nachsagte.

Ein leichter Wind lockerte sein seidiges, langes, sturmgraues Fell auf und er wäre beinahe der Versuchung erlegen einzuschlafen, wäre da nicht Dachspfotes schneidende Stimme gewesen, die ihn aus seiner Entspannung riss.

Dachspfote trabte mehrere Fuchslängen vor Fleckennase her, hatte den schwarzen Schwanz gerade in die Höhe gestreckt und schnaubte genervt, als sie sich auf den Boden der Lichtung setzte. „Und jetzt?“

„Geduld“, mahnte Fleckennase, aber selbst ein Blinder musste bemerken, dass er sich gegenüber Dachspfote nicht durchsetzen konnte. Ein Mentor, der sich von seiner Schülerin schon am allerersten Tag auf der Nase herumtanzen ließ.

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Sturmherz machte es sich bequem und hatte nicht vor, sich in den nächsten Minuten zu erkennen zu geben. Stattdessen schaute er seelenruhig auf die Lichtung herab, auch wenn er sich dabei ein kleines bisschen so fühlte, als würde er seinen besten Freund verraten.

„Wir werden mit den Grundlagen anfangen. Das Gesetz der Krieger.“

„Ernsthaft?“, unterbrach sie ihn ungehalten. Ihre weißen Pfoten kneteten ungeduldig den Erdboden durch. „Fleckennase, ich kenne das Gesetz der Krieger. Jeder kennt es. Zimtfeder und Schneeflügel haben uns so oft davon erzählt. Ich kann es auswendig, muss ich dir das beweisen?“

„Nein, aber so gehört sich das nun mal“, sagte er genervt und pausierte daraufhin kurz. Er schaute mit festem Blick zu seiner Schülerin, doch sein zuckender Schwanz verriet seine Unsicherheit. „Also, wo war ich“, begann er erneut.

Dachspfote unterbrach ihn erneut. „Regel Eins: Verteidige deinen Clan, selbst wenn es dein Leben kostet. Du darfst dich mit Katzen anderer Clans anfreunden, aber deine Loyalität gilt stets deinem eigenen Clan.“

„Dachspfote.“

„Regel Zwei: Älteste, Königinnen und Junge werden zuerst mit Beute versorgt, vor den Schülern und Kriegern.“

„Dachspfote!“ Fleckennases Stimme war kurz vor dem Brechen. „Genug!“ Er sah sie zornig an und seine laute Stimme ließ sie innehalten. „So geht das nicht. Du musst mir mehr Respekt zollen!“

Sturmherz konnte von seiner Position aus hervorragend sehen, wie sich ihr Nackenfell leicht sträubte, ganz so, als würde sie sich eine Bemerkung nur schwer verkneifen können. Doch sie tat es, setzte sich hin und starrte ihn finster an.

„Genug.“

Dachspfote schnaubte. „Wie gesagt, ich kenne die Regeln. Ich möchte das Jagen und Kämpfen lernen. Das, was einen Krieger ausmacht.“

„Es gehört mehr zum Kriegerdasein als das Jagen und Kämpfen“, entgegnete Fleckennase. „Ein Krieger übernimmt Verantwortung seinem Clan gegenüber. Er ehrt das Gesetz der Krieger, stellt das Überleben des Clans an erste Stelle.“ Kurz schnaufte er. „Und. Respektiert. Andere. Krieger.“

„Bravo“, schallte es plötzlich von der anderen Seite der Lichtung. „Wie ich sehe, ist dein Training bereits in vollem Gange. Wobei ich mich durchaus frage, wer hier wen erzieht.“ Blaukralle trat zwischen zwei Dornenbüschen hervor, hinter ihm Nebelpfote. „Mein Schüler und ich werden hier auf dieser Lichtung die Grundlagen des Jagens trainieren. Vielleicht sollte sich Dachspfote uns anschließen?“ Was wie ein freundschaftliches Angebot klang, waren Spott und Häme.

Dachspfotes Augen begannen schlagartig zu leuchten. Sie stand auf, machte einen Schritt auf Blaukralle und ihren Bruder zu, bis Fleckennase das Angebot ausschlug. „Wie großzügig, aber wir kommen zurecht. Außerdem wollten wir eh gerade gehen.“

„Aber wir sind doch erst angekommen“, funkte Dachspfote murrend dazwischen und warf ihrem Bruder und Blaukralle einen sehnsüchtigen Blick zu.

„Wir gehen“, erwiderte Fleckennase streng.

Zeit, seinem Freund zur Hilfe zu eilen. Sturmherz stand auf, kletterte die ersten zwei, drei Meter kopfüber an der Rinde herab und sprang dann bis auf den Boden. Sogleich hatte er alle Blicke auf sich.

„Seit wann bist du da?“, fragte Fleckennase überrascht, doch Sturmherz schüttelte kaum merklich mit dem Kopf.

„Ich würde mir gerne ansehen, wie du Dachspfote am Bach in die Grundtechniken des Kämpfens einweist. Der sandige Boden dort ist perfekt dafür geeignet.“

Unschlüssig sah Dachspfote zwischen den drei Kriegern hin und her.

Fleckennase stand auf dem Schlauch und sah Sturmherz fragend an.

Dieser legte sofort nach: „Das war es doch, was du jetzt tun wolltest, nicht wahr?“

Dann verstand er und nickte, wenn auch zögerlich.

„Gut.“ Sturmherz gab Dachspfote mit einem Nicken zu verstehen, dass sie sich in Richtung Bach in Bewegung setzen sollte. „Viel Erfolg, Nebelpfote.“

„Danke, Sturmherz.“

Sie ließen die beiden anderen und die Lichtung hinter sich. Erst als sie außer Hörweite waren, atmete Fleckennase geräuschvoll ein und aus. „Das wäre nicht nötig gewesen, ich hatte alles unter Kontrolle.“

Sturmherz warf ihm einen schiefen Seitenblick zu. „Tatsächlich?“ Sein Tonfall sagte alles und beendete gleichzeitig das Thema. „Dachspfote ist voller Energie, nutz das aus. Um die Theorie kannst du dich auch noch später kümmern.“

Abrupt blieb Fleckennase stehen. Er hielt Sturmherz‘ Blick mit seinen hellen, klaren Augen fest. „Ich brauche keine Hilfe beim Training meiner Schülerin.“

„Das weiß ich“, sagte Sturmherz. „Ich wollte nur nett sein.“

„Ich brauche deine Hilfe nicht“, wiederholte Fleckennase noch einmal säuerlich, rümpfte dann die Nase und wartete noch einige Sekunden, ehe er den Blick löste und gemeinsam mit Dachspfote im Unterholz verschwand.

Sturmherz blieb zurück und sah seinem Freund hinterher. Er kannte Fleckennase, seit er in den FeuerClan gekommen war. Es war nicht so, dass er ihm die Aufgaben eines Mentors nicht zutraute, aber Dachspfote brauchte einen Mentor, den sie respektieren konnte, der stark war und ihr zeigte, wo ihre Grenzen lagen. Und auch, wenn es ihm im Herzen schwer fiel, das zuzugeben, so glaubte Sturmherz doch, dass Blaukralle tatsächlich die bessere Wahl für Dachspfote gewesen wäre.
 

***
 

„Das gibt sich.“

Sturmherz hatte Schneeflügel, seiner ehemaligen Mentorin, am Abend von den Geschehnissen des Tages erzählt. „Meinst du?“

Sie nickte. „Fleckennase war schon immer sehr unsicher. Er braucht Zeit, um sich an seine Aufgabe als Mentor zu gewöhnen. Er möchte alles richtig machen, aber er denkt noch zu sehr als Schüler. In einigen Wochen werden die beiden sich einander gewöhnt haben, glaub mir.“ Dann wechselte sie das Thema. „Ich freue mich, dass mein eigener Schüler bald der Mentor von einem meiner drei Söhne werden wird. Doch wieso hast du dich für Flockenjunges entschieden?“

Sturmherz sah sie an. Ihr Fell war schneeweiß, genau wie das von Flockenjunges, doch darüber hinaus teilte sie keine äußerlichen Merkmale mit ihm. „Weil er eine Herausforderung ist. Flockenjunges ist …“ Er zögerte. Wie sollte er es am besten formulieren?

Schneeflügel kam ihm zuvor. „Ein Außenseiter, ich weiß.“ Ihr Blick glitt in die Ferne. „Seine Seele ist zu rein für diese Welt. In seinem Herzen wird er immer seine kindliche Unschuld bewahren. Wenn ihn jemand zu einem Krieger machen kann, dann du.“

„Ich werde mir Mühe geben, das verspreche ich dir.“

„Das freut mich zu hören.“ Noch immer schien ihr Blick einer Erinnerung nachzuhängen. „Es ist mir wichtig, dass Flockenjunges im FeuerClan sein Zuhause findet. Wir sind seine Familie. Der FeuerClan ist sein Leben. Pass immer auf ihn auf, denn irgendwann werde ich nicht mehr da sein und er hat sonst nur noch seine Brüder, die irgendwann ehrbare Krieger sein werden und eigene Familien gründen.“

Schweigend lagen sie nebeneinander. In Sturmherz brannten Fragen, die er Schneeflügel schon mehr als einmal gestellt hatte, wenn auch nicht mehr in der letzten Zeit. Wenn sie sagte, dass Flockenjunges nur sie und seine beiden Brüder hatte, bedeutete das, dass sein Vater nicht mehr lebte? War es doch Blaufell gewesen, wie manche vermutet hatten? Schneeflügel hatte nie verraten, wer der Vater ihrer Jungen war – und sie musste es auch nicht, denn niemand konnte eine Königin dazu zwingen.

„Sturmherz, ich möchte dir eine Geschichte erzählen.“

„Eine Geschichte?“ Überrascht blickte er auf.

Ihr Blick war noch immer verschleiert und schien nur noch weiter wegzudriften. „Es war einmal eine junge Schülerin, unerfahren und stolz. Eines Tages unternahm sie einen Ausflug entlang der Grenzen ihres Clans, als ein Unwetter aufzog. Es war Winter und ihr Clan litt Hunger, weshalb sie ihren Mentor nicht enttäuschen wollte. Schnee wirbelte überall um sie herum, doch sie streifte weiter durch das Revier ihres Clans, bis sie das Eis des Baches unter ihren Pfoten spüren konnte. Sie war zu unerfahren und zu stolz, um einfach umzukehren. Also ging sie weiter und das Eis brach unter ihrem Gewicht. Eiswasser tränkte ihr Fell, zog sie in die Tiefen des Baches, als sie im Nacken gepackt und zurück ans Ufer gezogen wurde – nur dass es nicht das Ufer ihres Clans war. Ihr Retter war ein junger Krieger, nur wenige Monde älter als sie selbst. Er machte ihr keine Vorwürfe, sondern wärmte sie, bis sie stark genug war, um auf die Seite ihres eigenen Clans zurückzukehren. Fortan sollten sich ihre Wege des Öfteren an jenem Grenzbach kreuzen. Die Jahre vergingen und aus einer flüchtigen Bekanntschaft wurde eine Freundschaft. Aus einer Freundschaft wurde Liebe, doch beide wussten, dass es keine Zukunft für sie gab.“

Als Schneeflügel nicht mehr weiter sprach, bemerkte Sturmherz erst, dass er den Atem angehalten hatte. „Und weiter?“

Ein flüchtiges Lächeln stahl sich auf ihr Gesicht. „Aus der Ferne sah sie ihm dabei zu, wie er sich eine Gefährtin unter Seinesgleichen suchte und wundervolle Jungen zeugte. Es wurden große, stattliche Krieger, im ganzen Clan respektiert und gemocht. Und dennoch trafen sich die beiden Geliebten jeden Winter heimlich an ihrem Bach, bis sie für ihr Geheimnis mit drei Söhnen belohnt wurden. Drei Söhne, die niemals erfahren werden, wer ihr Vater ist. Drei Söhne, von denen zwei auch niemals danach fragen werden. Drei Söhne, von denen einer niemals in seinem Clan eine Heimat finden wird. Tief in seinem Herzen wird er eines Tages wissen, dass er nicht in den Clan seiner Mutter gehört, aber auch nicht in den seines Vaters. Er wird unglücklich werden.“ Ihr Blick klarte wieder auf. „Und damit wird die Geschichte enden.“

Sie sahen sich noch eine ganze Weile stumm an. Sturmherz wusste, dass dies nicht einfach nur irgendein Märchen war. Seine Mentorin hatte ihm ihr Geheimnis anvertraut, weil sie wusste, dass er es verstehen würde. Er wusste, wie man sich als Außenseiter fühlte, er und Schwarzstern. Ein Hauskätzchen und eine HalbClan-Katze. Und jetzt auch Flockenjunges.
 

***
 

Falkenherz und Schneeflügel hatten es sich vor dem Bau der Ältesten bequem gemacht. In der Nacht hatte es ein wenig geregnet, doch am nächsten Morgen klarte es wieder auf und es schien erneut ein ungewöhnlicher heißer Tag für Anfang Oktober zu werden. Haselschweif hatte gerade die Patrouillen für den Tag eingeteilt. Sturmherz würde gemeinsam mit Blaukralle, Milchkralle und Nebelpfote die Grenze zum ErdClan übernehmen, ehe sich Blaukralle anschließend mit seinem Schüler für erste Jagdübungen absetzen würde.

„Hast du Fleckennase mal gefragt, wie es bisher mit Dachspfote läuft?“

Milchkralle verzog das Maul zu einer genervten Grimasse. „Überflüssig. Es sieht doch jeder, dass sie ihm auf der Nase herumtanzt.“ Dann verschwand die Grimasse aus ihrem Gesicht und ein etwas besorgterer Ausdruck trat in ihre leuchtenden Augen. „Ich hoffe, er schafft das. Ich weiß nicht, ob Fleckennase damit klarkommen würde, wenn Schwarzstern ihm seine Schülerin wegnehmen sollte. Er hatte mit Apfelpelz zwar auch nicht gerade den motiviertesten Mentor, aber trotzdem sollte er es besser machen.“

„Dachspfote ist ein Dickkopf und sie kennt ihre Grenzen noch nicht“, sagte Sturmherz seufzend. „Ich hoffe auch, dass er damit zurechtkommt. Wieso wollte er sie überhaupt unbedingt haben?“

Milchkralle rollte mit den Augen. „Das merkst du nicht?“

„Was denn?“

Sie ließ seine Gegenfrage unbeantwortet, weil sich Blaukralle und Nebelpfote näherten.

Blaukralle hatte den rundlichen, leicht gedrungenen Körperbau, der typisch für den FeuerClan war und auf eine gute Portion Britisch Kurzhaar in den Genen der Vorfahren hinwies. Obwohl Nebelpfote erst ein halbes Jahr alt war, war er bereits so groß wie sein Mentor, dafür aber hochbeiniger und kantiger, so wie auch Milchkralle. Er würde vielleicht noch ein paar Zentimeter wachsen, ansonsten aber breiter und kräftiger werden und seinen Mentor somit um eine Mauslänge überragen. Trotzdem konnte man bereits auf den ersten Blick erkennen, dass Nebelpfote sich seinem Mentor unterordnete, denn neben Blaukralles Präsenz wirkte er unscheinbar.

„Wir sind soweit“, verkündete Blaukralle und marschierte einfach voran, ohne sich mit Milchkralle oder Sturmherz kurzzuschließen.

Milchkralle rollte erneut mit den Augen, verkniff sich aber jeglichen Kommentar, ebenso wie Sturmherz. Beide wussten, dass es üblich war, dass der älteste oder erfahrenste Krieger die Patrouille leitete. Da Blaukralle älter als sie war, gebührte diese Ehre ihm, was er sich auch ohne zu zögern herausnahm.

Nebelpfote schloss sofort wie ein braungetigerter Schatten an die Seite seines Mentors auf, wobei seine Ohren sich immer wieder nach hinten drehten, um zu kontrollieren, wie nah ihm Milchkralle und Sturmherz kamen.

Auf dem Weg zum Bach, der die Grenze zum ErdClan markierte, ließ Sturmherz seinen Blick immer wieder über seine Umgebung wandern. Eine sanfte Brise wog die Baumkronen hin und her und immer wieder löste sich irgendwo ein vertrocknetes, braunes Blatt und fiel zur Erde. An den Bäumen mischte sich saftiges, sommerliches Grün mit verwelktem Braun, gesprenkeltem Rot oder strahlendem Gold. Es war unverkennbar, dass der Blattfall immer näher rückte, aber es war warm.

Immer noch angenehm warm.

Ob das normal war? Nein, das konnte er sich nicht vorstellen. Er selbst war mittlerweile über ein Jahr alt und hatte schon einmal den Blattfall erlebt, allerdings war er zu diesem Zeitpunkt noch ein Junges gewesen und hatte noch bei den Zweibeinern gelebt. Sturmherz konnte sich kaum noch daran erinnern, es lag wie ein anderes Leben hinter ihm zurück.

Als sie Grenze des ErdClans erreichten, stieg der gewohnte Duft des anderen Clans in Sturmherz‘ Nase. Er entspannte sich, weil er den ErdClan eigentlich relativ gerne mochte. In den letzten Monaten hatte er sich mit Mohnfänger und Stummelschweif angefreundet und auch mit Lehmpelz verstand er sich relativ gut. Sie alle waren sein Alter oder nur unwesentlich älter. Automatisch hielt Sturmherz Ausschau nach ihnen, doch als er sie weder riechen noch sehen konnte, beließ er es dabei. Soweit er wusste, hatte der ErdClan aktuell keine Schüler mehr, weshalb es keinen Grund gab, öfter als gewöhnlich eine Patrouille entlang der Grenze auszusenden.

Anders war es an der Grenze zum WasserClan. Silberstern hatte dem FeuerClan noch immer nicht verziehen und warf ihnen Lachssängers Tod vor, auch wenn die ganze Geschichte seit einem halben Jahr ruhte. Die Fronten waren verhärtet und wann immer sich zwei Patrouillen entlang der gemeinsamen Grenze begegneten, gab es scharfe Blicke, eisiges Schweigen und stummes Drohen. Auch bei den Versammlungen spielte sich genau dasselbe ab. Nur selten richtete Silberstern das Wort an Schwarzstern und wenn, dann diffamierte sie seine vorherigen Aussagen und spielte sich auf.

Wacholderstern stimmte ihr meistens zu und zeigte selten eine eigene Meinung, hielt sich aus den Wortgefechten der anderen Anführer allerdings so gut wie immer zurück. Hummelschatten und Kleesonne, die ebenfalls zu Sturmherz‘ Freunden geworden waren, fanden immer öfter schlechte Worte über ihren Anführer, doch mehr als ein Murmeln war nie zu hören.

Schweigend gingen sie die Grenze zum ErdClan entlang und Sturmherz hatte die Hoffnung, dass er jemandem aus dem anderen Clan begegnen würde, bereits aufgegeben, als doch der würzige Duft des ErdClans stärker wurde.

Borkenschnabel, Staubblüte und Kieferkralle traten aus dem Unterholz und grüßten die FeuerClan-Krieger der Reihe nach.

„Blaukralle!“, rief Kieferkralle freudig aus und nickte dem blauen Krieger zu, wobei seine dunklen Ohrpinsel leicht hüpften. Er sah Nebelpfote ein wenig ähnlich, hatte aber – typisch ErdClan – sehr langes, seidiges Fell, sodass sich das Muster seiner Fellzeichnung in den Längen verlor. „Wie ich sehe, hast du endlich einen eigenen Schüler bekommen.“

Blaukralle grinste flüchtig, wirkte aber so, als würde er das Gesprächsthema über alle Maßen genießen. „Das ist Nebelpfote. Sohn von Blaufell und Kieselpelz.“

„Es ist schön, die Jungen der beiden wohlauf zu wissen“, sagte Borkenschnabel anerkennend.

Staubblüte war eine der wenigen Kurzhaarkatzen im ErdClan und besaß noch dazu intensive, türkisfarbene Augen. Sie musterte sowohl Blaukralle als auch Nebelpfote teilnahmslos, ehe sie das Wort an beide richtete: „Rosentau wird mit Sicherheit stolz auf dich sein.“

„Davon gehe ich aus“, erwiderte Blaukralle kühl.

Sturmherz war sich nicht vollkommen sicher, aber er glaubte eine Art Spannung zwischen Staubblüte und Blaukralle zu vernehmen. Der blaue Krieger versteifte sich kaum merklich, während Staubblüte ihn in Grund und Boden starrte.

„Und Zimtfeder hat schon wieder Junge von dir bekommen, wie man sich erzählt“, ergänzte sie in einem spitzen Tonfall.

„Fuchsjunges und Bienenjunges. Sie werden eines Tages große Krieger und eine Bereicherung für den Clan sein.“

Staubblütes Mundwinkel zuckten leicht. „Was wäre auch anderes vom großen Blaukralle zu erwarten, nicht wahr?“ Sie blinzelte nicht ein einziges Mal, was den Effekt ihrer durchdringenden Augenfarbe nur noch verstärkte. „Es gehört sich wohl, an dieser Stelle zu gratulieren. Ich wünsche dir für deine Jungen nur das Beste. Und grüß Rosentau von mir. Es wäre mir ein Vergnügen, sie bald mal wieder zu treffen. Wir haben uns schon lange nicht mehr unterhalten.“

„Ich werde es ihr ausrichten.“

Borkenschnabel beendete die Unterhaltung mit einem Räuspern. „Ihr beiden werdet sicherlich auch bald Mentoren werden?“

Milchkralle lächelte stolz. „Ja, es wird nicht mehr lange dauern.“

„Dann kann man euch tatsächlich nur gratulieren. Der FeuerClan findet allmählich zu seiner alten Stärke zurück und wir im ErdClan sind froh über die tiefe Freundschaft, die unsere Clans miteinander verbindet.“

„Gesprochen wie ein wahrer Diplomat“, feixte Kieferkralle und wieder wippten seine Ohrpinsel auf und ab.

Dann verabschiedeten die drei Krieger des ErdClans sich und kehrten in die Tiefen ihres eigenen Territoriums zurück.

Blaukralle schnaubte leise, ehe er Nebelpfote an seine Seite rief und mit ihm voran zurück zum Lager marschierte. Der Schritt, den er vorlegte, war temporeich und zielstrebig. Kein einziges Mal schaute er nach, ob Nebelpfote mit ihm mithalten konnte oder ob die beiden anderen ihm folgten.

Milchkralle und Sturmherz wechselten einen langen Blick.

„Kommt dir sein Verhalten auch merkwürdig vor?“, fragte Sturmherz schließlich, als sie sich – deutlich langsamer – ebenfalls in Bewegung setzten.

Erleichtert atmete Milchkralle aus. „In der Tat. Ich dachte schon, ich würde es mir einbilden, aber zwischen Staubblüte und ihm ist irgendetwas. Sie sah aus, als wäre sie ihm am liebsten an die Gurgel gesprungen.“

Sturmherz konnte sich ein leises Lachen nicht verkneifen. „Solange er sich selbst Feinde macht, soll es mir recht sein. Nur wieso sich jemand freiwillig mit Rosentau treffen möchte, ist mir schleierhaft.“

„Sie ist nicht so schlimm, wie du immer behauptest. Sie steht lediglich sehr rigoros hinter den Werten des Clans und hinter dem Gesetz der Krieger.“

„Weshalb sie mich immer noch hasst. Sie ist nicht besser als der WasserClan, der seine eigenen Jungen verbannt.“

Neben ihm ließ Milchkralle einen genervten Laut erklingen. „Der WasserClan hat viele kranke Jungen gehabt. Sie alle zu versorgen, obwohl sie keinen Beitrag zum Clanleben leisten könnten, wäre für jeden Clan eine zu große Belastung. Ich sage nicht, dass ich es gutheiße, wie der WasserClan in der Vergangenheit gehandelt hat, aber man muss versuchen, ihre Sicht der Dinge zu verstehen.“

„Das mag das eine Problem sein“, entgegnete Sturmherz streitlustig. „Aber das andere Problem ist, dass sie jegliche HalbClan-Katzen ablehnen und ebenfalls in die Wildnis verbannen. Was ist so schlimm daran, wenn man kein reines Clanblut in sich trägt?“ Er schnaubte aufgebracht. „Wenn es nach ihnen ginge, hätte ich es niemals in den Clan geschafft. Bist du auch der Meinung, dass das gut gewesen wäre?“

„Natürlich nicht!“ Milchkralle sah ihn entgeistert von der Seite her an. „Du gehörst zum FeuerClan! Du bist ein vollwertiges Mitglied unseres Clans. Und jetzt hör auf mit dem Thema. Dass der WasserClan sich selbst zu Grunde richtet, wissen wir, das hast du uns oft genug gesagt.“

Das hatte er in der Tat. Aber noch immer hatte ihm keiner Gehör schenken wollen, wenn er behauptete, dass HalbClan-Katzen das Blut des WasserClans retten könnten. Schon in seiner Ausbildung hatte er Eisbart davon erzählt und ihm erklärt, welches Wissen seine Mutter ihm als Kitten vermittelt hatte. Wenn sich Katzen, die nahe miteinander verwandt waren, über Generationen hinweg paarten, verdarb das Blut und es folgten Unfruchtbarkeit und kranke Junge. Die Lösung, wie der WasserClan sich selbst retten könnte, war so einfach – und doch so ausgeschlossen. Eher würde Silberstern ihren gesamten Clan dem Untergang weihen, als freiwillig eine Vermischung mit dem Blut der anderen Clans zuzulassen.
 

***
 

Silberblaues Licht umgab Sturmherz, als er die Augen öffnete. Er stand im Nichts und trotzdem hatte er das Gefühl von Gras unter seinen Pfoten. Eine blühende Wiese an einem sonnigen Sommermorgen. Kein unbekannter Geruch, hatte er ihn doch schon früher in seinen Träumen wahrgenommen.

„Hallo, Sturmherz“, sagte eine Stimme, die ihm so vertraut und fremd zugleich war.

Er drehte sich um und sah in die blauen Augen einer weißen Katzendame. War sie weiß? Oder leuchtete sie von innen wie die Sterne am Himmel? Auch sie hatte er schon einmal in seinem Traum gesehen, auch wenn es nur noch eine vage Erinnerung aus seiner Anfangszeit beim FeuerClan war. „Wer bist du?“

Die Katze lächelte sanft. „Es freut mich, dass du deinen Weg zu mir finden konntest. Ich bin stolz auf dich, Sturmherz. Endlich ein Krieger und bald ein Mentor noch dazu. Flockenjunges kann sich glücklich schätzen. Eine gute Wahl, die von Weisheit und einem großen Herzen zeugt.“

Verwirrt sah er sie an. „Weisheit? Was meinst du?“

Ihr Lächeln wurde milde – wie das einer alten Mentorin, die ihrem Schüler auf die Sprünge half. „Das weißt du. Nur du kannst verstehen, wie Flockenjunges sich im FeuerClan fühlen wird. Du hättest ihn nicht zu deinem Schüler nehmen müssen, aber du hast es getan, weil du gespürt hast, dass nur du ihm eine richtige Chance geben wirst.“ Einen Moment lang trübte sich ihr Blick und wanderte in eine unbekannte Ferne. „Flockenjunges … Er wird es nicht leicht haben. Seine Seele ist so unschuldig und rein, wie es nur selten vorkommt. Pass gut auf deinen Schüler auf.“

Sturmherz wusste nicht recht, was er darauf erwidern sollte. „Das werde ich.“

„Ich weiß, dass du das wirst.“ Der Tonfall der weißen Katze wurde wieder munterer. „Du wirst mich stolz machen. Bisher habe ich es noch an keinem Tag bereut, dass ich dich zum FeuerClan geführt habe.“

„Du hast mich zum … Moment mal! Wie meinst du das? Die Zweibeiner meiner Mutter haben mich in der eisigen Kälte ausgesetzt und zum Sterben zurückgelassen. Drei Tage lang irrte ich umher, bis Fleckennase und Milchkralle mich gefunden haben.“ Während er davon erzählte, kneteten seine Pfoten gedankenverloren in dem silbrigen Gras herum.

„Und wer, glaubst du, hat dir nachts in deinen Träumen Mut zugesprochen? Wer, glaubst du, war Stunde um Stunde, die du dich durch den Schnee gequält hast, an deiner Seite?“ Sie legte den Kopf leicht schief.

Sturmherz fühlte sich, als würde man ihm den Boden unter den Pfoten wegziehen. „Du?“, brachte er heiser hervor.

Sie nickte gewissenhaft. „Ja, das war ich. Aber ich vergebe dir, dass du dich nicht mehr daran erinnern kannst. Du warst noch jung und geschwächt, ohne meine Kraft hättest du vielleicht nicht einmal die erste Nacht überlebt.“

Das konnte nur eins bedeuten. Sturmherz‘ Blick huschte umher. Warum war er nicht früher darauf gekommen? „Du gehörst zum SternenClan.“ Sie war tot und er war beim SternenClan, wie auch immer das passieren konnte.

Wieder lächelte sie geheimnisvoll.

„Wieso bin ich hier? Wieso kann ich mit dir reden? Ich dachte, dies sei den Anführern und Heilern vorbehalten.“

„Das ist es auch – normalerweise. Aber manchmal, zugegebenermaßen relativ selten, öffnen wir unsere Pforten auch für andere, die uns am Herzen liegen oder mit uns verwandt sind. Ich habe es getan, weil ich große Hoffnungen in dich setze, Sturmherz.“

„Ich verstehe nicht.“

„Noch nicht“, stimmte sie ihm zu und betonte es, als sei es nur eine Kleinigkeit, die sich von alleine ergeben würde. Zeitgleich begann die Umgebung ganz langsam zu verblassen. „Ich werde dir immer beistehen, so gut ich kann, damit du meinen Clan rettest. Das ist es, was ich von dir erwarte. Nicht mehr und nicht weniger. Ich habe dich zu deiner Bestimmung und deinem neuen Leben geführt und im Gegenzug möchte ich, dass du mir diesen Gefallen erweist.“

„Deinen Clan … retten?“ Er musste schwer schlucken. „Dem FeuerClan droht Gefahr? Schon wieder? Was kann ich tun? Was muss ich tun?“ Alarmiert stellten sich seine Ohren auf.

Alles um ihn herum und auch die namenlose Katze verblassten nun immer schneller. Sie begann zu lachen und es klang wie die wundervollste Melodie, die er jemals gehört hatte. „Du irrst dich, mein lieber Sturmherz.“ Ihr Lachen verhallte. „Ich möchte, dass du meinen Clan rettest. Aber ich habe nie vom FeuerClan gesprochen.“ Und keinen Herzschlag später war sie vollständig verschwunden.

Schon seit Tagen hingen Gewitterwolken am Himmel, aber der erlösende Wolkenbruch ließ auf sich warten. Falkenherz klagte über wetterbedingte Schmerzen in ihrer Pfote, während Schneeflügel ein permanentes Ziehen und unterschwelliges Brennen an den Stellen hatte, die durch den Bärenangriff verletzt worden waren. Die beiden Ältesten hatten sich solidarisch an den Rand der Versammlung gesetzt, direkt neben Fliederpfote, die die beiden immer wieder von der Seite her musterte.

Schwarzstern saß auf dem Felsvorsprung und wartete, dass Ruhe einkehrte. Jeder wusste, warum er diese Clanversammlung einberufen hatte: Es war an der Zeit, dass auch Schattenjunges, Frostjunges und Flockenjunges zu Schülern ernannt wurden. Ein wichtiges Ereignis im Leben der Jungen und des ganzen Clans.

Schräg hinter Schwarzstern saß Haselschweif. Der rostbraune Kater mit dem buschigen Schweif sah müde aus, wie so oft. Worüber er sich wohl dieses Mal Gedanken gemacht hatte?

Sturmherz hatte zwischen Milchkralle und Rindentänzer Platz genommen. Fleckennase hatte es gemeinsam mit Dachspfote neben Blaukralle und Nebelpfote verschlagen – oder eher gesagt hatte Dachspfote sich einfach zu ihrem Bruder und dessen Mentor gesetzt, was Fleckennase nicht auf sich sitzen lassen wollte. Ihm blieb nichts anderes übrig als Sturmherz einen leidigen Blick zuzuwerfen.

Die drei Jungen, die in wenigen Minuten zu Schülern werden würden, belegten die erste Reihe. Dicht an dicht gedrängt saßen sie da und schauten mit großen, ehrfurchtsvollen Augen zu Schwarzstern hinauf. Schattenjunges ging zwischen seinen fluffigen, langhaarigen Brüdern beinahe unter, während Flockenjunges die Schultern einzog, um nicht ganz so groß zu wirken, wie er war. Natürlich brachte das nichts. Er war ein Riese, auch mit sechs Monden schon.

Schließlich räusperte Schwarzstern sich. „Schattenjunges, du bist nun sechs Monde alt und es ist an der Zeit, um mit deiner Ausbildung zu beginnen. Von diesem Tag an, bis dieser Schüler sich seinen Kriegernamen verdient hat, wird er Schattenpfote heißen. Ich bitte den SternenClan, über diesen Schüler zu wachen, bis er in seinen Pfoten die Kraft und den Mut eines Kriegers findet. Milchkralle, du bist nun bereit, einen Schüler auszubilden. Du wurdest von Haselschweif hervorragend ausgebildet und du hast bewiesen, dass du stark und mutig bist. Du wirst die Mentorin von Schattenpfote sein und ich bin davon überzeugt, dass du dein Wissen an ihn weitergeben wirst.“

Milchkralle trat vor und berührte Schattenpfotes Nase mit ihrer eigenen. Beide strafften synchron die Schultern und drehten sich zum Clan um, der Schattenpfote mit Jubelrufen zum Schülerdasein gratulierte. Vor allem Schneeflügel gratulierte ihrem Sohn inbrünstig.

Schwarzstern ließ nicht viel Zeit verstreichen und nickte nun Frostjunges zu. „Frostjunges, du bist nun sechs Monde alt und es ist an der Zeit …“

Sturmherz‘ Gedanken drifteten weg. Er dachte an die große Verantwortung, die gleich als Mentor auf seinen Schultern lasten würde. Nicht nur, dass er einen Schüler auszubilden hatte – das alleine würde er sich zutrauen, ohne mit den Schnurrhaaren zu zucken. Er hatte sich bewusst für Flockenjunges entschieden und er wusste, dass Schneeflügel ihm dafür ewig dankbar sein würde. Aber würde er es wirklich schaffen, aus dem großen, ängstlichen und friedliebenden jungen Kater einen richtigen Krieger zu machen? Und wenn ja, wie lange würde diese Ausbildung dauern? Drei Monde? Sechs? Ein ganzes Jahr?

Er wurde aus seinen Selbstzweifeln gerissen, als der Clan Frostpfote gratulierte. Wie üblich schwieg sich der graue Kater mit dem flauschigen, langen Fell aus, ebenso wie sein Mentor Rindentänzer. Die beiden passten gut zueinander, daran bestand nun wirklich kein Zweifel mehr.

Sturmherz wartete, bis Schwarzstern seine Ansprache für Flockenjunges beendet hatte, dann erhob er sich und ging auf seinen Schüler zu.

Flockenjunges sah ihn mit riesengroßen Augen an, beinahe verstört von der ganzen Aufmerksamkeit, die der Clan ihm schenkte.

Sie berührten einander an der Nase, dann sprach Sturmherz ihm leise Mut zu und stimmte in die Jubelrufe mit ein, die allerdings – und das entging wohl niemandem – weniger enthusiastisch ausfielen als bei Schattenpfote und Frostpfote. Der FeuerClan freute sich über jeden Schüler, das stand außer Frage, aber Flockenpfote war eine Ausnahme. Er war der Außenseiter, bei dem die anderen sich immer fragen würden, woher er seine Größe und Gestalt hatte. Ob nicht doch ein Fünkchen ErdClan in ihm steckte. Und beim SternenClan, wenn die Lästermäuler nur wüssten, dass sie der Wahrheit viel näher waren, als sie ahnten.
 

***
 

Am nächsten Morgen wartete Sturmherz mitten im Lager auf seinen Schüler, der vor Aufregung die halbe Nacht nicht geschlafen hatte und dementsprechend gleich zu seiner ersten Lektion zu spät kam. Milchkralle und Fleckennase waren mit ihren Schülern bereits vor einer halben Stunde losgezogen, während Blaukralle und Rindentänzer es vorzogen, ihre Schüler alleine in der Abgeschiedenheit zu unterrichten. Sturmherz wusste noch nicht, ob er im Laufe des Tages zu seinen beiden Freunden stoßen würde, denn zuerst wollte er Flockenpfote die Reviergrenzen zeigen, was, wie er fand, eine äußerst wichtige Angelegenheit war.

Begleitet von Rosentaus gehässigem Blick und ihrer gerümpften Nase eilte Flockenpfote geduckt quer durch das Lager des FeuerClans zu seinem Mentor. „Ich bin zu spät.“

Sturmherz musterte seinen Schüler. Schließlich ließ er seinen Blick jedoch über den großen, weißen Kater hinweg gleiten bis zu Rosentau gleiten. „Gibt es ein Problem?“

Blaukralles Mutter starrte ihn mit ihren grasgrünen Augen eisig an. „Ich wünsche dir viel Glück bei der Ausbildung deines Schülers, Sturmherz. Du wirst es brauchen.“ Kurzerhand erhob sie sich und stolzierte mit aufgerichtetem Schwanz von ihnen fort in Richtung des Heilerbaus, um ihre Enkelkinder zu besuchen.

Sturmherz atmete tief durch, dann schaute er Flockenpfote milde an. „Unpünktlichkeit wird im Clan nicht geduldet. Sie beim nächsten Mal pünktlich.“ Damit war das Thema für ihn beendet und er ging voran.

Eine Weile streiften sie schweigend und ziellos durch das Gebiet des FeuerClans umher, bis Sturmherz endlich eine Richtung gefunden hatte, die er einschlagen wollte. Flockenpfote beschwerte sich kein einziges Mal über den langen Marsch, das zügige Tempo und den Erdboden, der steiniger und unwegsamer wurde, je weiter sie sich in östliche Richtung vom Lager entfernten. Es war die Richtung, aus der damals die Zweibeiner mit ihren Hunden gekommen waren, um den wilden Bären zu töten. Auch nach einem halben Jahr zog es Sturmherz wie magisch an die Grenze des Reviers zurück – so auch jetzt.

Als der Geruch des FeuerClans in konzentrierter Form an Baumstämmen und großen Steinen klebte, wusste er, dass sie die Grenze erreicht hatten. Noch ein paar Schritte mehr und sie wären wieder in der clanlosen Wildnis, in der die Zweibeiner ihn vor einer gefühlten Ewigkeit ausgesetzt hatten.

Sturmherz setzte sich hin, starrte hinaus in die Büsche und Bäume, suchte nach etwas, ohne zu wissen, welche Zeichen er erwartete.

Es musste eine ganze Weile vergangen sein, bis Flockenpfote sich räusperte und Sturmherz damit aus seinen wortlosen Gedanken riss. Sein Schüler schaute ihn aus großen, treuen, goldenen Augen an. „Was tun wir hier, Sturmherz?“ Reine Neugierde, keine Kritik.

Sturmherz seufzte. „Weißt du, wo wir uns hier befinden?“

„An der Grenze zur Wildnis“, sagte Flockenpfote unvermittelt und schaute ebenfalls angestrengt nach Osten. „Aber ich verstehe nicht, wieso wir hier sitzen. Warten wir auf etwas?“

„Ich weiß es nicht.“ Dann stand er kopfschüttelnd auf. „Es war der Tag deiner Geburt, als eine wilde Bestie in unser Lager einbrach. Ein Kampf auf Leben und Tod, der viele Opfer gefordert hat. Hier an dieser Stelle habe ich damals die Grenze zur Wildnis übertreten, um über das verwilderte Gebiet der Zweibeiner zu rennen. Nur sie konnten uns noch helfen, obwohl sie doch unsere Feinde sind.“

Nun hellte sich Flockenpfotes Miene auf, als würde er endlich verstehen, wo sie sich befanden. Neugierig schaute er sich um. „Hier, genau an dieser Stelle?“

„Ja.“

„Mutter hat uns oft davon erzählt, wenn wir danach gefragt haben. Wir haben einen Bruder gehabt, Lichtjunges, nicht wahr?“

„Ich habe ihn nie kennen gelernt. Keiner von uns hat das. Er ist viel zu früh zum SternenClan gegangen.“

„Das weiß ich.“ Flockenpfote richtete seinen durchdringenden Blick nun direkt auf seinen Mentor. „Ich bin sehr glücklich darüber, dass du mein Mentor bist, Sturmherz. Du bist ein mutiger Krieger und hast dein Leben riskiert, um Mutter, meine Brüder, mich und den ganzen FeuerClan zu retten. Du hast alles für uns getan, obwohl viele sagen, dass du nicht wirklich zum Clan gehörst. Aber das ist mir egal. Nicht das Blut macht einen zu einem wahren Krieger des Clans, sondern die Stärke des Herzens.“

Einen Augenblick lang wusste Sturmherz nicht, was er darauf erwidern sollte. Er war gerührt von der Treue, die sein junger Schüler ihm schenkte. „Weise Worte für jemanden, der noch so jung ist.“

„Danke, aber die Worte sind nicht von mir. Ich habe sie nur zitiert.“

Das ließ ihn hellhörig werden. Er wandte der Wildnis den Rücken zu. „Wer hat dir das denn erzählt? Schneeflügel?“

„Nein.“ Flockenpfote gähnte, knetete dann den Waldboden und schaute unsicher hin und her. „Einmal haben Schattenpfote, Frostpfote und ich uns aus dem Lager geschlichen. Es war Nacht. Ich habe den beiden gesagt, dass wir das nicht dürfen, aber sie haben nicht auf mich gehört und … na ja, ich wollte nicht alleine zurückbleiben. Auf einmal habe ich die beiden aus den Augen verloren und mich verirrt. Ich hatte solche Angst, aber dann war plötzlich Flohnacken da. Er hat gestunken und sah aus wie eine zerbissene Maus, hat auf einer Nacktschnecke herumgekaut … Ich habe ihn nach dem Weg gefragt. Ein wenig seltsam ist er schon gewesen, aber er hat mich zurück zum Lager geführt und mir gesagt, dass auch ich eines Tages ein großer Krieger sein werde. Dann war er so schnell weg, wie er aufgetaucht ist.“

Sprachlos starrte Sturmherz seinen Schüler an. „Ihr habt euch heimlich aus dem Lager geschlichen?“

Flockenpfote duckte sich in Erwartung einer nachträglichen Strafe.

Sturmherz schüttelte den ersten Gedanken ab. „Du hast Flohnacken getroffen? Mitten im Revier des FeuerClans?“ Wie war das möglich? Er warf einen Blick über seine Schulter nach hinten in Richtung Wildnis. Flohnacken war ein Einzelläufer, ein stinkender Streuner, der in der Wildnis lebte und jeden Moment an Alter oder Krankheit sterben konnte. Sein Geruch hätte doch jemandem auffallen müssen, wenn er über die Grenze in das Clan-Revier gekommen wäre.

Mit abgeknickten Ohren nickte Flockenpfote und als er seinen Kopf wieder hob, standen Reue und Traurigkeit in seinem Blick. „Das war falsch, Sturmherz, ich weiß das. Bitte sei nicht böse auf mich. Es tut mir leid und ich werde mich nie wieder den Befehlen von euch Kriegern widersetzen. Man schleicht nicht nachts herum. So etwas tut man nicht.“

„Lassen wir das Thema.“ Sturmherz musste tief durchatmen, um die Gedanken, die in ihm herumwirbelten, ordnen zu können. „Es ist alles gut gegangen. Aber wenn du Flohnacken noch einmal begegnen solltest, sagst du mir bitte umgehend Bescheid.“

„Natürlich, das mache ich.“

„Gut.“ Er setzte sich wieder in Bewegung, folgte der Reviergrenze nach Süden. „Dann kennst du jetzt den östlichsten Punkt unseres Reviers. Ich zeige dir nun den südlichsten Punkt an der Grenze zum ErdClan. Und die Grenze zum WasserClan … heben wir uns für ein andermal auf.“
 

***
 

„Wie ich hörte, hast du deinem Schüler die östliche Grenze gezeigt und die Stelle, die zum verlassenen Ort der Zweibeiner führt.“ Blaukralle fixierte Sturmherz mit seinen intensiv gefärbten Augen, die in seinem dunkelblauen Fell sehr deutlich zur Geltung kamen. „Wolltest du deinem Schüler zeigen, wo du herkommst?“

Sturmherz hatte Blaukralles fiese Kommentare ignorieren wollen, doch an diesem Punkt musste der blaue Krieger natürlich wieder aufgreifen, dass Sturmherz bei den Zweibeinern, weit jenseits des ehemaligen Bergbaugebiets, geboren worden war. Er schluckte das Eichhörnchenfleisch in seinem Maul komplett herunter und erwiderte den herausfordernden Blick. „Ich habe ihm lediglich die Stelle gezeigt, die unserem Clan das Leben gerettet hat. Du wirst sie sicherlich noch gut in Erinnerung haben, schließlich ist es die Stelle, an der du mich damals in die Wildnis geschickt hast, um mich loszuwerden.“

Blaukralles Schnurrhaare begannen zu beben und er richtete sich zu voller Größe auf. Gerade öffnete er seinen Mund, um etwas zu sagen, als sich seine Mutter Rosentau elegant neben ihren Sohn setzte.

Mit ihren grünen Augen starrte sie Sturmherz in Grund und Boden. „Du wirst doch nicht schon wieder mit diesen haltlosen Anschuldigungen gegen Blaukralle fortfahren wollen, nicht wahr? Falls ich mich irre, kannst du mich gerne eines Besseren belehren, aber soweit ich mich erinnere, hat Schwarzstern damals bereits zu Gunsten meines Sohnes entschieden.“ Um ihren Standpunkt zu unterstreichen, leckte sie sich einmal über die rechte Vorderpfote. „Pass besser auf, was du sagst, mein lieber Sturmherz. Mit solchen Worten säst du Zwietracht im Clan und das wollen wir doch nicht, nicht wahr?“

Flockenpfote und die anderen Schüler, die gemeinsam vor dem Bau der Schüler saßen und ebenfalls ihr abendliches Mahl genossen, bekamen allmählich mit, dass ich ein Streit anbahnte. Sie hörten auf zu fressen und schauten neugierig und mit großen Augen zu Sturmherz und Blaukralle herüber.

Sturmherz bemerkte natürlich, dass er anfing, die Aufmerksamkeit des Clans auf sich zu sehen, weshalb er frustriert schnaubte. „Mit dem Säen von Zwietracht kennst du dich ja bestens aus, Rosentau.“ Die Worte waren leise gesprochen, aber so scharf wie die Zähne eines Raubtieres. Zufrieden schaute er zu, wie Blaukralles Mutter ihre hübschen Augen zu schmalen Schlitzen verengte. Glücklicherweise konnte er sich bisher stets darauf verlassen, dass Rosentau in der Öffentlichkeit ihre Maske nicht ablegte und den Schein der besorgten, treuen FeuerClan-Katze wahrte.

Auch Milchkralle und Fleckennase hatten mitbekommen, dass er mal wieder in ein Wortgefecht mit Blaukralle geraten war. Gemeinsam setzten sie eine möglichst fröhliche Miene auf und lockerten die Situation damit auf. „Kommst du mal kurz mit? Wir hatten die Idee, morgen gemeinsam mit unseren Schülern eine Trainingsstunde im Kämpfen zu veranstalten. Du hast bestimmt auch noch einige Ideen dafür.“

Am liebsten hätte er Blaukralle und Rosentau einfach seine Meinung gesagt, doch er wusste, dass er sich nicht zu viel herausnehmen durfte. Blaukralle war der allgemeine Liebling des Clans, Rosentau war über die Clangrenzen hinaus als Schönheit bekannt und noch dazu war sie die ehemalige Gefährtin von Schwarzsterns verstorbenem Sohn Fuchsauge. Gegen einen von ihnen kam er vielleicht an, aber nicht gegen die geballte Prominenz.

„Natürlich, ich komme.“ Er schnappte sich den Rest seines Eichhörnchens und ging damit herüber zu Milchkralle und Fleckennase, die an der steilen Felsmauer auf ihn warteten.

Kaum war er bei ihnen angekommen, verfinsterte sich Milchkralles Gesicht schlagartig. „Was sollte das nun wieder?“, fauchte sie ungehalten und rümpfte demonstrativ die Nase. „Wieso musst du dich immer wieder darauf einlassen?“

„Weil Blaukralle und Rosentau mich absichtlich provozieren. Sie haben mich nie als Teil des FeuerClans akzeptiert und nun fangen sie an, auch auf Flockenpfote herumzuhacken.“

Milchkralle kam ihm blitzschnell so nahe, dass sich ihre Nasenspitzen beinahe berührten. „Lass. Es. Gut. Sein.“ Sofort zog sie sich wieder auf Abstand zurück und schüttelte ihr blaugraues Fell. „Du kannst nicht beweisen, dass deine Version der Geschehnisse von damals stimmt und im Grunde genommen macht es auch gar keinen Unterschied mehr, weil das schon über ein halbes Jahr her ist. Rosentau hat Recht, wenn sie sagt, dass du den Clan mit deinem Hass gegenüber Blaukralle spaltest.“

„Also soll ich einfach so tun, als wäre nichts gewesen, und mich seinem Fanclub anschließen? Ausgerechnet jetzt, wo er sich Flockenpfote als nächstes Opfer aussucht?“, erwiderte er schnippisch.

Fleckennase, der zwischen den beiden saß, schaute ganz unglücklich drein. „Hört doch auf über dieses Thema zu diskutieren. Du magst Blaukralle nicht, er mag dich nicht, das war’s. Belass es einfach dabei, okay?“

Sturmherz sah seinen besten Freund zweifelnd an.

Fleckennase seufzte. „Na ja, weißt du, Blaukralle ist total beliebt und eigentlich ganz in Ordnung. Er ist ein guter Krieger und ich will nicht … nun … du weißt schon. Jetzt, wo wir alle Schüler haben, ist es doch sowieso wie ein Wettkampf.“

In diesem Augenblick verstand Sturmherz, was Fleckennase damit sagen wollte. Er fühlte sich verraten und gekränkt und legte seinen buschigen Schwanz dicht um seine Pfoten. „Du willst nicht, dass er dich als Rivalen sieht, weil du glaubst, ohnehin keine Chance gegen ihn und Nebelpfote zu haben?“

Nun schaltete sich auch Milchkralle wieder ein und ihr skeptischer Blick richtete sich dieses Mal auf Fleckennase. „Du spinnst doch. Blaukralle will, dass Nebelpfote in kürzester Zeit zu einem perfekten Krieger ausgebildet wird, weil er selbst ebenfalls nur zwei Monde lang in Ausbildung war, genau wie sein Vater, der legendäre Fuchsauge. Die durchschnittliche Ausbildungsdauer beträgt vier Monde.“ Sie pausierte kurz und ihre Ohren zuckten in Erwartung dummer Kommentare, weil sie selbst viel länger gebraucht hatte. Doch als ihre Freunde schwiegen, fuhr sie fort: „Ich bezweifle nicht, dass Blaukralle ein sehr strenger Lehrer ist, aber er und Nebelpfote passen sehr gut zueinander. Sie ergänzen sich, weil Nebelpfote bereit ist, sein gesamtes Leben dem Studium des Kriegerdaseins zu widmen. Er hat kein Interesse mehr an den anderen Schülern, weil er das Gefühl hat, sich nur so beweisen zu können. Damit kann Dachspfote nicht mithalten – und bevor du protestieren willst, auch Schattenpfote, Flockenpfote und Frostpfote nicht. Keiner von ihnen. Also vergleich dich und Dachspfote nicht mit den beiden, das würde dir und deinem Selbstbewusstsein gut tun.“

Das hatte gesessen.

Fleckennase starrte sie wütend an, mürrisch, geknickt. Dann ließ er seine Ohren hängen und kaute lustlos auf seiner Maus herum. Er sagte kein einziges Wort mehr.

„Musstest du so streng zu ihm sein?“, raunte Sturmherz Milchkralle vorwurfsvoll zu.

Die Kriegerin schaute verständnislos drein. „Wieso? Was meinst du? Ich habe doch nur die Wahrheit gesagt.“

Sturmherz konnte nicht anders als mit dem Kopf zu schütteln.

Gemeinsam saßen sie schweigend Seite an Seite und beendeten in Ruhe ihr Abendessen. Die Sonne verschwand allmählich hinter den Baumkronen und legte damit das Lager des FeuerClans wie jeden Abend in einen verfrühten Schatten. Während die Katzen zunächst noch alle in mehr oder weniger großem Abstand um den Frischbeutehaufen herum gesessen hatten, verteilten sich nun Kleingruppen auf das gesamte Lager.

Zimtfeder kehrte in den Bau der Königinnen zurück, wo ihre Jungen Bienenjunges und Fuchsjunges bereits hungrig auf sie warteten. Honigblüte und Fliederpfote folgten ihr. Falkenherz und Schneeflügel saßen zusammen am Eingang vom Bau der Ältesten, putzten sich und erzählten sich Geschichten über ihre wilden Kriegerzeiten.

Die restlichen Krieger teilten sich in Kleingruppen auf, ließen den Tag revuepassieren und rätselten dann und wann, wen Schwarzstern als Mentoren für Blaukralles Jungen aussuchen würde, auch wenn die beiden noch einige Monde Zeit hatten, bis sie zu Schülern ernannt würden. Sturmherz vermutete, dass Blaukralle alles daran setzen würde, selbst einen der beiden auszubilden – ein Grund mehr, weshalb er Nebelpfote kaum eine Pause gönnte und den ganzen Tag über ein straffes Programm mit ihm durchzog. Doch die Mühe lohnte sich, wie Sturmherz mit einem Blick zu den Schülern feststellen konnte. Bereits nach so kurzer Zeit besaß Nebelpfote einen definierten, muskulösen Körper, sodass von seiner rundlichen, niedlichen Kittengestalt nicht mehr viel übrig war.

Alle waren da, bis auf Apfelpelz, natürlich. Die Abwesenheit des dunkelroten Kriegers nahm kaum noch jemand zur Kenntnis, weil es zur Gewohnheit geworden war. Fleckennases ehemaliger Mentor hatte nie sonderlich viel Elan gezeigt und stillschweigend schienen alle hinzunehmen, dass Apfelpelz seine Pflichten schleifen ließ und sich so oft wie möglich um seine Dienste drückte.

Umso mehr Aufmerksamkeit zog Apfelpelz auf sich, als er mit hektischen Blicken durch die Büsche, die den Eingang des Lagers flankierten, ins Lager stürmte. „Schwarzstern, ich muss mit dir reden!“, rief er ohne Vorwarnung und kam neben dem Frischbeutehaufen zum Stehen.

Die Gespräche, die bis dahin munter aus allen Ecken des Lagers ertönt waren, verstummten schlagartig und eine unangenehme Stille machte sich breit. Ohren wurden gespitzt, Blicke getauscht.

Schwarzstern, der sich bis gerade in einem Gespräch mit dem Zweiten Anführer Haselschweif vertieft hatte, schaute auf. „Nicht jetzt, Apfelpelz.“ Kurzerhand wandte er sich wieder Haselschweif zu, setzte erneut zum Reden an, als er unterbrochen wurde.

„Bitte, es ist wichtig. Ich muss mit dir reden. Jetzt.“

Einige sogen scharf die Luft ein.

Was war nur los mit Apfelpelz?

„Wie redest du mit deinem Anführer!“, wies Haselschweif ihn sogleich zurück. Vor Zorn plusterte sich sein ohnehin buschiger, rostroter Schweif zur doppelten Größe auf.

Schwarzstern bedachte Apfelpelz mit einem kühlen und dennoch genervten Blick. „Später.“

Apfelpelz‘ Brust begann zu beben. Unsicher schaute er umher, suchte nach Honigblüte, die, angelockt von der plötzlichen Stille, vor ihrem Heilerbau saß und ihren Bruder durchdringend musterte. Dann sah er wieder Schwarzstern an, der ihm erneut den Rücken zugekehrt hatte. Er schien all seinen Mut zusammen zu nehmen. „Nein, du hörst mir jetzt zu, Schwarzstern!“

Sturmherz glaubte, dass sein Herz vor Schreck einen Aussetzer machte.

„Ich bitte dich nicht als ein Krieger des FeuerClans, sondern als der Sohn deines Sohnes, also bitte, höre mich jetzt an!“

Langsam drehte Schwarzstern sich um. Seine Präsenz schien schlagartig das halbe Lager auszufüllen. Seine gelben Augen richteten sich auf Apfelpelz, der die Frechheit besaß, so mit ihm zu reden. Einen Augenblick lang schien niemand zu wissen, wie der Anführer reagierte. „Wenn du etwas zu sagen hast, was so dringlich ist, dann sag es vor deinem gesamten Clan. Sprich.“

Apfelpelz atmete tief durch. Sein Schwanz zuckte unruhig hin und her. „Ich bitte dich, Wolkentänzer aus dem WasserClan und ihre beiden Jungen unter den Schutz des FeuerClans zu stellen.“

Kaum hatte er den Satz vollendet, platzte der Knoten und ein aufgebrachtes Raunen ging durch den Clan. Rosentau war nahezu blass, als sie ihren Sohn fassungslos anstarrte. „Apfelpelz, das kann nicht dein ernst sein!“

Andere Stimmen wurden laut und mischten sich darunter.

Auch Schwarzstern und Haselschweif konnten ihre Überraschung nicht verbergen. „Und wieso sollte ich das tun?“

Haselschweif nickte zustimmen und fügte hinzu: „Wir befinden uns aktuell in einer sehr angespannten Lage mit dem WasserClan. Es steht uns nicht zu, uns in ihre Angelegenheiten einzumischen.“

„Aber sie haben Wolkentänzer und ihre Jungen verbannt, sie produziert nicht genug Milch und wenn wir ihnen nicht helfen, werden sie in der Wildnis sterben!“ Verzweiflung spiegelte sich in Apfelpelz‘ Blick wider.

Nun mischte sich Rosentau wieder ein und ergriff das Wort. „Wie kannst du auch nur daran denken, sie in unseren Clan zu bringen! Ich bin schwer enttäuscht von dir, mein Sohn. Was würde dein Vater, der große Fuchsauge, nur dazu sagen!“

Aufgebracht funkelte er seine Mutter an. „Es ist doch nichts Neues, dass du schwer enttäuscht von mir bist! Deine Meinung interessiert mich nicht, Mutter!“ Er spuckte ihr die Worte nahezu ins Gesicht. „Und ich habe Vater kaum gekannt, aber ich weiß, dass er das Gesetz der Krieger geehrt hat und darin heißt es, dass man ein Junges in Not niemals im Stich lassen darf, selbst wenn es einem fremden Clan angehört.“ Die letzten Worte hatte er wieder an Schwarzstern gerichtet.

Der Anführer musterte seinen Enkelsohn eindringlich. „Es ist nicht das erste Mal, dass der WasserClan jemanden verstößt. Ich entnehme diesem Vorfall, dass Wolkentänzers Junge entweder krank oder HalbClan-Junge sind. Silberstern wird nach den Werten des WasserClans entschieden haben. Wenn wir uns jetzt einmischen, ziehen wir den Zorn des WasserClans noch stärker auf uns. Der Blattfall ist da, in ein paar Monden werden wir Blattleere haben. Unsere Priorität liegt bei uns selbst, bei unseren Schülern und den beiden Jungen, die Zimtfeder versorgen muss. Es spricht nichts dafür, dass wir uns ausgerechnet jetzt um dieses Anliegen kümmern sollten. Für Wolkentänzer mag es bedauerlich sein, aber sie hat ihr Schicksal selbst zu verantworten.“

Als Apfelpelz wieder sprach, zitterte seine Stimme und war kurz davor zu brechen. „Sie ja, aber ihre Jungen doch nicht! Bitte Schwarzstern, wir müssen ihr helfen!“

„Meine Entscheidung steht fest.“

„Das kannst du nicht tun! Ich habe sie bereits hier her gebracht, sie wird jeden Moment mit ihren Jungen in unserem Lager eintreffen!“

Das löste eine erneute Welle des Protestes aus. Rosentau bezeichnete ihn als Verräter und auch Blaukralle erhob nun das Wort gegen seinen Halbbruder. Selbst Eisbart stimmte in das feindselige Brummen mit ein. Herbstwolke schüttelte immer wieder ungläubig ihren Kopf und rückte näher an ihren Sohn Fleckennase heran, ganz so, als wollte sie sich davon versichern lassen, dass er so etwas niemals tun würde.

„Du hast was getan?“ Nun hob auch Schwarzstern seine grollende Stimme. „Das steht nicht in deiner Macht! Nenn mir einen guten Grund, wieso ich sie nicht auf der Stelle weiter in die Wildnis schicken sollte!“

Apfelpelz kniff die Augen zusammen, öffnete sie wieder, sein buschiger Schwanz sank resigniert und kraftlos auf den Boden. „Weil es … meine Jungen sind. Und wenn du sie verbannst, wirst du auch mich verbannen müssen.“

Schlagartig war jedes Geräusch verstummt und die Luft schien stillzustehen.

Niemand sagte etwas oder rührte sich auch nur. Sturmherz fühlte, wie sehr sein Herz in seiner Brust pochte. Apfelpelz hatte die Loyalität zu seinem Clan verletzt, indem er sich mit Wolkentänzer aus dem WasserClan eingelassen und Jungen mit ihr gezeugt hatte, die nun auf direktem Weg zum Lager des FeuerClans waren.

Schwarzsterns schwarzes Fell schien auf einmal kraftlos und stumpf zu werden. Bitterkeit spiegelte sich in seinen Augen wider und sein Schwanz peitschte unruhig durch die Luft. „Apfelpelz, das … ist das die Wahrheit?“

Der dunkelrote Kater nickte ergeben.

Seine Mutter Rosentau war die erste Katze, die ihre Sprache wiederfand. Sie machte einen Schritt nach vorne, die grünen Augen weit aufgerissen, das Fell im Nacken leicht gesträubt. „Mein Sohn … Wie kannst du mir so etwas antun?“ Sie pausierte kurz, fuhr dann mit lauter, schriller Stimme fort: „Wie kannst du deinem Clan so etwas antun!“

Er würdigte sie keines Blickes, war ihr keine Rechenschaft schuldig, sondern nur Schwarzstern.

Schwarzsterns Brust bebte. „Ich werde eine Entscheidung treffen müssen.“ Weiter kam er nicht, denn lautes Rascheln vom Eingangsbereich des Lagers kündigte die Ankunft einer weiteren Katze an.

Wolkentänzer kämpfte sich mit ihrem langen, weißen Fell, das nur an wenigen Stellen von gräulichen Flecken unterbrochen wurde, durch die Hecke. Sie blieb kaum eine Fuchslänge hinter dem Eingang stehen und wirkte unendlich verloren. Ihre Augen, von denen eins strahlend blau und eins bernsteinfarben war, huschten nervös umher, bis sie an Apfelpelz und Schwarzstern hingen blieben. Sie setzte die beiden Jungen, die sie gemeinsam im Maul getragen hatte, vor sich auf dem Boden ab. Sie waren noch so winzig, hatten die Augen geschlossen, fiepten leise und kuschelten sich sogleich an ihre Mutter. Grau und Rot vor weißem Fell. Man musste kein Genie sein, um in Frage zu stellen, ob sie vollständig dem WasserClan entstammten.

Schwarzstern starrte Wolkentänzer mit einer Mischung aus Resignation und Abscheu an. „Wolkentänzer.“ Dennoch nickte er ihr höflich zu.

„Schwarzstern.“ Sie grüßte ihn mit fester und dennoch sanfter Stimme, neigte ihr Haupt und wartete, bis Apfelpelz an ihre Seite kam.

Der rote Kater leckte ihr einmal tröstlich über den Kopf, dann setzten sie sich gemeinsam hinter ihre Jungen und warteten ab.

„Apfelpelz hat mir bereits berichtet, was sich zwischen euch zugetragen hat.“ Schwarzsterns Blick fiel auf die beiden eingerollten Jungen zu ihren Füßen. „Der WasserClan hat dich und deine Jungen verbannt.“

Wolkentänzer nickte. „Das ist richtig.“ Sie wollte offensichtlich selbstbewusst wirken, doch wenn man ganz genau hinschaute, dann konnte man erkennen, dass ihr Körper zitterte. Immer wieder huschte ihr Blick umher und nur die Anwesenheit von Apfelpelz schien ihr Halt zu geben. „Apfelpelz sagte, dass der FeuerClan uns vielleicht … helfen könnte.“

„Anmaßend!“, zischte Rosentau. Sie war noch einen Schritt näher getreten und andere folgten ihrem Beispiel. Wie von selbst kesselte der gesamte Clan die beiden Verräter ein. Ankläger, die darauf warteten, dass ihr Richter das Urteil fällte – und es würde gefällt werden müssen, daran bestand kein Zweifel. Dennoch hielten sie einen Sicherheitsabstand ein.

Sturmherz betrachtete die beiden Jungen, die vor Erschöpfung eingeschlafen sein mussten, denn sie gaben keine Geräusche mehr von sich. Rot und Grau. Zwei Junge, so winzig klein und jung. Wenn Schwarzstern sie verstoßen würde, würden sie höchstwahrscheinlich in der Wildnis sterben.

Als Schwarzstern nichts mehr sagte, sprang Haselschweif für ihn ein. „Ihr kennt das Gesetz der Krieger. Loyalität zum eigenen Clan steht an oberster Stelle. Und ihr kennt auch die Bestrafung, die denjenigen droht, die sich mit Katzen aus fremden Clans einlassen. Was habt ihr zu eurer Verteidigung zu sagen?“

„Ich bin mir durchaus bewusst, dass der FeuerClan mir kein neues Zuhause geben wird“, begann Wolkentänzer mit zitternder Stimme. „Deswegen bin ich auch nicht hier. Ich bin hier, weil es meinem … weil es dem WasserClan egal ist, ob in diesen Jungen zur Hälfte das Blut des WasserClans fließt. Silberstern hat ihr Urteil gesprochen und uns drei verbannt, wie es seit jeher im WasserClan gehandhabt wird. Ihr anderen Clans jedoch … Ihr gebt HalbClan-Katzen eine Chance. Ich bin nicht hier, weil ich darum bitten möchte, dass ihr mich in eure Reihen aufnehmt. Ich bin hier, weil ich möchte, dass meine beiden Jungen leben können. Sie sind kaum zwei Tage alt, aber ich produziere kaum noch Milch. Wenn sie mit mir in die Wildnis kommen, werden sie verhungern. Der FeuerClan, der Clan ihres Vaters, ist ihre einzige Überlebenschance.“

„Du, eine Ausgestoßene, kommst hier in das Lager meines Clans und verlangst von mir, HalbClan-Junge aufzunehmen, die dem WasserClan nie wieder unter die Augen treten dürfen?“ Schwarzstern musterte Wolkentänzer, dann auch Apfelpelz. „Und du unterstützt sie dabei?“

„Schwarzstern, wir bitten dich gemeinsam, diese Jungen zu verschonen. Lass nicht zu, dass sie auch vom FeuerClan verstoßen werden. Es sind hilflose, unschuldige Jungen. Sie können nichts dafür, dass wir ihre Eltern sind und aus verschiedenen Clans stammen.“

„Und wieso sollte ich mich deshalb mit dem WasserClan anlegen, Apfelpelz? Wieso sollte ich euretwegen riskieren, dass Silberstern uns noch weiter bedroht? Sie hat bereits entschieden, dass diese Jungen verbannt werden. Es steht mir nicht zu, die Verbannung, die ein anderer Anführer ausgesprochen hat, aufzuheben.“

Apfelpelz reckte keck das Kinn hervor. „Weil ich dein Enkel bin. Sohn von Fuchsauge. Meine Jungen teilen sich zu einem Teil auch dein Blut, Schwarzstern. Ich habe daran geglaubt, dass du sie hier im FeuerClan aufnehmen wirst, weil sie Teil der Familie, Teil des Clans sind – und weil auch du einst eine HalbClan-Katze warst, der man hier im FeuerClan eine Chance gegeben hat.“

Schwarzstern knurrte leise.

Apfelpelz nutzt den Moment, um fortzufahren. „Wie du sehen kannst, sind unsere Jungen grau und rot. Graue Katzen kommen im WasserClan vor, aber keine rote Katzen. Das hat Silberstern und die anderen sofort misstrauisch gemacht. Dornstachel wäre als einziger als Vater in Betracht gekommen, doch er stritt die Vaterschaft vehement ab. Wolkentänzer blieb nichts anderes übrig, als Silberstern die Wahrheit zu sagen. Diese Jungen, unsere Jungen, sind, soweit wir das beurteilen können, kerngesund. Sie haben das kranke Blut des WasserClans nicht geerbt. Sie werden keine Belastung für den FeuerClan sein. Du kannst Wolkentänzer und mich verbannen, aber bitte nimm unsere Jungen auf.“ Als Schwarzstern noch immer nicht reagierte, fügte Apfelpelz etwas zögerlicher hinzu: „Heißt es im Gesetz der Krieger nicht, dass kein Junges hilflos zurückgelassen werden darf, auch wenn es nicht dem eigenen Clan angehört?“

Langsam machte Schwarzstern einen Schritt auf die beiden zu. Von oben herab betrachtete er die Jungen zu ihren Füßen. Sein Blick ruhte eine ganze Weile auf ihnen, dann kniff er für einen Moment mit schmerzhaftem Gesichtsausdruck die Augen zusammen. Sobald er sie wieder öffnete, war seine Miene kühl und unergründlich. „Der Rote, dein Sohn, wie heißt er?“

Apfelpelz und Wolkentänzer tauschten einen schnellen, hoffnungsvollen Blick. „Sonnenjunges.“

Schwarzstern seufzte. „Und deine Tochter, die Graue?“

„Mondjunges.“

„Also gut“, begann Schwarzstern mit lauter, fester Stimme. „Ihr dürft bleiben, bis ich diese Angelegenheit bei der nächsten Großen Versammlung mit Silberstern erörtert habe. Außerdem wird auch Honigblüte den SternenClan um Rat fragen müssen. Jedoch verfüge ich, dass Wolkentänzer für ihre Frischbeute selbst verantwortlich ist und das Lager des FeuerClans nur in Begleitung eines anderen Kriegers zum Jagen verlassen darf. Auch Apfelpelz wird, bis diese Angelegenheit geklärt ist, im Lager unter Arrest stehen. Ich weiß, dass du nicht genügend Milch produzierst, Wolkentänzer, doch es liegt nicht in meiner Macht, einer anderen Königin zu befehlen, sich um deine Jungen zu kümmern.“

Rosentau schnaubte. „Die Gefährtin meines Sohnes Blaukralle wird sich in dieser Sache ganz sicher –“

Wie aus dem Nichts hatte sich Zimtfeder lautlos angeschlichen. „Um diese hilflosen Jungen kümmern“, beendete sie Rosentaus Satz und ließ Blaukralles Mutter dadurch mit bitterbösen Blicken zurück. Selbst Blaukralle schien überrascht zu sein.

Auch Sturmherz hatte Zimtfeder bislang immer nur als die ruhige, fügsame Gefährtin an Blaukralles Seite und die Mutter seiner Kinder kennen gelernt. Dass sie sich nun öffentlich für Apfelpelz‘ HalbClan-Jungen einsetzte, beeindruckte ihn.

„Kein Junge sollte leiden müssen“, begründete Zimtfeder kurz, dann nickte sie Wolkentänzer freundlich zu. „Komm mit mir in den Bau der Königinnen.“

Honigblüte, die alles vom Eingang ihres Baus aus beobachtet hatte, gab Fliederpfote ein Kopfnicken. „Hilf ihr beim Tragen.“ Für einen kurzen Augenblick lang sah es so aus, als würde Honigblüte zufrieden mit dieser Entwicklung sein.

Der Clan löste sich dadurch automatisch mit auf. Sofort bildeten sich raunende Grüppchen, die leise, aber sehr eifrig diskutierten, was gerade geschehen war.

Sturmherz blieb einfach sitzen, wo er war, und als Schwarzstern und Haselschweif an ihm vorbei gingen, konnte er genau hören, wie der Anführer zu seinem Stellvertreter sagte: „Sonnenjunges und Mondjunges … Sie sehen genauso aus wie Fuchsauge und Grauwolke. Ob mir der SternenClan eine zweite Chance geben will?“
 

***
 

Am nächsten Tag verlief nichts so, wie es sein sollte. Jeder wollte die eingeteilten Aufgaben so schnell wie möglich erledigen und viel Zeit im Lager verbringen, um bloß nicht zu verpassen, falls Schwarzstern neue Entscheidungen fällen sollte. Wolkentänzer verließ den Bau der Königinnen so gut wie gar nicht, während Apfelpelz sie mit Frischbeute versorgte und auch Zimtfeder großzügig etwas mitbrachte, was Blaukralle wiederum nicht in den Kram passte.

Sturmherz konnte die Anspannung im Clan schließlich nicht länger ertragen und schnappte sich seinen Schüler. Gemeinsam streiften sie eine große Runde durch das Revier des FeuerClans, übten ein paar Angriffs- und Verteidigungspositionen und spazierten dann weiter. Es war nur noch etwa eine Woche bis zur nächsten Großen Versammlung und Sturmherz zweifelte keinen Herzschlag lang daran, dass Silberstern außerordentlich wütend werden würde, wenn sie erfuhr, dass Schwarzstern die verstoßene Wolkentänzer vorübergehend bei sich aufgenommen hatte.

„Wieso können Sonnenjunges und Mondjunges nicht einfach im Clan bleiben und alles ist gut?“, fragte Flockenpfote nach einer Weile des Schweigens. „Wieso müssen sich immer alle streiten?“

„Politik“, antwortete Sturmherz seufzend. „Der WasserClan legt das Gesetz der Krieger sehr streng aus und wenn Schwarzstern Silbersterns Entscheidung in Frage stellt, stellt er automatisch ihren Führungsstil in Frage, was ihr überhaupt nicht gefallen wird.“

„Ich mag Silberstern nicht. Sie klingt gemein.“

„Oh, das ist sie auch“, sagte Sturmherz lachend. „Sie mag keine HalbClan-Katzen, keine Einzelläufer und keine Hauskätzchen.“

„Also mag sie dich auch nicht?“

„Nein.“

„Und Schwarzstern auch nicht?“

„Das stimmt.“

Flockenpfote dachte eine Weile darüber nach. „Dabei ist Schwarzstern ein guter Anführer, nicht wahr?“

„Ja, das ist er. Er ist weise und gerecht und gibt jedem eine Chance, der wirklich eine Chance verdient hat. Deshalb dürfen Wolkentänzer und ihre Jungen ja auch wenigstens eine Woche bei uns bleiben.“

„Und wenn er sie dann trotzdem verbannt, sterben sie.“

„Aber sie haben vielleicht eine etwas höhere Überlebenschance. Jede Woche, die Schwarzstern für die Jungen herausschlagen kann, bedeutet, dass sie älter und kräftiger werden.“

„Oh!“ Flockenpfotes Gesicht hellte sich auf. „Dann ist das wirklich nett von ihm. Ich hoffe, die beiden dürfen bei uns bleiben. Ich mag sie. Sie haben doch sonst niemanden.“

„Ja, das ist wahr. Dabei macht Silberstern einen großen Fehler.“

„Wie meinst du das?“ Sein Schüler schaute ihn von der Seite her mit leicht schief gelegtem Kopf an. „Weil sie Junge verbannt, die gesund sind?“

Etwas zögerlich nickte Sturmherz. „Kann man so sagen.“ Dann blieb er stehen. „Weißt du … Ich glaube, der WasserClan steckt in Schwierigkeiten.“

Flockenpfote setzte sich ihm gegenüber auf den Waldboden und legte den buschigen, schneeweißen Schwanz über seine Pfoten. Aufmerksam hörte er seinem Mentor zu.

„Schon vor meiner Zeit sind die meisten Jungen, die im WasserClan geboren wurden, krank und schwach gewesen. Viele sind kurz nach der Geburt gestorben oder schon tot zur Welt gekommen, andere konnten nicht hören oder nicht sehen, weshalb sie für den WasserClan wertlos sind. Außerdem gibt es wohl einige Krieger, die nie Nachwuchs bekommen haben, obwohl sie es wollten.“

„Meine Mutter hat mir auch davon erzählt“, stimmte Flockenpfote eifrig zu. „Sie sagt, das Blut im WasserClan verdirbt mit jeder Generation ein bisschen mehr, weil der SternenClan wütend über ihr Handeln ist. Sie sagt, dass du sie darauf aufmerksam gemacht hast, weil du von Außerhalb gekommen bist und es deshalb als einziger erkannt hast.“

„Das mag sein. Jedenfalls ist der WasserClan, soweit ich das beurteilen kann, der einzige Clan, in dem es keine HalbClan-Katzen gibt. Die drei anderen Clans sind gesund und stark, weil ihr Blut im Laufe der Zeit durchmischt worden ist. Der WasserClan wollte jedoch nie HalbClan-Junge bei sich haben. Bis Eisschatten und Schneewolke geboren wurden, hat es eine ganze Weile gar keine Schüler mehr im WasserClan gegeben.“

Wieder nickte Flockenpfote. „Und gibt es jetzt Junge im WasserClan?“

Sturmherz runzelte die Stirn. „Soweit ich weiß, gibt es ein Junges, das aber noch nicht zum Schüler ernannt worden ist. Genau weiß ich das aber nicht. Wieso fragst du?“

„Wenn der WasserClan keine Junge mehr haben kann, weil ihr Blut verdorben ist, dann ist Silberstern wirklich dumm, wenn sie Sonnenjunges und Mondjunges nicht behalten möchte. Die beiden könnten dem WasserClan neues Blut geben oder?“

„Ja, das könnten sie.“ Sturmherz nickte. „Das war auch mein Gedanke. Aber ich glaube nicht, dass Silberstern ihre Entscheidung rückgängig machen wird.“

„Silberstern ist gemein“, sagte Flockenpfote erneut und schaute dabei ganz ernst drein.

„Und das, obwohl sie selbst gar kein reines WasserClan-Blut hat“, brummte Sturmherz. „Ihre Großmutter, die legendäre Mondstern, ist eine Einzelläuferin gewesen. Die einzige Einzelläuferin, die es jemals in den WasserClan geschafft hat. Mondstern verdammt Junge, weil sie HalbClan-Junge sind, dabei ist sie selbst zu einem Viertel nicht dem WasserClan angehörig.“

„Aber … Das widerspricht sich doch!“ Flockenpfote erhob sich wieder.

„Sag das nicht mir, sondern Silberstern“, stimmte Sturmherz ihm zu und setzte sich ebenfalls wieder in Bewegung. „Aber ich möchte, dass du dieses Thema den anderen gegenüber nicht erwähnst. Ich weiß nicht wieso, aber die anderen wollen davon nichts hören. Du würdest sie nur verärgern. Überlass Schwarzstern die Entscheidung. Er konzentriert sich auf das Führen des FeuerClans und wir konzentrieren uns jetzt auf deine Ausbildung.“ Er grinste seinen Schüler schelmisch an. „Wer zuerst zurück im Lager ist, hat gewonnen!“
 

***
 

„Du musst dir mehr Mühe geben!“, schnarrte Honigblüte ungewohnt scharf, sodass ihre Schülerin Fliederpfote zusammenzuckte.

„Verzeih mir, Honigblüte.“

„Der Blattfall schreitet voran und bis zur Blattleere musst du sämtliche Pflanzen in unserem Revier erkennen und zuordnen können!“

Fliederpfote sank noch ein Stückchen weiter in sich zusammen und heftete den Blick auf drei getrocknete, rote Beeren, die vor ihr auf dem Boden lagen. „Ich gebe mir Mühe.“

„Aber nicht genug Mühe!“, polterte Honigblüte ungehalten weiter. Sie fegte die drei Beeren mit einem einzigen Pfotenschlag quer durch den Gang, der zum Heilerbau führte. „Du musst jede dieser Beeren im Schlaf erkennen können. An der Form. Der Farbe. Dem Geruch. Zwei davon heilen unseren Clan, eine macht ihn krank.“

Sturmherz, der die Unterhaltung versehentlich mitbekam, fühlte sich fehl am Platz. Haselschweif hatte ihn gebeten, Zimtfeder und Traumtänzer mit Frischbeute zu versorgen, doch stattdessen blockierten Honigblüte und ihre Schülerin den Eingang. Für ihn hatten alle drei Beeren absolut gleich ausgesehen – und für Fliederpfote offenbar auch. Noch nie hatte er Honigblüte so ungehalten erlebt. Er räusperte sich, woraufhin Fliederpfotes Ohren sich in seine Richtung drehten, doch Honigblüte, die mit dem Rücken zu ihm stand, bemerkte ihn gar nicht.

„Seit wie vielen Monden bist du nun meine Schülerin?“

„S-seit fast zwei Monden.“

„Und wie lange bilde ich dich schon davor aus?“

„Seit …“

Honigblüte ließ sie gar nicht erst zu Wort kommen. „Seit du geboren wurdest! Du konntest kaum laufen, da habe ich dich schon mit in den Heilerbau genommen, weil der SternenClan mir bei deiner Geburt verraten hat, dass du meine Nachfolgerin werden wirst. Ich habe dich hier in diesem Bau aufwachsen sehen, habe dich immer überall mit hin genommen. Und so dankst du es mir!“

Fliederpfotes Körper zitterte ungehalten. Sie senkte die Ohren, presste sich flach auf den Boden. „Bitte v-verzeih mir! Ich werde jede einzelne Pflanze auswendig lernen, das verspreche ich dir!“

„Mehr Mühe!“, giftete Honigblüte weiter, ohne darauf einzugehen. „Bis zur Blattleere, hast du mich verstanden!“ Dann drehte sie sich schwungvoll um, rempelte Sturmherz an und stapfte aus dem Lager.

Sturmherz sah zu Fliederpfote, die noch immer wie Espenlaub zitterte und schwer schluckte. „Ist alles in Ordnung bei dir?“

Sie blinzelte, erhob sich wieder und reckte das Kinn in die Höhe. In ihren Augen lag derselbe stolze Blick, den er schon zur Genüge von Blaukralle kannte. Fliederpfote mochte so ruhig und zierlich wie ihre Mutter Zimtfeder sein, doch in ihrem Herzen loderte derselbe Stolz, den auch Blaukralle besaß, daran bestand kein Zweifel. „Es geht mir gut. Du willst zu den Königinnen?“

Er nickte. „Haselschweif schickt mich.“

Fliederpfote hatte sich bereits wieder gefangen und trat einen Schritt zur Seite. „Dann geh.“ Sie schaute ihm hinterher, doch kaum war er außer Sichtweite, glaubte er, ein ersticktes Schluchzen zu hören. Was auch immer in Honigblüte gefahren war, Fliederpfote hatte es nicht verdient, so hart behandelt zu werden.
 

***
 

Die Zeit verging ohne Unterlass und als mit dem nächsten Vollmond die Zeit für die Große Versammlung war, machte sich Nervosität im FeuerClan breit. Niemand wusste, wie Silberstern und der WasserClan reagieren würden, wenn sie erfuhren, dass Schwarzstern Wolkentänzer und ihre beiden Jungen vorübergehend im FeuerClan aufgenommen hatte.

Wolkentänzer und Apfelpelz saßen eng aneinander gedrängt vor dem Bau der Königinnen und warfen sich immer wieder sehnsüchtige, hoffnungsvolle aber auch ängstliche Blicke zu. Was auch immer in dieser Nacht entschieden werden würde, es würde ihre Welt verändern.

Schwarzstern und Haselschweif hatten sich eine ganze Weile darüber beraten, wer sie zur Großen Versammlung begleiten sollte. Schließlich entschieden sie sich für Blaukralle, Rindentänzer, Sturmherz, Eisbart und Nebelpfote. Sie formierten sich und brachen auf, als der Mond kurz vor seiner höchsten Position war.

Es herrschte eine eisige Stimmung. Niemand schien sich unterhalten zu wollen und alle Krieger blickten grimmig und starr geradeaus. Schwarzstern trabte mit strammen Schritten voran und verringerte sein Tempo auch dann nicht, als sie die Grenze des FeuerClans hinter sich ließen und der steile Anstieg zum Plateau des Heiligen Bergs, auf dem sich die große, uralte Eiche befand, begann.

Hier oben peitschte ihnen der Wind entgegen, der im Laufe des Tages von warm zu kalt gewechselt hatte und nun aus nördlicher Richtung wehte. Sturmherz fühlte, wie sein seidiges, langes Fell umhergewirbelt wurde und bald darauf in alle Richtungen abstand. Sobald die Abgesandten des FeuerClans ihren Platz eingenommen hatten, rückten sie mürrisch zusammen und richteten ihr Fell.

Dem ErdClan erging es nicht anders. Die langhaarigen Krieger sahen aus, als hätten sie sich seit Tagen nicht geputzt. Kirschliebe, die Zweite Anführerin des ErdClans, saß auf einer der großen Wurzeln der Eiche und putzte sich verzweifelt, um wieder Ordnung in ihr Aussehen zu bringen.

Schließlich eröffnete Löwenzahnstern die Große Versammlung und alle wurden still, um ihm zuzuhören. Er sprach davon, dass es bedauerlicherweise keine neuen Jungen im Clan gab, dies den ErdClan jedoch nicht schwächte. Rauchpfote, der Heilerschüler, schritt mit seiner Ausbildung gut voran und Tigerfuß war davon überzeugt, ihn in wenigen Monden zu einem vollwertigen Heiler ausgebildet zu haben.

Nachdem Löwenzahnstern geendet hatte, sprach Wacholderstern über den LuftClan. Auch hier hatte es in diesem Blattfall bislang keine neuen Jungen gegeben, was vom LuftClan einheitlich mit einem bedauerlichen Murmeln kommentiert wurde. „Allerdings bin ich fest davon überzeugt“, schloss Wacholderstern seine Rede ab, „dass wir viele, gesunde Jungen im Clan begrüßen können, sobald der See in unserem Territorium wieder mehr Wasser führt. Während der Blattgrüne ist unser See bedauerlicherweise gut zur Hälfte ausgetrocknet, was unser Nahrungsangebot zwar verknappt, ansonsten jedoch zu keinen Problemen geführt hat. Der LuftClan ist weiterhin stark und wird dies auch bleiben.“ Laute Rufe aus dem Clan untermalten seine Worte.

Sturmherz schaute interessiert zu den LuftClan-Katzen herüber. Sie waren weder dick noch dünn, aber dafür, dass es allmählich in Richtung Blattleere ging, hatten sie tatsächlich etwas zu wenig Speck auf den Rippen. Der LuftClan war der einzige Clan, durch dessen Territorium der Bach nicht floss. Dafür besaßen sie einen kleinen See, der durch einen unterirdischen Zufluss gespeist wurde. Weder jagten sie Fische, wie der WasserClan es tat, noch besaßen sie ein übermäßiges Angebot an Mäusen und Eichhörnchen, wie es im ErdClan oder FeuerClan der Fall war. Soweit Sturmherz bekannt war, jagte der LuftClan hauptsächlich Kaninchen und Vögel, weshalb die LuftClan-Katzen als sehr wendig und flink galten.

Silberstern, die nun an der Reihe war, führte ihre Rede mit gewohnt großen Worten aus. Starker WasserClan, Bla-Bla, starke Krieger, Bla-Bla.

Sturmherz hätte am liebsten gar nicht erst hingehört.

„Zum Schluss möchte ich noch bekanntgeben, dass wir einen Verlust und eine freudige Nachricht zu verkünden haben.“

Er horchte auf.

„Forellenjunges, der Sohn von Steinbeere und Nachttropfen, ist nun zum Schüler ernannt worden. Forellenpfote wird ein guter und gerechter Krieger werden.“ Ihr Blick wanderte weiter zum FeuerClan. „Und wir werden Forellenpfote das Gesetz der Krieger nach bestem Wissen und Gewissen lehren.“ Sie setzte wie üblich eine dramaturgische Pause. „Bedauerlicherweise hat sich zudem herausgestellt, dass Wolkentänzer eine Verräterin ist.“

Im WasserClan ertönte Knurren und Fauchen, wobei Otterpelz, der dunkelgraue Krieger mit dem langen Fell, nur traurig den Kopf senkte und sich nicht an der allgemeinen Hetze beteiligte.

„Wolkentänzer hat das Gesetz der Krieger gebrochen, indem sie sich mit einem Krieger aus dem FeuerClan eingelassen hat.“

Das Knurren schwoll weiter an.

„Und sie haben zwei Junge gezeugt.“

Daraufhin sträubte der WasserClan das Fell und warf dem FeuerClan bitterböse Blicke zu, als hätten sie höchstpersönlich Wolkentänzer aus ihrer Mitte gerissen.

Auch in den anderen Clans ertönte mitleidiges Raunen, wenn auch weniger laut.

Silberstern heftete ihren eisigen Blick unverwandt auf Schwarzstern. „Du kennst die Regeln, Schwarzstern. Ich habe Wolkentänzer und die beiden Jungen verbannt. Nun bist du an der Reihe. Ich verlange hiermit öffentlich von dir, dass du Apfelpelz in die Verbannung schickst.“

„Apfelpelz!“, riefen einige aus dem ErdClan aus und schüttelten darüber den Kopf, während der LuftClan dem WasserClan eifrig zustimmte.

Schwarzstern räusperte sich und streckte die Schultern durch. „Mir ist dieser Sachverhalt bereits bekannt und auch ich möchte bei dieser Großen Versammlung etwas dazu sagen. Das Gesetz der Krieger erlaubt es nicht, sich mit Katzen aus anderen Clans einzulassen. Doch nirgendwo wird ausdrücklich erwähnt, dass HalbClan-Junge darunter zu leiden haben. Seit jeher verfahren alle Clans außer dem WasserClan so, dass HalbClan-Junge bleiben dürfen und nur ihre Eltern verbannt werden.“

Dies ließ die meisten Krieger wieder verstummen. Löwenzahnstern nickte Schwarzstern aufmunternd zu.

„Ich werde nicht lange hinauszögern, was ich euch allen zu sagen habe: Der FeuerClan hat sich dazu entschieden, Wolkentänzer und ihre Jungen vorübergehend bei sich aufzunehmen. Wir werden ihnen solange eine Bleibe bieten, bis Sonnenjunges und Mondjunges alt genug sind, um sich für oder gegen den FeuerClan zu entscheiden. Bis dahin werde ich auch die Entscheidung über Apfelpelz‘ Verbleib aussetzen.“

Silberstern sträubte augenblicklich ihr Fell und plusterte sich vor Schwarzstern auf. „Damit stellst du meine Entscheidung als Anführerin des WasserClans in Frage!“ Ihr Clan stimmte ihr lautstark zu. Vor allem Dornstachel sah aus, als würde er Schwarzstern am liebsten an die Kehle springen. „Du übersteigst deine Kompetenz!“

„Und du schickst hilflose, gesunde Junge hinaus in die Wildnis, um sie dort zum Tode zu verurteilen.“

„Du …“ Sie funkelte ihn wütend an und machte einen drohenden Schritt auf ihn zu. Nur noch Löwenzahnstern stand zwischen Schwarzstern und ihr und blickte sie mahnend an. „Du bist nichts weiter als eine HalbClan-Katze, die es in die Position des Anführers geschafft hat! Du lässt deinen Clan verweichlichen! Erst lässt du das reine Blut des FeuerClans verkommen, dann nimmst du ein streunendes Hauskätzchen bei dir auf und nun bietest du einer Verräterin und ihren Jungen Asyl!“

Diese Beleidigung ließ Schwarzstern nicht auf sich sitzen. Auch er sträubte sein Fell und wirkte dadurch genauso groß wie Löwenzahnstern, der ein wahrlicher Riese war. Im Hintergrund ertönte Donnergrollen, während pechschwarze Wolken den Vollmond bedeckten. „Jeder andere Clan hier besitzt HalbClan-Blut in seinen Adern!“

Blitze zuckten über den Horizont.

„Und keine HalbClan-Katze wird jemals eine vollwertige Clan-Katze sein können!“, rief Silberstern zornig auf das Plateau hinaus. „Schwarzstern, liefere mir diese HalbClan-Junge und die Verräterin aus, damit ich zu Ende bringen kann, wofür du zu verweichlicht bist!“

Schwarzstern knurrte Silberstern aufgebracht an. „Niemals! Ich werde sie nicht ihrem Tod überlassen!“

Sie erwiderte sein Knurren, doch von einem Augenblick auf den anderen verstummte sie, trat zurück und ließ blanken Hass in ihren Blick treten. „So sei es. Wir geben euch ein Ultimatum bis zur nächsten Großen Versammlung. Bis dahin hast du Zeit, um deine Meinung zu ändern, Schwarzstern. Beweise mir, dass du es wert bist, der Anführer des FeuerClans zu sein. Steh dazu, dass Apfelpelz verbannt werden muss … Oder hängst du etwa zu sehr an ihm, weil er der Sohn deines Sohnes ist?“

Der WasserClan spuckte und fauchte.

Mit lauterer Stimme fuhr sie fort: „Beweise uns allen, dass der FeuerClan noch immer dem Gesetz der Krieger untersteht und nicht aus verweichlichten HalbClan-Katzen und Hauskätzchen besteht! Andernfalls werde ich persönlich dafür sorgen müssen, dass das Gesetz der Krieger durchgesetzt wird!“

Das Gewitter, das sich am Horizont abspielte, grollte vor sich hin.

Silberstern sprang von der Eiche herunter und beendete damit die Große Versammlung. Sofort schloss sich der WasserClan ihr an und auch der LuftClan trat geschlossen den Rückweg an.

Löwenzahnstern sah Schwarzstern mitleidig an, sagte jedoch nichts, sondern ging ebenfalls.

Der FeuerClan blieb zurück, schaute zu seinem Anführer hinauf.

Die ersten Regentropfen begannen zu fallen.

„Schwarzstern hätte Silberstern unter die Nase reiben sollen, dass sie selbst gar nicht so perfekt ist, wie sie immer behauptet“, murrte Fleckennase.

Selbstverständlich hatte es sich wie ein Lauffeuer im FeuerClan verbreitet, was bei der Großen Versammlung geschehen war und wie Silberstern dem FeuerClan gedroht hatte. Niemand wollte diese Beleidigungen einfach auf sich sitzen lassen, doch bislang traute sich keiner, öffentlich für einen Krieg gegen den WasserClan Stimmung zu machen. Selbst Blaukralle und Rosentau schwiegen, saßen jedoch mit säuerlicher Miene in der Gegend herum.

Milchkralle rümpfte zustimmend die Nase. „Ihre Großmutter Mondstern war eine Einzelläuferin, die vom WasserClan aufgenommen wurde. Somit besitzt Silbersterns Mutter Graublume nur zur Hälfte das Blut des WasserClans – und Silberstern selbst nur zu einem Viertel.“

„Eine Tatsache, die sie offensichtlich verdrängt“, fügte Schattenpfote hinzu, der seinem Namen alle Ehre machte und seiner Mentorin wie ein schwarzer Schatten überall hin folgte. Er schnitt eine Grimasse, riss sich jedoch sofort wieder zusammen, als er Milchkralles mahnenden Blick bemerkte.

„Schattenpfote hat Recht“, sagte Sturmherz seufzend. „Sie steigert sich so sehr in dieses Thema rein, dass sie den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sieht.“

„Sie muss sehr verzweifelt sein, wenn ihr mich fragt.“ Milchkralle starrte vollkommend ernst zu ihren Freunden. „Früher ging es dem WasserClan immer sehr gut. Als ich noch klein war, hat mein Vater mir häufig Geschichten aus seiner Schülerzeit erzählt. Damals hatte der WasserClan keine Probleme. Im Fluss gab es Unmengen an Fischen und selbst in der Blattleere musste der Clan keinen Hunger leiden. Mondstern führte den WasserClan mit Warmherzigkeit und Güte und einmal half sie dem LuftClan aus, indem sie ihren Clan anwies, die LuftClan-Katzen mit Frischbeute zu versorgen, als sie während einer sehr kalten Blattleere keine Nahrung mehr in ihrem Territorium fanden.“

Sturmherz blinzelte, dann drehte er sich um und suchte Eisbart, den er vorhin noch irgendwo beim Frischbeutehaufen gesehen hatte. „Dein Vater hat Mondstern gekannt?“

Milchkralle legte den Kopf leicht schief. „Ich glaube schon. Wieso fragst du?“

„Ach, nur so. Entschuldigt mich, ich möchte mir noch ein paar Tipps für Flockenpfotes Training holen.“ Mit diesen Worten verabschiedete er sich von seinen beiden Freunden und trottete aus dem Lager heraus. Er nahm Eisbarts Fährte auf und musste nicht lange suchen, denn der ältere Kater hatte es sich an seinem Lieblingsort – einem umgekippten Baumstamm auf einer kleinen, sonnigen Lichtung – bequem gemacht.

„Sturmherz.“ Eisbart nickte ihm zu. „Alleine unterwegs?“

„Ich wollte mit dir reden.“

„Oh, du wolltest zu mir?“ Eisbart schien es sich gerade erst gemütlich gemacht zu haben, denn er seufzte, als er von seiner liegenden in eine sitzende Position wechselte. „Was kann ich für dich tun?“

„Milchkralle hat uns gerade erzählt, dass du Mondstern noch gekannt hast.“

„Ja, das habe ich. Wieso interessierst du dich dafür?“

Sturmherz sprang ebenfalls auf den Baumstamm, ließ sich gegenüber von seinem ehemaligen Mentor nieder und bedeckte seine Pfoten mit seinem buschigen, grauen Schwanz. „Erzählst du mir ein bisschen von ihr? Ich möchte mehr über den WasserClan wissen, um zu verstehen, wieso Silberstern so ist, wie sie ist.“

„Es geht also um Silberstern und nicht um Mondstern.“

„Es geht um beide.“ Er wartete ab, doch als Eisbart keine Anstalten machte, etwas zu sagen, fügte er hinzu: „Bitte.“

„Wieso fragst du ausgerechnet mich? Du könntest auch Falkenherz fragen. Oder Schwarzstern. Wobei ich bezweifle, dass Schwarzstern sich noch besonders gut an Mondstern erinnern kann. Er wurde gerade erst zum Schüler ernannt, als sie gestorben ist. Ich denke, Falkenherz wäre die beste Ansprechpartnerin für dich.“

„Aber jetzt bin ich schon einmal hier. Ich dachte mir, es wäre angebracht, zuerst meinen eigenen Mentor zu fragen, zumal ich auch gerne noch ein paar Ratschläge wegen Flockenpfote von dir hätte.“

Das schien Eisbart ein wenig zu schmeicheln, denn er gab seine Gegenwehr auf und legte sich wieder hin. „Na schön. Ja, ich habe Mondstern noch kennenlernen dürfen. Sie war Zweite Anführerin im WasserClan, nachdem sie einen Dachsangriff abgewehrt hat – das war noch vor meiner Zeit. Es hat ihr endgültig ihren Platz im WasserClan gesichert und niemand zweifelte mehr daran, dass sie den Clan über ihr eigenes Leben stellte. Schon damals war sie mutig, warmherzig und hilfsbereit. Es gab niemanden, der auch nur ein schlechtes Wort über sie sagen konnte. Dem WasserClan fehlte es auf den ersten Blick an nichts, aber immer häufiger kamen Junge taub oder krank zur Welt und starben innerhalb der ersten Monde. Distelstern wusste nicht, was er dagegen tun sollte. Man hat sich erzählt, er hätte den SternenClan mehrfach um Rat gefragt, doch sie haben ihm eine Antwort verwehrt. Zu diesem Zeitpunkt hatte Mondstern zwei Kinder – Graublume und Adlerschwinge. Beide waren kräftige, gesunde und angesehene Krieger. Auch deren Junge erfreuten sich bester Gesundheit.“

„Wer waren Mondsterns Enkel?“

„Nun, von Silberstern weißt du ja bereits. Sie ist Graublumes Tochter. Adlerschwinge hat dem WasserClan drei Söhne geschenkt: Gewitterschweif, Donnertaucher und Muschelzahn. Distelstern hat erkannt, dass Mondstern dem WasserClan nicht nur beim Dachsangriff das Leben gerettet hat, sondern auch mit ihrem Nachwuchs, der dem WasserClan zu neuer Stärke verhalf. Distelstern war davon überzeugt, dass Mondsterns Blut dem WasserClan dabei helfen würde, zum alten Glanz zurückzufinden. In der folgenden Blattleere – ich war gerade ein junger Krieger – starb Distelstern und aus Mondregen wurde Mondstern. Sie führte ihren Clan mit derselben Warmherzigkeit, die Distelstern ihr gegenüber gezeigt hatte. Ich denke, auf die vielen guten Taten, die Mondstern vollbracht hat, muss ich an dieser Stelle nicht näher eingehen.“

Eisbart seufzte. „Machen wir einen Zeitsprung. Mondstern setzte sich mit jedem Funken ihres Herzens für den WasserClan ein und verdiente sich die tiefe Dankbarkeit des LuftClans, die bis heute anhält.“ Er konnte sich ein genervtes Augenrollen nicht verkneifen. „Wacholderstern ist ein Speichellecker ohne Gleichen. Aber darum geht es hier nicht. Mondstern setzte sich sogar dafür ein, dass Schwarzstern im FeuerClan und sein Bruder Grauwolke im ErdClan bleiben durften. Ihre Schönheit schien unvergänglich zu sein, aber ihre Leben waren es nicht. Es kam der Tag, an dem sie ihr letztes Leben lebte und ihr langjähriger Zweiter Anführer dem Grünen Husten erlag. Mondstern lag selbst auf dem Sterbebett und musste einen Nachfolger ernennen. Es war keine leichte Entscheidung für sie, denn sie wollte dem WasserClan nicht das Gefühl geben, dass sie ihre eigenen Kinder und Enkel bevorzugte, auch wenn diese die stärksten Krieger waren. Aus diesem Grund wählte sie Großschweif, einen erfahrenen, aber profillosen Krieger, der stets nur Befehle befolgt hatte. Noch in derselben Nacht starb auch Mondstern und aus Großschweif wurde Großstern. Du kannst dir denken, wie stark der WasserClan um Mondstern getrauert hat. Großstern konnte nie in ihre Pfotenstapfen treten und war mit dem Amt des Anführers überfordert, weil er keine Zeit gehabt hatte, um überhaupt Zweiter Anführer zu sein und sich an diese Verantwortung zu gewöhnen. Außerdem sah er sich jeden Tag damit konfrontiert, dass sein eigener Clan sich an Mondsterns Nachfahren wandte, wenn es Probleme oder Sorgen gab. Er tat das einzige, was ihm seine Position als Anführer sichern konnte, indem er Silberstern zu seiner Zweiten Anführerin ernannte. Das beruhigte den Clan und ihn selbst.“

„Wieso hat er Silberstern genommen und nicht einen von Adlerschwinges Söhnen?“

„Wenn du mich fragst, wählte er sie, weil sie ihrer Großmutter wie aus dem Gesicht geschnitten ist. Der WasserClan trauerte um Mondstern und sehnte sich nach ihr, also gab er ihnen Mondsterns Abbild.“

„Und vermutlich ging Silberstern in ihrer neuen Rolle vollkommen auf, richtig?“

Eisbart schmunzelte. „Du irrst dich. Sie war genauso überfordert wie Großstern, immerhin war sie kaum älter als Milchkralle, Fleckennase oder du. Aber der Clan liebte und respektierte sie. Silberstern hätte zu dieser Zeit alles getan, um auch nur annähernd die Erwartungen zu erfüllen, die man an sie stellte. Wie es der SternenClan so wollte, verlor Großstern relativ schnell alle seine Leben. Sie war so alt wie Blaukralle jetzt, als sie zur Anführerin wurde. Der WasserClan hatte noch immer große Erwartungen an sie. Der Clan litt Hunger, gebar keine gesunden Jungen mehr und Silberstern sollte ein Wunder vollbringen. Die Lage spitzte sich immer weiter zu und Silberstern verzweifelte immer mehr. Sie wusste nicht, wen sie zu ihrem Zweiten Anführer machten sollte. Adlerschwinges Söhne verweigerten alle drei dieses Amt, weil sie die Verantwortung für den Niedergang des WasserClans nicht tragen wollten. Und dann kam Dornstachel, Großsterns Sohn. Er hatte die kurze Amtszeit seines Vaters miterlebt und wollte es unbedingt besser machen als er. Dornstachel biederte sich Silberstern regelrecht an, schmierte ihr Honig ums Maul und versprach ihr, dass sie den WasserClan gemeinsam zu neuer Größe führen würden. Also ernannte sie ihn zum Zweiten Anführer, weil sie wusste, dass er für dieses Amt brannte und sie niemanden haben konnte, der loyaler an ihrer Seite stehen würde. Gemeinsam kamen sie zu dem Schluss, dass es sich der WasserClan nicht länger leisten konnte kranke Jungen zu pflegen, bis sie ohnehin starben. Den Rest kennst du. Silberstern glaubt, dass der SternenClan den WasserClan dafür bestraft, dass sie die Einzelläuferin Mondstern aufgenommen haben. Sie ist davon überzeugt, dass es ihre Aufgabe als Anführerin ist, diesen Fehler ihrer Großmutter auszugleichen, indem sie rigoros alle HalbClan-Jungen aus dem Clan entfernt. Dornstachel bestärkt sie darin.“

Sturmherz‘ Blick hatte sich die ganze Zeit über verfinstert. „Aber das stimmt nicht. Mondsterns Blut ist der einzige Grund dafür, wieso es überhaupt noch gesunde Junge im WasserClan gibt. Sie hat den Clan gerettet, nicht verdammt. Und Dornstachel … er hat es ausgenutzt, dass Silberstern zu Beginn ihrer Herrschaft hilflos und überfordert war. Er hat sie benutzt, um Zweiter Anführer zu werden.“

Eisbart nickte leicht. „Dornstachel hat nie eigene Junge zeugen können. Er wusste, dass er für den WasserClan keine Bedeutung haben würde, wenn er nicht etwas Großes schaffte. Er war jung und wollte Macht – das hat er dank Silberstern bekommen.“

„Aber er benutzt Silberstern nur!“ Sturmherz konnte es kaum glauben, doch er empfand mit einem Mal so etwas wie Sympathie für die Anführerin des WasserClans. „Silberstern verlässt sich auf ihn und er redet ihr ein, dass das HalbClan-Blut den WasserClan schädigt, dabei stimmt das überhaupt nicht. Und wenn sie ihm das wirklich glaubt … dann glaubt sie auch, dass sie selbst nicht gut genug für den Clan ist?“

„Wer weiß? Ich kann nicht in Silbersterns Kopf sehen – niemand kann das. Fakt ist, dass sie an ihrer radikalen Linie festhält, weil sie Angst hat, einen Fehler zu machen und den SternenClan nur noch weiter zu enttäuschen. Gleichzeitig weiß sie – weiß jeder –, dass sie niemals eine so große Anführerin wie Mondstern sein kann.“

„Aber wenn du das alles bereits wusstest, wieso hast du nie etwas gesagt?“

Sturmherz‘ Mentor gähnte. „Ich bin nur ein alter Krieger. Ich habe in meinem Leben schon viele Dinge gesehen und gehört. Silberstern ist in der schwersten Zeit des WasserClans zu dessen Anführerin geworden. Es steht mir nicht zu, darüber zu urteilen, was der SternenClan von ihrem Führungsstil hält. Wenn du mich nun entschuldigen würdest, mein Mittagsschlaf wartet auf mich.“ Eisbart klappte seine Augen zu.

Sturmherz stupste ihn mit der Pfote an, woraufhin sein Mentor brummte. „Eisbart. Hey!“

„Was?“ Ein Auge öffnete sich missmutig.

„Glaubst du, Silberstern hat Angst vor ihrer Position als Anführerin?“

„Sie hat Angst davor, machtlos gegen den Untergang des WasserClans zu sein. Ich denke, Machtlosigkeit ist etwas, vor dem jeder Anführer Angst hat.“ Das Auge schloss sich wieder.

Sturmherz seufzte. Das musste er erst einmal alles verarbeiten. „Was ist mit Flockenpfotes Training?“

„Ein anderes Mal, Sturmherz. Du bist nun selbst ein Krieger. Ich habe mit dem Training deines Schülers nichts zu tun.“

Er war frustriert, sprang von dem Baumstamm herunter und stapfte zurück in Richtung Lager des FeuerClans. Sturmherz hatte immer das Gefühl gehabt, dass Eisbart weitaus mehr wusste, als er preisgab – und genau darin fühlte er sich nun bestätigt. Das Problem war nur, dass er niemanden hatte, mit dem er darüber reden konnte. Wenn Silberstern einfach nur durch Dornstachel schlecht beraten und gleichzeitig verzweifelt war, bestand womöglich noch Hoffnung, sie umstimmen zu können. Nur wie?
 

***
 

„Die beiden sind so niedlich“, sagte Zimtfeder verträumt. Die zierliche Königin saß gemeinsam mit Wolkentänzer vor dem Bau der Königinnen und schaute ihren Jungen dabei zu, wie sie spielten. Fuchsjunges und Bienenjunges waren schon zwei Monde alt – alt genug, um mit tapsigen Schritten die Umgebung zu erkunden und sich zu balgen. Mondjunges und Sonnenjunges waren hingegen erst etwas mehr als einen halben Mond alt und begannen gerade ihr Hörvermögen auszubilden und zu krabbeln.

„Das sind sie“, stimmte Wolkentänzer ihr selig lächelnd zu. „Ich bin dem FeuerClan dankbar dafür, dass er meinen Jungen vorübergehend ein Zuhause gegeben hat. Und dir bin ich natürlich auch sehr dankbar, denn ohne dich und deine Milch würden meine Jungen nicht überleben.“ Ihr seliger Gesichtsausdruck verschwand und Schuldgefühle spiegelten sich in ihren Augen wider.

In diesem Augenblick erreichten Sturmherz und sein Schüler Flockenpfote die beiden Königinnen. Heute war ihnen die Versorgung der Königinnen zugeteilt worden. Flockenpfote legte den beiden stolz ein Eichhörnchen vor die Füße. Es war das erste Eichhörnchen, das er gefangen hatte, und es hatte Sturmherz fast den ganzen Tag und ungemein viele Nerven gekostet.

Zimtfeder wandte ihren Blick sofort zu Sturmherz. Sie sprach nicht häufig mit ihm und wenn, dauerte es nie lange, bis Blaukralle auftauchte. Doch jetzt war er gerade mit Nebelpfote außerhalb des Lagers unterwegs und konnte nicht einschreiten. „Sag uns, Sturmherz, wie beurteilst du die Entwicklung unserer Jungen?“

Er wusste nicht, was genau sie von ihm hören wollte. „Ich denke, sie machen sich sehr gut? Fuchsjunges und Bienenjunges scheinen beide sehr aufgeweckt zu sein. Es dauert bestimmt nicht mehr lang, bis sie den ganzen Clan auf Trab halten.“

Zimtfeder nickte zustimmend. „Sie sind beide ganz anders als Fliederpfote. Manchmal kommt es mir vor, als hätte der SternenClan meiner Tochter ein schweres Schicksal aufgeladen und aus diesem Grund war sie schon seit ihrer Geburt so ruhig und verschlossen.“

„Vielleicht liegt es aber auch nur daran, dass sie das Wesen eines Heilers besitzt“, meinte Wolkentänzer. „Heiler tragen eine große Verantwortung gegenüber ihrem Clan. Sie dürfen sich keine Fehler erlauben und müssen alles sehr ernst betrachten.“

„Ja, diese Ernsthaftigkeit besitzt Fliederpfote.“ Zimtfeders Blick wanderte zurück zu ihren beiden Jungen. „Ich bin froh, dass mir der SternenClan noch zwei gesunde zukünftige Krieger geschenkt hat. Sie werden dem FeuerClan große Ehre erweisen.“

Unbehaglich knetete Wolkentänzer mit ihren Vorderpfoten den Erdboden, dann erhob sie sich und ging zu ihren eigenen Jungen. „Die Zeit ist um, wir gehen zurück in die Höhle.“

„Nein“, fiepten die beiden im Chor, kamen aber nicht gegen ihre Mutter an, die Sonnenjunges einfach im Nacken packte und Mondjunges vor sich her schob, da sie schon besser krabbeln konnte als ihr Bruder.

Bienenjunges und Fuchsjunges schauten dem Dreiergespann hinterher und trabten dann zu ihrer Mutter.

„Mama, wieso dürfen die beiden nicht noch draußen bleiben? Sie sind doch gerade erst gekommen.“ Bienenjunges schaute Wolkentänzer fragend hinterher. „Ist es, weil sie noch zu klein sind, um mit uns zu spielen?“

Zimtfeder schüttelte sanft den Kopf. „Nein, meine Lieben, daran liegt es nicht. Wolkentänzer ist traurig, weil sie nicht weiß, ob ihre Jungen hier bei uns im FeuerClan bleiben dürfen.“

„Aber wieso nicht?“ Fuchsjunges setzte sich direkt neben das tote Eichhörnchen. „Apfelpelz ist doch ihr Vater?“

Zimtfeder seufzte. „So einfach ist das leider nicht. Hier, Flockenpfote und Sturmherz haben uns Frischbeute mitgebracht. Sagt lieb danke und dann dürft ihr essen.“

Fuchsjunges und Bienenjunges schauten Sturmherz und seinen Schüler mit großen Augen an und sprachen im Chor: „Vielen Dank!“ Dann sprangen sie auf das tote Tier und rangelten mit dem schlaffen Körper, ehe sie den ersten Bissen nahmen.

Sturmherz schaute den beiden Jungen einige Sekunden lang dabei zu. Fuchsjunges besaß schon jetzt den gleichen rundlichen Körperbau und das gleiche dichte, kurze Fell wie Blaukralle, nur dass er das braune, einfarbige Fell von seiner Mutter geerbt hatte, auch wenn es etwas dunkler war als bei Zimtfeder. Im Gegensatz dazu war Bienenjunges‘ Fellfarbe heller als bei ihrer Mutter, das Fell länger und der Schwanz kurz, aber buschig. Sturmherz hoffte inständig, dass sie nicht Blaukralles Charakter geerbt hatten.

„Wir lassen euch dann mal wieder alleine“, teilte er Zimtfeder mit, verabschiedete sich mit einem Kopfnicken von ihr und ging mit Flockenpfote zusammen zum Bau der Schüler, wo er seinen Schüler jeden Abend in die Freizeit entließ. „Du hast dich heute gut geschlagen, Flockenpfote.“

„Ich habe den ganzen Tag gebraucht, um ein einziges Eichhörnchen zu fangen.“ Die weißen Ohren zuckten beschämt. „Nebelpfote hat gesagt, ich bin ein schlechter Jäger.“

„Hör nicht auf das, was Nebelpfote dir sagt.“ Er grollte leise vor sich hin. Nun hetzte Blaukralle seinen Schüler schon gegen Flockenpfote auf. „Jeder lernt in seinem eigenen Tempo. Es ist egal, ob Nebelpfote schon in ein oder zwei Monden zum Krieger ernannt wird. Sieh dir Milchkralle an.“ Sie möge ihm den Vergleich verzeihen. „Sie war über ein Jahr alt, als Schwarzstern sie zur Kriegerin ernannt hat und heute redet da keiner mehr drüber, weil es nicht mehr von Bedeutung ist. Sie ist mutig, intelligent und man kann sich immer auf sie verlassen. Diese Werte sind wichtiger als die Tatsache, wie schnell man zum Krieger wird.“

„Und wenn ich nie ein guter Jäger werde?“

„Das wirst du. Ganz bestimmt. Es hat heute zwar den ganzen Tag gedauert, aber du hattest Erfolg. Während du gestern, vorgestern oder letzte Woche noch kein Eichhörnchen fangen konntest, hast du es heute geschafft. Das ist ein Fortschritt, nicht wahr?“

Flockenpfote dachte einen Augenblick darüber nach, dann hellte sich sein Blick auf. „Ja, das ist es. Ich bin besser geworden.“

Sturmherz nickte. „Siehst du. Und jetzt genieß den Abend. Wir sehen uns morgen früh wieder.“

Flockenpfote ging in den Bau der Schüler. Er war wie immer der erste, aber Sturmherz wusste, dass er seinen Schüler nicht überfordern durfte. Es war noch ein langer Weg, bis Flockenpfote eines Tages zum Krieger ernannt werden konnte, aber mit viel Geduld schaffte er das, da war er sich sicher.
 

***
 

Auch in den nächsten Tagen dachte Sturmherz viel darüber nach, wie Silberstern zu der Anführerin werden konnte, die sie nun war. Ob Mondstern stolz auf sie war? Sturmherz wusste nicht viel darüber, wie oft der SternenClan mit den Anführern der Clans sprach, aber er ging zumindest davon aus, dass Silberstern davon erfahren hätte, wenn der SternenClan mit ihrem Verhalten absolut nicht einverstanden war.

Der Halbmond näherte sich und je näher er rückte, desto schärfer wurde Honigblütes Ton, mit dem sie Fliederpfote quer über das Revier des FeuerClans schickte. Niemand wagte es, die Heilerin darauf anzusprechen, aber es war offensichtlich, dass ihr irgendetwas nicht passte. Irgendetwas, wofür die junge Fliederpfote nichts konnte, doch ausbaden musste sie es trotzdem.

Hin und wieder kamen im FeuerClan Gespräche darüber auf, wie gut Blaukralle seinen Schüler unterrichtete. Nebelpfote schien nicht nur ein ausgesprochen großes Talent für die Jagd zu haben, sondern auch jeden Übungskampf gegen die anderen Schüler zu gewinnen, was Blaukralle nur noch stärker umherstolzieren ließ.

Sturmherz seufzte und sein Blick fiel auf die Blätter der Laubbäume, die das Ufer des Baches säumten. Sattes Grün hatte sich in Gold und Rot verwandelt und endlich wurde es auch wieder etwas kühler. Nicht dass er den Blattfall herbeisehnte, so war es nicht, aber sein dichtes, langes Fell hatte dafür gesorgt, dass er in den heißen Monaten der Blattgrüne doch ziemlich gelitten hatte.

Flockenpfote durchbrach das Dickicht. „Hiff hafe feine!“ Er ließ die dicke Maus vor seinem Mentor zu Boden fallen. „Ich habe eine! Wie du gesagt hast.“

„Das macht vier Mäuse. Gut gemacht. Du kannst sie jetzt zum Frischbeutehaufen bringen, wir beenden für heute dein Training.“

„Und was soll ich mit dem restlichen Tag anfangen?“

„Was ist mit deinen Brüdern? Ihr könntet noch einen Übungskampf draußen vor dem Lager veranstalten. Vielleicht machen Dachspfote und Nebelpfote auch mit.“

Flockenpfotes weißer, flauschiger Schwanz fegte über den sandigen Waldboden. „Das glaube ich nicht. Schattenpfote und Frostpfote sind noch mit ihren Mentoren unterwegs. Und Dachspfote und Nebelpfote sind mir gerade erst über den Weg gelaufen. Sie haben mich nicht bemerkt, aber ich glaube, dass sie auf dem Weg zur nördlichen Grenze sind.“

Sofort horchte Sturmherz auf. „Seit wann trainieren Fleckennase und Blaukralle ihre Schüler denn gemeinsam.“

„Oh, ich glaube nicht, dass Fleckennase und Blaukralle dabei sind.“ Flockenpfote sagte dies vollkommen beiläufig und dachte sich gar nichts dabei. „Sie waren alleine unterwegs und haben sich gestritten. Ich glaube, Dachspfote wollte ihm irgendetwas beweisen.“

Das klang nicht gut. „Ihr Schüler wisst, dass ihr nicht alleine ohne die Zustimmung eures Mentors unterwegs sein dürft.“

„Ja, Sturmherz.“ Flockenpfote senkte den Kopf und machte ein Gesicht, als wäre er der Schuldige.

Sturmherz seufzte. „Ich möchte, dass du deine Beute ins Lager bringst und wenn du Fleckennase siehst, sagst du ihm, dass er mich in der Nähe der nördlichen Grenze suchen kommen soll. Ich werde nachsehen, was Dachspfote und Nebelpfote vorhaben.“

„Ist gut.“ Sein Schüler hatte zwar etwas Mühe, alle vier Mäuse gleichzeitig in sein großes Maul zu stopfen, doch es gelang ihm und wenige Herzschläge später war er verschwunden.

Sturmherz folgte Flockenpfotes Fährte bis zu dem Ort, an dem er gejagt hatte, und in der Tat konnte er auch schwach den Geruch von Nebelpfote und Dachspfote wahrnehmen. Er schlug ebenfalls die nördliche Richtung ein. Was auch immer Dachspfote vorhatte – Fleckennase wusste ganz sicher nichts davon. Er würde seine Schülerin nie alleine mit Blaukralle und seinem Schüler trainieren lassen, was dafür sprach, dass sich die beiden Geschwister ohne das Wissen ihrer Mentoren davongeschlichen hatten. Nur Nebelpfote hätte er so ein Verhalten nie zugetraut.

Es dauerte nicht lange, bis die Fährte der beiden stärker wurde. Sturmherz beschleunigte seine Schritte, verlangsamte sie aber wieder, als die beiden in Hörweite kamen. Sie befanden sich ziemlich weit im Norden des Reviers. Etwas weiter westlich verlief die Grenze zum WasserClan, doch hier schloss sich nur die Wildnis an das Gebiet des FeuerClans an. Es gab nichts außer Wald, Felsen und vermehrt Schlangen. Das konnte gefährlich werden, wenn man nicht aufpasste.

Sturmherz pirschte sich durch das Unterholz heran und erspähte die beiden Schüler durch die Blätter hindurch. Sie standen am Rand einer Felsansammlung.

Dachspfote posierte oben auf den Steinen und schaute zu ihrem Bruder herunter. „Du bist nicht besser als ich“, sagte sie gerade und ihre Brust bebte vor Zorn. „Ich habe nur einen schlechten Mentor abbekommen, mehr nicht.“

Nebelpfotes Ohr zuckte leicht. „Da sagt Blaukralle aber etwas anderes. Es tut mir wirklich leid für dich, Schwester, aber es kann nur einen Schüler geben, der am besten ist. Blaukralle ist zuversichtlich, dass ich schon in einem Mond zum Krieger ernannt werde. Es kann nur einer die Nummer Eins sein und das sind weder du noch dein Mentor Fleckennase.“

Sie rümpfte abfällig die Nase. „Blaukralle wird schon sehen, dass er sich irrt. Und du auch, Nebelpfote. Wir waren immer gleich stark und ein Team, falls du dich noch daran erinnern kannst. Gemeinsam könnten wir es den anderen Schülern zeigen. Vielleicht kann Blaukralle mir ein paar Tricks beibringen?“

Er legte seinen Kopf leicht schief. „Das wage ich zu bezweifeln. Ja, wir waren ein Team, aber da waren wir noch keine Schüler. Das ist lange her.“

„Etwas weniger als zwei Monde“, zischte sie aufgebracht. „Blaukralle denkt also, dass ich nicht gut genug für ihn bin? Fein. Dann werde ich euch beiden beweisen, dass ich es drauf habe und eine ebenso gute Kriegerin werde wie du. Ich bin nicht auf Fleckennase angewiesen.“

„Blaukralle sagt, dass Fleckennase es im Clan nie zu etwas bringen wird. Er ist nur ein Anhängsel von Sturmherz und Milchkralle. Und Sturmherz … Blaukralle sagt, dass er das Blut eines Hauskätzchens in sich trägt. Kein Wunder, dass er den Versager Flockenpfote als Schüler bekommen hat. Ohne das Wohlwollen von Schwarzstern wäre Sturmherz nicht einmal mehr am Leben.“

Sturmherz unterdrückte mit aller Kraft ein Knurren, um sich nicht zu verraten. Es wunderte ihn nicht, dass Blaukralle seinen Schüler gegen alle anderen Schüler aufhetzte, aber dass er anfing, die anderen Mentoren hinter deren Rücken schlecht zu reden, ging zu weit. Nun, zumindest über Rindentänzer schien er nichts Schlechtes zu sagen zu haben.

Dachspfote plusterte sich auf. „Es ist mir egal, was Blaukralle über Fleckennase und Sturmherz sagt. Mir ist nur wichtig, was er von mir denkt.“ Dann drehte sie sich um. „Da unten schläft eine Schlange. Ich werde sie erlegen.“

Das konnte nicht ihr ernst sein! Jeder Schüler wusste, dass die Schlangen in diesem Teil des Gebiets nahe der nördlichen Grenze nicht ungefährlich waren. Die kleineren Exemplare mochte man zwar bekämpfen können, doch die Klapperschlangen waren giftig und konnten einen sogar töten.

In diesem Augenblick tauchte Blaukralle wie aus dem Nichts auf. Er schaute Nebelpfote und dann Dachspfote an. „Hier seid ihr also. Ich habe mich schon gefragt, wo ihr seid.“

Sturmherz verwettete den ganzen Frischbeutehaufen darauf, dass Blaukralle nicht rein zufällig vorbeigekommen war, sondern den Streit zwischen den Geschwistern langfristig provoziert hatte. Doch er hielt sich noch bedeckt.

Nebelpfote begrüßte seinen Mentor mit einem ergebenen Senken des Kopfes. „Dachspfote möchte beweisen, dass sie mit ihrer Ausbildung so weit fortgeschritten ist wie ich.“

„Ist das so? Ich könnte durchaus ein gutes Wort für dich einlegen, Dachspfote, wenn das der Wahrheit entspricht.“

Seine Worte gingen runter wie Honig. Dachspfote platzte beinahe vor Stolz und sie himmelte Blaukralle mit Blicken nur so an. „Das würdest du für mich tun? Fleckennase wäre nie bereit, mir diese Chance zu geben.“ Natürlich nicht, immerhin war sie erst zwei Monde in Ausbildung und noch viel zu grün hinter den Ohren.

„Natürlich nicht“, sagte Blaukralle sofort und legte Bedauern in seine Stimme. „Aber ich vertrete die Ansicht, dass jeder wahre Krieger einen wohlverdienten Platz im FeuerClan haben sollte. Es ist kein Geheimnis, das manche Mentoren, nun ja … besser sind als andere. Sei es, weil sie echtes FeuerClan-Blut in sich tragen oder weil sie höhere Qualitäten haben.“

Dachspfotes Schwanz wippte aufgeregt auf und ab. Sie glaubte Blaukralle jedes einzelne Wort. „Ich werde dir zeigen, was für eine mutige Kriegerin ich bin!“ Mit diesen Worten machte sie sich zum Sprung bereit, direkt in das Nest der Schlangen hinein.

„Das wirst du nicht tun!“, sagte Sturmherz sofort, gerade als Dachspfote abspringen wollte.

Vor Schreck fiel sie fast herunter und krallte sich im letzten Moment fest. Mit großen Augen starrte sie Sturmherz an. „Sturmherz! Ich …“

„Was fällt euch ein?“ Er warf auch Nebelpfote einen scharfen Blick zu. „Alle beide!“ Dann baute er sich vor Blaukralle auf. „Und du unterstützt diesen Konkurrenzkampf auch noch!“

Blaukralle ließ sich kein bisschen einschüchtern. „Es steht dir nicht zu, meinen Schüler zu maßregeln. Er hat keinen Fehler begangen.“

„Er hat Dachspfote dazu angestachelt, sich ihrem Mentor zu widersetzen. Das ist kein guter Charakterzug und widerspricht dem Gesetz der Krieger.“

Blaukralles Mundwinkel zuckten. „Ich merke schon, du als ehemaliges Hauskätzchen kennst dich mit dem Gesetz der Krieger besser aus als wir.“ Dann guckte er wieder ernst. „Ich kann kein Fehlverhalten bei Nebelpfote feststellen. Dachspfote hat sich aus eigenem Antrieb aus Fleckennases Obhut entfernt. Mein Schüler ist lediglich mit ihr gegangen, um auf sie aufzupassen. Eine edle Tat, wenn du mich fragst, schließlich wollte er nur verhindern, dass ihr Schaden zustößt.“

„Und ist es genauso edel, dass er nicht verhindert, dass Dachspfote sich mit Schlangen anlegen will, um ihren Mut zu beweisen?“

Sie zuckte bei seinen Worten zusammen und machte sich ganz klein.

Auch Blaukralles Augen weiteten sich für einen kurzen Augenblick und er schaute zu Dachspfote herüber. Damit hatte er nicht gerechnet. „Das wäre ausgesprochen dumm. Klapperschlangen sind giftig. Das hat nichts mit Mut zu tun.“

Dachspfote sah aus, als würde sie am liebsten im Erdboden versinken.

„Dachspfote!“ Fleckennase brach polternd und mit gehetztem Blick durch die Büsche.

Sie drehte sich schuldbewusst zu ihrem Mentor um. „Fleckennase, ich …“ Ihr Blick war voller Scham zu Boden gesenkt. „Es … es tut mir l-“ Dachspfotes Gesicht verzog sich zu einem stummen Schrei, dann kam ein hoher, schmerzerfüllter Ton aus ihr heraus. Ihre Augen weiteten sich, als sie wie in Zeitlupe vornüber von dem Felsen kippte.

Ihr Körper, der auf dem staubigen Boden aufschlug.

Über ihr eine braune Schlange, die bedrohlich mit ihrer Schwanzspitze rasselte.

Blaukralle, der ängstlich die Ohren anlegte und mit Nebelpfote Schritte rückwärts machte.

Und Fleckennase, der zu Stein erstarrt schien. Der sich fing. Der mit einem brüllenden Schrei seiner Schülerin zur Hilfe eilte, dem Biss der Schlange auswich, ihren Körper packte und zwei Fuchslängen weiter weg schleuderte.

Sturmherz konnte nur zuschauen, starrte in Dachspfotes ängstliche, schmerzverzerrte Augen, die ihn an Ahornseele erinnerten. Jetzt ging es nicht mehr nur um Blaukralle und seinen privaten Feldzug.

Es ging um Dachspfotes Leben.

Im Bau des Anführers herrschte eine Grabesstille. Blaukralle, Sturmherz und Fleckennase saßen im Halbkreis und warteten darauf, dass Schwarzstern zu sprechen begann. Doch dieser starrte die drei Krieger lediglich schweigend mit seinen gelben Augen an und wartete seinerseits auf Honigblüte, die noch immer mit Dachspfotes Behandlung beschäftigt war.

Fleckennase hatte die Klapperschlange, die Dachspfote angegriffen hatte, nicht getötet, aber soweit verletzt, dass sie sich rasselnd und zischend unter die Felsen zurückgezogen hatte. Daraufhin hatte Fleckennase seine Schülerin den gesamten Weg zum Lager zurückgeschleppt, da sie selbst nicht mehr laufen konnte und nur noch wimmernde Laute von sich gab. Jegliche Hilfe von Blaukralle oder Sturmherz hatte er abgelehnt, woraufhin Blaukralle Nebelpfote vorgeschickt hatte, um Schwarzstern und Honigblüte zu alarmieren. Als sie mit Dachspfote das Lager des FeuerClans erreicht hatten, stand bereits alles parat und der halbe Clan hatte sich in großer Sorge um die Schülerin versammelt.

Honigblüte hatte ihre Schülerin losgeschickt, um Nachschub an Ringelblumen und Mohnsamen zu besorgen und, wenn nötig, bei dem Heiler des ErdClans um Unterstützung zu bitten.

Niemand traute sich auch nur ein Wort zu sagen, bis Haselschweif mit Honigblüte am Eingang des Baus erschien.

Schwarzstern nickte seiner Enkelin sofort zu und bat sie neben sich. „Wie steht es um Dachspfote?“

Honigblüte schaute grimmig drein und leckte sich über das honiggoldene Fell an ihren Pfoten. „Das kann ich noch nicht genau sagen. Wenn es der SternenClan so will, wird sie durchkommen. Ich habe ihre Bisswunde versorgt und ihr etwas gegen die Schwellung und die Schmerzen gegeben.“

Fleckennase atmete tief durch. Er sah aus, als wäre er in der vergangenen Stunde um ein halbes Leben gealtert. „Gibt es denn wirklich nichts, was man noch tun kann?“

Honigblüte warf ihm einen genervten Seitenblick zu, mit dem sie ihm zum Schweigen brachte. „Ich habe alles getan, was in meiner Macht steht. Der Rest liegt alleine bei Dachspfote und dem SternenClan.“

Schwarzstern nickte leicht. „Wie geht es nun weiter?“

„Sie braucht sehr viel Ruhe, bis das Gift vollständig aus ihrem Körper verschwunden ist. Die nächsten Tage und Nächte wird sie meinen Heilerbau nicht verlassen können. Erst danach kann ich beurteilen, ob sie womöglich bleibende Schäden davongetragen hat.“

„Bleibende Schäden!“, rief Fleckennase erschrocken aus. „Sie ist doch noch so jung und hat ihr ganzes Leben vor sich!“

„Die Klapperschlange hat sie in den Hinterlauf gebissen. Ihre Muskeln sind stark geschwollen, rot und entzünden sich bereits. Sie hat große Schmerzen und fiebrigen Schlaf. Dachspfote hat Glück, dass die Schlange, die ihr mir beschrieben habt, zwar giftig, aber nur manchmal tödlich ist. Trotzdem kann es passieren, dass sie ihr Bein vielleicht nie wieder benutzen kann und dreibeinige Krieger haben wir nicht.“

„Das wäre das Ende ihrer Zeit als Schülerin“, wisperte Fleckennase traurig und ließ die Ohren hängen. „Sie würde niemals zur Kriegerin ernannt werden.“

Einen Moment schwiegen sie alle, denn jeder wusste, dass das genau das war, was Dachspfote wollte. Dieser Schlangenbiss könnte ihre gesamte Zukunft zerstören.

Schwarzstern brach das Schweigen, indem er sich räusperte. „Vielen Dank für deine Arbeit, Honigblüte. Bitte halte mich regelmäßig über Dachspfotes Zustand auf dem Laufenden. Du kannst dich jetzt wieder in deinen Bau begeben.“

Sie senkte respektvoll ihren Kopf und verließ Schwarzsterns Bau wieder.

Als sie gegangen war, schaute Schwarzstern wieder die drei im Halbkreis sitzenden Krieger an. Bislang hatte er sich nur von jedem einzeln erzählen lassen, was geschehen war. „Fleckennase“, begann er und der schwarzweiße Krieger schaute seinen Anführer sofort mit großen Augen an. „Du hast heute wahrlich viel Mut bewiesen und dich der tödlichen Gefahr gestellt. Ohne dein Eingreifen hätte Honigblüte Dachspfotes Leben nicht mehr retten können.“

Fleckennase schluckte schwer und sprach mit heiserer Stimme: „Ich würde alles dafür tun, dass es Dachspfote gut geht.“

„Das weiß ich. Du hast bewiesen, dass der Mut des FeuerClans stark in deinem Herzen schlägt. Das sollte selbst den letzten Zweifler umgestimmt haben.“ Zwar schaute er Blaukralle bei diesen Worten nicht an, doch der blaue Krieger rümpfte kaum merklich die Nase und wusste, dass er gemeint war. „Ich werde dich für die nächsten drei Tage von allen Pflichten als Krieger freistellen, damit du Honigblüte bei der Versorgung deiner Schülerin helfen kannst. Sie und Fliederpfote werden ihre Lager auffrischen müssen, dabei kannst du ihnen helfen und sicherstellen, dass ihnen nichts passiert.“

„Natürlich, Schwarzstern.“ Er schaute seinen Anführer dankbar an. „Ich danke dir.“

„Du kannst jetzt gehen, Fleckennase.“

Fleckennase verbeugte sich so tief wie nur möglich, schaute dann kurz zu Sturmherz und verschwand lautlos aus dem Bau des Anführers. Die Sorge um Dachspfote stand ihm ins Gesicht geschrieben.

Nun schaute Schwarzstern zu Blaukralle, dann zu Sturmherz und wieder zurück. „Blaukralle.“ Er seufzte und sein Blick veränderte sich leicht. „Ich hätte mehr von dir erwartet.“

Das ließ den blauen Krieger minimal zusammenzucken. Irritiert schaute er Schwarzstern an. „Wie meinst du das? Ich habe nichts damit zu tun, dass Dachspfote sich ihrem Mentor widersetzt und sich selbst in diese Gefahr begeben hat.“

Schwarzstern wiegte seinen Kopf leicht hin und her. „Du bist ein sehr geachteter Krieger im FeuerClan. Der ganze Clan fragt sich, wie es überhaupt so weit kommen konnte, wenn du dabei warst.“

„Wie ich schon sagte, ich habe nichts damit zu –“

„Natürlich würdest du es niemals zulassen, dass einer Schülerin – oder generell einem Mitglied aus dem FeuerClan – etwas passiert“, unterbrach er ihn. „Aber du bist erfahren genug, um so eine Situation besser einschätzen zu können. Es ist jedem hier bekannt, dass die Schlangenfelsen an der nördlichen Grenze ein gefährliches Gebiet sind, das wir meiden, wann immer wir es können. Du hättest Dachspfote und Nebelpfote augenblicklich zurück ins Lager schicken müssen, als du sie dort angetroffen hast.“

Blaukralles verbissenes Gesicht sprach Bände.

„Abgesehen davon ist mir zu Ohren gekommen, dass dein Schüler nicht ganz unbeteiligt an der ganzen Situation war. Du magst Nebelpfote großartig ausbilden, aber das Miteinander hält unseren Clan am Ende zusammen. Es bringt niemandem etwas, wenn Nebelpfote von Konkurrenzdenken zerfressen wird.“

Blaukralle warf Sturmherz einen bitterbösen Blick zu, als würde er ihn dafür verantwortlich machen, dass er zum ersten Mal von Schwarzstern gerügt wurde.

Schwarzstern seufzte. „Niemand kann rückgängig machen, was mit Dachspfote geschehen ist. Fleckennase macht sich schon genügend Vorwürfe deswegen, obwohl er ihr das Leben gerettet hat. Ich verlange aber von nun an, dass du deinen Schüler zu mehr Miteinander erziehst, Blaukralle.“ Einen kurzen Augenblick pausierte Schwarzstern. „Und auch dir würde es gut tun, dich auf die alten Werte zu besinnen, für die der FeuerClan seit seiner Gründung eintritt: Mut, Stärke und Zusammenhalt.“ Blaukralle wollte etwas erwidern, doch Schwarzstern fuhr ihm sofort über den Mund: „Du kannst jetzt gehen.“

Daraufhin erhob Blaukralle sich, senkte leicht den Kopf, um seinem Anführer Respekt zu zollen, und marschierte anschließend mit großen Schritten an Sturmherz und Haselschweif vorbei nach draußen.

Übrig blieb Sturmherz, der nicht wusste, was ihn nun erwartete.

Schwarzstern schaute ihn an, entspannte dann seine Schülern und klopfte mit seinem Schwanz neben sich auf den Boden. „Komm zu mir, Sturmherz. Ich möchte dir eine Geschichte erzählen.“

Zeitgleich mit Sturmherz erhob sich auch Haselschweif, nur dass der Zweite Anführer den Bau ebenfalls verließ, während Sturmherz neben seinem Anführer Platz nahm.

Schwarzstern wartete nicht lange ab und fing direkt an zu erzählen. „Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, wie es war, als mein Bruder Grauwolke und ich unsere ersten Monde im ErdClan verbracht haben. Unsere Mutter wusste, dass der Clan sie verbannen würde, sobald wir alt genug waren, um eine Entscheidung über unseren Verbleib treffen zu können. Sie ließ es sich allerdings nie anmerken, umsorgte uns mit Fröhlichkeit und einer inneren Stärke, die wie Feuer in ihrem Herzen loderte. Sobald wir laufen konnten, durften wir auch den FeuerClan und unseren Vater besuchen. Ich war beeindruckt von den vielen edlen Kriegern im FeuerClan und von dem starken Zusammenhalt. Obwohl mein Vater gegen das Gesetz der Krieger verstoßen hatte, behandelten sie ihn noch immer wie vorher. Nur meinen Bruder und mich wollten sie anfangs nicht bei sich haben. Wir hatten es Mondstern zu verdanken, die zwischen dem ErdClan und dem FeuerClan vermittelt hatte, dass man uns überhaupt diese Wahl ließ. Als wir sechs Monde alt waren und zu Schülern ernannt werden sollten, fragten uns Falkenstern und Wildstern ganz privat, für welchen Clan wir uns entscheiden wollten. Ich wusste, dass mein Bruder und ich uns für verschiedene Clans entscheiden würden, was mir das Herz brach, aber ich spürte, dass ich in den FeuerClan gehörte. Grauwolke hingegen teilte die gelassene, humorvolle Art des ErdClans. Also ging ich mit Wildstern und Grauwolke blieb bei Falkenstern. Als ich den FeuerClan erreichte, erfuhr ich, dass mein Vater sich schon am Morgen von seinem Clan verabschiedet hatte. Er und meine Mutter waren bereits in die Wildnis fortgegangen. Anfangs hatte der FeuerClan sehr viele Zweifel, ob ich überhaupt loyal sein konnte, wenn ich in zwei Clans aufgewachsen war. Es war eine harte Zeit für mich, doch am Ende erarbeitete ich mir den vollen Respekt von Wildstern und dem Rest des Clans. Wenn ich dich anblicke, Sturmherz, sehe ich sehr viel von mir selbst in dir. Ich weiß, wie schwer du es auch heute noch hast, obwohl du dem FeuerClan bereits sehr deutlich deine Loyalität bewiesen hast. Vergiss bitte nicht, dass ich hinter dir und meiner Entscheidung, dich in den Clan aufzunehmen, stehe.“

Sturmherz hatte in Ruhe zugehört und fühlte sich davon geehrt, dass Schwarzstern seine Lebensgeschichte mit ihm teilte. Der Anführer sprach so gut wie nie über sich selbst und seine Vergangenheit. Sturmherz wollte nicht unverschämt sein, doch seine Neugier war größer und deshalb fragte er nach: „Vielen Dank, Schwarzstern. Ich … ich habe gehört, dass du Grauwolke im Kampf töten musstest? War wirklich erst dieses Opfer notwendig, dass dich alle im FeuerClan akzeptiert haben?“

Traurigkeit legte sich über Schwarzsterns Gesicht. „Ich bedaure bis heute zutiefst, was ich getan habe. In dieser Blattleere gerieten der ErdClan und der FeuerClan aneinander, weil unsere Beute immer wieder von einem Territorium ins andere wechselte. Die Clans litten Hunger und jeder wollte die Beute für sich beanspruchen. Als es zum Kampf kam, ging es um Leben und Tod – Jagen oder Verhungern. Ich wollte meinen ehemaligen Freunden und vor allem meinem Bruder keine Verletzungen zufügen, aber mein Clan brauchte meine Kampfkraft, um sein Überleben zu sichern. Die Krieger im ErdClan waren größer und stärker als die meisten im FeuerClan und wir waren vom Hunger geschwächt. Grauwolke und ich vermieden es den ganzen Kampf über uns gegenüber zu treten, doch als es nicht anders ging, eilten ihm auf einmal zwei weitere Krieger zur Hilfe. Ich erkannte, dass sie es auf mich abgesehen hatten. Sie wollten mich ausschalten, um sich den Sieg über den ganzen FeuerClan zu sichern. Mir blieb nichts anderes übrig als mich mit aller Kraft zu wehren – nicht nur um meines Lebens willen, sondern für meinen Clan. Ich hatte nicht beabsichtigt Grauwolke zu töten. Es war ein Unfall. Ich wusste nicht, dass er es war, der mich von hinten ansprang, um mich zurückzuziehen, also packte ich meinen Angreifer, biss so fest zu, wie ich konnte, und wir landeten gemeinsam auf dem zugefrorenen Bach. Durch unseren Aufprall brach das Eis. Am Ende starb er an Unterkühlung und Blutverlust durch die Wunde, die ich ihm zugefügt habe.“

Sturmherz sah den Schmerz in Schwarzsterns Augen funkeln.

„Das brachte mir den Respekt des ganzen FeuerClans ein. Der Kampf endete unentschieden. Jeder zog sich in sein Lager zurück. Wenige Tage später wurde es wärmer, der Schnee taute und die Beutetiere kehrten zurück. Mein Bruder fehlt mir bis heute, aber es ist so, wie es ist. Was es für mich noch schlimmer macht, ist mein Verdacht, dass Grauwolke mich damals nur zurückziehen wollte, um mich von den beiden anderen Angreifern aus dem ErdClan zu trennen. Ich habe mir schreckliche Vorwürfe gemacht, doch wir konnten uns aussprechen, als er mir eines meiner Lebens als Anführer verlieh.“

„Ich … das tut mir sehr leid für dich, Schwarzstern. Ich weiß nicht, was ich sagen soll.“

„Es ist schon in Ordnung, Sturmherz. Jeder hat sein Päckchen zu tragen, besonders wir HalbClan-Katzen und Außenstehende, die in einen Clan aufgenommen werden. Ich liebe den FeuerClan. Er ist mein Zuhause, meine Familie. Mein Sohn Fuchsauge war ein großer Krieger. Meine Enkelin Honigblüte ist die Heilerin unseren Clans. Und Apfelpelz … auch auf ihn bin ich stolz. Er hätte sich zwar nicht mit Wolkentänzer einlassen sollen, aber er steht zu seinem Fehler und nimmt jedes Risiko auf sich, um seinen Jungen ein Zuhause zu ermöglichen. Auch wenn mir nichts anderes übrig bleiben wird, als ihn in die Wildnis zu verbannen, wird Apfelpelz immer einen Platz in meinem Herzen haben. Und ich werde alles dafür tun, dass Mondjunges und Sonnenjunges einen Clan ihr Zuhause nennen können.“ Die Plauderlaune schien zu verebben, denn Schwarzstern streckte sich und sein buschiger Schwanz peitschte in Richtung Ausgang. „Mach einfach weiter wie bisher, Sturmherz. Du und dein Schüler können Fleckennase helfen, wenn ihr möchtet.“

„Das werden wir. Auf Wiedersehen, Schwarzstern.“ Er verneigte sich, was Schwarzstern aber schon gar nicht mehr mitbekam. Sturmherz verließ den Bau des Anführers, blinzelte in den bewölkten Himmel und hoffte, dass er nie in die Lage kommen würde, dem FeuerClan durch so ein großes Opfer seine Loyalität zu beweisen.
 

***
 

Flockenpfote und Fliederpfote kehrten Seite an Seite von der Suchaktion zurück, zu der Honigblüte ihre Schülerin geschickt hatte. Sturmherz konnte erkennen, dass beide unterschiedliche Pflanzen im Maul hielten, aber er wusste weder ihre Namen noch ihre Funktion.

Honigblüte erwartete die beiden bereits und nahm ihnen schweigend das Gesammelte ab. „Ist das alles?“

„Ja, Honigblüte.“ Fliederpfote klang etwas unglücklich. „Es gibt nicht mehr. Wir haben an allen Plätzen gesucht, aber das waren die einzigen Mohnblumen, die es noch gab.“

Die Heilerin schaute zerknirscht zu den roten Blüten. „Das ist gerade genug, um Dachspfote zu versorgen. Wie sollen wir den Clan damit über die Blattleere bringen?“

Fleckennase schaute auf. „Wird das ein Problem werden?“

„Nicht, wenn alle gesund bleiben. Aber das ist jetzt auch egal. Dachspfote ist hier und braucht die Mohnsamen. Die anderen Sachen sind nur für unseren Vorrat, davon brauchen wir im Moment nichts.“

Fleckennase nickte, doch sein Blick war abwesend. Er war die ganze Nacht über nicht von Dachspfotes Seite gewichen, hatte weder geschlafen noch gefressen, bis Honigblüte mit ihm geschimpft hatte. Daraufhin hatte sich Dachspfotes Mentor zwar einige Stunden Schlaf gegönnt, war jedoch sofort zum Heilerbau zurückgekehrt und wachte seither wieder über seine Schülerin.

Sturmherz hatte Schwarzsterns Angebot angenommen und versorgte nun gemeinsam mit Flockenpfote die vier Anwesenden im Heilerbau, wenn sie nicht gerade mit den anderen Kriegern und Schülern auf Patrouille waren.

„Das war soweit alles für den Moment“, sagte Honigblüte. „Ihr beiden könnt uns alleine lassen. Ich lasse nach euch rufen, falls noch etwas sein sollte.“

Sturmherz nickte ihr zu. Bevor er ging, stupste er seinen Freund mit dem Kopf an, um ihn aufzumuntern. „Sie wird bestimmt durchkommen. Dachspfote hat einen starken Willen. Sie ist zu stur, um jetzt zu sterben.“

„Ich hoffe, du hast Recht. Ich könnte es nicht ertragen, sie sterben zu sehen.“ Zum wiederholten Mal seufzte Fleckennase. „Wenn ich doch nur schneller bei euch gewesen wäre.“

„Das hätte nichts geändert und das weißt du auch. Keiner von uns hat die Schlange gesehen. Sie hätte Dachspfote so oder so gebissen.“

Fleckennase schüttelte den Kopf, versank wieder in Selbstmitleid und folgte Honigblüte in den Bau der Heiler.

Zurück blieb Fliederpfote, die wie immer sehr ernst dreinschaute. „Honigblüte sagt, Schwarzstern hat euch zu unserem Schutz abkommandiert. Kann ich euch um etwas bitten?“

„Natürlich, worum geht es?“

Die kleine Heilerschülerin straffte ihre Schultern. „Ich möchte zum ErdClan, um Tigerfuß und Rauchpfote um Mohnsamen zu bitten. Das, was wir heute gesammelt haben, reicht Honigblüte nicht. Ich möchte sie nicht weiter enttäuschen.“

Sturmherz runzelte kurz die Stirn, dann stimmte er zu. Die Heiler hatten auch über die Clangrenzen miteinander Kontakt und gingen jeden Halbmond gemeinsam zur Mondhöhle hinter dem Wasserfall des WasserClans. Wenn Honigblüte Tigerfuß um Hilfe bat, würde er dem FeuerClan sicherlich helfen. „Also gut, aber wir müssen vorher Schwarzstern um Erlaubnis bitten.“

„Das werde ich erledigen.“ Fliederpfote marschierte quer durch das Lager des FeuerClans, erklomm voller Selbstverständlichkeit den Felsen zum Bau des Anführers und verschwand darin, ohne zu zögern.

Sturmherz schaute ihr beeindruckt hinterher. Sie war so klein und zierlich wie ihre Mutter Zimtfeder, aber ihre Ausstrahlung war dieselbe Autorität, die auch Honigblüte umgab.

Wenige Minuten später traten Schwarzstern und Fliederpfote an den Eingang. Er blickte zu Sturmherz, nickte und ging zurück in seinen Bau.

Fliederpfote trat zwischen Flockenpfote und Sturmherz. „Wir können aufbrechen.“

„Dann los.“ Sturmherz ging voran. Je näher sie der Grenze zum ErdClan kamen, desto aufgeregter wurde er. Unter normalen Umständen war es jedem Krieger verboten, die Grenze zu übertreten. Außerdem mussten sie das Protokoll befolgen und den ErdClan erst um Erlaubnis bitten, ihr Territorium durchqueren zu dürfen. Dafür mussten sie eine Grenzpatrouille abpassen.

Als der Bach in Hör- und Sichtweite kam, verlangsamte er seinen Schritt, doch Fliederpfote überholte ihn und steuerte direkt auf einen flachen Teil zu, den man als Übergang nutzen konnte. Dann aber zögerte auch sie, blieb stehen und blickte nervös hin und her. „Ich war noch nie im Gebiet des ErdClans“, sagte sie schließlich. „Was sollen wir tun?“

„Ich gehe vor.“ Das Wasser war kühl, aber nicht so, dass er frieren musste. Nur ein, zwei große Sprünge, ein paar kleine Schritte, dann befand er sich am anderen Ufer und schüttelte sein Fell aus. Fliederpfote und Flockenpfote folgten ihm. Aber was nun? Unsicher schaute er sich umher. „Wir sollten warten“, sagte er und setzte sich. „Irgendwer wird uns finden.“
 

***
 

Mohnfänger summte gut gelaunt vor sich hin, während er neben Sturmherz lief. Dahinter kamen Flockenpfote und Fliederpfote. Den Abschluss bildete Staubblüte, die grimmig guckte und nichts von Mohnfängers Fröhlichkeit teilte. Es hatte eine Weile gedauert, bis die beiden auf die drei Katzen aus dem FeuerClan getroffen waren. Staubblüte hatte sofort Gift und Galle gespuckt, doch Mohnfänger hatte sich in Ruhe angehört, warum sie auf ihrem Gebiet saßen, und sich im Anschluss daran bereit erklärt, sie zu Löwenzahnstern und Tigerfuß zu bringen, damit Honigblüte und am Ende auch Dachspfote geholfen werden konnte.

Je näher sie dem Lager des ErdClans kamen, desto intensiver wurde der würzige, moosige Geruch, der für diesen Clan typisch war. Es konnte nicht mehr weit sein, doch Mohnfänger blieb stehen und grinste Sturmherz an. „Ihr wartet hier, ich werde Löwenzahnstern und Tigerfuß holen. Sie mögen es nicht, wenn Außenstehende unser Lager betreten.“

„Und ich behalte euch im Auge“, knurrte Staubblüte, setzte sich direkt vor Sturmherz und starrte ihn mit ihren intensiv türkisfarbenen Augen an.

Sturmherz seufzte und setzte sich ebenfalls, um zu signalisieren, dass von ihnen keine Gefahr ausging. Dann fiel ihm ein, wie spannungsgeladen das Aufeinandertreffen von Staubblüte und Blaukralle gewesen war, beinahe so, als wäre zwischen ihnen schon einmal etwas vorgefallen. Die Neugierde packte ihn. „Soll ich Rosentau Grüße von dir bestellen?“

Staubblüte verzog ihr Gesicht. „Wieso?“

„Ach, beim letzten Mal, als wir zwei Bekanntschaft miteinander gemacht haben, war Blaukralle dabei. Es schien mir so zu sein, dass du dich mit Rosentau und ihm gut verstehst.“

„Gut verstehen?“ Sie lachte trocken auf. „Gut verstehen, du bist echt witzig.“ Ihr Blick wurde nur noch grimmiger.

Hatte er die ganze Lage etwa falsch gedeutet?

Staubblüte schaute in die Ferne, dann wieder zu Sturmherz und kniff die Augen ein Stück weiter zusammen. „Es wundert mich kein Stück, dass der feine Herr Blaukralle den Schwanz zusammengekniffen hat, als die Klapperschlange aufgetaucht ist. Große Klappe, nichts dahinter. Er ist ein Schauspieler, aber in seinem Inneren ist nichts weiter als heiße Luft.“ Ihre Worte wurden mit so einer Wucht hervorgespuckt, dass jeder merkte, dass etwas vorgefallen sein musste.

Sturmherz wollte taktvoll vorgehen, doch da war Flockenpfote schneller und fragte einfach geradeheraus: „Hat er so etwas schon einmal gemacht? Ich dachte immer, Blaukralle ist ein vorbildlicher Krieger.“

„Oh, natürlich ist er das.“ Staubblüte verzog das Gesicht. „Ich sage dir jetzt mal etwas, Flockenpfote. Traue ihm nicht. Er macht nur leere Versprechungen und ist darauf auf, eines Tages Anführer des FeuerClans zu werden. Wir waren beide Schüler, als ich ihn kennen gelernt habe. Ein talentierter, gut aussehender junger Kater.“ Bei der Erinnerung stahl sich ein leichtes Schnurren in ihre Stimme, das sie sofort unterdrückte. Die Krallen ihrer Vorderpfoten bohrten sich in die Erde hinein. „Wir haben uns gut verstanden.“ Kurze Pause. „Sehr gut sogar. Ich hätte mir gewünscht, jemanden wie ihn als Gefährten an meiner Seite haben zu können und genau dasselbe hat er mir auch erzählt. Aber kaum dass wir beide zu Kriegern ernannt wurden, wollte er nichts mehr von mir wissen und hat mich wie Luft behandelt. Zimtfeder hier, Zimtfeder da. Pah! Ich sage dir, er ist nur mit ihr zusammen, weil sie ihm keine Widerworte gibt, aus dem FeuerClan stammt und sich die Rolle als Krieger und Vater perfekt eignet, um Eindruck bei den anderen zu schinden. Wenn wir die Clans nicht hätten, wäre er niemals zu ihr gegangen. Niemals! Er hätte andere, bessere Gefährtinnen haben können.“

Flockenpfote machte große Augen. „So wie dich?“

Sturmherz hüstelte. „Flockenpfote, bitte. Das reicht jetzt. So etwas fragt man nicht.“

„Aber wieso nicht, sie hat es uns doch erzählt!“

Auch Fliederpfote schaute betreten zur Seite, als hätte sie das ganze Gespräch gar nicht mit angehört.

Staubblüte bleckte die Zähne. „Auf Blaukralle würde ich keinen Rattenschwanz mehr verwetten. Auf den ganzen FeuerClan nicht.“

Sturmherz fragte sich sofort, wie viel zwischen Staubblüte und Blaukralle damals wirklich gewesen war. Es musste Staubblüte das Herz zerrissen haben, denn die Eifersucht gegenüber Zimtfeder und der Zorn gegenüber Blaukralle waren greifbar.

Das Gespräch wurde beendet, als Mohnfänger seinen Anführer, den Heiler des ErdClans und dessen Schüler Rauchpfote im Schlepptau hatte. Zu dritt kamen sie auf die Wartenden zu.

Löwenzahnstern begrüßte sie mit einem offenen, freundlichen Nicken. „Mohnfänger hat mir bereits von Dachspfotes Unfall berichtet. Bitte richte ihr meine Genesungswünsche aus. Es ist immer tragisch, wenn jungen Schülern so etwas geschieht. Tigerfuß hat sich sofort bereiterklärt, euch mit allem, was ihr benötigt, auszuhelfen.“

„Das ist sehr großzügig, vielen Dank. Fliederpfote, du kannst ihnen berichten, was Honigblüte alles fehlt.“

„Nicht nötig“, sagte Tigerfuß sofort mit tiefer Stimme. „Geh direkt mit Rauchpfote. Er wird dir alles geben, was du brauchst.“

Rauchpfote grinste Fliederpfote an. Die beiden kannten sich selbstverständlich von den gemeinsamen Besuchen bei der Mondhöhle. „Hey, Fliederpfote! Es ist schön, dich zu sehen.“ Während er lief, wippte sein schwarzer Schwanz auf und ab.

Fliederpfote folgte ihm. Sie war gerade einmal halb so groß wie Rauchpfote und ging neben ihm unter.

Löwenzahnstern schaute den beiden ebenfalls hinterher, dann wandte er sich wieder an Sturmherz. „Sei so nett und richte Schwarzstern meine besten Grüße aus. Ich hoffe, wir werden bei der nächsten Großen Versammlung mehr Zeit für ein paar private Gespräche haben. Und erinnere ihn doch bitte daran, dass er mir noch immer von unserer letzten Wette eine Maus schuldet.“

„Eine Maus?“

Löwenzahnstern lachte. „Ja, eine Maus. Manchmal wetten wir über dieses und jenes, genau wie in den guten, alten Zeiten. Allerdings drückt er sich wie immer davor, seine Wettschulden zu begleichen.“

Tigerfuß brummte belustigt. „Ihr beide wart schon immer wie Pech und Schwefel und hattet schon als Junge nur Unsinn im Kopf.“

Natürlich, Schwarzstern war im ErdClan aufgewachsen, bis er als Schüler zum FeuerClan ging. Löwenzahnstern und er mussten im selben Alter sein und sich seit der Kindheit kennen. Sturmherz war nicht eher darauf gekommen, aber das machte natürlich Sinn. „Ich werde es ihm ausrichten.“

„Danke. So wie ich das sehe, werde ich hier nicht länger gebraucht. Staubblüte, komm mit, wir gehen wieder.“

Staubblüte erwiderte nichts, drehte den FeuerClan-Katern den Rücken zu und trabte hinter ihrem Anführer her. Auch Tigerfuß verabschiedete sich, wünschte Dachspfote alles Gute und ging ebenfalls.

Schweigend warteten Flockenpfote und Sturmherz, bis Rauchpfote und Fliederpfote zurückkehrten. Fliederpfote trug eine Menge Mohnblumen im Maul, sodass sie nicht sprechen konnte. Mit einem Nicken verabschiedete sie sich von Rauchpfote, der ihr zum Abschied einen freundschaftlichen Kopfstoß verpasste.

Sturmherz ging wieder voran, dicht gefolgt von Fliederpfote und Flockenpfote. Der Besuch beim ErdClan war entspannter verlaufen, als er gedacht hatte. Es war nicht zu übersehen, wie tief die Freundschaft zwischen den beiden Clans verwurzelt war. Löwenzahnstern und Schwarzstern waren gute Freunde, während Staubblüte Blaukralle aus verletztem Stolz zu ihrem persönlichen Feind auserkoren hatte. Fliederpfote tat alles, um Honigblüte nicht zu enttäuschen, und hatte in Rauchpfote ebenfalls einen guten Freund gefunden.

„Fliederpfote, sag, bist du eigentlich gerne die Schülerin von Honigblüte?“

Sie schaute ihn mit vollem Mund fragend an.

„Hast du es dir ausgesucht, eine Heilerin zu werden?“

Daraufhin blieb sie stehen und legte die Mohnblumen behutsam ab. „Nein. Mein erster Traum, an den ich mich erinnern kann, hat mich bereits zum SternenClan geführt. Es ist mir vorherbestimmt, eine Heilerin zu werden, und das weiß Honigblüte ebenfalls. Ich habe nie eine Wahl gehabt, aber das ist in Ordnung für mich. Ich bin mit dieser Bestimmung auf die Welt gekommen. Vermutlich wäre aus mir sowieso nie eine gute Kriegerin geworden.“ Sie nahm die Mohnblumen wieder auf und setzte sich in Bewegung.

Sturmherz konnte nicht anders als ihr nachdenklich hinterherzuschauen. Für Fliederpfote mochte das alles selbstverständlich sein, aber die Unsicherheit in ihrer Stimme hatte er nicht überhört. Vielleicht war Fliederpfote ihr Weg vorherbestimmt, aber das hieß noch lange nicht, dass es ein leichter Weg für sie war. Und wessen Weg war das schon?

„Ich bin froh, dass ich helfen kann“, sagte Rauchpfote mit einem breiten Grinsen.

Zuerst hatte Honigblüte es abgelehnt, Almosen aus dem ErdClan in Form von Materialien anzunehmen, doch nachdem sich Dachspfotes Zustand auch in den folgenden Tagen nicht verbesserte, war sie schlichtweg darauf angewiesen. Seit bald einem halben Mond trafen sich Rauchpfote und Fliederpfoe einmal am Tag am Bach, der die Grenze zwischen dem ErdClan und dem FeuerClan bildete.

Fliederpfote erwiderte das Grinsen mit einem schüchternen Lächeln und ließ ihre Ernsthaftigkeit für die wenigen Minuten dieser Treffen zurück. Sturmherz, der sie heute begleiten sollte, wusste, wie sehr sich Fliederpfote auf die tägliche Ablenkung freute. Aus diesem Grund tat er so, als würde er angeregt die umstehenden Bäume betrachten, und ließ den beiden etwas Zeit.

„Im Moment gibt es bei uns sowieso nicht viel zu tun. Tigerfuß gibt mir viel zu wenige Aufgaben. Er sagt, ich kann alles alleine machen, aber dann bin ich schon mittags mit meiner Routine fertig.“

„Du hast es gut“, seufzte Fliederpfote. „Honigblütes Anweisungen nehmen überhaupt kein Ende. Manchmal weiß ich gar nicht, wo mir der Kopf steht.“

Rauchpfotes riesiger, schwarzgrauer Schwanz wischte über den sandigen Uferboden. „Das tut mir leid. Sie meint es bestimmt nur gut.“

„Ja, natürlich. Aber je länger ich in Ausbildung bei ihr bin, desto strenger wird sie. Am Anfang hat es mir Spaß gemacht, aber jetzt …“

Das war auch für Sturmherz neu. Er wollte nicht lauschen, bekam das Gespräch aber zwangsweise in der ganzen Länge mit. Verstohlen warf er einen Blick zu den beiden. Fliederpfote war nur halb so groß wie der Heilerschüler des ErdClans. Ohne Zweifel würde Rauchpfote dem ErdClan in Sachen Größe alle Ehre machen.

„Du darfst nicht an deiner Bestimmung zweifeln“, sprach Rauchpfote zuversichtlich. „Nimm mich als bestes Beispiel. Als ich zum Kriegerschüler ernannt wurde, wollte ich unbedingt eines Tages Anführer werden. Ich liebte das Jagen und vor allem das Kämpfen. Meine Schwester Lehmpelz und mein Bruder Dornenpfote hatten nicht den Hauch einer Chance gegen mich. Als dann aber Dornenpfote auf einmal durch das Gift und die Fallen der Zweibeiner starb und ich nichts tun konnte, als bei ihm zu bleiben, bis er es zum SternenClan geschafft hatte …“ Für einen Augenblick senkte Rauchpfote traurig den Blick. „Ich wusste einfach, dass ich ein Heiler werden musste, damit so etwas nie wieder passieren kann. Ich habe es tief in meinem Herzen gespürt und Tigerfuß hat mich noch am selben Tag zu seinem Schüler gemacht. Trotz allem vermisse ich das Kriegerdasein und frage mich oft, was aus mir geworden wäre, wenn Dornenpfote noch leben würde. Ich denke, es ist normal, dass wir ins Stolpern kommen, wenn der SternenClan uns einen Weg vorgibt. Am Ende weiß ich jedoch immer, dass aus mir ein guter Heiler wird. Apropos.“ Die Fröhlichkeit kehrte in seine Stimme zurück. „Tigerfuß hat mir verraten, dass ich nicht mehr lange nur sein Schüler sein werde. Er möchte mich noch vor der Blattleere zu einem vollwertigen Heiler ernennen.“

„Das ist großartig, Rauchpfote! Herzlichen Glückwunsch!“

„Danke.“ Der grauschwarze Kater streckte stolz seine Brust raus. „Trotzdem wird er für mich immer mein Mentor bleiben. Er ist so weise und kennt jede einzelne Pflanze im Wald. Ich kann noch viel von ihm lernen.“

„Das stimmt, Tigerfuß ist großartig und ein sehr geduldiger, ruhiger Mentor. Honigblüte war auch so, bis …“ Fliederpfote seufzte zerknirscht. „Ich weiß auch nicht, was mit ihr los ist. Sie benimmt sich in der letzten Zeit sehr merkwürdig. Wenn sie sich nicht gerade um Dachspfote kümmert, kommandiert sie mich herum und ich kann ihr überhaupt nichts mehr recht machen. Selbst Schwarzstern fährt sie über den Mund, wenn er zu uns kommt, um sich nach Dachspfote zu erkundigen.“

Auch das war Sturmherz neu. Dass Honigblüte in letzter Zeit sehr gereizt war, war vermutlich jedem im Clan aufgefallen, aber dass sie selbst Schwarzstern gegenüber unhöflich wurde, hätte er nicht gedacht. Was war nur mit ihr los?

In der Entfernung knackte das Unterholz und kündigte die Grenzpatrouille an. Sofort drehte er sich zu den beiden Heilerschülern um und sagte betont deutlich: „Vielen Dank für deine heutige Hilfe, Rauchpfote. Es tut mir leid, dass wir dich so lange aufgehalten haben. Richte Tigerfuß die besten Grüße aus.“

Rauchpfote verstand sofort, stand auf und nickte Sturmherz zu. „Wir werden bei dem morgigen Treffen in der Mondhöhle für Dachspfote beten. Auf dass der SternenClan ihr gnädig ist und ihr die Kraft gibt, zu ihrem Clan zurückzufinden.“

„Danke.“

Schnell verabschiedeten sich die beiden voneinander, indem sie ihre Nasen flüchtig aneinander stupsten. Dann sprang Rauchpfote durch den Bach zurück in das Territorium des ErdClans und war wenige Sekunden später verschwunden.

Zeitgleich tauchten Blaukralle, Nebelpfote, Rindentänzer und Frostpfote auf. Als Blaukralle seine Tochter erblickte, nickte er ihr wohlwollend zu. „Hast du alles bekommen, was du brauchst?“

„Ja, das habe ich. Tigerfuß und Rauchpfote sind dem FeuerClan gegenüber sehr hilfsbereit.“

„Das freut mich zu hören.“ Seine Ohren zuckten leicht. „Wird es Dachspfote damit bald besser gehen?“

„Honigblüte kann noch keine Prognose geben. Dachspfotes Fieber hält noch immer an. Sie frisst und trinkt kaum und wenn sie schläft, hat sie Alpträume. Nur der SternenClan weiß, ob sie es schaffen wird.“

Blaukralle sah aus, als würde er noch etwas sagen wollen, schwieg dann jedoch.

Stattdessen ergriff Rindentänzer mit seiner tiefen, brummenden Stimme das Wort. „Es wäre schade, eine zukünftige Kriegerin zu verlieren. Die Schüler sind die Zukunft eines jeden Clans.“

Frostpfote neben ihm stimmte seinem Mentor brummend zu. Die beiden ergänzten sich in ihrem Schweigen perfekt.

Auch Sturmherz konnte sich einen Kommentar nicht verkneifen. „Da hast du absolut Recht, Rindentänzer. Jeder Schüler steht für die Zukunft des Clans und wenn auch nur einem von ihnen etwas zustößt, ist das eine Tragödie.“

Blaukralles Schwanzansatz stellte sich minimal auf, doch der blaue Krieger schwieg noch immer.

Sturmherz nickte Fliederpfote zu und setzte sich mit ihr gemeinsam in Bewegung, um zurück zum Lager des FeuerClans zu gehen. Es war alles gesagt und wenn er Blaukralles Verhalten richtig deutete, empfand sein Widersacher tatsächlich so etwas wie ein schlechtes Gewissen.
 

***
 

Honigblüte sah noch besorgter und zerknirschter aus als sonst, als sie zusammen mit Fliederpfote von der Mondhöhle hinter dem Wasserfall zurückkehrte. Es war noch immer dunkle Nacht, der Mond versteckte sich hinter den Wolken. Es war kein Halbmond, aber Honigblüte hatte die Mondhöhle aufgesucht, weil die Große Versammlung bevorstand und sie sich über Dachspfotes Zustand vergewissern wollte. Sie tigerte unruhig durch das Lager und versuchte sich damit zu beruhigen, doch Sturmherz wurde davon geweckt, weil er direkt am Eingang des Kriegerbaus geschlafen hatte. Mit schläfrigen Augen blinzelte er in die Dunkelheit hinaus.

Wie ein rostbrauner Schatten näherte sich Haselschweif, der wie so oft eine schlaflose Nacht verbrachte. „Honigblüte, ist alles in Ordnung?“

Sie zuckte zusammen, entspannte sich aber leicht, als sie merkte, wer auf einmal neben ihr stand. „Ach, Haselschweif, es ist manchmal sehr schwer für mich, eine Heilerin zu sein.“

Die beiden sprachen leise, aber da es ansonsten mucksmäuschenstill war, konnte Sturmherz jedes Wort verstehen. Um ihn herum ertönte nur das leise, gleichmäßige Atmen der anderen Krieger, das von ruhigem Schnarchen aus dem angrenzenden Bau der Schüler untermalt wurde.

„Was ist passiert? Hat der SternenClan eine neue Botschaft gesendet?“

Sie seufzte resigniert. „Nein, das ist es nicht, aber … ach, es ist nicht von Bedeutung.“

„Natürlich ist es das“, beharrte Haselschweif und trat noch einen Schritt näher, sodass sich ihre Körper leicht berühren konnten. „Alles ist von Bedeutung, wenn es dich besorgt.“

Honigblüte hob den Kopf und die beiden schauten sich eine lange Zeit einfach nur tief in die Augen, bis sie den Blick wieder löste. „Du bist immer für mich da, wenn ich jemanden zum Reden brauche. Schwarzstern hätte sich keinen besseren Zweiten Anführer aussuchen können als dich.“

„Und du bist immer da, wenn dein Clan dich braucht. Der SternenClan hätte ebenfalls nicht besser wählen können.“

„Doch, das hätte er.“ In ihre Stimme mischte sich ein unterschwelliges Grollen. „Es ist nicht fair, tief im Herzen hin und her gerissen zu sein. Ich verstehe nicht, warum der SternenClan mich damit quält.“

Haselschweif musste schlucken. „Womit quält?“

„Mit meinen Gefühlen, Haselschweif. Mit meinen Gefühlen.“

Erneut saßen sie eine Weile schweigend nebeneinander. Zaghaft bewegte Haselschweif seinen buschigen Schwanz in ihre Nähe, streichelte leicht wie eine Feder über ihren Körper. Sie erwiderte die zaghafte Berührung, indem sich ihr eigener, getigerter Schwanz in seinen schmiegte. Es bedarf keiner Worte, um diese sehnsüchtige Geste zu vertiefen.

Sturmherz schaute betreten weg. Er hatte das Gefühl, etwas mitzubekommen, was ihm nicht zustand. Das war etwas, was nur Haselschweif und Honigblüte anging. Krampfhaft versuchte er einzuschlafen, doch sobald die beiden wieder miteinander redeten, war er hellwach.

„Ich habe mit Federwind gesprochen“, sagte Honigblüte und wechselte damit das Thema. „Dachspfotes Geist ist verwirrt und hat sich bereits von ihrem Körper entfernt. Sie irrt umher und weiß nicht, wo sie hingehört. Nebelpfotes geschwisterlicher Verrat hat sie erschüttert. Ich glaube nicht, dass sie ihm sein Verhalten jemals verzeihen kann. Der SternenClan möchte sie noch nicht zu sich rufen, aber ihnen wird nichts anderes übrig bleiben, sollte sie sich noch weiter von uns entfernen.“

„Und was können wir dagegen tun?“

„Wir? Nichts, befürchte ich. Das muss Dachspfote alleine schaffen. Sie weiß, dass Fleckennase hier unten über sie wacht und immer an ihrer Seite ist, aber sie sehnt sich auch nach ihren Eltern, die sie nie kennen lernen konnte. Ich bin mir sicher, wenn Blaufell und Kieselpelz könnten, würden sie ihr das Fell über die Ohren ziehen und sie zurück zu uns schleifen.“

„Ja, das würden sie“, stimmte Haselschweif ihr zu.

Honigblüte lehnte ihren Kopf an seine Halsbeuge. „Federwind hat auch über andere Dinge mit mir geredet. Dinge, die ich noch für mich behalten muss.“

„Dinge, die dich schwer belasten, nicht wahr?“

„Ja.“

„Es tut mir leid, dass ich dir keine größere Hilfe sein kann. Du weißt … ich würde alles für dich tun.“

„Du tust genug, mehr verlange ich nicht. Das steht mir nicht zu.“

„Wenn die Situation eine andere wäre …“

„Vielleicht.“ Sie schien zu wissen, worauf er anspielte, auch wenn Sturmherz es nicht so ganz verstand. „Nein, nicht nur vielleicht. Ganz bestimmt.“

Auch Haselschweif seufzte. „Morgen ist die Große Versammlung. Schwarzstern wird nicht davon abweichen, dass er Mondjunges und Sonnenjunges im FeuerClan aufnimmt. Silberstern hat uns schon beim letzten Mal mit einer Auseinandersetzung gedroht.“

„Ein Krieg so kurz vor der Blattleere sieht ihr ähnlich“, knurrte Honigblüte. „Leider bezieht der SternenClan bislang keine Position in dieser Sache, sonst könnten wir die ganze Diskussion abkürzen. Wir können nur hoffen, dass Silberstern von selbst zur Vernunft kommt.“

Haselschweif nickte. „Auch wenn ich dies bezweifle. Dornenstachel lechzt danach, uns zu bekriegen.“

„Dornenstachel ist ein Idiot“, sagte Honigblüte und nahm wie so oft in solchen Dingen kein Blatt vor den Mund. „Hat Schwarzstern eine Entscheidung über Blaukralles Anliegen getroffen?“

„Ja. Eigentlich wollte er Nebelpfote noch morgen vor der Versammlung zum Krieger ernennen, doch er ist noch immer zornig darüber, dass Nebelpfote Dachspfote nicht aufgehalten hat. Hätte er eingegriffen, wäre sie jetzt nicht so schwer verletzt. Er wird Blaukralles Anliegen vorerst ablehnen.“

„Das ist gut. Federwind war auch der Ansicht, dass Nebelpfote noch einen halben oder ganzen Mond länger warten kann.“

Sturmherz schluckte. Blaukralle hatte niemandem davon erzählt, dass er die Kriegerprüfung für Nebelpfote beantragt hatte. Zweifelsohne war Nebelpfote ein guter Kämpfer und ein brillanter Jäger, er hätte die Prüfung sicherlich bestanden. Auch Schattenpfote und Frostpfote waren in ihrer Ausbildung fortgeschritten. Dachspfote schied im Moment aus und Flockenpfote, sein eigener Schüler, dümpelte bei den Grundlagen herum. Aber lieber gab er Flockenpfote mehr Zeit, als ihn unter Druck zu setzen. Schneeflügel hatte ihm ihren Sohn anvertraut und das wollte er nicht enttäuschen. Flockenpfote mochte zwar ein langsamer Lerner sein, aber irgendwann würde er auch ein Krieger werden.

Vom Bau der Heiler ertönte ein Rascheln. Fliederpfote räusperte sich. „Dachspfote ist wach. Ich glaube, ihre Schmerzen sind nicht mehr ganz so stark.“

Honigblüte und Haselschweif zuckten wie vom Blitz getroffen zusammen. „Du glaubst es nur? Das musst du doch merken“, konterte Honigblüte sogleich. Sie warf Haselschweif noch einen letzten, sehnsüchtigen Blick zu, dann stapfte sie zu ihrem Heilerbau und verschwand darin.

Haselschweif schaute der getigerten, goldfarbenen Katze hinterher, ließ dann den Schwanz hängen und trottete zurück zum Eingang des Lagers, um dort seinen Gedanken nachzuhängen.
 

***
 

Seit etwa zweieinhalb Monden war Nebelpfote nun schon ein Schüler. Blaukralle saß neben dem Frischbeutehaufen und malträtierte sein Essen, nachdem er erfahren hatte, dass Schwarzstern die Kriegerprüfung für Nebelpfote abgelehnt hatte. Nicht einmal Rosentau wagte es, ihren Sohn anzusprechen, also ließen ihn alle in Ruhe.

Passend dazu hatten sich die Temperaturen im Laufe des Tages so stark abgekühlt, dass die Blattleere sie mit voller Wucht erreichte. Gegen Abend zog sich Frost über den Boden und tauchte Blätter und Moos in ein hauchzartes, weißes Gewand. In den nächsten Tagen würde es garantiert anfangen zu schneien, aber für Dezember konnte man auch nichts anderes erwarten. Es war ohnehin verwunderlich genug, dass sich der Blattfall mit seinen relativ milden Temperaturen noch so lange gezogen hatte.

Schwarzstern strafte Blaukralle damit, dass er ihn und seinen Schüler ignorierte, während Honigblüte unruhig durch das Lager lief und einen seichten Hoffnungsschimmer verbreitete. Dachspfotes Fieber sank und auch ihre Schmerzen wurden weniger, was vor allem bei Fleckennase für Erleichterung sorgte. Die letzten zwei Wochen war er Tag und Nacht bei seiner verletzten Schülerin gewesen und hatte in der Zeit abgenommen, was für den bevorstehenden Schneefall nicht wirklich optimal war.

„Es ist gut, dass Nebelpfote nicht bevorzugt wird“, meinte Milchkralle und musterte Blaukralle aus der Entfernung. „Wenn Schwarzstern noch einen Mond wartet, könnte Nebelpfote die Prüfung sicherlich zusammen mit Frostpfote machen.“

„Wie weit schätzt du Schattenpfote ein?“

Bei seiner Frage suchte Milchkralle ihren Schüler und erblickte ihn etwas abseits vor dem Bau der Schüler, wo er hin und her flitzte. „Ich kriege ihn einfach nicht müde. Seine Energie ist grenzenlos. Zwar ist er sehr schnell und weicht vielen Treffern im Kampf aus, aber ihm fehlt noch die Geduld zur Jagd. Ich möchte lieber noch abwarten, wie er sich in der Blattleere schlägt, wenn die Beute nicht mehr im Überfluss vorhanden ist. Wie läuft es bei dir und Flockenpfote?“

Sturmherz kratzte sich mit dem Hinterlauf am Kinn. „Na ja. Er ist langsam, aber ihm macht die Ausbildung Spaß. Er versteht viele Dinge erst, wenn ich sie ihm mehrfach erkläre. Ich werde noch mindestens zwei Monde brauchen, schätze ich. Wenn Dachspfote wieder fit ist, kann er mit ihr trainieren.“

„Du meinst, weil sie so weit in ihrem Training zurückgefallen ist?“ Milchkralle sah ihn skeptisch von der Seite her an.

„Nein, so meine ich das nicht. Er lernt besser, wenn er die anderen Schüler um sich rum hat, weil er sich dann nicht ausgeschlossen fühlt.“

„Ah, ich verstehe.“

Sturmherz schluckte den letzten Bissen von seinem Eichhörnchen herunter. „Ich würde zu gerne mit zur Großen Versammlung kommen. Du musst mir unbedingt jedes Detail erzählen, wenn du wieder da bist.“

„Silberstern wird sich bestimmt wieder daneben benehmen.“

„Sag das mal dem WasserClan.“

Sie schwiegen noch eine Weile nebeneinander, bis es Zeit wurde, dass die ausgewählten Krieger mit zur Versammlung kamen. Schwarzstern und Haselschweif formierten sich an der Spitze, dahinter folgten Milchkralle und Schattenpfote, Eisbart, Rosentau, Blaukralle und Nebelpfote.

Sturmherz sah ihnen dabei zu, wie sie das Lager verließen. Er wäre wirklich zu gerne mitgekommen, doch Schwarzstern hatte dieses Mal Milchkralle den Vortritt gelassen. Vielleicht wollte er aber auch nur, dass Silberstern durch Sturmherz‘ Anwesenheit nicht noch weiter provoziert wurde. So oder so konnte er die Entscheidung seines Anführers nicht ändern und ihm blieb nichts anderes übrig, als im Lager mit den anderen zu warten.

Herbstwolke machte sich bereits auf den Weg zu den beiden Ältesten, mit denen sie häufig zusammen saß und tratschte. Es war ihre Art, sich von den Sorgen ihres Sohnes abzulenken. Gemeinsam mit Falkenherz und Schneeflügel setzte sie sich in das weiche Moosnest und begann über dieses und jenes zu reden.

Honigblüte saß gähnend vor ihrem eigenen Bau. Sie sah müde und erschöpft aus, aber zufrieden. Da es Dachspfote allmählich besser ging, waren auch ihre Nächte entspannter. Fliederpfote hatte sich hinter ihr eingerollt und döste.

Apfelpelz und Wolkentänzer saßen Seite an Seite am Rand des Lagers, die buschigen Schwänze eng miteinander verschlungen. Sie tauschten kleine Zärtlichkeiten aus, indem sie sich gegenseitig das Fell putzten.

Fleckennase trabte mit vor Erschöpfung hängenden Schultern zu Sturmherz, setzte sich neben ihn und suchte sich ein großes Stück aus dem Frischbeutehaufen heraus. „Ich weiß gar nicht, wo mir der Kopf steht. Ich habe Hunger, aber keinen Appetit.“

„Du musst etwas essen. Schau dich doch nur an. Wenn du noch mehr abmagerst, behält Honigblüte dich gleich da.“

„Ja, ja. Ich weiß.“ Der schwarzweiße Kater kaute auf einer fetten Maus herum. „Die letzten zwei Wochen waren hart für uns alle.“

„Für dich besonders. Kein Mentor möchte seinen Schüler so leiden sehen.“

„Hm.“ Je mehr er fraß, desto wacher wurde sein Blick. Am Ende sah Fleckennase wieder aus wie er selbst und blickte etwas entspannter drein. „Ich danke dir für deine Hilfe in der letzten Zeit. Du hast so viel für Honigblüte und Fliederpfote getan und damit am Ende Dachspfote geholfen.“

„Das hätte jeder getan. Außerdem bist du mein bester Freund und ich lasse dich nicht hängen.“ Er knuffte ihm gegen die Seite, woraufhin Fleckennase endlich wieder lächelte, wenn auch nur schwach. „Es geht bergauf mit ihr. In ein paar Tagen hat Dachspfote es bestimmt überstanden und kann bald wieder mit dem Training anfangen.“

„Das hoffe ich. Ich vermisse sie, auch wenn sie mich nie wirklich respektiert hat.“

„Das ändert sich bestimmt, immerhin hast du ihr Leben gerettet. Mutiger hätte man nicht handeln können.“

„Meinst du, ich habe sie beeindrucken können?“ Irgendetwas leuchtete in Fleckennases Augen auf.

„Bestimmt“, beruhigte Sturmherz seinen Freund und war froh, als Fleckennase sich mit dieser Antwort zufrieden gab.
 

***
 

Die Zeit zog sich schier endlos dahin, bis sich der Trupp von der Großen Versammlung ankündigte. Sofort war Sturmherz auf den Beinen, ebenso wie alle anderen im Clan. Sogar Zimtfeder schaute vom Bau der Königinnen herüber, hinter ihr Bienenjunges und Fuchsjunges, die verschlafen blinzelten.

Die ernsten Gesichter ließen nichts Gutes vermuten. Augenblicklich stellte sich Sturmherz‘ Fell ein wenig auf und sein Herz begann schneller zu schlagen. Es war etwas geschehen.

Schwarzstern blieb in der Mitte des Lagers stehen. „Ich fordere alle Katzen, die alt genug sind, um selbst Beute zu machen, dazu auf, sich hier zu einem Clan-Treffen zu versammeln.“ Er musste nicht lange warten, bis sich alle in einem Halbkreis um ihn versammelt hatten.

Herbstwolke wippte nervös auf und ab. „Was ist passiert? Sagt uns doch, was los ist!“

Haselschweif brachte sie mit einem einzigen Blick zum Schweigen.

Schwarzstern räusperte sich. „Ich bringe euch keine guten Neuigkeiten von der Großen Versammlung mit. Wacholderstern hat darüber geklagt, dass der See im LuftClan-Territorium immer weniger Wasser führt. Die Beutetiere wandern ab und der LuftClan leidet sehr großen Hunger. Wacholderstern hat die Zweibeiner dafür verantwortlich gemacht, die in der Blattfrische rund um den Heiligen Berg auftauchten. Sein Clan kann sich nicht mehr selbst ernähren und ist aus diesem Grund ein Bündnis mit dem WasserClan eingegangen.“

Ein erstes Raunen ging durch den Clan. Es bedeutete nie etwas Gutes, wenn sich zwei Clans so offensichtlich verbündeten.

„Aber das ist nicht alles“, fuhr Schwarzstern fort. „Silberstern fordert nach wie vor die Verbannung von Mondjunges und Sonnenjunges. Dem habe ich widersprochen.“ Sein Blick fiel auf Apfelpelz und Wolkentänzer, die eng beieinander saßen. „Ich stehe zu meinem Wort. Eure Jungen tragen zur Hälfte das Blut des FeuerClans in sich, aus diesem Grund werden wir ihnen Schutz gewähren und sie verteidigen. Mit sehr viel Bedauern muss ich euch mitteilen, dass Wacholderstern ihr in dieser Angelegenheit seine volle Unterstützung zugesagt hat.“

„Natürlich hat er das, er ist jetzt von ihr abhängig“, schnarrte Falkenherz ungehalten. Ihr orangerotes Fell plusterte sich auf. „Er wird alles tun, was sie von ihm verlangt.“

„Was für Konsequenzen wird das für den FeuerClan haben?“, fragte Schneeflügel besorgt in die Runde.

„Konsequenzen?“, fiepte Herbstwolke.

Keine zwei Sekunden später redeten alle wild durcheinander und die Schüler schauten sich besorgt an.

Blaukralle knurrte ungehalten, Eisbart schaute finster durch die Gegend. Haselschweif hatte Mühe, alle zu beruhigen, sodass wieder Ruhe einkehrte.

Schwarzstern räusperte sich erneut. „Silberstern hat klargestellt, dass wir ihrer Forderung nach der Verbannung von Mondjunges und Sonnenjunges nicht nachgekommen sind. Aus diesem Grund verlangt sie, dass wir als Strafe für das Brechen des Gesetzes der Krieger einen Teil unseres Territoriums als Entschädigung an den WasserClan abtreten.“

Wieder brandeten wütende Rufe auf.

„Das kann sie nicht ernst meinen! Wir haben nichts Falsches getan!“, beschwerte sich Fleckennase lautstark.

Milchkralle stimmte ihm mit einem bitteren Nicken zu. „Silberstern kann uns nicht dazu zwingen!“

„Ruhe!“ Schwarzsterns Stimme ließ alle verstummen. „Auch Wacholderstern verlangt eine Erweiterung des Territoriums des LuftClans in Richtung ErdClan, um eine Anbindung an den Bach zu erhalten, der uns andere drei Clans mit Wasser versorgt. Wacholderstern sagt, die Zweibeiner haben seinen See vergiftet und unter dieser Voraussetzung wäre es angebracht, die Grenzen neu zu verhandeln. Er hat sich mit Silberstern abgesprochen. Sie stehen auf einer Seite. Löwenzahnstern lehnt dies selbstverständlich ab.“ Der Anführer des FeuerClans atmete tief durch. „Ich werde euch nicht länger auf die Folter spannen und die Dinge sagen, wie sie sind. Ich werde mich morgen mit Löwenzahnstern treffen, um unsererseits über ein Bündnis zu verhandeln.“

Das konnte nur eins bedeuten. Der Clan hielt die Luft an.

„Der WasserClan hat uns den Krieg erklärt.“

Keiner sagte etwas. Der Schock stand allen ins Gesicht geschrieben. Apfelpelz und Wolkentänzer rückten noch enger zusammen, während Zimtfeder besorgt ihre beiden Jungen zu sich zog. Ein Krieg in der Blattleere, die ohnehin eine harte Zeit war, würde an den Nerven und Kräften aller zehren.

Wieder ergriff Schwarzstern das Wort. „Es tut mir leid, dass ich euch keine positiveren Nachrichten überbringen kann. Ich bin mir sicher, dass der SternenClan das Verhalten von Silberstern und Wacholderstern nicht gutheißen kann. Honigblüte wird sich so bald wie möglich mit dem SternenClan in Verbindung setzen.“

„Vorausgesetzt, sie lassen mich überhaupt zur Mondhöhle reisen“, sagte sie säuerlich.

Einige sahen sie entsetzt an.

„Das müssen sie! Niemand darf den Heilern und Anführern verbieten, zur Mondhöhle zu reisen!“ In Falkenherz‘ Augen loderte der Kampfgeist auf.

Schwarzstern hob die Pfote. „Unter den gegebenen Voraussetzungen habe ich eine Entscheidung getroffen.“ Wieder wurden alle still. „Auch wenn ich mich heute Morgen noch anders geäußert habe, möchte ich unter diesen besonderen Umständen verkünden, dass Nebelpfote hiermit seine Ausbildung zum Krieger beendet hat.“

Das kam für alle überraschend, selbst für Blaukralle, der verwirrt blinzelte, sich dann jedoch kerzengerade hinsetzte. Nebelpfote, der neben ihm saß, wirkte ebenso verwirrt.

„Sowohl Haselschweif als auch ich haben genug von Blaukralles Training gesehen, um die offizielle Kriegerprüfung als überflüssig anzusehen.“ Nun schaute er direkt zu Blaukralle. „Blaukralle, bist du davon überzeugt, dass dein Schüler dazu bereit ist, ein Krieger zu werden?“

„Ja, er ist bereit“, sprach Blaukralle mit fester, selbstbewusster Stimme. Während er sprach, reckte er sein Kinn voller Stolz in die Höhe. Auch Rosentau sah aus, als würde sie vor Stolz platzen.

„Ich, Schwarzstern, Anführer des FeuerClans, rufe meine Kriegerahnen an und bitte sie, auf diesen Schüler herabzublicken. Er hat hart trainiert, um euren edlen Gesetzen gehorchen zu können, und ich empfehle ihn euch nun als Krieger.“ Er machte eine kurze Pause. „Nebelpfote, versprichst du, das Gesetz der Krieger einzuhalten und den Clan zu beschützen und zu verteidigen, selbst mit deinem Leben?“

Nebelpfotes Augen leuchteten. „Ich verspreche es.“

„Dann gebe ich dir, mit der Kraft des SternenClans, deinen Kriegernamen. Nebelpfote, von diesem Augenblick an wirst du Nebelstreif heißen. Der SternenClan ehrt deine Entschlossenheit und deinen Eifer und wir heißen dich als vollwertigen Krieger im FeuerClan willkommen.“

Nebelstreif trat vor, damit Schwarzstern seine Schnauze für einen Moment auf seinen Kopf legen konnte. Dann leckte er Schwarzstern in einer Geste des Respekts über die Schulter.

„Nebelstreif! Nebelstreif! Nebelstreif!“, rief der ganze Clan freudig aus, gratulierte Blaukralle und seinem ehemaligen Schüler, auch wenn es unschöne Umstände waren, die zu Nebelstreifs Ernennung zum Krieger führten.

Auch Sturmherz gratulierte den beiden, fair wie er war, zu der abgeschlossenen Ausbildung.

Nur Fleckennase wirkte unschlüssig, wie er sich verhalten sollte.

Sturmherz konnte es ihm nicht verübeln. Es musste schwer für Dachspfote sein, den Verrat durch ihren Bruder zu verarbeiten, dann den Schlangenbiss zu überstehen, nur um zu erfahren, dass ihr Bruder bereits ein Krieger war, wenn sie ihr Training wieder aufnahm. Er schaute herüber zum Bau der Heilerin, erstarrte jedoch.

Dachspfote stand auf wackeligen Beinen am Eingang, schaute herüber zu ihrem Bruder und dem restlichen Clan. Ihr Blick war voller Schmerz, verletztem Stolz und Traurigkeit. So schnell, wie sie gekommen war, drehte sie sich auch wieder um und verschwand.

Sturmherz kam es vor wie ein kurzes Blinzeln seinerseits. Erst war Dachspfote da, dann wieder weg. Er war sich nicht einmal sicher, ob er sie wirklich gesehen hatte.

Niemand wusste, wie es jetzt weitergehen sollte. Haselschweif und Schwarzstern waren nur noch zu zweit anzutreffen, tuschelten miteinander und sahen dabei unendlich müde aus. Die Patrouillen an der Grenze zum WasserClan waren erwartungsgemäß verstärkt worden, weshalb jeder Krieger nun einem strengen Zeitplan zu folgen hatte. Morgenpatrouille, Jagd, Mittagspatrouille, Ausbildung der Schüler oder Kampftraining, Abendpatrouille, Nachtpatrouille. Und am nächsten Tag wieder von vorne.

Sturmherz gähnte und lag träge auf einem umgestürzten Baumstamm. Neben ihm saß Milchkralle kerzengerade und überwachte mit Adleraugen den Probekampf von Schattenpfote und Flockenpfote. Hin und wieder korrigierte sie die beiden Schüler oder warf Sturmherz einen bösen Blick zu, doch ihm war das egal. Er hatte die halbe Nacht auf den Pfoten verbracht und nun fielen ihm die Augen einfach zu.

Irgendwo im Hintergrund das gleichmäßige Trappeln der Pfoten auf dem sandigen Untergrund nahe des Ufers. Weit entfernt die Stimmen der anderen. Das Rauschen des Bachs. Das Rascheln der Blätter. Das alles trug ihn fort vom FeuerClan, bis er in eine blaugraue Umgebung eintauchte. Silbrige Bäume wuchsen in Sekundenschnelle aus dem Boden und ragten über ihm auf wie lautlose Giganten.

Er schaute sich um, sprang von seinem Baumstamm herunter und folgte dem Weg zurück zum Lager. Alles war wie immer, nur anders. Der Weg hätte weiter sein müssen, doch plötzlich lag der Hang, der hinab zum Lager führte, schon vor ihm. Noch drei Schritte mehr und so leicht wie eine Feder war er hinab geschwebt, direkt durch das Gestrüpp hindurch. Nun stand er mitten im Lager des FeuerClans, blinzelte und sah zum Heilerbau. Wie magisch zog es ihn darauf zu. Ein einziger Schritt genügte und er stand vor dem Bau.

Vor ihm lag ein Körper, zusammengerollt und verletzlich, schwarz und weiß und von einem dunklen, schattigen Schleier umhüllt. Dennoch sah er das gleichmäßige Pulsieren des Herzschlags, der die Schatten erzittern ließ.

Er trat zurück. Sturmherz wusste, wer das war, aber er wusste nicht, wieso er ausgerechnet von Dachspfote träumte. Und wo waren die Heiler? Wieso waren sie alleine?

Er kehrte zur Mitte des Lagers zurück, setzte sich hin und blickte ratlos in den Himmel empor, der kein Himmel war, sondern tiefblaue, unendliche Weite, übersät vom Sternenvlies.

Der Geruch einer Blumenwiese an einem sonnigen Sommermorgen kitzelte Sturmherz in der Nase und er wusste bereits, dass dieser warme, blumige Geruch zu der Katze gehörte, die ihn schon ein paar Mal in seinen Träumen besucht hatte. Er hörte ihre Schritte zwar nicht, doch als sie in sein Sichtfeld trat, verwunderte es ihn nicht. Höflich nickte er ihr zu.

Sie folgte seinem Blick zu Dachspfote, die in Honigblütes Bau lag. „Du machst dir Sorgen um sie, nicht wahr?“

„Wir alle machen uns Sorgen um sie, besonders Fleckennase. Diese … Schatten, die ihren Körper umhüllen. Wacht sie deshalb nicht auf?“

Die Namenlose bewegte ihren buschigen, hellen Schwanz sacht hin und her. „Teilweise, ja. Sieh dort.“ Mit dem Kopf nickte sie in Richtung des Schülerbaus, dem Sturmherz bislang keine Aufmerksamkeit geschenkt hatte.

Dort saß, ganz unverkennbar, Dachspfote. Ihr Körper war ebenso silbrig wie der seiner Begleiterin. Sie starrte in den Baum hinein, dann erhob sie sich, stapfte mit wütendem Blick quer über das Lager.

„Sie sieht uns nicht?“

„Sie würde uns sehen, wenn sie nicht blind vor Wut wäre. Rede mit ihr, Sturmherz. Vielleicht hört sie auf dich.“

Er zögerte, setzte sich dann jedoch gegenüber von Dachspfote auf den Boden und räusperte sich. „Dachspfote?“

Sie reagierte nicht.

„Dachspfote.“

Eines ihrer Ohren zuckte minimal.

Er seufzte erneut, blickte hilflos zu der silbern leuchtenden Katzendame. „Was soll ich tun?“

Sie lächelte. „Du schaffst das. Ich glaube an dich. Du wirst das Richtige tun. Du wirst immer das Richtige tun.“ Dann verblasste sie und mit ihr verschwand der Geruch der Sommerwiese. Wieso nur hatte sie ihm das Gefühl vermittelt, dass sich ihre Worte, er würde das Richtige tun, nicht nur auf Dachspfote bezogen?

Sturmherz schüttelte sich, dann stand er auf und trat direkt vor die Schülerin. „Dachspfote! Ich weiß nicht, ob du mich nicht hören kannst oder nicht hören willst. Aber ich bin hier, bei dir. Ich bin es, Sturmherz.“ Er pausierte kurz. Ihr Gesicht zeigte keine Reaktion, doch beide Ohren waren nun auf ihn gerichtet. Das war besser als nichts. „Der ganze Clan trauert bereits um dich. Wir alle wünschen uns, dass du wieder wach wirst, auch Nebelstreif. Ja, er ist zum Krieger ernannt worden, aber das heißt nicht, dass er besser ist als du. Du bist du und niemand wird dich jemals ersetzen können! Denk nur an Fleckennase! Jeden Tag sitzt er bei dir, kümmert sich um dich und betet zum SternenClan, dass du endlich aufwachst. Er … er liebt dich, Dachspfote. So sehr, wie ein Mentor seine Schülerin nur lieben kann.“ Und vielleicht auch noch weit darüber hinaus.

Ihre Ohren zuckten, ihr Körper begann zu zittern und ihr Blick klarte auf. Sie blinzelte, schien überrascht, ihn hier zu sehen. „Sturmherz? Wieso …“

Er nutzte den Augenblick und deutete mit seinem Schwanz auf ihren eingerollten Körper im Heilerbau. „Das dort drüben bist du. Lange wird dein Körper es nicht mehr ohne dich schaffen. Bitte, Dachspfote. Kehre zu uns zurück. Komm zurück ins Leben. Der SternenClan wird jeden von uns noch früh genug bekommen. Wenn du beweisen willst, was für eine Kämpferin in dir steckt, dann kämpfe dich zurück ins Leben!“

Sie schluckte, stand auf, trat unentschlossen auf der Stelle. Dann verdunkelten sich ihre Augen wieder und sie sah durch ihn hindurch, doch ihr Blick war weiterhin auf den Heilerbau gerichtet. Ein Schritt. Noch einer.

„Ja, weiter so! Du schaffst das!“ Er feuerte sie an, auch wenn er sich sicher war, dass sie ihn längst nicht mehr hören oder sehen konnte. Dennoch verfolgte er jeden ihrer Schritte, bis sie über ihrem Körper stand.

Das silberne Licht, das sie selbst durchdrang, sprang auf ihren eingerollten Körper über, verjagte die dunklen Schatten und gab für einen Moment den Blick frei auf das reine, schwarzweiße Fell. Sie seufzte, warf einen letzten Blick zurück – wohin, wusste er nicht, doch er sah Schmerz und Sehnsucht in ihren Augen. Dann trat sie vor. Ihre Pfoten durchdrangen ihren Körper, sie legte sich, verschmolz mit sich selbst, Dachspfote zu Dachspfote, dann verblasste auch sie, verschwand, ließ Sturmherz alleine zurück.

Er starrte auf die Stelle, an der Dachspfote verschwunden war. War es das gewesen? Bedeutete dies, dass sie aufgewacht war? Sturmherz wollte Antworten, suchte mit den Augen nach seiner mysteriösen Gefährtin, doch sie blieb ebenfalls verschwunden. Das hier waren keine gewöhnlichen Träume, da war er sich sicher. Es war mehr als das – der SternenClan, wie ihm eine leise, innere Stimme vertrauensvoll zuflüsterte – aber wieso er? Und wer war sie, die ihn immer wieder zu sich rief, die ihm beistand und ihn überhaupt erst zum FeuerClan geführt hatte? Fragen, aber keine Antworten.

Mit einem lauten Krachen zerbrach die Lichtung in tausende leuchtende Scherben, schleuderte ihn in ein schwarzes Loch.

Er fiel.

Sturmherz keuchte auf, als er auf den Boden schlug, riss die Augen auf, verwirrt, geschockt. Sein Herz raste vor Überraschung und Angst.

Milchkralle saß vor ihm und warf ihm einen tadelnden Blick zu, doch der Schalk blitzte gleichzeitig in ihren Augen auf. „Und deshalb, liebe Schüler, sollte man niemals seine Deckung vernachlässigen. Vielen Dank, Sturmherz, dass du uns so hervorragend demonstriert hast, wie sich ein Krieger in Krisenzeiten nicht verhalten sollte.“

Hinter ihr standen Schattenpfote und Flockenpfote und grinsten vor sich hin.

Sturmherz schüttelte sich den Dreck aus dem Fell, stand auf und schnitt eine Grimasse. „Gerne.“

Sie öffnete den Mund, um noch etwas dazu zu sagen, doch in diesem Moment preschte Frostpfote als blaugrauer Blitz aus einem Gebüsch hervor. „Schnell, kommt mit! Fleckennase schickt mich! Dachspfote – sie ist aufgewacht! Sie lebt und es geht ihr gut!“
 

***
 

Der ganze Clan hatte sich rund um den Bau der Heiler und Königinnen versammelt. Honigblüte sah genervt aus und fauchte hier und dort jemanden an, zurückzutreten. „Ja, sie ist wach, aber sie braucht trotzdem weiterhin Ruhe!“, schnarrte sie in Richtung von Herbstwolke, die als Erste einen Blick auf Dachspfote erhaschen wollte.

Herbstwolke verzog empört das Gesicht. „Sie ist die Schülerin meines Sohnes, es ist mein gutes Recht …“

Honigblüte unterbrach sie mit angelegten Ohren. „Niemand hat hier etwas zu verlangen, du schon gar nicht!“ Dann, etwas milder, fügte sie hinzu: „Schwarzstern und Haselschweif sind bei ihr. Geht jetzt wieder an eure Aufgaben. Ihr werdet Dachspfote noch früh genug sehen können.“

Die meisten grummelten vor sich hin, taten jedoch, was die Heilerin ihnen befohlen hatte, und kehrten dem Heilerbau den Rücken zu.

Sturmherz wartete geduldig, bis Honigblüte ihn endlich bemerkte. Sie sah ihn zwar noch immer genervt an, aber ihre Schwanzspitze wippte leicht zur Seite, was bedeutete, dass er reingehen durfte.

Im Inneren des Heilerbaus war es ganz schön eng geworden. Kräuter, Beeren und andere Pflanzenteile stapelten sich in kleinen Kuhlen entlang der Wände, bis der Bau zu einer überraschend geräumigen Höhle wurde. Haselschweif und Schwarzstern verabschiedeten sich gerade von Fliederpfote, Dachspfote und Fleckennase und nickten Sturmherz im Vorbeigehen zu.

„Du bist wach, das freut mich“, sagte Sturmherz und musste sofort an seinen merkwürdigen Traum denken. Vielleicht war er ja doch beim SternenClan gewesen. Konnte sie sich an ihre Zeit dort erinnern?

Dachspfote saß auf ihren Hinterläufen und starrte ihn aus großen, erschöpften Augen an. In der Zeit ihrer Krankheit hatte sie die Hälfte ihres Gewichts verloren und bestand nun nur noch aus Haut und Knochen. Jede einzelne Rippe konnte man durch das matt glänzende Fell sehen. Aber sie lebte, sie war wach, sie war wieder bei ihnen. „Ich sehe schrecklich aus“, waren ihre ersten Worte an Sturmherz, dem es nicht entging, dass Fleckennase sofort neben sie rückte und sie sich gegen ihn lehnte.

„Du siehst immer noch wundervoll aus“, besänftigte Fleckennase sie sofort und leckte ihr über den Kopf. „Ich werde für dich jagen gehen und dir so viel Frischbeute bringen, wie du nur fressen kannst. Bis die Blattleere kommt, bist du wieder ganz die Alte.“

„Na das will ich aber auch meinen, dass du für sie jagen gehst“, kommentierte Honigblüte vom Eingang der Höhle aus und setzte sich neben ihre Patientin. „Sie ist viel zu dünn geworden. Sobald die Temperaturen noch weiter fallen oder es gar anfängt zu schneien, wird sie es nicht schaffen.“ Eine Sekunde verstrich. Noch eine. Und noch eine. Genervt drehte sie den Kopf zu Fleckennase um. „Wir haben bereits Dezember. Es kann jeden Tag anfangen zu schneien. Ich würde dir empfehlen, dich in Bewegung zu setzen, wenn du nicht willst, dass deine Schülerin den Hungertod stirbt.“

Ihre Worte waren ein Stich mitten in Fleckennases Herz. Er funkelte sie böse an, stand auf und stapfte ohne ein weiteres Wort nach draußen.

Auch Dachspfote konnte sich eine bittere Miene nicht verkneifen. „Er hat gut für mich gesorgt, nicht wahr?“

„Ja, das hat er.“

„Dann hättest du ihn nicht so angiften müssen.“

Honigblüte schnaubte belustigt. „Sag bloß, während deiner Zeit beim SternenClan hast du deine Meinung über deinen Mentor geändert.“

„Ich …“ Dachspfote knetete unsicher den Boden. „Also … Fliederpfote hat mir erzählt, was Fleckennase alles für mich getan hat. Er hat mich nach dem Schlangenbiss gerettet und ist keinen Tag von meiner Seite gewichen.“

Fliederpfote nickte bekräftigend.

Honigblüte lachte einmal trocken auf. „Ja, er hat alles für dich getan. Ein bisschen Dankbarkeit wäre wirklich das Mindeste, was du ihm entgegenbringen könntest. Du warst viele Tage auf der Schwelle zum Tod. Halb beim SternenClan, halb bei uns. Weder Fliederpfote noch ich haben dich erreichen können, du stures Ding.“

Dachspfotes Nackenhaare stellten sich auf. „Ich kann mich an fast nichts mehr erinnern, aber ich weiß, dass ich nicht alleine gewesen bin! Da war jemand bei mir, ich konnte sie nur nicht sehen. Aber ich habe sie gespürt. Und dann … Ich glaube, dass für eine Weile noch jemand bei mir war. Kurz bevor ich aufgewacht bin.“ Ihr Blick huschte unsicher in der Höhle umher. „Aber ich bin mir nicht mehr sicher.“

„Du hast vermutlich nur einen Fiebertraum gehabt“, entgegnete Honigblüte spitzzüngig. „Ich bin die Heilerin deines Clans. Wenn ich dich nicht erreichen konnte, wer dann?“ Sie ließ die Frage unbeantwortet im Raum stehen, stand wieder auf und blieb vor Sturmherz stehen. „Und du kannst jetzt auch gehen. Raus hier, los.“

Sturmherz parierte sogleich, wünschte Dachspfote weiterhin gute Besserung und ließ die übellaunige Heilerin mit ihrer Schülerin und Patientin zurück. Dachspfote konnte sich also an nichts mehr erinnern, auch nicht, dass er bei ihr gewesen war. Aber diese andere Gestalt, die sie nicht alleine gelassen hatte … Er glaubte, dass es dieselbe Katze war, die auch ihn schon mehrfach zum SternenClan geführt hatte. Wer war sie nur?
 

***
 

In den nächsten Tagen erholte sich Dachspfote relativ schnell. Sie sah zwar immer noch aus wie ein Schatten ihrer selbst, doch von Tag zu Tag bauten sich ihre Muskeln wieder auf und sie legte an Gewicht zu. Lediglich ihr Hinterbein, das von dem Schlangenbiss in Mitleidenschaft gezogen war, bereitete ihr einige Probleme. Schmerzen hatte sie zwar keine mehr, aber ein Teil des Muskels musste dauerhaft geschädigt worden sein, denn sie zog das Bein hinterher und musste erst lernen, damit richtig zu laufen.

Nebelstreif hatte sich zunächst von seiner Schwester ferngehalten, doch irgendwann war sein schlechtes Gewissen größer geworden und er hatte die Aussprache gesucht. Dachspfote hatte sich, mit Fleckennase an ihrer Seite, angehört, was ihr Bruder ihr zu sagen hatte, doch verziehen hatte sie ihm sein Verhalten nicht.

Sturmherz glaubte zwar nicht, dass es zwischen den beiden noch einmal offen zu Streit kommen würde, doch fortan behandelten sie sich mit einer eisigen Gleichgültigkeit, die der zwischen Sturmherz und Blaukralle in nichts nachstand.

„Ich hätte mir gewünscht, dass die beiden sich wieder miteinander versöhnen“, gestand er Fleckennase eines Abends seufzend. „Sie brauchen einander. Sie haben doch nur noch sich selbst und keine Eltern mehr.“

Fleckennase rümpfte die Nase. „Dachspfote hat mich. Den ganzen Clan. Weder sie noch Nebelstreif werden jemals alleine sein.“

„Ja, schon … Aber das ist nicht das, was ich meinte.“ Sturmherz war als Außenseiter in den FeuerClan gekommen. Er dachte so gut wie gar nicht mehr an seine Mutter oder seine sieben Geschwister, aber er fragte sich trotzdem manchmal, was aus ihnen geworden war. Es war eben doch noch einmal etwas anderes, wenn man die Blutsverwandten in der Nähe hatte oder nicht.

Auf einmal tauchten Schwarzstern und Haselschweif im Blickfeld auf. Sie hatten Rindentänzer, Frostpfote und seinen eigenen Schüler im Schlepptau. Schwarzstern blieb vor Sturmherz stehen. „Ich möchte, dass du uns zum ErdClan begleitest.“

„Zum ErdClan?“, fragte Sturmherz überrascht, stand aber bereits auf. „Wieso das?“

Haselschweifs Schwanz zuckte unruhig hin und her. Seine Augen waren leicht aufgerissen, als würde er jeden Augenblick mit einem Angriff rechnen. „Wir werden Löwenzahnstern besuchen und um ein offizielles Bündnis zwischen dem FeuerClan und dem ErdClan bitten.“ Dann fügte er noch etwas gedämpfter hinzu, sodass es nur Fleckennase und Sturmherz hören konnten: „Uns ist zu Ohren gekommen, dass sich der WasserClan und der LuftClan ebenfalls offiziell verbündet haben. Silberstern lässt den LuftClan sogar auf ihrem Territorium jagen, dafür hat sie sich die vollständige Kampfkraft des LuftClans gesichert.“

Schwarzstern schaute grimmig drein. „Wir müssen damit rechnen, dass Silberstern ihre Drohnung wahr macht und sich auf einen großen Angriff vorbereitet. Es kann jederzeit soweit sein und dafür müssen wir gewappnet sein.“ Er nickte zur Seite in Richtung Ausgang und ging voran.

Sturmherz blieb nicht mehr Zeit, als einen kurzen Blick mit Fleckennase zu wechseln. Dieser sah etwas ängstlich aus, doch kaum dass sie den Bau der Krieger hinter sich gelassen hatten, traten bereits die anderen auf Fleckennase zu und wollten tuschelnd wissen, was los war.

Wie immer gab Schwarzstern ein strammes Tempo vor. Im Laufschritt durchquerten sie das Gebiet des FeuerClans und mit dem Sonnenuntergang vor Augen überquerten sie den Bach, der ihre Reviere voneinander trennte.

Auf der anderen Seite wurden sie bereits von Borkenschnabel und Dämmerschweif erwartet. Die beiden Krieger wachten wie flauschige Riesen über die Grenze und senkten respektvoll den Kopf, als Schwarzstern näher kam.

„Folgt uns zum Lager des ErdClans“, sagte Dämmerschweif mit seiner tiefen Stimme.

Sturmherz ließ sich zwei Fuchslängen zurückfallen, um auf einer Höhe mit Rindentänzer und den beiden Schülern zu laufen. „Wie genau habt ihr davon erfahren, dass Silberstern sich auf einen Angriff vorbereitet?“

Rindentänzer, der ohnehin nicht sonderlich gesprächig war, peitschte mit seinem buschigen Schwanz durch die Luft. „Borkenschnabel und Dämmerschweif haben meine Patrouille an der Grenze abgefangen. Sie haben bereits auf uns gewartet. Löwenzahnstern hat sie geschickt. Er fand es nur gerecht, dass Schwarzstern davon erfahren sollte.“

Frostpfote stand seinem Mentor in Sachen Grimmigkeit in nichts nach. Er blickte mit ernster Miene umher. „Wenn sie uns angreifen, müssen wir vorbereitet sein. Der WasserClan darf nicht gewinnen.“

„Natürlich nicht!“, sagte Flockenpfote und seine großen Augen richteten sich auf Sturmherz. „Das wäre gemein! Sie sind nicht im Recht und der SternenClan wird uns zum Sieg leiten, nicht wahr?“

Sturmherz seufzte. Er wollte seinem Schüler Mut machen, aber er wusste nicht, wie. „Ich befürchte, zunächst sind wir auf uns alleine gestellt. Der SternenClan wird nur eingreifen, wenn es gar nicht mehr anders geht.“

„Also werden wir wirklich kämpfen müssen?“ Dieses Mal war Flockenpfotes Stimme leiser, ängstlicher. „Aber ich will nicht gegen den WasserClan kämpfen. Ich will niemandem wehtun müssen.“

„Manchmal muss ein Krieger tun, was ein Krieger tun muss“, brummte Rindentänzer, ehe er wieder in sein stoisches Schweigen fiel.

Sturmherz kannte den Weg bereits, weil er Fliederpfote zum ErdClan-Heilerschüler begleitet hatte, doch er hielt sich zurück und überließ den ErdClan-Kriegern die Führung. Bald schon wurde der Geruch des Clans immer intensiver, bis sie schließlich vor dem Eingang zum Lager standen. Das Lager befand sich wind- und wettergeschützt unterhalb eines riesigen Rhododendron-Geflechts. Der Eingang war leicht zu übersehen, aber wenn man genau hinschaute, konnte man den ausgetretenen Weg erkennen. Kaum kamen sie in Sichtweite, trat auch schon Löwenzahnstern mit seiner Stellvertreterin Kirschliebe aus dem Rhododendron heraus.

Die beiden Anführer begrüßten sich mit einem ernsten Kopfnicken. „Es tut mir leid, dass Silberstern bereit ist, so weit zu gehen.“

„Dafür kannst du nichts“, sagte Schwarzstern seufzend. „Es ist ihre Entscheidung gewesen.“

„Und Wacholderstern unterstützt sie“, fügte Löwenzahnstern kopfschüttelnd hinzu. „Wie dem auch sei. Ich hörte, du möchtest mit mir sprechen.“

Schwarzstern nickte. „Ich möchte dich darum bitten, ein offizielles Bündnis mit dem FeuerClan einzugehen. Der LuftClan und der WasserClan haben sich verbündet und nur gemeinsam können wir den beiden Clans etwas entgegen setzen. Es geht mir nicht darum, mein Territorium zu vergrößern, sondern um Verteidigung.“

„Das weiß ich, Schwarzstern.“ Der große Anführer des ErdClans seufzte. „Und genau darum habe ich mir ebenfalls Gedanken gemacht. Wie du weißt, hält sich der ErdClan für gewöhnlich aus den Angelegenheiten der anderen Clans heraus, aber den ErdClan und den FeuerClan verbindet seit einigen Jahren eine tiefe Freundschaft … und auch ich möchte dich als Freund nicht im Stich lassen. Aus diesem Grund möchte ich hiermit deinem Gesuch zustimmen. Ich werde dafür sorgen, dass Tag und Nacht eine Patrouille in der Nähe unserer gemeinsamen Grenze positioniert ist. Sollte Silberstern euch angreifen, könnt ihr uns Bescheid geben und wir werden euch schnellstmöglich zur Hilfe eilen.“

„Ich danke dir, Löwenzahnstern.“

Kirschliebe, die für eine Katze aus dem ErdClan ungewöhnlich klein war, räusperte sich. „Bedenk jedoch, dass der ErdClan seit jeher wenig in der Politik der anderen Clans zu suchen hatte. Wir könnten unsere neutrale Stellung verlieren, wenn wir öffentlich Partei für den FeuerClan ergreifen.“

Löwenzahnstern schaute auf die Zweite Anführerin herunter. „Es ist beschlossene Sache.“

Sie zögerte einen Moment, senkte dann ergeben den Kopf. „Natürlich, Löwenzahnstern. Ich werde dem Clan deinen Entschluss mitteilen.“ Als sie aufstand, entging Sturmherz nicht, mit welch undurchdringbarer Miene sie Schwarzstern anschaute. Auch wenn sie ihrem Anführer niemals widersprechen würde, schien sie mit dessen Entscheidung nicht einverstanden zu sein.

Schwarzstern nickte zufrieden. „Damit ist es also entschieden.“

Löwenzahnstern nickte ebenfalls. „Hoffen wir, dass es nicht soweit kommen wird. Kehrt gut und sicher in euer Lager zurück.“

Die beiden Anführer verabschiedeten sich wieder voneinander, dann kehrte Löwenzahnstern ebenfalls in sein Lager zurück, dicht gefolgt von Dämmerschweif. Nur Borkenschnabel blieb zurück und musterte die beiden Schüler. „Ihr seid Schneeflügels Söhne, nicht wahr? Ich kann ihre Güte in euren Augen sehen.“

Frostpfote und Flockenpfote blickten sich verwirrt an. „Ja, sind wir“, sagte Frostpfote schließlich.

„Bestellt eurer Mutter einen schönen Gruß von mir. Ich habe sie lange nicht mehr gesehen.“ Noch immer war sein Blick nicht zu deuten. „Es wäre schön, sie mal wieder zu treffen. Wir haben … einige Dinge zu bereden.“

Frostpfote nickte, drehte sich dann wortlos um und folgte seinem Mentor Rindentänzer.

Sturmherz schaute zwischen Borkenschnabel und Flockenpfote hin und her. Sie waren gleich groß, hatten beide fluffiges Fell und einen ähnlichen Gesichtsausdruck. Er weigerte sich, diesen Gedanken weiter zu spinnen. Das ging ihn nichts an. „Einen schönen Abend noch, Borkenschnabel.“

„Danke, euch auch.“ Der Krieger wartete nicht länger ab, sondern trottete in die entgegengesetzte Richtung davon.

Flockenpfote sah ihm hinterher, bevor er an Sturmherz‘ Seite zurückkehrte. „Er ist nett.“

„Ja. Der ganze ErdClan ist nett. Ich möchte sie nicht als Feinde haben.“

„Und er kennt Mama.“ Flockenpfote lächelte in sich hinein. „Ich möchte auch mal so ein stattlicher Krieger werden wie er.“

„Das wirst du, Flockenpfote.“ Vielleicht mehr, als er dachte.
 

***
 

Sturmherz wachte in der Nacht mehrmals auf, weil er träumte, der WasserClan würde im Schutz der Dämmerung angreifen. Doch jedes Mal, wenn er hochschreckte und sich panisch umsah, lagen die anderen Krieger um ihn herum auf dem moosigen Untergrund und schliefen selig vor sich hin.

Der Vollmond war erst einige Nächte her und es dauerte noch, bis Honigblüte beim nächsten Halbmond zur Mondhöhle reisen konnte, um den SternenClan zu dieser Sache zu befragen. Würde Silberstern wirklich jetzt einen Angriff starten, wenn alle damit rechneten? Oder würde sie warten, bis der Schnee lag und die Blattleere sie mit voller Wucht traf? Für den LuftClan ging es um das eigene Überleben und auch für den geschwächten WasserClan stand viel auf dem Spiel. Ein frontaler Angriff vom mit dem ErdClan vereinten FeuerClan könnte sie womöglich unterwerfen, doch das würden weder Löwenzahnstern noch Schwarzstern zulassen. Der Heilige Berg brauchte vier unabhängige Clans – so war es schon immer gewesen.

Nein.

Nicht immer.

Sturmherz dachte an die Geschichten über den SeelenClan. Einst waren es fünf Clans gewesen, die sich bildeten, nachdem sich ein großer Clan zerstritten hatte. Schon damals hatten Machtkämpfe dafür gesorgt, dass sich die Clans spalteten, bis der SeelenClan sogar vollständig verschwand. Niemand wusste, wohin der SeelenClan damals gegangen war, und gesucht hatte man nie nach ihm. Auch sprach keiner über den verlorenen Clan. Es war, als hätte es schon immer nur vier Clans gegeben.

Erneut fiel Sturmherz in einigen unruhigen Schlaf. Er wälzte sich umher und fand einfach keine Ruhe. Dieses Mal träumte er vom SeelenClan, von Silberstern und von der mysteriösen Katzendame aus dem SternenClan. Wie konnte das alles nur einen Sinn ergeben? Gab es denn wirklich keine Möglichkeit, wie man Silberstern umstimmen konnte?

Im frühen Morgengrauen wachte er wieder auf und fühlte sich fiebrig und verschwitzt, weil er so schlecht geschlafen hatte. Die ersten Krieger waren bereits auf den Beinen und putzten ihr Fell. Sturmherz krabbelte ebenfalls aus dem Bau der Krieger heraus, streckte sich und gähnte. Die Nachtpatrouille müsste jeden Augenblick zurückkommen, um sich schlafen zu legen.

Gemeinsam mit Milchkralle, die sich schweigend neben ihn setzte und ihr blauweißes Fell säuberte, wartete er auf die anderen.

Die Minuten verstrichen, bis es im Eingangsbereich raschelte. Rindentänzer und Frostpfote sahen übernächtigt aus, als sie das Lager betraten. Haselschweif schälte sich aus der Gruppe an Kriegern heraus und trat auf die beiden zu. „Und?“

„Nichts.“ Rindentänzer konnte sich ein Gähnen nicht verkneifen. „Die ganze Nacht über hat sich an der Grenze nichts getan. Die Ablöse ist schon da.“

Erleichtert atmete Haselschweif aus. „Das ist gut.“

„Oder auch nicht, ganz wie man es nimmt“, brummte Eisbart aus dem Hintergrund. Der alte Krieger wirkte unzufrieden. „Das kann bedeuten, dass Silberstern uns weich machen möchte. Sie spielt mit uns. Sie weiß, dass wir von ihrem Bündnis mit dem LuftClan wissen, und trotzdem lässt sie sich Zeit. Entweder meint sie ihre Drohungen nicht ernst oder sie plant etwas. So oder so sollten wir auf alles gefasst sein.“

„Natürlich“, erwiderte Haselschweif trocken. „Wir tun, was wir können. Rindentänzer, Frostpfote, ihr könnt nun schlafen gehen.“

Sturmherz machte dem Krieger Platz und sah zu, wie Frostpfote zum Bau der Schüler trottete. Lange würde es nicht mehr dauern, bis Frostpfote zum Krieger ernannt werden würde. Und – so dramatisch es auch klang – der FeuerClan konnte es sich nicht leisten, auf einen potenziellen Krieger zu verzichten.

Unruhig kniff er die Augen zusammen. Es war schlimm, nicht zu wissen, was passieren würde – und wann es passierte.

Noch zwei Tage bis zum nächsten Halbmond, an dem Honigblüte mit dem SternenClan über die aktuelle Lage sprechen konnte. Die letzte Woche über hatte Silberstern dem FeuerClan durch ihre Taktik des Wartens übel zugesetzt. Die meisten Krieger waren übermüdet und erschöpft, weil immer zwei die Nachtpatrouille übernahmen, aber trotzdem tagsüber den normalen Dienst zu erfüllen hatten. Sturmherz konnte nur mutmaßen, wie lange der Clan dieses Verhalten aufrechterhalten konnte.

Und, wenn man einmal ehrlich war, könnte der Clan mehr Krieger gebrauchen. Im Kopf ging er die einzelnen Clanmitglieder durch.

Schwarzstern und Haselschweif waren damit beschäftigt, alles zu überwachen und zu organisieren. Dennoch übernahmen auch sie jeden Tag eine der Patrouillen. Honigblüte und Fliederpfote waren als Heiler vom üblichen Clangeschehen ausgenommen. Falkenherz und Schneeflügel, die Ältesten, lieferten eine rein moralische Unterstützung. Zimtfeder und ihre Jungen befanden sich im Bau der Königinnen und Dachspfote war, auch wenn sie sich darüber am meisten ärgerte, noch immer nicht fit genug, um regulär auf Patrouille zu gehen oder gar zu kämpfen. Apfelpelz und Wolkentänzer standen nach wie vor unter Arrest. Aus diesem Grund beschränkte es sich auf die übrigen neun Krieger und drei Schüler.

„Lange halte ich das nicht mehr durch!“, klagte Herbstwolke zum wiederholten Mal ihr Leid, während sie am Frischbeutehaufen lag und lustlos mit ihrer Maus spielte. „Wie soll es nur so weitergehen?“ Niemand antwortete ihr, doch das hielt sie nicht davon ab, weiter zu lamentieren. „Oh wenn doch nur meine geliebte Schwester noch leben würde. Steinkralle wüsste, was zu tun ist. Steinkralle wusste immer eine Lösung!“ Sie verzog das Gesicht und schaute dabei gen Himmel, an dem die hellgrauen Wolken sehr tief hingen und den Blick auf die Sonne verdeckten. „Schwester, du wüsstest es!“

Eisbart, der dem ganzen Gerede schweigend zugehört hatte, erhob sich, kickte Herbstwolkes Maus weg, setzte sich direkt vor sie und starrte sie mit strengem Blick an. „Steinkralle war auch nicht allwissend!“, schnarrte er sie an und für einen Augenblick blitzten schmerzhafte Erinnerungen in seinem Gesicht auf. „Reiß dich zusammen, Herbstwolke! Steinkralle hätte nicht gewollt, dass du dich so gehen lässt!“

Herbstwolke setzte sich ebenfalls auf und erwiderte den Blick. „Ich lasse mich nicht gehen! Was erlaubst du dir, Eisbart! Wenn ihr euch damals nicht gestritten hättet, wäre sie vielleicht niemals losgezogen, um am Donnerweg nach Futter zu suchen, dann wäre sie noch bei uns!“

Sturmherz ahnte, dass diese Auseinandersetzung böse enden würde. Er schaute sich um und sah, dass es die anderen Anwesenden ähnlich taten. Haselschweif trottete sogleich zu seinem Freund Eisbart heran, wollte ihn beruhigen und von Herbstwolke wegholen, doch dieser beachtete den Zweiten Anführer nicht einmal.

Mit bitterbösem Gesichtsausdruck baute Eisbart sich vor Herbstwolke auf, die nun noch kleiner und rundlicher wirkte als sonst. „Sag es mir ins Gesicht, dass du mir die Schuld an dem Tod meiner geliebten Gefährtin gibst!“, zischte er, doch in seiner Stimme lang unverkennbar eine Warnung. Seine Ohren waren platt angelegt.

Sie wich leicht zurück, doch ihr Blick blieb stur. „Ja, du hast richtig gehört! Ich habe genau gehört, wie ihr euch damals gestritten habt!“

„Du verdrehst die Tatsachen! Steinkralle war eine Königin, Milchkralle noch nicht einmal eine Schülerin! Sie hätte bei ihr bleiben und sich um sie kümmern sollen, doch stattdessen zog sie immer wieder los, um Frischbeute für den Clan zu jagen, weil sie sich schuldig fühlte! Sie war eine stolze Kriegerin und stellte das Wohl des gesamten Clans über ihr eigenes und das von Milchkralle!“

„Ja, sie war stolz, aber du hättest sie aufhalten müssen!“

„Als ich erkannte, dass sie außerhalb unseres Territoriums am Donnerweg jagen wollte, bin ich ihr doch hinterher gelaufen!“

„Aber du warst du spät!“

„Immerhin habe ich etwas getan! Glaubst du, ich weiß nicht, dass ich sie hätte aufhalten müssen? Aber ich lebe weiter und suhle mich nicht in meinem Unglück, so wie du es seit dem Tod von Fleckenbaum machst! Du bist für Fleckennase nichts weiter als eine lästige Klette!“

„Du …!“

Beide standen buckelnd und fauchend voreinander.

Hilflos schaute Haselschweif zwischen den beiden hin und her. „Bitte, beruhigt euch! Die Blattleere damals war für uns alle sehr belastend, jeder hat jemanden verloren, der ganze Clan hat gelitten. Aber wir müssen nach vorne schauen. Wir dürfen uns jetzt nicht entzweien lassen, wenn der WasserClan …“

„Scheiß auf den WasserClan“, fauchte Eisbart aggressiv und machte einen drohenden Schritt auf Herbstwolke zu, die sich plötzlich ergab und flach gegen den Boden drückte.

Milchkralle sah blass aus, als sie zu ihrem Vater eilte. Sie stupste Eisbart so lange gegen die Schulter, bis dieser von Herbstwolke abließ. Einen Moment lang schaute er Milchkralle in die Augen, dann kehrte die Ruhe in ihn zurück. Wortlos drehte er sich um und stapfte breitbeinig aus dem Lager heraus.

„Alles in Ordnung?“, fragte Sturmherz Milchkralle.

Diese nickte nur und wollte sich nichts anmerken lassen, doch er erkannte ganz genau, wie sehr sie diese Auseinandersetzung mitgenommen hatte. Sturmherz glaubte, dass auch sie ihre Mutter schmerzlich vermisste, doch niemand gestand ihr diese Gefühle zu.
 

***
 

Der nächste Tag bot dem FeuerClan eine Abwechslung vom strengen und strukturierten Alltag, denn Schwarzstern hatte entschieden, dass sich Rindentänzers Schüler Frostpfote an der offiziellen Kriegerprüfung versuchen durfte.

Blaukralle, der sich benahm, als wäre diese Entscheidung alleine sein Verdienst gewesen, schnurrte zufrieden vor sich hin und beglückwünschte Rindentänzer jovial zu der Prüfung seines ersten eigenen Schülers, wobei er es sich nicht nehmen ließ, ausgiebig zu betonen, wie schade er es fand, dass Nebelstreif einfach ohne diese Prüfung zum Krieger ernannt worden war. „Er hatte sich so darauf gefreut“, sagte Blaukralle gedehnt und warf anschließend Sturmherz einen vernichtenden Blick zu.

Schwarzstern nickte Rindentänzer und Frostpfote zu, dann machte sich das Dreiergrüppchen alleine auf den Weg. Haselschweif blieb zurück, um im Lager die Stellung zu halten.

„Er wird es schaffen“, sagte Fleckennase zuversichtlich. „Rindentänzer hat Frostpfote gut ausgebildet. Er ist ein ausgezeichneter Kämpfer, sehr schnell und kräftig.“

Milchkralles Ohren zuckten leicht. „Schattenpfote ist kleiner und wendiger. Ich denke, er wird sich als Jäger besser machen, wenn er nur nicht so ungeduldig wäre. Daran müssen wir noch arbeiten.“

Schattenpfote, der in Hörweite saß, seufzte genervt auf. „Milchkralle, meinst du das wirklich ernst? Wieso darf Frostpfote die Prüfung machen und ich noch nicht? Ich bin bereit!“

„Nein, das bist du nicht. Es kommt nicht darauf an, wie früh man zur Prüfung antreten darf. Wir warten lieber ein oder zwei Monde länger und können uns dafür sicher sein, alle Grundlagen bis zur Perfektion zu beherrschen.“

Er seufzte erneut und begrub sein Gesicht unter den Vorderpfoten. „Das ist nicht fair!“, jammerte er.

Milchkralle ließ die weiteren gemurmelten Proteste einfach an sich abprallen – oder tat zumindest so. Sturmherz vermutete, dass sie sich nicht die Blöße geben wollte, dass ihr Schüler womöglich bei der Prüfung durchfiel so wie sie damals.

„Ich bin gerne ein Schüler“, sagte Flockenpfote fröhlich, ohne den Ernst der Diskussion überhaupt nachvollziehen zu können. Gut gelaunt blickte er zwischen seinem Bruder und dessen Mentorin hin und her. „Und ich freue mich für Frostpfote. Er ist ebenso schnell ein Krieger geworden wie Nebelstreif, wenn man bedenkt, dass wir einen halben Mond nach den anderen angefangen haben.“

„Es kommt nicht darauf an, wie schnell jemand zum Krieger ernannt wird“, dozierte Milchkralle erneut, doch in ihre Stimme schlich sich ein leicht gereizter Unterton.

„Wie dem auch sei“, versuchte Sturmherz die Situation zu beruhigen. „Fuchsauge und Blaukralle sind die einzigen Krieger, die im FeuerClan jemals nach zwei Monden zum Krieger ernannt wurden. Nebelstreif und Frostpfote liegen mit drei Monden nur knapp dahinter. Es ist kein Wettbewerb. Denkt daran, was Dachspfote diese Einstellung gekostet hat.“

Dies ließ Schattenpfote verstummen und schuldbewusst den Blick senken, ebenso wie Flockenpfote. Es bestand kein Zweifel daran, wie unterschiedlich die drei Brüder waren, doch alle drei hatten das Herz auf dem rechten Fleck.

„Was soll diese Grabesmiene“, schnarrte Dachspfote plötzlich wie aus dem Nichts. Sie alle zuckten zusammen, als die schwarzweiße Schülerin zu ihnen herüber humpelte. „Ich lebe noch und ich lerne wieder zu laufen. Honigblüte ist zuversichtlich, dass ich schon bald mein Training wieder aufnehmen kann.“ Als die beiden anderen Schüler noch immer betreten zu Boden starrten, rollte sie genervt mit den Augen und stupste Schattenpfote an. „Wenn ich mich richtig erinnere, schuldest du mir noch einen Übungskampf.“

Er zögerte kurz, dann huschte der freche Ausdruck wieder über sein Gesicht. „Ja, das stimmt. Aber glaube bloß nicht, dass ich dich gewinnen lassen werde, nur weil du verletzt warst.“

„Das würde ich auch gar nicht verlangen“, erwiderte sie keck.

Flockenpfotes Schwanz streichelte über den Erdboden und mit gewohnt unschuldiger Stimme sagte er: „Ich würde dich vielleicht gewinnen lassen.“

„Sie braucht niemanden, der sie gewinnen lässt“, schaltete sich nun auch Fleckennase ein und eine Spur von Stolz lag in seinem Blick. „Sie schafft das.“

Dachspfote nahm das Kompliment glücklich an. „Klar schaffe ich das.“ Anschließend forderte sie Schattenpfote mit einem leichten Pfotenhieb zum Spielen auf – kurz darauf tobten alle drei Schüler quer durch das Lager.

Eine Weile unterhielten Sturmherz, Milchkralle und Fleckennase sich noch über die Kriegerprüfung, dann driftete ihr Gespräch aber wie so oft in Richtung WasserClan. Bald darauf verfielen sie in ein stoisches Schweigen und jeder hing seinen eigenen Gedanken nach.

Sturmherz wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, als Schwarzstern mit Rindentänzer und Frostpfote ins Lager zurückkehrte. Sogleich versammelten sich alle Clan-Katzen in einem Halbkreis um den Felsvorsprung vom Bau des Anführers. Schwarzstern setzte sich unter den Vorsprung und blickte seinen Clan wohlwollend an. „Ich freue mich, euch zu verkünden, dass Frostpfote seine Kriegerprüfung mit Bravour bestanden hat.“

Eifrig gratulierten die ersten Katzen, doch Haselschweif rief sie zur Ruhe, damit Schwarzstern fortfahren konnte. „Rindentänzer, bist du davon überzeugt, dass dein Schüler dazu bereit ist ein Krieger zu werden?“

Rindentänzer nickte. „…“ Er war noch nie besonders gesprächig gewesen. „Ja.“

„Ich, Schwarzstern, Anführer des FeuerClans, rufe meine Kriegerahnen an und bitte sie, auf diesen Schüler herabzublicken. Er hat hart trainiert, um euren edlen Gesetzen gehorchen zu können und ich empfehle ihn euch nun als Krieger.“ Einen Augenblick lang pausierte er. „Frostpfote, versprichst du das Gesetz der Krieger einzuhalten und den Clan zu beschützen und zu verteidigen, selbst mit deinem Leben?“

Frostpfote streckte selbstbewusst die Schultern durch und rief mit lauter, klarer Stimme: „Ja!“

„Dann gebe ich dir mit der Kraft des SternenClans deinen Kriegernamen. Frostpfote, von diesem Augenblick an wirst du Frostzahn heißen. Der SternenClan ehrt deine Eigenständigkeit und deine Stärke und wir heißen dich als vollwertigen Krieger im FeuerClan willkommen.“

Die Jubelschreie, die zuvor noch unterdrückt worden waren, brachen nun in voller Lautstärke aus. „Frostzahn! Frostzahn! Frostzahn!“

Als Zeichen des Respekts leckte Frostzahn über Schwarzsterns Schulter, ehe er an die Seite seines Mentors zurückkehrte.

„Wie es die Tradition will, wirst du heute Nacht die Nachtwache halten“, redete Schwarzstern weiter. „Ab morgen wirst du als vollwertiger Krieger in sämtliche Aufgaben des Clans eingebunden.“

Frostzahn nickte freudig und als sich die Versammlung auflöste, lief er mit hoch erhobenem Schwanz zu seinen beiden Brüdern und anschließend zu seiner Mutter Schneeflügel, die sich vor Freude gar nicht mehr beruhigen konnte und ihm immer wieder über die Ohren leckte.
 

***
 

Es war gefühlt tiefste Nacht, als Sturmherz aufschreckte, weil er Honigblüte und Fliederpfote mitten im Lager herumlaufen hörte, doch in weiter Ferne färbte sich der Himmel bereits heller und kündigte das Morgengrauen an.

„Honigblüte, das muss nichts zu bedeuten haben … Bitte beruhige dich und komm wieder mit in unseren Bau!“

„Das kannst du überhaupt nicht beurteilen!“, giftete sie ihre Schülerin an und stromerte fahrig hin und her. „Ich erkenne einen Traum, den mir der SternenClan geschickt hat, wenn ich ihn habe! Du hingegen bist erst seit ein paar Monden meine Schülerin, wie willst du wissen, was los ist!“

„Dann sag es mir doch endlich!“, erwiderte Fliederpfote unruhig und gleichzeitig besorgt. „Denkst du, ich habe nicht bemerkt, dass dich etwas besorgt? Honigblüte, bitte rede mit mir darüber!“

„Nein!“ Honigblüte blieb stehen und starrte Fliederpfote an. Ihr Blick wirkte fiebrig, voller Schmerzen und Dingen, die sie für sich behalten wollte. „Du bist noch so jung und unerfahren. Wie solltest du die Verantwortung für einen ganzen Clan auf deinen schmalen Schultern tragen können?“

„Ich verstehe nicht, was du meinst!“ Verzweifelt grub Fliederpfote ihre Vorderkrallen in den Boden hinein. „Erklär es mir, bitte!“

„Ich kann nicht!“, erwiderte Honigblüte aufgebracht. „Selbst wenn ich es wollte, der SternenClan hat mir verboten, darüber zu reden – vor allem nicht mit dir! Aber darum geht es nicht. Es ist der WasserClan.“

„Was ist damit?“ Sturmherz war noch im Halbschlaf aufgestanden und ehe er sich versah, schwankte er schlaftrunken aus dem Bau der Krieger hinaus. Er rappelte sich auf alle Viere, kniff einmal kurz die Augen zusammen und spürte dann, wie er wacher wurde. „Was ist mit dem WasserClan?“

Honigblüte warf ihm einen abschätzenden Blick zu. Dann seufzte sie genervt. „Los, Fliederpfote, hol Haselschweif und Schwarzstern. Sofort.“

Sturmherz setzte sich an den Rand des Lagers und schaute dabei zu, wie der Anführer und der Zweite Anführer nur wenig später ebenso müde in die Mitte des Lagers trotteten.

„Honigblüte, was ist los?“ Schwarzstern konnte sich ein Gähnen nicht verkneifen. „Der SternenClan hat zu dir gesprochen? So kurz vor dem Halbmond?“

Haselschweifs Blick huschte alarmiert hin und her. „Was kann so wichtig sein, dass es nicht noch eine weitere Nacht warten kann?“

Honigblüte knurrte leise. „Der SternenClan hat uns allen eine Warnung geschickt, die sich gleichermaßen an alle vier Clans richtet. Sie warnen uns davor, dass sich die vier Clans des Heiligen Bergs selbst zerstören werden.“

„Und was bedeutet das?“ Haselschweif riss die Augen auf. „Bezieht es sich auf den WasserClan?“

„Davon gehe ich aus, ja. Silberstern hat schließlich mit dem ganzen Theater angefangen. Der SternenClan warnt unmissverständlich davor, dass die vier Clans aneinander brauchen, um überleben zu können.“

Schwarzstern seufzte. „Das wissen wir doch. Wie sollen wir vorgehen?“

Einen Moment lang zögerte Honigblüte, dann schüttelte sie den Kopf. „Ich weiß es nicht. Ich kann versuchen, morgen Nacht mit Gewitterschweif zu reden. Vielleicht kann er Silberstern noch aufhalten.“

„Nicht Silberstern ist das Problem, sondern Dornstachel, der sie immer weiter aufhetzt“, fügte Haselschweif knurrend hinzu. „Er ist der wahre Übeltäter und er schreckt vor nichts zurück.“

„Wir müssen …“ Doch weiter kam Schwarzstern gar nicht mehr.

Völlig außer Atem hetzte Frostnacht in das Lager hinein. Einen Herzschlag lang sah er verwirrt aus, weil er seinen Anführer bereits in der Lagermitte antraf, doch dann hatte er sich wieder unter Kontrolle. „Schwarzstern!“, keuchte er und brach damit das Gebot des Schweigens, was erst bei Sonnenaufgang geendet hätte. „Sie greifen an! Der WasserClan, er schleicht in diesem Augenblick über die Grenze mitten in unser Gebiet, um das Herz des Clans zu treffen – das Lager! Ich habe sie aus der Ferne gesehen, als ich eine kleine Runde gedreht habe! Ich bin so schnell gekommen, wie ich nur konnte! Sie werden bald hier sein, es kann jeden Moment passieren!“

Alarmiert sprangen sie alle auf. Automatisch sträubte sich ihr Fell.

„Was ist mit dem LuftClan?“

„Wacholderstern ist nicht dabei, aber Regenkauz und einige Krieger aus dem LuftClan!“

„Natürlich nicht, dieser Feigling würde sich niemals selbst die Pfoten dreckig machen.“ Schwarzstern kniff die Augen zusammen. „Schnell, uns bleibt nicht viel Zeit! Fliederpfote, schnapp dir Wolkentänzer und bring Zimtfeder und die Jungen beim ErdClan in Sicherheit! Haselschweif, weck alle Krieger auf und positioniere sie rund um das Lager!“ Dann fiel sein Blick auf Sturmherz. „Und du – lauf zum ErdClan und hol Unterstützung! Schnell!“

Sturmherz nickte und wartete nicht darauf, bis die übrigen Krieger aufwachten. Als er sich in Bewegung setzte uns aus dem Lager rannte, hörte er hinter sich bereits das aufgeregte Gemurmel des FeuerClans. Irgendwo im Schutz der Dunkelheit bahnte sich der WasserClan seinen Weg. Er musste sich beeilen.
 

***
 

Löwenzahnstern hatte sein Wort gehalten und direkt auf seiner Seite des Bachs in Rufweite einen Wachposten stationiert. Kaum war Sturmherz nah genug, begann er um Hilfe zu rufen und als er den Bach erreichte, wartete bereits Lehmpelz auf ihn.

Sie erkannte seinen alarmierten Gesichtsausdruck in der Morgendämmerung auf den ersten Blick. „Oh nein!“ Ihre gelben Augen weiteten sich. „Sie greifen an?“

Sturmherz nickte. „Und der LuftClan ist bei ihnen! Alleine werden wir es nicht schaffen! Fliederpfote ist mit den Königinnen und Jungen auf dem Weg hier her, um Schutz zu suchen.“

Lehmpelz nickte. „Löwenzahnstern wird nichts dagegen haben, wenn sie auf unserer Seite des Baches in Deckung gehen. Lauf zurück zu deinem Clan, ich werde Hilfe schicken!“

„Danke!“ Sturmherz machte kehrt und vertraute darauf, dass Lehmpelz ihren Clan schnell genug alarmieren konnte. Er rannte die halbe Strecke zum FeuerClan-Lager, dann verlangsamte er sein Tempo und ging in Deckung.

Ein Knacken. Nur eine Maus.

Da! Ein Vogel, der aufgeschreckt worden war und losflog.

Sturmherz näherte sich dem Lager immer weiter an, bis die ersten Kampfschreie schlagartig die Stille zerrissen. Er hatte die Lage falsch eingeschätzt, die Clans trafen viel weiter westlich aufeinander als gedacht. Sofort korrigierte er seinen Kurs und rannte durch das Unterholz, um seinem Clan beizustehen.

Die Morgenröte tauchte den dunklen, wolkenverhangenen Himmel nur schwach in mildes Licht. Dennoch entging Sturmherz die Szene nicht.

Silberstern und Dornstachel hatten sich auf der einen Seite der Lichtung mit ihren Kriegern formiert – ein kurzer Überblick verriet, dass sämtliche Krieger des WasserClans inklusive des einzigen Schülers Forellenpfote gekommen waren – und neben ihnen standen als Unterstützung fünf weitere Krieger aus dem LuftClan. Darunter waren jedoch weder Kleesonne noch Hummelschatten, wofür Sturmherz dankbar war. Die beiden befreundeten Krieger hatten sich dem Kampf gegen den FeuerClan offensichtlich nicht angeschlossen.

Mit lautem Gebrüll prallten die Fronten aufeinander.

Haselschweif wich Schwarzstern nicht von der Seite und es war schnell zu erkennen, dass Silberstern und Dornstachel es auf die beiden abgesehen hatten, sodass sie sich ein Viererduell lieferten. Regenkauz mischte kurz darauf ebenfalls mit, sodass Haselschweif Schwarzsterns blinde Seite gegen gleich zwei Angreifer gleichzeitig verteidigen musste, während dieser sich Silberstern persönlich vorknöpfte. Zwar war Schwarzstern größer und stärker als sie, doch Silberstern wich den meisten Angriffen leichtfüßig aus und platzierte dafür Kratzer mit ihren scharfen Krallen.

Sturmherz wollte seinem Anführer ebenfalls zur Hilfe eilen, als ihn jemand von hinten von den Beinen riss. Er spuckte, fauchte und versuchte sich aus dem Biss zu befreien, doch es waren zwei gegen einen. Dann erkannte er Eisschatten und Donnertaucher, die ihn beide hasserfüllt angriffen.

„Elende Hauskatze!“, zischte Eisschatten ihm dabei ins Ohr. „Ich werde dich töten, wenn ich kann, das schwöre ich dir!“

„Sturmherz!“ Eine große, weiße, flauschige Fellwolke prallte gegen Eisschatten und riss wiederum diesen mühelos um. Flockenpfote war seinem Mentor zur Seite gesprungen und sorgte damit dafür, dass Sturmherz sich wieder aufraffen konnte.

Alles ging so schnell, überall hatten sich Krieger ineinander verbissen – manche kämpften jedoch viel aggressiver als andere. Einmal sah er Otterpelz, den dunklen WasserClan-Krieger und Bruder von Wolkentänzer, der nur halbherzig nach Milchkralle schlug. Auch seine ehemalige Schülerin Schneewolke hielt sich auffällig am Rand des Kampfes auf und parierte eher Angriffe, als dass sie selbst angriff.

Dachspfote war nirgends zu sehen, sie musste ebenfalls zum ErdClan geschickt worden sein.

Dann entdeckte Sturmherz Fleckennase, der von Eulenauge und Windjäger aus dem LuftClan eingekesselt wurde. Er hätte ihm gerne geholfen, doch wieder griff Eisschatten ihn an. Der WasserClan-Krieger mit den unterschiedlichen Augenfarben mochte ihm zwar nur bis zur Schulter gehen, doch er war äußerst aggressiv und steigerte sich mächtig in den Kampf hinein.

Eine ganze Weile sah es so aus, dass die Angreifer die Oberhand gewinnen würden. Der FeuerClan wurde immer enger zusammen getrieben, bis sie sich von drei Seiten verteidigen mussten. Dornstachel kämpfte noch immer in der ersten Reihe gegen Schwarzstern und Haselschweif, während Silberstern sich in den Hintergrund zurückgezogen hatte und stattdessen Muschelzahn für sich kämpfen ließ. Dadurch, dass sie zahlenmäßig überlegen waren, konnten sie es sich leisten kurze Pausen einzulegen, während im FeuerClan jeder gefordert war.

Lange würden sie das nicht mehr durchhalten.

Wo blieb nur der ErdClan?

Und Eisschatten hatte es tatsächlich auf Sturmherz abgesehen. Immer wieder verbissen sie sich ineinander und nur dank Flockenpfote, der seinen Mentor tatkräftig unterstützte, konnte Sturmherz sich wieder freimachen.

Mit gesträubtem Fell stand Eisschatten vor ihm, die Augen hasserfüllt zusammengekniffen. „Kein Hauskätzchen sollte hier am Heiligen Berg sein! Du gehörst nicht hier her und wenn du gehst, kannst du das minderwertige HalbClan-Blut direkt mitnehmen!“

„Ich gehe nirgendwo hin, Eisschatten!“, erwiderte Sturmherz wütend, sprang auf den kleineren Krieger zu und erwischte ihn am Rücken. Es war keine optimale Stelle, aber er krallte sich fest, riss ihm dabei ein Fellbüschel aus und griff nach. Dieses Mal erwischte er den Schwanz und biss einfach nur kräftig zu.

Eisschatten schrie auf, schlug vor Schmerzen um sich und sprang einige Fuchslängen zurück, als er sich endlich wieder befreit hatte. Schwer atmend blickte er zwischen Flockenpfote und Sturmherz hin und her. Gegen zwei so große, kräftige Krieger kam er nicht alleine an. „Donnertaucher!“, rief er. „Hier drüben!“

Donnertaucher, der sich bis gerade den benachbarten Kämpfenden gewidmet hatte, sprang Eisschatten erneut zur Seite, sodass es wieder ausgeglichen war.

Selbst wenn Sturmherz gewollt hätte, hätte er keine Chance gehabt, um sich bis zu Schwarzstern und Haselschweif vorzuarbeiten. Aus den Augenwinkeln konnte er immer mal wieder sehen, wie Schwarzstern sich mit Regenkauz oder Dornstachel keilte, doch die Zweite Anführerin des LuftClans zog sich bald darauf mit einer stark blutenden Pfote tiefer in den Wald zurück. Haselschweif deckte weiterhin Schwarzsterns blindes Auge und fing einige Angriffe von Dornstachel ab, doch es war offensichtlich, dass Dornstachel es auf Schwarzstern abgesehen hatte.

Dornstachel lauerte tief, nutzte einen günstigen Moment und sprang Schwarzstern von der Seite an. Er schaffte es, den Anführer des FeuerClans auf den Boden zu drücken, und war kurz davor ihm mitten in die Kehle zu beißen, als Haselschweif seinem Anführer zur Rettung eilte.

Wie ein einziger zuckender Körper rollten die beiden Zweiten Anführer über den Boden. Keiner ließ von dem anderen ab. Sie jaulten, kratzten und bissen, als würde es um Leben und Tod gehen.

Sturmherz verlor den Blick auf die beiden, als er Eisschatten abwehrte und gut zwei Fuchslängen zurückdrängen konnte. Sein Herz raste und das Adrenalin puschte ihn zu neuen Kräften auf. Schwarzstern war in Gefahr, er musste ihm helfen! Doch es gab keinen Weg zu ihm.

Silberstern nutzte den günstigen Moment und sprang Schwarzstern von der blinden Seite her an. Sie mochte zwar kleiner sein als er, doch sie hatte ihre Chance genutzt. Die beiden fegten kämpfend quer über die Lichtung.

Haselschweif und Dornstachel waren nicht mehr zu sehen. Sie waren in einer Dornenhecke am Rande der Lichtung verschwunden und außer Sicht. Stattdessen drängten sich andere kämpfende Paare an ihre Stelle. Fellbüschel flogen durch die Luft und vermischten sich mit dem Schnee, der lautlos zu rieseln begonnen hatte.

Die Kräfte verließen ihn allmählich. Herbstwolke und Rosentau waren verletzt und hatten sich an den Rand zurückgezogen und auch Blaukralle wirkte ziemlich angeschlagen, denn aus seinem Hals sickerte unentwegt ein kleines Rinnsal Blut in sein blaues, dichtes Fell.

Dann, endlich, brachen Lehmpelz und der ErdClan auf das Kampffeld. Die großen, langhaarigen Krieger sprangen mutig und knurrend mitten ins Getümmel. Selbst Löwenzahnstern war anwesend, walzte Schiefregen aus dem WasserClan mit grimmigem Blick nieder und machte den Weg frei für die anderen aus dem ErdClan.

Sturmherz atmete tief durch. Erleichterung durchströmte ihn. Jetzt würden sie es schaffen – sie würden Silberstern zurückschlagen können. Dankbar sah er zu, wie Lehmpelz ihm Eisschatten vom Leib hielt, sodass er Ausschau halten konnte nach Schwarzstern und Haselschweif.

Der Zweite Anführer war noch immer verschwunden, doch Schwarzstern und Silberstern waren nicht zu übersehen. Die beiden umkreisten sich mit tief gelegten Körpern, lauerten und warteten auf den richtigen Moment.

„Gib auf, Silberstern!“, rief Schwarzstern ihr mit donnernder Stimme zu. „Es ist gleich vorbei! Ihr werdet verlieren!“

„Ich werde für den WasserClan und das Gesetz der Krieger kämpfen – und wenn es bis zum letzten Leben ist!“

Löwenzahnstern erreichte die beiden mit Leichtigkeit, doch er mischte sich nicht ein. Stattdessen hielt er die anderen Krieger auf Abstand und gab ihnen damit zu verstehen, dass es ein Kampf war, den die beiden unter sich ausfechten mussten.

Immer mehr Krieger bekamen mit, dass sich die verfeindeten Anführer persönlich gegenüber standen. Kämpfe wurden unterbrochen, die Verletzten zogen sich an den Rand der Lichtung zurück. Wie von selbst formten sie einen großen Halbkreis um die beiden, sahen zu, wie sie stellvertretend für den ganzen Clan antraten, ohne die Feinde dabei aus den Augen zu lassen.

Milchkralle fand ihren Weg neben Sturmherz. Sie war nicht sichtbar verletzt, doch sie schnaufte und keuchte voller Erschöpfung. Ebenso Fleckennase, der auf der anderen Seite zwischen zwei ErdClan-Kriegern zu sehen war.

„Es endet hier“, sagte Silberstern. „Der SternenClan hat es soweit kommen lassen.“

„Der SternenClan will nicht, dass wir uns gegenseitig vernichten“, antwortete Schwarzstern ihr. Er humpelte auf seiner blinden Seite, wo sein getrübtes Auge ziellos in die Leere starrte. „Lass uns das friedlich beenden. Geh zurück und sieh darüber hinweg, dass Mondjunges und Sonnenjunges bei uns sind. FeuerClan-Blut fließt in ihren Adern.“

„Ebenso das Blut des WasserClans. Es ist mein gutes Recht zu bestimmen, was aus ihnen wird – und ich habe bereits entschieden.“

„So ist es auch mein gutes Recht, sie bei uns bleiben zu lassen.“

Wieder begannen sie sich zu umkreisen, das Fell gesträubt, den Schwanz auf das doppelte Volumen aufgeplustert.

Ein Schritt nach links.

Ein Schritt nach rechts.

Plötzlich, wie aus dem Nichts, sprang Dornstachel schwer verletzt aus dem Gestrüpp hervor. Seine Ohren hingen in Fetzen, sein Körper blutete. „Für den WasserClan!“ Mit letzter Kraft sprang er mitten in den Halbkreis hinein, preschte auf die beiden Anführer zu, nahm ihnen die Ehre, selbst über den Ausgang dieses Kampfes zu bestimmen.

„Schwarzstern!“ Haselschweif, nicht minder verwundet, sprang schräg hinter Dornstachel aus derselben Dornenhecke raus. Seine Augen waren vor Schreck geweitet, als er mit ansehen musste, wie Dornstachel die Schwäche von Schwarzstern ausnutzen wollte. „Nein!“ Er sprang, schien durch die Luft zu fliegen, direkt zwischen Dornstachel und Schwarzstern.

Dornstachel erwischte ihn mitten in der Kehle.

Für einen Augenblick lang schien die Welt still zu stehen.

Sturmherz riss seine Augen auf, während Haselschweif und Dornstachel zum Stehen kamen. Schwankten. Zu Boden stürzten.

Silberstern wich eine Fuchslänge zurück, die Augen ebenso aufgerissen.

Schwarzstern war sofort an Haselschweifs Seite. Erst verwirrt, dann entsetzt drehte er sich zu seinem Clan um. „Honigblüte! Schnell! Honigblüte!“

Sie stand am Rand, zitternd, die Ohren fest nach hinten gepresst, das Maul weit aufgerissen in einem stummen Schrei.

Haselschweif keuchte ein letztes Mal auf, streckte die linke Vorderpfote zu Schwarzstern aus. „Ich hätte … schneller … sein … müssen …“ Dann glitt sein Blick weiter zu Honigblüte, die sich vor Schock nicht bewegen konnte. „Honig … blüte … so … wunder … schön … Verzeih … mir …“ Seine Stimme versagte, verstummte – für immer. Das Beben verließ seinen Körper.

Die schwere Wolkendecke riss auf, blendete alle auf der Lichtung.

Die Morgensonne stand grell am Himmel, daneben der Mond. Seite an Seite. Sonne und Mond.

Honigblütes lauter Klageschrei spiegelte ihren tiefen Schmerz wider und hallte über sie alle hinweg.

Der Schnee rieselte lautlos auf sie herab, doch Honigblütes Schluchzen war bis in die hinterste Ecke der Lichtung zu hören. „Haselschweif, nein! Nein!“

Schwarzstern zitterte ebenfalls, schaute auf seinen verstorbenen Zweiten Anführer hinab, dann weiter zu Dornstachel, der ohne jegliche letzte Worte einfach tot umgefallen war. Sein Blick glitt weiter, hinauf zum Himmel, wo Sonne und Mond durch die Wolkendecke zu sehen waren. Er kniff die Augen zusammen, sammelte sich, atmete tief durch. Dann war er bereit, sich wieder an Silberstern und alle anderen zu wenden. „Du hattest Recht, Silberstern. Es musste hier und jetzt enden – aber nicht für uns. Haselschweif und Dornstachel haben beide ihr größtes Opfer gebracht und sind für ihre Anführer gestorben. Wir hätten es niemals so weit kommen lassen dürfen.“

Auch Silberstern zitterte und wirkte auf einmal unendlich klein und zerbrechlich.

Gewitterschweif, der Heiler ihres Clans, trat an ihre Seite. „Schaut hinauf in den Himmel und seht selbst, welches Zeichen der SternenClan uns geschickt hat. Sonne und Mond, vereint.“

Alle Anwesenden folgten Gewitterschweifs Blick. Ein erstes Raunen ging durch die Menge.

„Dieser Kampf hat unnötig Blut vergossen“, fuhr Gewitterschweif fort. „Der SternenClan hat zu uns gesprochen und es ist unmissverständlich, was sie uns damit sagen wollen.“

Noch immer zitterte Silberstern, doch der sture Ausdruck kehrte in ihr Gesicht zurück. „Bist du … dir sicher, Gewitterschweif? Ist es wirklich das, was der SternenClan von mir verlangt? Von uns allen?“

„Ja, Silberstern. Mit Dornstachels und Haselschweifs Tod ist die Blutschuld beglichen. Dieser Krieg muss jetzt aufhören.“ Er atmete ebenfalls tief durch. „Honigblüte, bring Haselschweif zurück in dein Lager und erweise ihm die letzte Ehre.“

Sie reagierte nicht sofort, stolperte dann vorwärts. Vor Haselschweif blieb sie stehen. Der Horror stand ihr ins Gesicht geschrieben. Sie rührte sich nicht.

Fliederpfote trabte neben sie. „Komm, ich helfe dir.“ Sie senkte ihren Kopf, ehe sie Haselschweifs Körper im Nacken packte und zu zerren begann, doch sie war zu klein und schaffte es nicht alleine.

Milchkralle trat vor. „Er war mein Mentor. Lass mich dir helfen.“

Gemeinsam schafften sie es, Haselschweif vom Schlachtfeld zu ziehen, weiter in Richtung Lager.

Honigblüte stolperte ihnen hinterher. Ihr Blick war leer, voller Trauer. So musste es aussehen, wenn einem das komplette Herz gebrochen war.

Löwenzahnstern räusperte sich. „Wenn es der Wille des SternenClans ist, sollten wir die, um die es geht, zu uns holen.“ Er nickte Lehmpelz zu. „Geh. Wir warten hier.“

Immer mehr Wolken lösten sich auf. Der Schnee wurde wieder weniger.

Sturmherz legte sich hin, schloss die Augen. Nur einen kurzen Moment, bis Lehmpelz zurück war. Nur ein kurzer Moment …
 

***
 

Er wachte auf, als alle vier Clans auf der Lichtung im Gebiet des FeuerClans versammelt waren. Auch andere hatten sich kurz ausgeruht und ließen sich nun bei ihren jeweiligen Clans nieder. Manche leckten ihre Wunden oder warfen den anderen Clans feindliche Blicke zu, doch die meisten schienen einfach nur froh zu sein, dass es vorbei war. Nur Honigblüte und Fliederpfote waren nicht anwesend, weil sie im Lager bei Haselschweifs Körper geblieben waren.

Schneewolke lächelte Sturmherz sogar an, als sie an ihm vorbei zum WasserClan ging.

Otterpelz berührte die Nase seiner verstoßenen Schwester Wolkentänzer ebenfalls mit der Nase, ehe er zu Schneewolke und den anderen ging.

Wacholderstern, der sich aus dem ganzen Kampf herausgehalten hatte, stromerte quer durch den LuftClan, sagte jedoch nichts, sondern zuckte nur unruhig mit den Ohren. Er sammelte seinen Clan zusammen und verkündete, dass er sich in das Gebiet des LuftClans zurückziehen wollte.

Löwenzahnstern ließ ihn nicht aus den Augen. „Dann wird auch der ErdClan in sein Revier zurückkehren. Ihr werdet diese Angelegenheit nun alleine klären können.“ Er senkte zum Abschied den Kopf.

Kurz darauf befanden sich nur noch der FeuerClan und der WasserClan auf der Lichtung.

Silberstern räusperte sich und sofort richtete sich alle Aufmerksamkeit auf sie. „Ihr wisst alle, wieso wir hier sind.“ Kurze Pause, grimmige Miene. „Der SternenClan verlangt, dass wir diesen Kampf beilegen. Sonne und Mond sind am Himmel vereint. Das Schicksal von Sonnenjunges und Mondjunges ist das Schicksal unserer Clans.“

Gewitterschweif nickte zufrieden. „Wolkentänzer, Apfelpelz, tretet bitte vor.“

Die beiden sahen sich zögerlich an, doch dann gehorchten sie und gingen nach vorne zu den Anführern und Gewitterschweif. Sonnenjunges und Mondjunges – mittlerweile zwei Monde alt – tapsten ihnen hinterher.

Schwarzsterns Blick war unergründlich. „Ihr wisst selbst, dass ihr das Gesetz der Krieger gebrochen habt, als ihr eine Liebesbeziehung miteinander eingegangen seid. Doch wie es der SternenClan will, sollen eure Jungen nicht länger unter eurem Fehler leiden müssen.“

Silberstern sah unzufrieden aus, doch sie wiegte ihren Kopf sanft hin und her. „Lange hat der WasserClan darunter gelitten, dass kranke oder tote Junge zur Welt gekommen sind – wenn es überhaupt Nachwuchs gab. Eisschatten und Schneewolke waren die ersten, die es nach langer Zeit überhaupt bis zum Schüler geschafft haben. Und auch jetzt haben wir nur Forellenpfote, den Sohn von Steinbeere und Nachttropfen, auf dessen Schultern die Zukunft des WasserClans liegt.“

Forellenpfote, der zierliche, blaugraue Schüler, knete nervös das Gras unter seinen Pfoten.

Silberstern streifte ihn nur kurz mit ihrem Blick, ehe sie Sonnenjunges und Mondjunges direkt anschaute. „Vielleicht ist die Zeit gekommen, dass Forellenpfote diese Last nicht länger alleine tragen muss.“

Gewitterschweif nickte erneut. „Es ist an der Zeit, zuzulassen, dass das Blut des WasserClans wieder aufgefrischt wird. Zu lange haben wir uns davor verwehrt und wir alle haben am heutigen Morgen gesehen, wozu dies geführt hat. Sowohl der FeuerClan als auch der WasserClan haben ihren Zweiten Anführer verloren. Es ist ein Tag der Trauer und doch ein Tag der Hoffnung.“

„Wolkentänzer“, sagte Silberstern, setzte sich gerade hin und erlangte ihre Würde zurück. „Ich kann und werde deine Verbannung nicht aufheben. Was du getan hast, war falsch. Du hast dich dem Gesetz der Krieger entzogen. Dornstachel ist für die Überzeugung gestorben, dass auch deine beiden Jungen nicht länger an den Heiligen Berg gehören. Ich bin bereit, meine Meinung in diesem Punkt zu überdenken.“

Ihr Clan schnappte nach Luft, schaute verwirrt umher. Gewitterschweif lächelte zufrieden vor sich hin und nickte wohlwollend.

„Doch diese Entscheidung kann ich nicht alleine treffen. Schwarzstern. Diese Jungen sind zur Hälfte FeuerClan.“

Nun räusperte sich auch Schwarzstern. „Wie ihr alle wisst, bin auch ich eine HalbClan-Katze. Ich werde die beiden Jungen nicht in die Wildnis fortschicken. Zudem bin ich dazu bereit, Apfelpelz eine zweite Chance zu geben. Es war ihm zwar nicht erlaubt, eine Beziehung mit Wolkentänzer einzugehen, doch sie war bereits aus dem WasserClan ausgestoßen, als sie mit ihren Jungen zu mir kam, um Hilfe zu suchen. Hätte Apfelpelz nicht so selbstlos gehandelt, hätten wir nie davon erfahren. Er war bereit, sein Leben im Clan für seine Jungen zu opfern.“

Apfelpelz‘ Augen leuchteten, doch er schüttelte den Kopf. „Wolkentänzer hat kein Zuhause und …“

Sie unterbrach ihn. „Und das ist in Ordnung. Ich kann damit leben, aber du bist nicht für die Wildnis gemacht.“

„Ich werde dir folgen, wohin auch immer du gehst, Liebste.“

Sie sah aus, als wollte sie widersprechen, doch dann vergrub sie stattdessen dankbar ihr Gesicht in seinem langen, roten Fell. „Ich weiß, Liebster. Aber lass mich alleine gehen. Unsere Jungen brauchen dich hier, nicht bei mir.“

„Aber …!“

„Nein. Ich gehe alleine.“

Er schaute sie an, ein Sturm tobte in seinen gelbgrünen Augen. „Ich begleite dich bis zur Grenze.“ Schließlich nickte er schwach, endgültig, unfähig, noch ein Wort herauszubringen.

Anschließend standen beide gemeinsam auf. Wolkentänzer blickte ein letztes Mal auf ihre Jungen und drehte ihnen dann mit wässrigen Augen den Rücken zu. „Danke, Schwarzstern, für alles. Und auch dir danke ich, Silberstern, weil du unseren Jungen eine Chance gibst.“ Seite an Seite streiften sie durch die Reihen von Kriegern. Zwar musste sie ihren Clan verlassen, doch sie tat dies erhobenen Hauptes.

Rosentau saß mit versteinerter Miene da und würdigte ihren Sohn keines Blickes, als er wortlos an ihr vorbeizog. Nur Blaukralle musste schlucken, schüttelte dann jedoch enttäuscht den Kopf.

Otterpelz stürmte auf seine Schwester zu, schleckte ihr liebevoll einmal quer über das Gesicht und drückte seinen Kopf an ihren Körper. „Ich werde dich vermissen, Schwester. Eines Tages sehen wir uns wieder.“

Sie nickte. „Ganz bestimmt.“

Sie gingen weiter, verließen die Lichtung nach Norden, ließen ihre Jungen verwirrt zurück. Es war kein guter, richtiger Abschied gewesen, aber wie hätte ein richtiger Abschied schon aussehen können?

Verwirrt rückten Sonnenjunges und Mondjunges enger zusammen und schauten die beiden Anführer aus großen, verwunderten Augen an.

„Der WasserClan braucht neues Blut“, sagte er schließlich. Seine Stimme war bleiern, so schwer fielen ihm diese Worte. „Wirst du akzeptieren, dass Apfelpelz im FeuerClan bleibt?“

„Womöglich kann ich es akzeptieren.“

„Dann werde ich es akzeptieren, wenn du Sonnenjunges und Mondjunges für den WasserClan beanspruchst.“

Sie kniff zufrieden die Augen zusammen. Ihr Blick fiel ein letztes Mal auf den Mond, der gerade am Horizont unter ging. Es war der Wille des SternenClans und selbst Silberstern konnte sich nicht länger dagegen sträuben. „Gut. Aber diese Entscheidung obliegt nicht mir alleine.“ Sie drehte sich zu ihrem Clan um. „WasserClan! Stimmt darüber ab, ob wir die Jungen von Wolkentänzer und Apfelpelz als vollwertige Mitglieder unseres Clans aufnehmen sollen oder ob sie weiterhin im FeuerClan verbleiben.“

Im WasserClan brach Gemurmel aus. Immer wieder wurden skeptische Blicke getauscht.

Zimtfeder schluchzte leise vor sich hin. Sie hatte Sonnenjunges und Mondjunges wie ihre eigenen Jungen aufgezogen, sie gesäugt, gewärmt, bekuschelt. Umso enger zog sie Bienenjunges und Fuchsjunges nun an sich heran. „Sie werden mir fehlen“, flüsterte sie leise und ließ den Kopf hängen. „Sie sollten bei uns bleiben.“

Blaukralle strich ihr mit seinem Schwanz über die Seite, um sie zu beruhigen, sagte jedoch nichts.

Rosentau rümpfte lediglich die Nase über das Verhalten von Blaukralles Gefährtin.

Sturmherz schaute gespannt zum WasserClan herüber.

„Sie sind und bleiben HalbClan-Junge“, begann Donnertaucher zähneknirschend. „Seit Generationen steht der WasserClan dafür, dass wir das Gesetz der Krieger auf besondere Weise ehren. Können und wollen wir das wirklich einfach hinter uns lassen?“

„Es ist der Wille des SternenClans!“, widersprach ihm Otterpelz mit lodernden Augen. „Wollen wir das einfach ignorieren?“

„Otterpelz hat Recht!“ Steinbeere nickte. „Diese beiden Jungen haben das Recht, bei uns zu leben, wenn es der SternenClan so will. Es steht uns nicht zu, ihnen noch länger ihr Zuhause zu verwehren.“

„Wir sind nicht ihr Zuhause“, murrte Schiefregen, der Krieger, der eine angeborene Fehlstellung am Hals hatte und seinen Kopf deshalb die meiste Zeit über schräg hielt. „Wir können es auch ohne sie schaffen. Wir sind nicht auf sie angewiesen.“

„Nein, wir schaffen es nicht ohne neues Blut“, sagte Steinbeere trotzig. „Ihr wisst das alle so gut wie ich! Wir sehen doch jedes Jahr aufs Neue, wohin uns das geführt hat. Sowohl mein Bruder Dornstachel als auch ich haben jahrelang probiert, Junge zu bekommen. Weder bei ihm noch bei mir hat es jemals geklappt. Wenn es Forellenpfote nicht gäbe, wäre ich niemals Königin geworden! Wir müssen den zukünftigen Generationen neues Blut geben, damit sie nicht länger dasselbe Schicksal erleiden müssen.“

„Wahre Worte!“, stimmte Nachttropfen ihr zu. „Mein Sohn sollte nicht länger der einzige Schüler bleiben. Noch vier Monde, dann sind Sonnenjunges und Mondjunges ebenfalls Schüler. Sie werden unseren Clan stärken.“

„HalbClan-Blut bleibt HalbClan-Blut“, knurrte Eisschatten abweisend. „Ich bin dagegen!“ Er reckte das Kinn in die Höhe und nahm wohlwollend zur Kenntnis, dass sein Vater Donnertaucher ihm zunickte und applaudierend den Schwanz auf den Boden schlug.

„Alle, die dafür sind, dass die beiden bei uns bleiben, heben nun deutlich den Schwanz.“ Silbersterns Blick glitt über ihren Clan. Von den vierzehn anwesenden Mitgliedern des WasserClans stimmten nur vier dagegen, unter ihnen Silberstern selbst, die mit der Zunge schnalzte. „Gut. Ich werde mich dem Wunsch meines Clans beugen. Damit ist die Sache entschieden.“ Sie schaute zu Sonnenjunges und Mondjunges. „Vom heutigen Tag an seid ihr vollwertige Mitglieder des WasserClans. Ihr werdet im Clan eurer Mutter aufwachsen und uns voller Ehre und Loyalität vertreten.“

Die beiden schauten sich wortlos an. Niemand hatte sie nach ihrer Meinung gefragt und ihr bisheriges Leben, auch wenn es nur zwei Monde waren, hatten sie im FeuerClan verbracht.

Schwarzstern nickte den beiden Jungen zu. „So sei es. Es ist der Wunsch des SternenClans. Die Herzen des FeuerClans werden euch stets auf euren Wegen begleiten, doch von nun an gehört ihr zum WasserClan.“

Unsicher erhoben die beiden sich, schauten sich noch einmal um, ehe sie vorsichtig auf den WasserClan zutapsten.

Steinbeere erhob sich sofort und ging auf die beiden zu. „Ich bin Steinbeere, Forellenpfotes Mutter. Kommt mit mir mit. Ich werde mich um euch kümmern.“

Auch Otterpelz trat an die Seite der Jungen. „Und mein Name ist Otterpelz. Ich bin der Bruder eurer Mutter – also euer Onkel. Ihr könnt mir vertrauen. Ich werde euch beschützen, was auch immer passiert.“

Zuletzt trat auch Gewitterschweif an die beiden heran. „Vielleicht wird einer von euch eines Tages der neue Heiler des Clans? Die Wege des SternenClans sind unergründlich.“

Langsam und zögerlich hieß auch der restliche WasserClan die beiden Jungen willkommen.

Silberstern sah ihnen dabei zu, stand dann auf und seufzte. Sie wirkte erleichtert, als wäre eine schwere Last von ihr abgefallen. „Wir werden nun zurück in unser Territorium gehen. Ich werde Wacholderstern darüber informieren, dass die Grenzen der Clans nicht länger neu verhandelt werden. Zudem …“ Für einen Augenblick trübte sich ihr Blick. „Dornstachel hat sein Leben verloren. Jeder Clan braucht einen Zweiten Anführer.“

Gewitterschweif fing ihren fragenden Blick auf und nickte ihr zu.

Silberstern erwiderte das Nicken, indem sie den Kopf leicht senkte. „Ich verkünde hiermit, dass Muschelzahn von diesem Augenblick an der neue Zweite Anführer des WasserClans wird. Möge seine Weisheit mich in guten wie in schlechten Zeiten besser beraten, als Dornstachel es getan hat.“

Muschelzahn zuckte überrascht zusammen, fing sich jedoch schnell und freute sich über die Glückwünsche der anderen Clanmitglieder.

Sturmherz und die anderen sahen dem WasserClan dabei zu, wie er Dornstachels Körper packte und sich zum Aufbruch bereit machte. Sonnenjunges und Mondjunges gingen in der Masse aus weißem Fell unter, doch an ihrer Seite war Otterpelz der Fels in der Brandung.

Sturmherz fand, dass Silberstern die ganze Zeit über die Fassung gewahrt hatte. Dennoch zweifelte er nicht daran, dass es hinter den Kulissen im WasserClan noch zu Streitereien kommen würde. Zwar akzeptierten sie alle den Willen des SternenClans, aber das änderte nichts daran, dass Sonnenjunges und Mondjunges wie Fremdkörper im WasserClan waren. Noch hatte Silberstern ihre guten Vorsätze, doch ob sie sie einhalten würde, musste die Zeit zeigen. Immerhin hatte sie nun mit Muschelzahn einen Zweiten Anführer an ihrer Seite, der weniger aggressiv auftrat als Dornstachel.

Nachdem der WasserClan gegangen war, machte sich Erleichterung im Clan breit.

Zimtfeder schluchzte nach wie vor vor sich hin. „Ich vermisse die beiden jetzt schon!“

„Aber Mama, du hast doch noch uns!“, sagte Fuchsjunges und zog dabei die Schnute lang. „Noch zwei Monde, dann sind wir Schüler und du kannst richtig stolz auf uns sein!“

„Ich bin immer stolz auf euch“, sagte sie und leckte beiden einmal über die Stirn.

„Es ist gut, dass die beiden weg sind“, meinte Rosentau überheblich. „Sie hätten uns nur weiteren Ärger eingebracht. Ich hoffe, Apfelpelz wird sich in Zukunft benehmen und seinen Jungen nicht hinterhertrauern.“

Eisbart schnaubte. „Natürlich wird er leiden.“

„Er ist viel zu weich“, entgegnete Rosentau kopfschüttelnd und stolzierte zu Herbstwolke rüber, um sich von ihr Zuspruch zu holen.

Blaukralle, der sich die ganze Zeit über ruhig verhalten hatte, trat nun an Schwarzstern heran. „Schwarzstern, ich weiß, wie schwer uns alle der Verlust von Haselschweif getroffen hat, aber ich denke, ich spreche im Namen vom gesamten Clan, wenn ich dir sage, dass ein Zweiter Anführer Sicherheit und Stabilität garantiert, die der Clan braucht. Insbesondere in diesen schweren Zeiten des Verlusts.“

Schwarzstern drehte seinen Kopf langsam zu Blaukralle herum, musterte ihn, seufzte ergeben. „Du hast natürlich Recht, Blaukralle. Das Gesetz verlangt ohnehin, dass ich noch heute einen neuen Zweiten Anführer ernenne.“ Er schaute hinauf in den Himmel. Vereinzelt schwebten dort Wolken entlang, grau und voller Schnee, der nur darauf wartete, den Boden zu berühren. „Der Clan braucht jemanden, auf den er sich verlassen kann. Jemand, der ein guter Krieger und Jäger ist, der für die Werte des FeuerClans einsteht, das Gesetz der Krieger ehrt. Jemand, zu dem man aufschauen kann, weil er ein Vorbild ist. Jemand, der vorausschauend ist.“

Blaukralle streckte sich gebauchpinselt. „Natürlich, Schwarzstern. Und es muss jemand sein, der bereits einen Schüler hatte.“

Schwarzstern atmete tief durch. „Aber nicht jetzt. Heute Abend. Bei Sonnenuntergang.“ Dann erhob er seine Stimme, sodass ihn alle hören konnten: „Wir kehren zurück! Lasst uns nach Hause gehen!“
 

***
 

Niemand, nicht einmal Sturmherz, zweifelte daran, dass Blaukralle der Zweite Anführer werden würde. Auch wenn Haselschweifs Tod das Tagesgeschehen überschattete, ließ Rosentau es sich nicht nehmen ständig quer durch das Lager zu stolzieren und allen zu erzählen, wie stolz sie auf Blaukralle war.

Dennoch quälten sich alle durch den Tag. Die Verletzten mussten versorgt werden, womit Fliederpfote alle Pfoten voll zu tun hatte, da Honigblüte den ganzen Tag über eingerollt in ihrem Bau lag und mit niemandem mehr reden wollte. Sie trauerte um Haselschweif, wie sie um keinen anderen jemals getrauert hatte.

Sturmherz erkannte, dass er im Kampf Glück und einen guten Partner zur Deckung gehabt hatte. Weder Flockenpfote noch er hatten mehr als ein paar Schrammen und Kratzer abbekommen.

Schwarzstern hinkte hingegen noch immer, weigerte sich jedoch, Hilfe von Fliederpfote anzunehmen, wenn der restliche Clan noch nicht versorgt war. Von seinem Felsvorsprung aus überwachte er das träge Treiben im Lager, putzte sich hin und wieder und hing seinen Gedanken nach. Ohne Haselschweif an seiner Seite wirkte er seltsam verloren.

„Die beiden waren gute Freunde“, sagte Falkenherz, als sie bemerkte, wie Sturmherz seinen Anführer musterte. „Das einzig Gute an Haselschweifs Tod ist, dass ich ihn im SternenClan wiedersehen werde. Er war mein einziger Sohn, weißt du? Meine Tochter starb bei der Geburt ihrer vier Jungen. Nur Zimtfeder überlebte. Sie und Haselschweif waren alles, was ich hatte. Und der Clan, natürlich.“ Sie seufzte. „Ich bin eine Älteste. Vielleicht ruft mich der SternenClan auch bald zu sich.“

„Du bist zäh. Sie werden dich noch eine Weile bei uns lassen.“

In Falkenherz‘ Augen blitzte der Schalk auf. „Na das hoffe ich doch. Wer soll den Schülern sonst in den Hintern treten?“ Wie ein dunkler Schatten kehrte die Trauer zurück. „Von nun an wird es meine einzige Freude sein, den Kindern meiner Enkelin beim Aufwachsen zuzusehen.“ Sie schüttelte den Kopf, drehte sich weg und stapfte zurück zu dem Bau der Ältesten, vor dem Schneeflügel bereits auf sie wartete.

Milchkralle und Fleckennase setzten sich zu Sturmherz. Zu dritt leckten sie ihre Wunden und warteten anschließend darauf, dass der Sonnenuntergang nahte.

„Glaubt ihr, Schwarzstern wird unsere Schüler zu Kriegern ernennen, so wie er es damals mit uns getan hat?“, fragte Fleckennase in die Runde.

„Ich denke nicht.“ Milchkralle gähnte erschöpft. „Wir waren damals länger Schüler als Schattenpfote, Dachspfote oder Flockenpfote. Außerdem hat Dachspfote gar nicht mit gekämpft.“

„Aber sie hat dabei geholfen, die Jungen in Sicherheit zu bringen“, murrte Fleckennase. „Und sie hätte es verdient.“

„Das wissen wir, Fleckennase. Aber Schwarzstern muss sich an das Protokoll halten. Einen Zweiten Anführer zu ernennen ist wichtiger als drei Schüler zu Kriegern zu machen, wenn sie einfach noch nicht soweit sind.“

„War ja klar, dass du das sagen würdest, Milchkralle.“ Er verzog das Gesicht, doch das hielt nicht lange an.

Als Schwarzstern vor den FeuerClan trat, ließen sich alle in einem Halbkreis um ihn nieder. „Ich habe lange nachgedacht und nun ist es Zeit, einen neuen Zweiten Anführer zu ernennen. Ich bin mir sicher, dass Haselschweif in diesem Augenblick auf uns herunter schaut und auch in Zukunft über den FeuerClan wachen wird.“

Zustimmendes Gemurmel.

„Ich möchte euch nicht lange auf die Folter spannen“, sagte Schwarzstern mit seiner tiefen Stimme, die wie Donnergrollen klang. „Im vergangenen Jahr hat sich der FeuerClan großen Gefahren stellen müssen. Denkt an den Bärenangriff zurück, der uns nach der harten Blattleere in einem unserer schwächsten Momente getroffen hat. Aber denkt auch an das, was heute auf dem Schlachtfeld geschehen ist. Lasst es uns eine Warnung sein, die Verbundenheit aller vier Clans niemals wieder aufs Spiel zu setzen. Wir mögen zwar unterschiedlichen Clans angehören, doch im Herzen sind wir geeint und teilen uns den Heiligen Berg und den SternenClan. Ich möchte, dass der FeuerClan auch dann in guten Pfoten liegt, wenn ich eines Tages nicht mehr da sein werde.“

Manche schauten betreten zu Boden, andere blickten zu Blaukralle, der mit stolz geschwellter Brust in der ersten Reihe saß. Er würde genau das kriegen, wofür er sein ganzes Leben lang trainiert hatte.

Schwarzstern ließ seinen Blick über die anderen Katzen schweifen. „Ich weiß, dass jeder von euch stets sein Bestes gibt. Aber einer von euch hat sich in meinen Augen hervorgetan, weil er immer das Richtige getan hat, auch gegen den Widerstand von anderen. Diese Beharrlichkeit ist eine Fähigkeit, die jeder gute Anführer besitzen muss. Und aus genau diesem Grund erwähle ich hiermit Sturmherz als meinen Stellvertreter.“

Sturmherz fiel alles aus dem Gesicht. Er starrte Schwarzstern an und sein Herz setzte vor Überraschung ein paar Schläge aus.

Milchkralle starrte wiederum Sturmherz mit großen Augen an, genau wie Fleckennase, der ihm kurz darauf überschwänglich gratulierte.

Blaukralle hingegen sah aus, als würde seine Farbe jeden Augenblick von Blau zu einem wütenden Rot wechseln. „Sturmherz?!“

Rosentau explodierte förmlich. „Schwarzstern, bei allem Respekt, aber Blaukralle hat diesen Posten verdient! Er ist die perfekte Besetzung für den Zweiten Anführer! Sturmherz hingegen, er …“ Ihre Augen sprühten hasserfüllte Funken. „Er hat nicht einmal einen Schüler fertig ausgebildet! Ist das nicht gegen die Regeln?“

„Nein, ist es nicht. Es ist absehbar, dass Sturmherz Flockenpfotes Ausbildung erfolgreich beenden wird. Aus diesem Grund steht seiner Ernennung nichts mehr im Weg.“

„Das … Das ist …“ Ihr fehlten die Worte.

Doch nicht nur sie schien damit unzufrieden zu sein. Sogar Eisbart grunzte leise. „Blaukralle ist schon länger ein Krieger als Sturmherz. Sturmherz ist noch nicht einmal ein ganzes Jahr bei uns.“

„Schluss mit der Diskussion!“ Schwarzstern stand auf. „Ich habe mich entschieden! Blaukralle ist ein ausgezeichneter Krieger, aber ich sehe in ihm zum jetzigen Zeitpunkt nicht das, was es benötigt, um meinen Clan eines Tages in seinen Pfoten zu wissen.“

Rosentau schnappte immer wieder empört nach Luft.

Blaukralle war so geschockt, dass ihm die Worte fehlten. Er rang schlichtweg nach Fassung.

Unzufriedenes Gemurmel und Murren breiteten sich unter den Anwesenden aus. Die eine Hälfte freute sich für Sturmherz, die andere Hälfte wollte Blaukralle als Zweiten Anführer sehen.

Sturmherz fühlte sich unwohl. Damit hatte er nicht gerechnet. Niemand hatte das. Er wusste nicht einmal, ob er Zweiter Anführer sein wollte, ob er dieser Aufgabe gewachsen war. Doch Schwarzstern hatte ihm keine Wahl gelassen. „Ich weiß nicht, ob ich das schaffe.“

„Natürlich schaffst du das“, machte Fleckennase ihm sogleich Mut.

„Natürlich schafft er das nicht!“, setzte Rosentau dem entgegen.

Sturmherz wusste nicht mehr, wem er glauben sollte. Er hatte sich ganz sicher nicht wohl bei dem Gedanken gefühlt, dass Blaukralle Zweiter Anführer und eines Tages Anführer werden würde, weil er ihm sicherlich das Leben zur Hölle gemacht hätte. Aber Sturmherz fühlte sich nicht dafür bereit, diesen Posten selbst zu übernehmen. Er war jung und im Vergleich zu jemandem wie Eisbart unerfahren. Vielleicht hätte er sich diese Herausforderung zugetraut, wenn nicht der halbe Clan mit Ablehnung reagiert hätte. Sie akzeptierten ihn als Mitglied des FeuerClans und als Krieger – aber als Zweiten Anführer? Die Sorgen und Gedanken wirbelten in seinem Kopf umher.

Er kam nicht mehr dazu, etwas auf diese Situation zu erwidern.

Fliederpfote rannte aus dem Bau der Heiler hinaus, ihr Gesicht besorgt, geschockt, verzweifelt. „Schwarzstern! Schwarzstern! Bitte komm schnell!“

Der Anführer drehte sich abrupt zu ihr um. „Fliederpfote, was ist passiert?“

„Ich war nur ganz kurz nicht da und dann, ganz plötzlich … Honigblüte, sie …“ Fliederpfote begann zu zittern. „Ich weiß nicht, was geschehen ist, aber Honigblüte …“

„Was ist mit Honigblüte?“

Fliederpfote schniefte. „Sie ist tot!“

Ein Aufschrei ging durch den Clan. Das konnte nicht sein!

„Sie liegt neben Haselschweifs Körper und atmet selbst auch nicht mehr! Sie ist eingeschlafen, einfach so! Sie ist an ihrem gebrochenen Herzen gestorben!“

Die Welt um sie herum schien einzustürzen. Erst Haselschweif, jetzt Honigblüte, die Heilerin. Und Fliederpfote hatte ihre Ausbildung nicht einmal beendet gehabt.

Sturmherz wusste nichts mehr. Er saß einfach nur da und konnte nichts tun, außer dabei zuzusehen, wie der FeuerClan im Chaos versank.

Und er war der Zweite Anführer.

Er war seine Aufgabe, seinen Clan zu schützen – nur wie? Hilflosigkeit machte sich in seinem Inneren breit.

Womöglich hatte Schwarzstern tatsächlich einen schweren Fehler gemacht.

Doch nun war es zu spät.

Sturmherz musste das Beste daraus machen. Er fühlte sich verloren. Unendlich verloren.

Wieso tat ihm der SternenClan so etwas an?

Prolog Saga 3 - Dunkles Herz

Es war Ende März und die Blattleere hielt das Land rund um den Heiligen Berg noch immer in einem eisernen, kalten Griff. Der See im Gebiet des LuftClans war zugefroren, ebenso wie der Bach, der die anderen drei Clans mit Wasser versorgte. Die Bäume waren von dicken, weißen Schneeschichten bedeckt und je länger die Blattleere sich zog, desto stärker mussten alle Clans leiden. Es gab nur noch wenig Frischbeute und die Krieger hatten größte Mühe, den Clan satt zu bekommen. Auch ihre Vorräte neigten sich bedrohlich dem Ende zu.

Fliederpfote starrte in die Weiten des SternenClans hinaus. Sie wusste, dass sie Seite an Seite mit den anderen Heilern in der Mondhöhle hinter dem Gebiet des WasserClans lag, doch sie fühlte sich alleine gelassen.

„Honigblüte?“ Es war keine ernst gemeinte Frage, denn sie wusste, dass ihre Mentorin ihr nicht antworten würde. Das hatte sie seit ihrem Tod noch nicht getan. War sie nicht zufrieden mit dem, was Fliederpfote trotz allem für den FeuerClan leistete? Hatte sie etwas falsch gemacht und den Zorn der toten Heilerin auf sich gezogen? Dabei war alles, was Fliederpfote wollte, eine Antwort auf die Frage, ob Honigblüte schon länger von ihrem Schicksal gewusst hatte – womöglich schon seit ihrer, Fliederpfotes, Geburt.

In der Ferne streifte Gewitterschweif mit seinem ehemaligen Mentor umher. Es hieß, dass er darüber nachdachte, Mondpfote oder Sonnenpfote als Schüler zu nehmen, doch bislang war die Entscheidung noch nicht gefallen. Der Heiler des WasserClans behandelte Fliederpfote mit dem üblichen Respekt, doch sie wusste, dass er sie nicht als vollwertige Heilerin ansah. Ebenso wenig tat dies Nessellicht aus dem LuftClan. Nur Tigerfuß, der alte Heiler des ErdClans, beantwortete ihr voller Geduld jede einzelne Frage und führte ihre Ausbildung fort. Kein Clan durfte ohne Heiler sein. Sie war die einzige Hoffnung, die der FeuerClan hatte.

„Du siehst traurig aus.“ Rauchsturm trat in ihr Sichtfeld und kam mit freundlichem Gesichtsausdruck auf sie zu. Seine Ernennung zum vollwertigen Heiler war gerade einmal einen Mond her. Er setzte sich neben sie und starrte mit ihr in das blausilbrige Licht des SternenClan-Waldes hinein. „Ich bin mir sicher, dass sie dich hört. Sie fühlt sich nur noch nicht bereit dafür, mit dir zu sprechen.“

„Ich vermisse sie. Wenn ich gewusst hätte, welche Last sie in ihrem Herzen erträgt, wäre ich nicht so wütend auf sie gewesen, weil sie mich immer strenger behandelt hat. Ich hätte weiser sein müssen, so wie man es von einem Heiler erwartet.“

„Dich trifft keine Schuld, Fliederpfote. Honigblüte musste ihr Schicksal alleine erdulden.“ Er sprach bereits wie ein wahrer Heiler.

Fliederpfote seufzte. „Es würde mir besser gehen, wenn Nessellicht und Gewitterschweif netter zu mir wären. Honigblüte … Ich vermisse sie sehr.“

„Ja, ich weiß. Tigerfuß ist schon sehr alt und ich weiß nicht, wie es sein soll, wenn er eines Tages nicht mehr lebt. Aber ich weiß, dass ich ihn immer hier im SternenClan treffen kann, das beruhigt mich.“

„Geht es ihm denn nicht mehr gut, dass du dir über so etwas Gedanken machen musst?“

„Nein, nein. Es ist alles in Ordnung.“ Rauchsturm zwinkerte ihr zu. Neben Fliederpfote sah er aus wie eine riesige Gewitterwolke neben einer kleinen Schönwetterwolke. Dann veränderte sich sein Blick und er deutete mit dem Kinn nach vorne. „Schau, da kommt jemand für dich. Ich lasse euch alleine.“ Er nickte ihr zu, stand wieder auf und stromerte in die andere Richtung davon.

Aus dem silbrigblauen Licht der Bäume schälte sich ein verschwommener Schatten, der nur langsam näher trat. Zunächst war es eine undefinierbare Gestalt, dann wurden immer mehr Details sichtbar. Die Kopfform. Das gestreifte Fell. Der Blick. Ihr unverkennbarer Geruch.

„Honigblüte!“ Fliederpfote sprang schlagartig auf alle Viere. Ihr Herz begann vor Aufregung wie wild zu schlagen. „Ich habe jeden Halbmond auf dich gewartet!“

Ihre Mentorin ging langsam und bedächtig, beinahe unsicher, auf sie zu. Dann setzte sie sich ihr gegenüber ans andere Ende der kleinen Lichtung hin. „Fliederpfote, du bist weit gekommen. Jeden Tag wache ich über dich und deine Ausbildung.“

„Du … du bist jeden Tag bei mir? Ich dachte, du hättest mich verlassen. Wieso bist du nicht früher zu mir gekommen? Wieso hast du mein Rufen ignoriert? Wieso musstest du sterben? Was ist passiert? Ich habe so viele Fragen an dich! Wieso, Honigblüte? Wieso?“

Ihr mildes, aber dennoch freches Lächeln trat in ihr Gesicht. „Nicht jetzt, meine Schülerin. Ich bin hier, um dich zu warnen. Noch immer schwebt große Gefahr über allen vier Clans. Dunkle Schatten haben euch umzingelt und strecken die Krallen nach euren Herzen aus. Ihr seid in Gefahr, in großer Gefahr!“

„Aber …“ Fliederpfote blinzelte verwirrt. „Ist denn nicht alles in Ordnung? Die Clans haben ihren Streit beigelegt. Sonnenpfote und Mondpfote wachsen im WasserClan auf. Im ErdClan sind zwei und im LuftClan drei Jungen geboren worden. Dachspfote, Flockenpfote und Schattenpfote werden morgen ihre Kriegerprüfung ablegen. Fuchspfote und Bienenpfote sind Schüler. Außerdem erwarten Dachspfote und Fleckennase Nachwuchs. Der FeuerClan wird mit den zukünftigen Kriegern noch stärker werden.“

„Die Oberfläche des Sees mag ruhig aussehen, doch wenn der Sturm kommt, werden die Wellen umso höher schlagen. Dunkelheit hat die Herzen längst ergriffen. Es geht zu Ende, Fliederpfote.“

„Was geht zu Ende? Was? Ich verstehe es nicht!“

Honigblüte schüttelte den Kopf, stand wieder auf und begann langsam zu verblassen. „Es wird Zeit für dich, zurückzukehren.“

„Nein, noch nicht! Bitte Honigblüte, ich habe fast drei Monde auf diesen Augenblick gewartet! Sprich weiter mit mir, lass mich nicht wieder alleine zurück!“

Honigblüte schüttelte stumm ihren Kopf, verblasste nun schneller. Ihre Konturen lösten sich auf. Silber wurde zu Blau. „Der See, denk an den See …“

Fliederpfote schaute panisch umher. Sie wollte nicht loslassen, doch es war nichts mehr da, was sie hätte greifen können. „Honigblüte!“

„Ich wusste von Anfang an, dass sie die Richtige für mich ist“, sagte Fleckennase mit verträumtem Blick in Richtung Dachspfote.

„Wieso, weil du darauf stehst, dass sie dir am Anfang am liebsten das Fell über die Ohren gezogen hätte?“, witzelte Milchkralle sarkastisch und rollte mit den Augen. „Es ist klar, wer von euch beiden in eurer Beziehung das Sagen hat.“

„Ach sei doch still! Du bist nur neidisch, weil du niemanden hast“, erwiderte er wütend, stand auf und stapfte zu Dachspfote, die sich gerade auf ihre heutige Kriegerprüfung vorbereitete, davon.

Sturmherz konnte sich ein Lachen nicht länger verkneifen und prustete los. „Er nimmt das viel zu ernst.“

Milchkralle grinste in sich hinein. „Aber es stimmt doch, was ich gesagt habe.“

„Klar stimmt es, aber deswegen musst du ihm diese Wahrheit nicht auf nüchternen Magen zum Frühstück servieren.“

Sie stand ebenfalls auf und streckte sich ausgiebig. „Wie dem auch sei, Herr Zweiter Anführer, die Pflicht ruft.“

Er seufzte, streckte sich auch und schüttelte dann die Schneeflocken von seinem Fell. Seit zweieinhalb Monden war er der Zweite Anführer des FeuerClans, nachdem Schwarzstern vollkommen überraschend ihn und nicht Blaukralle nach Haselschweifs Tod dafür auserwählt hatte. Es lief halbwegs gut, aber eben nur halbwegs. Milchkralle und Fleckennase gehörten zu den wenigen Clan-Mitgliedern, die offen zu ihm hielten. Er war erst seit einem Jahr beim FeuerClan und viele zweifelten an, dass er den Vorzug vor Blaukralle, einem im Clan geborenen, angesehenen Krieger, bekommen sollte. Wenn Sturmherz es sich hätte aussuchen können, hätte er diese Ehre gar nicht gewollt.

Es machte es auch nicht gerade besser, dass Blaukralle angefangen hatte, die anderen im Clan gegen ihn aufzuhetzen. Nun, da Blaukralle die Chance seines Lebens verpasst hatte, schien er es nicht mehr für notwendig zu halten, nur hinter dem Rücken der anderen zu lästern. Er tat es offen, brachte jeden einzelnen Fehler von Sturmherz ins Gespräch und sorgte dafür, dass allmählich auch andere offen ihre Kritik an ihm äußerten. Zu jung. Zu unerfahren. Kein reines Clan-Blut. Ein ehemaliges Hauskätzchen. Was würde der SternenClan nur dazu sagen, wenn er irgendwann Anführer wird.

Schwarzstern schwieg sich zu diesen Themen mit stoischer Gewissheit aus. Er ließ Sturmherz weiterhin die täglichen Patrouillen organisieren, traf sich einmal am Tag mit ihm, um die Lage zu besprechen, und das war es auch schon.

Manchmal glaubte Sturmherz, dass Schwarzstern seine Entscheidung bereits bereute. Doch es ließ sich nicht mehr ändern.

„Bist du bereit?“ Schwarzstern tauchte neben ihm auf, das lange, schwarze Fell hing strähnig und feucht an ihm herab. Der Schneefall hatte zugenommen.

„Ja, natürlich. Wir können beginnen.“

„Gut. Ich warte an der Lichtung auf euch.“

Während der Anführer das Lager bereits verließ, sammelte Sturmherz Fleckennase mit Dachspfote, Flockenpfote und Milchkralle mit Schattenpfote ein. Alle drei Schüler wurden gleichzeitig geprüft. Wenn alles gut ging, hatte der Clan am heutigen Tag wieder etwas zu feiern. Das würde die allgemeine Stimmung sicherlich wieder anheben.

Gemeinsam trabten sie aus dem Lager heraus, durch den Eingang im Gestrüpp, dann den felsigen Untergrund hinauf, bis sie am oberen Ende der Vertiefung standen. Sie schlugen den Weg zu der großen Lichtung ein, auf der vor noch gar nicht allzu langer Zeit der Kampf gegen den WasserClan stattgefunden hatte.

Auf dem Weg dorthin passierten sie Blaukralle mit Fuchspfote und Zimtfeder mit Bienenpfote – noch eine Kleinigkeit, die Sturmherz in dem Glauben bestärkte, Schwarzstern hätte das Gefühl, bei den beiden etwas gutmachen zu müssen. Er hatte den Eltern die eigenen Kinder als Schüler gegeben, sehr zur Freude von Rosentau und vielen anderen im Clan.

Auf der Lichtung erwartete Schwarzstern sie bereits. „Wenn ihr euch bereit fühlt, können wir direkt beginnen. Ihr werdet in dem Waldgebiet rund um diese Lichtung herum jagen und gegeneinander Probekämpfe austragen. Dafür habt ihr Zeit, bis die Sonne ihren höchsten Punkt erreicht hat. Währenddessen werden sowohl Sturmherz als auch ich umherlaufen, euch beobachten und bewerten, wie gut ihr euch dabei macht. Zudem geht es hier nicht einfach nur darum, dass ihr uns beweist, wie gut ihr in der Theorie und auf sicherem Gebiet seid. Als Krieger habt ihr keine Sicherheit mehr im Rücken. Ihr seid für alle eure Taten selbst verantwortlich. Der Clan muss in einer Blattleere wie dieser mit Frischbeute versorgt sein, auch wenn es schwer fällt. Es geht darum, dass ihr uns beweist, dass ihr dazu in der Lage seid. Aus diesem Grund möchte ich von jedem von euch bis Sonnenhoch ein Eichhörnchen, einen Vogel und eine Maus haben. Das ist alles.“

Schattenpfote klappte der Mund auf. Er wollte widersprechen, doch Milchkralles warnender Blick ließ ihn verstummen.

Dachspfote blickte sehr ernst drein. „Ich werde euch nicht enttäuschen.“ Dann schaute sie zu Fleckennase und ihr Blick wurde milder. „Keinen von euch.“ Als sie aufstand, sah man unter dem schwarzweißen Fell bereits die zarte Rundung ihres Bauches. Sie war bis auf die Knochen abgemagert gewesen, als sie nach dem Schlangenbiss einen Mond lang im Bau der Heiler lag. Dann kam die Blattleere. Sie hatte nicht mehr so viel Fett ansetzen können, wie gut gewesen wäre, doch Fleckennase versorgte sie gut und kümmerte sich um sie. Als zukünftige Königin genoss sie im ganzen Clan Vorrang. Auch die Muskelverletzung an ihrem Hinterbein war gut verheilt. Äußerlich erinnerte nichts mehr an den Biss der Schlange und auch ihr leichtes Hinken fiel nur noch auf, wenn man genau hinschaute. Dies würde laut Fliederpfote zwar vermutlich ihr Leben lang bleiben, doch es behinderte sie nicht weiter.

Flockenpfote, der über die letzten Monde noch einmal kräftig gewachsen war, sah mit seinem dichten Winterfell wie eine riesige Schneeflocke aus und machte seinem Namen damit alle Ehre. Er wirkte nervös, knete den Boden durch, doch nickte er. „Wir schaffen das.“

Schwarzstern nickte ihnen der Reihe nach zu. „Bis Sonnenhoch, keinen Herzschlag länger. Fangt an.“

Die drei Schüler tauschten noch einen kurzen, letzten Blick, dann trotteten sie in unterschiedliche Richtungen davon, um sich beim Jagen nicht in die Quere zu kommen.

Milchkralle legte sich ganz entspannt auf einen Baumstumpf am Rande der Lichtung und begann sich zu putzen.

Fleckennase tigerte unruhig auf und ab. „Wie kannst du einfach da liegen und dich putzen?“

Sie hielt inne und schaute zu ihm herunter. „Was soll ich deiner Meinung nach denn sonst tun?“

„Ach, ich weiß auch nicht.“ Unzufrieden sprang er neben sie und gähnte. „Hoffentlich ist das nicht zu viel Anstrengung für Dachspfote. Fliederpfote hat gesagt, dafür, dass sie erst in etwa einem Mond ihren Nachwuchs bekommt, sieht man den Bauch schon recht deutlich. Sie vermutet, dass es mindestens vier Junge sind.“

„Dann wünsche ich dir, dass sie nicht genauso temperamentvoll und kratzbürstig werden wie ihre Mutter.“ Sie zog eine Grimasse. „Nein, im Ernst. Hör auf, sie so zu bemuttern. Dachspfote kann auf sich alleine aufpassen und bei der Patrouille hat sie auch keine Probleme. Sie wird einen Teufel tun und kürzer treten, wenn es nicht dringend sein muss. Und jetzt hör endlich auf, so unruhig zu sein, sonst schmeiße ich dich von hier runter und du kannst dir woanders ein Plätzchen suchen.“

Fleckennase seufzte.

Schwarzstern und Sturmherz saßen schweigend Seite an Seite. Sie warteten eine Weile, bevor sie mit der Kontrolle der Schüler beginnen wollten. Kurz bevor sie losziehen wollten, hechtete Schattenpfote durch das Unterholz auf die Lichtung. Im Maul hielt er einen Rotkardinal, den er stolz präsentierte und vor den beiden auf den Boden legte. Sein pechschwarzes Fell hob sich von der weißen Schneedecke ab. Dann grinste er zuversichtlich und rannte quer über die Lichtung wie ein schwarzer Blitz wieder davon.

Schwarzstern sah zufrieden aus. Er stand auf und setzte sich in Bewegung, direkt hinter Schattenpfote her, aber langsamer und gemächlicher.

Sturmherz folgte ihm. Er hatte keinen Zweifel daran, dass Schattenpfote die Prüfung bestehen würde. Er war flink und seine Schnelligkeit glich bei der Jagd seine Ungeduld wieder aus. Auch Dachspfote konnte in allen Bereichen punkten, wobei sie durch ihre Schwangerschaft langsamer war als sonst und nicht so agil sein konnte, wie sie es gerne wäre. Schließlich gab es dann auch noch Sturmherz‘ eigenen Schüler, Flockenpfote. Er hatte viel mit ihm trainiert und auch, wenn jeder am Anfang daran gezweifelt hätte, hatte er es geschafft, einen akzeptablen Schüler aus ihm zu machen. Die beiden verband ein tiefes Vertrauensverhältnis und bei jedem schlechten Wort stand Flockenpfote felsenfest hinter seinem Mentor, der neben seiner Mutter Schneeflügel als einziger uneingeschränkt an ihn geglaubt hatte. Alle drei Schüler hatten es verdient, zu Kriegern zu werden. Doch am Ende musste Schwarzsterns Wort entscheiden.

Sie ließen die Lichtung hinter sich und traten in den Wald hinein.

Die Prüfung konnte beginnen.
 

***
 

Schwarzstern gähnte. Der Anführer und Sturmherz saßen am Rand der Lichtung und gingen noch einmal durch, was sie bei Schattenpfote gesehen hatten. „Er hat sich gut gemacht“, sagte Schwarzstern. „Wenn er nun noch eine Maus fängt, steht seiner Ernennung zum Krieger nichts mehr im Weg. Du hast jetzt gesehen, worauf es mir bei den Prüfungen ankommt. Ich werde mir Dachspfote ansehen und suchst Flockenpfote, danach tauschen wir.“

„Ist gut.“ Sturmherz nickte, stand auf und folgte dem Geruch seines eigenen Schülers tiefer in den Wald hinein. Unzählige Male hatte er Flockenpfote zum Jagen begleitet und auch, wenn er anfangs daran gezweifelt hatte, so war er nun fest davon überzeugt, dass Flockenpfote sich gut als Krieger machen würde. Er war ehrlich, loyal, führte alle Aufgaben nach bestem Wissen und Gewissen aus und er hatte ein Herz aus Gold. Außerdem ließ er sich nicht von Blaukralles Sticheleien beeindrucken.

Die Fährte wurde stärker, führte durch dicht beisammen stehende Bäume mit schweren, gefrorenen Ästen hindurch. Sturmherz spähte auf eine winzige Lichtung, nicht größer als drei Fuchslängen.

Flockenpfote saß starr am Rand und starrte auf ein dunkelbraunes Eichhörnchen, das sich träge aus seiner Baumhöhle schälte und putzte. Sein weißer, flauschiger Körper verschmolz mit dem weißen Schnee, der beständig auf ihn rieselte.

Um seinen Schüler nicht zu stören und das Eichhörnchen nicht zu verscheuchen, zog Sturmherz sich lautlos wieder in den Wald zurück.

Plötzlich, wie aus dem Nichts, ertönte eine kratzige, keckernde Stimme seitlich neben ihm. „Macht sich gut der Kleine HalbClan-Kater, heh?“

Sturmherz sank vor Schreck das Herz tief in den Körper hinein. Mit geweiteten Augen fuhr er herum und der beißende, säuerliche, stechende Geruch von Verwendung und Schneckenschleim traf ihn. „Flohnacken, was tust du hier?“, fragte er leise knurrend, doch sein Knurren ging unter dem unterdrückten Husten und Räuspern unter. Wieso war ihm der ekelhafte Gestank nicht aufgefallen?

„Stellst immer noch die falschen Fragen, Schneckenhirn.“ Der Einzelläufer weitete sein Maul zu einem breiten Grinsen und machte damit den Blick frei auf seine beschädigten, fauligen Zahnreihen.

Sturmherz musste würgen und wich noch ein paar Schritte zurück. „Du solltest gar nicht hier sein. Du gehörst nicht zum FeuerClan. Und woher willst du überhaupt wissen, dass Flockenpfote ein HalbClan-Kater ist?“

Flohnacken schnalzte mit der Zunge. „Flohnacken sieht viel, hört viel, weiß viel. Bin nicht so blind wie ihr verbohrten Clan-Katzen. Flohnacken hat die weiße Katze mit ihrem Geliebten gesehen.“

Sturmherz wusste nicht, was er schlimmer fand – dass Flohnacken offensichtlich Schneeflügel beim Liebesspiel beobachtet hatte oder dass er bereit war, eiskalt das Wissen über die vermutete Vaterschaft von Schattenpfote, Frostpfote und Flockenpfote preiszugeben. Er schluckte, wollte fragen, wer der Vater war, doch es ging ihn nichts an. Er konnte vermuten, aber das richtige Wissen darüber konnte gefährlich werden.

Einen Augenblick lang beobachtete Flohnacken ihn bewegungslos, dann blinzelte er erst mit dem einen Auge, dann mit dem anderen. Schließlich gluckste er hämisch. „Da weiß der alte Flohnacken wohl etwas, womit das Schneckenhirn nicht gerechnet hat. Upps. Tja. So ist das.“ Er kratzte über einen Baumstamm, um seine Krallen zu schärfen, hatte damit jedoch nicht viel Erfolg.

Wie um alles in der Welt schaffte es dieser verflohte, stinkende, kranke Haufen von Kater nur, sich seit Jahren alleine in der Wildnis durchzuschlagen? Niemand sprach über Flohnacken, doch Sturmherz wusste, dass auch Schwarzstern ihn kannte. „Wie alt bist du eigentlich?“

„Alt. Sehr alt. Uralt. Älter als das Schneckenhirn.“ Wieder gluckste er und schien sich selbst über seine Antworten am meisten zu amüsieren. Dann stand er auf. „Schneeflöckchen wird es schwer haben, ganz schwer. Die anderen im FeuerClan mögen ihn nicht. Unterbewusst wissen sie alle, was Flohnacken weiß. Du weißt es auch. HalbClan-Blut, oh ja.“ Er nickte eifrig, kratzte sich dann hinter dem Ohr. „HalbClab-Blut ist gut. Gesund. Kräftigt den Clan. Aber hier am Heiligen Berg könnt ihr das alle nicht sehen, nein, nein.“

Sturmherz legte seinen Kopf schief. Eigentlich müsste er seiner Pflicht nachkommen und Flohnacken direkt aus dem Revier jagen, aber er brachte es einfach nicht über sich. „Woher weißt du so viel über die Clans? Warst du früher selbst mal im Clan? Bist du vielleicht einer der Ausgestoßenen aus dem WasserClan?“

Flohnacken bleckte die Zähne. „Flohnacken redet nicht über Flohnacken. Flohnacken ist hier, überall, beobachtet und wartet.“

„Worauf wartest du?“

Schweigen. Stille. Dann riss Flohnacken unvermittelt die Augen auf und sprang einen Satz nach hinten, verschwand halb zwischen den Büschen. „Flohnacken wartet auf das Ende. Und es kommt. Es ist fast da. Flohnacken ist hier und dort und hat es gesehen!“ Er drehte sich um, preschte davon.

Sturmherz schaute ihm verdattert hinterher, machte einen Sprung unter dem Gestrüpp durch, verfing sich mit seinem langen Fell. Als er sich befreit hatte, war Flohnacken bereits über alle Berge und auch sein ekelhafter Geruch war so plötzlich verflogen, wie er gekommen war. Sturmherz seufzte. Er wurde aus Flohnacken einfach nicht schlau. Aber er wusste, dass Flohnacken nicht so wahnsinnig war, wie er wirkte. Auf seine ganz eigene Art hatte er Sturmherz damals bereits vor dem Angriff des Bären gewarnt, nur dass er es nicht verstanden hatte. Womöglich sagte er jetzt wieder die Wahrheit und den Clans stand wirklich etwas bevor?

„Hast du das gesehen?“ Flockenpfote trabte von hinten an ihn heran, das dicke Eichhörnchen im Maul. Stolz legte er es vor seinem Mentor ab. „Direkt beim ersten Versuch, ich musste nur eine ganze Weile warten.“

Sturmherz drehte sich um, sah das Eichhörnchen, sah Flockenpfote. Er nickte. „Das hast du gut gemacht. Jetzt fehlen noch die Maus und der Vogel. Beeil dich, Sonnenhoch ist nicht mehr weit entfernt.“

Flockenpfote packte das Eichhörnchen und trottete zu der großen Lichtung herüber.

Sturmherz folgte ihm. Er grübelte noch über Flohnacken nach, als er die Lichtung ebenfalls erreichte. Wen der Einzelläufer doch nur nicht in Rätseln sprechen würde.
 

***
 

Der FeuerClan hatte sich in einem großen Halbkreis im schneebedeckten Lager versammelt und lauschte Schwarzsterns Worten. Es schien, dass selbst der SternenClan mit den Kriegerprüfungen zufrieden war, denn am Abend hatte es aufgeklart und nun war nur noch der Boden des Lagers mit Schnee und Eis bedeckt, aber es schneite nicht mehr.

Schwarzstern räusperte sich und schaute zu Milchkralle, die kerzengerade saß und mit stolzem Blick zu ihrem Schüler Schattenpfote schaute. „Milchkralle, bist du davon überzeugt, dass dein Schüler bereit ist ein Krieger zu sein?“

Sie nickte einmal knapp. „Ja, er ist bereit.“

„Ich, Schwarzstern, Anführer des FeuerClans, rufe meine Kriegerahnen an und bitte sie, auf diesen Schüler herabzublicken. Er hat hart trainiert, um euren edlen Gesetzen gehorchen zu können, und ich empfehle ihn euch nun als Krieger. Schattenpfote, versprichst du, das Gesetz der Krieger einzuhalten, den Clan zu beschützen und zu verteidigen, selbst mit deinem Leben?“

Vor Aufregung zuckte Schattenpfotes Schwanz unkontrolliert auf der Schneedecke hin und her. „Ich verspreche es!“

„Dann gebe ich dir, mit der Kraft des SternenClans, deinen Kriegernamen. Schattenpfote, von diesem Augenblick an wirst du in Anlehnung an das Feuer der Leidenschaft in deinem Herzen Schattenflamme heißen. Der SternenClan ehrt deine Geschwindigkeit und deinen Eifer und wir heißen dich als vollwertigen Krieger im FeuerClan willkommen.“

„Schattenflamme! Schattenflamme! Schattenflamme!“ Der ganze Clan bejubelte den neuen Krieger. Schneeflügel, seine Mutter, schleckte ihm voller Begeisterung einmal quer über das Gesicht.

Schattenflamme hatte größte Mühe, sich seiner Mutter zu entziehen, um zu Schwarzstern zu gehen und ihm voller Respekt die Schulter zu lecken. Dann kehrte er neben Milchkralle zurück, die ihm wohlwollend zunickte. Von diesem Augenblick an waren sie nicht mehr Mentorin und Schüler, sondern gleichberechtigte Krieger, die Seite an Seite kämpfen würden. Man konnte Milchkralle ansehen, wie viel ihr dieser Moment bedeutete.

Als nächstes waren Fleckennase und Dachspfote an der Reihe. Die beiden schwarzweißen Katzen und Gefährten saßen dicht nebeneinander in der ersten Reihe.

Schwarzstern nickte beiden zu. „Fleckennase, bist du davon überzeugt, dass deine Schülerin dazu bereit ist eine Kriegerin zu werden?“

„Ja, sie ist bereit.“

„Ich, Schwarzstern, Anführer des FeuerClans, rufe meine Kriegerahnen an und bitte sie, auf diese Schülerin herabzublicken. Sie hat hart trainiert, um euren edlen Gesetzen gehorchen zu können, und ich empfehle sie euch nun als Kriegerin. Dachspfote, versprichst du, das Gesetz der Krieger einzuhalten, den Clan zu beschützen und zu verteidigen, selbst deinem Leben?“

Ihr Blick war fest entschlossen. „Ich verspreche es.“

Fleckennase himmelte sie in jeder einzelnen Sekunde an, so viel verriet sein Blick für sie.

„Dann gebe ich dir, mit der Kraft des SternenClans, deinen Kriegernamen. Dachspfote, von diesem Augenblick an wirst du Dachsfuß heißen. Der SternenClan ehrt dein Temperament und deine Entschlossenheit und wir heißen dich als vollwertige Kriegerin im FeuerClan willkommen.“

„Dachsfuß! Dachsfuß! Dachsfuß!“ Der Clan bejubelte sie, doch Sturmherz fiel auf, dass Nebelstreif, der am äußeren Rand der Versammlung saß, weniger enthusiastisch bei der Sache war. Die beiden hatten sich nie wirklich miteinander versöhnt, nachdem er sie als Schüler hintergangen hatte und eine große Mitschuld an dem Unfall trug, der sie beinahe das Leben gekostet hatte.

Schließlich straffte Sturmherz seine Schultern. Nun waren er und Flockenpfote an der Reihe. Sein Schüler saß direkt neben ihm, den Blick gedankenverloren nach vorne gerichtet. „Was ist los, freust du dich nicht?“, flüsterte er Flockenpfote zu.

Dieser drehte seinen Kopf leicht in die Richtung seines Mentors. In seine Augen trat ein sehr trauriger Blick. „Ich werde kein Krieger. Schwarzstern wird mich nicht zum Krieger ernennen.“

Das brachte Sturmherz aus dem Konzept. Er blinzelte verwirrt und beugte sich noch näher zu Flockenpfote heran, um über den Jubel des Clans hinweg sprechen zu können. „Wovon redest du?“ Schwarzstern hatte ihm nach den Prüfungen nichts Gegenteiliges mitgeteilt. Sie hatten sich über die Prüfungen aller drei Schüler unterhalten, die Ergebnisse miteinander geteilt und dann hatte Schwarzstern sich bis gerade eben zurückgezogen. Es gab keinen Grund, Flockenpfote durchfallen zu lassen, da er wie die anderen die drei verlangten Tiere als Frischbeute gefangen hatte, wenn auch kurz vor knapp.

Doch Flockenpfote schüttelte den Kopf. „Der andere Kater hat es mir gesagt. Er hat gesagt, Schwarzstern wird mich nicht ernennen. Ich glaube, er mag mich nicht.“

„Welcher andere Kater? Flohnacken? Hast du ihn gesehen? Er ist nur ein Einzelläufer, ignorier ihn. Er ist alt und krank. Du hast alles richtig gemacht.“

Nun war Flockenpfote es, der Sturmherz ziemlich verwirrt ansah. „Flohnacken heißt er also? Er ist nicht nur ein Einzelläufer, er ist mehr als das.“

„Nein, er ist ein stinkender, verflohter Kater, der nicht auf unser Gebiet gehört.“

Die beiden starrten sich einen Herzschlag lang an, bis Schwarzstern sich erneut räusperte und Ruhe im Clan einkehrte.

Die anderen tuschelten leicht, verstummten aber und warfen nun Sturmherz und Flockenpfote ihre Blicke zu.

Etwas in Schwarzsterns Blick veränderte sich. Und genau das war, was Sturmherz nun verunsicherte. „Leider muss ich euch mitteilen, dass die dritte Kriegerprüfung kein Erfolg war. Flockenpfote hat es nicht geschafft und wird weiterhin ein Schüler von Sturmherz bleiben. Damit beende ich die heutige Versammlung. Schattenflamme und Dachsfuß werden die Nacht über Wache halten.“

Was wie ein Nebensatz klang, ließ eine Bombe platzen. Ein Teil des Clans schnappte erschrocken nach Luft und warf sich verwirrte Blicke zu, ein anderer Teil knurrte und starrte zu den beiden herüber.

Blaukralle kniff die Augen leicht zusammen. Er wartete nicht einmal, bis Schwarzstern in seinen Bau zurückgekehrt war, sondern polterte direkt los. „Der Schüler des Zweiten Anführers hat es also nicht geschafft? Eine Blamage, wenn ihr mich fragt. Eine Blamage für den ganzen Clan!“

Rosentau stimmte ihm sogleich überschwänglich zu, was Sturmherz nicht verwunderte, doch sogar Eisbart und Rindentänzer stimmten mit ein. Selbst Herbstwolke schnalzte kopfschüttelnd mit der Zunge.

Milchkralle und Fleckennase starrten Sturmherz mit großen Augen an. „Wieso hast du uns nicht vorher gesagt, dass Flockenpfote es nicht geschafft hat?“ In Milchkralles Worten schwang ein großer Vorwurf mit.

„Weil ich davon bis gerade eben selbst nichts gewusst habe!“, zischte Sturmherz zurück, doch er war zu laut, Blaukralle hatte es gehört.

„Sieh an, unser Anführer berät sich also nicht einmal in allen Angelegenheiten mit dir. Ein toller Zweiter Anführer musst du sein, Sturmherz.“

Sturmherz legte die Ohren an, wusste nicht, auf wessen Vorwürfe er zuerst reagieren wollte. Und dann sah er auch noch, wie Flockenpfote sich mit hängenden Schultern lautlos aus dem Lager stahl. Er wollte seinem Schüler beistehen, sich Blaukralle stellen, mit Schwarzstern reden – alles zur gleichen Zeit. Er atmete einmal tief durch, drehte dem Clan den Rücken zu und sprang den Felsen hinauf, um zu Schwarzstern in dessen Bau zu gehen.

Aufgebracht stapfte er dem Anführer hinterher. „Schwarzstern, wir müssen reden!“

Der Anführer grummelte aus der hintersten, dunkelsten Ecke seiner kleinen Höhle. „Die Versammlung ist beendet.“

„Ja, aber ich bin dein Zweiter Anführer und du behandelst mich nicht so“, platzte es aus ihm heraus, als er vor dem schwarzen Kater zum Stehen kam. „Wieso hast du mir verschwiegen, dass Flockenpfote durchgefallen ist? Es hat keinen Grund dafür gegeben, er hat deine Aufgaben alle geschafft. Also wieso? Wieso hast du das getan? Du zerstörst damit seine Chance auf ein normales Leben im Clan! Er hat es auch so schon schwer genug!“

„Und genau aus diesem Grund habe ich ihn durchfallen lassen.“

„Das ergibt keinen Sinn!“ Frustriert ließ Sturmherz sich auf den Bauch fallen, verbarg die Pfoten unter seinem Körper und funkelte seinen Anführer wütend an. „Erklär es mir, das bist du mir schuldig!“

„Ich? Oh nein, ich bin dir gar nichts schuldig“, schnarrte Schwarzstern plötzlich. „Ich habe dich in meinem Clan aufgenommen, als du in der Wildnis umhergeirrt bist. Du bist ein ehemaliges Hauskätzchen und ich hätte jedes Recht gehabt, dich in den Tod fortzujagen. Aber der SternenClan wollte, dass du bleibst. Du hast uns vor dem Bären gerettet und auch das Problem mit dem WasserClan gelöst. Dafür bin ich dir dankbar, Sturmherz. Aber ich schulde dir nichts. Rein gar nichts.“

„Das erklärt nicht, wieso du es mir trotzdem so schwer machst.“

Der Anführer seufzte. „Ich habe dir nie gesagt, welches meiner Leben ich gerade lebe, nicht wahr?“

Sturmherz überraschte dieser Themenwechsel. „Nein, hast du nicht.“

Schwarzstern nickte. „Dann wird es Zeit dafür. Du sollst nicht denken, dass ich dich nicht als Zweiten Anführer haben möchte.“ Er seufzte. „Ich bin nicht blind, weißt du? Mir ist klar, dass Schneeflügel und Borkenschnabel HalbClan-Jungen gezeugt haben.“

Sturmherz klappte der Unterkiefer herunter. „Du weißt es?“

Schwarzstern schnaubte. „Natürlich weiß ich es. Es ist mein Clan. Es ist meine Aufgabe, über alles Bescheid zu wissen. Aber ich habe Schneeflügel nie darauf angesprochen, weil sie und Borkenschnabel kein Paar sind. Sie war eine gute, fürsorgliche Königin und sie ist unserem Clan treu ergeben, mehr will ich nicht. Aber auch der restliche Clan ist nicht blind. Schattenflamme sieht aus wie einer aus dem FeuerClan. Frostzahn hat zwar das lange, dichte Fell seines Vaters geerbt, aber er ist nicht so groß wie die Krieger aus dem ErdClan. Flockenpfote hingegen … Er hat sowohl das lange Fell als auch die Größe des ErdClans. Alleine sein Aussehen macht ihn zu seinem Außenseiter und ich kann das beurteilen, weil es mir damals auch so ging. Dazu kommt, dass Flockenpfote ein Herz aus Gold hat. Er würde niemals stumm Befehlen folgen, wenn es seiner Überzeugung widerspricht. Noch mag er das zwar selbst nicht ahnen, doch in ihm steckt ein Rebell. Dafür ist der Clan noch nicht bereit.“

„Und wieso hast du ihn dann trotz seiner guten Leistung durchfallen lassen?“

„Hätte ich das nicht getan, hätte es noch mehr Unruhen um seine Person gegeben. Blaukralle hat einige berechtigte Kritikpunkte“, bei diesen Worten zuckte Sturmherz zusammen, „und es wird schlimmer werden, wenn ich ihm und seinen Freunden das Gefühl gebe, dass ich dir und Flockenpfote alles durchgehen lasse und dein Leben im Clan viel zu perfekt läuft. Schon jetzt kriege ich oft zu hören, du wärst mein Liebling. Seien wir doch mal ehrlich, Sturmherz. Flockenpfote ist nicht der beste Schüler und das wird er auch nie sein. Er ist mit dem Herzen dabei, aber seine heutige Leistung ist im mittelmäßigen Bereich gewesen. Es würde der allgemeinen Stimmung im Clan nicht schaden, wenn du dich noch ein oder zwei Monde auf das Training deines Schülers konzentriert, um im Anschluss daran allen zeigen zu können, dass du aus so einem schwierigen Fall einen guten, zuverlässigen Krieger gemacht hast. Das wird einen Großteil deiner Kritiker verstummen lassen.“

Sturmherz schwieg eine Weile, dann grunzte er und setzte sich auf die Hinterläufe. „Das hättest du mir vorher sagen müssen. Du hast mich eiskalt überrascht mit diesem Plan.“

Schwarzstern bleckte leicht die Zähne. „Dann wäre es keine Überraschung mehr gewesen. Die anderen hätten gemerkt, dass du Bescheid weißt.“

„Und ich finde es nicht in Ordnung, dass du das alles auf Flockenpfotes Rücken austrägst.“

„Er ist ein HalbClan-Kater. Wenn das raus kommt, wird er es noch viel schwerer haben. Nur mit der Zeit wird er dem Clan zeigen können, dass er dazu gehört.“

„Schattenflamme und Frostzahn haben diese Probleme nicht. Das ist nicht fair.“

„Natürlich ist es nicht fair, aber so ist das ganze Leben.“ Wieder bleckte Schwarzstern die Zähne. „Ich lebe mein vorletztes Leben, Sturmherz. Niemand weiß, wie lange ich noch Anführer sein werde. Es ist an der Zeit, dass du lernst, den FeuerClan durch Zeiten der Unstimmigkeiten und Unruhen zu führen. Doch dafür musst du dir den Respekt eines jeden einzelnen Kriegers verdienen.“

„Blaukralle und Rosentau werden mich niemals als zukünftigen Anführer akzeptieren.“

„Du siehst in Blaukralle nur das Böse, doch so ist er nicht. Er hat Prinzipien und er ist ein guter, loyaler Krieger. Wenn du es schaffst, ihn davon zu überzeugen, dass er dich als Anführer akzeptiert, wirst du keinen besseren Krieger an deiner Seite haben können.“

„Und wenn es niemals so weit kommen wird? Was, wenn Blaukralle in mir niemals einen Anführer sehen kann?“

Schwarzsterns Blick glitt in die Ferne. „Jeder Anführer hat seine Prüfungen. Das wird deine sein.“

Sturmherz stand auf, schüttelte sich und stieß einen Schwall Luft aus. „Eine Frage habe ich noch, Schwarzstern. Dann gehe ich wieder. Wieso hast du nicht Blaukralle zu deinem Zweiten Anführer gemacht?“

Der Anführer taxierte Sturmherz nur leicht, ehe er die Augen schloss und gähnte. „Wer weiß? Vielleicht hat mich der SternenClan etwas sehen lassen, was mich zu dieser Entscheidung bewogen hat. Ich möchte, dass mein Clan nach meinem Tod in guten Pfoten liegt. Du und Blaukralle, ihr beide seid junge, dynamische, mutige, loyale und ehrgeizige Krieger. Es hat für mich nie eine andere Wahl gegeben als euch beide. Egal welche Herausforderungen in der Zukunft auf den FeuerClan zukommen werden, ich weiß, dass ihr beide für alle zukünftigen Generationen von Kriegern da sein werdet. Und nun geh bitte, ich möchte schlafen.“

Sturmherz senkte respektvoll den Kopf, drehte sich um und ging. Als er zurück in das Lager trat, hatten sich die anderen Clanmitglieder bereits verstreut, doch er spürte, dass hin und wieder ein Augenpaar auf ihm lag. Und noch ein Gefühl tief in seinem Inneren wurde er einfach nicht los. Er spürte, dass Schwarzstern mehr wusste, als er ihm gesagt hatte.

Blaukralle und er.

Gemeinsam?

Seit der Entscheidung, dass Flockenpfote seine Kriegerprüfung nicht bestanden hatte, waren knapp zwei Wochen vergangen und die Große Versammlung auf dem Heiligen Berg näherte sich mit riesigen Schritten. Die Morgenpatrouille kam gerade zurück und Zimtfeders Schwanz wippte aufgeregt, als sie das Lager betrat.

„Ich habe Neuigkeiten über die Jungen aus dem ErdClan und dem LuftClan.“ Sie strahlte über das ganze Gesicht und war in bester Plauderlaune.

Sturmherz hatte sie seit seiner Ankunft im FeuerClan stets nur als Königin kennen gelernt. Umso überraschter war er nun, wie energiegeladen sie als Kriegerin war. Sie stand jeden Tag bei Sonnenaufgang als eine der ersten auf und scheute keine Mühen, um ihre Tochter und Schülerin Bienenpfote quer durch das Gebiet des FeuerClans zu jagen. Ja, Sturmherz würde sogar so weit gehen und sagen, dass sie mit ihrer fröhlichen, energetischen Art ziemlich charmant war. Er konnte verstehen, dass Blaukralle sich in sie verguckt hatte, auch wenn er noch immer bezweifelte, dass der blaue Krieger zu anderen tiefen Gefühlen außer Stolz und Eigenschmeichelei fähig war.

Sogleich versammelten sich einige neugierige Katzen um Zimtfeder, allen voran Falkenherz, Schneeflügel und Rosentau. Mit etwas Abstand setzte auch Sturmherz sich hin, dicht gefolgt von Fleckennase und Dachsfuß. Die beiden hielten solidarisch zu ihm, wann immer es Streit im Clan gab.

Zimtfeder grinste verschmitzt, setzte sich ebenfalls und leckte sich einmal über die rechte Vorderpfote. Bienenpfote nahm neben ihr Platz. „Mit wem soll ich anfangen, ErdClan oder LuftClan?“

Herbstwolke, die die Neuigkeiten um keinen Preis verpassen wollte, preschte vom Frischbeutehaufen herüber und wippte aufgeregt hin und her. „Mit dem ErdClan! Dem ErdClan! Wer hat Junge bekommen und wie heißen sie? Bisher hieß es immer nur, dass es im ErdClan zwei neue und im LuftClan drei neue Jungen gibt!“

Rosentau schnalzte mit der Zunge. „Sei ruhig und setz dich hin.“

Zimtfeder schüttelte ihr Fell. „Der ErdClan? In Ordnung.“ Sie gähnte, bevor sie weitersprach. „Ich könnte Wetten darauf annehmen, aber so bin ich nicht. Also. Gut. Es sind Mohnfänger und Lehmpelz.“

Sturmherz blinzelte einige Male. Mohnfänger und ihn verband eine lockere Freundschaft über die Clangrenzen hinweg, aber er hatte nie erwähnt, dass er und Lehmpelz ein Paar waren und sogar Junge erwarteten. Das war ihm neu. Aber auf der anderen Seite war es nicht überraschend, dass Mohnfänger ihm nicht direkt alles verriet, was in seinem Clan passierte, immerhin gehörten sie unterschiedlichen Clans an.

Rosentau nickte gönnerhaft. „Das habe ich mir natürlich längst gedacht. Beide sind jung und bei bester Gesundheit. Es wäre eine Vergeudung ihres gesunden Bluts, wenn sie keine Verbindung miteinander eingegangen wären.“

„Bei dir klingt das immer wie ein Geschäft“, murrte Falkenherz sofort. „Es geht um Liebe, liebste Rosentau. Freuen wir uns einfach für die beiden und gut.“

Zimtfeder nickte. „Ihre beiden Jungen heißen Falkenjunges und Spechtjunges. Beide sollen das feuerrote Fell ihres Vaters geerbt haben.“

„Und sind es Mädchen oder Jungen?“ Herbstwolke wippte noch immer auf ihren Pfoten umher. Es war offensichtlich, dass dieser Tratsch der Höhepunkt ihres Tages sein würde.

„Beides Jungen.“

Schneeflügel seufzte. „Dann wird es schwer für die beiden, eine Gefährtin zu finden. Es bleibt nur Staubblüte übrig und wir alle wissen, wie schwierig sie vom Charakter her ist.“

Vor allem, wenn man bedachte, dass sie ihr Herz in unglücklicher Liebe an Blaukralle verloren hatte, schoss es Sturmherz sogleich durch den Kopf.

„Hoffen wir, dass im ErdClan bald noch viele weitere Jungen geboren werden, damit ihnen das Schicksal des WasserClans erspart bleibt.“ Schneeflügel sah aus, als wäre sie von echtem Mitgefühl ergriffen. Kein Wunder, schließlich hatte sie selbst drei HalbClan-Jungen mit dem ErdClan.

Rosentau schnappte nach Luft. „Was geht uns das Schicksal des ErdClans an, solange der FeuerClan zu altem Glanz zurückfindet. Fahr fort, Zimtfeder. Erzähl uns vom LuftClan.“

Zimtfeder nickte. „Gut. Im LuftClan haben Windjäger und Kleesonne drei gesunde Jungen bekommen. Goldjunges und Schwalbenjunges sind männlich und Nachtjunges ist weiblich. Sie sind schon fast zwei Monde alt, aber die Informationen haben erst jetzt ihren Weg bis zu uns gefunden.“

„Der Nachteil davon, dass wir uns keine Grenze mit dem LuftClan teilen“, knurrte Falkenherz. „Aber schlecht ist es nicht. Wacholderstern kann mir gestohlen bleiben.“ Dann heftete sie ihren Blick auf Dachsfuß, deren Bauch von Tag zu Tag runder wurde. Viel milder sagte sie nun: „Viel mehr freue ich mich auf den Nachwuchs, den unser Clan erwartet. Es ist das schönste Geschenk des SternenClans, wenn neue Jungen geboren werden und gesund sind.“ Ihr Blick glitt weiter zu Milchkralle. „Und was ist mit dir? Wann willst du dir einen Gefährten suchen?“

Milchkralle, die gerade zufällig vorbeigelaufen war, blieb mitten im Schritt stehen und versteifte sich. „Was?“

„Wann du dir einen Gefährten suchen willst. Viel Auswahl gibt es im Moment zwar nicht, aber Frostzahn und Rindentänzer sind doch ganz schmucke.“ Falkenherz begann zu kichern, als Milchkralle ganz blass zu werden schien und verwirrt einen Schritt nach hinten machte. „Na, na, wer läuft denn direkt weg? Oder willst du Sturmherz? Der scheidet als Zweiter Anführer ja jetzt aus.“

Die anderen stimmten in ihr Lachen ein, sogar Rosentau, wenn auch gehässiger.

Milchkralle kniff die Augen zusammen, drehte dem Grüppchen den Rücken zu und eilte mit schnellen Schritten aus dem Lager hinaus.

Sturmherz seufzte und folgte ihr in einigem Abstand. „Hör nicht auf das, was die sagen. Niemand zwingt dich zu einem Gefährten.“

Milchkralle drehte sich zu ihm und verlangsamte ihr Tempo leicht. „Natürlich nicht. Aber sie können sich ihre Kommentare einfach nicht verkneifen. Nur weil wir jetzt in dem Alter sind, in dem wir Junge bekommen könnten, tun sie auf einmal so, als wäre es eine Pflicht.“ Sie schnaubte wütend. „Wer sagt, dass ich überhaupt Königin werden will? Das ist nichts für mich. Ich kann es mir absolut nicht vorstellen.“

„Musst du doch auch nicht.“

„Außerdem interessieren mich Rindentänzer und Frostzahn kein Stück. Nicht so. Nur als Krieger wie jede andere.“

„Ja, das weiß ich. Es unterstellt dir doch niemand etwas. Falkenherz hat sich nur einen Scherz auf deine Kosten erlaubt.“

„Und von dir will ich auch nichts!“, polterte Milchkralle weiter, machte auf dem Absatz kehrt und stürmte in eine andere Richtung davon.

Sturmherz blieb seufzend stehen. Da hatte Falkenherz wohl einen ziemlich empfindlichen Nerv getroffen. Niemand würde Milchkralle dazu zwingen, jemals eigene Jungen zu bekommen und Königin zu werden. Wenn es passierte, dann passierte es, aber wenn nicht, war das auch in Ordnung. Und er selbst? Nun, da er Zweiter Anführer war, hatte sich das Thema ohnehin für ihn erledigt. Anführer dienten einzig und alleine ihrem Clan, genau wie Heiler. Es war ihnen nicht erlaubt, Nachwuchs zu zeugen, sobald sie im Amt waren. Sturmherz würde nie eigene Jungen haben und das war in Ordnung. Es störte ihn nicht. Nicht im Geringsten.

Und doch bohrte sich, als er zum Lager zurückkehrte, der Gedanke in seinen Kopf, wie es wäre, wenn er eines Tages selbst Vater sein könnte.
 

***
 

Die Abendpatrouille führte Sturmherz, Blaukralle und Fuchspfote an der Grenze zum WasserClan entlang. Wann immer es ihm möglich war, teilte er Blaukralle und sich nicht in derselben Patrouille ein, doch es ließ sich nicht immer vermeiden, so auch dieses Mal nicht. Schweigend trabten sie nebeneinander her, markierten hier und dort ihr Revier.

Fuchspfote schien die Spannung zwischen den beiden zu spüren, denn er hielt sich im Hintergrund und stellte nicht, wie sonst üblich, diverse Fragen. Stattdessen lief er im Gleichschritt mit seinem Vater und Mentor.

Sturmherz war gerade damit fertig, einen Baumstamm zu markieren, als sich das Unterholz teilte und zwei WasserClan-Katzen zum Vorschein kamen. Der Streit zwischen dem WasserClan und dem FeuerClan mochte beigelegt sein, doch der Frieden währte erst seit knapp drei Monden.

„Schneewolke, Steinbeere, seid gegrüßt.“

Die beiden schneeweißen Katzendamen blieben in respektvollem Abstand stehen und neigten zur Begrüßung leicht den Kopf. Im Gegensatz zum Großteil des WasserClans waren sie dem FeuerClan nicht vollständig abgeneigt und behandelten alle Krieger, denen sie während der Patrouillen an der Grenze begegneten, mit dem nötigen Respekt.

Sturmherz befand, dass ein wenig Smalltalk nicht schaden konnte. „Wie läuft es mit der Ausbildung deines Sohnes?“

Steinbeere kniff die Augen leicht zusammen, während eines ihrer Ohren zuckte, dann entspannte sie sich wieder. „Gut. Muschelzahns Training ist sehr gründlich. Er lässt sich Zeit, damit Forellenpfote ein verlässlicher und guter Krieger wird.“ Steinbeere und Dornstachel waren Geschwister gewesen, doch sie hatte nie den Anschein gemacht, dass sie wegen Dornstachels Tod einen Groll gegen den FeuerClan hegte. Beide Clans hatten ihren Zweiten Anführer verloren und wenn sie um ihren Bruder trauerte, ließ sie es sich nicht anmerken.

„Er wird dem WasserClan alle Ehre machen“, fügte Schneewolke hinzu. Sie war kleiner als Sturmherz, ging ihm etwa bis zur Schulter, dazu zierlich gebaut. Doch ihr langes, weißes Fell machte seinem eigenen Fell Konkurrenz. Sturmherz fand sie wunderschön und er verstand, wieso alle davon sprachen, dass dem WasserClan dank Mondstern die Schönheit im Blut lag. Schneewolke und ihr Bruder Eisschatten, der weitaus schlechter auf den FeuerClan zu sprechen war, waren Enkel von Adlerschwinge, der wiederum Mondsterns Sohn war. Somit floss das Blut der legendären Anführerin auch in ihren Adern.

„Das wird er“, bestätigte Steinbeere nickend.

„Das freut mich zu hören“, antwortete Sturmherz. „Und wie geht es Sonnenpfote und Mondpfote?“

Die beiden Katzendamen wechselten einen kurzen Blick, ganz so, als wüssten sie nicht recht, was sie erzählen durften und was nicht. Doch schließlich ergriff wieder Schneewolke das Wort: „Sie machen sich ebenfalls sehr gut. Am Anfang haben sie den FeuerClan vermisst, doch sie verstehen allmählich, wie wichtig sie für den WasserClan sind.“

„Sie sind das Erbe des WasserClans“, sagte Steinbeere. „Wir ziehen sie wie Unseresgleichen auf. Wie unser eigen Fleisch und Blut.“

Blaukralle konnte sich ein leises Knurren nicht verkneifen. „Und doch werden sie immer zur Hälfte das edle FeuerClan-Blut in sich tragen.“

Steinbeere strafte ihn mit einem strengen Blick. „Das hat nun nichts mehr zu bedeuten. Sie leben bei uns, sind Teil unseres Clans. Mondpfote und Sonnenpfote werden für immer WasserClan sein. Bei uns haben sie ihr Zuhause gefunden. Es spielt fortan keine Rolle mehr, welches Blut sie in sich tragen.“

„Ich bin sicher, für Apfelpelz würde es noch immer eine Rolle spielen.“

Sturmherz zuckte zusammen, als Blaukralle seinen Halbbruder erwähnte. Der FeuerClan sprach nicht gerne darüber. Nach dem Kampf gegen den WasserClan hatte Apfelpelz seine große Liebe Wolkentänzer zur Clangrenze begleiten wollen, doch er kehrte nie zurück. Schwarzstern hatte nach ihm suchen lassen, doch Apfelpelz hatte sich entschieden. Er war gemeinsam mit Wolkentänzer in die Wildnis gegangen, weil er es nicht ertragen konnte, seine Geliebte und seine Jungen zu verlieren.

Steinbeere schnalzte mit der Zunge. „Das kümmert uns nicht. Es ist euer Problem, was mit Apfelpelz geschehen ist. Wir haben Sonnenpfote und Mondpfote. Sie leben bei uns. So haben es Silberstern und Schwarzstern abgemacht.“

Schneewolke warf Sturmherz einen flüchtigen Blick zu. Sie schien den aufkeimenden Streit ersticken zu wollen. „Das reicht nun. Apfelpelz und Wolkentänzer haben beide ein tragisches Schicksal erlitten. Seien wir einfach froh, dass es Sonnenpfote und Mondpfote gut geht.“

„Hoffen wir nur, sie stellen sich nicht eines Tages gegen den Clan, der ihr Leben gerettet hat“, kommentierte Blaukralle mit schneidender Stimme. „Nicht wahr, Sturmherz? Du hast dich doch so dafür stark gemacht, dass die beiden dem WasserClan übergeben werden.“

Sturmherz konnte nicht verhindern, dass sich sein Nackenfell leicht aufstellte. Er wollte Blaukralle einfach nur ignorieren, schaffte es jedoch nicht. Ebenso schneidend gab er zurück: „Weil es so am besten war. Das Überleben aller Clans war davon abhängig. Außerdem hat es der SternenClan so gewollt.“

„Was für ein Glück für dich, nicht wahr? Dass du den SternenClan auch in dieser Sache auf deiner Seite hattest.“ In Blaukralles Augen blitzte Zorn auf – und Eifersucht? Neid? Missgunst auf jeden Fall. „Und wie man sieht, verstehst du dich nun auch mit dem WasserClan bestens.“

Die beiden WasserClan-Kriegerinnen starrten Blaukralle an. Dann schüttelte Steinbeere den Kopf. „Einen schönen Tag noch. Mit eurem Streit haben wir nichts zu tun.“

Schneewolke verabschiedete sich ebenfalls höflich, dann kehrten beide in ihr Territorium zurück.

Sturmherz und Blaukralle funkelten sich weiterhin an, bis Sturmherz aufstand und den Rückweg zum Lager einschlug.

Blaukralle und Fuchspfote folgten ihm zunächst, bis Blaukralle ihn mit schnellen Schritten überholte und damit wieder einmal seine Autorität untergrub.

Im Lager angekommen dauerte es nur wenige Herzschläge, bis Blaukralle sich neben Eisbart gesetzt hatte und Sturmherz pikiert anschaute. „Stell dir nur vor, unser Zweiter Anführer freundet sich nun schon mit dem WasserClan an.“

„Eine höfliche Unterhaltung ist kein Hochverrat“, konterte Sturmherz genervt, während er an den beiden vorbei ging. Er konnte nicht glauben, dass sein ehemaliger Mentor Eisbart dem Gerede überhaupt Gehör schenkte.

„Noch nicht“, fauchte Blaukralle. Sein Schwanz lag zwar auf dem Boden, war jedoch aufgeplustert. „Aber es ist mir nicht entgangen, wie überaus freundlich du dich neuerdings mit Schneewolke unterhältst. Da dürfte meine Frage doch berechtigt sein, ob du nicht mehr für den WasserClan empfindest, als du solltest, zumal doch du derjenige gewesen bist, dank dem wir Sonnenpfote und Mondpfote an den WasserClan verloren haben.“

Sturmherz wirbelte zornig herum. „Du kannst mich nicht für alles verantwortlich machen, was geschehen ist! Ich habe immer nur das Beste für den FeuerClan – und für alle Clans – gewollt! Natürlich tut es mir leid, dass Sonnenpfote und Mondpfote nicht mehr bei uns sind, aber um die beiden geht es dir doch gar nicht! Du willst einfach nur jeden winzigen Moment ausnutzen, in dem sich dir die Chance bietet, mich vor dem Clan schlecht zu machen. Aber damit wirst du keinen Erfolg haben, Blaukralle. Ich bin der Zweite Anführer – nicht du. Du kritisiert einfach nur.“

Ein dunkles Funkeln legte sich in Blaukralles Blick. „Auch ein Zweiter Anführer kann sich keiner Kritik entziehen, wenn sie berechtigt ist. Ruh dich bloß nicht auf deinem Posten aus, Sturmherz. Schwarzstern mag dich ausgewählt haben, aber wir, der Clan, hat es nicht. Außerdem hättest du es nicht nötig, dich zu rechtfertigen, wenn an meiner Kritik nicht etwas dran wäre.“

Zu spät merkte Sturmherz, dass er in Blaukralles Falle getappt war – schon wieder. Er schluckte, schaute sich um, sah, wie alle Augenpaare auf ihn gerichtet waren. Niemand widersprach Blaukralle.

Sturmherz wurde klar, dass die Kluft innerhalb des Clans noch größer geworden war. Und er hatte keine Idee, wie er den anderen beweisen sollte, dass er mit Leib und Seele für den FeuerClan einstehen würde. Er musste sich ihren Respekt erst mühsam erarbeiten.
 

***
 

Als die Große Versammlung kam, wählte Schwarzstern nur eine Pfote voll Krieger aus, die ihn begleiten sollten. Sturmherz, natürlich, dazu Blaukralle, Fuchspfote, Milchkralle und Frostzahn.

Der FeuerClan war früh dran und erreichte als erstes das Plateau auf dem Heiligen Berg. Die uralte, große Eiche stand wie ein Mahnmal mittig auf der mit Schnee und Eis bedeckten Wiese. Als sie sich ihren Weg zur Eiche erkämpften, hinterließen sie eine schmale Schneise in dem schulterhohen Schnee. Über ihnen tobten schwarze Gewitterwolken über den Himmel, doch weder schneite noch regnete es. Dafür zuckten am Horizont lautlose Blitze durch die Luft. Wind kam auf. Das Gewitter zog genau in ihre Richtung.

Sturmherz war froh, als er endlich die dicken, hohen Wurzeln unter der Schneedecke spürte. Er schüttelte die Eiskristalle aus seinem Fell und nahm auf der höchsten Position der Wurzeln Platz, wie es sich für den Zweiten Anführer gehörte.

Schwarzstern zog wortlos an ihm vorbei, sprang gegen den gefurchten, borkigen Stamm und kletterte bis auf den ersten, dicken Ast, der waagerecht von dem Stamm abstand. Er schüttelte sich ebenfalls und begann sich zu putzen, bis auch die anderen Clans eintrafen.

Löwenzahnstern grüßte sowohl ihn als auch Schwarzstern mit einem freundlichen Nasenstupser.

Silberstern war wie üblich distanziert, doch seit sie Muschelzahn als Zweiten Anführer an ihrer Seite hatte, wirkte sie ein wenig entspannter und umgänglicher.

Der LuftClan kam zuletzt und Wacholderstern machte sich gar nicht erst die Mühe, die Zweiten Anführer zu begrüßen. Er nahm direkt oben auf dem Ast Platz.

Sturmherz entging aus dieser Perspektive nicht, wie dünn Wacholderstern geworden war. Außerdem wirkte sein Fell glanzlos und stumpf. Dem LuftClan schien es wieder schlechter zu gehen. Hoffentlich war die Blattleere bald vorüber.

Kirschliebe, Muschelzahn und Regenkauz machten es sich mit Sturmherz auf den riesigen Wurzeln der Eiche gemütlich. Sie saßen beieinander, ohne sich dabei zu berühren.

Sturmherz wusste nicht, was die anderen darüber dachten, dass er Zweiter Anführer des FeuerClans geworden war, doch er vermutete, dass auch sie Blaukralle bevorzugt hätten – so wie fast jeder. Silberstern und Wacholderstern hatten sogar bei der ersten Großen Versammlung, der er als Zweiter Anführer beigewohnt hatte, offen ihre Zweifel geäußert, was damals ein gefundenes Fressen für Blaukralle gewesen war. Und sogar Kirschliebe, die kleine Katze aus dem ErdClan, schien zur Abwechslung mit den anderen einer Meinung zu sein.

Wacholderstern eröffnete die Versammlung und berichtete den Anwesenden von dem Nachwuchs im LuftClan. Ausholend erzählte er, dass Windjäger und Kleesonne drei gesunde Jungen bekommen hatten und sie der ganze Stolz des Clans waren. Sturmherz freute sich für den gebeutelten LuftClan, der es in den letzten Monden nicht leicht gehabt hatte. Leider war sein Freund Hummelschatten nicht anwesend, sonst hätte er ihm Grüße an Kleesonne ausrichten können. Weitere Neuigkeiten gab es im LuftClan nicht und nach wenigen Minuten der gegenseitigen Glückwünsche für den Nachwuchs ergriff Löwenzahnstern das Wort.

Auch er erwähnte den Nachwuchs im ErdClan, hielt sich mit dem Thema jedoch nur wenige Sätze lang auf und betonte stattdessen, dass Rauchsturm ein vollwertiger Heiler war. Aus diesem Grund störte es ihn nicht, dass Tigerfuß viel Zeit für die Ausbildung von Fliederpfote verwendete. „Es ist die Pflicht der Heiler, sich in Zeiten größter Not gegenseitig zu unterstützen. Honigblüte ist leider viel zu früh von uns gegangen und ihr Verlust wiegt schwer. Ich sehe es als meine Pflicht an, dem FeuerClan in dieser Angelegenheit zu helfen, so gut es dem ErdClan möglich ist.“

Sturmherz entging nicht, dass der LuftClan und der WasserClan auf diese Worte mit Augenrollen oder verzogenen Gesichtern reagierten. Der Krieg und der große Streit zwischen den Clans war zwar beigelegt, doch das änderte nichts daran, dass alte Freundschaften und Feindschaften noch immer fortbestanden – ebenso wie alte Vorurteile, was Sturmherz wenige Herzschläge später am eigenen Leib feststellen durfte.

Als Silberstern zu sprechen begann, starrte sie Sturmherz ein Loch in den Rücken. „Ich möchte euch mitteilen, dass die Ausbildung von Sonnenpfote und Mondpfote gute Fortschritte macht. Sie sind zwar erst ganz am Anfang ihrer Zeit als Schüler, doch sie erweisen sich als überaus gelehrig und talentiert. Ich möchte nicht sagen, dass ich grundsätzlich befürworte, dass HalbClab-Katzen ein Gewinn für die Clans sind, doch in diesem Fall werde ich eine Ausnahme machen.“

Ihr Clan stimmte ihr murmelnd zu.

„Des Weiteren ist es mir ein besonderes Anliegen, sicherzustellen, dass der Frieden, der zwischen uns und dem FeuerClan noch sehr zerbrechlich ist, auch gewahrt bleibt.“

Überraschte drehte Schwarzstern sich zu ihr um. „Warum sollte der Frieden nicht gewahrt bleiben?“

Silberstern legte elegant den dünnen, weißen Schwanz um ihre Pfoten. „Nun, mir ist mehrfach zu Ohren gekommen, dass es … Unstimmigkeiten über die Wahl deines Zweiten Anführers gibt, Schwarzstern.“

Sturmherz musste schwer schlucken. Alle Augen richteten sich mit einem Schlag auf ihn. Kirschliebe und Regenkauz verzogen kaum merklich den Mund und streiften ihn mit abwertenden Blicken.

„Versteh mich nicht falsch, Schwarzstern. Der Frieden zwischen unseren Clans ist kostbar, aber ich spreche im Namen meines ganzen Clans, wenn ich eine gewisse Besorgnis mitteile. Sturmherz ist gerade einmal ein Jahr Teil des FeuerClans. Außerdem trägt er keinerlei Clan-Blut in sich. Es mag die eine Sache sein, HalbClan-Katzen als vollwertige Clan-Mitglieder aufzunehmen, aber jemand, der vollständig von außen kommt, ist eine andere Sache.“

Schwarzstern wollte etwas sagen, doch Silberstern hob eine Pfote an, um ihn zu unterbrechen.

„Ich weiß, auch der WasserClan hat einst Mondstern aufgenommen, doch sie war eine Einzelläuferin und kein Hauskätzchen. Sie hat sich den Respekt des Clans über Jahre erarbeitet. Bei Sturmherz hingegen werden Stimmen laut, die behaupten, er würde viel zu viel geschenkt bekommen.“

Von irgendwoher rollte krachender Donner heran. Eisige Windböen fegten über das Plateau und brachten das Gefühl von Schnee, Sturm und Elektrizität mit sich.

Sturmherz schluckte seinen Frust herunter und vergrub die Krallen tief in den furchigen Wurzeln des Baumes. Reichte es denn nicht, dass Blaukralle seinen eigenen Clan gegen ihn aufhetzte?

Wacholderstern räusperte sich. „Ich muss Silberstern in dieser Angelegenheit zustimmen. Vielleicht wäre es keine schlechte Idee, den SternenClan zu befragen, ob nicht vielleicht doch ein anderer Zweiter Anführer die bessere Wahl wäre.“

Schwarzstern plusterte sich auf. „Nein. Meine Entscheidung ist gefallen. Wer einmal zum Zweiten Anführer bestimmt wurde, bleibt es auch.“

„Natürlich wäre es ein Präzedenzfall, aber ich denke, wir könnten eine Ausnahme machen“, sagte Wacholderstern sofort mit Blick zu Silberstern, die nickte.

„Ja, das könnten wir. Es ist ein Angebot, Schwarzstern.“

„Kein Angebot, das auch nur ansatzweise für mich in Frage kommt.“ Er setzte sich gerade hin, streckte die Schultern durch und den flauschigen Fellkragen raus. „Ich danke euch alle für eure Anteilnahme am Leben des FeuerClans, aber das Gerede, das die Runde macht, ist eben nur das – Gerede. Selbst wenn es Schwierigkeiten geben sollte, werden wir die innerhalb unseres Clans alleine lösen. Keinem steht das Recht zu, darüber zu urteilen, wie gut oder schlecht Sturmherz seine Aufgabe macht, außer dem FeuerClan selbst. Bedenkt, dass er die entscheidende Idee im Kampf gegen den Bären hatte. Und dass es alleine Sturmherz zu verdanken ist, dass zwischen unseren Clans wieder Frieden herrscht und Sonnenpfote und Mondpfote ein lebenslanges Zuhause gefunden haben. Sturmherz mag zwar ein ehemaliges Hauskätzchen sein, doch von seinem ersten Tag an hat er uns bewiesen, dass in seinem Herzen das wilde Clanleben schlägt.“ Schwarzstern Blick wanderte weiter zu seinen eigenen Reihen, blieb an Blaukralle hängen. „Ich dulde es nicht länger, dass mein Clan an dieser Streitfrage zerbricht.“

Blaukralle sah aus, als wollte er protestieren, doch Wacholderstern kam ihm zuvor: „Schwarzstern, denk wenigstens darüber nach. Keiner wäre dir deswegen böse, wenn du dich anders entscheidest. Auch der SternenClan kann über Fehler hinwegsehen.“

Silberstern gähnte. „Nun, es ist deine Entscheidung, aber meine Meinung kennt ihr. Sturmherz mag sich mehrfach bewiesen haben, vielleicht auch unzählige Male, doch das ändert nichts daran, dass jemand anderes, sagen wir beispielsweise Blaukralle, diese Position mehr verdient hätte. Er wäre jemand, mit dem der WasserClan leben kann.“

Wacholderstern nickte eifrig. „Es steht uns nicht zu, darüber zu urteilen, aber ich denke auch, dass Blaukralle an dieser Stelle sehr ungerecht behandelt worden ist.“

Schwarzsterns Ohren zuckten. Er schaute zu Löwenzahnstern. „Was sagst du dazu, alter Freund?“

Löwenzahnstern erwiderte Schwarzsterns Blick, dann schaute er zu Boden. „Es tut mir leid, Schwarzstern, aber ich stimme Silberstern und Wacholderstern zu. Wir alle schätzen Sturmherz und das, was er für uns getan hat, aber hier am Heiligen Berg sollte kein Platz für ein Hauskätzchen sein, das eines Tages Anführer wird. Soweit sollte es nicht kommen. Ich spreche mich nicht gegen Sturmherz als Person aus, aber gegen die Tatsache, dass er nicht hier in den Clans geboren wurde. Der Heilige Berg ist seit der Zeit der Großen Fünf unsere Heimat. Ich möchte die tiefe Freundschaft, die der ErdClan mit dem FeuerClan hegt, nicht riskieren. Also nimm meinen Rat als Freund an.“

Schwarzstern schnaubte. Er sah enttäuscht aus, peitschte mit seinem buschigen Schwanz durch die Luft. „Dann wird es vielleicht endlich einmal Zeit, dass wir mit den alten Traditionen brechen! Ihr wisst, was die Heiler am letzten Halbmond beim SternenClan gesehen haben!“

„Niemand von uns weiß, was der SternenClan uns damit sagen will, dass sie uns davor warnen, dass das Ende naht!“, schnarrte Silberstern sofort. „Wer weiß schon, ob es sich nicht darauf bezieht, dass der FeuerClan seine alten Prinzipien Stück für Stück über den Haufen geworfen hat?“

„Fang nicht wieder damit an!“, polterte Schwarzstern zurück und hatte größte Mühe, nicht ausfallend zu werden. „Ihr seid doch ohnehin alle drei der Meinung, ich wäre nicht in der Lage, selbst darüber zu entscheiden, was für meinen Clan am besten ist!“

Blitze zuckten über den Himmel, tauchten das Gesicht des Anführers für einige Sekunden in grelles Licht, untermalten seine wütenden Worte.

Silberstern ruderte sofort zurück. „Ich werde dir eins sagen, Schwarzstern: Wenn der Tag kommt, an dem ein Hauskätzchen Anführer eines Clans wird, wird der WasserClan nicht länger tatenlos zusehen.“

Wacholderstern rümpfte die Nase. „Dem habe ich nichts mehr hinzuzufügen.“

Selbst Löwenzahnstern nickte betrübt. „Es tut mir leid, mein Freund. Sturmherz ist nicht die beste Wahl. Du siehst doch selbst, dass er deinen eigenen Clan entzweit.“

Blaukralle stand auf. „Ich kann für den FeuerClan sprechen, wenn ich sage, dass auch wir nichts gegen Sturmherz als Krieger haben, aber wir haben das Recht, einen Zweiten Anführer zu haben, dem wir loyal folgen können.“

Immer mehr Stimmen wurden laut, quer durch alle Clans.

Sturmherz fühlte sich elend. Er drehte sich um, schaute hinauf zu Schwarzstern. Für einen Herzschlag lang trafen sich ihre Blicke.

Schwarzstern war aufgesprungen, stand nun auf allen Vieren. „Ist das euer letztes Wort? Sollen unsere Clans wirklich so auseinander gehen? Denkt nur daran, dass wir alle vor langer Zeit einmal ein großer Clan gewesen sind, der voller Güte jede Katze aufgenommen hat, die vor den Zweibeinern geflohen ist. Vor vielen, vielen Jahren waren alle unsere Vorfahren einst Hauskätzchen und Einzelläufer und der SternenClan hat auch über sie gewacht! Wenn ihr nicht einmal in der Lage seid, über eure eigenen Schatten zu springen, und zu würdigen, das Sturmherz in seinem Herzen ein wahrer Krieger ist, dann bleibt mir nichts anderes übrig, als zu sagen, dass wir alle das Ende verdient haben!“

Sturmherz‘ Fell stellte sich auf.

Ein Blitz. Er war geblendet.

Ohrenbetäubender Donner.

Er war nicht länger Herr seines Körpers, rollte über die Wurzeln in den Schnee. Eisige Kälte. Hitze. Knistern. Verbranntes. Sein Herz setzte einen Moment lang aus, stolperte zurück. Ihm war schlecht. Schwindelig. Mit wackeligen Beinen kämpfte er seinen Körper zurück ins Stehen, alles drehte sich. Er hörte nichts als das Rauschen des Blutes in seinen Ohren. Überall Chaos, Krieger rannten umher. Ihre Rufe und Schreie bahnten sich nur langsam einen Weg in seine Ohren.

Fliederpfote rannte panisch auf das Plateau, ebenso Tigerfuß, Rauchsturm, Nessellicht und Gewitterschweif. Gleichzeitig erreichten sie den alten Eichenbaum.

Sturmherz folgte ihren Bewegungen, war selbst noch immer benommen. Dann erkannte er, was die Panik ausgelöst hatte, und seine Augen weiteten sich vor Schock.

Ein Blitz hatte den Baum, der seit Generationen der Treffpunkt der Großen Versammlung war, mittig in zwei Teile zerstückelt. Dort, wo einst der massive Stamm gestanden hatte, schwelte verbranntes Holz vor sich hin. Funken stoben bei jedem Windstoß in die Luft und vermischten sich mit dem Rauch, der in den pechschwarzen Gewitterhimmel zog.

Die Anführer.

Die Anführer!

Hektisch drehte er sich, bis er Schwarzstern am Boden liegen sah. Das Fell seiner ganzen rechten Körperhälfte war versengt, doch er lebte, schaute ihn an. Den drei anderen Anführern ging es ähnlich. Sie alle waren verletzt, doch sie atmeten und waren bei Bewusstsein. Es bestand kein Zweifel daran, dass jeder von ihnen mindestens ein Leben verloren hatte. Silbersterns Pfoten waren verbrannt und begannen bereits, Brandblasen zu werfen. Wacholderstern war nur noch ein Schatten seiner selbst, sein ganzer Körper zitterte und zuckte unkontrolliert. Löwenzahnstern stöhnte, rollte sich auf die Seite, die Augen fest zusammengepresst.

Die Heiler rannten zu ihren Anführern, die Clans standen dicht gedrängt um sie herum.

„Der SternenClan hat uns bestraft!“, riefen einige. „Die Clans hätten sich niemals zerstreiten dürfen!“, klagten andere.

„Der SternenClan, er hat uns eine Botschaft geschickt!“, rief Tigerfuß über den Tumult hinweg. Nur langsam kehrte wieder Ruhe ein.

„Was? Was hat er gesagt?“, röchelte Schwarzstern, doch er setzte sich bereits wieder auf, gestützt von Fliederpfote.

„Das Ende ist gekommen!“, sprach Gewitterschweif.

„Die Zeit am Heiligen Berg ist vorbei“, fügte Nessellicht an.

Fliederpfote nickte. „Die große Gefahr ist noch immer nicht gebannt.“

„Sie steht uns erst noch bevor“, ergänzte Rauchsturm.

Tigerfuß sah aus, als würde er in der weiten Ferne nach etwas suchen. „Vier Krieger, einer aus jedem Clan, sollen sich bei Sonnenaufgang hier versammeln. Weit im Norden, wenn der SternenClan in strahlender Pracht im Himmel tanzt, wird sich das Schicksal der Clans in einer neuen Heimat erfüllen. Doch bedenkt, dass ihr nur gemeinsam finden könnt, was uns alle retten wird.“

„Einer aus jedem Clan?“, piepste Silberstern mit dünner Stimme. Sie konnte kaum auftreten, weil ihre Pfoten so stark schmerzten. „Wer?“

„Einer aus jedem Clan“, wiederholte Rauchsturm.

„In ihren Herzen wird der SternenClan sie leiten.“ Während Fliederpfote das sagte, schaute sie zu Sturmherz.

Diese Mission entschied über das Schicksal aller Clans. Sturmherz wollte Schwarzstern nicht alleine lassen, doch er spürte, wie plötzlich etwas in seinem Inneren zog. Er war der Zweite Anführer des FeuerClans. Wie könnte er seinem Clan besser dienen, als diese Reise ins Ungewisse anzutreten? Doch er müsste alles hinter sich lassen, seine Freunde, seinen Schüler, seinen Clan.

Schwarzstern, der hustend neben ihm zum Stehen kam, schaute ihn lange schweigend an. Als er den Blick senkte, war die Entscheidung bereits gefallen.

Als die ersten Sonnenstrahlen den Heiligen Berg berührten, stand der Himmel bereits lichterloh in Flammen. Dunkles Violett, zartes Rosa und glühendes Orange küssten die Wolken weit über ihnen.

Der Abschied vom FeuerClan war kurz und schmerzlos gewesen. Keiner hatte widersprochen, als Schwarzstern verkündet hatte, dass Sturmherz als Vertreter für den FeuerClan losziehen würde. Die Feindseligkeit, die sein eigener Clan ihm entgegengebracht hatte, schien mit dem Blitzschlag verloren gegangen zu sein. Selbst Blaukralle hatte sich zähneknirschend dazu herab gelassen, ihm für die Reise alles Gute zu wünschen und bloß nicht zu versagen.

Sturmherz vermutete, dass einfach nur alle froh waren, dass ihnen die Reise ins Ungewisse erspart blieb. Hier am Heiligen Berg waren die Clans seit unzähligen Generationen zu Hause. Diese Heimat zu verlassen, ohne die Sicherheit, jemals zurückzukehren, war etwas, was sich keiner freiwillig aufladen wollte.

Doch Sturmherz tat es. Weil er tief in seinem Herzen spürte, dass es das Richtige war.

Und er spürte, dass er nicht alleine war.

Als er sich neben die schwarzen Überreste der Eiche setzt, blies ihm ein heftiger Windstoß mitten ins Gesicht, betäubte für einige Augenblicke seine Sinne, sodass er nichts anderes roch außer einer Sommerwiese. Er mochte die mysteriöse Katze aus dem SternenClan zwar nicht sehen, doch sie ließ ihn wissen, dass sie bei ihm war – wieder einmal.

Milchkralle, Fleckennase und Flockenpfote saßen schweigend hinter ihm. Sie hatten ihn mit versteinerten Gesichtern begleitet und noch immer waren sie – wie alle – fassungslos darüber, dass der SternenClan die uralte Eiche mit einem einzigen Blitz zerstört hatte.

„Ein Zweiter Anführer sollte seinen Clan nicht verlassen, wenn der Anführer geschwächt ist“, sagte Fleckennase nach einigen Minuten.

Sturmherz drehte sich zu seinen engsten Vertrauten um. „Ich weiß. Aber der SternenClan hat mich gerufen. Ich muss es tun. Es gibt keine andere Möglichkeit.“

Milchkralle nickte, das Gesicht vor Abschiedsschmerz verzogen. „Sturmherz hat Recht. Er ist unser Zweiter Anführer und er könnte kein größeres Opfer bringen.“

Fleckennase wirkte unzufrieden. „Trotzdem finde ich, dass du den FeuerClan nicht einfach alleine lassen solltest. Wir hätten Eisbart schicken können. Oder meinetwegen auch Rosentau oder irgendeinen anderen Krieger. Ich finde, du hast schon so viel für den FeuerClan getan, da sollte es dir zustehen, nicht auch noch diese Herausforderung meistern zu müssen.“

„So etwas tun Zweite Anführer aber“, unterbrach Milchkralle ihn. Als sie sprach, zuckten ihre Schnurrhaare. „Mir passt es doch auch nicht, dass unser bester Freund gehen muss, zumal wir nicht wissen, wie lange er fort sein wird. Sturmherz hat eine sehr schwierige Mission für sich und, aus welchen Gründen auch immer, der SternenClan möchte, dass er als Vertreter für den FeuerClan geht. Das muss Sturmherz respektieren und wir müssen das auch.“

„Leute, ich kann euch hören, ich stehe direkt neben euch.“

Milchkralle wandte ihren Kopf zu ihm um. „Ich meine ja nur.“ Dann zögerte kurz und fügte ein wenig leiser hinzu: „Haben die Heiler etwas dazu gesagt, wie lange ihr fort sein werdet?“

„Nein.“

„Es ist immerhin ein Unterschied, ob es nur ein paar Tage oder Wochen oder sogar mehrere Monde sind.“

Sturmherz schüttelte leicht den Kopf. „Nein, dazu haben sie nichts gesagt. Aber es werden wohl mehr als nur ein paar Tage sein. Ich weiß nicht, wie lange ich vom Clan getrennt sein werde, aber ich werde zurückkommen. Schwarzstern verlässt sich auf mich. In meinem Mond sind wir bestimmt wieder da.“ Er rang sich einen zuversichtlichen Gesichtsausdruck ab. „Wir werden unser Bestes geben und dann kehren wir ganz schnell zurück. Wie weit kann uns der SternenClan schon schicken?“ Diese Frage wollte er gar nicht beantwortet haben.

Flockenpfote schmiegte sich ein letztes Mal an seinen Mentor. „Was soll ich nur ohne dich tun?“

„Du wirst es auch ohne mich schaffen. Ich bin schon jetzt sehr stolz auf dich. Ich weiß nicht, wie lange ich weg sein werde, aber ich verspreche euch allen, dass ich wiederkomme.“

Flockenpfote nickte. „Und wenn du wiederkommst, werde ich bereits ein Krieger sein, das verspreche ich dir.“

Von den weiten Ebenen näherte sich eine Gestalt aus Richtung LuftClan.

Milchkralle entdeckte sie zuerst und seufzte. „Du kannst dich auf uns verlassen. Wir werden Flockenpfote weiter ausbilden und ihn bald zu einem Krieger machen.“

Fleckennases Stimme war brüchig, als er sprach. „Pass auf dich auf … Und … komm zurück. Der Clan braucht dich, Sturmherz. Wir halten die Stellung und wenn Blaukralle in deiner Abwesenheit Ärger macht, sagen wir ihm einfach gehörig die Meinung.“

„Na klar komme ich zurück. Ich möchte doch sehen, wie Dachsfuß und eure Jungen dir das Leben schwer machen.“

Für einen Augenblick erwiderte Fleckennase das verschmitzte Grinsen, dann wurden ihre Gesichter wieder ernst.

Ein letztes Mal verabschiedeten Milchkralle, Fleckennase und Flockenpfote sich von ihm, dann kehrten sie ihm den Rücken zu, gingen bis zum Rand des Plateaus, dann tiefer, bis sie in den Bäumen verschwanden und nicht mehr zu sehen waren.

In dem Moment, in dem die Morgensonne den Horizont durchbrach, erreichten auch die drei anderen Krieger die alte Eiche.

Sturmherz war gespannt, wen der SternenClan noch ausgewählt hatte. Zuerst erblickte er Schneewolke, die sich am Rand des Plateaus von Eisschatten und Otterpelz verabschiedet hatte und nun unter den wachsamen Augen der beiden WasserClan-Krieger an Sturmherz‘ Seite trat. Stumm, aber freundlich nickten sie sich zu.

Otterpelz grüßte Sturmherz ebenfalls aus der Entfernung, indem er seinen Schwanz einmal von links nach rechts und wieder zurück bewegte.

Eisschatten starrte mit versteinerter Miene zu ihm. Seine hellen Augen durchbohrten ihn, spießten ihn auf, bis Otterpelz ihn in die Seite knuffte, um ihm das Zeichen zu geben, dass sie die Auserwählten nun alleine lassen sollten. Es gab ohnehin nichts mehr, was sie noch für Schneewolke tun konnten. Sie musste es alleine schaffen, so wie sie alle auf sich alleine gestellt waren.

Dann kam Hummelschatten aus dem LuftClan und sobald er Sturmherz sah, machte er einen Freudensprung. „Ich wusste es!“ Freudig rannte er auf die anderen beiden zu und kam vor ihnen zum Stehen. Sein schwarzes Fell war ein schöner Kontrast zum weißen Schnee, ganz im Gegensatz zu Schneewolke. Er grinste bis über beide Ohren und war alleine gekommen. „Es wird sich sowieso schnell herumsprechen, wer die vier Auserwählten sind, aber ich freue mich jetzt schon darauf, wenn ich Kleesonne sagen kann, dass ich unsere Wette gewonnen habe. Meine Schwester hätte mich gerne begleitet, aber sie darf den Bau der Königinnen noch nicht verlassen.“ Er lachte einmal auf, ganz so, als würde er seine Nervosität damit überspielen wollen. „Sie dachte, dass der SternenClan sich für Blaukralle entscheidet, damit Ruhe im FeuerClan einkehren kann.“

Schneewolkes Mundwinkel zuckten leicht, doch sie schwieg stattdessen und schaute in eine andere Richtung. Vielleicht fühlte sie sich zu fein, um sich an dem Gespräch zu beteiligen.

Hummelschatten lachte einmal auf. „Sie war ganz aufgeregt, als ich letzte Nacht von dem Sonnenaufgang geträumt habe. Zuerst wollte ich nicht glauben, dass dies ein Zeichen des SternenClans ist, doch als sich kein anderer Krieger bei Nessellicht gemeldet hat, sagte sie mir, dass ich es wäre, der gehen muss, weil eine tote Hummel vor ihrem Heilerbau lag.“

Sturmherz nickte. „Ich habe auch gespürt, dass ich es bin. Wie war es bei dir, Schneewolke?“

Sie gähnte. „Ich habe ein Ziehen tief in meinem Herzen gehabt und bin zu Gewitterschweif gegangen. Er sagte mir, er hätte von Schnee und Wolken geträumt, also schickte er mich los.“

Aus dem ErdClan kam schließlich – zur Überraschung aller – der Heiler Rauchsturm auf sie zu.

Hummelschatten sah ihn mit großen Augen an. „Hast du keinen Krieger mitgebracht?“

Rauchsturm sah unsicher aus, knete den Schnee durch und schaute umher. „Ich … nein.“ Er räusperte sich. „Der SternenClan will, dass ich mit euch gehe.“

„Du? Ein Heiler?“ Schneewolke hatte sich schwungvoll zu ihm umgedreht und dadurch eine feine Schicht Puderschnee aufgewirbelt, der nun in der Morgensonne glitzerte. „Bist du dir sicher?“

Augenblicklich veränderte sich etwas in Rauchsturms Gesicht. „Natürlich. Außerdem hat Tigerfuß es bestätigt. Wir waren beide sehr überrascht darüber, aber er meinte, die Zeichen des SternenClans sind unmissverständlich. Es ist meine Aufgabe, euch zu begleiten. Ich bin ein Teil dieser wichtigen Mission.“

Schneewolke schien noch nicht vollständig überzeugt zu sein. „Der SternenClan sprach doch davon, dass vier Krieger geschickt werden sollen. Du bist aber kein Krieger. Was, wenn wir kämpfen müssen?“

Genervt schnaubte Rauchsturm. „Was, wenn ihr verletzt werdet? Oder krank? Keiner von uns weiß, wohin uns der SternenClan schicken will. Vielleicht lauern dort Gefahren auf uns, für die ein Heiler gebraucht wird. Und außerdem“, er plusterte seinen grauen Fellkragen auf, „kann ich sehr wohl kämpfen. Ich war ein normaler Kriegerschüler, ehe Tigerfuß mein Mentor wurde. Vergiss das nicht.“

Sturmherz trat zwischen die beiden. „Hört auf, euch zu streiten, sofort!“

Beide zuckten zusammen.

Sturmherz seufzte. „Es steht uns nicht zu, den SternenClan für seine Entscheidungen in Frage zu stellen. Wir sind vier Auserwählte, mehr müssen wir nicht wissen.“

Hummelschatten nickte. „Und wir haben eine Gemeinsamkeit.“

Schneewolkes Schwanz wippte langsam hin und her. „Die wäre?“

„Na, ist doch offensichtlich. Wir alle waren dagegen, dass der WasserClan und der FeuerClan überhaupt erst gegeneinander kämpfen. Wir alle wollen, dass die vier Clans in Frieden miteinander leben.“

Dem konnte Sturmherz nur zustimmen. Der SternenClan hätte auch andere Krieger auswählen können, doch stattdessen waren drei Katzen an seiner Seite, die ihm nicht feindlich gesinnt waren. Womöglich war das ein Zeichen? Nichtsdestotrotz gehörten sie verschiedenen Clans an.

„Lasst uns keine Zeit verschwenden“, sprach Rauchsturm schließlich. „Wir haben einen langen Weg vor uns. Richtung Norden.“

Gemeinsam warfen sie einen letzten Blick auf die verbrannte Eiche, dann setzten sie sich als Viererformation in Bewegung und stiegen vom Plateau des Heiligen Bergs hinab. Sie hielten sich entlang der Grenze zwischen dem WasserClan und dem FeuerClan und niemand kreuzte ihren Weg, ganz so, als würde man ihnen den Weg freihalten.

Erst als sie das Gebiet der Clans fast hinter sich lassen konnten und die ungezähmte Wildnis vor ihnen lag, krachten Schritte durch das Unterholz.

Überrascht blieben sie stehen.

Steinbeere verlangsamte ihr Tempo, blieb einige Fuchslängen von ihnen entfernt schwer atmend stehen. Sie schaute den vier Auserwählten nacheinander ins Gesicht.

„Steinbeere, was machst du hier?“, fragte Schneewolke sie überrascht. „Ist etwas passiert?“

„Nein, ich …“ Sie schluckte, kniff einen Moment lang die Augen zusammen. „Ich wollte euch alles Gute wünschen. Bitte gebt euer Bestes und sucht uns eine Heimat, in der wir alle einen Neuanfang starten können. Möge der SternenClan euch den Weg zu einem Ort zeigen, an dem wir es hinter uns lassen können, wer HalbClan-Blut in sich trägt und wer nicht.“

Verwirrt tauschten sie einige Blicke aus.

„Ja, natürlich“, sagte Schneewolke gedehnt. „Wir werden euch und den SternenClan nicht enttäuschen. Doch wieso sagst du uns das?“

Einen letzten Herzschlag lang zögerte Steinbeere noch, dann rückte sie seufzend mit der Wahrheit heraus. „Forellenpfote, er … Er ist nicht mein Sohn.“

„Was?“ Schneewolke legte die Ohren an. „Nein, was redest du da? Natürlich ist er dein Sohn. Du hast ihn vom ersten Tag an großgezogen. Du hast ihn geboren.“

Steinbeere presste den Mund fest zusammen, dann sprach sie weiter. „Ich habe nicht zum ersten Mal Junge verloren. Aber an jenem regnerischen Tag war der SternenClan gnädig mit mir. Nachttropfen und mich verbindet schon lange eine enge Freundschaft, aber er ist nicht der Vater meiner verstorbenen Jungen. Er ist Forellenpfotes Vater – und Wellenblatt aus dem LuftClan ist seine Mutter.“

Hummelschatten und Schneewolke schnappten synchron nach Luft. „Was?!“

„Wellenblatt? Niemals!“ Hummelschatten schüttelte vehement den Kopf. „Sie hat keine Jungen. Sie will auch keine.“

„Das weiß ich“, sagte Steinbeere. „Aber sie und Nachttropfen waren eine Weile ein heimliches Liebespaar, deren Ergebnis Forellenpfote ist. Er kam am gleichen Tag zur Welt wie meine verstorbenen Jungen, weshalb Nachttropfen mich bat, Forellenpfote wie meinen eigenen Sohn großzuziehen. Wellenblatt übergab ihn mir im größten Sturm und ich musste ihr versichern, ihn wie mein eigen Fleisch und Blut großzuziehen. Sie wollte diese Verantwortung nicht und sie wusste, dass der LuftClan sie verstoßen würde, wenn sie von Forellenpfote erfahren. Ich teile euch dies mit, weil ich möchte, dass ihr wisst, wie wichtig eure Mission ist. Es geht nicht nur um Sonnenpfote, Mondpfote oder dich, Sturmherz. Die Clans brauchen einen Neuanfang.“ Dann blickte sie wieder gehetzt umher. „Und nun geht. Möge der SternenClan euch leiten.“ Steinbeere nickte ihnen ein letztes Mal zu und verschwand wieder im Unterholz. Sie ließ vier sprachlose junge Krieger zurück.
 

***
 

Es war nicht schwierig, sich stumpf in Richtung Norden zu halten, auch wenn sie in der Wildnis nur halb so schnell vorankamen wie im vertrauten Clan-Gebiet. Immer wieder blieben sie stehen, lauschten, witterten.

Hummelschatten war der Meinung, dass der SternenClan sie nicht hier entlang schicken würde, wenn es Gefahren gab. Deshalb sollten sie einfach geradeaus marschieren.

Rauchsturm fand, sie sollten vorsichtiger sein, damit ihnen nichts zustieß.

Schneewolke setzte sich an die Spitze der Gruppe ab, weil sie die endlose Diskussion zwischen Hummelschatten und Rauchsturm leid war.

Und Sturmherz hatte Mühe, alle beieinander zu halten. Er spürte, dass er sich als Anführer dieser Vierergruppe fühlte, weil er der Zweite Anführer des FeuerClan war. Aber hier waren sie alle gleich. Es zählte nicht, aus welchem Clan sie stammten und welchen Rang sie hatten – nur sahen die anderen das nach den wenigen Stunden der gemeinsamen Reise noch längst nicht ein.

Am späten Nachmittag überwältigte sie alle der quälende Hunger und bei Sonnenuntergang legten sie eine Rast ein. Der Wald umfing sie noch immer zu allen Seiten und sie konnten nicht abschätzen, wie weit sie es in dieser Zeit bereits geschafft hatten. Die anfängliche Vorfreude, die mit einem Energieschub einhergegangen war, legte sich bereits und Ernüchterung machte sich breit.

„Ich habe mir das spaßiger vorgestellt“, gestand Hummelschatten, als er von seiner Jagd zurückkehrte. Er hatte ein Eichhörnchen gefangen, das er nun hungrig hinunterschlang.

„Spaßig?“ Schneewolke, ebenfalls mit einem Eichhörnchen zu ihren Pfoten, warf ihm einen strengen Blick aus ihren himmelblauen Augen zu. „Es ist eine große Ehre, vom SternenClan für diese Mission auserwählt worden zu sein. Mit Spaß hat das nichts zu tun. Wir sollten so ernst und organisiert wie möglich an die Sache herangehen.“

„Das kann auch nur jemand aus dem WasserClan sagen“, entgegnete Hummelschatten augenrollend. „Wenn du so weise bist, dann verrate mir doch, wie du diese Reise planen würdest? Im Planen ist der WasserClan doch so gut.“

Sie blickte ihn aus schmalen Augenschlitzen an. „Ich bin keinem LuftClan-Krieger Rechenschaft schuldig.“ Eine winzige Priese Unsicherheit mischte sich in ihre Stimme. „Wir halten uns Richtung Norden, wie uns aufgetragen wurde. Der SternenClan wird uns leiten.“

„Also hast du auch keine Ahnung, wusste ich es doch.“ Hummelschatten zog eine Grimasse.

In diesem Moment trat Rauchsturm in ihr kleines, improvisiertes Lager am Rand einer kleinen Lichtung. Sein Magenknurren war laut und deutlich zu hören.

Sturmherz sah, dass Rauchsturm nichts gefangen hatte. Er schaute ihn fragend an.

Rauchsturm räusperte sich verlegen. „Ich schätze, meine Zeit als Kriegerschüler ist schon zu lange her.“ Dann, als keiner reagierte, fügte er hinzu: „Heiler müssen nicht selbst jagen gehen.“

Schneewolke schluckte den letzten Bissen ihres Eichhörnchens herunter. „Du wolltest unbedingt mitkommen. Das ist dein Problem.“

„Wir sollten alle an einem Strang ziehen“, mahnte Sturmherz sie.

„Vergiss es, Sturmherz“, mischte Hummelschatten sich sofort ein und warf Rauchsturm den hinteren Teil seines Eichhörnchens zu. „Der WasserClan glaubt immer, er sei etwas Besseres. Das kann ich dir versichern, immerhin waren Silberstern und Wacholderstern eine Zeit lang Verbündete.“

„Sagt ein Mitglied aus dem Clan, der vor uns gekrochen ist, nur um in unserem Gebiet jagen zu dürfen“, erwiderte Schneewolke spitz, stand auf und ging zu einem umgekippten Baumstumpf, unter dem sie sich einrollte. „Wir rasten hier. Bei Sonnenaufgang brechen wir wieder auf.“

„Wer hat dich zur Anführerin ernannt?“, fauchte Hummelschatten sie aufgebracht an. „Du hast mir gar nichts zu sagen, Schneewolke!“

Sie ignorierte ihn, bedeckte ihr Gesicht mit ihrem buschigen, weißen Schwanz.

Hummelschatten grollte. Er stand auf und stapfte quer über die Lichtung.

„Wo willst du hin?“, fragte Sturmherz ihn.

Hummelschatten streckte ihm die Zunge raus. „Jagen. Um der ollen Ziege zu zeigen, dass der LuftClan zurecht der Clan der flinken Jäger ist.“ Dann drehte er sich zu Rauchsturm. „Und du! Komm mit und lern, noch einmal teile ich mein Essen nicht mit dir.“

Rauchsturm, der noch immer betreten zu Boden schaute, stand schnell auf und eilte mit einem entschuldigenden Blick hinter Hummelschatten her.

Sturmherz schaute den beiden nach. Er fühlte sich nicht gut dabei, wenn sie miteinander stritten. Aber auch er spürte noch immer den Stolz des FeuerClans in seinen Adern fließen. „Du kannst nicht einfach den Ton angeben“, sagte er daher.

Schneewolke reagierte nicht, aber er war sich sicher, dass sie ihn gehört hatte.

Schweigen suchte Sturmherz sich unweit von ihr ein eigenes Plätzchen, schloss die Augen und schlief kurz darauf auch schon ein.
 

***
 

Er träumte eine Szene aus seiner frühen Kindheit – eine der ersten Momente, an die er sich überhaupt erinnern konnte. Es fühlte sich seltsam an, im Traum wieder bei seiner Mutter und seinen Geschwistern im Garten der Zweibeiner zu sein.

Das Gras fühlte sich unter seinen Pfoten tot und kalt an. Es war gefroren. Schnee stapelte sich an den Rändern des Zauns. Seine sieben Geschwister tollten um ihn herum. Sturm saß unter einer Hecke, kauerte sich zusammen, starrte mit großen Augen auf die Zweibeiner, die sich in ihrer seltsamen Sprache miteinander unterhielten. Er konnte sie nicht leiden. Sie nahmen ihn hoch, berührten ihn, trugen ihn herum. Wenn er sich nach Leibeskräften mit Krallen und Zähnen wehrte, lachten sie wie Monster und drückten ihn nur noch fester. Er hasste sie. Er wollte kein Hauskätzchen sein. Niemals.

Als die Zweibeiner durch die offene Tür zurück ins Haus gingen, tapsten seine Brüder und Schwestern ihnen hinterher.

Sturm kauerte sich tiefer unter die Dornenhecke. Es war ihm egal, ob die Dornen ihn blutig schrammten, solange er nicht wieder zu den Zweibeinern musste.

„Du bist nicht wie die anderen“, sagte eine tiefe Stimme hinter ihm.

Er schreckte herum, sah den großen, dunklen Kater mit den breiten, schwarzen Streifen im langen Fell. Sturm baute sich zu voller Größe auf, doch der Kater hätte ihn jederzeit mit nur einer Pfote niederdrücken können. „Ich bin Sturm. Wer bist du?“

Der Kater lachte und sein Lachen war so tief und brummend, dass es tief in Sturms Magen nachhallte. „Das weißt du nicht?“

„Nein.“

„Ich verstehe. Nun, ich bin dein Vater, kleiner Sturm.“

Sturm ließ seine Abwehrhaltung sinken. Nun blickte er interessiert und neugierig zu dem Kater. „Mein Vater? Mama hat gesagt, du bist ein charmanter Streuner. Du hast kein Zuhause.“

„Oh, ich habe ein Zuhause, aber nicht hier. Nicht bei den Zweibeinern. Ich wollte, dass deine Mutter mit mir kommt, aber sie mag dieses Leben. Aber du … Das ist nichts für dich. Du kommst nach mir.“

„Kann ich mit dir kommen?“

Wieder lachte der Kater, streckte sich, robbte aus der Dornenhecke hervor und sprang mit Leichtigkeit auf den Zaun, der Sturm wie eine unüberwindbare, riesige Hürde vorkam. „Nein. Ich werde zu meinem Zuhause zurückkehren, Sturm. Das ist weit weg von hier. Aber die Wege des SternenClans sind unergründlich. Also … wer weiß, ob wir uns wiedersehen.“

„SternenClan? Was soll das sein?“

Doch noch ehe der Kater ihm antworten konnte, war er auf der anderen Seite des Zauns verschwunden.

Er kehrte nie wieder zurück.
 

***
 

Sturmherz wachte am nächsten Morgen auf und hatte seinen Traum fast wieder vergessen. Er blinzelte gegen die morgendliche Müdigkeit an und je länger er wach war, desto mehr zweifelte er daran, jemals seinen Vater getroffen zu haben – oder mit ihm über den SternenClan gesprochen zu haben. Er verdrängte jeden weiteren Gedanken daran.

Am heutigen Tag war der Himmel bewölkt und noch während er damit beschäftigt war, sich zumindest eine kleine Maus zu fangen, fing es wieder an zu schneien, was er murrend zur Kenntnis nahm.

Was sein Clan jetzt wohl machte?

Er war erst vierundzwanzig Stunden fort und es fühlte sich wie eine Ewigkeit an. Sturmherz spürte, dass er das regen Treiben und die Geborgenheit seines Clans vermisste. Er wollte mit Milchkralle, Fleckennase und den anderen reden, Flockenpfote trainieren oder mit Blaukralle streiten. All das wollte er, weil es ihm Sicherheit und Geborgenheit gab – weil es einfach zu seinem Zuhause dazugehörte.

Stattdessen thronte Schneewolke auf dem umgestürzten Baumstamm und leckte sich königlich die Pfoten, während Rauchsturm hungrig in der Mitte der Lichtung lag. Nach Hummelschattens Ansage am vorherigen Abend und der kurzen Trainingseinheit hatte er bei der Jagd keinen Erfolg gehabt, doch er war zu stolz, um sich die Blöße zu geben und nach Hilfe zu fragen.

Sturmherz versuchte, die Stimmung ein wenig zu lockern. „Hat der SternenClan letzte Nacht zu dir gesprochen?“

Rauchsturm hob den Kopf. „Nein. Aber Tigerfuß meinte, er hält es für wahrscheinlich, dass der SternenClan während unserer Reise schweigen wird. Wir müssen den Weg alleine finden und darauf vertrauen, dass wir die Zeichen richtig deuten. Der SternenClan wacht über den Heiligen Berg. Er kann uns auf dieser Reise nicht begleiten.“

„Also lässt uns der SternenClan alleine“, fasste Schneewolke zusammen. Sie seufzte. „Eisschatten hat das schon vermutet.“ Ihr Blick fiel auf Sturmherz, war aber weder feindlich noch aggressiv. „Er glaubt allerdings nicht so ganz, dass ausgerechnet du ausgewählt wurdest.“

„Tja, das kann ich mir denken“, antwortete Sturmherz, stand auf und streckte alle vier Beine nacheinander. „Aber weißt du was? Ich gebe nichts darauf, was ausgerechnet dein Bruder über mich sagt. Eisschatten sollte sich stattdessen an die eigene Nase fassen. Er war doch Feuer und Flamme dafür, dass Mondpfote und Sonnenpfote verstoßen werden und jetzt sind sie ein Teil eures Clans.“

„Das kannst du überhaupt nicht miteinander vergleichen“, sagte sie und schüttelte dabei den Kopf. „Mondpfote und Sonnenpfote sind zur Hälfte WasserClan und außerdem gehören sie nun vollständig zu unserem Clan. Das hat Silberstern entschieden, wie du weißt. Wir alle respektieren ihre Entscheidung. Mondpfote und Sonnenpfote machen sich sehr gut im Clan und ich bin mir sicher, dass sie eines Tages große Krieger werden, die den WasserClan loyal unterstützen werden.“

„Das ändert aber nichts daran, dass Eisschatten hinter den Kulissen Gift versprüht – und mit solchen Katern kenne ich mich aus.“ Blaukralle war immerhin das beste Beispiel dafür.

Schneewolkes Blick veränderte sich leicht. Sie sah verärgert aus. „Eisschatten ist ein überaus geschätzter Krieger im Clan.“

„Und trotzdem wird er nie selbst Junge haben, wenn er sich nicht gerade Mondpfote schnappt“, feixte Hummelschatten. „Oder vielleicht lässt er sich ja mit Taukralle ein. Oder mit dir? Ihr im WasserClan steht doch so darauf, eure Blutlinien rein zu halten.“

Sturmherz konnte gar nicht so schnell gucken, wie Schneewolke sich auf Hummelschatten gestürzt hatte.

Beide rollten als schwarzweißes, fauchendes Fellknäuel über die Lichtung.

Rauchsturm machte ihnen kopfschüttelnd Platz. „Hört auf damit! Das ist nicht der Wille des SternenClans!“

Sturmherz hätte darauf gewettet, dass Hummelschatten gewann, doch zu seinem Erstaunen erwies sich Schneewolke als clever genug, um Hummelschatten einfach auszuspielen. Kurzerhand pinnte sie ihn zu Boden und knurrte ihm mitten ins Gesicht.

Hummelschatten zappelte, ergab sich dann jedoch und präsentierte ihr seinen Bauch.

Schneewolke ließ mit funkelnden Augen von ihm ab, drehte sich zu Sturmherz und Rauchsturm um. „Will noch einer blöde Sprüche über den WasserClan bringen? Dann nur zu.“ Sie bleckte ihre spitzen, weißen Zähne. „Nein? Gut. Ab jetzt erledigen wir einfach nur die Aufgabe, die der SternenClan uns gegeben hat, verstanden? Wir werden uns nach Norden halten, bis wir den Ort finden, an dem der SternenClan in strahlender Pracht am Himmel tanzt. Danach kehren wir an den Heiligen Berg zurück und führen unsere Clans in die neue Heimat. Ich werde nicht dulden, dass einer von euch sich noch einmal über meinen Clan lustig macht.“

„Schon gut, schon gut“, murmelte Hummelschatten. Er war ebenso wie Schneewolke eher klein und zierlich gebaut, was durch sein kurzes Fell noch stärker betont wurde. Dafür war er sehr flink und ein ausgezeichneter Jäger, doch gerade hatte er gegen sie keine Chance gehabt.

Schneewolke schnaubte, leckte sich über eine ihrer Vorderpfoten und funkelte dann Sturmherz und Rauchsturm an. „Wir brechen auf. Die Mission wartet auf uns.“ Sie setzte sich in Bewegung, ohne darauf zu warten, ob die anderen ihr folgen wollten oder nicht.

Hummelschatten zögerte einen Augenblick, schaute zwischen ihr und Sturmherz hin und her, dann knurrte er frustriert und stapfte ihr hinterher.

Rauchsturms schwarzer Schwanz fegte über den Schnee, dann setzte auch er sich seufzend in Bewegung. „Möge der SternenClan uns leiten“, murmelte er leise vor sich hin.

Sturmherz folgte ihnen als letzter. Alles in ihm sträubte sich dagegen, sich Schneewolke einfach so zu unterwerfen und sie an der Spitze laufen zu lassen, zumal sie sich selbst zur Anführerin ihrer Mission ernannt hatte. Doch er wollte auch nicht am zweiten Tag ihrer Reise einen Streit darüber beginnen, weshalb er den anderen schweigend hinterher lief. Immerhin mussten sie einfach nur nach Norden laufen.

Was konnte da schon schief gehen?

Aus Stunden formte sich ein ganzer Tag, dann die dunkle, kalte Nacht. Aus Tagen formte sich eine ganze Woche. Die vier Auserwählten liefen und liefen unermüdlich, bis ihre Pfoten geschwollen waren und schmerzten. Sie redeten nicht viel miteinander, beschränkten sich auf kurze, notwendige Mitteilungen. Abends suchten sie gemeinsam eine Möglichkeit zur Rast – oder eher Schneewolke, die sich noch immer als Anführerin sah, während die anderen ihr stumm folgten und sich dort hinlegten, wo auch sie schlief.

Je weiter sie sich von dem Heiligen Berg entfernten, desto stärker sehnte Sturmherz sich nach dem FeuerClan, der seine Familie war. Wie weit würden sie wohl noch laufen müssen, bis sie ihre neue Heimat fanden?

Allmählich begann sich auch die Wildnis zu verändern. Wo vor einigen Tagen noch unendlicher Wald stand und es kaum nennenswerte Berge gab, begann nun eine Steigung. Immer öfter liefen sie über Lichtungen, mal groß, mal klein. Laubbäume wurden zunehmend von Nadelbäumen verdrängt. Der weiche Waldboden wich gefrorener Erde, die von schroffen, scharfkantigen Felsen durchbrochen wurde. Immerhin schneite es nur noch wenig und auch Rauchsturm schaffte es hin und wieder, sich Frischbeute zu fangen. Trotzdem magerte er ab und weigerte sich noch immer, die anderen um Hilfe zu bitten.

Als die Sonne an jenem Tag am höchsten stand, hörten sie aus weiter Ferne das Rauschen eines Flusses.

Schneewolke blieb stehen, lauschte, und zum ersten Mal seit Tagen hellte sich ihre Miene wieder etwas auf. „Ein Fluss! Fast wie zu Hause.“

Rauchsturm sah ebenfalls glücklich aus. „Das ist bestimmt ein gutes Zeichen.“

„Wir werden sehen“, sagte Hummelschatten, der seit des Zwischenfalls mit Schneewolke seine lockere, lustige Art gegen Schweigen und Grimmigkeit getauscht hatte.

Sturmherz seufzte, beschleunigte sein Tempo etwas und zog an Schneewolke vorbei an die Spitze ihrer Formation. Auch in ihm verursachte das Rauschen des Wassers freudiges Herzklopfen. Das bedeutete nämlich nicht nur, dass sie endlich wieder frisches Wasser trinken konnten – Schnee und abgestandene Pfützen waren kein akzeptabler Ersatz – sondern auch, dass die Temperaturen soweit gestiegen waren, dass es allmählich taute.

Es dauerte nicht lange, bis sich der Wald vor ihnen zu lichten begann. Ihre Schritte wurden dadurch nur noch weiter beflügelt. Sie brachen durch den Waldrand hindurch, bremsten ab, gerade noch rechtzeitig.

„Beim SternenClan!“, stieß Rauchsturm mit großen Augen aus.

Vor ihnen schlängelte sich ein reißender Fluss mitten durch den Wald. Kristallklares Wasser wütete wild und stürmisch umher, hier und dort war es von weißen Schaumkronen gesäumt oder von glitschigen Felsen durchzogen. Ohne es zu merken mussten sie in den letzten Stunden eine Anhöhe erklommen haben, denn einige hundert Meter weiter stürzte das Wasser schlagartig in die Tiefe.

„Ein Wasserfall!“ Schneewolke trabte mit respektvollem Abstand neben dem Flussufer entlang, die Augen auf den Wasserfall in der Ferne gerichtet.

„Das ist gefährlich“, murrte Hummelschatten sofort, folgte ihr aber. „Ich sehe keine Möglichkeit, wie wir diesen Fluss überqueren können.“

„Wir könnten schwimmen“, schlug Schneewolke nachdenklich vor.

Sturmherz schnaubte. „Ganz sicher nicht. Das andere Ufer ist viel zu weit weg und außerdem würde uns die Strömung sofort mit sich reißen.“

„Wir würden ertrinken“, stimmte Rauchsturm ihm zu.

„Ich will zum Wasserfall“, sagte Schneewolke unbeirrt. „Vielleicht sehen wir von dort, was unter uns liegt.“

„Hoffen wir nur, dass der Wald bald ein Ende findet.“ Hummelschatten knurrte leise vor sich hin.

„Oder wir haben unser Ziel bereits erreicht.“ Ihre eigenen Worte ließen Schneewolke schneller werden, bis sie rannte.

Die anderen folgten ihr, holten auf, und gemeinsam liefen sie bis zu dem Wasserfall. Sie blieben am Ufer stehen, starrten hinab in die Tiefe, wo sich feiner Nebel, Gischt und Felsen zu einer tödlichen Mischung verbanden. Eine Weile standen sie einfach nur da, betrachteten die schneebedeckte Landschaft zu ihren Pfoten. So weit das Auge reichte, erstreckte sich die weiße Landschaft und am Horizont befanden sich riesige Berge, deren scharfe Spitzen wie die Zähne eines gigantischen Tieres aus der Erde ragten.

„Wald, Wald und noch mehr Wald“, klagte Hummelschatten schließlich. „Ich kann es nicht mehr sehen. Ich vermisse die weiten Ebenen im LuftClan. Und unseren See.“

„Das da unten ist so etwas wie ein See“, kommentierte Schneeflügel und deutete auf das untere Ende des Wasserfalls, deren ohrenbetäubendes Rauschen sie beinahe übertönte.

„Das ist kein See, das ist der sichere Tod“, zischte Hummelschatten ungehalten. „Wir laufen seit einer geschlagenen Woche immer nur durch den Wald, aber wir kommen einfach nirgendwo an.“

„Wir haben diesen Wasserfall gefunden“, sprach Sturmherz mit ruhiger Stimme. „Von hier aus können wir uns orientieren. Wir müssen in Richtung der Bergkette dort am Horizont.“

„Und wie weit ist das noch weg? Eine Woche? Zwei?“

Rauchsturm teilte sein mitleidiges Seufzen. „Uns bleibt nichts anderes übrig. Oder willst du aufgeben?“

Weil Hummelschatten nicht sofort antwortete, setzte Sturmherz‘ Herzschlag direkt einige Male voller Furcht aus. „Du kannst nicht aufgeben! Wir müssen durchhalten. Unsere Clans vertrauen darauf, dass wir zusammenhalten.“

Hummelschatten schüttelte leicht den Kopf, grub die Krallen in die feuchte Erde. „Nein, wir gehen weiter. Aber ich werde keine Pfote mehr in diesen bescheuerten Wald setzen, wenn wir erst einmal mit den Clans in unserer neuen Heimat angekommen sind.“

„Dann lasst uns hier runter klettern.“

Hummelschatten starrte Rauchsturm abschätzend an. „Da runter? Bist du lebensmüde?“

„Hast du eine bessere Idee?“, fragte Schneewolke genervt. „Wenn wir außen rum laufen, verlieren wir mindestens einen Tag. Hier runter zu klettern, wird uns höchstens ein oder zwei Stunden kosten. Das Gebiet des WasserClans ist sehr felsig, ich kenne mich damit aus. Lasst mich vorgehen und tretet überall dort hin, wo ich es tue.“

Sie nickten Schneewolke zu, die die Felsvorsprünge neben dem Wasserfall zuerst gut inspizierte und dann wagemutig gut zwei Fuchslängen tief sprang. Sie krallte sich sofort auf den Stein, rutschte kaum weg, schüttelte sich dann die ersten Wassertropfen aus dem Fell und schaute hoch. „Jetzt gibt es kein Zurück mehr. Folgt mir einer nach dem anderen.“

Sturmherz und Hummelschatten tauschten einen kurzen Blick. „Du zuerst“, sagte Hummelschatten. „Ich stürze mich nicht in den Tod.“

„Ich folge ihr.“ Trotz seiner Worte verharrte Rauchsturm eine Weile regungslos an der Kante.

„Wird das heute noch was?“

„Sei still, Hummelschatten. Ich … bin aufgeregt.“

„Du schaffst das“, sprach Sturmherz ihm Mut zu.

Rauchsturm nickte, dann seufzte er ein letztes Mal, holte tief Luft und sprang. Er kam quer auf, fand aber guten Halt. „Halb so schlimm!“ Dann folgte er Schneewolke auf einen anderen Felsvorsprung.

Sturmherz konnte verstehen, wieso Rauchsturm Angst gehabt hatte. Alle Felsen waren feucht und rutschig, drei Fuchslängen neben ihnen toste der Wasserfall in die Tiefe, unter ihnen gluckerte das Wasser wie ein hungriger Schlund. Er sprang, ohne darüber nachzudenken, knallte auf den harten Stein. Dann rappelte er sich wieder auf.

Schneeflügel und Rauchsturm waren bereits über zwei schmale Felsstreifen auf einen weiteren Vorsprung weiter unten gelangt. Es sah schlimmer aus, als es im Endeffekt war, aber Sturmherz plante dennoch jeden einzelnen Sprung mit penibler Sorgfalt. Eines war sicher: Mit den Clans würden sie außen herum laufen, egal wie viel Zeit es kostete.

Nach und nach arbeiteten sie sich auf diese Weise die Steilwand hinab. Nachdem sie schon über die Hälfte hinter sich gebracht hatten, kam endlich der Boden in Sicht.

Doch Schneeflügel verharrte unsicher auf ihrem Felsen. „Hier geht es nicht mehr weiter.“

„Was meinst du damit, dass es nicht weitergeht!“, schnarrte Hummelschatten sie ungehalten an. „Wir können nicht zurück, falls du das vergessen hast!“

„Habe ich nicht!“, erwiderte sie fauchend und sträubte dabei das nasse, verschwitzte Fell. Sie schüttelte sich, schaute noch einmal zu allen Seiten runter und blieb stehen. „Okay. Das wird euch nicht gefallen.“

Sturmherz hörte, wie Hummelschatten hinter ihm laut stöhnte. „Was ist los?“

Schneewolke zuckte leicht mit den Schultern. „Wir werden springen müssen. Es ist ein ganzes Stück und besonders breit ist die Felskante nicht. Wir müssen ganz nah an den Wasserfall heran, aber ab da führt ein schmaler Weg direkt bis zum Boden. Versucht, möglichst dicht an der Wand zu landen, verlagert euer Gewicht von der Kante weg, sobald ihr könnt, sonst rutscht ihr ab. Verstanden?“

„Wenn du das sagst, klingt es so einfach.“ Hummelschatten schnitt eine Grimasse, doch der schneidende Unterton war aus seiner Stimme verschwunden.

„Reden wir nicht lange drum herum.“ Sie ließ ihren Schwerpunkt über die Kante fallen, landete mit einem dumpfen Aufschlag, rappelte sich auf und ging leichtfüßig an der Kante entlang gut zehn Meter weiter. Mit dem Schwanz winkte sie ihnen zu.

Die drei Kater sahen sich lange an. Keiner wollte den Anfang machen.

„Das ist lebensmüde, ganz eindeutig“, meinte Hummelschatten schließlich. Er kniff die Augen zusammen, trat an die Kante. „Ach, Mäusedreck.“ Er zögerte nicht länger, ließ sich fallen, knallte seitlich gegen den Felsen, fing sich aber gut ab und landete, ohne sich zu verletzen. Dort unter ihnen rappelte er sich auf und lief zu Schneewolke herüber.

Nun waren es nur noch Rauchsturm und Sturmherz. Dieser musterte den abgemagerten Heiler. „Du solltest zuerst springen. Und wenn wir unten angekommen sind, haben wir uns einen großen Frischbeutehaufen verdient.“

„Wie du weißt, bin ich nicht gerade der beste Jäger“, witzelte er mit belegter Stimme.

„Das ist egal. Wir haben das hier gemeinsam geschafft. Wir müssen füreinander da sein.“

Ein dankbarer Ausdruck trat in Rauchsturms Gesicht. „Danke, Sturmherz.“ Er trat an die Kante und sprang.

In dem Augenblick, in dem Rauchsturm sich fallen ließ, erkannte Sturmherz bereits, dass etwas falsch lief. Rauchsturm drehte sich, prallte gegen den Felsen, landete viel zu weit vorne. Er schlug schräg auf, seine Beine knickten kraftlos weg. Wie in Zeitlupe mussten sie zusehen, wie Rauchsturm das Gleichgewicht verlor. Er schrie, krallte sich in den Felsen, bekam keinen Halt, fiel erneut. Die Wassermassen verschluckten seinen grauschwarzen Körper mit Leichtigkeit.

Sturmherz hörte das Blut in seinen Ohren rauschen. Er sah die geschockten Gesichter von Hummelschatten und Schneewolke. Er sprang, ohne darüber nachzudenken, direkt in den nächstgelegenen Wasserstrahl hinein.

FeuerClan, die mutigen Krieger.

Mutig.

Und manchmal auch verdammt töricht.
 

***
 

Das Wasser umfing seinen Körper. Rau. Wild. So hart wie die Felsen. Sobald Sturmherz den Wasserfall berührte, verlor er die Kontrolle über seine Gliedmaßen. Er wurde herumgeschleudert, zusammengedrückt, schnappte nach Luft.

Wasser, überall Wasser. Oben und unten verschwamm zu einer einzigen Sturmflut, die ihn zu ertränken drohte.

Alles an ihm schmerzte. Aber Schmerzen waren gut, denn das bedeutete, dass er noch lebte. Doch allmählich zweifelte Sturmherz daran, dass er es schaffen würde. Das Wasser drücke ihm auch das letzte Stück Luft aus seinen Lungen, schleuderte ihn umher wie ein Blatt. Er begann schwarze Punkte zu sehen, die zuerst flimmerten und dann immer größer wurden. Das Rauschen des Wasserfalls entfernte sich.

Und dann, wie aus dem Nichts, prallte er gegen einen Felsen, verlor an Tempo, trieb um eine Kurve herum, durchbrach die Oberfläche.

Gierig schnappte er nach Luft, strampelte mit den schmerzenden Gliedern. Der Wasserfall war nur noch ein schmaler Strich in der Ferne, entfernte sich immer weiter, während kleinere und größere Wellen in sein Sichtfeld schwappten. Die Strömung zog ihn weiter mit sich, ließ nach, wurde schwächer.

Irgendwann hatte er die Chance, in Richtung Ufer zu schwimmen. Der Fluss verbreiterte sich, wurde langsamer, flacher und gutmütiger. Mit letzter Kraft hievte er sich an einer Kiesbank hinauf und blieb einfach dort liegen.

Sturmherz atmete schwer, hatte die Augen geschlossen. Was hatte er sich nur dabei gedacht? Wo war Rauchsturm? Er hatte ihn nicht gesehen, natürlich nicht, weil das Wasser ihn beinahe umgebracht hätte. Womöglich war Rauchsturm schon längst tot.

Er war eingeschlafen, ohne es zu merken, und als er die Augen wieder öffnete, hatte der Himmel seine Farbe gewechselt. Es war Abend geworden und die anderen waren nicht bei ihm. Hatten sie ihn nicht gefunden?

Erst jetzt besaß Sturmherz genügend Kraft, um sich aufzusetzen und die letzten Schritte ins Trockene zu laufen.

„Bist ja mächtig ins Straucheln gekommen, Schneckenhirn. Echt tolle Show mit dem Sprung vom Wasserfall. Mächtig dämlich, eh?“

Die vertraute Stimme jagte ihm einen so mächtigen Schrecken ein, dass Sturmherz zur Seite kippte und sich ängstlich gegen den Baumstamm der Tanne drückte. „Du?!

Einige Fuchslängen entfernt saß Flohnacken im Trockenen und grinste ihn mit fauligen Zähnen an. „Flohnacken ist euch gefolgt. Dachte mir, das wird interessant. Am Heiligen Berg passiert ja nicht viel Neues. Manche kommen, manche gehen, das Übliche.“

Sturmherz konnte nicht glauben, dass eine so abgewrackte Gestalt wie Flohnacken ihnen eine Woche lang quer durch die Wildnis gefolgt war, ohne zu sterben. Und wie hatte er ihn so schnell gefunden? „Weißt du, wo die anderen sind?“

„Suchen nach dir, Schneckenhirn.“ Er kratzte sich genüsslich hinter dem Ohr, wo das Fell vollständig fehlte und die nackte, schuppige Haut zu sehen war. „Sind aber an der Flussbiegung in die falsche Richtung gelaufen.“

Sturmherz‘ Herz setzte einmal aus. „Sie suchen in der falschen Richtung nach mir? Aber das geht nicht, wir müssen zusammenbleiben!“

„Tja, nicht Flohnackens Problem.“ Er bleckte einmal kurz die Zähne.

„Hast du gesehen, wohin es Rauchsturm verschlagen hat? Und … lebt er noch?“ Diese Antwort fürchtete er am meisten, doch als Flohnacken nur lässig gähnte, beruhigte er sich ein wenig. „Er lebt noch, nicht wahr? Wo ist Rauchsturm? Ist er verletzt?“

„Heiler können sich doch selbst heilen oder nicht?“, lautete Flohnackens Gegenfrage. „Flohnacken hat in seinem Leben schon viel gesehen, oh ja. Immer Richtung Norden, eh?“

Sturmherz seufzte, wurde dann aber hellhörig und setzte sich gerade hin. „Flohnacken … weißt du, wohin wir gehen müssen? Kennst du den Ort, an dem der SternenClan in strahlender Pracht am Himmel tanzt?“

Der kränkliche Kater wiegte seinen Kopf hin und her. „Stellst endlich bessere Fragen, Schneckenhirn.“

„Ja oder nein?“

„Tja …“

„Sag schon!“

„Flohnacken sieht viel, sieht wenig, sieht alles“, flötete er gut gelaunt. Es machte ihm Spaß, Sturmherz an der Nase herumzuführen. Dann glitt sein Blick den Flusslauf entlang. „Schöner Fluss, oh ja. Lädt zu einem ausgedehnten Spaziergang ein.“ Er stand auf, trottete näher an das Ufer heran und schlenderte stromabwärts.

„Ist das dein Ernst?“ Ungläubig starrte er dem Kater hinterher. „Es wird gleich dunkel!“

„Macht die Dunkelheit dir Angst?“, rief er ihm über die Schulter zu.

„Was? Nein! Natürlich nicht!“ Sturmherz erhob sich ebenfalls und folgte Flohnackens Geruch von Eiter und Verwesung in gebührendem Abstand.

„Flohnacken mag die Dunkelheit. Im Dunklen sieht man manchmal mehr.“

„Das ergibt keinen Sinn“, murrte Sturmherz.

Wie aus dem Nichts traf ihn eine Windböe. Er kniff die Augen zusammen, schüttelte sich einmal und als er die Augen wieder öffnete, waren Flohnacken und sein ekelerregender Gestank verschwunden. An diesem Kater verwunderte ihn nichts mehr.
 

***
 

Mitten in der Nacht überwältige ihn die Erschöpfung. Sturmherz rollte sich im schützenden Dickicht ein. Sein Schlaf war traumlos, aber erholsam, und als er noch vor dem ersten Morgengrauen erwachte, staunte er nicht schlecht. In weiter Ferne, über den Gipfeln der riesigen Bergkette, schimmerte blassgrünes Licht, dazwischen das Sternenvlies. Das Licht verblasste in den letzten Zügen, doch die langsame Bewegung gab ihm das Gefühl, dass die Sterne tanzen würden.

Augenblicklich spürte er, wie ihn neue Energie durchflutete. Das musste er sein! Der Ort, an dem der SternenClan in strahlender Pracht am Himmel tanzte! Oh wenn doch nur die anderen hier bei ihm wären …

Er seufzte, begann sich zu putzen, und als er fertig war, folgte er dem Fluss weiter stromabwärts. Zwar lief er nun gen Osten, aber was hatte er schon zu verlieren, wenn er Flohnackens diffuser Anleitung folgte? Sicher, er hätte zu dem Wasserfall zurückkehren können, doch die anderen waren längst fort und suchten in einer ganz anderen Richtung nach ihm. Er musste darauf vertrauen, dass sie auch sie das grüne Himmelslicht gesehen hatten. Dort würden sie sich treffen.

Immer weiter folgte er dem Fluss, der mal schmaler und mal breiter war, aber an keiner Stelle so gefährlich und tosend wie am Wasserfall. Irgendwann hörte er auf, darüber nachzudenken, wie weit er sich wohl von den anderen entfernte. Er musste weitergehen, bis er eine Stelle fand, an der er den Fluss überqueren konnte. Eine andere Möglichkeit hatte er nicht.

Nach weiteren quälenden Stunden waren auch alle übrigen Gedanken aus seinem Kopf verschwunden. Er verfiel in einen gleichmäßigen Laufschritt, atmete regelmäßig ein und aus. Die Sonne brannte mit einer ungewohnten Intensität auf ihn herab und ließ den Schnee am Ufer des Flusses bereits schmelzen. Nur einmal hielt er an, um eine Pause zu machen, zu trinken und zu jagen.

Er sah Vögel, die es rund um den Heiligen Berg nicht gab, und andere, die ihm vertraut waren. Finken, Zeisige, Drosseln und Kardinale gaben ihm ein Gefühl von Heimat.

Einmal sah er eine Schneeeule, deren weißes Gefieder mit den schwarzen Flecken er nur aus alten Clangeschichten kannte. Wie weit nördlich hatten sie es in dieser einen Woche geschafft?

Gegen Abend tauchten Gänse auf, die in Formation weit über seinem Kopf schnatternd vorbeizogen, und am nächsten Morgen begrüßte ihn das laute Krächzen eines silbergrauen Vogels mit gebogenem Schnabel, den er nicht zuordnen konnte. Er sprang auf das Tier zu, das keckernd auswich und davon flog.

Sturmherz zog weiter, ließ sich von dem Fluss führen. Er passierte weitere Vogelschwärme, sah Fische, deren elegante Körper unter der Wasseroberfläche schimmerten. Ein großes, braunes Huftier mit massivem Geweih schlabberte Wasser aus dem Fluss und schenkte Sturmherz keinerlei Beachtung.

Zwei weitere Tage vergingen. Allmählich verlor er die Hoffnung, jemals eine Stelle zu finden, an der er den Fluss überqueren konnte. Er überlegte, zu schwimmen, doch nach der Aktion am Wasserfall hatte er genug von dem Wasser und wollte nicht. Von Tag zu Tag bildeten sich die Muskeln seines Körpers stärker heraus, doch seine Ballen waren am Ende des Tages geschwollen und schmerzten. „Wie lange noch, SternenClan?“ Er schaute eines Nachts in den Himmel, erhielt jedoch keine Antwort.
 

***
 

Eine ganze Woche war vergangen, in der Sturmherz alleine gereist war. Der Fluss hatte im Laufe der Zeit immer wildere Biegungen gemacht, die Berge rückten näher und verengten sich zu einem Tal. Sturmherz hörte das Rauschen eines Wasserfalls, noch bevor er ihn sah. Alles in seinem Inneren zog sich zusammen, doch er lief weiter, bis er den Wasserfall erreichte.

Zu seiner Erleichterung war er weniger gefährlich als der vor einer Woche. Er ging nur etwa zehn Meter in die Tiefe – und das über eine respektable Länge. Doch was stattdessen seine Aufmerksamkeit fesselte, war der Zweibeinerort, der sich wie aus dem Nichts vor ihm erstreckte. Er stand weit über der Stadt, die er von hier oben vollständig überblicken konnte. In ihrem Zentrum streckten sich eckige, metallische Gebäude weit in die Höhe. An den Rändern wurden die Donnerpfade schmaler, wie bei einem Spinnennetz. Am Stadtrand sah er einzelne Häuser mit Gärten und Zäunen – und ein komisches Gefühl beschlich ihn. Er schnupperte in die Luft hinein, konnte aber nichts Ungewöhnliches riechen. Dafür erkannte er die Lösung für sein Problem, denn einer der Donnerpfade führte geradewegs über den Fluss.

Seine Pfoten trugen ihn wie von alleine den Berghang hinab. Er ließ den schützenden Wald hinter sich und die Abenddämmerung war bereits am Himmel zu sehen, als er den Stadtrand erreichte.

Der würzige Duft des Waldes war dem chemischen Gestank der Zweibeinerwelt gewichen. Sturmherz fühlte sich fehl am Platz, harrte am Donnerpfad aus und beobachtete, wie die Metallmonster immer wieder über die Brücke rollten. Nur noch wenige Schritte an der Seite der Brücke entlang, am besten im Schutz der Dunkelheit, dann hatte er es geschafft. Alles, was er tun musste, war warten, bis seine Zeit kam.

Zuckrige, klebrige Puddingspeisen stiegen plötzlich in seine Nase. Der Wind trug diesen Geruch heran, direkt vom Ende des Donnerpfads, von den Wohnhäusern der Zweibeiner, von einem Grundstück, dessen Gartenzaun eine unüberwindbare Hürde für jedes Jungtier war.

Unruhe machte sich in seinem Herzen breit. Verwirrt schaute Sturmherz zwischen der Brücke und dem Garten hin und her. Ohne es zu merken, schlich er sich an den Zaun heran. Der riesige Zaun war nichts weiter als eine unbedeutende Mauer. Er sprang hinauf und überblickte einen Garten mit einer Dornenhecke, die im Sommer vielleicht Rosenblüten trug.

Durch das Fenster konnte er ins Innere des Hauses blicken. Er sah sie, erkannte sie, wollte sie nicht erkennen. Fünf Junge lagen an ihrem Bauch und säugten. Ihre Ohren zuckten, sie schaute auf, ihre Blicke trafen sich, doch er war ein Fremder für sie.

Das hier war nicht sein Zuhause, es war nie sein Zuhause gewesen.

Er hatte eine Mission zu erfüllen.

Sturmherz sprang wieder vom Zaun herunter, rannte den ganzen Weg zurück bis zur Brücke. Es kümmerte ihn nicht länger, dass es noch nicht Nacht war. Er rannte einfach weiter, sprang auf einen schmalen Metallvorsprung, der seitlich ein Stück unterhalb des Donnerpfads entlangführte. Er wollte nur noch weg von hier, weg von den Zweibeinern. Er rannte, bis ihm das Blut in den Ohren rauschte, bis er die Lichter der Stadt nur noch als kleine Punkte wahrnehmen konnte, bis das Tal immer steiler wurde, bis die Bäume ihn umfingen.

Es wurde Nacht, die Wolken verdeckten den Himmel und noch immer schlug das Herz in Sturmherz‘ Brust wie wild geworden. Wovor hatte er nur solche Angst gehabt?

„Sturmherz …?“ Die dünne, fahrige Stimme riss ihn in das Hier und Jetzt zurück. „Dem SternenClan sei Dank …“

Er wirbelte herum und dort, zwischen den dicken Wurzeln eines Baumes, lag Rauchsturm.

Der junge Heiler sah fiebrig aus, blinzelte, war abgemagert.

„Rauchsturm, du lebst!“ Sturmherz‘ Schwanz schoss in die Höhe, als er zu seinem Begleiter lief. Doch schnell machte sich Ernüchterung in ihm breit. „Was ist passiert? Bist du verletzt?“

Rauchsturm rollte seinen buschigen Schwanz zur Seite und präsentierte eine Fleischwunde an seiner Flanke. Das Blut war bereits getrocknet, doch die Ränder der Wunde waren geschwollen und entzündet. Sein Fell war verklebt, roch nach Kot und Urin. „Der Wasserfall hat mich fast das Leben gekostet. Ich weiß nicht, wie lange ich im Fluss getrieben bin, bis ich ans Ufer gespült wurde. Alles, was ich hatte, war ein dicker Ast, an dem ich mich festkrallen konnte. Dann kam der Zweibeinerort, der Donnerpfad, das Metallmonster …“ Sein Gesicht verzog sich bei der Erinnerung daran.

„Oh nein …“, wisperte Sturmherz. „Kannst du laufen?“

„Nicht mehr … Ich habe es bis hier oben geschafft, aber dann verließen mich meine Kräfte.“

„Wie lange ist das her?“

„Drei Tage.“

Sturmherz setzte sich neben Rauchsturm und wusste nicht, was er tun sollte. „Was kann ich tun, um dir zu helfen?“

„Wenn es dir nichts ausmachen würde … vielleicht … Frischbeute? Ich habe seit Tagen nichts mehr gefressen. Mir fehlt die Kraft, um selbst zu jagen.“

„Natürlich, warte einfach hier, ich bin gleich wieder da!“ Nicht, dass Rauchsturm ohnehin hätte weglaufen können.

Er jagte so schnell, wie er noch nie in seinem Leben gejagt hatte. Dank der etwas milderen Temperaturen traute sich immer mehr Frischbeute aus ihrem Versteck und da die Bäume hier nicht sonderlich dicht standen, ließen sich immer wieder Vögel auf dem Waldboden nieder. Einen davon konnte Sturmherz erwischen. Es war das silbergraue Modell mit dem gebogenen Schnabel und der nervigen, keckernden Stimme.

Als er zu Rauchsturm zurückkehrte, war dieser eingeschlafen, schreckte jedoch hoch, als er Sturmherz kommen hörte. „Eine Möwe?“

„Was?“ Er legte den toten Vogel vor Rauchsturm ab, der sogleich gierig einen Bissen nahm.

„So nennt man diesen Vogel. Möwe. Sie leben dort, wo es viel Wasser gibt, das zum Meer führt.“

„Was ist das Meer?“

„Ein Ort wie ein unendlich großer See. Egal wie lange man schwimmen würde, man würde niemals das andere Ufer erreichen. Tigerfuß hat mir Geschichten darüber erzählt. Alte Geschichten, die von Generation zu Generation weitergetragen werden.“

Sturmherz wartete, bis Rauchsturm gefressen hatte, dann zog er los, um sich selbst ebenfalls Frischbeute zu jagen. Nun, da er zumindest einen seiner Gefährten wiedergefunden hatte, fühlte er, wie Zuversicht und Energie in seinen Körper zurückkehrten. Sie waren zwar schon zwei Wochen lang unterwegs, aber gemeinsam würden sie ihr Ziel mit Sicherheit erreichen.

Rauchsturm schnurrte zufrieden, als Sturmherz zu ihm zurückkehrte. Er trug ihm auf, nach ein paar bestimmten Kräutern zu suchen, doch entweder gab es diese hier nicht oder Sturmherz erkannte sie einfach nicht, denn er kehrte mit leeren Pfoten zurück. Das bekam Rauchsturm schon gar nicht mehr mit, denn er schlief tief und fest, eingerollt zu einer dunklen Fellkugel.

Sturmherz rollte sich neben ihm ein, damit sie ihre Körperwärme miteinander teilen konnten. Morgen war ein neuer Tag. Morgen würden sie gemeinsam weiterziehen. Morgen würde alles besser werden.

Er schlief sehr schnell ein, versank in einer schwarzen Umgebung, aus der nur träge einige silberne oder blaue Tupfen hervorstachen. Das war nicht der SternenClan, bei dem er sonst war, doch seine mysteriöse Begleiterin wartete trotzdem auf ihn.

„Haltet durch, ihr seid auf dem richtigen Weg.“ Sie lächelte ihn voller Güte und Freundlichkeit an. „Ich bin sehr stolz auf dich, Sturmherz.“

Er setzte sich neben sie, betrachtete sie von Kopf bis Schwanzspitze, doch er wusste noch immer nicht, wer sie war. „Weißt du etwas über Schneewolke und Hummelschatten? Wie geht es ihnen? Sind sie auch auf dem richtigen Weg?“

„Sei unbesorgt, lieber Sturmherz. Wir alle wachen über euch, auch wenn ihr uns nicht sehen könnt. Geht zu dem Ort, an dem der SternenClan in strahlender Pracht am Himmel tanzt.“

„Ich …“ Tausend Fragen wirbelten in seinem Kopf umher. „Wieso hilfst du mir immer?“

„Ich helfe dir, damit du meinem Clan helfen kannst.“

„Du …“ Er nahm seinen ganzen Mut zusammen. „Du bist nicht aus dem FeuerClan, nicht wahr?“

Sie lächelte. „Vor vielen, vielen Generationen waren alle Clans eins. Sind wir es dann nicht immer noch?“

„Nein. Ja. Ach, ich weiß es nicht.“ Frustriert starrte er in die das silberblaue Licht hinaus, das nicht wie sonst seinen vertrauten Wald formte, sondern eine lose Umgebung, gleichmäßig wie Wellen, aber ohne feste Formen. „Wo sind wir hier? Das ist nicht der SternenClan, nicht wahr?“

„Es ist nicht das, was du kennst. Wenn die Clans vom Heiligen Berg in eine neue Heimat ziehen, muss auch ihr SternenClan erst mitkommen. Wir können nicht überall gleichzeitig sein.“

„Aber du bist mit mir mitgekommen? Mit uns allen? Wieso tust du so etwas?“

„Das sagte ich doch bereits. Ich helfe dir, damit du meinem Clan helfen kannst. Alle Clans brauchen einander, Sturmherz. Was früher eins war, muss wieder eins werden, um neu geboren werden zu können.“ Sie stand auf, streckte sich und lief zielstrebig in das silberblaue Licht hinein.

„Warte, wo gehst du hin?“

„Den Rest deiner Reise musst du alleine schaffen, Sturmherz. Ich werde in der neuen Heimat auf dich warten.“

„Ich dachte, der SternenClan kann nicht einfach zwischen der neuen und der alten Heimat hin und her wechseln?“

„Oh, die anderen können das auch nicht.“ Ein verschmitzter Ausdruck trat in ihr Gesicht. „Das können nur die, die in zwei SternenClans zu Hause sind. Wir alle warten nur auf den Tag, an dem wir wieder vereint werden können, so wie es schon immer sein sollte.“ Sie begann bereits zu verblassen.

Sturmherz starrte sie einige Herzschläge lang einfach nur an. „In zwei SternenClans? Wie ist das möglich? Was bedeutet das?“ Ein letztes Mal wehte ihr unverkennbarer Duft wie eine Blumenwiese an einem sonnigen Sommermorgen um ihn herum, streichelte zärtlich über sein Fell. „Wer bist du? Sag es mir, bitte!“

„Du kennst meinen Namen bereits.“ Ihr Körper war durchsichtig, ihre Konturen lösten sich auf, ihre Stimme war ein fernes Echo.

„Dann sag ihn mir!“

Ihr Lachen war so klar wie ein Gebirgsbach. „Mondstern.“

„Sturmherz! Rauchsturm!“ Hummelschatten und Schneewolke rannten auf die beiden Vermissten zu, warfen sie überschwänglich um, schnurrten und rieben ihre Köpfe an den Körpern ihrer beiden Gefährten.

„Wir dachten, wir würden euch vielleicht nie wieder sehen!“, sagte Schneewolke, als sie von den beiden abließ und sie aus großen, blauen Augen musterte. „Wir haben überall nach euch gesucht.“

„Dann haben wir das grüne Licht am Himmel gesehen und dachten uns, dass dies ein Zeichen vom SternenClan ist“, führte Hummelschatten weiter aus. „Weil wir bis dahin kein Lebenszeichen von euch hatten, haben wir dem Fluss den Rücken gekehrt und sind in Richtung der Berge gewandert.“

Sturmherz spürte, wie sein Herz in seiner Brust vor Freude heftig schlug, beinahe wie ein Vogel, der sich zu befreien versuchte. Sie waren endlich wieder vereint, genau so sollte es sein, genau so war es vom SternenClan vorgesehen. Nur gemeinsam konnten sie diese Mission erfüllen. „Ich bin unendlich dankbar dafür, dass uns der SternenClan wieder zusammengeführt hat.“

Rauchsturm nickte. Er hatte sich in den letzten Tagen zusammengerissen, doch Sturmherz hatte mehr als einmal bemerkt, dass seine Flanke noch immer entzündet war und schmerzte. Immerhin war er mehr als nur Haut und Knochen, weil Sturmherz für ihn jagte und gleichzeitig versuchte, ihm das Jagen beizubringen.

„Was ist euch nur passiert?“, fragte Schneewolke noch immer ganz aufgeregt.

„Ich wurde vom Fluss fortgespült und kam weit entfernt wieder ans Ufer. Von dort bin ich bis zu einem riesigen Zweibeinerort gelaufen und über einen Donnerpfad über den Fluss gelangt. Leider … hat mich eines der Metallmonster erwischt.“

Schneewolke senkte den Blick. „Das sieht nicht gut aus.“

„Es geht schon.“ Rauchsturm rang sich ein Lächeln ab. „Wir haben keine Zeit zu verlieren. Wenn wir am Ziel sind, kann ich mich immer noch ausruhen.“

„Wenn du meinst …“ So ganz überzeugt wirkte sie noch nicht, doch Rauchsturm nickte zuversichtlich.

Auch Hummelschatten schaute eher besorgt, doch er seufzte lediglich. „Jedenfalls ist es schön, euch wieder bei uns zu haben.“

Sturmherz nickte. „Wie habt ihr es geschafft, den Fluss zu überqueren?“

„Wir sind geschwommen“, sagte Schneewolke unvermittelt. „Zunächst musste ich Hummelschatten davon überzeugen, aber dann haben wir es gewagt. Ich bin nicht zum ersten Mal geschwommen und er hat tapfer durchgehalten.“

Hummelschatten zog eine Grimasse. „Danach war ich aber auch so erschöpft, dass ich direkt eingeschlafen bin. Du hast manchmal echt blöde Ideen.“

„Aber sie funktionierten“, erwiderte sie rational und schüttelte sich.

„Sollen wir eine Rast einlegen?“, fragte Sturmherz. Sie waren nun schon zweieinhalb Wochen unterwegs. In den vergangenen Tagen hatten Rauchsturm und er den Zweibeinerort endgültig hinter sich gelassen. Sie hatten die Berge erklommen, nur um festzustellen, dass dahinter ein weiteres Tal und noch größere Gebirgsketten auf sie warteten. Auf halbem Weg dorthin hatten sie urplötzlich die Fährte von Schneewolke und Hummelschatten aufgenommen, waren ihr einen weiteren Tag gefolgt und hatten sie auf diese Weise eingeholt.

Von der ganzen Anstrengung zitterten Rauchsturms Muskeln. „Nicht wegen mir. Nehmt keine Rücksicht auf mich.“

Sturmherz schnalzte mit der Zunge und schaute in den Himmel. Die Blattleere hatte stabile Temperaturen um den Gefrierpunkt erreicht. Nachts gefror der Wald, tagsüber taute er wieder. Der Schnee verringerte sich von Tag zu Tag. „Es ist schon Nachmittag und wir haben die letzten zwei Tage ein sehr strammes Tempo gehabt. Ich denke, wir alle haben uns eine Pause verdient.“

Sogleich stimmte Schneewolke ihm zu: „Das ist eine gute Idee. Dort drüben haben wir eine verlassene Höhle gesehen, die können wir als Nachtlager benutzen.“

Hummelschatten wollte etwas erwidern, doch ein einziger Blick von Schneewolke brachte ihn zum Schweigen. „Gut, dann rasten wir“, sagte er stattdessen feixend und machte sich schon auf den Weg, um für Frischbeute zu suchen, während Schneewolke die beiden anderen zu der Höhle führte.

Rauchsturm hielt sich mit letzter Kraft auf den Beinen, doch sobald er den Schutz des ehemaligen Dachsbaus erreicht hatte, sank er zusammen, rollte sich ein und schlief.

Unschlüssig blieben Schneewolke und Sturmherz vor dem Eingang des Baus stehen, bis sie ihn anstupste und mit dem Kopf zur Seite deutete.

Sturmherz folgte ihr, bis sie etwas weiter weg ein ruhiges Fleckchen gefunden hatten. „Ich bin sehr froh, dass wir wieder vereint sind.“

„Und ich erst.“ Sie streckte ihre Schultern durch, ehe sie es sich bequem machte. „Hummelschatten ist mir manchmal ganz schön auf die Nerven gegangen. Aber … euer Verschwinden hat uns zusammengeschweißt. Wir waren eineinhalb Wochen alleine ohne euch unterwegs. In der Zeit haben wir viel diskutiert und noch viel mehr gestritten, aber am Ende schien alles geklärt zu sein und jetzt … verstehe ich nicht einmal mehr, wieso ich ihn anfangs nicht leiden konnte.“ Eine Weile schaute sie ziellos in die Ferne, dann drehte sie ihren Kopf zu Sturmherz um. „Geht mir mit Rauchsturm und dir übrigens nicht anders.“

Sturmherz freute sich über das Kompliment, ihm wurde ganz warm ums Herz. „Das kann ich nicht zurückgeben. Diese Mission sorgt dafür, dass wir zusammenhalten und … Freunde werden.“

Schneewolke nickte seicht. „Ja, das tut sie. Ich glaube zu verstehen, dass es dem SternenClan darauf angekommen ist. Der SternenClan wollte unbedingt, dass einer aus jedem Clan loszieht, auch wenn ein einziger Clan diese Aufgabe auch geschafft hätte. Aber wir sollten lernen, worauf es wirklich ankommt.“

„Und worauf kommt es deiner Meinung nach wirklich an?“ Er musterte sie neugierig, war auf ihre Antwort gespannt. Und er fand es süß, wie sie ganz leicht die Nase kräuselte, wenn sie angestrengt nachdachte.

„Ich denke, dass … nun ja …“ Sie setzte sich wieder auf und schaute ihm direkt in die Augen. „Ich denke, dass wir lernen sollen, die Grenzen unserer Clans zu überwinden. Es ist egal, wer aus welchem Clan kommt, solange es darum geht, für ein großes Ganzes zu kämpfen. Wir alle werden unsere Heimat am Heiligen Berg verlieren. Es wäre töricht, uns trotzdem zu bekriegen. Wir alle teilen uns dasselbe Schicksal und denselben SternenClan. Wenn wir im Tod über die Clangrenzen hinweg vereint sein können, waren dann nicht auch im Leben? Ja, die Clans geben uns Strukturen und Sicherheit und das soll auch so bleiben, aber jemanden zu verstoßen, nur weil er sich in jemandem aus einem anderen Clan verliebt hat, das ist … falsch. Wie kann ein so reines Gefühl wie Liebe falsch sein? Wenn wir an den Heiligen Berg zurückkehren und in unsere neue Heimat aufbrechen, darf es nicht mehr wichtig sein, wer zu welchem Clan gehört. Wir alle müssen zusammenhalten, wir müssen ein großes Ganzes sein.“

Sturmherz war von der Intensität ihrer Ansprüche gerührt, spürte ein Brennen in seinem Herzen, einen wilden Sturm in seiner Seele. „Du hast Recht. Das denke ich auch. Aber nur weil wir das so sehen, heißt das nicht, dass unsere Clans das auch können. Wenn wir an den Heiligen Berg zurückkehren, wird für sie noch immer alles beim Alten sein.“

„Wir müssen versuchen, sie zu überzeugen! So wie diese Reise auch mich überzeugt hat! Oder dich, oder Hummelschatten, oder Rauchsturm!“

„Schneewolke, ich stimme dir ja zu, aber das ist alles leichter gesagt als getan und -“

Sie unterbrach ihn einfach, indem sie aufsprang, sich zu ihm beugte und ihren Kopf einmal kurz an seinem Kiefer rieb. „Das hier ist echt, Sturmherz. Unsere neue Heimat wird für uns alle eine neue Chance sein.“ Ohne auf seine Antwort zu warten, drehte sie sich um und trabte mit schnellen Schritten zur Höhle zurück.

Sein Herz stand in Flammen, sein Körper kribbelte und bebte. Sturmherz blieb vollkommen verdattert zurück.
 

***
 

Die vierte Woche ihrer Reise brach schneller heran, als Sturmherz es je für möglich gehalten hatte. Nicht mehr lange und sie wären schon einen ganzen Mond lang unterwegs. Das Tal hatten sie mittlerweile hinter sich gelassen, doch das Erklimmen der steilen Berge war ein langwieriges, anstrengendes und nicht immer ungefährliches Unterfangen. Zudem war Rauchsturm noch immer durch seine Verletzung geschwächt, auch wenn es den Anschein machte, dass die Entzündung allmählich zurückging.

Die meiste Zeit über trotteten sie einfach schweigend Seite an Seite in einem langsamen, aber gleichmäßigen Tempo. Hin und wieder unterhielt Hummelschatten sie mit seinen Witzen und Anekdoten aus dem LuftClan, was ziemlich amüsant war, zumal er Wacholderstern nicht wirklich leiden konnte und keine Gelegenheit ausließ, um zu betonen, was für ein Speichellecker er bei Silberstern war.

Auch Schneewolke taute nach der ganzen gemeinsamen Zeit auf und begann, Geschichten aus dem WasserClan zu erzählen. Sie kannte Legenden und Mythen über Mondstern, die nicht einmal die anderen kannten.

Dennoch konnte Sturmherz es nicht glauben, dass ausgerechnet die Mondstern ihn in seinen Träumen besucht hatte. Genauso verunsichert war er wegen der Schmuserei mit Schneewolke vor etwas weniger als einer Woche. Seither hatte sie sich ihm gegenüber freundlich, aber normal verhalten. Er konnte ihr Verhalten nicht deuten und umso unsicherer war er wegen seiner eigenen Gefühle in Bezug auf Schneewolke.

Rauchsturm schwieg fast durchgehend, schlief viel und war dankbar für jede kleine Rast. Er magerte nicht weiter ab, gesund sah er aber nicht aus.
 

***
 

Die Tage vergingen weiter, die Bergspitzen kamen näher und näher. Ihre Pfoten waren schmerzhaft geschwollen, doch keiner wollte sich davon aufhalten lassen, denn der Ort, an dem der SternenClan in strahlender Pracht am Himmel tanzt, war zum Greifen nah. Heute Nacht war Vollmond und am nächsten Sonnenaufgang waren sie genau einen Mond lang unterwegs.

„Es wird bald Abend“, sagte Schneewolke, doch die lang ersehnte Bergkuppe war nur noch ein oder zwei Stunden entfernt. Von dort ging es nur noch bergab. „Sollen wir anhalten?“

Ausgerechnet Rauchsturm war es, der mit fiebrig glänzenden Augen weiterlief. „Nein, nicht so kurz vor dem Ziel. Ich möchte endlich sehen, was der SternenClan für eine neue Heimat erwählt hat.“

Sie sahen sich alle der Reihe nach an, dann waren sie sich einig. Zwar war es am steilen Hang geschützter als auf dem höchsten Punkt des Berges, doch von dort oben hatten sie einen Blick auf alles, was hinter dieser Bergkette lag. Aus diesem Grund liefen sie weiter, spürten neue Energie in ihren müden Körpern.

Sturmherz ging voran, die anderen folgten ihm, bis es nur noch wenige Fuchslängen bis zur Bergkuppe waren. Dort verlangsamte er sein Tempo, wartete auf die anderen. Er atmete tief durch und die anderen taten es ihm gleich. Dann marschierten sie, Seite an Seite, über den höchsten Punkt hinweg.

Ein atemberaubendes Panorama eröffnete sich vor ihnen. Inmitten steiler, grauer Bergketten mit schneebedeckten Spitzen glitzerte am tiefsten Punkt des Tals ein riesiger See im Sonnenuntergang. Die Berghänge waren mit dichten Wäldern geschmückt, die immer wieder in unregelmäßigen Abständen von Wiesen, Lichtungen und steinigen Händen durchzogen waren. Bis an das Ufer des Sees schmiegte sich die Natur. Und dort, mitten im Wasser, erhob sich eine etwas kleinere Insel, die ebenfalls von dichten Bäumen bedeckt war.

Sie standen einfach nur da, voller Ehrfurcht und Freude, denn in ihren Herzen wussten sie bereits, dass sie ihr Ziel erreicht hatten. Und dann, als die Sonne untergegangen war und das Sternenvlies sichtbar wurde, tanzten grünliche, breite Lichtschwaden über den Himmel.

„Wir sind angekommen“, wisperte Rauchsturm. „Wir sind … zu Hause.“

Auch Schneesturm konnte sich kaum von dem Anblick fortreißen. „Lasst uns dort runter gehen und einen Schlafplatz suchen.“

„Es ist so wunderschön, so friedlich“, sagte Hummelschatten.

„Ja, es ist … perfekt“, bestätigte Sturmherz.

Sie liefen einige Schritte, dann merkten sie, dass der Hang wieder schlagartig steiler wurde. Doch zu seinem eigenen Erstaunen klappte der Abstieg wie von selbst. Ihre Pfoten trugen sie sicher hinab, bis der Waldrand in Sicht kam.

Je näher sie dem Wald kamen, desto deutlicher zeichnete sich eine Gestalt ab.

Sie verlangsamten ihr Tempo, schauten sich verwirrt an, gingen jedoch weiter und dann – zu ihrer großen Verwunderung – löste sich die Gestalt aus den Schatten und trat auf sie zu.

„Ich grüße euch, Wanderer.“ Vor ihnen stand ein großer, cremefarbener Kater mit dunklen, braunen Augen. „Mein Name ist Seestein. Ich habe euch bereits erwartet.“

Misstrauisch blieb Hummelschatten stehen. „Uns erwartet? Wer bist du? Was willst du von uns?“

Auch Schneewolke kniff ihre Augen leicht zusammen. Ihr buschiger, weißer Schwanz peitschte nervös durch die Luft.

Rauchsturm seufzte erschöpft und lehnte sich gegen Sturmherz.

Seestein betrachtete sie der Reihe nach, dann blieb sein Blick auf Rauchsturm liegen. „Er ist verletzt? Was ist geschehen?“

„Ein Metallmonster auf dem Donnerpfad“, antwortete Sturmherz knapp.

Seestein nickte. „Ich verstehe. Ihr werdet sicherlich eine Menge Fragen haben und euer Weg vom Heiligen Berg bis zu uns war sehr weit, aber ihr wart so lange unterwegs, dass ein paar Stunden mehr nichts ausmachen werden. Kommt mit mir. Ich bringe euch zu Lichtblut, unserer Heilerin.“

„Heilerin?“, fragte Schneewolke unsicher, folgte Seestein aber ganz langsam. „Das klingt nach einem Clan. Wie kann das sein?“ Sie wartete kurz, bis Sturmherz an ihrer Seite war, dann gingen sie gemeinsam weiter.

„Wir müssen ihm vertrauen“, flüsterte Sturmherz seinen Gefährten leise zu. „Rauchsturm braucht Hilfe.“

Schneewolke nickte leicht. „Ich weiß.“

„Welche Alternative haben wir schon“, knurrte Hummelschatten.

Seestein führte sie direkt in den Wald hinein, ließ sich mit einer Antwort aber Zeit, auch wenn er sie zweifelsohne gehört haben musste. „Seid unbesorgt. Wir sind eure Freunde.“

Sogleich streckte Schneewolke stolz ihre Schultern durch. „Ich entscheide selbst, wer meine Freunde sind.“

Seestein schaute über die Schulter für einen Augenblick zu ihr und ein Schmunzeln lag in seinen Augen. „Natürlich.“

„Woher wusstest du, dass wir heute Abend zu euch stoßen?“, fragte Rauchsturm nach einer Weile. Er war sehr klapprig auf den Beinen und zitterte.

„Der SternenClan hat uns darüber in Kenntnis gesetzt.“

„Das reicht mir als Antwort.“

Hummelschatten sah ihn schräg an. „Mir nicht. Aber Antworten gibt es offensichtlich noch nicht.“

„Geduld.“ Mehr sagte Seestein nicht mehr. Zielstrebig steuerte er durch den Wald hindurch, immer weiter abwärts, bis die Steigung abnahm und bald darauf kaum noch zu merken war.

Nach einer Weile bog er zur Seite und durch die Baumstämme hindurch konnte man das Mondlicht im See schimmern sehen. Sie gingen nun um den See herum, folgten seinen Konturen, bis ein riesiger, dichter Rhododendron in Sicht kam, an dessen Seiten sich weitere kleinere Vertreter dieser Art anschlossen und deren dichtes Astgeflecht eine sichere Kuppel bot. Es erinnerte Sturmherz an das Lager des ErdClans, nur dass dieses sehr viel größer war.

Seestein ging durch einen schmalen Eingang hindurch, an dem die Erde durch Scharren etwas vertieft worden war, um den Ein- und Ausgang zu erleichtern.

Gut vier, fünf Fuchslängen liefen sie geduckt, über ihnen, um sie herum alles voller Äste, die das Sonnen- und Mondlicht aussperrten. Dann kam ein großer Hohlraum zum Vorschein. Mehrere dicke Äste verliefen quer durch das Lager. Auf einigen von ihnen saßen oder lagen Katzen, die sich putzten, ihre Unterhaltungen jedoch unterbrachen, sobald sie Seestein und die Neuankömmlinge erblickten. Es mussten mindestens zwei Dutzend Katzen sein. Von jetzt auf gleich herrschte Totenstille in dem Lager.

Eine kleine, stämmige Katzendame mit blauem und cremefarbenem Fell trat auf sie zu. In ihren matschgrünen Augen glomm die Weisheit vieler Lebensjahre.

Seestein trabte leichtfüßig an ihr vorbei und reihte sich bei den anderen Katzen ein. Noch immer schwiegen alle und starrten auf die vier Gesandten vom Heiligen Berg.

Die Katzendame musterte sie ausgiebig, als würde sie etwas sehen können, was den anderen verborgen blieb, was ein Unwohlsein in Sturmherz‘ Brust auslöste. Schließlich nickte sie aber zufrieden, setzte sich auf die Hinterläufe und legte den buschigen, ausgefransten Schwanz über ihre Pfoten. „Willkommen im SeelenClan.“
 

***
 

„Ich kann noch immer nicht glauben, dass das der SeelenClan aus den alten Geschichten sein soll“, sagte Schneewolke am nächsten Tag. Hummelschatten, sie und Sturmherz hatten auf eigenen Wunsch abseits im momentan ungenutzten Bau der Königinnen geschlafen, während Lichtblut sich in ihrem eigenen Heilerbau um Rauchsturms Verletzung und sein Fieber kümmerte.

„Aber es macht irgendwo Sinn“, hielt Sturmherz dagegen und patschte nach der toten Maus, die vor ihm lag. „Es heißt doch, dass der Anführer des SeelenClans damals nicht ertragen konnte, dass seine vier Brüder sich erbittert bekämpften uns der große Clan deshalb zerbrach. Es heißt, er ging mit seinen Anhängern weit fort und kehrte nie wieder zurück, weil er darauf wartete, dass die Clans sich wieder miteinander versöhnten.“

„Der letzte Teil ist Interpretation“, kommentierte Schneewolke sofort besserwisserisch. „Genau überliefert ist das nicht.“

„Natürlich nicht“, funkte Hummelschatten dazwischen, „immerhin heißt der SeelenClan nicht umsonst verlorener Clan.“

Schneewolke verzog das Gesicht und aß schweigend ihre Frischbeute auf. „Ist auch egal.“

„Du willst nur nicht zugeben, dass du mal keine Antwort für uns parat hast“, neckte Hummelschatten sie weiter, doch ein einziger Seitenblick von ihr genügte, um ihn wieder verstummen zu lassen.

Sie aßen in Ruhe auf, dann gesellten sich die beiden Schüler des SeelenClans zu ihnen. „Lichtblut hat gesagt, wir sollen euch das Gebiet um den See zeigen“, plapperte eine kleine, schwarze Katze mit weißen Pfoten und weißer Brust munter los. „Ich bin Eulenpfote und das ist Elchpfote.“

Ihr rotgetigerter Bruder blickte etwas ernster drein. „Guten Morgen. Wenn ihr soweit seid, brechen wir direkt auf.“

„Wir können sofort los.“ Sturmherz stand auf, streckte sich und trottete hinter den beiden Schülern quer durch das großzügige Lager unter dem Rhododendron, dann durch den schmalen Durchgang und hinaus in den Wald.

Schneewolke und Hummelschatten folgten ihnen. Sie ließen sich von den beiden Schülern an das Ufer des riesigen Sees führen, dann schlugen sie den Weg nach rechts ein.

„Das hier ist der große See, an dem der SeelenClan schon seit jeher lebt“, begann Eulenpfote. „Zu unserer Linken könnt ihr ein gutes Stück vom Ufer entfernt die Otterinsel entdecken. Auf ihr leben – wie es der Name schon vermuten lässt – einige Seeotter. Aber das ist nicht alles. Je nach Wasserspiegel wird eine schmale Landzunge freigelegt, die dann als Übergang zu der Insel dient. Die meiste Zeit im Jahr muss man aber schwimmen. Auf der Insel gibt es erstaunlicherweise eine kleine Quelle. An dieser Quelle kann Lichtblut mit dem SternenClan reden. Manchmal begleiten sie der oberste Jäger und der oberste Krieger.“

„Wer soll das sein?“, fragte Schneewolke unvermittelt. „Und wo ist eigentlich euer Anführer?“

Eulenpfote blinzelte verwirrt.

Stattdessen sprang Elchpfote mit stolzgeschwellter Brust für sie ein. „Mäusehirn, so läuft das am Heiligen Berg doch nicht.“ Er leckte sich einmal über die Schulter, dann begann er zu erklären: „Damals, als der große Seelenstern den SeelenClan an den See geführt hat, legte er die Verantwortung für den SeelenClan in die Pfoten seines Heilers. Seelenstern wollte an den Heiligen Berg zurückkehren, um darüber zu wachen, wann seine Brüder ihren Krieg beilegen. Leider kam er nie wieder, doch die Heiler wachten von Generation zu Generation über den SeelenClan und warteten auf jenen Tag, an dem alle Clans wieder vereint sein konnten. Mehrfach haben sie versucht, vom SternenClan neun Leben zu erhalten, doch der SternenClan verweigerte ihnen dieses Privileg, weil Seelenstern angeblich noch immer lebt.“

„Was aber unmöglich ist, weil das schon Ewigkeiten her ist“, unterbrach Eulenpfote ihren Bruder aufgeregt. Beim Gehen wippte ihr dünner, schwarzer Schwanz ganz aufgeregt auf und ab.

„Jedenfalls“, erlangte Elchpfote mit bösem Blick das Wort zurück, „lebt der SeelenClan seither ohne Anführer. Jeden Vollmond wählt der Clan dafür den besten Krieger und den besten Jäger aus. Diese treffen gleichberechtigt neben der Heilerin einen Mond lang alle Entscheidungen.“

„Also habt ihr gar keinen Anführer, der euch führt?“ Schneewolke sah schockiert aus und tauschte einen bestürzten Blick mit Hummelschatten und Sturmherz. „Und das funktioniert?“

„Sie kennen es nicht anders“, nahm Sturmherz den SeelenClan in Schutz. „Aber was mich interessiert, ist, wie ihr alle in diesem riesigen Gebiet um den See lebt. In eurem Lager waren etwa zwei Dutzend Katzen, aber Lichtblut meinte, dass es insgesamt etwa drei Dutzend sind.“

Elchpfote nickte. „Das große Lager unter dem Rhododendron ist unser Hauptlager und der einzige Ort, an dem sich so ein großer Clan vollständig versammeln kann. Aber es gibt noch weitere, kleinere Lager, die rund um den See verteilt liegen.“ Mit der Pfote deutete er in eine Richtung. „Dort an dem Berghang gibt es eine Höhle. Und da hinten“, die Pfote wanderte in eine andere Richtung, quer über den See, „lebten einmal Dachse, die aber fortgegangen sind und ihren weit verzweigten Bau leer zurückließen. Das sind nur zwei Beispiele. Wir kehren auch nicht immer alle für jede Nacht in das große Lager zurück, weil es ein weiter Weg ist, wenn man den See vollständig umrunden möchte.“

Schneewolke dachte noch immer über den fehlenden Anführer nach. „Und wer sind die beiden gewählten Berater von Lichtblut?“

„Oh, das sind Bisonmähne und Goldstreif“, antwortete Eulenpfote ihr sofort. „Bisonmähne ist der beste Krieger. Niemand kann ihn im Zweikampf besiegen, nicht einmal Goldstreif, sein Bruder. Dafür ist Goldstreif der beste Jäger. Er findet selbst in der schlimmsten Blattleere immer Frischbeute für den Clan.“ Sie nickte eifrig. „Ich hätte gerne einen der beiden als Mentor gehabt, so wie so ziemlich jeder Schüler.“ Daraufhin kicherte sie kurz. „Aber ich denke, ihr werdet die beiden schon noch kennen lernen. Sie sind momentan auf der anderen Seite vom See unterwegs, aber Seestein ist bereits losgegangen, um sie über eure Ankunft zu informieren.“

„Ich merke schon, dass wir beliebt sind“, witzelte Hummelschatten. „Ich wurde schon den ganzen Morgen darüber ausgefragt, wie es aktuell am Heiligen Berg aussieht.“

Eulenpfote und Elchpfote führten sie noch eine Weile am See entlang, bis die Sonne am höchsten stand, dann kehrten sie um. „Wir müssen noch trainieren, deshalb müssen wir zurück“, erklärte Eulenpfote. „Aber Lichtblut wollte euch sowieso nochmal sprechen.“

Kurz vor dem Lager verabschiedeten sie sich voneinander. Sturmherz, Schneewolke und Hummelschatten kehrten ins Innere des Lagers zurück, das erheblich leerer war als am vergangenen Abend. Die meisten waren noch auf Patrouille, jagten oder hatten sich für etwas Zweisamkeit in die Weiten des Waldes zurückgezogen.

Lichtblut erwartete sie bereits. Ihr Heilerbau lag gut versteckt tiefer in dem dichten Geflecht aus Rhododendron-Ästen. „Ah, da seid ihr wieder. Habt ihr euch einen Überblick verschaffen können?“

Sturmherz nickte kurz. „Eulenpfote und Elchpfote sind sehr nett. Sie haben uns viel gezeigt, aber wir konnten noch lange nicht alles sehen. Euer Revier rund um den See ist riesig.“

Lichtblut schnurrte zufrieden. „Oh ja. Es dauert einen ganzen Tag, wenn man das Revier rund um den See einmal durchqueren möchte.“

„Und ihr habt keine Angst, dass eines Tages die Zweibeiner kommen und euch dieses friedliche Tal streitig machen?“, fragte Schneewolke besorgt.

„Nein. Der Zweibeinerort ist einen Halbmond von hier entfernt, wie ihr selbst gemerkt habt. Sie haben dieses Tal, genau wie die umliegenden Täler und Berge, zu einem Gebiet erklärt, das einzig und alleine dem Schutz der Natur dient. Kein einziger Donnerpfad führt hierher und es ist den Zweibeinern verboten, dieses Tal anders als zu Fuß zu betreten. Natürlich würden sie sich diese Mühe niemals machen. Aus diesem Grund ist es schon sehr, sehr lange her, dass wir einen Zweibeiner zu Gesicht bekommen haben.“

„Was ein Glück für euch, wir hatten letztes Jahr viel Ärger mit den Zweibeinern“, seufzte Hummelschatten.

Lichtblut gähnte. „Das ist mir bekannt.“

„Woher?“, fragten Schneewolke und Sturmherz wie aus einem Mund.

Die Heilerin mochte zwar alt sein, aber in ihren Augen blitzte es aufgeweckt auf. „Nun, wie glaubt ihr, konnte der SeelenClan über all die Zeit wachsen und gedeihen? Der SternenClan war sehr gnädig mit uns. Im Laufe der Generationen fanden sowohl Einzelläufer als auch Ausgestoßene vom Heiligen Berg ihren Weg bis zu uns. Leider haben es nicht alle, die von euren Clans verbannt wurden, bis zu uns geschafft, doch manche schon. Auf diese Weise blieben wir stets über das Geschehen am Heiligen Berg informiert.“

Auf einmal schlug das Herz in Sturmherz‘ Brust ein wenig schneller. Konnte es möglich sein? Vielleicht? „Es ist noch gar nicht lange her, dass Mondpfote und Sonnenpfote, zwei HalbClan-Junge, geboren wurden. Ihre Mutter wurde aus dem WasserClan verbannt und ihr Vater aus dem FeuerClan ging heimlich mit ihr mit.“

„Und ihr glaubt, ausgerechnet diese beiden sind bei uns? Die Wege des SternenClans sind unergründlich, mein lieber Sturmherz. Was haltet ihr davon, stattdessen eurem Freund Rauchsturm einen Besuch abzustatten? Er wartet bereits auf euch. Seine Verletzung hat sich in der Tiefe schwer entzündet und er wird sich mindestens einen Mond lang hier bei mir davon erholen müssen. Das wird eure Rückreise selbstverständlich verzögern. Rauchsturm hat diese Nachricht sehr schlecht aufgenommen, ihr könntet ihn ein bisschen aufheitern.“

Sturmherz seufzte, doch er folgte dem Rat der Heilerin und betrat gemeinsam mit seinen beiden Begleitern den Bau der Heilerin, der ähnlich wie der Eingang vom Lager zunächst durch einen schmalen Tunnel aus Wurzeln und Ästen führte, ehe er zu einem gemütlichen Hohlraum wurde.

Und dort, an der Seite von Rauchsturm, saßen Wolkentänzer und Apfelpelz und schauten ihre alten Clan-Gefährten mit leuchtenden Augen an.

Schneewolke stürmte auf ihre ehemalige Clanfreundin zu. „Wolkentänzer, du lebst!“ Sie rieb ihren Kopf an ihrer Schulter, setzte sich glücklich schnurrend neben sie. „Otterpelz wird so unendlich glücklich sein, wenn ich ihm sagen kann, dass es seiner geliebten Schwester gut geht.“

Wolkentänzers Augen leuchteten ebenso sehr. „Wie geht es ihm? Und – noch viel wichtiger – wie geht es Sonnenjunges und Mondjunges? Was ist aus ihnen geworden? Es fiel mir so schwer, die beiden zurückzulassen.“

Apfelpelz leckte ihr über den Kopf. „Aber es war die richtige Entscheidung. Sie hätten die Reise bis zum SeelenClan niemals überstanden.“

„Sonnenpfote und Mondpfote geht es gut. Sie trainieren jeden Tag sehr hart, um vorbildliche Krieger zu werden. Selbst Silberstern hat nichts an ihnen auszusetzen. Gewitterschweif überlegt sogar, einen von ihnen zu seinem Schüler zu machen, doch bislang hat ihm der SternenClan noch kein Zeichen dafür gegeben.“

Wolkentänzer nickte aufgeregt. „Ich bin so stolz auf die beiden.“

„Und wie sieht es im FeuerClan aus?“, fragte Apfelpelz. „War es … sehr schlimm, dass ich einfach abgehauen bin?“

Sturmherz zog eine Grimasse. „Die meisten schweigen dich einfach tot. Schwarzstern war sehr verletzt.“

„Ich weiß, dass ich ihn enttäuscht habe. Das tut mir leid. Aber ich habe keine andere Möglichkeit gesehen. Dass ausgerechnet Haselschweif sterben musste, tut mir auch sehr leid. Wer ist sein Nachfolger geworden?“

„Steht vor dir.“

„Was? Nein! Ehrlich? Glückwunsch!“ Apfelpelz plusterte sich zufrieden auf. „Ich dachte schon, dass es Blaukralle wird.“

„Das dachten wir alle“, gestand Sturmherz seufzend. „Und der Clan hasst mich dafür. Blaukralle lässt keine Chance aus, um mich schlecht zu machen, und Schwarzstern unternimmt nicht wirklich etwas dagegen. Er sagt, ich muss mich dem Clan selbst beweisen, nur so habe ich die Chance, dass mich alle respektieren. Aus diesem Grund bin ich froh, hier zu sein, weil ich hoffe, dass mich mein Clan nach der Rückkehr endlich als Zweiten Anführer akzeptiert.“

„Das hast du uns nie so gesagt“, sagte Schneewolke nachdenklich. „Du hättest uns sagen müssen, dass du so große Probleme im FeuerClan hast.“

„Was hätte das denn geändert? Nichts.“

„Könnt ihr endlich aufhören, euch zu streiten“, murrte Rauchsturm im Halbschlaf. Sofort waren alle still. „Lichtblut ist der Meinung, dass ich mindestens einen Mond warten muss. Das verzögert alles. Ich … Es tut mir leid. Geht ruhig ohne mich.“

„Ach hör auf, das ist nicht deine Schuld. Wir vier sind vom SternenClan auserwählt worden und aus diesem Grund treten wir sowohl den Hin- als auch den Rückweg zusammen an. Keine Diskussion.“ Schneewolke seufzte. „Wir sind sowieso einen Mond lang bis zum Heiligen Berg unterwegs. Da kommt es nicht drauf an, ob wir zwei oder drei Monde weg sind.“

„Oder noch länger, wenn die Entzündung nicht verschwindet.“

„Du siehst das so negativ“, murrte Hummelschatten und kratzte sich dabei hinter den Ohren. „Lichtblut hat gesagt, du wirst wieder.“

„Aber ich bin selbst Heiler und nun halte ich euch auf.“

„Ironisch, nicht wahr?“ Hummelschatten gähnte. „Ist aber einfach so.“

„Wenn du etwas brauchst, lass einfach nach uns rufen“, bot Schneewolke Rauchsturm an, als dessen Augen bereits wieder vor Müdigkeit zu fielen.

Leise schlichen sie sich aus dem Heilerbau hinaus und trafen draußen bereits auf einige andere Katzen, die zum abendlichen Frischbeute-Fressen zurückgekehrt waren. Dennoch war das Lager weiterhin relativ leer.

„Was ist mit den anderen, kommen sie nicht?“, fragte Sturmherz.

Wolkentänzer schüttelte mit dem Kopf. „Der SeelenClan lebt zwar seit Generationen dafür, dass er eines Tages wieder mit den Clans vom Heiligen Berg vereint wird, doch viele müssen sich erst daran gewöhnen, dass der Zeitpunkt kurz bevorsteht. Für viele sind es einfach Geschichten, die ihnen von ihren Eltern und Großeltern erzählt wurden.“

Schneewolkes Blick wurde weich. „Das ist verständlich. Auch unsere Clans werden vermutlich erst einmal mit Ablehnung reagieren und – beim SternenClan, ist das Taubpfote?“ Sie sprang auf einen zierlichen, schwarzweißen Kater zu, dessen Weißanteil bei Weitem überwog. „Taubpfote?“

Er grinste sie keck an. „Ich habe nicht damit gerechnet, dass du mich noch erkennen würdest, Schneewolke. Du warst noch so jung, als Silberstern mich verbannt hat.“

„Natürlich habe ich dich erkannt!“

Der Kater wirkte fast schon verlegen. „Das freut mich. Ich habe gehört, dass ihr hier seid, deshalb musste ich mich selbst davon überzeugen.“

Sturmherz trat an Schneewolkes Seite. „Du wurdest von Silberstern verbannt?“

Er nickte. „Mein Name verrät es euch schon. Ich bin seit meiner Geburt auf einem Ohr taub und mit dem anderen höre ich nicht ganz optimal, aber immerhin höre ich etwas. Für Silberstern und Dornstachel war es allerdings nie genug und nachdem ich zweimal durch die Kriegerprüfung gefallen bin, haben sie mich verbannt, weil ich eine zu große Belastung für den Clan war. Irgendwie fand ich den Weg zum SeelenClan und man nahm mich hier voller Güte und Warmherzigkeit auf. Mit viel Geduld haben sie mich ausgebildet und nun ist mein Kriegername Taubschatten.“

„Das freut mich so für dich, Taubschatten! Oh, und Dornstachel lebt nicht mehr. Er starb bei dem Kampf gegen Haselschweif. Muschelzahn ist sein Nachfolger.“

Taubschatten streckte sich genüsslich. „Ich kann nicht behaupten, dass ich sonderlich traurig über Dornstachels Tod bin, immerhin hat er mich aus meinem Zuhause gejagt. Muschelzahn ist eine viel bessere Wahl, weil er ruhiger und besonnener ist. Aber dennoch … verzeih mir diese Worte, Schneewolke, doch wenn die Clans vom Heiligen Berg an diesen See kommen, um hier ihre neue Heimat zu finden, werde ich mich Silberstern kein zweites Mal anschließen können, denn dafür sitzt mein Groll ihr gegenüber zu tief.“

„Du meinst also, es wird hier wieder verschiedene Clans geben?“, fragte Sturmherz neugierig.

„Natürlich, hat Lichtblut euch das noch nicht gesagt? Alle Clans müssen vereint werden, um sich um diesen See aufteilen zu können. Doch es wird mit einem so großen Clan nicht funktionieren. Der SeelenClan wird sein Schicksal erfüllen, indem er den anderen Clans diesen See überlässt und Teil aller Clans wird.“

Hummelschatten schaute ihn mit großen Augen an. „Dann werden der FeuerClan, der WasserClan, der ErdClan und der LuftClan sich also neue Reviere rund um diesen See suchen?“

Taubschatten wiegte seinen Kopf hin und her. „Mehr oder weniger. Es wird die alten Clans nicht mehr geben. Wir alle müssen ein großer Clan werden und dann teilen wir uns mit neuen Regeln neu auf. Lichtblut wird euren Anführern alles erklären, wenn sie hier sind, aber das ist das, was der SternenClan zu ihr gesagt hat. Was früher eins war, muss wieder eins werden, nur so können die Clans neu geboren werden.“

Augenblicklich veränderte sich die Atmosphäre in dem Lager und als Sturmherz verwirrt zum Eingang blickte, erkannte er auch den Grund dafür. Zwei große, breitschultrige, muskulöse Kater mit langem, seidigen Fell, buschigen Schwänzen und kantigen Schnauzen waren erschienen.

Die wenigen anwesenden Katzen wisperten sogleich aufgeregt miteinander.

„Oh, oh“, flüsterte auch Taubschatten. „Das sind Bisonmähne und Goldstreif, Lichtbluts Berater. Sie werden euch kennen lernen wollen. Viel Glück!“ Dann huschte Taubschatten in den Bau der Krieger davon.

Noch während Sturmherz überlegte, wieso Taubschatten ihnen viel Glück gewünscht hatte, traten Goldstreif und Bisonmähne auf sie zu.

Beide musterten sie mit strengen Blicken und als einer von ihnen – er war ein bisschen größer als der andere und hatte einfarbiges, schwarzes Fell mit einem leichten Blaustich – zu sprechen begann, lag ein misstrauisches Knurren in seiner Stimme: „Ihr seid also die Auserwählten vom Heiligen Berg? Folgt uns. Wir müssen reden.“
 

***
 

Es stellte sich heraus, dass der, der zu ihnen gesprochen hatte, Bisonmähne war. Sturmherz wusste zwar nicht, was für ein Tier ein Bison war, doch man hatte ihnen erklärt, dass Bisonmähne danach benannt wurde, weil er ebenso groß und kräftig war und eine ähnliche Mähne besaß. Goldstreifs Fell war ein dunkles Goldbraun mit breiten, schwarzen Streifen.

Die beiden massiven Krieger hatten sie in die Nähe des Ufers geführt, wo mehrere große, flache Felsen verstreut lagen. Auf einem von ihnen ließen sie sich nieder.

Bisonmähne räusperte sich kurz, ehe er zu sprechen begann. „Ihr habt einen weiten Weg hinter euch, doch die wahre Mission hat hier erst begonnen. Es ist der Wille des SternenClans, dass eure Clans vom Heiligen Berg hier an unseren See kommen. Wir werden vier neue Clans bilden, uns aufteilen und das Gesetz der Krieger ehren. Doch eure Anführer müssen dem zustimmen. Es wird eure Aufgabe sein, sie zu überzeugen.“

„Eine nicht ganz leichte Aufgabe“, ergänzte Goldstreif. Er blickte sie nicht ganz so ernst an wie sein Bruder. „Aber nur, wenn alle akzeptieren, dass die Zeit der alten Clans vorbei ist, können neue Clans entstehen.“

„Eure Ankunft am See ändert nicht nur euer Leben, sondern auch das unsere. Der SeelenClan muss sich selbst aufgeben, so wie es eure Clans müssen.“ Bisonmähne nickte. „Und es muss aufhören, dass Krieger verbannt werden, nur weil sie die Liebe in einem anderen Clan gefunden haben. HalbClan-Junge dürfen nicht mehr verbannt werden. Jedem Jungen steht es zu, selbst zu wählen, in welchem der beiden Elternclans es fortan leben möchte. Dieser See ist ein sicherer Ort für alle Katzen, so hat es Seelenstern damals bestimmt. Dennoch muss dieser Bruch mit dem Gesetz der Krieger unter Strafe stehen.“

„Bis zu eurer Rückkehr werden wir uns mit Lichtblut beratschlagt haben und anschließend werden wir dasselbe mit euren Anführern tun“, sprach Goldstreif. „Wir müssen wissen, ob ihr dazu bereit seid, diese wichtigen Punkte gegen eure Anführer durchzusetzen. Denn wenn ihr es nicht seid, dann seid ihr es nicht wert, länger hier zu bleiben.“

Sturmherz musste schwer schlucken, doch er nickte als erster. „Ja, ich bin dazu bereit, alles zu tun, um Schwarzstern davon zu überzeugen.“

„Und ich werde mein Bestes bei Silberstern versuchen.“

„Ich rede mit Wacholderstern, aber versprechen kann ich nichts. Der Alte hängt an seiner Macht.“

Bisonmähne strafte Hummelschatten mit einem vernichtenden Blick. „Macht ist nicht das, was einen Anführer antreiben sollte. Wer wahre Größe zeigt, gibt diese Macht für das Wohl seines Clans auf. Abgesehen davon wird der SternenClan ihnen nicht einfach ihre neun Leben wegnehmen. Sie sind zu Anführern bestimmt worden, während der SeelenClan ohne festen Anführer lebt. Es ist der Wille des SternenClans, dass die Anführer vom Heiligen Berg auch hier Anführer sind, doch ihre Clans werden nicht mehr dieselben sein. Nur so kann Seelenstern Seele jemals Frieden finden und zum SternenClan finden.“

„Seelenstern wartet seit jeher darauf, dass die Clans hier am See gemeinsam leben“, brummte Goldstreif. „Endlich steht es kurz bevor.“

„Das heißt, dass Seelensterns Seele umherwandelt und seit Ewigkeiten darauf wartet, erlöst zu werden?“ Sturmherz riss erschrocken die Augen auf.

„Ja, genau das heißt es. Lichtblut ist seiner Seele zweimal in ihrem Leben begegnet. Und auch ich habe unseren großen Anführer einmal getroffen. Er ist ein Geist, der zwischen der Welt der Lebenden und dem SternenClan festhängt.“ Bisonmähne strich sich über sein dunkles Fell. „Er hat lange, sehr lange, darauf gewartet, dass jemand wie du kommt, der den letzten Stein ins Rollen bringt, Sturmherz. Es ist deine Bestimmung gewesen, Teil des FeuerClans zu werden. Unsere Eltern wären stolz auf dich.“

„Eure Eltern?“

Bisonmähne nickte. „Einst lebten auch Silbermelodie und Schlangentöter am Heiligen Berg, doch sie stammten aus verschiedenen Clans. Man verbannte sie, doch Mondsterns Einsatz war es zu verdanken, dass wenigstens ihre beiden Jungen bleiben durften.“

Schneewolke und Hummelschatten versteiften sich neben ihm bereits und auch Sturmherz spürte, wie sein Herz in einen eisigen Griff geriet. Diese Geschichte, er hatte sie schon einmal gehört, nur aus einer anderen Perspektive. „Ihre Kinder …“

Bisonmähne nickte. „Schwarzstern und Grauwolke. Unsere Brüder, ohne dass sie von uns wissen. Goldstreif und ich wurden hier am See geboren, doch unsere Eltern erzählten uns von Geburt an vom Heiligen Berg.“

Sturmherz‘ Mund wurde ganz trocken. Schwarzsterns Eltern hatten die Verbannung in die Wildnis überlebt, und nicht nur das, sie hatten erneut zwei Junge bekommen, die nun hier vor ihm saßen. „Und Mondstern, was ist mit ihr? Manchmal hat sie mich in meinen Träumen besucht und beim letzten Mal sagte sie, sie wäre in zwei SternenClans zu Hause.“

„Mondstern war eine Einzelläuferin“, meinte Schneewolke sofort.

„Ja, das war sie“, bestätigte Bisonmähne ihr. „Weil der SeelenClan sie fortgeschickt hat. Wir dachten, die Clans am Heiligen Berg wären schon für ihr Schicksal bereit, doch wir irrten uns. Mondstern war eine von uns, hier im SeelenClan geboren. Sie kam zu euch und erkannte, dass eure Zeit noch nicht gekommen war, doch sie wollte euch helfen, so gut sie konnte. Aus diesem Grund versuchte sie bis zu ihrem Tod, Frieden zwischen den Clans zu stiften.“

Goldstreif nickte andächtig. „Ihr wisst es nicht, aber der SeelenClan hatte immer mal wieder zu euch Kontakt. Wir haben stets über euch gewacht.“ Dann richtete sich der Blick des Kriegers auf Sturmherz. „Und mir gefällt, was ich nun mit eigenen Augen sehen kann. Aus dir ist ein guter Krieger geworden, Sturmherz. Du hast die Augen deiner Mutter. Sie war eine wahre Schönheit, aber sie hätte die Zweibeiner niemals verlassen, um mit mir zu kommen.“

Schlagartig fühlte Sturmherz, wie ihm der Boden unter den Pfoten weggerissen wurde. Eine alte Erinnerung drängte sich ihm auf, ein gesichtsloser Kater, der auf einmal merkwürdig vertraut war. „Ich … ich verstehe nicht …“

„Du weißt, wer ich bin, Sturmherz. Ich bin dein Vater.“
 

***
 

Schneewolke leistete ihm Gesellschaft, während das Mondlicht die Oberfläche des Sees kunstvoll glitzern ließ.

„Das ist zu viel für mich.“ Sturmherz wusste nicht, wie lange er geschwiegen hatte, doch er war dankbar dafür, dass Schneewolke ihm in den vergangenen Stunden nicht ein einziges Mal von der Seite gewichen war. Gemeinsam hatten sie sich im Schutz der Bäume am Waldrand eingerollt, kuschelten miteinander und hielten sich gegenseitig warm. Zwar wurden die Temperaturen milder, doch es war noch immer Blattleere und würde noch mindestens einen halben Mond bis zur Blattfrische dauern.

„Das macht dich fertig, nicht wahr?“ Ihre himmelblauen Augen sahen in der Nacht viel dunkler aus und schimmerten ihn vertrauensvoll und treu an. „Wenn du reden willst, bin ich hier. Bei dir.“

„Ich weiß …“ Zaghaft schmiegte er ihren Kopf an ihren und sein Herz pochte voller Glück, als sie diese Geste der Zuneigung schnurrend erwiderte. „Es ist nur so, dass ich immer dachte, ich sei einfach ein Außenseiter im FeuerClan. Aber heute habe ich meinen Vater kennen gelernt und erfahren, dass ich zur Hälfte SeelenClan-Blut in mir trage. Dem SeelenClan ist es egal, von wo jemand kommt, solange er im Herzen bereit ist, ein Leben in der Wildnis beim Clan zu leben. Sie hätten mich jederzeit ohne zu zögern aufgenommen, aber im FeuerClan musste erst lang und breit darüber diskutiert werden und als Zweiten Anführer akzeptiert mich weder der FeuerClan noch der Rest.“

Sie nickte mitfühlend. „Aber hier ist alles anders. Das ist der Neuanfang, von dem ich gesprochen habe. Der Neuanfang, den alle Clans brauchen.“

„Können wir denn wirklich einfach unsere Vergangenheit am Heiligen Berg zurücklassen? Vielleicht steckt sie zu tief in uns drin.“

Schneewolke schnurrte ein letztes Mal zuversichtlich. „Es wird nicht leicht werden, aber wir schaffen das. Gemeinsam. Wieso denkst du überhaupt so viel über die Clans nach? Lass es einfach auf dich zukommen. Etwas anderes bleibt uns ohnehin nicht übrig.“

Er schüttelte sich leicht. „Denkst du denn nicht an den WasserClan? An deine Familie und Freunde?“

„Doch, schon …“, gestand sie seufzend. „Aber ich sehe jeden Tag, wie schwer es der WasserClan hat. Ohne Mondpfote und Sonnenpfote wären wir auf kurz oder lang ausgestorben, weil kaum noch gesunde Nachkommen zur Welt kommen. Otterpelz, mein Mentor, würde mir nun mit Rat und Tat zur Seite stehen, auch das vermisse ich. Und mein Bruder …“ Sie bemerkte, wie Sturmherz das Gesicht verzog. „Ich weiß, dass ihr beide euch nicht leiden könnt, aber er wird immer mein Bruder bleiben. Wir sind zusammen aufgewachsen und haben zusammen die Kriegerprüfung bestanden. Diese Verbindung kann niemand lösen. Was ist mit dir? Worüber machst du dir so viele Gedanken?“

„Ich denke hauptsächlich daran, wie Blaukralle in meiner Abwesenheit versuchen wird, den Clan noch weiter gegen mich aufzuhetzen.“ Alleine der Gedanke daran ließ ihn wütend knurren. Sein Knurren ließ nur nach, weil Schneewolke sich enger an ihn schmiegte und begann, immer wieder zärtlich über seinen Rücken zu lecken. „Außerdem habe ich meinen Schüler Flockenpfote zurückgelassen. Ich frage mich, ob Milchkralle und Fleckennase es schon geschafft haben, dass er ein Krieger ist. Fleckennase und Dachsfuß müssten mittlerweile auch schon Nachwuchs haben. Ich wäre gerne bei ihnen, um mit eigenen Augen zu sehen, wie sich die Zukunft des FeuerClans entwickelt. Außerdem macht es mir Sorgen, wie wir mit vier Clans den weiten Weg zum See schaffen sollen. In allen Clans gibt es Junge, Schüler und Älteste. Womöglich verlangt ihnen diese Reise zu viel Kraft ab und sie könnten daran sterben.“

„Wir müssen zuversichtlich sein, Sturmherz. Eine andere Möglichkeit haben wir nicht. Wenn wir beginnen zu zweifeln, haben wir schon verloren.“

„Ja, du hast Recht.“ Er seufzte, legte seinen Kopf auf ihre Flanke und schloss die Augen. „Hier am See ist alles so unglaublich idyllisch und perfekt. Keine Zweibeiner, keine Bären und im SeelenClan bekriegt sich niemand gegenseitig.“

„Nicht soweit wir das mitbekommen haben.“

Er murmelte etwas Unverständliches in ihr weiches, schneeweißes Fell hinein und war kurz darauf eingeschlafen.
 

***
 

„Lichtblut, Bisonmähne und Goldstreif haben beschlossen, dass ihr ab jetzt während eurer Zeit bei uns einen Beitrag zum Clanleben leisten müsst“, eröffnete Seestein ihnen am nächsten Morgen am Frischbeutehaufen. „Da der See in Zukunft auch euer Revier und das eurer Clans sein wird, ist es nur von Vorteil, wenn ihr euch hier bereits auskennt.“ Er nickte ihnen zufrieden zu. „Ich habe vier Krieger darum gebeten, sich in den nächsten Tagen eurer anzunehmen. Ihr werdet sie bis zu eurer Abreise jeden Tag auf den Patrouillen und beim Jagen begleiten. Habt ihr soweit noch Fragen?“

Alle drei schüttelten den Kopf.

Seestein sah zufrieden aus. „Gut. Geht raus, vor dem Lager erwarten sie euch und sobald Rauchsturm gesund genug ist, um ein paar Spaziergänge zu unternehmen, wird Lichtblut ihm ebenfalls alles zeigen.“

Sturmherz ging voraus, Schneewolke und Hummelschatten folgten ihm.

„Ich habe kein gutes Gefühl dabei, dass wir den ganzen Tag voneinander getrennt sind“, murmelte Hummelschatten kaum hörbar, doch sie gingen beide nicht auf seinen leisen Protest ein.

Vor dem Lager saßen vier Krieger und musterten sie neugierig. Keiner von ihnen sah aus, als wäre er ihnen feindlich gesinnt.

Zuerst rührte sich eine kleine, stämmige Katzendame, die optisch bestens in den LuftClan gepasst hätte. Sie hatte mittellanges, cremeweißes Fell, eine blaue Gesichtsmaske und ebenso gefärbte Ohren und Pfoten. Dazu strahlten ihre Augen in einem freundlichen Himmelblau, ähnlich wie bei Schneewolke. „Hallo. Ich bin Blaufeder.“ Sie nickte Schneewolke zu. „Wir beide werden heute das Vergnügen miteinander haben.“

Im Anschluss daran stand ein blauer Kater mit braunen Augen auf, der eine starke Ähnlichkeit mit Blaukralle aufwies. „Mein Name ist Nebelpelz.“ Er nickte Hummelschatten zu. „Man sagte mir, dein Clan ist bekannt für seine flinken Jäger. Aus diesem Grund nehme ich dich heute mit zu den weiten Ebenen an den Berghängen. Ich möchte sehen, wie du Kaninchen jagst.“

Das hellte Hummelschattens Miene schlagartig auf. „Klingt nach einer Menge Spaß.“

„Oh, den werden wir haben“, erwiderte Nebelpelz ebenso freudig.

Ein getigerter Kater mit hellbraunem Fell und dünnen, schwarzen Streifen wandte sich an Sturmherz. Während er sprach, fixierten seine hellgrünen Augen den FeuerClan-Kater. „Ich bin Minzläufer. Wir werden heute den gesamten See umrunden, also stell dich auf einen ausgedehnten Marsch ein.“

„Und ich bin Graszunge“, sagte der Vierte im Bunde. Er sah rein optisch ebenfalls wie jemand aus dem LuftClan aus, nur dass sein Fell im Gegensatz zu Blaufeder raspelkurz war, seine Augen gelbgrün und seine Abzeichen Braun auf einem sesamfarbenen Untergrund. „Ich erwarte euch drei kurz vor Sonnenuntergang für die Abendpatrouille.“ Er schnaubte kurz. „Und dann sehen wir, wie zäh ihr wirklich seid.“ Mit diesen Worten verließ Graszunge zu.

Schneewolke gesellte sich bereits zu Blaufeder, verabschiedete sich von Sturmherz und Hummelschatten und zog dann mit der ihr zugeteilten Kriegerin los.

Auch Hummelschatten ließ sich nicht zweimal bitten und verschwand sogleich mit Nebelpelz in Richtung der Berghänge.

Minzläufer deutete mit seiner Schwanzspitze ebenfalls in Richtung See und setzte sich dann in Bewegung.

Sturmherz folgte ihm. Es war ein gutes Gefühl, endlich wieder einen Alltag im Clan zu leben und nicht mehr nur darüber nachzugrübeln, was als nächstes geschehen würde. Er genoss es, eine Aufgabe zu haben, der er nachgehen konnte, anstatt einfach nur in den Tag hinein zu leben und darauf zu warten, dass Rauchsturm wieder gesund wurde.

Am Ufer des Sees steuerten sie auf den Punkt zu, an dem während der Blattgrüne eine schmale Landzunge das Tal mit der Insel im See verband und die Insel auf diese Weise zu einer Halbinsel machte. Nur etwa ein bis zwei Fuchslängen unter der Wasseroberfläche deutete sich der steinige Felsweg an. Kleine Wellen kräuselten sich darüber.

Auf einmal platschte etwas in der Nähe der Insel und eine kleine, braune Gestalt schwamm lässig auf sie zu.

„Hallo Reisender“, quietschte eine hohe Stimme, dann tauchte die Gestalt ab, flitzte unter der Oberfläche auf sie zu und schnellte in Ufernähe wieder hoch.

Sturmherz blieb stehen und musterte die fremde Gestalt. Er blickte zu Minzläufer, der entspannt blieb, also schien keine Gefahr davon auszugehen. „Wer oder was bist du?“

Die Gestalt lachte und entblößte dabei winzige, spitze Zähnchen. „Meine Familie und ich leben auf der Insel, deren Quelle euch Kriegerkatzen heilig ist. Wir passen darauf auf und im Gegenzug leben wir alle in Frieden nebeneinander. Ich bin Otterfisch“, sagte sie, drehte sich einmal lässig um die eigene Achse und tauchte noch ein Stück näher am Ufer wieder auf. „Mein Gefährte ist Otterbaum und unsere Kinder sind Otterlibelle, Otterstein und Otterberg. Aber meine Kinder werden in den nächsten Wochen fortgehen und sich woanders ein eigenes Zuhause suchen.“

„Es sind Fischotter“, erklärte Minzläufer gelangweilt. „Ihre Familie lebt seit einigen Generationen auf der Insel. Wir kommen gut miteinander aus. Im Laufe der Zeit haben sie unsere Sprache erlernt.“

Otterfisch nickte breit grinsend. „Es war einfacher für uns, die Sprache der Katzen zu lernen, als andersherum. Wir haben mehr Köpfchen.“

Minzläufer legte seine Ohren leicht an und machte einen drohenden Schritt auf Otterfisch zu, die spielend leicht aus seiner Reichweite ruderte und lachend untertauchte. „Bis irgendwann einmal, Reisender.“ Mit diesen Worten tauchte sie endgültig ab und verschwand.

Sturmherz sah ihr mit verzogenem Gesicht hinterher. „Ist sie immer so?“

„So nervig?“, hakte Minzläufer knurrend nach. „Ja. Aber Lichtblut besteht darauf, dass wir die Fischotter in Ruhe lassen, also tun wir das auch. Komm, wir gehen hier entlang weiter. Der See ist groß, es gibt noch viel zu sehen.“

„Ihr seid glücklich hier rund um den See, nicht wahr?“

Minzläufer blickte Sturmherz irritiert von der Seite her an. „Ja, natürlich. Das hier ist unsere Heimat und unser Zuhause. Es widerstrebt mir, den See einfach an eure Clans vom Heiligen Berg abzutreten, aber es ist der Wille von Seelenstern gewesen, also befolge ich ihn. Wir alle wussten von Anfang an, dass es darauf hinauslaufen wird. Und … ich freue mich auch, wenn endlich mehr Leben an den See kommt.“

„Dabei ist der SeelenClan so groß, wie kann es da langweilig werden?“

Minzläufer lachte. „Nun, unser Clan mag zwar gut drei Dutzend Mitglieder fassen, aber das Gebiet um den See, dieses ganze Tal, ist riesig. Wir können uns komplett darüber verteilen und würden uns nur sporadisch über den Weg laufen. Vier Clans bringen Struktur hinein. Wir können uns in Zukunft aussuchen, auf welches Gebiet wir uns beschränken möchten, wenn wir entscheiden, welchem Clan wir uns anschließen. Nun, um dir ein Beispiel zu geben, nimm mich. Ich mag den Wald und den See sehr gerne, ebenso die weiten Wiesen. Aber ich jage nicht gerne an den oberen Berghängen, weil mir der Felsboden viel zu hart und scharfkantig ist. Als Schüler habe ich mich dort oben an der Pfote geschnitten. Nebelpelz hingegen liebt die Berghänge. Außerdem ist es anstrengend, bei einer täglichen Patrouille den kompletten See umrunden zu müssen. Ich denke, wenn vier Clans hier leben, ist alles so, wie es sein soll.“

Erleichterung durchströmte Sturmherz, als er diese Worte hörte. „Also seid ihr uns nicht böse, weil wir euch euer Gebiet wegnehmen?“

„Ihr nehmt es uns nicht weg. Ihr kommt dazu und wir verteilen uns gemeinsam neu. So hat jeder etwas davon.“

„Es freut mich, dass du das so locker siehst. Das tun bestimmt nicht alle.“

Minzläufer schnitt eine Grimasse. „In der Tat. Bisonmähne und Goldstreif zum Beispiel. Aber sie akzeptieren, dass es so sein muss. Wir werden sehen, wohin uns das führt. Wir lassen die Zukunft auf uns zukommen. Welche andere Wahl haben wir schon?“

Sturmherz atmete tief durch. Minzläufer hatte Recht. Welche andere Wahl hatten sie schon?

Die Blattfrische verdrängte endgültig die Blattleere und ihr folgte die Blattgrüne. Der Juli brach heran. Die Temperaturen waren angenehm und Frischbeute war im Überfluss vorhanden. Noch ein, zwei Monde und die Blattgrüne würde die sommerliche Hitze in voller Stärke mit sich bringen – genau dann, wenn die Krieger vom Heiligen Berg ihre Heimat endgültig verlassen würden.

Zwei ganze Monde hatten sie beim SeelenClan verbracht, doch nun brach eine Veränderung heran.

Rauchsturm war endlich vollständig genesen.

Sie saßen auf der Spitze des Bergkamms, blickten hinunter auf das Tal mit dem See, auf dessen Oberfläche sich der Sonnenaufgang spiegelte.

Lichtblut nickte ihnen ein letztes Mal aufmunternd zu. „Eure Zeit ist gekommen. Möge der SternenClan euch auf allen Wegen behüten. Wir werden jeden Tag auf eure Rückkehr warten, damit alle fünf Clans endlich wieder vereint sein können.“ Sie pausierte kurz, ehe sie fortfuhr: „Ich sehe vier tapfere Krieger vor mir. Sturmherz, in dir steckt das Herz eines wahren Anführers. Schneewolke, in deinem Herz schlägt die Liebe in voller Stärke. Hummelschatten, in deinem Herzen haben Loyalität und Freundschaft einen besonderen Platz. Und Rauchsturm, in deiner Brust schlagen zwei Herzen, das eines Kriegers und das eines Heilers.“ Wieder pausierte sie für einen Moment. „Ich kann euer Schicksal vor mir sehen, doch ihr müsst euren Weg alleine finden. Geht nun und kehrt wohlbehalten zurück.“

„Wir danken dem SeelenClan für seine Gastfreundschaft.“ Sturmherz verneigte höflich den Kopf vor der Heilerin. Schneewolke, Rauchsturm und Hummelschatten folgten seinem Beispiel. „Dann wenn die Blattgrüne am stärksten ist, werden wir uns wiedersehen.“

Lichtblut wartete nicht, bis sie losgingen, sondern drehte ihnen den Rücken zu, um sich an den Abstieg zu machen.

Zeitgleich drehten auch sie sich um und steuerten in Richtung Süden, wo irgendwo der Fluss mit dem Wasserfall auf sie wartete.

Schneewolke und Sturmherz liefen Seite an Seite. Dahinter folgten Hummelschatten und Rauchsturm – und dahinter vier Krieger aus dem SeelenClan, die Lichtblut ihnen zur Seite gestellt hatte: Seestein, Graszunge, Minzläufer und Blaufeder. Sie alle hatten sich freiwillig gemeldet und im Laufe der letzten zwei Monde war zwischen ihnen ein Band der Freundschaft entstanden.

Einen weiteren Mond lang würden sie unterwegs sein, ehe sie den Heiligen Berg wieder erreichten. Vier Monde waren sie dann von ihren Clans getrennt. Vier Monde, in denen sich viel verändert haben konnte. Die Junge aus dem ErdClan und dem LuftClan konnten bereits Schüler sein und Fleckennases Junge würden bei ihrer Rückkehr etwa drei Monde alt sein. Sie würden Sturmherz gar nicht als ihren Zweiten Anführer erkennen. Und ging es Falkenherz und Schneeflügel, den Ältesten, weiterhin gut? Fragen über Fragen – und Sturmherz sehnte sich nach seinem Clan und den Antworten.
 

***
 

„Wenn wir einen Anführer hätten, wäre das wohl Bisonmähne“, spekulierte Minzläufer nachdenklich. Während der ersten Woche ihrer gemeinsamen Reise hatten sie sich zunächst viel unterhalten, doch von Tag zu Tag verfielen sie stärker in einen schweigsamen Gleichschritt. „Und er würde Goldstreif zu seinem Zweiten Anführer ernennen, damit sie gemeinsam über alles entscheiden können. Wobei ich finde, dass unser guter Seestein hier auch einen ausgezeichneten Zweiten Anführer abgeben würde.“

Seestein brummte belustigt. „Ich? Nein, das ist nichts für mich.“

„Dir fehlen lediglich die Ambitionen“, stimmte Blaufeder mit ein. „Aber Minzläufer hat Recht, alle im SeelenClan vertrauen dir und kommen gut mit dir aus. Du warst noch nie in Streitereien verwickelt.“

„Weil ich mich aus dem Privatleben der anderen raushalte.“

„Weil du ein guter Zweiter Anführer wärst“, beharrte Blaufeder.

Wieder brummte Seestein vor sich hin. „Fragen wir doch lieber unseren richtigen Zweiten Anführer, was er davon hält. Sturmherz?“

„Hm?“ Sturmherz drehte zuerst seine Ohren mit den kleinen Pinseln, dann den ganzen Kopf zu den Kriegern aus dem SeelenClan um. „Oh. Ich weiß es nicht. Bisonmähne ist sehr autoritär. Es würde ihm gut tun, jemanden zum Ausgleich zu haben, der einen weicheren Charakter hat. Da bist du wirklich die bessere Wahl als Goldstreif.“ Der Name seines Vaters fühlte sich noch immer bitter auf seiner Zunge an.

„Mag sein“, sagte Seestein seufzend. „Aber Goldstreif würde sich mir wohl kaum unterordnen. Ich kann mir sowieso nur schwer vorstellen, dass sich auch Bisonmähne einfach damit abfinden wird, plötzlich einem Anführer vom Heiligen Berg zu gehorchen. Auf Lichtblut hört er, ja, aber sie ist auch die Einzige, die ihn auf dem Boden halten kann. Goldstreif ist nur unwesentlich umgänglicher.“

Wieder versetzte der Name ihm einen Stich.

Goldstreif hatte sich während der vergangenen zwei Monde häufig von Sturmherz ferngehalten. Es war schnell deutlich geworden, dass er kein Interesse daran hatte, eine familiäre Beziehung zu seinem Sohn aufzubauen. Graszunge hatte es mit seinen Kommentaren nicht besser gemacht, denn er hatte Sturmherz erzählt, dass Goldstreif ein Draufgänger war, der zu keiner Liebelei nein sagen konnte und vermutlich noch andernorts bei den Zweibeinern Junge hatte, von denen er nicht einmal etwas wusste. Goldstreif verließ regelmäßig für ausgedehnte Patrouillen das Tal des SeelenClans und trieb sich in der Nähe des Zweibeinerortes herum, um Einzelläufer für den SeelenClan aufzugabeln. Zumindest das würde ein Ende haben, wenn die Clans erst einmal vom Heiligen Berg an den See mit der Otterinsel gezogen waren.

Sturmherz brauchte keinen Vater. Er brauchte nur sich selbst, seinen Clan und seine Freunde. Immer wieder redete er sich das ein und übertönte damit den bohrenden Schmerz der Enttäuschung. Hätte er doch nur niemals erfahren, dass Goldstreif sein Vater war.

Die anderen rissen ihn wieder auf seinen trüben Gedanken. Graszunge gähnte ungehalten. „Was bringt es, darüber zu spekulieren, wer unser Anführer wäre? Der SternenClan hat doch schon längst entschieden, dass wir uns den Clans vom Heiligen Berg anschließen müssen. Silberstern, Schwarzstern, Wacholderstern und Löwenzahnstern, die vier stehen zur Auswahl und keiner von uns aus dem SeelenClan. Fair finde ich das nicht.“

Minzläufer wiegte nachdenklich seinen Kopf hin und her. „Stimmt. Es sollten die vier Anführer werden, die von allen fünf Clans akzeptiert werden können. Aber das sehen wir, wenn es soweit ist. Wenn die Clans vom Heiligen Berg zu uns an den See kommen, wird jeder einzelne frei entscheiden können, wem er sich anschließen möchte.“

Blaufeder nickte. „Auf diese Weise vermischt sich das Blut aller Clans und Seelenstern kann endlich im SternenClan seinen endgültigen Frieden finden. Ich vertraue darauf, dass Lichtblut weiß, was zu tun ist.“

„Sie wäre auch eine gute Anführerin“, kommentierte Graszunge aus dem Hintergrund. „Sie ist alt und weise. Aber Heiler stehen ja leider nicht zur Auswahl.“

„Alt und weise und störrisch und kauzig“, witzelte Hummelschatten. „Aber ich kenne keinen Heiler, der in diesem Alter nicht irgendwelche Eigenarten entwickelt hätte. Selbst Nessellicht fängt schon so an und sie ist definitiv einige Jahre jünger als Lichtblut.“

„So viele Heiler kennst du doch gar nicht.“ Schneewolke schnaubte.

„Ist doch egal.“ Hummelschatten stöhnte genervt auf. „Und hör auf, jedes meiner Worte so genau zu nehmen.“

Sie verzog das Maul zu einer Grimasse, doch aus den Augenwinkeln konnte Sturmherz genau erkennen, dass in ihren Augen der Schalk aufblitzte.
 

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Eine weitere Woche näherte sich dem Ende, was bedeutete, dass sie die halbe Strecke hinter sich gebracht hatten. Seit zwei, drei Tagen liefen sie am Ufer flussaufwärts, nachdem sie den Fluss an einer flachen Stelle überquert haten, und warteten darauf, dass der Wasserfall in Sicht kam, der damals Rauchsturm zum Verhängnis geworden war. Es konnte nicht mehr lange dauern.

Rauchsturms Schwanz zuckte bei der Erinnerung an seinen Sturz und das folgende Martyrium unruhig umher. „Ich bin froh, wenn wir wieder zu Hause sind. Wobei es mir schon reicht, wenn wir diesen blöden Fluss hinter uns haben.“

Schneewolke seufzte mitfühlend. „Bald, Rauchsturm. Diese Gegend kommt mir schon bekannt vor. Vielleicht noch einen halben Tag.“

„Weniger, wette ich“, sagte Hummelschatten sofort. „Bis Sonnenhoch sind wir da.“

„Ich wette nicht mit dir.“

„Weil du eine Spaßbremse bist.“

Schneewolke knurrte ihn leise an, doch Hummelschatten lachte nur und lief einige Schritte voraus. „Ich bin keine Spaßbremse“, konstatierte Schneewolke beleidigt. „Man kann viel Spaß mit mir haben. Ich bin lediglich ein Freund von niveauvoller Unterhaltung. Deine unterirdischen Späße kannst du dir sparen.“

„Ach komm schon, das meinst du doch gar nicht so.“ Wieder keckerte Hummelschatten amüsiert und tänzelte vor ihnen herum.

Sturmherz konnte sich ein leises Hüsteln nicht verkneifen. Zu Beginn ihrer Reise hatte er noch gedacht, dass Schneewolke und Hummelschatten sich gegenseitig das Fell über die Ohren ziehen würden, doch im Laufe der Zeit waren sie immer enger zusammengewachsen. Aus ihnen waren enge Freunde gewesen und so unterschiedlich sie auch sein mochten, jeder akzeptierte die anderen mit allen Eigenarten. Sogar Schneewolke lachte dann und wann über Hummelschattens Späße, auch wenn sie die meiste Zeit über so tat, als wäre sie über seinen Humor erhaben.

Rauchsturm schnalzte mit der Zunge. „Dass ihr euch immer wieder miteinander anlegen müsst.“ In seinen Worten schwang kein Tadel mit, lediglich eine Feststellung. „Ich bin froh, dass uns der SternenClan gemeinsam auf diese Reise geschickt hat, denn so konnten wir lernen, dass alle Clans zusammenarbeiten können. Egal wie verschieden wir sind, am Ende halten wir zusammen.“ Der junge Heiler sah zufrieden aus. „Ich bin sehr froh, wenn wir wieder am Heiligen Berg sind. Es wird Zeit, dass wir wieder mit unseren Clans vereint sind.“

Sturmherz merkte, wie alleine die Vorstellung, den Heiligen Berg zu erreichen, dafür sorgte, dass ihre Pfoten zu schweben schienen. Es war, als würden sie wie von selbst laufen. Aber sagte man nicht sowieso immer, dass ein Rückweg schneller verging als ein Hinweg? Auch ihn beflügelte der Gedanke an den FeuerClan, seine Freunde und Schwarzstern. Was sein Anführer wohl dazu sagen würde, dass sie das riesige Tal mit dem großen See gefunden hatten? Und dass seine Eltern es ebenfalls bis dahin geschafft hatten? Leider waren Schlangentöter und Silbermelodie bereits verstorben, doch die Gewissheit, dass seine Eltern nicht in der Wildnis ums Leben gekommen waren, beruhigte Schwarzstern mit Sicherheit. Außerdem würde er seine Brüder kennen lernen.

Sie liefen weiter, bis das Rauschen des Wasserfalls zu hören war. Zunächst nur ein leises Gluckern in weiter Ferne, dann immer lauter, bis auch das Wasser neben ihnen unruhiger wurde. Hummelschatten lief siegessicher voraus, Sturmherz und die anderen folgten ihm. Sie wollten bis zum Wasserfall, dann parallel dazu weiter laufen und den Höhenunterschied an einer angenehmeren Stelle überwinden als beim letzten Mal.

„Ich kann ihn schon sehen!“, rief Hummelschatten ihnen über die Schulter zu.

Sturmherz beschleunigte seinen Schritt, überholte Hummelschatten, brach durch die Baumreihen hindurch.

Wie aus dem Nichts lag der Wasserfall in all seiner tödlichen Schönheit vor ihm, brüllte ihnen entgegen, dass sie die Hälfte der Strecke bereits geschafft hatten.

Aus dem Augenwinkel glaubte er Flohnacken dort oben sitzen zu sehen, doch als er genauer nachschauen wollte, war die schattige Gestalt bereits wieder verschwunden. Sturmherz machte sich keine weiteren Gedanken darüber. Flohnacken tat sowieso, was er wollte.

Was jetzt zählte, war einzig und alleine, dass sie möglichst schnell nach Hause kamen.
 

***
 

Keiner wartete auf ihre Rückkehr. Zu acht saßen sie im Halbkreis nur einige Fuchslängen von der gemeinsamen Grenze von WasserClan und FeuerClan entfernt. Es waren anstrengende eineinhalb Wochen gewesen, denn sie hatten ihr Tempo noch einmal erhöht und auf diese Weise eine halbe Woche herausgeschlagen. Doch diese Anstrengung hatte ihre Opfer gefordert.

Sturmherz‘ Pfoten waren wund, seine Beine schmerzten und auch die letzten Fettreserven waren drahtigen, harten Muskeln gewichen, die von seinem langen Fell überdeckt wurden. Hummelschatten sah man diese Veränderung deutlicher an. Aus dem kleinen, leicht rundlichen Kater mit dem frechen Mundwerk war durch die Reise ein geformter Krieger geworden, der genau wusste, dass er sich jederzeit auf seine Gefährten verlassen konnte – und sie sich auf ihn.

„Egal wie das hier enden wird, meine Freundschaft zu euch wird alles andere überstehen“, versicherte er den anderen feierlich. „Es wird nicht leicht für mich werden, dass Wacholderstern mir überhaupt Gehör schenken wird, aber ich gebe mein Bestes.“

„Diese Reise hat uns zusammengeschweißt und das können uns unsere Anführer niemals mehr nehmen“, stimmte auch Rauchsturm zu. Auch er war muskulöser geworden und wirkte nun mehr wie ein Krieger als ein Heiler. „Der SternenClan wollte, dass wir lernen, dass der Zusammenhalt aller Clans wichtiger ist als die Feindseligkeiten, die zwischen uns herrschen. Nur gemeinsam können wir den Heiligen Berg hinter uns lassen und in unsere neue Heimat am See ziehen. Wir werden die Verantwortung dafür tragen, doch das letzte Wort haben unsere Anführer. Ich vertraue darauf, dass sie einsehen, dass es der Wille des SternenClans ist.“

„Hoffen wir, dass diese Einsicht ausreichen wird“, sagte Schneewolke gähnend. Als einzige der auserwählten Krieger hatte sich ihre Figur nicht großartig verändert. Sie sah müde und erschöpft aus, erschöpfter als die anderen, und kämpfte sich jeden einzelnen Schritt vorwärts.

Sturmherz hoffte, dass sie nicht krank wurde und einfach nur ein paar Tage Ruhe brauchte. „Silberstern hat es sich schon einmal fast mit dem SternenClan verscherzt, dieses Risiko wird sie bestimmt kein zweites Mal eingehen wollen. Außerdem ist Dornstachel nicht mehr da. Ich gehe davon aus, dass du gemeinsam mit Muschelzahn gute Chancen haben wirst, sie davon zu überzeugen, den Heiligen Berg endgültig zu verlassen.“

„Und wenn eure Anführer euch nicht glauben, gibt es immer noch uns“, sprach Blaufeder munter.

Seestein, Graszunge und Minzläufer nickten ihr zustimmend zu.

„Es klingt so, dass Silberstern zuerst überzeugt werden sollte“, meinte Seestein. „Deshalb schlage ich vor, dass wir Schneewolke begleiten und anschließend gemeinsam auch die anderen Anführer besuchen. Wenn sie euch kein Gehör schenken, müssen sie es bei uns tun. Eure Heiler werden erkennen, woher wir kommen und dass wir die Wahrheit sagen.“

„Ganz abgesehen davon, dass eure Heiler wissen, worauf es ankommt.“ Graszunge verzog das schlanke Gesicht. „Je schneller wir das hier alles erledigt bekommen, desto eher können wir nach Hause zurückkehren. Ich habe nichts gegen euren Heiligen Berg, aber mir sind das weite Tal und der See lieber.“

Sturmherz blinzelte den SeelenClan-Krieger mitfühlend an. Für sie war das Gebiet rund um den Heiligen Berg fremdes Land. Sie waren nur mit ihnen gegangen, weil Lichtblut sie in weiser Voraussicht darum gebeten hatte. Sie musste geahnt haben, dass die Worte der Clan-Katzen alleine vielleicht nicht ausreichten. Ihre Anführer mussten Vertreter des SeelenClans mit eigenen Augen sehen, um ihnen wirklich zu glauben.

Seufzend stand Rauchsturm auf und streckte nacheinander alle vier Beine. „Wir sind nicht so weit gekommen, um hier sitzen zu bleiben. Morgen Nacht ist Vollmond. Versuchen wir, bis dahin unsere Anführer zu überzeugen. Wir werden uns bei der Versammlung wiedersehen und mit allen Clans besprechen, wie es nun weitergehen soll.“

„Das ist ein guter Plan.“ Schneewolke stand ebenfalls auf, schwankte für einen Augenblick kurz, dann stand sie fest und trabte auf ihre Clangrenze zu. „Wir müssen uns nun voneinander verabschieden.“

Hummelschatten nickte. „Bis zur Versammlung!“ Er zwinkerte ihnen ein letztes Mal keck zu, dann flitzte er los, spurtete über den Waldboden in Richtung des LuftClans. Es dauerte nur wenige Herzschläge, bis Hummelschatten im sattgrünen Dickicht verschwunden war.

Rauchsturm verabschiedete sich mit einem freundlichen Nasenstupser von Sturmherz, ging dann zu Schneewolke und tat dasselbe bei ihr. Doch anstatt sich direkt abzuwenden, tuschelte er einen Moment mit ihr.

Schneewolke verspannte sich. Ihre himmelblauen Augen weiteten sich kurz, dann kniff sie sie zusammen und schüttelte sanft den Kopf.

Rauchsturm verzog das Gesicht, flüsterte ihr wieder etwas zu und drehte sich anschließend von ihr Weg. Er blieb erneut vor Sturmherz stehen, seufzte dann jedoch und schüttelte ebenfalls leicht mit dem Kopf. „Wir sehen uns morgen Nacht wieder. Viel Erfolg mit Schwarzstern.“

„Danke, dir auch viel Erfolg mit Löwenzahnstern.“

Schneewolke schaute Sturmherz aus großen, treuen Augen an. „Da sind wir also.“

„Da sind wir also.“

Sie schien mit sich zu ringen, fand nicht die passenden Abschiedsworte und senkte den Blick. „Sturmherz, ich … Diese Reise … sie hat mir viel bedeutet. Genau wie unsere gemeinsame Zeit.“

Ein sehnsüchtiges Brennen machte sich in seinem Herzen breit. „Schneewolke, ich …“

Sie erwiderte seinen Blick. „Wir … Ich … muss dir etwas sagen. Also …“

Graszunge räusperte sich genervt. „Wir sind auch noch da. Klärt eure privaten Angelegenheiten, wenn wir erledigt haben, wofür wir hier sind.“ Er stapfte an Schneewolke vorbei in das Gebiet des WasserClans hinein. „Geht es hier entlang zu deiner Silberstern?“

Schneewolke blickte ihm verdattert hinterher, hatte sich jedoch schnell wieder unter Kontrolle. Sie warf Sturmherz einen letzten, flüchtigen Blick zu. „Wir müssen morgen bei der Versammlung miteinander reden.“

„Ist gut.“ Er nickte ihr zu. „Ich werde dort auf dich warten.“ Er sah zu, wie Schneewolke mit den vier SeelenClan-Kriegern in ihrem eigenen Clangebiet verschwand, dann schlug er die entgegengesetzte Richtung ein und ließ sich vollkommen von dem Geruch des FeuerClans umfangen.

Endlich wieder zu Hause.

Sturmherz verlangsamte seine aus Gewohnheit schnellen Schritte, atmete bewusst tief durch und sog den Geruch des Waldes tief in seine Lungen. Der FeuerClan hatte ihn aufgenommen, das hier war seine Heimat, aber er musste sie schon bald für immer verlassen. Wenn die Clans hier bleiben würden, würden sie sich nur weiter zerstreiten, was das Ende für die alle bedeuten würde, wenn man dem SternenClan Glauben schenkte. Und wann hatte sich der SternenClan schon einmal geirrt?

Ein Teil von ihm hoffte, dass er auf dem Weg zum Lager vielleicht schon jemandem begegnen würde, doch ein anderer Teil von ihm wollte noch die letzten Minuten der Ruhe genießen. Es war später Abend, aber zu dieser Jahreszeit blieb es vergleichsweise lange hell, weswegen er keine Mühe hatte, seinen Weg zu finden – nicht, dass er es nicht auch problemlos in der Dunkelheit der Nacht gekonnt hätte. Die Patrouillen waren vermutlich schon alle ins Lager zurückgekehrt und seine Clangefährten genossen die Reste der Frischbeute des Tages, während sie sich in kleine Grüppchen zurückzogen, um sich zu putzen und sich miteinander zu unterhalten. Wie Milchkralle, Fleckennase, Flockenpfote und Schwarzstern wohl reagieren würden, wenn sie ihn mitten im Lager auftauchen sahen?

Sturmherz blieb stehen. Sein Herz pochte vor Aufregung, doch wovor hatte er Angst? Der SternenClan hatte ihn auf eine wichtige Mission geschickt. Er hatte seinem Clan gedient, indem er fortgegangen war, dennoch war er sich auf einmal sicher, dass man ihn dafür kritisieren würde. Er war der Zweite Anführer, er hätte beim FeuerClan bleiben sollen, auch wenn es der Wunsch des SternenClans war. Blaukralle würde ihn noch immer nicht respektieren – oder vielleicht doch? Unsicherheit machte sich in ihm breit und er sehnte sich nach Schneewolke, Hummelschatten und Rauchsturm. Sie hatten in den letzten vier Monden so viel miteinander durchgemacht, sodass er sie sich auch jetzt an seiner Seite wünschte.

Nein, da musste er alleine durch.

Er schüttelte sich und setzte sich wieder in Bewegung. Schwarzstern hatte ihm gesagt, dass jeder zukünftige Anführer eigene Prüfungen bewältigen musste, um ein wahrer Anführer sein zu können. Es gehörte einfach dazu, dass Sturmherz sich gegen Blaukralle und die anderen Kritiker aus seinem Clan durchsetzte. Sollten sie doch ruhig wagen, weiterhin an ihm zu zweifeln. Niemand konnte bestreiten, dass er auf Befehl des SternenClans fortgegangen war – und niemand hatte das Recht, den SternenClan für seine Entscheidungen zu verurteilen.

Diese Einstellung verschaffte ihm zu neuem Mut. Er straffte seine Schultern und steuerte geradewegs quer durch das Revier auf das Lager zu. Keine Umwege mehr. Kein Zögern. Er war der Zweite Anführer des FeuerClans und er hatte jedes Recht, voller Stolz zu seinem Clan zurückzukommen.

Als die Senke in Sicht kam, hörte er bereits das allabendliche Stimmengewirr, das undeutlich durch das dichte Gestrüpp und die Luft den Hang hinaufgetragen wurde. Noch einmal blieb er kurz am oberen Ende stehen, dann sprang er mit drei, vier leichtfüßigen Sprüngen zum Eingang des Lagers hinab.

Er ging durch den Blättertunnel, mitten in das Herz des FeuerClans.

Dort war er, sein Clan, sein Zuhause.

Flockenpfote erblickte ihn zuerst. Seine Augen weiteten sich, zuerst voller Ungläubigkeit, dann traten Überraschung und Freude in seinen Blick. „Sturmherz! Du bist zurück!“

Augenblicklich drehten sich auch alle anderen Anwesenden zu ihm um, schnappten nach Luft, sprangen auf, unterbrachen ihre Gespräche. Sie tuschelten miteinander, warfen ihm Blicke zu. Freude. Zorn. Hoffnung. Ablehnung. Erleichterung. Wut.

Sturmherz konnte nicht einordnen, was um ihn herum geschah. Er hatte eine andere Begrüßung erwartet.

Flockenpfote rannte auf ihn zu, blieb mit einer Vollbremsung vor ihm stehen, tänzelte um ihn herum. „Sturmherz! Du lebst und du bist zurück! Dem SternenClan sei Dank!“ Dann drehte Flockenpfote sich zu dem restlichen Clan um. „Ich habe es euch die ganze Zeit gesagt, aber ihr wolltet mir ja nicht glauben, dass Sturmherz uns nicht im Stich lässt!“

Verwirrt schaute Sturmherz umher. „Wieso sollte ich euch im Stich lassen?“

Milchkralle trat aus den hinteren Reihen nach vorne. Sie wirkte säuerlich, aber auch froh. „Es ist viel passiert, Sturmherz. Wir müssen dir alles in Ruhe erzählen. Der Clan hätte dich gebraucht. Dich, den Zweiten Anführer.“

Nun war er noch verwirrter.

Aus dem Bau der Königinnen kam Fleckennase gestürmt. „Sturmherz!“ Er begrüßte seinen besten Freund mit einer stürmischen Geste, leckte ihm einmal freudig über die Flanke und stellte sich schräg neben ihn. „Wieso hat das so lange gedauert? Ihr wart vier Monde lang weg!“

Rosentau verzog ihr Gesicht. Eisbart saß neben ihr und sah ebenso wenig begeistert aus.

Flockenpfote drängelte sich wieder an Fleckennase vorbei, setzte sich direkt neben Sturmherz wie ein großer, fluffiger Wächter. „Unser Zweiter Anführer ist zurückgekehrt, nun wird alles gut.“

Rosentau bleckte die Zähne. „Halt dich da raus, HalbClan-Blut!“, zischte sie wütend.

Sturmherz zuckte zusammen und sah Flockenpfote von der Seite her an, der jedoch keine Miene verzog. „HalbClan-Blut? Woher … Flockenpfote, woher wissen die anderen davon? Woher weißt du davon?“

In den Augen seines Schülers lag eine so tiefe Zuversicht, die einem Urvertrauen in das Gute gleichkam. „Nach deiner Abreise ist so viel geschehen. Nachdem –“

Ein einziger warnender Blick von Milchkralle brachte ihn zum Schweigen. „Wie ich bereits sagte, müssen wir uns ganz dringend über alles unterhalten, Sturmherz. Und wir sollten uns beeilen, damit du auf dem neuesten Stand bist.“

Unentschlossen blickte er zwischen Milchkralle und Flockenpfote hin und her. Selbstverständlich fiel ihm auf, was für eine Anspannung im FeuerClan herrschte. Nervöse Blicke wurden ausgetauscht, hier und dort knurrte jemand leise vor sich hin. „Ich möchte zuerst mit Schwarzstern reden.“

„Nein, alles der Reihe nach. Es ist wichtig, Sturmherz.“

Flockenpfote nickte ihm zu. „Milchkralle hat Recht. Sie muss dir alles der Reihe nach erzählen.“ Sein Blick wanderte zum restlichen Clan. „Und dann werdet ihr alle sehen, was ihr davon habt.“

Sturmherz bohrte seine Krallen tief in die Erde hinein. „Flockenpfote, was ist los?“

Sein Schüler ließ sich davon nicht aus dem Konzept bringen. „Du darfst mich übrigens auch Flockenherz nennen.“

„Oh.“ Der schnelle Themenwechsel zeigte Wirkung. Für einen Augenblick war Sturmherz abgelenkt und fühlte ehrliche Freude für seinen Schüler. „Ich gratuliere dir. Du hast es verdient.“

Stolz reckte Flockenherz das Kinn in die Höhe. „Danke, dein Lob bedeutet mir viel. Ich habe jeden Tag fleißig trainiert, damit ich dich bei deiner Rückkehr stolz machen kann.“

„Und das hast du. Ich bin stolz auf dich. Wie lange bist du schon ein Krieger?“

„Seit zwei Monden, ein bisschen länger.“

„Dafür habt ihr später noch genügend Zeit“, drängte Milchkralle und schaute nervös hin und her. „Suchen wir uns eine ruhige Ecke und bereden alles, bevor er zurück ist.“

Sturmherz ließ sich von seinen Freunden nur widerwillig an den Rand des Lagers drängen. „Bevor wer zurück ist?“

Fleckennase rollte mit den Augen. „Er.“

Er blinzelte kurz, kniff dann die Augen ein Stück zusammen und schaute sich verstohlen im Lager um. Alle tuschelten miteinander, steckten die Köpfe zusammen und warfen ihm immer wieder seltsame Blicke zu. Sturmherz‘ Herz zog sich tief in seiner Brust schmerzhaft zusammen. „Ich will jetzt auf der Stelle wissen, wieso sich alle so merkwürdig verhalten.“ Dann ließ er seinen Blick zum zweiten Mal durch das Lager gleiten. „Blaukralle fehlt. Es geht um Blaukralle, nicht wahr? Das hätte ich mir denken können, dass er in meiner Abwesenheit gegen mich gewettert hat.“ Sturmherz streckte seine Schultern durch, um seine Position als Zweiter Anführer zu unterstreichen. „Fleckennase, Milchkralle, Flockenherz, erzählt mir alles, sofort.“

Noch immer tauschten sie nervöse Blicke miteinander aus, ehe Milchkralle sich räusperte. „Wir sollten es ihm sagen.“

Fleckennases Ohren zuckten unruhig hin und her, fixierten erst die eine Richtung, dann die andere. „Ich weiß nicht …“

Milchkralle rollte mit den Augen, fasste sich ein Herz und wollte gerade zu sprechen ansetzen, als die Luft schlagartig aus dem Lager zu weichen schien. Einige hielten den Atem an, andere rissen gespannt die Augen auf.

Sturmherz drehte sich um, sah den blauen Kater auf sich zukommen, wie er stolzierte, den Schwanz in freudiger Erwartung steil nach oben gereckt, in den Augen ein siegessicheres Funkeln. Sturmherz konnte ein leises Knurren nicht unterdrücken, ging ihm entgegen, blieb nur eine Mauslänge entfernt stehen und baute sich vor ihm zu seiner vollen Größe auf. Einige Herzschläge lang starrten sie sich einfach nur an. „Blaukralle.“

In Blaukralles Blick blitzte etwas auf. Betont langsam reckte er das Kinn in die Höhe, war fast auf Augenhöhe mit Sturmherz. Ihn umgab eine Aura der Macht und ein einziges Wort brachte Sturmherz‘ Welt zum Einsturz: „Blaustern.“

Es fühlte sich an, als würde sich der Boden unter Sturmherz‘ Pfoten auftun. So schockiert, wie er war, wich er einen Schritt zurück und löste damit aus, dass sich der gesamte Clan um sie herum versammelte. „Nein“, stammelte er verwirrt, doch ihm war klar, dass niemand – nicht einmal Blaukralle – es wagen würde, darüber einen Scherz zu machen. Jetzt ergab alles einen Sinn: Milchkralles und Fleckennases merkwürdiges Verhalten, das Tuscheln, die Blicke, Schwarzsterns Abwesenheit. Sturmherz schluckte den riesigen Klos in seinem Hals herunter. Schwarzstern war tot. Sein Anführer war gestorben und er war nicht hier gewesen, um seinem Clan beizustehen. Beschämt senkte er den Blick, hob ihn jedoch wieder an, um Blausterns Siegesgefühle nicht noch weiter zu stärken.

Blaustern leckte sich in vollkommener Zufriedenheit über die Vorderpfote. „Wie ich sehe, bist du zurückgekehrt, Sturmherz. Wir alle haben vier Monde lang auf dich gewartet, aber vier Monde waren zu lang. Du hast den FeuerClan in den Zeiten seiner größten Verwundbarkeit alleine gelassen.“

Noch immer fühlte sich Sturmherz‘ Kehle staubtrocken an. „Schwarzstern … ist tot?“ Er fühlte sich um die Wahrheit betrogen. Man gönnte ihm nicht einmal Zeit, um in Ruhe trauern zu können.

Blaustern nickte. „Seit zwei Monden bereits. Bedauerlicherweise hat er sich nicht mehr von seinen Verletzungen durch den Blitzschlag erholt.“

„Bedauern kann ich in deinem Gesicht aber nicht erkennen, wenn du die Chance direkt genutzt hast, um meine Position zu ergreifen und dich selbst zum Anführer zu krönen!“, zischte er wütend.

Der FeuerClan quittierte sein Verhalten mit Luftschnappen und unterschwelligem Knurren.

Blausterns Blick wurde hart. „Ich war für den Clan da, ganz im Gegensatz zu dir! Der FeuerClan hat einen Anführer gebraucht und weil niemand wusste, ob du jemals zurückkehren würdest, habe ich mich für diese Rolle geopfert.“

„Oh ja, es muss ein wirklich großes Opfer gewesen sein“, spottete Sturmherz aufgebracht. „Es war Schwarzsterns Wille, dass ich Zweiter Anführer werde und eines Tages seine Nachfolge antrete!“, rief er lauter.

Rosentau drückte sich in die erste Reihe. „Du bist schon lange nicht mehr unser Zweiter Anführer! Zoll Blaustern Respekt oder verschwinde!“

Falkenherz spießte Rosentau mit ihren Blicken förmlich auf. „Sturmherz sagt nur das, was viele von uns auch gesagt haben! Es war Schwarzsterns Wille, ihm steht die Position als Anführer ebenfalls zu!“

„Aber wir haben uns dafür entschieden, Blaukralle zum Anführer zu wählen“, konterte Rosentau und legte so viel Lieblichkeit in ihre Stimme, dass sie zuckersüß zu tropfen schien.

Augenblicklich brach ein Stimmengewirr über den FeuerClan herein. Jeder wollte Partei ergreifen, vertrat lautstark seine Meinung. Fell wurde gesträubt, Ohren angelegt.

Blaustern fixierte Sturmherz mit einem unnachgiebigen Blick. „Ruhe!“ Seine Stimme besaß genügend Autorität, um selbst Falkenherz verstummen zu lassen. Er blinzelte nicht einmal, während er Sturmherz, seinen größten Widersacher, ansah. „Keiner von uns weiß, wieso Schwarzstern ausgerechnet dich ausgewählt hat. Doch Schwarzstern starb und du warst nicht da, um deinen Pflichten als Zweiter Anführer nachzugehen. Der SternenClan hat dich auf eine Mission geschickt, daran zweifle ich nicht, keiner zweifelt daran. Doch gleichzeitig hat der SternenClan dafür gesorgt, dass ich Anführer werden kann, als wäre es schon immer so vorbestimmt gewesen. Du hast nun die Wahl, dies zu akzeptieren oder den FeuerClan zu verlassen. Ich werde dich nicht aufhalten, wenn du gehen willst, doch der Clan untersteht mir.“

Sturmherz spürte, wie sein Herz zu zittern begann. Er wollte keine Schwäche zeigen, nicht jetzt, nicht vor Blaustern, doch dessen Worte verunsicherten ihn zutiefst. Hatte der SternenClan wirklich gewollt, dass Blaukralle Anführer wird? „Der SternenClan wird Schwarzsterns Wille respektieren und wissen, wer der wahre Anführer des FeuerClans ist.“

Blaustern gähnte gelangweilt. „Natürlich. Und genau deshalb hat mir der SternenClan meine neun Leben verliehen.“
 

***
 

Sturmherz hatte sich zurückgezogen, lag eingerollt in der hintersten Ecke vom Bau der Krieger. Wenigstens besaßen die anderen genügend Taktgefühlt und ließen ihm diesen Rückzugsort, zumindest für den Moment. Er wollte alleine sein, die Augen schließen und hoffen, dass alles wieder gut war, wenn er aus diesem Alptraum erwachte. Doch es war kein Traum. Schwarzstern war tot und Blaukralle war vom SternenClan zu Blaustern ernannt worden. Jeder im Clan konnte das bezeugen und die meisten störten sich nicht einmal daran. Sturmherz fühlte sich, als hätte er sein Zuhause verloren.

Milchkralle, Flockenherz und Fleckennase kamen mit besorgten Blicken zu ihm. Sie hatten ihn eine Weile alleine gelassen, doch nun drängten sie sich um ihn herum auf das weiche Moos.

„Ihr hättet mich vorwarnen können“, klagte er mich schwacher Stimme.

Milchkralle seufzte. „Das haben wir vorgehabt, aber Blaustern war schneller.“

„Blaustern … Also ist es wahr? Der SternenClan hat ihm wirklich neun Leben verliehen?“

Milchkralle nickte. Die anderen beiden schienen sie zur Wortführerin auserkoren zu haben und gesellten sich nur stumm dazu. „Ja, es ist die Wahrheit.“

Geknickt legte Sturmherz den Kopf wieder auf seine Vorderpfoten, ließ die Ohren und Augenlider hängen. „Dann … erzählt mir alles. Von Anfang an. Ich möchte wissen, was während meiner Abwesenheit geschehen ist.“

„Ja, natürlich. Wie du weißt, gab es schon bei deiner Abreise Spannungen im Clan. Viele fanden es nicht gut, dass du überhaupt gegangen bist, doch Schwarzstern hat jedem gesagt, dass es der Wille des SternenClans ist. Schwarzstern war geschwächt und seine Verletzungen machten ihm schwer zu schaffen. Wir alle haben uns Sorgen um ihn gemacht. Blaukralle, nun ja … Er hat sich wirklich gut um den Clan gekümmert. Niemand hat ihn darum gebeten, die Patrouillen zu organisieren, er hat es einfach getan. Morgens stand er als erster auf, abends ging er als letzter schlafen. Er hat Fuchspfote trainiert, jeden Tag für Frischbeute gesorgt und mehr getan als jeder andere. Dann kam die nächste Große Versammlung. Wir haben erfahren, dass auch Wacholderstern und Löwenzahnstern schwer verletzt waren. Silberstern hatte ein Leben verloren, doch ihr ging es vergleichsweise gut. Alle Clans waren verunsichert, wie es weitergehen würde. Und dann …“ Sie pausierte kurz. „Dann kamen die Zweibeiner.“

Sturmherz spürte, wie ihn dieses Wort aus seiner Lethargie riss. „Zweibeiner?“

Milchkralle nickte betrübt. „Zuerst waren es nur ein paar, doch sie blieben mehrere Tage, umrundeten den Heiligen Berg und hatten merkwürdige Metallmaschinen dabei, mit denen sie herumgespielt haben. Dann kamen mehr und sie brachten Metallmonster mit, mit denen sie sich unweit des LuftClans niedergelassen haben.“

„Sind sie immer noch dort? Was ist geschehen?“

„Sie fingen an, den Boden aufzureißen. Unmengen an Erde, bis große Hügel entstanden. Der LuftClan lebte in großer Angst und zog sich immer weiter an die Grenze zum WasserClan zurück. Eines Tages verschwanden die Zweibeiner wieder, doch die Heiler sagen, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis sie zurückkehren werden. Nessellicht hatte einen Traum, der ihr verraten hat, dass die Zweibeiner den Heiligen Berg zu ihrem Zuhause machen wollen. Sie werden den See vom LuftClan vergiften, den Wald zerstören und am Ende auf dem Heiligen Berg ihre Nester bauen.“

„Das ist … furchtbar! Wie geht es dem LuftClan jetzt?“

„Sie leben in großer Angst. Wacholderstern war verzweifelt und schloss sich erneut dem WasserClan an. Er sagte, dass der LuftClan sein Zuhause verloren hatte. Dann … starb Wacholderstern. Regenkauz sagt, dass mit ihm auch der LuftClan gestorben ist, deshalb hat sie nie ihre neun Leben beim SternenClan eingefordert. Sie leben nun beim WasserClan unter der Führung von Silberstern. Es gibt keinen LuftClan mehr.“

Sturmherz setzte sich auf die Hinterläufe und verzog das Gesicht. Er konnte sich nicht vorstellen, wie groß der Schock für Hummelschatten sein musste, wenn er das Gebiet seines Clans verwüstet vorfand und er herausfand, dass sich der LuftClan endgültig Silberstern und dem WasserClan angeschlossen hatte. Mit Sicherheit würde es Hummelschatten das Herz brechen. „Regenkauz hat also den Schwanz eingezogen und einfach hingenommen, dass Silberstern ihre neue Anführerin ist?“

„Das ist nicht so einfach, wie es vielleicht für dich klingt, Sturmherz“, tadelte Milchkralle ihn. „Alle Clans haben in den vergangenen vier Monden sehr schwere Zeiten durchlebt.“

Sturmherz kniff die Augen leicht zusammen. „Gut, wie du meinst. Was ist dann passiert?“

Milchkralle setzte sich gerade hin. „Löwenzahnstern hat durch den Blitzschlag ein Leben verloren, der Grüne Husten kostete ihn ein weiteres Leben. Niemand wusste, dass Löwenzahnstern dadurch sein letztes Leben lebte, aber er stellte sich den Zweibeinern mutig entgegen, als diese auch auf das Gebiet des ErdClans übergriffen. Unter Einsatz seines Lebens rettete er Lehmpelz und ihre Jungen, doch die Anstrengung war zu viel gewesen.“

Sturmherz schluckte schwer. „Nein …“

Sie nickte schwach. „Kirschliebe ist nun Kirschstern. Sie kündigte dem FeuerClan noch am Tag ihrer Ernennung zur Anführerin die Freundschaft, weil sie sagte, diese besondere Verbindung wäre nur an Löwenzahnstern und Schwarzstern geknüpft gewesen. Nun aber liege ihr Augenmerk darauf, einzig und alleine dem ErdClan und dessen Wohlergehen zu dienen.“

Fleckennase konnte sich ein Schnauben aus dem Hintergrund nicht verkneifen.

„Schwarzstern hat der Verlust seines Freundes schwer getroffen“, fuhr Milchkralle fort. „Er war nur noch ein Schatten seiner selbst und als er ebenfalls am Grünen Husten erkrankte, wusste er wohl, dass seine Zeit gekommen war. Kurz vor seinem Tod ernannte er Flockenpfote zu Flockenherz, dann schlief er nachts friedlich im Beisein von Fliederpfote ein. Das war vor etwas mehr als zwei Monden.“

„Und ich war nicht da, um ihm beizustehen – oder dem Clan.“

„Es war klar, dass der Clan nicht ohne Anführer bleiben konnte.“

„Das verstehe ich, aber … musste es wirklich so kommen?“ Diese Frage quälte Sturmherz schon die ganze Zeit. „Ich kann einfach nicht glauben, dass der SternenClan so gehandelt hat.“

„Wieso fragst du den SternenClan nicht einfach?“, brachte Flockenherz ein.

Alle blickten zu ihm.

„Wie meinst du das?“, fragte Milchkralle. „Sturmherz wird wohl kaum zur Mondhöhle spazieren können, um ein Pläuschchen mit dem SternenClan abzuhalten.“

„Wieso nicht?“

„Weil …“

„Ja, wieso eigentlich nicht?“, fragte nun auch Fleckennase und stand auf. „Du bist immer noch der von Schwarzstern gewählte Zweite Anführer. Der SternenClan ist dir zumindest eine Erklärung schuldig, meinst du nicht auch?“

Sturmherz war ebenfalls aufgestanden und spürte, wie ihn neue Energie durchströmte. „Ja, das finde ich auch. Und wenn Schwarzstern mir nicht antwortet, dann werde ich Mondstern fragen.“

Verwirrt blickte Milchkralle ihn an, ganz so, als hätte er gerade den Verstand verloren. „Mondstern?“

„Das ist eine lange Geschichte“, erwiderte Sturmherz ausweichend.

„Apropos lange Geschichte, was hat eure Mission ergeben? Schwarzstern sagte, ihr seid auf der Suche nach einer neuen Heimat für alle Clans.“ Aufgeregt blickte Fleckennase ihn an.

Sturmherz nickte. „Und die haben wir auch gefunden. Es ist … traumhaft. Perfekt. Ein riesiges Tal mit einem klaren See, Wäldern, Wiesen, weiten Ebenen an den steilen Berghängen und die Zweibeiner werden niemals dort hinkommen. Aber es ist einen ganzen Mond von hier entfernt. Wenn Rauchsturm nicht verletzt worden wäre, wären wir auch schon früher zurückgekehrt, dann hätte ich Schwarzstern vielleicht noch davon erzählen können und -“

Milchkralle unterbrach ihn. „Mach dir keine Vorwürfe, Sturmherz. Vielleicht sollte alles genau so kommen. Das kannst du den SternenClan persönlich fragen. Die Frage ist nur, wie wir dir den Rücken decken können, damit Blaustern nicht mitbekommt, dass du dich auf den Weg zur Mondhöhle machst.“

„Seit wann bist du so verwegen und handelst hinter dem Rücken deines Anführers?“, fragte er sie überraschend.

Sie bleckte die Zähne. „Ich bin weder für noch gegen Blaustern, nur damit das klar ist. Aber es würde dem gesamten Clan guttun, zu erfahren, wer nun der rechtmäßige Anführer ist. Und wenn dabei herauskommt, dass es Blaustern ist und du keinen Anspruch erheben kannst, dann ist das so.“

So war sie: sachlich, direkt und nicht immer taktvoll. Sturmherz nahm es ihr nicht krumm. „Ich möchte nicht länger der Grund dafür sein, dass der FeuerClan zerbricht.“

„Dann sorgen wir dafür, dass du zur Mondhöhle gehen kannst und wenn du wiederkommst, erzählst du uns allen, was der SternenClan gesagt hat.“ Milchkralle nickte ihm aufmunternd zu.

„Und im Anschluss daran schmierst du Blaustern bitte auf die Nase, dass immerhin du der Auserwählte vom FeuerClan warst, der unsere neue Heimat gefunden hat“, ergänzte Fleckennase grimmig. „Ich hoffe nur, dass bei der Reise dorthin alles gut gehen wird. Dachsfuß und die Kleinen …“

„Oh.“ Sturmherz fühlte sich schlagartig schuldig. Bei all dem Trubel hatte er vollkommen vergessen, dass sein bester Freund zwischenzeitlich Vater geworden war. „Oh! Fleckennase, ich … Es tut mir so leid, ich hätte dich noch danach gefragt!“

Fleckennases Ohren zuckten. „Ist schon gut, bei dem ganzen Stress kann das untergehen.“

„Das sollte es aber nicht! Wie geht es Dachsfuß und deinen Jungen? Du musst sie mir unbedingt so schnell wie möglich vorstellen!“

Ein stolzes Funkeln legte sich in Fleckennases Blick und er reckte die Brust hervor. „Sie sind wundervoll. Ich habe nie etwas Schöneres gesehen als meine eigenen Jungen.“

„Das sagen alle“, murrte Milchkralle augenrollend. „Sie sind eine Rasselbande, die einem den letzten Nerv rauben.“

Fleckennase schnaubte leise. „Sie können manchmal etwas anstrengend sein, aber ich liebe sie mehr als mein Leben und wehe, unsere neue Heimat wird ihnen nicht das Leben bieten, das sie verdient haben.“

„Beruhig dich“, sagte Sturmherz. „Ich werde euch alles darüber erzählen, wenn ich von der Mondhöhle zurück bin. Und im Gegenzug erzählt ihr mir alles, was ich sonst noch verpasst habe.“

„Abgemacht.“ Fleckennase stupste ihn freundschaftlich gegen die Seite. „Und ich warne dich vor, als ich meine Jungen das erste Mal alle auf einem Haufen gesehen habe, war ich kurz vor der Verzweiflung.“
 

***
 

„Sechs Junge? Und alles Mädchen?“

„Nicht so laut“, zischte Fleckennase. „Und ja, alle sechs sind weiblich. Ich dachte, ich spinne.“

„Womit hast du das verdient?“

Fleckennase gluckste belustigt. „Keine Ahnung. Aber Dachsfuß ist eine großartige Mutter und ich liebe sie nur von Tag zu Tag mehr.“ Die Bewunderung für seine Gefährtin konnte man ihm förmlich ansehen.

Sturmherz spürte irgendwo tief in seinem Inneren eine Art Neid, denn er wünschte sich, ebenfalls so eine tiefe Verbindung zu jemandem haben zu können. Nun, vielleicht war es auch möglich, immerhin war er aktuell kein Zweiter Anführer mehr und was passierte, wenn sich alle Clans auflösten, war ohnehin fraglich. Vielleicht war der SternenClan gnädig mit ihm und es war wirklich nicht schlecht, dass Blaustern nun der Anführer war. Trotzdem wollte er wenigstens ein letztes Mal mit Schwarzstern sprechen.

Seite an Seite huschten Fleckennase und er durch das Unterholz, während Milchkralle im Lager eine erneute Diskussion darüber, welche Position Sturmherz nach seiner Rückkehr im Clan haben sollte, anzettelte. Der Mond war durch dicke Wolken verdeckt, doch sie fanden ihren Weg auch so. Hin und wieder lauschten sie in die Stille hinein, um zu überprüfen, dass niemand zufällig ihren Weg kreuzte. Blaustern könnte es als Meuterei auffassen, wenn Sturmherz hinter seinem Rücken die Mondhöhle aufsuchte – ein Privileg, das normalerweise nur den Heilern und Anführern vorbehalten war.

Kurz vor der Grenze zum WasserClan entspannte er sich ein wenig. Er hoffte, dass der WasserClan mit den SeelenClan-Kriegern genug zu tun hatte und deshalb auf die nächtliche Patrouille verzichtete.

„Ich habe ihnen jeden Tag von dir erzählt“, flüsterte Fleckennase schließlich wieder. „Sie sind sehr aufgeregt und möchten dich unbedingt kennenlernen. Allerdings sehen sie Blaustern als ihren Anführer an. Sie kennen ja nur ihn.“

„Ich kann es ihnen nicht verübeln“, flüsterte Sturmherz zurück. „Wie heißen sie eigentlich? Du hast mir ihre Namen noch nicht verraten.“

Fleckennases Miene hellte sich schlagartig auf, wie immer, wenn er von Dachsfuß oder seinen Jungen sprach. „Sillberjunges, Graujunges, Birkenjunges, Rabenjunges, Schlangenjunges und Bärenjunges. Und alle sechs haben den Sturkopf und das Temperament ihrer Mutter geerbt. Nur Silberjunges scheint zumindest ein wenig nach mir zu kommen.“

„Dann hast du wirklich alle Pfoten voll zu tun“, witzelte Sturmherz, wurde kurz darauf jedoch wieder ernst. „Wir sind an der Grenze zum WasserClan. Ab jetzt müssen wir noch vorsichtiger sein. Lass uns einfach immer an der Grenze zur Wildnis bleiben und so schnell wie möglich vorwärtskommen.“

„Einen anderen Plan hatte ich sowieso nicht“, meinte Fleckennase.

Die beiden Freunde warfen sich noch einen letzten, langen Blick zu, dann rannten sie los und schauten nicht zurück.
 

***
 

Die Mondhöhle war anders, als Sturmherz sie sich vorgestellt hatte. Zu seiner großen Verwunderung hatten sie problemlos ihren Weg gefunden und waren ohne Unterbrechungen dem Fluss durch das Gebiet des WasserClans gefolgt. Im Anschluss daran ging es noch einige Minuten lang durch die Wildnis, bis der Wasserfall zu hören war, hinter dem sich die Mondhöhle befand. Sturmherz hatte zwar nicht unbedingt die besten Erinnerungen an Wasserfälle, doch dieser hier gab ihm Hoffnung und ein Gefühl von Sicherheit, das er seit seiner Ankunft im FeuerClan vermisst hatte.

Der Wasserfall war nur wenige Fuchslängen hoch und da die Oberkante viel weiter in den kleinen Teich hineinragte, war es keine Schwierigkeit, hinter dem Wasserfall an einem schmalen, feuchten Steinweg entlang in die Höhle zu gelangen. Moose und Flechten wuchsen an Wänden und Böden, Wasser tropfte von der Decke.

Fleckennase blieb unruhig am Eingang stehen. „Ich werde nicht mit reingehen. Das steht mir nicht zu.“

Sturmherz nickte seinem Freund knapp zu. „Ist gut. Dann warte dort vorne auf mich. Wenn jemand kommt, kannst du mich rufen oder wecken.“

„Hoffen wir einfach, dass alles reibungslos läuft.“ Fleckennase bemühte sich um einen ruhigen Gesichtsausdruck, doch er war zu aufgekratzt dafür. „Alles Gute dort drinnen.“

„Danke, für alles.“ Dann drehte Sturmherz sich wieder um und schlich vorsichtig in die Dunkelheit der Höhle hinein.

Die Höhle war nicht sonderlich groß und er konnte sich nicht vorstellen, dass vier Heiler hier drin Platz fanden, ohne sich gegenseitig zu berühren. Trotzdem fühlte er sich sogleich geborgen und legte sich in die Mitte auf den kalten, harten Boden. Das gleichmäßige Rauschen des Wassers machte ihn schläfrig. Er wehrte sich nicht gegen die bleierne Müdigkeit in seinen Knochen, sondern ließ sich einfach forttragen, bis aus Schwarz langsam Blau wurde.

Er hatte Mondstern erwartet, doch sie war nicht da. Niemand war da. Sturmherz saß alleine in der Höhle, vor deren Eingang das Wasser auf einmal einem leuchtenden, silbernen Vorhang glich, der alles erhellte. Er wollte aufstehen, doch sein Körper gehorchte ihm nicht. Im ersten Moment überkam ihn Panik, doch dann zwang er sich zur Ruhe, atmete gleichmäßig ein und aus. Der SternenClan hatte ihn bereits empfangen, also konnte es nicht falsch sein, dass er hergekommen war. „Hallo?“

Der Wasserfall gab keine Geräusche von sich, plätscherte einfach vor sich hin, leuchtete mal mehr und mal weniger stark.

Sturmherz kniff die Augen zusammen und starrte durch das Wasser hindurch. Im nächsten Augenblick zuckte er erschrocken zusammen, denn das Wasser schien sich aufzulösen, wurde zu Nebel, umhüllte ihn und füllte die gesamte Mondhöhle aus. Der Nebel brannte in seinen Augen, stieg ihm in Mund und Nase, schien sich durch seinen Körper zu fressen, bis zu seinem Herzen. Er wollte aufschreien, doch er konnte nicht, bekam keine Luft mehr, fühlte, wie er erstickte. Benommen sank sein Kopf auf den Boden, alles war verschwommen. Eisige Kälte ergriff von seinem Körper Besitz. Hinter dem Wasserfall sah er die unendlichen Weiten des Sternenvlieses.

Die Blumenwiese an einem sonnigen Sommermorgen riss ihn aus seiner Starre, brachte ihn in das Leben zurück.

Er sah auf, schaffte es, mit letzter Kraft seinen Kopf zu heben. „Mondstern?“

Ihre strahlend weiße Gestalt schälte sich aus dem silberblauen Licht und schwebte dort, wo sich bis vor kurzem noch der Wasserfall befunden hatte. „Sturmherz, du bist hier, weil die Verwirrung dein Herz ergriffen hat.“

Sturmherz nickte schwach. „Ich habe alles getan, was der SternenClan wollte … was du wolltest. Ich bin zu eurer Mission aufgebrochen und bei meiner Rückkehr musste ich feststellen, dass Schwarzstern nicht mehr lebt und Blaukralle zum Anführer geworden ist. Er ist jetzt Blaustern und … ich frage mich … ob das wirklich richtig ist.“

Mondstern schien in sich hinein zu lächeln, doch auch Traurigkeit schwang in ihrer Stimme mit, als sie wieder zu reden begann. „Die Zeit am Heiligen Berg ist vorüber. Die neue Heimat und der SeelenClan warten auf euch. FeuerClan, WasserClan, ErdClan und LuftClan werden nicht mehr sein. Was einst zusammengehörte, muss wieder zusammenfinden, um daraus neu geboren zu werden.“ Einen Moment lang pausierte sie, trat einen Schritt auf ihn zu, ehe sie wieder stehen blieb. „Die Zeiten der Dunkelheit werden vorübergehen.“ Mondsterns Augen begannen zu leuchten.

Ein Gefühl der Wärme ergriff Sturmherz, füllte ihn bis in die Schwanzspitze aus, gab ihm neue Kraft und Energie. Es fühlte sich an, als würde die Sonne seinen Körper berühren. Er streckte sich dieser Wärme entgegen, lechzte danach, sie auszukosten, solange es ging.

„Ich gebe dir das Leben der Wahrheit, um zu erkennen, wer du wirklich bist.“ Sobald Mondstern diese Worte ausgesprochen hatte, verblasste sie und schwebte in den Hintergrund zurück, wo sie mit dem Sternenvlies verschmolz.

An ihre Stelle trat Honigblüte, die ihn mit keckem Ausdruck musterte. „Ich gebe dir das Leben der Liebe, um dein Herz entscheiden zu lassen.“

Sturmherz spürte, wie sein Herz mit einem Mal zu bersten drohte. Er schnappte nach Luft, sah Schneewolke vor seinem inneren Auge aufblitzen, ihre weichen Konturen, die himmelblauen Augen. So schnell, wie ihr Antlitz gekommen war, verschwand es auch wieder und als das sehnsüchtige Brennen in seinem Herzen verglomm, war auch Honigblüte verschwunden.

Stattdessen schlug der süße Schmerz der Sehnsucht in ein unerträgliches Stechen um, das Sturmherz beinahe von den Pfoten riss. Er keuchte, atmete schwer, sah hinauf zu Haselschweif, dessen Gestalt auf ihn herabblickte.

„Ich gebe dir das Leben der Ausdauer, um in der neuen Heimat bestehen zu können.“ Zum Abschied winkte er ihm kurz mit seinem buschigen, rostroten Schwanz zu.

Wieder traf ihn der Schmerz wie aus dem Nichts. Herbstfleck schwebte im Licht des SternenClans, ihr Blick distanziert, aber streng. „Ich gebe dir das Leben der Selbstlosigkeit, um dich für die Schwächsten einzusetzen.“ Dann verblasste sie.

Sturmherz wappnete sich für die nächste Schmerzattacke, doch stattdessen fühlte er sich auf einmal leicht und unbeschwert.

Ahornseele tänzelte aus dem silberblauen Licht hervor, strahlte ihn an und ihre leuchtend grünen Augen machten ihm schmerzlich bewusst, wie sehr er die junge Katze seit ihrem Tod vermisst hatte – beinahe so sehr, wie er Schneewolke seit ihrer Trennung vor wenigen Stunden vermisste. „Ich gebe dir das Leben der Freundschaft, um niemals zu vergessen, auf wen du dich am meisten verlassen kannst.“ Leichtfüßig sprang sie nach vorne, berührte seine Nase mit ihrer, ehe auch sie verblasste.

Dort, wo sie noch vor wenigen Herzschlägen geschwebt hatte, saß nun ein winziges Junge, das ihn aus halb geschlossenen Augen anschaute. „Ich gebe dir das Leben des Schutzes, um diejenigen beschützen zu können, die du am meisten liebst. Und … sag meiner Mama, dass es mir gut geht! Grüß meine Brüder von mir!“

Sturmherz sah Bilder von Schneeflügel aufblitzen, dazu Flockenherz, Frostzahn und Schattenflamme, als sie als Junge den Bärenangriff überlebt hatten. Überrascht blickte Sturmherz zu Lichtjunges, den er selbst nie gesehen hatte. Er wirkte so klein und zerbrechlich, doch als Lichtjunges verschwand, überrollte Sturmherz erneut eine Welle des Schmerzes. Mit zittrigen Muskeln hielt er sich halbwegs aufrecht und starrte in das Licht des SternenClans hinaus.

Löwenzahnstern strahlte selbst im Tod die Autorität eines wahren Anführers aus. „Ich gebe dir das Leben der Treue, um auch in den dunkelsten Zeiten nicht vom Pfad abzukommen.“ Löwenzahnstern nickte ihm gebieterisch zu, ließ sich zum Abschied jedoch zu einem flüchtigen Zwinkern hinreißen.

Und dann – endlich – stand Sturmherz wieder seinem Anführer gegenüber. „Schwarzstern“, wisperte er erleichtert. „Endlich …“

Schwarzstern sah nicht mehr kränklich oder verletzt aus, als er im silbrigen Licht schwebte. Sein Blick fing den von Sturmherz ein und beim nächsten Herzschlag hatte Sturmherz das Gefühl, eine Erinnerung seines Anführers zu durchleben.

Er sah Blaustern in jungen Jahren, viel jünger, wahrscheinlich sogar noch ein Schüler. Mutig, zielstrebig, dem Clan loyal ergeben. Schwarzstern beobachtete ihn aus der Entfernung.

„Blaupfote steht Großes bevor“, sagte Honigblüte, ebenfalls noch sehr jung, vielleicht gerade erst eine Heilerin geworden. „Auch wenn er nicht fehlerfrei ist.“

„Wer ist das schon?“

Honigblüte wiegte ihren Kopf leicht hin und her. „Er hat das Herz eines Kriegers, doch noch fehlt ihm etwas – oder eher jemand. Sein Gegenstück zum Gleichgewicht. Sie werden wie Eis und Feuer sein. Wie Blitz und Donner. Wie Windstille und Sturm.“

„Jeder Anführer muss seine eigene Prüfung bestehen“, sagte er. „Blaupfote hat noch einen weiten Weg vor sich.“

„Ja, das hat er. Aber er ist zum Anführer geboren, Schwarzstern. Das ist der Wille des SternenClans.“

Schwarzstern nickte bedächtig, beinahe schon ehrfurchtsvoll. „Wenn er eines Tages Anführer wird, werde ich ihm das Leben der Gerechtigkeit und der Vergebung geben. Das ist es, was ihm fehlt: Gerechtigkeit und Vergebung, damit aus Feinden Freunde werden.“

Die Erinnerung verschwand, Sturmherz blinzelte und fand sich wieder Schwarzstern gegenüber. „Ich gebe auch dir das Leben der Gerechtigkeit und der Vergebung, um aus einem Feind einen Freund zu machen. Sei weise, Sturmherz, ich lege das Erbe meines Clans in die Pfoten von euch beiden.“

Sturmherz wollte noch etwas sagen, doch er wusste nicht was, also nickte er stumm und sah zu, wie Schwarzstern verschwand.

Acht Leben hatte er bereits vom SternenClan erhalten, das letzte Leben fehlte ihm.

Das Licht des SternenClans fing an zu verblassen, das Sternenvlies entfernte sich und Sturmherz hatte das Gefühl, als würde ihn etwas innerlich zerreißen.

Aus weiter Ferne schwebte das neunte Licht heran, formte einen grau getigerten Körper, einen Krieger, den Sturmherz nicht zuordnen konnte. Verwirrt blickte er ihn an.

Der Kater verzog das Maul zu einer amüsierten Fratze, dazu ein schelmischer Blick, den er von irgendwoher kannte. „Ich gebe dir das Leben der Erinnerung, um niemals zu vergessen, dass die Heimat aller Clans in ihrer Verbundenheit liegt.“ Er nickte ihm gütig zu. „Und nun wird es an der Zeit für dich, zurückzukehren und zu vollenden, was mir nie gelungen ist. Meine vollste Dankbarkeit gehört dir und ich werde für immer in deiner Schuld stehen. Generation um Generation habe ich darauf gewartet, dass die Clans wieder in Frieden vereint werden können. Selbst dann, als mein Körper längst zu Asche zerfallen war, brannte dieser Wunsch so tief in meinem Herzen, dass ich nicht aufhören konnte, am Heiligen Berg auszuharren. Der SternenClan band mich an die kränkliche, irdische Hülle der Verzweiflung und mir blieb nichts anderes übrig als auf Erlösung zu warten – für mich und für alle Clans.“ Erneut nickte er ihm zu und pure Dankbarkeit erstrahlte in seinen goldenen Augen. „Geh und führe die Clans an den See, Sturmstern.“

Sturmstern … Das klang so fremd und dennoch erfüllte es seine Brust mit Stolz und einem unbeschreiblichen Gefühl von Macht und Güte. Er spürte, wie sich die Welt des SternenClans bereits zu entfernen begann.

„Aber tu mir noch einen persönlichen Gefallen, ja?“, sagte der SternenClan-Kater und schenkte ihm zum Abschied und ziemlich vertrautes Keckern. „Stell dich dabei zur Abwechslung mal nicht wie ein Schneckenhirn an.“

„Lügner! Wie kannst du es wagen!“ Blausterns Schwanz war auf die doppelte Größe aufgeplustert. Mit wütendem Blick stapfte er auf Sturmstern zu, jederzeit dazu bereit, ihm an die Kehle zu springen. „Erst schleichst du dich aus dem Lager davon, dann ziehst du Milchkralle und Fleckennase in deine Intrigen hinein, du betrittst unerlaubterweise die Mondhöhle hinter dem Wasserfall und nun behauptest du, der rechtmäßige Anführer des FeuerClans zu sein? Jede einzelne dieser Taten wäre Rechtfertigung genug, um dich für immer aus dem Clan zu verbannen!“

Totenstille herrschte im Lager. Jeder einzelne Blick war auf Sturmstern gerichtet, der mit durchgestreckten Schultern in der Mitte des Lagers saß und nicht einmal mehr daran dachte, Blaustern das Feld kampflos zu überlassen.

Blaustern machte einen weiteren, drohenden Schritt auf ihn zu.

„Stopp! Vater, hör auf!“

Die Köpfe drehten sich herum, fixierten nun Fliederpfote, die schwer atmend durch den Eingang des Lagers gerannt kam.

„Halt dich da raus, Fliederpfote. Sturmherz ist ein Verräter und ich werde ihm seiner Strafe zuführen.“

Sie streckte ebenfalls die Schultern durch und stellte sich mit erhobenem Kopf zwischen die beiden Anführer. Dann atmete sie einmal tief durch. „Nein.“

Überraschtes Murmeln, schockierte Blicke, aufgebrachtes Knurren – all das vermischte sich schlagartig zu einer Hintergrundkulisse, die den Sonnenaufgang untermalte. Selbst Eisbart warf Sturmstern einen ablehnenden Blick zu, von Rosentau ganz zu schweigen.

„Was?“ Blaustern starrte seine Tochter an. „Fliederpfote, geh zur Seite.“

„Vater, hör mir zu …“

„Geh zur Seite!“

Zimtfeder schälte sich aus der Masse an Kriegern und Schülern heraus. „Blaustern! Hör auf das, was dir deine Tochter, die zukünftige Heilerin unseres Clans, zu sagen hat!“

Wiederwillig unterdrückte er ein Knurren.

Fliederpfote warf ihrer Mutter einen flüchtigen, aber dankbaren Blick zu, dann drehte sie sich wieder zu ihrem Vater um. „Sturmstern sagt die Wahrheit.“

Ihre Worte schienen zum zweiten Mal an diesem Morgen sämtliche Luft aus dem Lager des FeuerClans zu ziehen.

Blaustern legte die Ohren an und riss dabei die Augen auf. „Unmöglich!“ Seine Stimme war ein geschocktes Wispern.

Fliederpfote nickte betont ruhig. „Ich kann die neun Leben in seinem Herzen sehen. Der SternenClan hat Sturmherz zu einem Anführer gemacht. Sein Name lautet Sturmstern.“

Falkenherz fing sich als erste und stieß einen euphorischen Freudenlaut aus. „Ha! Ich habe euch immer gesagt, dass Schwarzstern wollen würde, dass Sturmherz … Sturmstern sein Nachfolger wird!“ Die Älteste plusterte ihr langes, rotes Fell auf.

Eisbart sträubte sein Nackenfell. „Aber Blaustern hat auch neun Leben erhalten. Fliederpfote, was hat das zu bedeuten?“

„Das bedeutet das, was der SternenClan uns allen bereits vor Monden angekündigt hat, damals, als Sturmstern und die drei anderen zu ihrer Mission aufgebrochen sind. Die Zeit am Heiligen Berg ist vorbei. Die Clans können nicht länger bestehen und müssen sich in einer neuen Heimat neu sortieren.“ Dann drehte sie sich zu Sturmstern um und nickte ihm respektvoll zu. „Sturmstern, jetzt ist der richtige Zeitpunkt, um dem FeuerClan zu berichten, was eure Mission ergeben hat.“

Sturmstern erwiderte ihr Nicken ebenso respektvoll. „Ich danke dir, Fliederpfote. Der SternenClan hat uns einen Mond lang auf Reise geschickt. Wir mussten viele Gefahren überstehen, was uns sehr verbunden hat. Am Ende unserer Reise fanden wir ein riesiges Tal mit einem großen See, in dem wir alle in Frieden leben können. Dort gibt es keine Zweibeiner, keine Bären, nur uns und den SeelenClan.“

Erneut ging ein ungläubiges Raunen durch den Clan.

„Erst müssen wir miterleben, wie die Clans zerbrechen, und nun willst du uns weismachen, es gäbe den SeelenClan wirklich?“ Herbstwolke wippte nervös hin und her. „Das ist zu viel für mich! Wir können den Heiligen Berg nicht verlassen! Wir … Wir … Wir haben Älteste! Und Junge! Wieso kann nicht einfach alles beim Alten bleiben?“

„Wieso verbannen wir Sturmstern nicht einfach, dann soll er sich beim SeelenClan als Anführer aufspielen!“, giftete Rosentau gehässig, doch niemand ging auf ihre Bemerkung ein.

Blaustern starrte seinen Rivalen noch immer mit zusammengepresstem Mund an, ehe er sich einmal schüttelte und dann seine Fassung zurückerlangte. „Schluss damit!“ Seine Stimme ließ alle anderen sofort verstummen. „Ich … Ich glaube dir, was die Mission angeht und dass wir an diesem See eine neue Heimat finden werden. Ihr alle seht doch selbst, dass die Zweibeiner den Heiligen Berg für sich beanspruchen. Wir wissen alle, dass es so nicht weitergehen kann. Heute Nacht, bei der Großen Versammlung, werden alle Clans ein letztes Mal zusammenkommen und darüber entscheiden, wie es weitergehen soll. Ich danke dir dafür, dass du die Mission des SternenClans erfüllt hast, doch ich werde dir niemals meinen Clan überlassen. Kein Clan braucht zwei Anführer.“ Blaustern atmete tief durch und mit jedem Atemzug nahm seine Autorität wieder weiter zu. „Und aus diesem Grund ist im FeuerClan nicht länger ein Platz für dich, Sturmstern.“
 

***
 

Sturmstern lag auf den Wurzeln der großen Eiche, die früher ein Symbol für das Wohlergehen aller vier Clans gewesen war. Nun war sie nichts weiter als ein ausgebrannter Stamm. Sturmstern dachte an den Blitzschlag zurück, mit dem das Schicksal aller Clans besiegelt worden war. Er war zwar nun ein Anführer, aber ein Anführer ohne eigenen Clan. Welche Bedeutung hatten seine neun Leben dann überhaupt noch?
 

***
 

Mit der Abenddämmerung erwachte Sturmstern aus einem traumlosen Schlaf. Er streckte sich und sah kurz darauf die vier Gesandten des SeelenClans auf ihn zukommen. Wenigstens sie hielten weiterhin zu ihm.

„Du siehst aber ziemlich mitgenommen aus“, kommentierte Graszunge sofort spitzzüngig und gähnte dabei.

Seestein hatte einen milderen Blick für ihn übrig. „Wir kommen gerade vom FeuerClan. Dort ist das pure Chaos ausgebrochen. Man hat uns kaum Gehör geschenkt.“

Blaufeder nickte seufzend. „Dein Abgang muss wirklich großartig gewesen sein. Blaustern hat größte Mühe, den Clan noch länger zusammen zu halten. Ein Teil möchte sich dir anschließen, aber die Mehrheit steht hinter Blaustern. Trotzdem kann niemand behaupten, dass er es gut findet, wie die Situation gerade ist.“

Minzläufer stupste Sturmstern aufmunternd an. „Kopf hoch, das wird schon wieder. Es muss so kommen, sonst wären die Clans nicht frei, um sich später am See neu aufzuteilen. Nur wenn sich jeder von seinen alten Clanwurzeln befreit, kann etwas Neues daraus wachsen.“

„Nur wieso muss das ständig auf meinem Rücken ausgetragen werden?“, klagte Sturmherz und kniff für einen Moment einfach nur die Augen zu. Als er sie wieder öffnete, war noch immer alles beim Alten.

„Unserem Clan ergeht es doch nicht anders. Ihr habt davon während eures Aufenthalts nur nichts mitbekommen, aber viele wollen nicht, dass sie ihr gewohntes Leben aufgeben müssen. Ich bin mir auch nicht sicher, ob Bisonmähne und Goldstreif sich euch einfach ergeben werden.“ Seestein seufzte und ließ seinen cremefarbenen, buschigen Schwanz hängen. „Zumindest ist Goldstreif dein Vater, also könntest du ihn vielleicht davon überzeugen, ruhig zu bleiben, falls es zu Problemen kommen sollte.“

„Und wieder bleibt es an mir hängen“, grollte Sturmstern missmutig. Er stand auf, streckte sich und trabte ein paar Schritte. „Bald werden die anderen kommen. Diese letzte Versammlung wird alles entscheiden. Ich würde vorher gerne noch einen Moment alleine sein, um den Kopf frei zu bekommen.“

Die anderen sahen sich nachdenklich an, nickten dann jedoch. „Natürlich. Wir kommen später wieder.“ Seestein erhob sich zuerst, die anderen folgten ihm wortlos.

Nachdem Sturmstern wieder alleine war, tigerte er ruhelos auf und ab. Es gab noch so viel, was geklärt werden musste. Er musste unbedingt mit Milchkralle und Fleckennase reden und natürlich mit Schneewolke, die ihm irgendetwas Wichtiges mitteilen wollte. Außerdem hatte er noch immer nicht Fleckennases Jungen gesehen. Jetzt war er endlich wieder mit seinen Freunden und seinem Clan vereint und dennoch von ihnen getrennt.
 

***
 

Der gesamte WasserClan ergoss sich wie ein See über das Plateau. Silberstern sah müde aus und hatte nicht länger die streitlustige Aura, die Sturmstern sonst von ihr gewohnt war. Muschelzahn lief neben ihr her, dahinter folgten sämtliche Katzen aus dem WasserClan und dem ehemaligen LuftClan.

Hummelschatten löste sich aus der Menge, sobald sich alle vor den Überresten der Eiche niedergelassen hatten. Er starrte schlecht gelaunt nach links und rechts, ehe er sich mit grimmigem Blick neben Sturmstern setzte, der etwas abseits auf Schneewolke wartete. „Mir gefällt das nicht. Regenkauz hat den LuftClan einfach aufgegeben. Sieh nur, was aus dem stolzen LuftClan geworden ist. Wir folgen Silberstern.“

„Du weißt doch, dass sich ohnehin alle Clans auflösen werden.“

„Aber nicht so“, sagte Hummelschatten. „Als ich gegangen bin, waren die Jungen meiner Schwester die Zukunft des LuftClan. Nun sind sie bald Schüler im WasserClan. Nein, das gefällt mir ganz und gar nicht.“

„Hummelschatten, bitte beruhige dich. Es ist schon schlimm genug. Sobald wir alle am See sind, werdet ihr selbst entscheiden können, welchem Anführer ihr folgt.“

Hummelschattens Ohren zuckten. „Stimmt. Und das wird nicht Silberstern sein. Aber Blaustern und Kirschstern? Nein danke.“

„Dann …“, sprach Sturmstern etwas langsamer, „kommt doch zu mir.“

Hummelschatten drehte den Kopf zu seinem Freund herum. Ihm lag ein Spruch auf der Zunge, doch dann wartete er ab, bis seine Augen groß wurden. „Du machst keinen Scherz“, stellte er überrascht fest. „Ich wusste ja, dass Schwarzstern gestorben ist, aber Blaustern ist doch sein Nachfolger?“

„Ja, aber der SternenClan hat mir vergangene Nacht ebenfalls neun Leben verliehen. Schwarzstern hat gesagt, dass er sowohl mir als auch Blaukralle ein Leben geschenkt hat. Und dann war da noch Seelenstern. Er hat mir mein letztes Leben gegeben.“

„Seelenstern?“ Hummelschattens Groll schien wie weggeblasen zu sein. Er hüpfte zurück auf seine Pfoten und tänzelte aufgeregt auf der Stelle. „Beim SternenClan, du machst wirklich keinen Scherz! Sturmherz, du bist …“

„Sturmstern, ja.“

„Sturmstern!“, flüsterte Hummelschatten ehrfurchtsvoll, doch keine Sekunde später war er wieder ganz er selbst. „Na das sind mal Neuigkeiten, die sich gewaschen haben. Das rückt natürlich alles in ein ganz anderes Licht. Seelenstern ist erlöst und er hat dir höchstpersönlich dein letztes Leben verliehen, ganz so, als würde er dir damit den SeelenClan vermachen. Wenn du mich entschuldigen würdest, ich muss mit Kleesonne und den anderen reden.“

„Nein, warte“, hielt er ihn auf. „Es werden gleich sowieso alle erfahren, also erzähl es bitte nicht vorschnell rum.“

„Na schön. Aber nur, weil du es bist. Weiß Schneewolke schon davon?“

„Nein.“

„Dann solltest du es ihr schnellstmöglich sagen. Da vorne kommt sie. Ich lasse euch jetzt alleine.“ Er zwinkerte Sturmstern zu und eilte mit schnellen Schritten zurück zu seiner Schwester, deren Gefährten und ihren Kindern Goldjunges, Schwalbenjunges und Nachtjunges, die kurz davor waren, zu Schülern ernannt zu werden.

Sturmstern war sich sicher, dass Hummelschatten diese Neuigkeiten nicht für sich behalten konnte, aber so war sein Freund nun einmal. Seufzend drehte er sich zu Schneewolke um, die vor ihm zum Stehen kam und ihn aus ihren großen, himmelblauen Augen fasziniert anblickte.

„Habe ich das richtig gehört? Du bist Anführer?“

„Hast du uns belauscht?“

„Nein“, erwiderte sie, doch ihr Blick sagte etwas anderes. „Nun ja, vielleicht ein kleines bisschen. Also hat Seelenstern dir eines deiner Leben verliehen. Das ist … großartig. Ich freue mich wirklich sehr für dich.“

Sturmstern betrachtete ihr hübsches Gesicht, die kristallklaren Augen, in denen er sich verlieren konnte, doch etwas stimmte nicht mir ihr, das sah er ihr an. „Was ist los?“

Sie grub die Krallen in den Erdboden. „Nichts.“

„Schneewolke“, versuchte er es erneut, dieses Mal sanfter. „Bitte, sag mir, was dich bedrückt. Du wolltest doch, dass wir uns vor der Versammlung treffen?“

Einen Moment sah es so aus, dass sie ihren Widerstand nicht aufgeben würde, doch dann seufzte sie und kuschelte sich eng an ihn.

Sturmstern versteifte sich. Die ersten Blicke lagen bereits auf ihnen. „Die anderen sehen uns.“

„Das ist mir egal, es werden sowieso bald alle erfahren.“ Als sie ihren Blick hob, schwammen Tränen in dem himmlischen Blau. „Sturmstern, ich dachte, wenn wir gemeinsam am See ankommen, wird alles anders. Ich dachte, wir könnten zusammen sein, richtig zusammen, und eine Familie gründen. Aber nun … Du bist Anführer geworden, du wirst einen eigenen Clan führen, sobald wir in der neuen Heimat sind. An deiner Seite ist kein Platz mehr für mich. Für … uns.“

„Was redest du da! Schneewolke, meine Gefühle für dich ändern sich doch nicht, nur weil ich Anführer geworden bin. Ich werde immer für dich da sein.“

„Aber Anführer dürfen keinen Gefährten und keine Jungen haben.“

„Das weiß ich, aber wir finden einen Weg. Schneewolke, Liebste, mein Herz wird immer nur dir gehören, egal was passiert.“

Sie schnurrte glücklich. „Und ich werde dich immer lieben, Sturmstern! Ich werde dir folgen, egal wohin uns diese Reise führen wird. Und … wir werden eine Familie.“

Er leckte ihr tröstlich über den Kopf, was nur noch mehr Blicke auf sich zog, allen voran die von Silberstern, Eisschatten und Donnertaucher. Es war ihm egal, dass nun alle offen sehen konnten, dass Schneewolke und er ein Paar waren. Sie gehörten zusammen, sie hatten so viel gemeinsam erlebt und wenn die Clans in der neuen Heimat am See eine neue Chance erhielten, wieso dann nicht auch Schneewolke und er? Sein Herz gehörte nur ihr alleine und daran würde sich niemals etwas ändern.

„Nein, du verstehst nicht.“ Schneewolke schaute ihn aus großen, treuen Augen an. „Sturmstern … Gewitterschweif sagt, es dauert nur noch etwa einen Mond. Wir kriegen Junge.“
 

***
 

Sturmstern saß am Fuße der Eiche und es war ihm egal, wie giftig die Blicke aus dem WasserClan waren, die man ihm zuwarf. Es war ihm egal, dass Blaustern weiterhin gegen ihn hetzte und herumposaunte, dass er das Gesetz der Krieger gebrochen hatte, als er sich mit Schneewolke aus dem WasserClan eingelassen hatte und sie nun sogar Junge erwartete – von ihm, einem Anführer, dem es verboten war, eigenen Nachwuchs zu zeugen. Alles hatte an Bedeutung verloren, denn ihn erfüllte eine ruhige Glückseligkeit, die mit nichts auf der Welt zu vergleichen war.

Er wurde Vater.

Schneewolke war seine Gefährtin und sie bekamen in etwa einem Mond Nachwuchs, genau dann, wenn die Clans ihre neue Heimat erreichten. Es würde sehr anstrengend für sie werden, doch Schneewolke war zäh, sie würde es durchhalten, da war er sich sicher.

Alles begann sich auf einmal in ein großes Bild für ihn zu fügen und er war glücklich, einfach nur glücklich, zumindest für den Moment.

„Also stimmt es?“ Fleckennase saß schräg vor ihm in erster Reihe. „Dann alles Gute für euch! Dachsfuß und ich stehen hinter dir, Sturmstern.“

Blaustern warf ihm einen vernichtenden Blick zu. „Das will ich überhört haben.“

„Nein, das kannst du ruhig ganz genau hören, Blaustern“, erwiderte Fleckennase trotzig. „Die Clans lösen sich sowieso auf und als Sturmstern die Junge gezeugt hat, waren Schneewolke und er auf ihrer Mission unterwegs. Für mich bedeutet das, dass sie in einer besonderen Situation und außerhalb der normalen Clangefüge unterwegs waren.“

„Was nichts daran ändert, dass er Zweiter Anführer war und gegen die Regeln verstoßen hat!“, zischte Blaustern.

Flockenherz, der neben Fleckennase saß, plusterte sich auf. „Ich halte auch zu Sturmstern!“

„Zu dem Zeitpunkt, als Sturmstern Junge gezeugt hat, war er bereits von dir aus seinem Amt verdrängt worden. Er war nicht mehr unser Zweiter Anführer, weil du längst Anführer warst, Blaustern“, kommentierte nun auch Falkenherz aus dem Hintergrund. „Für mich bedeutet das, dass er nicht gegen das Gesetz der Krieger verstoßen hat.“ Das Murmeln rollte wie eine Welle über alle Clans hinweg.

Sturmstern suchte Schneewolkes Blick in der Menge. Sie saß zwar in der Nähe des WasserClans, doch an ihrer Seite waren nur Otterpelz und Hummelschatten. Silberstern würde sie aus dem Clan verbannen, wenn sie nicht ohnehin alle zum Tal des SeelenClans aufbrechen würden, so viel war klar.

Kirschstern räusperte sich. Sie war für eine Katze aus dem ErdClan wirklich ausgesprochen klein. „Hiermit eröffne ich die Versammlung. Ruhe bitte. Lasst uns das Protokoll wahren.“ Als keiner reagierte, verengte sich ihr Blick leicht. „Ruhe!“

Nur langsam verstummten die Stimmen und alle Aufmerksamkeit richtete sich auf die vier Anführer vor den Überresten der alten Eiche.

„Geht doch“, sagte sie. „Nun denn. Ich denke, wir alle wissen, warum wir hier sind. Die Zweibeiner nehmen uns unsere Heimat am Heiligen Berg weg und es ist der Wille des SternenClans, dass wir in der weiten Ferne, einen ganzen Mond der mühseligen Reise entfernt, eine neue Heimat im Tal des SeelenClans finden sollen. Rauchsturm hat mir ausführlich davon berichtet und ich spreche im Namen des ganzen ErdClans: Wir haben uns dazu entschlossen, diese Reise anzutreten. Allerdings habe ich eine Bedingung. Wie mir zu Ohren gekommen ist, besitzt der SeelenClan ein großes Rhododendronlager, so wie wir auch. Aus diesem Grund beanspruche ich bereits am heutigen Tag dieses Lager und das umliegende Waldgebiet für uns.“

Zustimmendes Gemurmel aus den Reihen des ErdClans.

Silberstern legte ihre Ohren für einen Augenblick lang an, ehe sie Kirschstern von der Seite musterte. „Verehrte Kirschstern, ich glaube nicht, dass jetzt der Zeitpunkt dafür ist, Forderungen zu stellen.“

„Oh doch, liebe Silberstern. Entweder der ErdClan erhält das größte und beste Lager oder wir werden euch nicht zum See begleiten. So einfach ist das.“

Blaustern knurrte leise vor sich hin.

Auch Sturmstern fand es nicht gut, wie Kirschstern argumentierte. „Wenn ich dazu etwas sagen dürfte“, begann er ohne darauf zu warten, dass Kirschstern ihm das Wort überließ. „Außer Schneewolke, Hummelschatten, Rauchsturm, den anwesenden SeelenClan-Kriegern und mir kennt niemand die örtlichen Begebenheiten unserer neuen Heimat. Es wäre fahrlässig, nun darüber zu entscheiden, wem welches Gebiet zusteht, zumal wir nicht außer Acht lassen dürfen, dass dort noch immer der SeelenClan lebt. Wir sollten uns darauf konzentrieren, uns während der bevorstehenden Reise gegenseitig zu unterstützen und zu helfen, anstatt bereits jetzt erneute Zwietracht zu säen. Wenn wir am See angekommen sind, wird Lichtblut, die Heilerin des SeelenClans, uns bereits erwarten. Geben wir ihr das letzte Wort.“

Seestein erhob sich einfach aus der Menge und trat vor, sehr zur Verärgerung von Kirschstern. „Ihr redet hier über unsere Heimat, die Heimat das SeelenClans. Es war der Wille vom großen Seelenstern, dass alle Clans in unserem Tal vereint leben sollen. Doch nicht ihr trefft die Entscheidung, zu uns zu kommen, sondern wir erlauben es euch. Vergesst nicht, dass die Streitereien zwischen euren Clans schlussendlich dazu geführt haben, dass ihr nun an diesem Punkt angekommen seid.“ Er drehte den Anführern den Rücken zu, um nun vor allen anderen frei sprechen zu können. „Der WasserClan leidet seit Generationen unter schlechtem Blut und nur eine Vermischung mit den anderen Clans wird eure Nachkommen noch retten können. Der LuftClan hat seinen Anführer verloren und ist ebenfalls so ausgedünnt, dass nur neues Blut noch eine Rettung sein kann. Der FeuerClan ist in tiefstem Herzen entzweigerissen worden und wird niemals mehr ein Ganzes sein können. Und der ErdClan, der sich stets bemühte, sich aus den Angelegenheiten der anderen Clans herauszuhalten, wird sich wohl eingestehen müssen, dass er hier alleine in unmittelbarer Gesellschaft der Zweibeiner nicht fortbestehen kann. Alle fünf Clans sind Teil eines Ganzen. Wir alle müssen die Clangrenzen hinter uns lassen und am See werden wir alle einen Neuanfang starten. Streit und Missgunst haben während unserer Reise keinen Platz. Nur gemeinsam sind wir stark, sonst werden wir es nicht schaffen.“

Nun erhoben sich auch Blaufeder, Minzläufer und Graszunge, die sich hinter Seestein aufstellten.

Seestein ließ seinen Blick zunächst über die vier Anführer hinter sich, dann wieder über alle versammelten Clankatzen gleiten. „Wir sind als Vertreter des SeelenClans zu euch gekommen, um euch im Namen von Lichtblut in unserer Heimat am See willkommen zu heißen. Die Zeit der Clans am Heiligen Berg ist endgültig vorbei.“ Wieder pausierte er kurz. „Ihr kennt nun die Bedingungen. Bei Sonnenaufgang brechen wir von der nördlichen Grenze auf. Es ist eure freie Entscheidung, uns zu begleiten oder hier bei den Zweibeinern zu bleiben, doch seid euch einer Sache bewusst: Wir werden auf niemanden warten.“ Er nickte in die breite Runde hinein. „Sonnenaufgang. Keinen Herzschlag später.“

Als geschlossene Gruppe marschierten die vier SeelenClan-Krieger davon.

Hinter ihnen brach das Chaos aus.
 

***
 

Sturmstern wusste nicht, wie sich Blaustern und der Rest des FeuerClans entscheiden würden. Alles, was er tun konnte, war das Beste zu hoffen.

Schneewolke war auch nach der Versammlung nicht mehr von seiner Seite gewichen und machte damit deutlich, dass sie ernst meinte, was sie vor der Versammlung zu ihm gesagt hatte. Sie hielt zu ihm, egal was passierte. Nun lag sie eingerollt zwischen den Wurzeln eines Ahorns und tankte Kraft für die kommenden Strapazen.

Sie befanden sich an der nördlichen Grenze des FeuerClans, aber noch ein paar Minuten gemächlichen Fußmarsches von dem Treffpunkt mit Seestein und der Grenze zum WasserClan entfernt. Bis Sonnenaufgang würde es nicht mehr lange dauern, eine halbe Stunde vielleicht, und umso unruhiger wurde Sturmstern.

Dann, endlich, hörte er das erste Rascheln im Unterholz und auch Schneewolke öffnete gähnend ihre Augen.

Flockenherz marschierte geradewegs auf seinen ehemaligen Mentor hinzu. „Da bin ich.“

Dankbarkeit überkam Sturmstern, denn dass Flockenherz nun vor ihm stand, bedeutete nicht weniger, als dass er sich gegen Blaustern entschieden hatte. Er nickte Flockenherz zu. „Danke. Was ist mit den anderen? Wie hat sich der Clan entschieden?“

Flockenherz kratzte sich hinter dem Ohr. „Wir werden euch begleiten. Anfangs haben sie noch viel miteinander diskutiert, doch mehr und mehr sprachen sich dafür aus und auch Blaustern hat eingesehen, dass wir neben den Zweibeinern nicht lange bestehen können.“

„Und wenn ihr alle mitkommt, wieso bist du dann schon hier?“

„Na weil ich mir nicht die Chance entgehen lassen wollte, Blaustern auf die Nase zu binden, dass für mich du mein Anführer bist“, erwiderte er mit einem schelmischen Funkeln in den Augen. „Fleckennase, Dachsfuß und ihre Jungen werden auch gleich da sein.“

Kaum hatte er das gesagt, raschelte es auch schon wieder. Begleitet von dem aufgeregten Maunzen der etwas mehr als drei Monde alten Jungen kamen Fleckennase und Dachsfuß in Sicht. Sie sah wild entschlossen aus, während Fleckennase eher besorgt wirkte und Mühe hatte, seine sechs Töchter beieinander zu halten. Die lange Reise würde eine sehr große Belastung für sie alle sein, aber noch mehr für die Jüngsten von ihnen.

Die wuselige Mannschaft kam vor Sturmstern zum Stehen.

„Das ist Sturmstern“, erklärte Fleckennase seufzend. „Mein bester Freund, von dem ich euch immer erzählt habe.“

Augenblicklich starrten sechs blaue Augenpaare, in denen sich allmählich die echte Augenfarbe abzuzeichnen begann, zu Sturmstern hinauf. Fleckennases Töchter warfen ihm schüchterne, aber bewundernde Blicke zu.

Dachsfuß hustete betont vor sich hin. „Eigentlich sind sie nicht so zurückhaltend.“

„Sie verstehen nicht, warum wir unser Zuhause verlassen müssen“, erklärte Fleckennase. „Ich hoffe, dass wir alle gesund an dem See ankommen werden.“

Sturmstern nickte ihnen aufmunternd zu. „Ich werde mein Bestes geben.“ Doch auch er machte sich Sorgen, wenn er ehrlich war. Fleckennases Töchter waren erst etwas mehr als drei Monde alt. Sie waren langsamer als Schüler oder Krieger, brauchten mehr Pausen und waren anfälliger für Verletzungen. Aber sie mussten es einfach schaffen.

Nach und nach versammelte sich auch der restliche FeuerClan und Sturmstern war froh, dass alle mitkommen wollten. Zuletzt kam Blaustern. Er würdigte Sturmstern erst keines Blickes und schickte den Clan schon zum Treffpunkt vor. Als sie alleine waren, fixierte er Sturmstern. „Ich hoffe für dich, dass das Tal mit dem See das hält, was du und die SeelenClan-Krieger uns versprochen haben.“

„Das wird es.“

Eine Weile standen sie sich einfach nur schweigend gegenüber, bis sich der Himmel leicht zu verfärben begann und den Sonnenaufgang ankündigte.

Sturmherz atmete tief durch. „Blaustern, es tut mir leid, wie es zwischen uns von Anfang an gelaufen ist. Schwarzstern hat nie gewollt, dass wir uns als Feinde oder Rivalen ansehen.“

Blaustern erwiderte mit ebenso ruhiger Stimme: „Wir werden sehen.“

Dann drehten sie sich zeitgleich um und gingen zu den anderen.

Aus vier Clans war eine große Masse von Katzen geworden, an deren Spitze Seestein und die anderen aus dem SeelenClan standen. Noch blieben die Clan-Katzen eher unter sich, dicht aneinandergedrängt, mit ängstlichen Blicken und nervös zuckenden Ohren, weil die Reise ins Unbekannte bevorstand. Doch die Jüngsten unter ihnen legten ihre Schüchternheit schnell ab, beschnupperten sich und nahmen alles wie ein großes Abenteuer in sich auf.

Sturmstern freute der Anblick, der sich ihm bot. Falkenpfote und Spechtpfote, die jungen Schüler aus dem ErdClan, die erst kurz zuvor zu Schüler ernannt worden waren, begrüßten Goldjunges, Schwalbenjunges und Nachtjunges. Zwischen ihnen sprangen Fleckennases Töchter umher, immer mit ihren Eltern im Nacken, die auf sie aufpassten.

Keine einzige Katze hatte sich dazu entschieden, am Heiligen Berg zu bleiben.

Sturmstern durchquerte die Sammelstelle und als er Seestein erreichte, waren auch Rauchsturm, Hummelschatten und Schneewolke wieder an seiner Seite. Sie alle blickten sich einige Herzschläge lang an, dann nickten sie sich zu. Es gab nichts mehr, worauf es sich zu warten gelohnt hätte. Ein letzter Blick über die Schulter, in den Wald hinein, der seinem Leben einen Sinn und seinem Herzen ein Zuhause gegeben hatte.

Mit den Sonnenstrahlen vor Augen marschierten sie los, eine Einheit, ein großer Clan, Seite an Seite, keine Grenze dazwischen.

Ihre Zukunft lag vor ihnen.

Es gab kein Zurück.

Sturmstern hatte damit gerechnet, dass sich schon nach dem ersten Tag ihrer langen Reise Ernüchterung breitmachen würde, doch dem war nicht so. Niemand beschwerte sich, nicht einmal Fleckennases Töchter, die begriffen, wie wichtig es war, diese Reise durchzuhalten. Keiner wollte Schwäche zeigen, doch nachdem sie eine gute Woche unterwegs waren, sank die Begeisterung für die neue Heimat auf den Nullpunkt. Sie hatten nicht einmal die Hälfte des Weges hinter sich gebracht und nur Sturmstern, Schneewolke, Hummelschatten, Rauchsturm und den vier SeelenClan-Kriegern war es zu verdanken, dass niemand rebellierte, auch wenn immer häufiger Beschwerden laut wurden.

Eines Abends klagte Rosentau: „Woher wissen wir überhaupt, dass ausgerechnet Sturmstern, der Verräter am FeuerClan, der Blaustern beinahe seinen Clan streitig gemacht hätte, das Sagen haben soll?“ Aber niemand ging darauf ein, nicht einmal Blaustern, der seine Mutter mit einem strengen Blick zurechtwies. Daraufhin erwiderte sie angesäuert: „Wenn doch nur Fuchsauge noch leben würde, er wäre vom SternenClan dazu auserwählt worden.“ Erneut verpufften ihre giftigen Sticheleien im Nichts.
 

***
 

In der zweiten Woche hatte sich eine langsame Gleichmäßigkeit eingeschlichen. Bei Sonnenaufgang bedienten sich alle vom Frischbeutehaufen, die die Nachtwächter kurz zuvor gejagt hatten. Anfangs war noch jeder Clan unter sich geblieben, doch von Tag zu Tag vermischten sie sich immer mehr, teilten ihre Beute miteinander und jagten auch für die, die aus anderen Clans stammten. Anschließend liefen sie, bis die Sonne ihren höchsten Punkt erreichte, und legten eine Rast ein. Danach liefen sie wieder bis Sonnenuntergang pausenlos weiter, gleichmäßig und mit niedriger Geräuschkulisse. Mehr als ein trauriges Seufzen oder ein erschöpftes Murmeln war niemals zu hören.

Erst gegen Abend, wenn sie alle einen geschützten Platz als Nachtlager teilten und Seite an Seite einschliefen, entspannten sie, teilten die Zunge und unterhielten sich leise über die Zeiten am Heiligen Berg. Die Heiler liefen eifrig umher und halfen denen, die Schmerzen vom Laufen oder der zunehmenden Hitze am Tag hatten. Oft erzählten die Ältesten aus ihrer Zeit als Schüler und Krieger, teilten Geschichten aus vergangenen Zeiten, die sich anfühlten, als würden sie weit zurückliegen, auch wenn es gerade einmal ein halber Mond war. Doch wenn sie erzählten, lag keine Wehmut in ihrer Stimme, sondern Fröhlichkeit, die alle anderen ansteckte, bis sie müde einschliefen.
 

***
 

Sie kamen langsamer voran als damals, als sie nur zu viert waren, doch mit einer halben Woche Verspätung erreichten sie den Wasserfall, der Rauchsturm so viel Unheil beschert hatte. Dabei fiel Sturmstern auf, dass Milchkralle immer häufiger die Nähe von Seestein, dem cremefarbenen Krieger aus dem SeelenClan, suchte. Seestein behandelte sie allerdings wie jeden anderen auch.

Unter Schneewolkes Kommando planten sie einen ganzen Tag ein, um das Gebiet zu umrunden und denen, die zu alt, zu jung oder zu erschöpft waren, den gefährlichen Abstieg zu ersparen. Am Ufer des Flusses, der ein gutes Stück ausgetrocknet war, legten sie eine verfrühte Pause ein, um anschließend das Gewässer zu durchschwimmen. Was dem WasserClan erfahrungsgemäß keine Mühe bereitete, fiel den anderen Clans schwer, doch es war ausgerechnet Silberstern, die das Eis zwischen ihnen endgültig brach.

„Gib mir deine Tochter, ich werde sie tragen“, sagte sie zu Dachsfuß, die gerade mit Silberjunges am Ufer stand und ermutigend auf ihre Tochter einredete.

Sogleich sprangen fünf weitere Krieger aus dem WasserClan ein und jeder von ihnen packte eines der Jungen im Nacken, um sie auf diese Weise den ganzen Weg mit nach oben überstrecktem Kopf zu tragen.

Es waren diese kleinen Momente der Hilfsbereitschaft und Nähe, die dafür sorgten, dass sie immer mehr zusammenhielten.

Dankbar nahmen Fleckennase und Dachsfuß am anderen Ufer ihre Töchter wieder in Empfang.

Silberjunges schaute Silberstern mit großen Augen bewundernd an. „Sie ist so toll!“, flüsterte sie ehrfurchtsvoll. Niemand widersprach ihr – etwas, was noch vor einem Mond im FeuerClan undenkbar gewesen wäre.
 

***
 

Der nächste Vollmond kam Anfang September, als sie die unteren Hänge der massiven Gebirgskette erreichten, hinter der das Tal des SeelenClans auf sie wartete. Gemeinsam saßen sie alle in einem großen Halbkreis auf einer Lichtung im Wald und schauten zu den Heilern und Anführern, die vor ihnen Platz genommen hatten.

„Auch wenn wir nicht mehr am Heiligen Berg sind, so lasst uns die Tradition der Großen Versammlung fortführen“, eröffnete Silberstern die Versammlung. „Ihr fragt euch vielleicht, aus welchem Grund wir euch zusammengerufen haben. Einen ganzen Mond lang sind wir bereits unterwegs und wie uns die Krieger aus dem SeelenClan versichern konnten, werden wir in einigen Tagen unser Ziel erreichen. Wir wissen nicht, was genau uns in der neuen Heimat erwarten wird, doch wir alle haben gesehen, wie sich drei Junge seit Beginn unserer Reise geschlagen haben.“ Sie nickte Goldjunges, Nachtjunges und Schwalbenjunges anerkennend zu.

Nun ergriff Kirschstern das Wort, wenn auch distanzierter als Silberstern. „Ihr seid bereits sechs Monde alt und wenn es den LuftClan noch gäbe – möge Wacholderstern in Frieden beim SternenClan ruhen –, dann hätte man euch längst zu Schülern ernannt.“

Aufgeregtes Murmeln machte sich über alle Clans hinweg breit. Die drei Jungen, um die es ging, strafften angespannt ihre Schultern, doch die zuckenden Ohren und peitschenden Schwänze verrieten ihre wortlose Aufregung.

Regenkauz, die ehemalige Zweite Anführerin des LuftClans, senkte beschämt den Blick. Es musste ihr sehr schwer fallen, ihren Clan aufgegeben zu haben, auch wenn sie nur das Beste wollte – und das war zu jenem Zeitpunkt gewesen, dass sie sich Silberstern und dem WasserClan vollständig anschlossen.

Silberstern fuhr fort: „Da ihr vor unserer Abreise in meinem Clan gelebt habt, möchte ich euch nun unter diesem Vollmond feierlich zu Schülern ernennen. Goldjunges, Nachtjunges und Schwalbenjunges, ihr seid nun sechs Monde alt und es ist an der Zeit, um mit eurer Ausbildung zu beginnen. Von diesem Tag an, bis diese Schüler sich ihre Kriegernamen verdient haben, werden sie Goldpfote, Nachtpfote und Schwalbenpfote heißen. Ich bitte den SternenClan, über diese Schüler zu wachen, bis sie in ihren Pfoten die Kraft und den Mut eines Kriegers finden.“

Überrascht und stolz steckten die drei die Köpfe zusammen und nahmen die Glückwünsche ihrer Eltern Kleesonne und Windjäger an.

Silberstern räusperte sich. „Wir wissen zwar nicht, wer von uns am Ende noch im gleichen Clan leben wird, doch ich vertraue darauf, dass Nessellicht, Gewitterschweif und ich die bestmöglichen Mentoren für euch ausgesucht haben, die euch auch in Zukunft in der neuen Heimat betreuen können. Regenkauz, du bist bereit, erneut Verantwortung für deinen zukünftigen Clan zu übernehmen und wirst die Mentorin von Nachtpfote sein. Sandblitz, du bist stark und mutig und wirst die Mentorin deines Enkels Goldpfote sein. Hummelschatten, du bist bereit für deinen ersten Schüler und wirst der Mentor von Schwalbenpfote sein. Ich bin davon überzeugt, dass ihr euer Wissen an eure Schüler weitergeben werdet.“

Hummelschatten war ganz überrumpelt, freute sich jedoch sehr und berührte die Nase seines Neffen mit der eigenen. Ebenso berührten Sandblitz und Regenkauz die Nasen ihrer Schüler. Alle Anwesenden stimmten in die Jubelrufe mit ein und begrüßten die neuen Schüler mit ihren Namen.

Zum ersten Mal seit langer Zeit herrschte eine ausgelassene Stimmung, die sich durch nichts trüben ließ – eine Stimmung, die sie bis an ihr Ziel führen sollte.
 

***
 

Das Tal des SeelenClans lag wie eine idyllische Oase in die wilden Berge gebettet dar. Es war September und die schlimmste Hitze der Blattgrüne war bereits vorüber. Unzählige Tage hatten sie sich gemeinsam gequält und nun erreichten sie mit schmerzenden, geschwollenen Pfoten endlich ihre neue Heimat. Eine Welle der Erleichterung trug sie die steilen Berghänge hinab bis zum Waldrand, an dem Lichtblut sie bereits erwartete. Kurz darauf ergossen sie sich wie eine Welle in das Lager des SeelenClans unterhalb des riesigen Rhododendron-Geflechts.

Schneewolke schmiegte sich erschöpft an Sturmsterns Seite und vergrub ihr Gesicht in seinem Fell. „Wir haben es geschafft“, wisperte sie leise. „Wir sind angekommen und alle haben überlebt. Dem SternenClan sei Dank.“

Sturmstern leckte seiner Gefährtin beruhigend über den Kopf. Sie stand kurz vor der Geburt, es konnte jeden Moment losgehen.

Auch Lichtblut war die Verfassung der alten Bekannten nicht entgangen. „Ich kümmere mich um dich, sobald ich alle begrüßt habe.“

Schneewolke nickte ihr dankbar zu. „Was ist mit den anderen aus dem SeelenClan? Wieso ist niemand hier?“

„Ich habe sie an den See fortgeschickt, um dort zu warten, bis ich sie rufen lasse. Ihr habt einen weiten Weg hinter euch. Ein Schritt nach dem anderen. Es dauert nicht lange, Liebes. Warte hier auf mich.“ Dann sprang Lichtblut auf einen höherliegenden, dicken Ast und blickte auf die versammelten Clan-Katzen herab. „Katzen des Heiligen Bergs!“

Das müde Gemurmel verschwand und alle Blicke richteten sich auf sie.

„Im Namen des SeelenClans heiße ich euch in unserem Tal willkommen. Ich bin Lichtblut, die Heilerin. Ich kann mir nicht vorstellen, wie unendlich groß der Schmerz in euren Herzen über den Verlust eurer geliebten Heimat sein muss. Doch seid unbesorgt. Es ist der Wille des SternenClans, dass wir hier an diesem See gemeinsam einen neuen Anfang finden. Ich sehe euch an und stelle fest, dass es keine Trennung zwischen den Clans mehr gibt. Seite an Seite habt ihr gleichberechtigt euren Weg zu uns gefunden. Ich sehe Junge, die eure Zukunft hier am See sichern werden. Ich sehe Schüler, die bereit sind, diese neue Heimat zu erkunden. Ich sehe Krieger, die bald mit uns aus dem SeelenClan vereint sein werden. Ich sehe Älteste, die die Geschichten des Heiligen Berges an die nächste Generation weitertragen. Ich sehe Heiler, die nie an dem Willen des SternenClans gezweifelt haben. Ich sehe die vier Anführer, die uns alle führen werden. Aber ich sehe noch sehr viel mehr. Ich sehe Freundschaft, Liebe, Loyalität, Hilfsbereitschaft, Kameradschaft und Hoffnung. Vergesst niemals die Verbundenheit aller Clans, denn wir alle stammen von dem großen Clan ab, der sich einst in fünf Clans aufteilte.“

Noch immer schauten alle ganz gebannt zu Lichtblut hinauf, die ihren ausgefransten Schwanz über ihre Pfoten gelegt hatte.

„Ich bin keine Anführerin und doch werde ich euch bis zum nächsten Vollmond in das Leben am See führen. Bis dahin werden wir wie ein großer Clan leben und dann treffen wir bei der Großen Versammlung auf der Sandbank am Seeufer alle die Entscheidung darüber, welchem Anführer wir folgen wollen. Und ihr, die zukünftigen Anführer der SeeClans, werdet euch den Respekt und die Loyalität eines jeden Clanmitglieds verdienen müssen. Wählt mit Bedacht, in welchem Gebiet am See ihr leben wollt – aber wählt ohne Streit. Das gleiche gilt für jeden von euch. Lernt den SeelenClan und das Tal kennen und dann entscheidet ihr alleine, welchem Anführer ihr folgen wollt. Wir Heiler werden demjenigen folgen, den unser Herz und der SternenClan für richtig erachten. Und nun … genug davon. Seestein, sei so lieb und hol den Rest von uns dazu. Es wird Zeit, endlich alle fünf Clans zu vereinen.“
 

***
 

Die Zeit verging wie im Flug. Tagsüber erkundeten sie das Gebiet rund um den See, nachts schliefen alle gemeinsam in dem großen Lager, das nun zum Bersten gefüllt war, aber niemand störte sich daran, nicht einmal die SeelenClan-Krieger.

Eulenpfote und Elchpfote freundeten sich sehr schnell mit Bienenpfote, Fuchspfote, Falkenpfote, Spechtpfote, Goldpfote, Nachtpfote und Schwalbenpfote an und spielten auch hin und wieder mit Fleckennases Töchtern. Die Ältesten tauschten Geschichten miteinander aus und – natürlich – gab es das eine oder andere emotionale Wiedersehen.

Taubschatten hielt sich an seine Ankündigung und mied Silberstern zunächst, doch die Verbundenheit mit seinen Verwandten aus dem WasserClan ließ sich nicht verbergen. Immer häufiger saß er mit seinen alten Clan-Gefährten zusammen und als Silberstern ihn für seine Verbannung um Verzeihung bat, nahm er ihre Entschuldigung – wenn auch zögerlich – an. Silbersterns umgängliches Verhalten überraschte den einen oder anderen, doch niemand sprach darüber.

Bisonmähne und Goldstreif waren nur noch zu zweit anzutreffen. Sie hielten sich mit grimmiger Miene zunächst aus dem Clanleben heraus, doch von Tag zu Tag kristallisierte sich mehr heraus, dass sie im ehemaligen ErdClan Anschluss fanden.

Sturmstern konnte es nur recht sein, denn er wollte weder mit seinem Vater Goldstreif noch mit dessen Bruder etwas zu tun haben.

Lichtblut nahm derweil Fliederpfote unter ihre Fittiche und man merkte der Heilerschülerin deutlich an, wie erleichtert sie darüber war, endlich wieder eine Heilerin als festen Ansprechpartner zu haben. Rauchschatten, Nessellicht und Gewitterwolke begleiteten die beiden häufig quer durch das Tal, um alle Plätze kennen zu lernen, an denen sich die Kräuter, Beeren und Moose befanden, die sie in Zukunft brauchen würden.

Selbst die Feindseligkeit, die im FeuerClan gegenüber Sturmstern geherrscht hatte, verschwand allmählich wieder. Eines Abends lag Sturmstern zwischen seinen ehemaligen Clangefährten und einigen Kriegern aus dem SeelenClan. Er schaute hinauf in das Geflecht des Rhododendrons, doch der Sternenhimmel drang hier nicht bis zu ihnen durch. Dennoch hatte er das Gefühl, dass der SternenClan genau jetzt auf sie alle herabsah. Unzählige Generationen hatten am Heiligen Berg gelebt, doch erst jetzt war die Zeit des Friedens im Tal des SeelenClans angebrochen. Mit einem wohligen Gefühl schlief er ein.
 

***
 

„Sturmstern! Sturmstern, komm schnell, es geht los!“

Schläfrig öffnete er seine Augen und blinzelte in Fliederpfotes Gesicht, die ihn mit der Pfote angestupst hatte. „Was geht los …“

Sie knurrte leise. „Steh endlich auf! Schneewolke liegt in den Wehen!“

Schlagartig war er hellwach, sprang auf und musste aufpassen, die schlafenden Krieger um ihn herum nicht zu wecken. „Jetzt? Bist du sicher?“

Fliederpfote sah ihn an, als hätte er den Verstand verloren. „Natürlich. Komm jetzt. Sie ist im Bau der Königinnen. Lichtblut und Gewitterschweif sind schon bei ihr, aber sie möchte, dass du auch da bist.“

Er nickte. Aufregung ergriff seinen gesamten Körper. Es war Halbmond und in zwei Wochen würden sie ihre neuen Reviere und die neuen Clans aufteilen, doch das alles spielte nun keine Rolle mehr. Schneewolke bekam Junge – seine Kinder!

Gerade als er sich in Bewegung setzen wollte, hob Blaustern etwas abseits den Kopf und schaute zu ihnen herüber.

Sturmstern blieb stehen und erwiderte den Blick.

Einen Moment lang starrten sie sich einfach nur schweigend an, ehe Blaustern ihm leicht zunickte. „Ich wünsche dir und Schneewolke für eure Jungen alles Gute. Vater zu sein wird deine Verantwortung dem Clan gegenüber auf ein neues Level heben. Es … werden die ersten Jungen sein, die hier am See geboren werden. Das ist etwas Besonderes. Du … bist etwas Besonderes. Ich habe nie verstanden, wieso es immer du sein musstest. Der SternenClan und diese Reise haben mir ein wenig die Augen geöffnet. Es tut mir aufrichtig leid, was zwischen uns vorgefallen ist, Sturmstern, und ich hoffe, unsere Clans werden noch lange in Frieden leben können.“

Er erwiderte das Nicken, überrascht von Blausterns Worten. „Ich danke dir. Wir werden sehen, was die Zukunft uns bringen wird.“

„Das werden wir.“

Er folgte Fliederpfote durch das schmale Geäst in einen tief im Rhododendron liegenden Hohlraum, in den kaum noch ein Lichtstrahl drang. Weiches Moos bildete ein gemütliches Bett, auf dem nun Schneewolke lag und unruhig atmete.

„Sturmstern?“

„Ich bin hier.“ Er blieb am Eingang der Höhle stehen, doch Lichtblut winkte ihn in dem Dämmerlicht mit ihrem Schwanz heran.

„Setz dich hier drüben hin, neben sie. Sie möchte dich bei sich haben. Und nun wird alles gut, Schneewolke. Atme ruhig weiter. Gewitterschweif, Fliederpfote und ich sind bei dir. Es kann nichts Schlimmes passieren.“

Schneewolke nickte und kniff keuchend die Augen zusammen, als die erste Schmerzwelle sie überkam.
 

***
 

„Hiermit erkläre ich die erste Große Versammlung der neuen Clans für eröffnet.“ Lichtblut saß auf einem der flachen Steine auf der breiten, steinigen Sandbank, die das Ufer von der Landzunge trennte, die in der Blattgrüne die Otterinsel mit dem Ufer verband. Um sie herum saßen alle Katzen in einem breiten Halbkreis und blickten zu ihr, den anderen Heilern und den vier Anführern hinauf. Es war Anfang Oktober und der Blattfall näherte sich mit großen Schritten. Die Blätter färbten sich rotgolden und ließen das gesamte Tal erstrahlen.

„Der Moment der Entscheidung ist gekommen, in dem jeder wählen muss, welchem Clan er fortan zugehörig sein möchte. Doch bevor dies geschieht, möchte ich euch mitteilen, wie wir uns bezüglich möglicher HalbClan-Junge entschieden haben. Weiterhin wird es ein Bruch mit dem Gesetz der Krieger sein, wenn man sich mit jemandem aus einem anderen Clan einlässt, doch die Jungen sollen nicht länger darunter leiden. Es steht ihnen frei, im Alter von drei bis sechs Monden zu wählen, welchem der Elternclans sie beitreten möchten. Die Eltern müssen allerdings Buße dafür tun. Ihnen drohen Schande und der Verlust des Respekts, den sie sich erst mühsam wieder erarbeiten müssen. Es liegt in den Pfoten der Anführer, zu entscheiden, welche Strafe sie in dem jeweiligen Fall für angemessen halten, doch eine Verbannung sollte nur noch der letzte Ausweg sein.“ Einen Moment pausierte sie. „Und nun lasst uns beginnen, weshalb ihr alle hier versammelt seid.“

Sturmstern hatte sich am Abend zuvor mit Kirschstern, Silberstern und Blaustern getroffen. Zu seinem Erstaunen hatten sie die Aufteilung rund um den See ohne Probleme und Diskussionen vornehmen können. Nun war es an der Zeit, auch den anderen von ihrer Entscheidung zu berichten.

Silberstern ergriff als älteste Anführerin zuerst das Wort: „Ich, Silberstern, wähle die weiten Wiesen, die steilen Berghänge und den Gebirgsbach östlich des Sees zu meinem neuen Revier und das dortige Höhlensystem zu meinem Lager. Ich gelobe, dem Gesetz der Krieger treu zu dienen. Fortan wird der BergClan für Intelligenz, Geschick und Schnelligkeit stehen. Muschelzahn wird weiterhin mein Zweiter Anführer sein.“ Es war klug von Silberstern, sich für die Berghänge und die Wiesen zu entscheiden, denn auf diese Weise vereinte sie Merkmale der ehemaligen Reviere vom WasserClan und LuftClan miteinander.

Kirschstern plusterte ihren kleinen Kragen auf. Sie war die zweitälteste Anführerin. „Ich, Kirschstern, wähle die dichten Wälder südlich des Sees zu meinem neuen Revier und das große Rhododendrongeflecht zu meinem Lager. Ich gelobe, dem Gesetz der Krieger treu zu dienen und sicherzustellen, dass die Gesandten und Heiler jedes Clans am Vollmond und Halbmond unbeschadet bis zur Landzunge und der Otterinsel gelangen können. Fortan wird der WaldClan für Stärke, Tradition und Wachsamkeit stehen. Kieferkralle wird weiterhin mein Zweiter Anführer sein.“ Kirschsterns Clan hatte nicht nur die Landzunge und die Otterinsel mit der Mondquelle in ihrem Gebiet, sondern auch weit südlich den Bergkamm, der das Tal des SeelenClans mit dem riesigen Tal verband, an dessen Ende das große Zweibeinernest lag. Ihr Clan würde es zuerst mitbekommen, falls sich Zweibeiner ihrem Tal näherten. Dennoch schwang ihren Worten eine Schärfe mit, die man früher bei Löwenzahnstern nie zu hören bekommen hätte. Einst stand der ErdClan für den Clan der sanften Riesen, doch Kirschstern war streitlustiger und kompromissloser als ihr Vorgänger.

Als nächstes war Blaustern an der Reihe. „Ich, Blaustern, wähle die lichten Wälder und saftigen Wiesen mit den kleinen Bächen westlich des Sees zu meinem neuen Revier und den alten Dachsbau zu meinem Lager. Ich gelobe, dem Gesetz der Krieger treu zu dienen. Fortan wird der WiesenClan für Loyalität, Mut und Zielstrebigkeit stehen. Rindentänzer wird weiterhin mein Zweiter Anführer sein.“

„Und ich, Sturmstern, wähle die sumpfigen, blumigen Wiesen und Wälder, den Wasserfall und die stürmische Ebene nördlich vom See zu meinem Revier und die dicht miteinander verwachsenen Fichten, Kiefern und Ahorne zu meinem Lager. Ich gelobe, dem Gesetz der Krieger treu zu dienen. Fortan wird der SumpfClan für Tapferkeit, Mäßigung und Gerechtigkeit stehen. Seestein wird mein Zweiter Anführer sein.“

All Anwesenden atmeten einmal tief durch. Sie wussten nun, welcher Anführer welches Gebiet gewählt hatte und wer für welche Werte stehen wollte. Nun lag es an jedem selbst, zu entscheiden, welchem Clan er sich anschließen wollte.

Zunächst erhoben sich die Zweiten Anführer und setzten sich neben ihre Anführer.

Sturmstern warf Seestein einen flüchtigen Blick von der Seite zu. Sie beide verband mittlerweile eine gute Freundschaft, trotzdem hatte er einige Tage gebraucht, um Seestein dazu zu überreden, sein Zweiter Anführer zu werden. Schlussendlich hatte der SeelenClan-Krieger jedoch zugestimmt und Sturmstern war froh darüber, da auf diese Weise auch jemand aus dem SeelenClan eine wichtige Position in einem der neuen Clans innehatte.

Anschließend standen die Heiler und Fliederpfote auf.

Tigerfuß, der alte Heiler des ErdClans, räusperte sich. „Ich habe in meinem langen Leben bereits viel gesehen, aber die heutige Versammlung ist etwas Besonderes. Machen wir uns nichts vor, ich bin schon sehr alt und der SternenClan wird mich vermutlich bald zu sich holen. Doch bis es soweit ist, werde ich mich wie gehabt Kirschstern anschließen.“ Sein Blick wanderte weiter zu Rauchsturm. „Ich bin sehr froh über die Wahl meines Schülers, der schon bald mein Erbe antreten wird.“

Rauchsturm schluckte schwer. „Sag nicht so etwas.“ Auch einige andere aus dem ehemaligen ErdClan pflichteten dem bei. „Auch ich werde mich Kirschstern und dem WaldClan anschließen.“ Gemeinsam mit Tigerfuß setzte er sich neben Kirschstern.

Für Sturmstern kam es nicht überraschend, wie die beiden Heiler sich entschieden hatten. Dennoch sah er wehmütig zu Rauchsturm. Er verstand sich so gut mit dem jungen Heiler, der sowohl das Herz eines Heilers als auch das Herz eines Kriegers in seiner Brust vereinte. Der WaldClan und der SumpfClan würden die entgegengesetzten Gebiete des Sees bewohnen, was bedeutete, dass er Rauchsturm nur noch sehr selten zu Gesicht kriegen würde. Er würde sich gebührend von ihm verabschieden müssen.

Dann trat Nessellicht vor. „Ich schließe mich Sturmstern und dem SumpfClan an.“

Überrascht blickte Sturmstern die ehemalige LuftClan-Heilerin an. Er hatte nie etwas mit Nessellicht zu tun gehabt und bisher hatte er auch immer das Gefühl, dass sie eine von denen gewesen war, die ihm die Position des Zweiten Anführers nie gegönnt hatten. Womöglich hatte sie ihn auch nur gewählt, damit sein Clan überhaupt eine Heilerin hatte, denn nun schlossen sich – wenig überraschend – Gewitterschweif dem BergClan und Fliederpfote samt Lichtblut dem WiesenClan an.

Eine Weile herrschte ruhiges Schweigen, das hin und wieder durch Murmeln unterbrochen wurde. Jeder wusste, was nun bevorstand, doch keiner wollte den Anfang machen.

Schließlich stand Schneewolke, die nur für die Versammlung ihre nur zwei Wochen alten Jungen im Bau der Königinnen zurückgelassen hatte, auf. „Ich wähle für mich und meine Junge den SumpfClan.“ Mit stolzem Blick ging sie auf Sturmstern zu und liebliche Wärme durchströmte seinen Körper. Er hatte nie daran geglaubt, jemals eine Gefährtin zu haben, doch nun hatte er Schneewolke und sie war bereit, ihre Familie und Freunde extra für ihn zurückzulassen.

Fleckennase und Dachsfuß folgten ihrem Beispiel. „Wir wählen für uns und unsere Töchter den SumpfClan!“ Die beiden setzten sich in Bewegung und ihnen folgte eine schwarz-blau-weiße, wuselnde Menge. Kaum dass Fleckennase sich hinter Sturmstern gesetzt hatte, raunte er ihm feixend zu: „Ein besserer Name als SumpfClan ist dir wohl nicht eingefallen, hm?“

Milchkralle, Flockenherz und Schattenflamme erhoben sich gleichzeitig. Nacheinander verkündeten sie, dass sie ebenfalls dem SumpfClan angehören wollten, und reihten sich hinter Sturmstern ein. Falkenherz und Schneeflügel folgten ihnen nur wenige Sekunden später.

Rosentau schnaubte. „Ich wähle natürlich den großen Blaustern und den WiesenClan.“ Ihr Blick fiel auf Herbstwolke, ihre Freundin, die ihr bislang in allem zugestimmt hatte.

Doch Herbstwolke blickte unsicher zwischen Rosentau und ihrem Sohn Fleckennase hin und her. „Ich … Ich …“

Rosentau strafte sie mit einem prüfenden Blick, der so viel aussagte wie: „Du wirst wohl die richtige Entscheidung treffen und mir folgen?“

Doch wider Erwarten kniff Herbstwolke einmal kurz die Augen zusammen und verkündete: „Ich folge meinem Sohn und meinen Enkelinnen in den SumpfClan!“ Eilig huschte sie hinter Sturmstern und warf Rosentau dabei einen entschuldigenden Blick zu. Leise flüsterte sie: „Es tut mir leid, aber ich kann Fleckennase nicht verlassen, das würde mein geliebter Fleckenbaum im SternenClan mir niemals verzeihen.“

Rosentau schnaubte erneut, dieses Mal abfällig und wütend. Ebenso leise zischte sie: „Dann bist du für mich gestorben, Herbstwolke!“

Eisschatten und sein Vater Donnertaucher schlossen sich mit grimmiger Miene Silberstern und dem BergClan an. Ihr Blick fiel auf Schneewolke, die sie beide mit Verachtung straften, doch Schneewolke hielt ihren starren Blicken mit vor Stolz emporgestrecktem Kinn stand.

Grauwald, die Älteste aus dem ErdClan, wählte wieder Kirschstern, ebenso Bisonmähne. Eine Pfote voll SeelenClan-Krieger folgten ihm.

Nebelstreif, Frostzahn, Zimtfeder, Fuchspfote und Bienenpfote wählten wenig überraschend Blaustern und den WiesenClan. Schließlich erhob sich auch Eisbart und schaute seine Tochter Milchkralle einen Moment stumm an, ehe auch er den WiesenClan wählte.

Sturmstern spürte, wie Milchkralle hinter ihm leicht zusammenzuckte. Sie hatte ihre Mutter früh verloren und nun schloss ihr Vater sich einem anderen Clan an. Es musste sich anfühlen, als würde sie auch den letzten familiären Halt verlieren.

Borkenschnabel warf Schneeflügel einen flüchtigen Blick zu. Er zögerte, wählte dann aber Kirschstern und den WaldClan. Ebenso taten es seine Kinder Staubblüte und Stummelschweif und im Anschluss daran die übrigen Krieger, die vorher dem ErdClan angehörten: Distelflamme, Dämmerschweif, Mohnfänger, Lehmpelz, Falkenpfote und Spechtpfote.

Es verwunderte Sturmstern nicht, dass niemand aus dem ehemaligen ErdClan einen anderen Anführer gewählt hatte. Dies lag seiner Meinung nach vor allem an zwei Gründen: Erstens hatte der ErdClan nie Zerrüttungen innerhalb des Clans erlebt und zweitens wurden viele ErdClan-Krieger von einem überdurchschnittlichen Ehrgefühl beseelt, das sich darin manifestierte, dass sie dem ErdClan Loyalität zeigten und sich aus den Gelegenheiten der anderen Clans heraushielten.

Nun standen geschlossen einige ehemalige WasserClan-Krieger auf. Schiefregen, Weißzunge, Taukralle und Wasserfell schlossen sich Silberstern und dem BergClan an. Taubschatten und Nebelpelz aus dem SeelenClan wählten ebenfalls Silberstern.

Allmählich lichtete es sich und neben den verbliebenen SeelenClan-Katzen waren nur noch wenige Katzen vom Heiligen Berg übrig, vor allem jene aus dem LuftClan und die, die in irgendeiner Form eine Entscheidung für oder gegen einen Teil ihrer Familie treffen mussten.

Sonnenpfote und Mondpfote, die die ganze Zeit über schweigend in der ersten Reihe gesessen hatten, steckten leise flüsternd die Köpfe zusammen. Dann standen sie auf und zogen damit alle Blicke auf sich. BergClan, WiesenClan oder SumpfClan, wo würden sie leben wollen?

„Ich wähle den BergClan, der uns aufgezogen, uns zu Schülern ernannt und uns ein neues Zuhause gegeben hat“, sagte Sonnenpfote.

Mondpfote nickte. „Ich wähle ebenfalls den BergClan.“

Blaustern sah beinahe enttäuscht aus und auch Sturmstern hatte zumindest ein kleines bisschen gehoffte, die beiden für sich gewinnen zu können, doch er verstand auch, dass sie den Clan wählten, deren Mitglieder sie großgezogen hatten. Sie hatten nur zwei Monde beim FeuerClan verbracht, was nicht ausreichte, um ihre Bindung zu stärken.

Wolkentänzer und Apfelpelz mussten sich nicht lange ansehen. Es schien ihnen nicht einmal besonders schwer zu fallen, sich Silberstern anzuschließen, solange sie nur bei ihren beiden Jungen bleiben konnten und sie kein zweites Mal verlassen mussten.

Rosentau sah ihren Sohn verachtungsvoll an, wandte dann den Blick ab und ignorierte Apfelpelz.

Erleichtert atmete Otterpelz auf. „Dann wähle auch ich Silberstern und den BergClan.“

Forellenpfote entschied sich ebenfalls für den BergClan. Seine Ziehmutter Steinbeere, sein Vater Nachttropfen und seine LuftClan-Mutter Wellenblatt folgten ihm.

Windjäger, Wellenblatts Bruder, schaute seiner Schwester traurig hinterher und schüttelte dabei den Kopf.

Nun war es an den restlichen LuftClan-Katzen, zu entscheiden. Unsicher blickten sie zwischen den vier Anführern hin und her, doch ihre Blicke blieben auffällig oft an Nessellicht, ihrer ehemaligen Heilerin, und Sturmstern hängen.

Schließlich erhob Hummelschatten sich zuerst. „Den LuftClan mag es nicht mehr geben, doch ich bin stolz, Nessellichts Beispiel zu folgen und mich meinem guten Freund Sturmstern und dem SumpfClan anschließen zu können“, verkündete er und reihte sich hinter Sturmstern ein.

Hummelschattens Schwester Kleesonne, ihr Gefährte Windjäger und ihre drei Kinder Goldpfote, Nachtpfote und Schwalbenpfote folgten ihm.

Natterläufer seufzte. „Mein Bruder Wacholderstern hat sich dafür entschieden, den LuftClan in die Pfoten von Silberstern zu legen, und seinem Wunsch werde ich nachkommen, indem ich den BergClan wähle. Mögen wir dort unseren Frieden finden.“

Hasenkralle nickte ihrem Gefährten zu. „Es bricht mir das Herz, meine Schwester Nessellicht zurückzulassen, doch ich weiß, dass wir eines Tages wieder im SternenClan vereint sein werden. Ich wähle ebenfalls Silberstern und den BergClan.“

Moosspringer, die nervöse Kriegerin, saß mit zuckenden Ohren neben ihrem Bruder Eulenauge, dem Vater von Hummelschatten und Kleesonne. „Auch ich schließe mich Silberstern an.“ Sie sah ihren Bruder erwartungsvoll an, doch der schaute nur zu seiner Gefährtin Sandblitz, die wiederum zu Hummelschatten und Kleesonne blickte und leicht den Kopf schüttelte.

Eulenauge leckte seiner Schwester einmal über die Stirn, dann sprach er laut: „Ich wähle den SumpfClan.“

Sandblitz sah zufrieden aus. „Und ich ebenfalls.“

Regenkauz blieb übrig. Sie sah unglücklich aus, wie schon seit Wochen, und Sturmstern konnte es ihr nicht verübeln. Immerhin hatte sie nicht nur mit ansehen müssen, wie Wacholderstern sich gezwungenermaßen Silberstern anschloss, sie hatte auch ihre Position als Zweite Anführerin verloren und war nie Anführerin des LuftClans geworden, weil sich ihr Clan aufgelöst hatte. Womöglich fühlte sie sich als Versagerin. „Ich schließe mich dem SumpfClan an“, sagte sie kurz und knapp und setzte sich neben ihre Schülerin Nachtpfote.

Damit fehlten nur noch die restlichen Krieger aus dem SeelenClan, etwa zwei Dutzend, die sich nun gleichmäßig auf die vier Clans zu verteilen begannen.

Blaufeder, Graszunge, Elchpfote und Eulenpfote wählten zuerst und entschieden sich für Blausterns WiesenClan; Minzläufer wählte den SumpfClan.

Und dann war Goldstreif an der Reihe. Jeder erwartete, dass er seinem Bruder Bisonmähne in den WaldClan folgte, doch stattdessen verkündete er: „Ich wähle meinen Sohn Sturmstern und den SumpfClan.“

Sturmsterns Herz setzte einen Augenblick lang aus. Ungläubig starrte er seinen Vater an, der sich in der ganzen Zeit nicht einmal darum geschert hatte, wie es ihm ging, und nun trennte er sich von seinem Bruder, mit dem er zuvor ein Herz und eine Seele gewesen war? Er verstand es nicht, absolut nicht, doch es stand keinem Anführer zu, einem Krieger die Entscheidung zu verwehren.

Drei weitere SeelenClan-Krieger, die zu den engsten Freunden von Goldstreif und Bisonmähne zählten, folgten Goldstreif in den SumpfClan, die anderen hatten sich bereits zuvor für den WaldClan entschieden.

Es ging noch einige Minuten weiter, bis sich auch der letzte Krieger aus dem SeelenClan für seinen neuen Clan entschieden hatte. Von den etwa drei Dutzend SeelenClan-Mitgliedern wählten insgesamt vierzehn den WiesenClan, fünf den BergClan, acht den WaldClan und acht den SumpfClan.

Nachdem sich alle aufgeteilt hatten, saßen sie noch eine Weile beisammen, damit sich alle Freunde und Verwandten voneinander verabschieden konnten, ehe sie aufstanden und in ihre jeweiligen Reviere marschierten.

Es war ein schönes Gefühl, endlich den SumpfClan beisammen zu haben. Sturmstern führte sie an, als sie westlich des Sees entlangliefen und den weiten Fußmarsch bis zu ihrem zukünftigen Lager antraten.

Einst regierten fünf Brüder das gesamte Land der wilden Katzen. Fünf Brüder, wie sie unterschiedlicher nicht sein konnten, doch verbunden in ihrer Loyalität dem Clan gegenüber und vereint im Hass auf die Menschen, die ihnen jedes Zuhause genommen hatten, bis sie fernab ihrer Heimat in der Wildnis ihr Reich fanden. Gemeinsam waren sie unbesiegbar, aber Unstimmigkeiten führten zu Streit und Streit zu Krieg. Die Großen Fünf trennten sich und mit ihnen wurde der Clan, der einst eins war, zerrissen. Vier Clans verteilten sich rund um den Heiligen Berg, während der fünfte Clan für immer verschwand ... doch nun konnte die Geschichte weitergehen. Es dauerte lange, sehr lange, doch die Clans konnten wieder vereint werden und unter vier mutigen Anführern verteilten sie sich rund um den Heiligen See, um hier endlich ihre endgültige Heimat zu finden.

Es war Sturmsterns Geschichte.

Es war die Geschichte aller Clans.

Und sie war noch lange nicht zu Ende.

Epilog

Es war Anfang März und die Katzen des Heiligen Bergs lebten seit fast einem halben Jahr in ihren neuen Clans am Heiligen See im Seelental – so hatten sie diesen Ort in Anlehnung an den SeelenClan getauft.

Früh morgens, kurz vor Sonnenaufgang, hatte Sturmstern das Lager des SumpfClans, das zwischen miteinander verwachsenen Ahorn-Bäumen, Fichten und Kiefern lag, verlassen und sich auf den Weg zu dem Wasserfall gemacht, der eine flache Ebene im nördlichsten Teil des Reviers von dem Waldstück trennte. Das Ende der Ebene ging schließlich in die steilen Berghänge am nördlichen Ende des Tals über.

Der Wasserfall erinnerte in keiner Weise an den wilden, tödlichen Wasserfall, der sich auf halber Strecke zum Heiligen Berg befand. Es war vielmehr ein sanft dahinplätschernder Bachlauf, der auf einer Länge von gut zehn Metern einige Fuchslängen über stufige Felskanten in die Tiefe floss. Es war schnell eine Lieblingsbeschäftigung der Schüler geworden, auf unterschiedlichen Höhen über die schmalen Kanten zu balancieren und zu wetten, wer es schaffte, den unregelmäßigen Wassermassen auszuweichen. Die, die nass wurden oder gar in die Tiefe fielen, wurden zunächst ausgelacht, ehe es alle gemeinsam erneut probierten.

Wann immer er den Schülern dabei zusah, überkam Sturmstern ein Gefühl der Freude, doch heute wollte er alleine sein und von hier oben den Sonnenaufgang genießen.

Hinter ihm raschelte das Gras leise vor sich hin, vor ihm plätscherte das Wasser, unter ihm erstreckte sich der Wald und dahinter, für seine Augen im Moment verbogen, lagen saftige, sumpfige, blumige Wiesen, die dort entstanden waren, wo der Bachlauf im nördlichsten Teil des Sees versiegte.

Es war friedlich im Seelental. Keine Zweibeiner weit und breit, genauso, wie Lichtblut es ihnen versprochen hatte. Ihr Tod war in allen vier Clans betrauert worden, immerhin hatte sie den einstigen SeelenClan über mehr als ein Jahrzehnt angeführt. Beinahe schien es, dass sie die Ausbildung von Fliederpfote als ihre letzte Aufgabe angesehen hatte. Kaum dass Fliederpfote zu Fliederblume ernannt worden war, schlief Lichtblut ein und ging endgültig zum SeelenClan über. Selbst Blaustern hatte für die Heilerin seines Clans nur positive Worte gefunden.

Sturmstern seufzte und blickte den ersten Sonnenstrahlen dieses kühlen, wolkenlosen Morgens entgegen. Fleckennases Töchter waren schon zehn Monde alt und mitten in ihrer Ausbildung. Es hatte seinen besten Freund die letzten Nerven gekostet, seine geliebten Töchter in die Pfoten ihrer Mentoren zu entlassen, und nun stand Sturmstern das gleiche Gefühlschaos bevor.

Noch immer hatte Sturmstern vor Augen, wie winzig und hilflos seine Junge nach ihrer Geburt waren, doch nun waren sie sechs Monde alt und drängten darauf, Schüler zu werden.

Schneewolke kletterte den Hang neben dem Wasserfall hinauf. „Ich wusste, dass ich dich hier finden würde, Sturmstern.“ In ihrem Blick lag nichts als Liebe, als sie sich neben ihn setzte und eng an ihn schmiegte. „Worüber denkst du nach?“

Er seufzte. „Weißt du, dass es ziemlich genau zwei Jahre her ist, seit der FeuerClan mich bei sich aufgenommen hat? Damals hätte ich mir nie träumen lassen, was eines Tages aus mir werden wird. Und nun sitze ich hier, als Anführer des SumpfClans, und muss entscheiden, welche Mentoren gut genug sind, um sich um meine eigenen Kinder zu kümmern.“

„Du wirst die beste Wahl treffen.“

„Ich hoffe es“, sagte er und wurde von Schneewolkes Schnurren beruhigt.

„Nicht dass du eine große Auswahl hättest“, gluckste sie vor sich hin. „Mit unseren Kleinen werden es vierzehn Schüler im SumpfClan sein. Da hat jeder alle Pfoten voll zu tun.“

Sturmstern nickte seufzend. „Das stimmt. Der SternenClan war sehr gnädig mit uns und hat dafür gesorgt, dass unser noch junger Clan schnell wachsen kann. Feuerjunges, Wasserjunges, Erdjunges, Luftjunges und Seelenjunges … Sie sind die Ersten, die im Seelental geboren wurden.“

„Sie sind das Symbol dafür, dass alle Clans dasselbe Erbe teilen – und mit ihren Namen hast du ihnen für immer die Erinnerung an unsere alte Heimat auferlegt.“

„Ich mache mir Sorgen um sie.“

„Alle Eltern sorgen sich um ihre Kleinen“, erwiderte Schneewolke sanft. „Wir müssen darauf vertrauen, dass sie ihren eigenen Weg finden, so wie auch wir unseren eigenen Weg gefunden haben. Dieses Tal wird für immer die Heimat unserer Clans sein und mit unseren Kindern wächst die neue Generation heran. Wir müssen ihnen Flügel geben, damit sie sich ihrer Wurzeln bewusstwerden.“

Gemeinsam blickten Sturmstern und Schneewolke in den Sonnenaufgang empor und fühlten den inneren Frieden in ihren Herzen.

Das hier war ihre Heimat.

Sie waren angekommen.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Hallo ihr Lieben,
jetzt ist Halbzeit von Saga 2. Ich hoffe, die Fanfiction gefällt euch nach wie vor.
Gibt es einzelne Katzen (auch aus anderen Clans als dem FeuerClan), über die ihr gerne mehr erfahren möchtet? :-)
Und ja, Klapperschlangen gibt es nicht nur im Süden der USA, sondern sogar bis in den Süden von Kanada, wo diese Fanfiction spielt :-) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Nebelpfote ist zum Krieger ernannt worden und heißt jetzt Nebelstreif. Habt ihr Vorschläge, wie Dachspfote, Schattenpfote, Flockenpfote und Frostpfote später einmal heißen sollen? :-) Ich habe zwar schon einige Ideen gesammelt, aber ihr könnt auch gerne Vorschläge machen. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Damit hätten wir Saga 2 beendet :) Ich weiß, das Ende ist relativ offen, aber das soll zeigen, wie sehr der FeuerClan zu diesem Zeitpunkt im Chaos versinkt.

Zudem habe ich eine kleine Ankündigung: In Saga 3 wird endlich auch der SeelenClan auftauchen! Ich hoffe, ihr freut euch so sehr wie ich. Es wird sehr spannend in Saga 3 weitergehen, das kann ich euch verraten. Danke, dass ihr bis hierhin mitgelesen habt! Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Mit dem Prolog möchte ich euch ein bisschen auf die kommende 3. Saga rund um Sturmpfote/Sturmherz einstimmen :-) Es hat sich viel in den Clans getan und bald wird es einen Haufen neuer Junge geben. Schade, dass ich die vielen Charakterbilder noch nicht hochladen kann, ohne euch zu spoilern :D Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich konnte es mir nicht verkneifen, euch schon ein Kapitel zu servieren :-) Den Rest wird es dann wahrscheinlich im wöchentlichen Abstand geben, vielleicht auch etwas schneller. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Überraschung! :) Wie ihr vielleicht gesehen habt, ist Stormpaw's Destiny YUAL August 2017 geworden und aus diesem Grund gibt es das nächste Kapitel schon heute. Ich möchte mich bei allen bedanken, die diese Geschichte vorgeschlagen und schlussendlich auch gewählt haben. Teilt mir in einem Kommentar doch gerne mit, wer eure liebsten Charaktere sind, vielleicht wird es dann nach Abschluss von Saga 3 ein paar Bonus-Kapitel geben :-) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Das letzte Kapitel von Sturmpfotes Abenteuer ist für mich traurig und freudig zugleich. Es war so schön für mich, wie ihr alle die Kapitel kommentiert und seinen Aufstieg zum Anführer verfolgt habt, dafür möchte ich mich ganz herzlich bei euch Lesern bedanken ♥ Vielleicht verratet ihr mir ja, was auch gut und weniger gut gefallen hat und welche Charaktere eure Lieblinge geworden sind?

Natürlich ist so ein Ende immer traurig, weil man von geliebten Charakteren Abschied nehmen muss, aber für mich ist es gleichzeitig auch schön, weil ich beschlossen habe, dass ich mich an dieser Stelle noch nicht von Sturmstern und den anderen trennen werde. In diesem Sinne möchte ich euch auch gleich zwei Neuigkeiten mitteilen:

1. Ja, ich werde eine Fortsetzung schreiben, in der es um die nächste Generation, also Sturmsterns Kinder, Fleckennases Töchter etc. gehen wird. Und natürlich werden auch die alten Charaktere immer mal wieder eine Rolle spielen. Zu diesem Zweck habe ich bereits die Nachfolge-Fanfiction erstellt und werde dort gleich den Prolog hochladen, damit ihr die FF sehen und bei Bedarf abonnieren könnt, damit ihr direkt mitbekommt, wenn es mit den regelmäßigen Kapiteln weitergeht. Rechnet dieses Jahr aber bitte nicht mehr damit, ich habe erst noch andere Schreibprojekte, die aktuell Vorrang haben :-)
Zudem würde ich mich freuen, wenn ein paar von euch wieder eigene Charaktere erstellen, die ich in die Fanfiction mit einbauen werde. Einen Wettbewerb erstelle ich dafür dieses Mal nicht, aber wer mag, kann mir alle Informationen (Bild, Clan, Eltern, Charakter etc.) per ENS zukommen lassen und aus allen Einsendungen suche ich mir dann ein paar heraus. Gesucht werden vor allem ehemalige SeelenClan-Krieger und zukünftige Schüler (also aktuell Junge) für den WiesenClan, WaldClan und BergClan. Bei Sturmsterns Clan ist leider schon alles storyrelevant mit Kriegern verplant, aber da könnt ihr mir Vorschläge für Junge/Schüler schicken :-)

2. Ich habe mir überlegt, dass ich die Charaktere und die Grundthematik (Clanleben) dieser Fanfiction in eine echte Fantasy-Geschichte mit Magier-Clans und einem mittelalterähnlichen Setting übernehmen werde, die es dann auch als Ebook bei Amazon zu kaufen geben wird. Wer mag, kann mir dafür auf meiner (noch im Aufbau befindlichen - jeder fängt mal klein an :D) Facebook-Autorenseite folgen. Wenn mein Zeitplan hinkommt, könnte es das erste von drei kürzeren Ebooks bereits im Laufe des nächsten Jahres geben.

Ich wünsche euch viel Freude mit dem folgenden Epilog, dem Prolog der nächsten Fanfiction und noch ein schönes restliches Jahr :) Komplett anzeigen

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Kommentare zu dieser Fanfic (172)
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Von:  BlackSpark
2017-09-22T17:10:12+00:00 22.09.2017 19:10
Awwww, dieser Teil der Reihe ist abgeschlossen.
Traurig und Schön zugleich. Ich werde Sturmstern als Hauptcharackter vermissen aber ich freue mich schon riesig auf die Fortsetzung.
In diesem Kapitel hat mir besonders gefallen wie Blaustern hnd Sturmstern Frieden geschlossen haben. Und die Aufteilung der Clans war interessant. Lol, Ich muss Fleckenase zustimmen. Sumpfclan klingt etwas,..., eigenwillig XD Ich persönlich hätte ihn eher Moorclan genannt. Aber es ist deine Fanfic und ich muss sagen; dass ich vom ersten bis zum letzten Satz mitgefiebert und mit den Charackteren gelacht, geweint, mich geärgert und erschreckt habe. Eine grandiose Fanfiction, die ohne Probleme mit dem originalen Warrior Cats mithalten kann. (Wenn mann mich fragt, sogar besser als das was mann in letzter Zeit so aus dem Canon zu lesen bekommt... -.- Die Erins sollten vielleicht auch mal langsam den alten Clans aus der original Reihe ihren Frieden lassen und neue Clans/Stämme/Legionen von Kriegerkatzen, mit anderen Bräuchen und Situationen, ins Rampenlicht rücken.)
10 von 10 Punkten für die gesammte Reihe. <3
P.s.: Was Warrior OC's angeht, kann ich dir gerne ein paar anbieten, da ich meine eigene Warriors Fic schon vor Jahren verworfen habe und keine Verwendung für meine armen Characktere habe ;)
Antwort von:  Kalliope
22.09.2017 21:48
Ja ich hatte auch erst überlegt, ob MoorClan nicht besser klingt, aber da das nördliche Seeufer ein Sumpf und kein Moor ist, ist die Entscheidung schnell gefallen :)

Danke für das liebe Kompliment, aww <3

Ich freue mich auf die ENS mit deinen Charakteren ;) Welche der Charaktere rund um Sturmstern waren/sind deine Lieblinge?
Antwort von:  BlackSpark
23.09.2017 10:05
Also das währen Blaukralle/stern, Schwarzstern, Rindentänzer und Löwenzahnstern. Hab sie schon geschickt ;)
Von:  Wolfsfeuer
2017-09-22T14:15:10+00:00 22.09.2017 16:15
Ach Sturmstern, so etwas ist wohl immer schwer. Aber eines ist klar: dem SumpfClan mangelt es nicht an Schülern :)
Was für ein wunderschöner Zufall, dass Schneewolke fünf Junge geboren hat ;) Liegt wohl am gutem Blut xD
Antwort von:  Kalliope
22.09.2017 16:42
Ja, man könnte glatt meinen, jemand hätte ihnen die fünf Junge auf den Leib geschrieben :D Und mit 14 Schülern wird der SumpfClan alle Pfoten voll zu tun haben. Man stelle sich nur das ganze Gewusel vor, alles voller pubertärer Schüler, die sich beweisen wollen. Ich denke, wenn die alle zu Kriegern ernannt werden, wird der Clan erst einmal aufatmen :D
Von:  Wolfsfeuer
2017-09-22T14:11:41+00:00 22.09.2017 16:11
Und damit geht diese tolle FF zuende. Es war witklich bis zum Schluss spannend. Ich freue mich schon sehr auf die Fortsetzung :) Wer weiß, vielleicht sende ich dafür einige Charaktere ein, wenn ich Zeit finde ;)
Aber warum hat sich Goldstreif für Sturmstern entschieden? Ich glaube auf die Antwort werde ich wohl noch etwas warten müssen.
Antwort von:  Kalliope
22.09.2017 16:40
Es freut mich, dass dir die Fanfiction so gut gefallen hat :) Wer waren deine Lieblingscharaktere? Was hat dir gut gefallen und was weniger gut?

Auf die Frage, wieso Goldstreif sich am Ende überraschend für Sturmstern (und sogar gegen seinen Bruder Bisonmähne) entschieden hat, wird es im Verlauf der Nachfolge-FF eine klare Antwort geben, so viel kann ich schon verraten :)
Antwort von:  Wolfsfeuer
22.09.2017 16:55
Ich habe mir schon gedacht, dass ich diese Antwort erst im Nachfolger erhalten werde. Aber so lange kann ich warten :)

Zu meinen Lieblingscharakteren: Ahornseele, Milchkralle
Antwort von:  Wolfsfeuer
22.09.2017 17:12
Verdammt, da habe ich ausversehen zu früh bestätigt ^^'
Also einfach mal weiter im Text: Ahornseele, Milchkralle, Fliederpfote und Schneeflügel. Wow, meine Lieblinge sind allesamt Damen, das ist mir gar nicht aufgefallen xD Aber es gibt so viele tolle Charaktere. Ich mag fast alle :)
Zu der Frage, was mir gut gefallen hat: Man konnte immer wieder eigene Theorien aufstellen und einige Sachen wurden im späteren Verlauf der Geschichte wieder wichtig.
Was mir nicht so gefallen hat: Man hat fast nie etwas aus den LuftClan mitbekommen. Es war so als würde er einfach vor sich hin existieren und dadurch, dass ihr Anführer nie selbst Partei ergriffen hat, was in den Situationen zwar nachvollziehbar war, konnte ich mir kein richtiges Bild von ihm machen. Beim ErdClan war es schon besser. Ich verstehe, dass es so ist, weil man die Welt aus Sturmsterns Augen sieht, weswegen Rosentau auch nur ein Fellbündel war, dassHass versprüht hat.
Antwort von:  Kalliope
22.09.2017 17:36
Ahornseele gehört auch zu meinen Lieblingen :) Es ist sehr schade, dass sie nicht mehr dabei ist.

Das stimmt, der LuftClan kam leider zu kurz :/ Eventuell mache ich es in der neuen Fanfiction so, dass es 3-4 Hauptcharaktere aus den verschiedenen Clans gibt und die Sichtweise dann zwischen ihnen wechselt, damit man in Zukunft nicht nur den SumpfClan miterlebt, sondern alle vier Clans. Aber so ganz habe ich das noch nicht ausgetüftelt :) Wobei der LuftClan natürlich auch eine sehr passive Rolle hatte. Dafür werden Regenkauz und Nessellicht in Zukunft viel über den LuftClan erzählen, vielleicht schließen sich dann auf diese Weise einige Lücken.
Von:  BlackSpark
2017-09-15T16:05:30+00:00 15.09.2017 18:05
Kein Zurück.
Hoffentlich kommen die meisten heil an und hoffentlich schließen sich Sturmstern genug Krieger an.
Und hoffentlich reist sich Blaustern endlich zuusammen.
Oh, das nächste Kapitel ist das letzte? OMG, das geht viel zu schnell.
*hehe. Hab ich doch richtig gelegen mit SturmsternXSchneewolke*
Antwort von:  Kalliope
15.09.2017 18:16
Die beiden sind aber auch so ein süßes Paar und ich habe mich seit Saga 1 darauf gefreut, die beiden zusammen zu bringen :D Wenn Ahornseele noch leben würde, würde das ja wieder anders aussehen, aber so sind die beiden ganz niedlich zusammen :)

Ja, das nächste Kapitel wird das große Finale sein, danach kommt nur noch ein Epilog und das war es dann mit Sturmstern, dann ist seine Geschichte für mich auserzählt *schnüff*
Antwort von:  BlackSpark
16.09.2017 14:00
Wie schon gesagt: Viel zu schnell DX
Antwort von:  Kalliope
17.09.2017 13:54
Ich weiß, mir geht das auch so D: Aber was will man machen. Sturmpfote war von Anfang an auf 30 Kapitel ausgelegt und dabei soll es auch bleiben. Aber ... das heißt ja nicht, dass ich nicht über andere Charaktere wie z.B. seine Kinder schreiben kann >:D
Antwort von:  BlackSpark
17.09.2017 17:33
Ja. Bitte tuh das! *.*
Von:  Wolfsfeuer
2017-09-15T11:38:00+00:00 15.09.2017 13:38
Schön zu sehen, dass sich bereits einige Katzen für Sturmstern entscheiden. Der nächste Mond wird für alle anstrengend und hoffentlich schaffen es die meisten.
Mal sehen ob sich Blaustern und Sturmstern annähern werden.
Hoffentlich kommen Schneewolkes und Sturmsterns Junge nicht zu früh auf die Welt!
Antwort von:  Kalliope
15.09.2017 13:46
Auf seine Freunde kann Sturmstern sich jedenfalls verlassen :) Und ich würde mal behaupten, dass es Fleckennase und Dachsfuß auch Spaß macht, dass sie Blaustern auf diese Weise eins reinwürgen können :D Als normale Krieger haben sie dafür nur wenig Möglichkeiten.

Das nächste Kapitel wird dann leider auch schon das letzte Kapitel sein *schnüff* Danach gibt es nur noch einen Epilog :)
Antwort von:  Wolfsfeuer
15.09.2017 14:36
Wer würde auch so eine Gelegenheit verspielen xD Los Fleckennase und Dachsfuß, seid euren Jungen ein "schlechtes" Vorbild und Hintergeht Blaustern bei jeder Gelegenheit! :D
Ich freue mich schon auf das nächste Kapitel, auch wenn es schade ist, dass es endet. Aber alles Schöne muss ja leider enden.
Antwort von:  Kalliope
15.09.2017 16:16
Ich hoffe natürlich, dass das letzte Kapitel in Kombination mit dem Epilog ein zufriedenstellendes Ende ist. Aber wer weiß, vielleicht schreibe ich ja doch nochmal eine Fortsetzung mit der nächsten Generation ;)
Von:  BlackSpark
2017-09-11T09:29:48+00:00 11.09.2017 11:29
Wow, es ist echt viel passiert.
Aber 6 Töchter!? Armer, armer Fleckenase. XD
SturmSTERN *Jubel* Da wird Blaustern aber dumm aus der Wäsche gucken ^^
Antwort von:  Kalliope
11.09.2017 21:01
Ja, 6 Töchter :D Der arme Fleckennase kann einem wirklich leid tun.
Von:  Wolfsfeuer
2017-09-08T16:25:31+00:00 08.09.2017 18:25
In diesen 4 Monden ist wie erwartet viel passiert. Fleckennase tut mir mit seiner weiblichen Rasselbande richtig leid xD Der Clan wird es mit 7 Dachsfuß' auch nicht leicht haben :)
Ein Clan und zwei Anführer? Ich könnte mir denken, dass im neuen Territorium ein neuer Clan entsteht. Oder etwas ganz anderes. Aber wie der Clan wohl reagieren wird? Auf Anhieb werden sie wohl nicht Freunde, das dauert schon noch etwas. Ob Schwarzstern bei Blausterns Zeremonie auch schon erwähnt hat, dass es zwei Anführer geben wird?
Antwort von:  Kalliope
08.09.2017 20:59
Fragen über Fragen :D Hm ich denke mal, Schwarzstern hat es nicht direkt erwähnt, aber Blaustern weiß, dass Sturmstern sein Gegentück ist. Nur gemeinsam können sie ihre wahre Größe finden. Aber ob Blaustern einfach über seinen Schatten springen kann ... und Sturmstern natürlich auch. Deine restlichen Fragen klären sich noch :)
Von:  BlackSpark
2017-09-02T13:09:56+00:00 02.09.2017 15:09
WTF? Was....Wie...HÄ?😨😱😵
Warum mussten sich meine schlimsten Beführchtungen bewarheiten? So wie der Clan sich verhällt, war Blaustern bisher nicht der beste Anführer, diese ganze Aura schreit: "Tyrann!" Und was zum Wald der Finsterniss ist mit Schwarzstern passiert?????
Nächstes Kapitel bitte! SCHNELL!!!! O.O
Antwort von:  Kalliope
02.09.2017 15:28
Das nächste Kapitel klärt das alles auf :) Da musst du dich aber noch bis nächsten Freitag gedulden. Ich schreibe derweil gerade am letzten Kapitel, es geht so schnell vorbei >.<
Antwort von:  BlackSpark
02.09.2017 20:06
Huh, ob ich bis dahin überlebe? X3
Kenn ich Dude, kenn ich ^^
Antwort von:  Kalliope
02.09.2017 23:19
Ach bestimmt, die Zeit geht bis dahin bestimmt ganz schnell rum ;)
Von:  Wolfsfeuer
2017-09-01T13:55:50+00:00 01.09.2017 15:55
Ich hatte schon geahnt, dass Schwarzstern nicht mehr unter den Lebenden weilt. Nur dass der SternenClan Blaukralle die neun Leben gewährt, habe ich nicht für sehr wahrscheinlich gehalten. Immerhin ist der Zweite Anführer immer noch am Leben. Vlt wusste der SternenClan nicht mehr, ob Sturmherz noch am Leben ist oder nicht, weil er außerhalb ihrer Reichweite war. Stellt sich nur die Frage, ob es inzwischen auch einen neuen Zweiten Anführer gibt.
Antwort von:  Kalliope
01.09.2017 17:13
Das klärt sich im nächsten Kapitel noch auf, wieso und weshalb Blaustern Anführer geworden ist :) Außerhalb der Reichweite war Sturmherz nur indirekt, Mondstern hat ihn ja begleitet. Einen neuen Zweiten Anführer nenne ich namentlich nicht, das spielt aber auch keine so große Rolle mehr, wie du im nächsten Kapitel lesen wirst :-)
Antwort von:  Wolfsfeuer
01.09.2017 19:40
Ich kann es kaum noch erwarten :)
Antwort von:  Kalliope
02.09.2017 00:26
Es ist ja auch nicht mehr viel, nur noch drei Kapitel und der Epilog 🙈
Von:  BlackSpark
2017-08-25T14:45:07+00:00 25.08.2017 16:45
Hehe, Star Wars Szenario. ^^
Ich fürchte viele Clankatzen am Berg werden ziemliche Zicken machen. Sie sind mit diesen Rivalitäten groß geworden, das lässt sich nicht einfach so weg wischen. Selbst wenn man aufgeschlossener ist, wie z.B Löwenzahnstern.
Ich bin wirklich auf die Reaktionen gespannt.
Awwwww~ Fischotter <3 (Süße kleine Monster.) Hoffentlich kommen die Bergkatzen auch mit ihnen aus.
Antwort von:  Kalliope
25.08.2017 17:52
Ja, sie werden das nicht einfach so hinnehmen können, aber ihnen bleibt am Ende keine andere Wahl :D

Ach ja, die Fischotter sind harmlos, die nerven nur hin und wieder mal :)


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