Stormpaw's Destiny von Kalliope (Warrior Cats - New Clans, New Stories) ================================================================================ Kapitel 31: ------------ „Lügner! Wie kannst du es wagen!“ Blausterns Schwanz war auf die doppelte Größe aufgeplustert. Mit wütendem Blick stapfte er auf Sturmstern zu, jederzeit dazu bereit, ihm an die Kehle zu springen. „Erst schleichst du dich aus dem Lager davon, dann ziehst du Milchkralle und Fleckennase in deine Intrigen hinein, du betrittst unerlaubterweise die Mondhöhle hinter dem Wasserfall und nun behauptest du, der rechtmäßige Anführer des FeuerClans zu sein? Jede einzelne dieser Taten wäre Rechtfertigung genug, um dich für immer aus dem Clan zu verbannen!“ Totenstille herrschte im Lager. Jeder einzelne Blick war auf Sturmstern gerichtet, der mit durchgestreckten Schultern in der Mitte des Lagers saß und nicht einmal mehr daran dachte, Blaustern das Feld kampflos zu überlassen. Blaustern machte einen weiteren, drohenden Schritt auf ihn zu. „Stopp! Vater, hör auf!“ Die Köpfe drehten sich herum, fixierten nun Fliederpfote, die schwer atmend durch den Eingang des Lagers gerannt kam. „Halt dich da raus, Fliederpfote. Sturmherz ist ein Verräter und ich werde ihm seiner Strafe zuführen.“ Sie streckte ebenfalls die Schultern durch und stellte sich mit erhobenem Kopf zwischen die beiden Anführer. Dann atmete sie einmal tief durch. „Nein.“ Überraschtes Murmeln, schockierte Blicke, aufgebrachtes Knurren – all das vermischte sich schlagartig zu einer Hintergrundkulisse, die den Sonnenaufgang untermalte. Selbst Eisbart warf Sturmstern einen ablehnenden Blick zu, von Rosentau ganz zu schweigen. „Was?“ Blaustern starrte seine Tochter an. „Fliederpfote, geh zur Seite.“ „Vater, hör mir zu …“ „Geh zur Seite!“ Zimtfeder schälte sich aus der Masse an Kriegern und Schülern heraus. „Blaustern! Hör auf das, was dir deine Tochter, die zukünftige Heilerin unseres Clans, zu sagen hat!“ Wiederwillig unterdrückte er ein Knurren. Fliederpfote warf ihrer Mutter einen flüchtigen, aber dankbaren Blick zu, dann drehte sie sich wieder zu ihrem Vater um. „Sturmstern sagt die Wahrheit.“ Ihre Worte schienen zum zweiten Mal an diesem Morgen sämtliche Luft aus dem Lager des FeuerClans zu ziehen. Blaustern legte die Ohren an und riss dabei die Augen auf. „Unmöglich!“ Seine Stimme war ein geschocktes Wispern. Fliederpfote nickte betont ruhig. „Ich kann die neun Leben in seinem Herzen sehen. Der SternenClan hat Sturmherz zu einem Anführer gemacht. Sein Name lautet Sturmstern.“ Falkenherz fing sich als erste und stieß einen euphorischen Freudenlaut aus. „Ha! Ich habe euch immer gesagt, dass Schwarzstern wollen würde, dass Sturmherz … Sturmstern sein Nachfolger wird!“ Die Älteste plusterte ihr langes, rotes Fell auf. Eisbart sträubte sein Nackenfell. „Aber Blaustern hat auch neun Leben erhalten. Fliederpfote, was hat das zu bedeuten?“ „Das bedeutet das, was der SternenClan uns allen bereits vor Monden angekündigt hat, damals, als Sturmstern und die drei anderen zu ihrer Mission aufgebrochen sind. Die Zeit am Heiligen Berg ist vorbei. Die Clans können nicht länger bestehen und müssen sich in einer neuen Heimat neu sortieren.“ Dann drehte sie sich zu Sturmstern um und nickte ihm respektvoll zu. „Sturmstern, jetzt ist der richtige Zeitpunkt, um dem FeuerClan zu berichten, was eure Mission ergeben hat.“ Sturmstern erwiderte ihr Nicken ebenso respektvoll. „Ich danke dir, Fliederpfote. Der SternenClan hat uns einen Mond lang auf Reise geschickt. Wir mussten viele Gefahren überstehen, was uns sehr verbunden hat. Am Ende unserer Reise fanden wir ein riesiges Tal mit einem großen See, in dem wir alle in Frieden leben können. Dort gibt es keine Zweibeiner, keine Bären, nur uns und den SeelenClan.“ Erneut ging ein ungläubiges Raunen durch den Clan. „Erst müssen wir miterleben, wie die Clans zerbrechen, und nun willst du uns weismachen, es gäbe den SeelenClan wirklich?“ Herbstwolke wippte nervös hin und her. „Das ist zu viel für mich! Wir können den Heiligen Berg nicht verlassen! Wir … Wir … Wir haben Älteste! Und Junge! Wieso kann nicht einfach alles beim Alten bleiben?“ „Wieso verbannen wir Sturmstern nicht einfach, dann soll er sich beim SeelenClan als Anführer aufspielen!“, giftete Rosentau gehässig, doch niemand ging auf ihre Bemerkung ein. Blaustern starrte seinen Rivalen noch immer mit zusammengepresstem Mund an, ehe er sich einmal schüttelte und dann seine Fassung zurückerlangte. „Schluss damit!“ Seine Stimme ließ alle anderen sofort verstummen. „Ich … Ich glaube dir, was die Mission angeht und dass wir an diesem See eine neue Heimat finden werden. Ihr alle seht doch selbst, dass die Zweibeiner den Heiligen Berg für sich beanspruchen. Wir wissen alle, dass es so nicht weitergehen kann. Heute Nacht, bei der Großen Versammlung, werden alle Clans ein letztes Mal zusammenkommen und darüber entscheiden, wie es weitergehen soll. Ich danke dir dafür, dass du die Mission des SternenClans erfüllt hast, doch ich werde dir niemals meinen Clan überlassen. Kein Clan braucht zwei Anführer.“ Blaustern atmete tief durch und mit jedem Atemzug nahm seine Autorität wieder weiter zu. „Und aus diesem Grund ist im FeuerClan nicht länger ein Platz für dich, Sturmstern.“ *** Sturmstern lag auf den Wurzeln der großen Eiche, die früher ein Symbol für das Wohlergehen aller vier Clans gewesen war. Nun war sie nichts weiter als ein ausgebrannter Stamm. Sturmstern dachte an den Blitzschlag zurück, mit dem das Schicksal aller Clans besiegelt worden war. Er war zwar nun ein Anführer, aber ein Anführer ohne eigenen Clan. Welche Bedeutung hatten seine neun Leben dann überhaupt noch? *** Mit der Abenddämmerung erwachte Sturmstern aus einem traumlosen Schlaf. Er streckte sich und sah kurz darauf die vier Gesandten des SeelenClans auf ihn zukommen. Wenigstens sie hielten weiterhin zu ihm. „Du siehst aber ziemlich mitgenommen aus“, kommentierte Graszunge sofort spitzzüngig und gähnte dabei. Seestein hatte einen milderen Blick für ihn übrig. „Wir kommen gerade vom FeuerClan. Dort ist das pure Chaos ausgebrochen. Man hat uns kaum Gehör geschenkt.“ Blaufeder nickte seufzend. „Dein Abgang muss wirklich großartig gewesen sein. Blaustern hat größte Mühe, den Clan noch länger zusammen zu halten. Ein Teil möchte sich dir anschließen, aber die Mehrheit steht hinter Blaustern. Trotzdem kann niemand behaupten, dass er es gut findet, wie die Situation gerade ist.“ Minzläufer stupste Sturmstern aufmunternd an. „Kopf hoch, das wird schon wieder. Es muss so kommen, sonst wären die Clans nicht frei, um sich später am See neu aufzuteilen. Nur wenn sich jeder von seinen alten Clanwurzeln befreit, kann etwas Neues daraus wachsen.“ „Nur wieso muss das ständig auf meinem Rücken ausgetragen werden?“, klagte Sturmherz und kniff für einen Moment einfach nur die Augen zu. Als er sie wieder öffnete, war noch immer alles beim Alten. „Unserem Clan ergeht es doch nicht anders. Ihr habt davon während eures Aufenthalts nur nichts mitbekommen, aber viele wollen nicht, dass sie ihr gewohntes Leben aufgeben müssen. Ich bin mir auch nicht sicher, ob Bisonmähne und Goldstreif sich euch einfach ergeben werden.“ Seestein seufzte und ließ seinen cremefarbenen, buschigen Schwanz hängen. „Zumindest ist Goldstreif dein Vater, also könntest du ihn vielleicht davon überzeugen, ruhig zu bleiben, falls es zu Problemen kommen sollte.“ „Und wieder bleibt es an mir hängen“, grollte Sturmstern missmutig. Er stand auf, streckte sich und trabte ein paar Schritte. „Bald werden die anderen kommen. Diese letzte Versammlung wird alles entscheiden. Ich würde vorher gerne noch einen Moment alleine sein, um den Kopf frei zu bekommen.“ Die anderen sahen sich nachdenklich an, nickten dann jedoch. „Natürlich. Wir kommen später wieder.“ Seestein erhob sich zuerst, die anderen folgten ihm wortlos. Nachdem Sturmstern wieder alleine war, tigerte er ruhelos auf und ab. Es gab noch so viel, was geklärt werden musste. Er musste unbedingt mit Milchkralle und Fleckennase reden und natürlich mit Schneewolke, die ihm irgendetwas Wichtiges mitteilen wollte. Außerdem hatte er noch immer nicht Fleckennases Jungen gesehen. Jetzt war er endlich wieder mit seinen Freunden und seinem Clan vereint und dennoch von ihnen getrennt. *** Der gesamte WasserClan ergoss sich wie ein See über das Plateau. Silberstern sah müde aus und hatte nicht länger die streitlustige Aura, die Sturmstern sonst von ihr gewohnt war. Muschelzahn lief neben ihr her, dahinter folgten sämtliche Katzen aus dem WasserClan und dem ehemaligen LuftClan. Hummelschatten löste sich aus der Menge, sobald sich alle vor den Überresten der Eiche niedergelassen hatten. Er starrte schlecht gelaunt nach links und rechts, ehe er sich mit grimmigem Blick neben Sturmstern setzte, der etwas abseits auf Schneewolke wartete. „Mir gefällt das nicht. Regenkauz hat den LuftClan einfach aufgegeben. Sieh nur, was aus dem stolzen LuftClan geworden ist. Wir folgen Silberstern.“ „Du weißt doch, dass sich ohnehin alle Clans auflösen werden.“ „Aber nicht so“, sagte Hummelschatten. „Als ich gegangen bin, waren die Jungen meiner Schwester die Zukunft des LuftClan. Nun sind sie bald Schüler im WasserClan. Nein, das gefällt mir ganz und gar nicht.“ „Hummelschatten, bitte beruhige dich. Es ist schon schlimm genug. Sobald wir alle am See sind, werdet ihr selbst entscheiden können, welchem Anführer ihr folgt.“ Hummelschattens Ohren zuckten. „Stimmt. Und das wird nicht Silberstern sein. Aber Blaustern und Kirschstern? Nein danke.“ „Dann …“, sprach Sturmstern etwas langsamer, „kommt doch zu mir.“ Hummelschatten drehte den Kopf zu seinem Freund herum. Ihm lag ein Spruch auf der Zunge, doch dann wartete er ab, bis seine Augen groß wurden. „Du machst keinen Scherz“, stellte er überrascht fest. „Ich wusste ja, dass Schwarzstern gestorben ist, aber Blaustern ist doch sein Nachfolger?“ „Ja, aber der SternenClan hat mir vergangene Nacht ebenfalls neun Leben verliehen. Schwarzstern hat gesagt, dass er sowohl mir als auch Blaukralle ein Leben geschenkt hat. Und dann war da noch Seelenstern. Er hat mir mein letztes Leben gegeben.“ „Seelenstern?“ Hummelschattens Groll schien wie weggeblasen zu sein. Er hüpfte zurück auf seine Pfoten und tänzelte aufgeregt auf der Stelle. „Beim SternenClan, du machst wirklich keinen Scherz! Sturmherz, du bist …“ „Sturmstern, ja.“ „Sturmstern!“, flüsterte Hummelschatten ehrfurchtsvoll, doch keine Sekunde später war er wieder ganz er selbst. „Na das sind mal Neuigkeiten, die sich gewaschen haben. Das rückt natürlich alles in ein ganz anderes Licht. Seelenstern ist erlöst und er hat dir höchstpersönlich dein letztes Leben verliehen, ganz so, als würde er dir damit den SeelenClan vermachen. Wenn du mich entschuldigen würdest, ich muss mit Kleesonne und den anderen reden.“ „Nein, warte“, hielt er ihn auf. „Es werden gleich sowieso alle erfahren, also erzähl es bitte nicht vorschnell rum.“ „Na schön. Aber nur, weil du es bist. Weiß Schneewolke schon davon?“ „Nein.“ „Dann solltest du es ihr schnellstmöglich sagen. Da vorne kommt sie. Ich lasse euch jetzt alleine.“ Er zwinkerte Sturmstern zu und eilte mit schnellen Schritten zurück zu seiner Schwester, deren Gefährten und ihren Kindern Goldjunges, Schwalbenjunges und Nachtjunges, die kurz davor waren, zu Schülern ernannt zu werden. Sturmstern war sich sicher, dass Hummelschatten diese Neuigkeiten nicht für sich behalten konnte, aber so war sein Freund nun einmal. Seufzend drehte er sich zu Schneewolke um, die vor ihm zum Stehen kam und ihn aus ihren großen, himmelblauen Augen fasziniert anblickte. „Habe ich das richtig gehört? Du bist Anführer?“ „Hast du uns belauscht?“ „Nein“, erwiderte sie, doch ihr Blick sagte etwas anderes. „Nun ja, vielleicht ein kleines bisschen. Also hat Seelenstern dir eines deiner Leben verliehen. Das ist … großartig. Ich freue mich wirklich sehr für dich.“ Sturmstern betrachtete ihr hübsches Gesicht, die kristallklaren Augen, in denen er sich verlieren konnte, doch etwas stimmte nicht mir ihr, das sah er ihr an. „Was ist los?“ Sie grub die Krallen in den Erdboden. „Nichts.“ „Schneewolke“, versuchte er es erneut, dieses Mal sanfter. „Bitte, sag mir, was dich bedrückt. Du wolltest doch, dass wir uns vor der Versammlung treffen?“ Einen Moment sah es so aus, dass sie ihren Widerstand nicht aufgeben würde, doch dann seufzte sie und kuschelte sich eng an ihn. Sturmstern versteifte sich. Die ersten Blicke lagen bereits auf ihnen. „Die anderen sehen uns.“ „Das ist mir egal, es werden sowieso bald alle erfahren.“ Als sie ihren Blick hob, schwammen Tränen in dem himmlischen Blau. „Sturmstern, ich dachte, wenn wir gemeinsam am See ankommen, wird alles anders. Ich dachte, wir könnten zusammen sein, richtig zusammen, und eine Familie gründen. Aber nun … Du bist Anführer geworden, du wirst einen eigenen Clan führen, sobald wir in der neuen Heimat sind. An deiner Seite ist kein Platz mehr für mich. Für … uns.“ „Was redest du da! Schneewolke, meine Gefühle für dich ändern sich doch nicht, nur weil ich Anführer geworden bin. Ich werde immer für dich da sein.“ „Aber Anführer dürfen keinen Gefährten und keine Jungen haben.“ „Das weiß ich, aber wir finden einen Weg. Schneewolke, Liebste, mein Herz wird immer nur dir gehören, egal was passiert.“ Sie schnurrte glücklich. „Und ich werde dich immer lieben, Sturmstern! Ich werde dir folgen, egal wohin uns diese Reise führen wird. Und … wir werden eine Familie.“ Er leckte ihr tröstlich über den Kopf, was nur noch mehr Blicke auf sich zog, allen voran die von Silberstern, Eisschatten und Donnertaucher. Es war ihm egal, dass nun alle offen sehen konnten, dass Schneewolke und er ein Paar waren. Sie gehörten zusammen, sie hatten so viel gemeinsam erlebt und wenn die Clans in der neuen Heimat am See eine neue Chance erhielten, wieso dann nicht auch Schneewolke und er? Sein Herz gehörte nur ihr alleine und daran würde sich niemals etwas ändern. „Nein, du verstehst nicht.“ Schneewolke schaute ihn aus großen, treuen Augen an. „Sturmstern … Gewitterschweif sagt, es dauert nur noch etwa einen Mond. Wir kriegen Junge.“ *** Sturmstern saß am Fuße der Eiche und es war ihm egal, wie giftig die Blicke aus dem WasserClan waren, die man ihm zuwarf. Es war ihm egal, dass Blaustern weiterhin gegen ihn hetzte und herumposaunte, dass er das Gesetz der Krieger gebrochen hatte, als er sich mit Schneewolke aus dem WasserClan eingelassen hatte und sie nun sogar Junge erwartete – von ihm, einem Anführer, dem es verboten war, eigenen Nachwuchs zu zeugen. Alles hatte an Bedeutung verloren, denn ihn erfüllte eine ruhige Glückseligkeit, die mit nichts auf der Welt zu vergleichen war. Er wurde Vater. Schneewolke war seine Gefährtin und sie bekamen in etwa einem Mond Nachwuchs, genau dann, wenn die Clans ihre neue Heimat erreichten. Es würde sehr anstrengend für sie werden, doch Schneewolke war zäh, sie würde es durchhalten, da war er sich sicher. Alles begann sich auf einmal in ein großes Bild für ihn zu fügen und er war glücklich, einfach nur glücklich, zumindest für den Moment. „Also stimmt es?“ Fleckennase saß schräg vor ihm in erster Reihe. „Dann alles Gute für euch! Dachsfuß und ich stehen hinter dir, Sturmstern.“ Blaustern warf ihm einen vernichtenden Blick zu. „Das will ich überhört haben.“ „Nein, das kannst du ruhig ganz genau hören, Blaustern“, erwiderte Fleckennase trotzig. „Die Clans lösen sich sowieso auf und als Sturmstern die Junge gezeugt hat, waren Schneewolke und er auf ihrer Mission unterwegs. Für mich bedeutet das, dass sie in einer besonderen Situation und außerhalb der normalen Clangefüge unterwegs waren.“ „Was nichts daran ändert, dass er Zweiter Anführer war und gegen die Regeln verstoßen hat!“, zischte Blaustern. Flockenherz, der neben Fleckennase saß, plusterte sich auf. „Ich halte auch zu Sturmstern!“ „Zu dem Zeitpunkt, als Sturmstern Junge gezeugt hat, war er bereits von dir aus seinem Amt verdrängt worden. Er war nicht mehr unser Zweiter Anführer, weil du längst Anführer warst, Blaustern“, kommentierte nun auch Falkenherz aus dem Hintergrund. „Für mich bedeutet das, dass er nicht gegen das Gesetz der Krieger verstoßen hat.“ Das Murmeln rollte wie eine Welle über alle Clans hinweg. Sturmstern suchte Schneewolkes Blick in der Menge. Sie saß zwar in der Nähe des WasserClans, doch an ihrer Seite waren nur Otterpelz und Hummelschatten. Silberstern würde sie aus dem Clan verbannen, wenn sie nicht ohnehin alle zum Tal des SeelenClans aufbrechen würden, so viel war klar. Kirschstern räusperte sich. Sie war für eine Katze aus dem ErdClan wirklich ausgesprochen klein. „Hiermit eröffne ich die Versammlung. Ruhe bitte. Lasst uns das Protokoll wahren.“ Als keiner reagierte, verengte sich ihr Blick leicht. „Ruhe!“ Nur langsam verstummten die Stimmen und alle Aufmerksamkeit richtete sich auf die vier Anführer vor den Überresten der alten Eiche. „Geht doch“, sagte sie. „Nun denn. Ich denke, wir alle wissen, warum wir hier sind. Die Zweibeiner nehmen uns unsere Heimat am Heiligen Berg weg und es ist der Wille des SternenClans, dass wir in der weiten Ferne, einen ganzen Mond der mühseligen Reise entfernt, eine neue Heimat im Tal des SeelenClans finden sollen. Rauchsturm hat mir ausführlich davon berichtet und ich spreche im Namen des ganzen ErdClans: Wir haben uns dazu entschlossen, diese Reise anzutreten. Allerdings habe ich eine Bedingung. Wie mir zu Ohren gekommen ist, besitzt der SeelenClan ein großes Rhododendronlager, so wie wir auch. Aus diesem Grund beanspruche ich bereits am heutigen Tag dieses Lager und das umliegende Waldgebiet für uns.“ Zustimmendes Gemurmel aus den Reihen des ErdClans. Silberstern legte ihre Ohren für einen Augenblick lang an, ehe sie Kirschstern von der Seite musterte. „Verehrte Kirschstern, ich glaube nicht, dass jetzt der Zeitpunkt dafür ist, Forderungen zu stellen.“ „Oh doch, liebe Silberstern. Entweder der ErdClan erhält das größte und beste Lager oder wir werden euch nicht zum See begleiten. So einfach ist das.“ Blaustern knurrte leise vor sich hin. Auch Sturmstern fand es nicht gut, wie Kirschstern argumentierte. „Wenn ich dazu etwas sagen dürfte“, begann er ohne darauf zu warten, dass Kirschstern ihm das Wort überließ. „Außer Schneewolke, Hummelschatten, Rauchsturm, den anwesenden SeelenClan-Kriegern und mir kennt niemand die örtlichen Begebenheiten unserer neuen Heimat. Es wäre fahrlässig, nun darüber zu entscheiden, wem welches Gebiet zusteht, zumal wir nicht außer Acht lassen dürfen, dass dort noch immer der SeelenClan lebt. Wir sollten uns darauf konzentrieren, uns während der bevorstehenden Reise gegenseitig zu unterstützen und zu helfen, anstatt bereits jetzt erneute Zwietracht zu säen. Wenn wir am See angekommen sind, wird Lichtblut, die Heilerin des SeelenClans, uns bereits erwarten. Geben wir ihr das letzte Wort.“ Seestein erhob sich einfach aus der Menge und trat vor, sehr zur Verärgerung von Kirschstern. „Ihr redet hier über unsere Heimat, die Heimat das SeelenClans. Es war der Wille vom großen Seelenstern, dass alle Clans in unserem Tal vereint leben sollen. Doch nicht ihr trefft die Entscheidung, zu uns zu kommen, sondern wir erlauben es euch. Vergesst nicht, dass die Streitereien zwischen euren Clans schlussendlich dazu geführt haben, dass ihr nun an diesem Punkt angekommen seid.“ Er drehte den Anführern den Rücken zu, um nun vor allen anderen frei sprechen zu können. „Der WasserClan leidet seit Generationen unter schlechtem Blut und nur eine Vermischung mit den anderen Clans wird eure Nachkommen noch retten können. Der LuftClan hat seinen Anführer verloren und ist ebenfalls so ausgedünnt, dass nur neues Blut noch eine Rettung sein kann. Der FeuerClan ist in tiefstem Herzen entzweigerissen worden und wird niemals mehr ein Ganzes sein können. Und der ErdClan, der sich stets bemühte, sich aus den Angelegenheiten der anderen Clans herauszuhalten, wird sich wohl eingestehen müssen, dass er hier alleine in unmittelbarer Gesellschaft der Zweibeiner nicht fortbestehen kann. Alle fünf Clans sind Teil eines Ganzen. Wir alle müssen die Clangrenzen hinter uns lassen und am See werden wir alle einen Neuanfang starten. Streit und Missgunst haben während unserer Reise keinen Platz. Nur gemeinsam sind wir stark, sonst werden wir es nicht schaffen.“ Nun erhoben sich auch Blaufeder, Minzläufer und Graszunge, die sich hinter Seestein aufstellten. Seestein ließ seinen Blick zunächst über die vier Anführer hinter sich, dann wieder über alle versammelten Clankatzen gleiten. „Wir sind als Vertreter des SeelenClans zu euch gekommen, um euch im Namen von Lichtblut in unserer Heimat am See willkommen zu heißen. Die Zeit der Clans am Heiligen Berg ist endgültig vorbei.“ Wieder pausierte er kurz. „Ihr kennt nun die Bedingungen. Bei Sonnenaufgang brechen wir von der nördlichen Grenze auf. Es ist eure freie Entscheidung, uns zu begleiten oder hier bei den Zweibeinern zu bleiben, doch seid euch einer Sache bewusst: Wir werden auf niemanden warten.“ Er nickte in die breite Runde hinein. „Sonnenaufgang. Keinen Herzschlag später.“ Als geschlossene Gruppe marschierten die vier SeelenClan-Krieger davon. Hinter ihnen brach das Chaos aus. *** Sturmstern wusste nicht, wie sich Blaustern und der Rest des FeuerClans entscheiden würden. Alles, was er tun konnte, war das Beste zu hoffen. Schneewolke war auch nach der Versammlung nicht mehr von seiner Seite gewichen und machte damit deutlich, dass sie ernst meinte, was sie vor der Versammlung zu ihm gesagt hatte. Sie hielt zu ihm, egal was passierte. Nun lag sie eingerollt zwischen den Wurzeln eines Ahorns und tankte Kraft für die kommenden Strapazen. Sie befanden sich an der nördlichen Grenze des FeuerClans, aber noch ein paar Minuten gemächlichen Fußmarsches von dem Treffpunkt mit Seestein und der Grenze zum WasserClan entfernt. Bis Sonnenaufgang würde es nicht mehr lange dauern, eine halbe Stunde vielleicht, und umso unruhiger wurde Sturmstern. Dann, endlich, hörte er das erste Rascheln im Unterholz und auch Schneewolke öffnete gähnend ihre Augen. Flockenherz marschierte geradewegs auf seinen ehemaligen Mentor hinzu. „Da bin ich.“ Dankbarkeit überkam Sturmstern, denn dass Flockenherz nun vor ihm stand, bedeutete nicht weniger, als dass er sich gegen Blaustern entschieden hatte. Er nickte Flockenherz zu. „Danke. Was ist mit den anderen? Wie hat sich der Clan entschieden?“ Flockenherz kratzte sich hinter dem Ohr. „Wir werden euch begleiten. Anfangs haben sie noch viel miteinander diskutiert, doch mehr und mehr sprachen sich dafür aus und auch Blaustern hat eingesehen, dass wir neben den Zweibeinern nicht lange bestehen können.“ „Und wenn ihr alle mitkommt, wieso bist du dann schon hier?“ „Na weil ich mir nicht die Chance entgehen lassen wollte, Blaustern auf die Nase zu binden, dass für mich du mein Anführer bist“, erwiderte er mit einem schelmischen Funkeln in den Augen. „Fleckennase, Dachsfuß und ihre Jungen werden auch gleich da sein.“ Kaum hatte er das gesagt, raschelte es auch schon wieder. Begleitet von dem aufgeregten Maunzen der etwas mehr als drei Monde alten Jungen kamen Fleckennase und Dachsfuß in Sicht. Sie sah wild entschlossen aus, während Fleckennase eher besorgt wirkte und Mühe hatte, seine sechs Töchter beieinander zu halten. Die lange Reise würde eine sehr große Belastung für sie alle sein, aber noch mehr für die Jüngsten von ihnen. Die wuselige Mannschaft kam vor Sturmstern zum Stehen. „Das ist Sturmstern“, erklärte Fleckennase seufzend. „Mein bester Freund, von dem ich euch immer erzählt habe.“ Augenblicklich starrten sechs blaue Augenpaare, in denen sich allmählich die echte Augenfarbe abzuzeichnen begann, zu Sturmstern hinauf. Fleckennases Töchter warfen ihm schüchterne, aber bewundernde Blicke zu. Dachsfuß hustete betont vor sich hin. „Eigentlich sind sie nicht so zurückhaltend.“ „Sie verstehen nicht, warum wir unser Zuhause verlassen müssen“, erklärte Fleckennase. „Ich hoffe, dass wir alle gesund an dem See ankommen werden.“ Sturmstern nickte ihnen aufmunternd zu. „Ich werde mein Bestes geben.“ Doch auch er machte sich Sorgen, wenn er ehrlich war. Fleckennases Töchter waren erst etwas mehr als drei Monde alt. Sie waren langsamer als Schüler oder Krieger, brauchten mehr Pausen und waren anfälliger für Verletzungen. Aber sie mussten es einfach schaffen. Nach und nach versammelte sich auch der restliche FeuerClan und Sturmstern war froh, dass alle mitkommen wollten. Zuletzt kam Blaustern. Er würdigte Sturmstern erst keines Blickes und schickte den Clan schon zum Treffpunkt vor. Als sie alleine waren, fixierte er Sturmstern. „Ich hoffe für dich, dass das Tal mit dem See das hält, was du und die SeelenClan-Krieger uns versprochen haben.“ „Das wird es.“ Eine Weile standen sie sich einfach nur schweigend gegenüber, bis sich der Himmel leicht zu verfärben begann und den Sonnenaufgang ankündigte. Sturmherz atmete tief durch. „Blaustern, es tut mir leid, wie es zwischen uns von Anfang an gelaufen ist. Schwarzstern hat nie gewollt, dass wir uns als Feinde oder Rivalen ansehen.“ Blaustern erwiderte mit ebenso ruhiger Stimme: „Wir werden sehen.“ Dann drehten sie sich zeitgleich um und gingen zu den anderen. Aus vier Clans war eine große Masse von Katzen geworden, an deren Spitze Seestein und die anderen aus dem SeelenClan standen. Noch blieben die Clan-Katzen eher unter sich, dicht aneinandergedrängt, mit ängstlichen Blicken und nervös zuckenden Ohren, weil die Reise ins Unbekannte bevorstand. Doch die Jüngsten unter ihnen legten ihre Schüchternheit schnell ab, beschnupperten sich und nahmen alles wie ein großes Abenteuer in sich auf. Sturmstern freute der Anblick, der sich ihm bot. Falkenpfote und Spechtpfote, die jungen Schüler aus dem ErdClan, die erst kurz zuvor zu Schüler ernannt worden waren, begrüßten Goldjunges, Schwalbenjunges und Nachtjunges. Zwischen ihnen sprangen Fleckennases Töchter umher, immer mit ihren Eltern im Nacken, die auf sie aufpassten. Keine einzige Katze hatte sich dazu entschieden, am Heiligen Berg zu bleiben. Sturmstern durchquerte die Sammelstelle und als er Seestein erreichte, waren auch Rauchsturm, Hummelschatten und Schneewolke wieder an seiner Seite. Sie alle blickten sich einige Herzschläge lang an, dann nickten sie sich zu. Es gab nichts mehr, worauf es sich zu warten gelohnt hätte. Ein letzter Blick über die Schulter, in den Wald hinein, der seinem Leben einen Sinn und seinem Herzen ein Zuhause gegeben hatte. Mit den Sonnenstrahlen vor Augen marschierten sie los, eine Einheit, ein großer Clan, Seite an Seite, keine Grenze dazwischen. Ihre Zukunft lag vor ihnen. Es gab kein Zurück. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)