Stormpaw's Destiny von Kalliope (Warrior Cats - New Clans, New Stories) ================================================================================ Kapitel 27: ------------ „Sturmherz! Rauchsturm!“ Hummelschatten und Schneewolke rannten auf die beiden Vermissten zu, warfen sie überschwänglich um, schnurrten und rieben ihre Köpfe an den Körpern ihrer beiden Gefährten. „Wir dachten, wir würden euch vielleicht nie wieder sehen!“, sagte Schneewolke, als sie von den beiden abließ und sie aus großen, blauen Augen musterte. „Wir haben überall nach euch gesucht.“ „Dann haben wir das grüne Licht am Himmel gesehen und dachten uns, dass dies ein Zeichen vom SternenClan ist“, führte Hummelschatten weiter aus. „Weil wir bis dahin kein Lebenszeichen von euch hatten, haben wir dem Fluss den Rücken gekehrt und sind in Richtung der Berge gewandert.“ Sturmherz spürte, wie sein Herz in seiner Brust vor Freude heftig schlug, beinahe wie ein Vogel, der sich zu befreien versuchte. Sie waren endlich wieder vereint, genau so sollte es sein, genau so war es vom SternenClan vorgesehen. Nur gemeinsam konnten sie diese Mission erfüllen. „Ich bin unendlich dankbar dafür, dass uns der SternenClan wieder zusammengeführt hat.“ Rauchsturm nickte. Er hatte sich in den letzten Tagen zusammengerissen, doch Sturmherz hatte mehr als einmal bemerkt, dass seine Flanke noch immer entzündet war und schmerzte. Immerhin war er mehr als nur Haut und Knochen, weil Sturmherz für ihn jagte und gleichzeitig versuchte, ihm das Jagen beizubringen. „Was ist euch nur passiert?“, fragte Schneewolke noch immer ganz aufgeregt. „Ich wurde vom Fluss fortgespült und kam weit entfernt wieder ans Ufer. Von dort bin ich bis zu einem riesigen Zweibeinerort gelaufen und über einen Donnerpfad über den Fluss gelangt. Leider … hat mich eines der Metallmonster erwischt.“ Schneewolke senkte den Blick. „Das sieht nicht gut aus.“ „Es geht schon.“ Rauchsturm rang sich ein Lächeln ab. „Wir haben keine Zeit zu verlieren. Wenn wir am Ziel sind, kann ich mich immer noch ausruhen.“ „Wenn du meinst …“ So ganz überzeugt wirkte sie noch nicht, doch Rauchsturm nickte zuversichtlich. Auch Hummelschatten schaute eher besorgt, doch er seufzte lediglich. „Jedenfalls ist es schön, euch wieder bei uns zu haben.“ Sturmherz nickte. „Wie habt ihr es geschafft, den Fluss zu überqueren?“ „Wir sind geschwommen“, sagte Schneewolke unvermittelt. „Zunächst musste ich Hummelschatten davon überzeugen, aber dann haben wir es gewagt. Ich bin nicht zum ersten Mal geschwommen und er hat tapfer durchgehalten.“ Hummelschatten zog eine Grimasse. „Danach war ich aber auch so erschöpft, dass ich direkt eingeschlafen bin. Du hast manchmal echt blöde Ideen.“ „Aber sie funktionierten“, erwiderte sie rational und schüttelte sich. „Sollen wir eine Rast einlegen?“, fragte Sturmherz. Sie waren nun schon zweieinhalb Wochen unterwegs. In den vergangenen Tagen hatten Rauchsturm und er den Zweibeinerort endgültig hinter sich gelassen. Sie hatten die Berge erklommen, nur um festzustellen, dass dahinter ein weiteres Tal und noch größere Gebirgsketten auf sie warteten. Auf halbem Weg dorthin hatten sie urplötzlich die Fährte von Schneewolke und Hummelschatten aufgenommen, waren ihr einen weiteren Tag gefolgt und hatten sie auf diese Weise eingeholt. Von der ganzen Anstrengung zitterten Rauchsturms Muskeln. „Nicht wegen mir. Nehmt keine Rücksicht auf mich.“ Sturmherz schnalzte mit der Zunge und schaute in den Himmel. Die Blattleere hatte stabile Temperaturen um den Gefrierpunkt erreicht. Nachts gefror der Wald, tagsüber taute er wieder. Der Schnee verringerte sich von Tag zu Tag. „Es ist schon Nachmittag und wir haben die letzten zwei Tage ein sehr strammes Tempo gehabt. Ich denke, wir alle haben uns eine Pause verdient.“ Sogleich stimmte Schneewolke ihm zu: „Das ist eine gute Idee. Dort drüben haben wir eine verlassene Höhle gesehen, die können wir als Nachtlager benutzen.“ Hummelschatten wollte etwas erwidern, doch ein einziger Blick von Schneewolke brachte ihn zum Schweigen. „Gut, dann rasten wir“, sagte er stattdessen feixend und machte sich schon auf den Weg, um für Frischbeute zu suchen, während Schneewolke die beiden anderen zu der Höhle führte. Rauchsturm hielt sich mit letzter Kraft auf den Beinen, doch sobald er den Schutz des ehemaligen Dachsbaus erreicht hatte, sank er zusammen, rollte sich ein und schlief. Unschlüssig blieben Schneewolke und Sturmherz vor dem Eingang des Baus stehen, bis sie ihn anstupste und mit dem Kopf zur Seite deutete. Sturmherz folgte ihr, bis sie etwas weiter weg ein ruhiges Fleckchen gefunden hatten. „Ich bin sehr froh, dass wir wieder vereint sind.“ „Und ich erst.“ Sie streckte ihre Schultern durch, ehe sie es sich bequem machte. „Hummelschatten ist mir manchmal ganz schön auf die Nerven gegangen. Aber … euer Verschwinden hat uns zusammengeschweißt. Wir waren eineinhalb Wochen alleine ohne euch unterwegs. In der Zeit haben wir viel diskutiert und noch viel mehr gestritten, aber am Ende schien alles geklärt zu sein und jetzt … verstehe ich nicht einmal mehr, wieso ich ihn anfangs nicht leiden konnte.“ Eine Weile schaute sie ziellos in die Ferne, dann drehte sie ihren Kopf zu Sturmherz um. „Geht mir mit Rauchsturm und dir übrigens nicht anders.“ Sturmherz freute sich über das Kompliment, ihm wurde ganz warm ums Herz. „Das kann ich nicht zurückgeben. Diese Mission sorgt dafür, dass wir zusammenhalten und … Freunde werden.“ Schneewolke nickte seicht. „Ja, das tut sie. Ich glaube zu verstehen, dass es dem SternenClan darauf angekommen ist. Der SternenClan wollte unbedingt, dass einer aus jedem Clan loszieht, auch wenn ein einziger Clan diese Aufgabe auch geschafft hätte. Aber wir sollten lernen, worauf es wirklich ankommt.“ „Und worauf kommt es deiner Meinung nach wirklich an?“ Er musterte sie neugierig, war auf ihre Antwort gespannt. Und er fand es süß, wie sie ganz leicht die Nase kräuselte, wenn sie angestrengt nachdachte. „Ich denke, dass … nun ja …“ Sie setzte sich wieder auf und schaute ihm direkt in die Augen. „Ich denke, dass wir lernen sollen, die Grenzen unserer Clans zu überwinden. Es ist egal, wer aus welchem Clan kommt, solange es darum geht, für ein großes Ganzes zu kämpfen. Wir alle werden unsere Heimat am Heiligen Berg verlieren. Es wäre töricht, uns trotzdem zu bekriegen. Wir alle teilen uns dasselbe Schicksal und denselben SternenClan. Wenn wir im Tod über die Clangrenzen hinweg vereint sein können, waren dann nicht auch im Leben? Ja, die Clans geben uns Strukturen und Sicherheit und das soll auch so bleiben, aber jemanden zu verstoßen, nur weil er sich in jemandem aus einem anderen Clan verliebt hat, das ist … falsch. Wie kann ein so reines Gefühl wie Liebe falsch sein? Wenn wir an den Heiligen Berg zurückkehren und in unsere neue Heimat aufbrechen, darf es nicht mehr wichtig sein, wer zu welchem Clan gehört. Wir alle müssen zusammenhalten, wir müssen ein großes Ganzes sein.“ Sturmherz war von der Intensität ihrer Ansprüche gerührt, spürte ein Brennen in seinem Herzen, einen wilden Sturm in seiner Seele. „Du hast Recht. Das denke ich auch. Aber nur weil wir das so sehen, heißt das nicht, dass unsere Clans das auch können. Wenn wir an den Heiligen Berg zurückkehren, wird für sie noch immer alles beim Alten sein.“ „Wir müssen versuchen, sie zu überzeugen! So wie diese Reise auch mich überzeugt hat! Oder dich, oder Hummelschatten, oder Rauchsturm!“ „Schneewolke, ich stimme dir ja zu, aber das ist alles leichter gesagt als getan und -“ Sie unterbrach ihn einfach, indem sie aufsprang, sich zu ihm beugte und ihren Kopf einmal kurz an seinem Kiefer rieb. „Das hier ist echt, Sturmherz. Unsere neue Heimat wird für uns alle eine neue Chance sein.“ Ohne auf seine Antwort zu warten, drehte sie sich um und trabte mit schnellen Schritten zur Höhle zurück. Sein Herz stand in Flammen, sein Körper kribbelte und bebte. Sturmherz blieb vollkommen verdattert zurück. *** Die vierte Woche ihrer Reise brach schneller heran, als Sturmherz es je für möglich gehalten hatte. Nicht mehr lange und sie wären schon einen ganzen Mond lang unterwegs. Das Tal hatten sie mittlerweile hinter sich gelassen, doch das Erklimmen der steilen Berge war ein langwieriges, anstrengendes und nicht immer ungefährliches Unterfangen. Zudem war Rauchsturm noch immer durch seine Verletzung geschwächt, auch wenn es den Anschein machte, dass die Entzündung allmählich zurückging. Die meiste Zeit über trotteten sie einfach schweigend Seite an Seite in einem langsamen, aber gleichmäßigen Tempo. Hin und wieder unterhielt Hummelschatten sie mit seinen Witzen und Anekdoten aus dem LuftClan, was ziemlich amüsant war, zumal er Wacholderstern nicht wirklich leiden konnte und keine Gelegenheit ausließ, um zu betonen, was für ein Speichellecker er bei Silberstern war. Auch Schneewolke taute nach der ganzen gemeinsamen Zeit auf und begann, Geschichten aus dem WasserClan zu erzählen. Sie kannte Legenden und Mythen über Mondstern, die nicht einmal die anderen kannten. Dennoch konnte Sturmherz es nicht glauben, dass ausgerechnet die Mondstern ihn in seinen Träumen besucht hatte. Genauso verunsichert war er wegen der Schmuserei mit Schneewolke vor etwas weniger als einer Woche. Seither hatte sie sich ihm gegenüber freundlich, aber normal verhalten. Er konnte ihr Verhalten nicht deuten und umso unsicherer war er wegen seiner eigenen Gefühle in Bezug auf Schneewolke. Rauchsturm schwieg fast durchgehend, schlief viel und war dankbar für jede kleine Rast. Er magerte nicht weiter ab, gesund sah er aber nicht aus. *** Die Tage vergingen weiter, die Bergspitzen kamen näher und näher. Ihre Pfoten waren schmerzhaft geschwollen, doch keiner wollte sich davon aufhalten lassen, denn der Ort, an dem der SternenClan in strahlender Pracht am Himmel tanzt, war zum Greifen nah. Heute Nacht war Vollmond und am nächsten Sonnenaufgang waren sie genau einen Mond lang unterwegs. „Es wird bald Abend“, sagte Schneewolke, doch die lang ersehnte Bergkuppe war nur noch ein oder zwei Stunden entfernt. Von dort ging es nur noch bergab. „Sollen wir anhalten?“ Ausgerechnet Rauchsturm war es, der mit fiebrig glänzenden Augen weiterlief. „Nein, nicht so kurz vor dem Ziel. Ich möchte endlich sehen, was der SternenClan für eine neue Heimat erwählt hat.“ Sie sahen sich alle der Reihe nach an, dann waren sie sich einig. Zwar war es am steilen Hang geschützter als auf dem höchsten Punkt des Berges, doch von dort oben hatten sie einen Blick auf alles, was hinter dieser Bergkette lag. Aus diesem Grund liefen sie weiter, spürten neue Energie in ihren müden Körpern. Sturmherz ging voran, die anderen folgten ihm, bis es nur noch wenige Fuchslängen bis zur Bergkuppe waren. Dort verlangsamte er sein Tempo, wartete auf die anderen. Er atmete tief durch und die anderen taten es ihm gleich. Dann marschierten sie, Seite an Seite, über den höchsten Punkt hinweg. Ein atemberaubendes Panorama eröffnete sich vor ihnen. Inmitten steiler, grauer Bergketten mit schneebedeckten Spitzen glitzerte am tiefsten Punkt des Tals ein riesiger See im Sonnenuntergang. Die Berghänge waren mit dichten Wäldern geschmückt, die immer wieder in unregelmäßigen Abständen von Wiesen, Lichtungen und steinigen Händen durchzogen waren. Bis an das Ufer des Sees schmiegte sich die Natur. Und dort, mitten im Wasser, erhob sich eine etwas kleinere Insel, die ebenfalls von dichten Bäumen bedeckt war. Sie standen einfach nur da, voller Ehrfurcht und Freude, denn in ihren Herzen wussten sie bereits, dass sie ihr Ziel erreicht hatten. Und dann, als die Sonne untergegangen war und das Sternenvlies sichtbar wurde, tanzten grünliche, breite Lichtschwaden über den Himmel. „Wir sind angekommen“, wisperte Rauchsturm. „Wir sind … zu Hause.“ Auch Schneesturm konnte sich kaum von dem Anblick fortreißen. „Lasst uns dort runter gehen und einen Schlafplatz suchen.“ „Es ist so wunderschön, so friedlich“, sagte Hummelschatten. „Ja, es ist … perfekt“, bestätigte Sturmherz. Sie liefen einige Schritte, dann merkten sie, dass der Hang wieder schlagartig steiler wurde. Doch zu seinem eigenen Erstaunen klappte der Abstieg wie von selbst. Ihre Pfoten trugen sie sicher hinab, bis der Waldrand in Sicht kam. Je näher sie dem Wald kamen, desto deutlicher zeichnete sich eine Gestalt ab. Sie verlangsamten ihr Tempo, schauten sich verwirrt an, gingen jedoch weiter und dann – zu ihrer großen Verwunderung – löste sich die Gestalt aus den Schatten und trat auf sie zu. „Ich grüße euch, Wanderer.“ Vor ihnen stand ein großer, cremefarbener Kater mit dunklen, braunen Augen. „Mein Name ist Seestein. Ich habe euch bereits erwartet.“ Misstrauisch blieb Hummelschatten stehen. „Uns erwartet? Wer bist du? Was willst du von uns?“ Auch Schneewolke kniff ihre Augen leicht zusammen. Ihr buschiger, weißer Schwanz peitschte nervös durch die Luft. Rauchsturm seufzte erschöpft und lehnte sich gegen Sturmherz. Seestein betrachtete sie der Reihe nach, dann blieb sein Blick auf Rauchsturm liegen. „Er ist verletzt? Was ist geschehen?“ „Ein Metallmonster auf dem Donnerpfad“, antwortete Sturmherz knapp. Seestein nickte. „Ich verstehe. Ihr werdet sicherlich eine Menge Fragen haben und euer Weg vom Heiligen Berg bis zu uns war sehr weit, aber ihr wart so lange unterwegs, dass ein paar Stunden mehr nichts ausmachen werden. Kommt mit mir. Ich bringe euch zu Lichtblut, unserer Heilerin.“ „Heilerin?“, fragte Schneewolke unsicher, folgte Seestein aber ganz langsam. „Das klingt nach einem Clan. Wie kann das sein?“ Sie wartete kurz, bis Sturmherz an ihrer Seite war, dann gingen sie gemeinsam weiter. „Wir müssen ihm vertrauen“, flüsterte Sturmherz seinen Gefährten leise zu. „Rauchsturm braucht Hilfe.“ Schneewolke nickte leicht. „Ich weiß.“ „Welche Alternative haben wir schon“, knurrte Hummelschatten. Seestein führte sie direkt in den Wald hinein, ließ sich mit einer Antwort aber Zeit, auch wenn er sie zweifelsohne gehört haben musste. „Seid unbesorgt. Wir sind eure Freunde.“ Sogleich streckte Schneewolke stolz ihre Schultern durch. „Ich entscheide selbst, wer meine Freunde sind.“ Seestein schaute über die Schulter für einen Augenblick zu ihr und ein Schmunzeln lag in seinen Augen. „Natürlich.“ „Woher wusstest du, dass wir heute Abend zu euch stoßen?“, fragte Rauchsturm nach einer Weile. Er war sehr klapprig auf den Beinen und zitterte. „Der SternenClan hat uns darüber in Kenntnis gesetzt.“ „Das reicht mir als Antwort.“ Hummelschatten sah ihn schräg an. „Mir nicht. Aber Antworten gibt es offensichtlich noch nicht.“ „Geduld.“ Mehr sagte Seestein nicht mehr. Zielstrebig steuerte er durch den Wald hindurch, immer weiter abwärts, bis die Steigung abnahm und bald darauf kaum noch zu merken war. Nach einer Weile bog er zur Seite und durch die Baumstämme hindurch konnte man das Mondlicht im See schimmern sehen. Sie gingen nun um den See herum, folgten seinen Konturen, bis ein riesiger, dichter Rhododendron in Sicht kam, an dessen Seiten sich weitere kleinere Vertreter dieser Art anschlossen und deren dichtes Astgeflecht eine sichere Kuppel bot. Es erinnerte Sturmherz an das Lager des ErdClans, nur dass dieses sehr viel größer war. Seestein ging durch einen schmalen Eingang hindurch, an dem die Erde durch Scharren etwas vertieft worden war, um den Ein- und Ausgang zu erleichtern. Gut vier, fünf Fuchslängen liefen sie geduckt, über ihnen, um sie herum alles voller Äste, die das Sonnen- und Mondlicht aussperrten. Dann kam ein großer Hohlraum zum Vorschein. Mehrere dicke Äste verliefen quer durch das Lager. Auf einigen von ihnen saßen oder lagen Katzen, die sich putzten, ihre Unterhaltungen jedoch unterbrachen, sobald sie Seestein und die Neuankömmlinge erblickten. Es mussten mindestens zwei Dutzend Katzen sein. Von jetzt auf gleich herrschte Totenstille in dem Lager. Eine kleine, stämmige Katzendame mit blauem und cremefarbenem Fell trat auf sie zu. In ihren matschgrünen Augen glomm die Weisheit vieler Lebensjahre. Seestein trabte leichtfüßig an ihr vorbei und reihte sich bei den anderen Katzen ein. Noch immer schwiegen alle und starrten auf die vier Gesandten vom Heiligen Berg. Die Katzendame musterte sie ausgiebig, als würde sie etwas sehen können, was den anderen verborgen blieb, was ein Unwohlsein in Sturmherz‘ Brust auslöste. Schließlich nickte sie aber zufrieden, setzte sich auf die Hinterläufe und legte den buschigen, ausgefransten Schwanz über ihre Pfoten. „Willkommen im SeelenClan.“ *** „Ich kann noch immer nicht glauben, dass das der SeelenClan aus den alten Geschichten sein soll“, sagte Schneewolke am nächsten Tag. Hummelschatten, sie und Sturmherz hatten auf eigenen Wunsch abseits im momentan ungenutzten Bau der Königinnen geschlafen, während Lichtblut sich in ihrem eigenen Heilerbau um Rauchsturms Verletzung und sein Fieber kümmerte. „Aber es macht irgendwo Sinn“, hielt Sturmherz dagegen und patschte nach der toten Maus, die vor ihm lag. „Es heißt doch, dass der Anführer des SeelenClans damals nicht ertragen konnte, dass seine vier Brüder sich erbittert bekämpften uns der große Clan deshalb zerbrach. Es heißt, er ging mit seinen Anhängern weit fort und kehrte nie wieder zurück, weil er darauf wartete, dass die Clans sich wieder miteinander versöhnten.“ „Der letzte Teil ist Interpretation“, kommentierte Schneewolke sofort besserwisserisch. „Genau überliefert ist das nicht.“ „Natürlich nicht“, funkte Hummelschatten dazwischen, „immerhin heißt der SeelenClan nicht umsonst verlorener Clan.“ Schneewolke verzog das Gesicht und aß schweigend ihre Frischbeute auf. „Ist auch egal.“ „Du willst nur nicht zugeben, dass du mal keine Antwort für uns parat hast“, neckte Hummelschatten sie weiter, doch ein einziger Seitenblick von ihr genügte, um ihn wieder verstummen zu lassen. Sie aßen in Ruhe auf, dann gesellten sich die beiden Schüler des SeelenClans zu ihnen. „Lichtblut hat gesagt, wir sollen euch das Gebiet um den See zeigen“, plapperte eine kleine, schwarze Katze mit weißen Pfoten und weißer Brust munter los. „Ich bin Eulenpfote und das ist Elchpfote.“ Ihr rotgetigerter Bruder blickte etwas ernster drein. „Guten Morgen. Wenn ihr soweit seid, brechen wir direkt auf.“ „Wir können sofort los.“ Sturmherz stand auf, streckte sich und trottete hinter den beiden Schülern quer durch das großzügige Lager unter dem Rhododendron, dann durch den schmalen Durchgang und hinaus in den Wald. Schneewolke und Hummelschatten folgten ihnen. Sie ließen sich von den beiden Schülern an das Ufer des riesigen Sees führen, dann schlugen sie den Weg nach rechts ein. „Das hier ist der große See, an dem der SeelenClan schon seit jeher lebt“, begann Eulenpfote. „Zu unserer Linken könnt ihr ein gutes Stück vom Ufer entfernt die Otterinsel entdecken. Auf ihr leben – wie es der Name schon vermuten lässt – einige Seeotter. Aber das ist nicht alles. Je nach Wasserspiegel wird eine schmale Landzunge freigelegt, die dann als Übergang zu der Insel dient. Die meiste Zeit im Jahr muss man aber schwimmen. Auf der Insel gibt es erstaunlicherweise eine kleine Quelle. An dieser Quelle kann Lichtblut mit dem SternenClan reden. Manchmal begleiten sie der oberste Jäger und der oberste Krieger.“ „Wer soll das sein?“, fragte Schneewolke unvermittelt. „Und wo ist eigentlich euer Anführer?“ Eulenpfote blinzelte verwirrt. Stattdessen sprang Elchpfote mit stolzgeschwellter Brust für sie ein. „Mäusehirn, so läuft das am Heiligen Berg doch nicht.“ Er leckte sich einmal über die Schulter, dann begann er zu erklären: „Damals, als der große Seelenstern den SeelenClan an den See geführt hat, legte er die Verantwortung für den SeelenClan in die Pfoten seines Heilers. Seelenstern wollte an den Heiligen Berg zurückkehren, um darüber zu wachen, wann seine Brüder ihren Krieg beilegen. Leider kam er nie wieder, doch die Heiler wachten von Generation zu Generation über den SeelenClan und warteten auf jenen Tag, an dem alle Clans wieder vereint sein konnten. Mehrfach haben sie versucht, vom SternenClan neun Leben zu erhalten, doch der SternenClan verweigerte ihnen dieses Privileg, weil Seelenstern angeblich noch immer lebt.“ „Was aber unmöglich ist, weil das schon Ewigkeiten her ist“, unterbrach Eulenpfote ihren Bruder aufgeregt. Beim Gehen wippte ihr dünner, schwarzer Schwanz ganz aufgeregt auf und ab. „Jedenfalls“, erlangte Elchpfote mit bösem Blick das Wort zurück, „lebt der SeelenClan seither ohne Anführer. Jeden Vollmond wählt der Clan dafür den besten Krieger und den besten Jäger aus. Diese treffen gleichberechtigt neben der Heilerin einen Mond lang alle Entscheidungen.“ „Also habt ihr gar keinen Anführer, der euch führt?“ Schneewolke sah schockiert aus und tauschte einen bestürzten Blick mit Hummelschatten und Sturmherz. „Und das funktioniert?“ „Sie kennen es nicht anders“, nahm Sturmherz den SeelenClan in Schutz. „Aber was mich interessiert, ist, wie ihr alle in diesem riesigen Gebiet um den See lebt. In eurem Lager waren etwa zwei Dutzend Katzen, aber Lichtblut meinte, dass es insgesamt etwa drei Dutzend sind.“ Elchpfote nickte. „Das große Lager unter dem Rhododendron ist unser Hauptlager und der einzige Ort, an dem sich so ein großer Clan vollständig versammeln kann. Aber es gibt noch weitere, kleinere Lager, die rund um den See verteilt liegen.“ Mit der Pfote deutete er in eine Richtung. „Dort an dem Berghang gibt es eine Höhle. Und da hinten“, die Pfote wanderte in eine andere Richtung, quer über den See, „lebten einmal Dachse, die aber fortgegangen sind und ihren weit verzweigten Bau leer zurückließen. Das sind nur zwei Beispiele. Wir kehren auch nicht immer alle für jede Nacht in das große Lager zurück, weil es ein weiter Weg ist, wenn man den See vollständig umrunden möchte.“ Schneewolke dachte noch immer über den fehlenden Anführer nach. „Und wer sind die beiden gewählten Berater von Lichtblut?“ „Oh, das sind Bisonmähne und Goldstreif“, antwortete Eulenpfote ihr sofort. „Bisonmähne ist der beste Krieger. Niemand kann ihn im Zweikampf besiegen, nicht einmal Goldstreif, sein Bruder. Dafür ist Goldstreif der beste Jäger. Er findet selbst in der schlimmsten Blattleere immer Frischbeute für den Clan.“ Sie nickte eifrig. „Ich hätte gerne einen der beiden als Mentor gehabt, so wie so ziemlich jeder Schüler.“ Daraufhin kicherte sie kurz. „Aber ich denke, ihr werdet die beiden schon noch kennen lernen. Sie sind momentan auf der anderen Seite vom See unterwegs, aber Seestein ist bereits losgegangen, um sie über eure Ankunft zu informieren.“ „Ich merke schon, dass wir beliebt sind“, witzelte Hummelschatten. „Ich wurde schon den ganzen Morgen darüber ausgefragt, wie es aktuell am Heiligen Berg aussieht.“ Eulenpfote und Elchpfote führten sie noch eine Weile am See entlang, bis die Sonne am höchsten stand, dann kehrten sie um. „Wir müssen noch trainieren, deshalb müssen wir zurück“, erklärte Eulenpfote. „Aber Lichtblut wollte euch sowieso nochmal sprechen.“ Kurz vor dem Lager verabschiedeten sie sich voneinander. Sturmherz, Schneewolke und Hummelschatten kehrten ins Innere des Lagers zurück, das erheblich leerer war als am vergangenen Abend. Die meisten waren noch auf Patrouille, jagten oder hatten sich für etwas Zweisamkeit in die Weiten des Waldes zurückgezogen. Lichtblut erwartete sie bereits. Ihr Heilerbau lag gut versteckt tiefer in dem dichten Geflecht aus Rhododendron-Ästen. „Ah, da seid ihr wieder. Habt ihr euch einen Überblick verschaffen können?“ Sturmherz nickte kurz. „Eulenpfote und Elchpfote sind sehr nett. Sie haben uns viel gezeigt, aber wir konnten noch lange nicht alles sehen. Euer Revier rund um den See ist riesig.“ Lichtblut schnurrte zufrieden. „Oh ja. Es dauert einen ganzen Tag, wenn man das Revier rund um den See einmal durchqueren möchte.“ „Und ihr habt keine Angst, dass eines Tages die Zweibeiner kommen und euch dieses friedliche Tal streitig machen?“, fragte Schneewolke besorgt. „Nein. Der Zweibeinerort ist einen Halbmond von hier entfernt, wie ihr selbst gemerkt habt. Sie haben dieses Tal, genau wie die umliegenden Täler und Berge, zu einem Gebiet erklärt, das einzig und alleine dem Schutz der Natur dient. Kein einziger Donnerpfad führt hierher und es ist den Zweibeinern verboten, dieses Tal anders als zu Fuß zu betreten. Natürlich würden sie sich diese Mühe niemals machen. Aus diesem Grund ist es schon sehr, sehr lange her, dass wir einen Zweibeiner zu Gesicht bekommen haben.“ „Was ein Glück für euch, wir hatten letztes Jahr viel Ärger mit den Zweibeinern“, seufzte Hummelschatten. Lichtblut gähnte. „Das ist mir bekannt.“ „Woher?“, fragten Schneewolke und Sturmherz wie aus einem Mund. Die Heilerin mochte zwar alt sein, aber in ihren Augen blitzte es aufgeweckt auf. „Nun, wie glaubt ihr, konnte der SeelenClan über all die Zeit wachsen und gedeihen? Der SternenClan war sehr gnädig mit uns. Im Laufe der Generationen fanden sowohl Einzelläufer als auch Ausgestoßene vom Heiligen Berg ihren Weg bis zu uns. Leider haben es nicht alle, die von euren Clans verbannt wurden, bis zu uns geschafft, doch manche schon. Auf diese Weise blieben wir stets über das Geschehen am Heiligen Berg informiert.“ Auf einmal schlug das Herz in Sturmherz‘ Brust ein wenig schneller. Konnte es möglich sein? Vielleicht? „Es ist noch gar nicht lange her, dass Mondpfote und Sonnenpfote, zwei HalbClan-Junge, geboren wurden. Ihre Mutter wurde aus dem WasserClan verbannt und ihr Vater aus dem FeuerClan ging heimlich mit ihr mit.“ „Und ihr glaubt, ausgerechnet diese beiden sind bei uns? Die Wege des SternenClans sind unergründlich, mein lieber Sturmherz. Was haltet ihr davon, stattdessen eurem Freund Rauchsturm einen Besuch abzustatten? Er wartet bereits auf euch. Seine Verletzung hat sich in der Tiefe schwer entzündet und er wird sich mindestens einen Mond lang hier bei mir davon erholen müssen. Das wird eure Rückreise selbstverständlich verzögern. Rauchsturm hat diese Nachricht sehr schlecht aufgenommen, ihr könntet ihn ein bisschen aufheitern.“ Sturmherz seufzte, doch er folgte dem Rat der Heilerin und betrat gemeinsam mit seinen beiden Begleitern den Bau der Heilerin, der ähnlich wie der Eingang vom Lager zunächst durch einen schmalen Tunnel aus Wurzeln und Ästen führte, ehe er zu einem gemütlichen Hohlraum wurde. Und dort, an der Seite von Rauchsturm, saßen Wolkentänzer und Apfelpelz und schauten ihre alten Clan-Gefährten mit leuchtenden Augen an. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)