Stormpaw's Destiny von Kalliope (Warrior Cats - New Clans, New Stories) ================================================================================ Kapitel 20: ------------ Noch zwei Tage bis zum nächsten Halbmond, an dem Honigblüte mit dem SternenClan über die aktuelle Lage sprechen konnte. Die letzte Woche über hatte Silberstern dem FeuerClan durch ihre Taktik des Wartens übel zugesetzt. Die meisten Krieger waren übermüdet und erschöpft, weil immer zwei die Nachtpatrouille übernahmen, aber trotzdem tagsüber den normalen Dienst zu erfüllen hatten. Sturmherz konnte nur mutmaßen, wie lange der Clan dieses Verhalten aufrechterhalten konnte. Und, wenn man einmal ehrlich war, könnte der Clan mehr Krieger gebrauchen. Im Kopf ging er die einzelnen Clanmitglieder durch. Schwarzstern und Haselschweif waren damit beschäftigt, alles zu überwachen und zu organisieren. Dennoch übernahmen auch sie jeden Tag eine der Patrouillen. Honigblüte und Fliederpfote waren als Heiler vom üblichen Clangeschehen ausgenommen. Falkenherz und Schneeflügel, die Ältesten, lieferten eine rein moralische Unterstützung. Zimtfeder und ihre Jungen befanden sich im Bau der Königinnen und Dachspfote war, auch wenn sie sich darüber am meisten ärgerte, noch immer nicht fit genug, um regulär auf Patrouille zu gehen oder gar zu kämpfen. Apfelpelz und Wolkentänzer standen nach wie vor unter Arrest. Aus diesem Grund beschränkte es sich auf die übrigen neun Krieger und drei Schüler. „Lange halte ich das nicht mehr durch!“, klagte Herbstwolke zum wiederholten Mal ihr Leid, während sie am Frischbeutehaufen lag und lustlos mit ihrer Maus spielte. „Wie soll es nur so weitergehen?“ Niemand antwortete ihr, doch das hielt sie nicht davon ab, weiter zu lamentieren. „Oh wenn doch nur meine geliebte Schwester noch leben würde. Steinkralle wüsste, was zu tun ist. Steinkralle wusste immer eine Lösung!“ Sie verzog das Gesicht und schaute dabei gen Himmel, an dem die hellgrauen Wolken sehr tief hingen und den Blick auf die Sonne verdeckten. „Schwester, du wüsstest es!“ Eisbart, der dem ganzen Gerede schweigend zugehört hatte, erhob sich, kickte Herbstwolkes Maus weg, setzte sich direkt vor sie und starrte sie mit strengem Blick an. „Steinkralle war auch nicht allwissend!“, schnarrte er sie an und für einen Augenblick blitzten schmerzhafte Erinnerungen in seinem Gesicht auf. „Reiß dich zusammen, Herbstwolke! Steinkralle hätte nicht gewollt, dass du dich so gehen lässt!“ Herbstwolke setzte sich ebenfalls auf und erwiderte den Blick. „Ich lasse mich nicht gehen! Was erlaubst du dir, Eisbart! Wenn ihr euch damals nicht gestritten hättet, wäre sie vielleicht niemals losgezogen, um am Donnerweg nach Futter zu suchen, dann wäre sie noch bei uns!“ Sturmherz ahnte, dass diese Auseinandersetzung böse enden würde. Er schaute sich um und sah, dass es die anderen Anwesenden ähnlich taten. Haselschweif trottete sogleich zu seinem Freund Eisbart heran, wollte ihn beruhigen und von Herbstwolke wegholen, doch dieser beachtete den Zweiten Anführer nicht einmal. Mit bitterbösem Gesichtsausdruck baute Eisbart sich vor Herbstwolke auf, die nun noch kleiner und rundlicher wirkte als sonst. „Sag es mir ins Gesicht, dass du mir die Schuld an dem Tod meiner geliebten Gefährtin gibst!“, zischte er, doch in seiner Stimme lang unverkennbar eine Warnung. Seine Ohren waren platt angelegt. Sie wich leicht zurück, doch ihr Blick blieb stur. „Ja, du hast richtig gehört! Ich habe genau gehört, wie ihr euch damals gestritten habt!“ „Du verdrehst die Tatsachen! Steinkralle war eine Königin, Milchkralle noch nicht einmal eine Schülerin! Sie hätte bei ihr bleiben und sich um sie kümmern sollen, doch stattdessen zog sie immer wieder los, um Frischbeute für den Clan zu jagen, weil sie sich schuldig fühlte! Sie war eine stolze Kriegerin und stellte das Wohl des gesamten Clans über ihr eigenes und das von Milchkralle!“ „Ja, sie war stolz, aber du hättest sie aufhalten müssen!“ „Als ich erkannte, dass sie außerhalb unseres Territoriums am Donnerweg jagen wollte, bin ich ihr doch hinterher gelaufen!“ „Aber du warst du spät!“ „Immerhin habe ich etwas getan! Glaubst du, ich weiß nicht, dass ich sie hätte aufhalten müssen? Aber ich lebe weiter und suhle mich nicht in meinem Unglück, so wie du es seit dem Tod von Fleckenbaum machst! Du bist für Fleckennase nichts weiter als eine lästige Klette!“ „Du …!“ Beide standen buckelnd und fauchend voreinander. Hilflos schaute Haselschweif zwischen den beiden hin und her. „Bitte, beruhigt euch! Die Blattleere damals war für uns alle sehr belastend, jeder hat jemanden verloren, der ganze Clan hat gelitten. Aber wir müssen nach vorne schauen. Wir dürfen uns jetzt nicht entzweien lassen, wenn der WasserClan …“ „Scheiß auf den WasserClan“, fauchte Eisbart aggressiv und machte einen drohenden Schritt auf Herbstwolke zu, die sich plötzlich ergab und flach gegen den Boden drückte. Milchkralle sah blass aus, als sie zu ihrem Vater eilte. Sie stupste Eisbart so lange gegen die Schulter, bis dieser von Herbstwolke abließ. Einen Moment lang schaute er Milchkralle in die Augen, dann kehrte die Ruhe in ihn zurück. Wortlos drehte er sich um und stapfte breitbeinig aus dem Lager heraus. „Alles in Ordnung?“, fragte Sturmherz Milchkralle. Diese nickte nur und wollte sich nichts anmerken lassen, doch er erkannte ganz genau, wie sehr sie diese Auseinandersetzung mitgenommen hatte. Sturmherz glaubte, dass auch sie ihre Mutter schmerzlich vermisste, doch niemand gestand ihr diese Gefühle zu. *** Der nächste Tag bot dem FeuerClan eine Abwechslung vom strengen und strukturierten Alltag, denn Schwarzstern hatte entschieden, dass sich Rindentänzers Schüler Frostpfote an der offiziellen Kriegerprüfung versuchen durfte. Blaukralle, der sich benahm, als wäre diese Entscheidung alleine sein Verdienst gewesen, schnurrte zufrieden vor sich hin und beglückwünschte Rindentänzer jovial zu der Prüfung seines ersten eigenen Schülers, wobei er es sich nicht nehmen ließ, ausgiebig zu betonen, wie schade er es fand, dass Nebelstreif einfach ohne diese Prüfung zum Krieger ernannt worden war. „Er hatte sich so darauf gefreut“, sagte Blaukralle gedehnt und warf anschließend Sturmherz einen vernichtenden Blick zu. Schwarzstern nickte Rindentänzer und Frostpfote zu, dann machte sich das Dreiergrüppchen alleine auf den Weg. Haselschweif blieb zurück, um im Lager die Stellung zu halten. „Er wird es schaffen“, sagte Fleckennase zuversichtlich. „Rindentänzer hat Frostpfote gut ausgebildet. Er ist ein ausgezeichneter Kämpfer, sehr schnell und kräftig.“ Milchkralles Ohren zuckten leicht. „Schattenpfote ist kleiner und wendiger. Ich denke, er wird sich als Jäger besser machen, wenn er nur nicht so ungeduldig wäre. Daran müssen wir noch arbeiten.“ Schattenpfote, der in Hörweite saß, seufzte genervt auf. „Milchkralle, meinst du das wirklich ernst? Wieso darf Frostpfote die Prüfung machen und ich noch nicht? Ich bin bereit!“ „Nein, das bist du nicht. Es kommt nicht darauf an, wie früh man zur Prüfung antreten darf. Wir warten lieber ein oder zwei Monde länger und können uns dafür sicher sein, alle Grundlagen bis zur Perfektion zu beherrschen.“ Er seufzte erneut und begrub sein Gesicht unter den Vorderpfoten. „Das ist nicht fair!“, jammerte er. Milchkralle ließ die weiteren gemurmelten Proteste einfach an sich abprallen – oder tat zumindest so. Sturmherz vermutete, dass sie sich nicht die Blöße geben wollte, dass ihr Schüler womöglich bei der Prüfung durchfiel so wie sie damals. „Ich bin gerne ein Schüler“, sagte Flockenpfote fröhlich, ohne den Ernst der Diskussion überhaupt nachvollziehen zu können. Gut gelaunt blickte er zwischen seinem Bruder und dessen Mentorin hin und her. „Und ich freue mich für Frostpfote. Er ist ebenso schnell ein Krieger geworden wie Nebelstreif, wenn man bedenkt, dass wir einen halben Mond nach den anderen angefangen haben.“ „Es kommt nicht darauf an, wie schnell jemand zum Krieger ernannt wird“, dozierte Milchkralle erneut, doch in ihre Stimme schlich sich ein leicht gereizter Unterton. „Wie dem auch sei“, versuchte Sturmherz die Situation zu beruhigen. „Fuchsauge und Blaukralle sind die einzigen Krieger, die im FeuerClan jemals nach zwei Monden zum Krieger ernannt wurden. Nebelstreif und Frostpfote liegen mit drei Monden nur knapp dahinter. Es ist kein Wettbewerb. Denkt daran, was Dachspfote diese Einstellung gekostet hat.“ Dies ließ Schattenpfote verstummen und schuldbewusst den Blick senken, ebenso wie Flockenpfote. Es bestand kein Zweifel daran, wie unterschiedlich die drei Brüder waren, doch alle drei hatten das Herz auf dem rechten Fleck. „Was soll diese Grabesmiene“, schnarrte Dachspfote plötzlich wie aus dem Nichts. Sie alle zuckten zusammen, als die schwarzweiße Schülerin zu ihnen herüber humpelte. „Ich lebe noch und ich lerne wieder zu laufen. Honigblüte ist zuversichtlich, dass ich schon bald mein Training wieder aufnehmen kann.“ Als die beiden anderen Schüler noch immer betreten zu Boden starrten, rollte sie genervt mit den Augen und stupste Schattenpfote an. „Wenn ich mich richtig erinnere, schuldest du mir noch einen Übungskampf.“ Er zögerte kurz, dann huschte der freche Ausdruck wieder über sein Gesicht. „Ja, das stimmt. Aber glaube bloß nicht, dass ich dich gewinnen lassen werde, nur weil du verletzt warst.“ „Das würde ich auch gar nicht verlangen“, erwiderte sie keck. Flockenpfotes Schwanz streichelte über den Erdboden und mit gewohnt unschuldiger Stimme sagte er: „Ich würde dich vielleicht gewinnen lassen.“ „Sie braucht niemanden, der sie gewinnen lässt“, schaltete sich nun auch Fleckennase ein und eine Spur von Stolz lag in seinem Blick. „Sie schafft das.“ Dachspfote nahm das Kompliment glücklich an. „Klar schaffe ich das.“ Anschließend forderte sie Schattenpfote mit einem leichten Pfotenhieb zum Spielen auf – kurz darauf tobten alle drei Schüler quer durch das Lager. Eine Weile unterhielten Sturmherz, Milchkralle und Fleckennase sich noch über die Kriegerprüfung, dann driftete ihr Gespräch aber wie so oft in Richtung WasserClan. Bald darauf verfielen sie in ein stoisches Schweigen und jeder hing seinen eigenen Gedanken nach. Sturmherz wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, als Schwarzstern mit Rindentänzer und Frostpfote ins Lager zurückkehrte. Sogleich versammelten sich alle Clan-Katzen in einem Halbkreis um den Felsvorsprung vom Bau des Anführers. Schwarzstern setzte sich unter den Vorsprung und blickte seinen Clan wohlwollend an. „Ich freue mich, euch zu verkünden, dass Frostpfote seine Kriegerprüfung mit Bravour bestanden hat.“ Eifrig gratulierten die ersten Katzen, doch Haselschweif rief sie zur Ruhe, damit Schwarzstern fortfahren konnte. „Rindentänzer, bist du davon überzeugt, dass dein Schüler dazu bereit ist ein Krieger zu werden?“ Rindentänzer nickte. „…“ Er war noch nie besonders gesprächig gewesen. „Ja.“ „Ich, Schwarzstern, Anführer des FeuerClans, rufe meine Kriegerahnen an und bitte sie, auf diesen Schüler herabzublicken. Er hat hart trainiert, um euren edlen Gesetzen gehorchen zu können und ich empfehle ihn euch nun als Krieger.“ Einen Augenblick lang pausierte er. „Frostpfote, versprichst du das Gesetz der Krieger einzuhalten und den Clan zu beschützen und zu verteidigen, selbst mit deinem Leben?“ Frostpfote streckte selbstbewusst die Schultern durch und rief mit lauter, klarer Stimme: „Ja!“ „Dann gebe ich dir mit der Kraft des SternenClans deinen Kriegernamen. Frostpfote, von diesem Augenblick an wirst du Frostzahn heißen. Der SternenClan ehrt deine Eigenständigkeit und deine Stärke und wir heißen dich als vollwertigen Krieger im FeuerClan willkommen.“ Die Jubelschreie, die zuvor noch unterdrückt worden waren, brachen nun in voller Lautstärke aus. „Frostzahn! Frostzahn! Frostzahn!“ Als Zeichen des Respekts leckte Frostzahn über Schwarzsterns Schulter, ehe er an die Seite seines Mentors zurückkehrte. „Wie es die Tradition will, wirst du heute Nacht die Nachtwache halten“, redete Schwarzstern weiter. „Ab morgen wirst du als vollwertiger Krieger in sämtliche Aufgaben des Clans eingebunden.“ Frostzahn nickte freudig und als sich die Versammlung auflöste, lief er mit hoch erhobenem Schwanz zu seinen beiden Brüdern und anschließend zu seiner Mutter Schneeflügel, die sich vor Freude gar nicht mehr beruhigen konnte und ihm immer wieder über die Ohren leckte. *** Es war gefühlt tiefste Nacht, als Sturmherz aufschreckte, weil er Honigblüte und Fliederpfote mitten im Lager herumlaufen hörte, doch in weiter Ferne färbte sich der Himmel bereits heller und kündigte das Morgengrauen an. „Honigblüte, das muss nichts zu bedeuten haben … Bitte beruhige dich und komm wieder mit in unseren Bau!“ „Das kannst du überhaupt nicht beurteilen!“, giftete sie ihre Schülerin an und stromerte fahrig hin und her. „Ich erkenne einen Traum, den mir der SternenClan geschickt hat, wenn ich ihn habe! Du hingegen bist erst seit ein paar Monden meine Schülerin, wie willst du wissen, was los ist!“ „Dann sag es mir doch endlich!“, erwiderte Fliederpfote unruhig und gleichzeitig besorgt. „Denkst du, ich habe nicht bemerkt, dass dich etwas besorgt? Honigblüte, bitte rede mit mir darüber!“ „Nein!“ Honigblüte blieb stehen und starrte Fliederpfote an. Ihr Blick wirkte fiebrig, voller Schmerzen und Dingen, die sie für sich behalten wollte. „Du bist noch so jung und unerfahren. Wie solltest du die Verantwortung für einen ganzen Clan auf deinen schmalen Schultern tragen können?“ „Ich verstehe nicht, was du meinst!“ Verzweifelt grub Fliederpfote ihre Vorderkrallen in den Boden hinein. „Erklär es mir, bitte!“ „Ich kann nicht!“, erwiderte Honigblüte aufgebracht. „Selbst wenn ich es wollte, der SternenClan hat mir verboten, darüber zu reden – vor allem nicht mit dir! Aber darum geht es nicht. Es ist der WasserClan.“ „Was ist damit?“ Sturmherz war noch im Halbschlaf aufgestanden und ehe er sich versah, schwankte er schlaftrunken aus dem Bau der Krieger hinaus. Er rappelte sich auf alle Viere, kniff einmal kurz die Augen zusammen und spürte dann, wie er wacher wurde. „Was ist mit dem WasserClan?“ Honigblüte warf ihm einen abschätzenden Blick zu. Dann seufzte sie genervt. „Los, Fliederpfote, hol Haselschweif und Schwarzstern. Sofort.“ Sturmherz setzte sich an den Rand des Lagers und schaute dabei zu, wie der Anführer und der Zweite Anführer nur wenig später ebenso müde in die Mitte des Lagers trotteten. „Honigblüte, was ist los?“ Schwarzstern konnte sich ein Gähnen nicht verkneifen. „Der SternenClan hat zu dir gesprochen? So kurz vor dem Halbmond?“ Haselschweifs Blick huschte alarmiert hin und her. „Was kann so wichtig sein, dass es nicht noch eine weitere Nacht warten kann?“ Honigblüte knurrte leise. „Der SternenClan hat uns allen eine Warnung geschickt, die sich gleichermaßen an alle vier Clans richtet. Sie warnen uns davor, dass sich die vier Clans des Heiligen Bergs selbst zerstören werden.“ „Und was bedeutet das?“ Haselschweif riss die Augen auf. „Bezieht es sich auf den WasserClan?“ „Davon gehe ich aus, ja. Silberstern hat schließlich mit dem ganzen Theater angefangen. Der SternenClan warnt unmissverständlich davor, dass die vier Clans aneinander brauchen, um überleben zu können.“ Schwarzstern seufzte. „Das wissen wir doch. Wie sollen wir vorgehen?“ Einen Moment lang zögerte Honigblüte, dann schüttelte sie den Kopf. „Ich weiß es nicht. Ich kann versuchen, morgen Nacht mit Gewitterschweif zu reden. Vielleicht kann er Silberstern noch aufhalten.“ „Nicht Silberstern ist das Problem, sondern Dornstachel, der sie immer weiter aufhetzt“, fügte Haselschweif knurrend hinzu. „Er ist der wahre Übeltäter und er schreckt vor nichts zurück.“ „Wir müssen …“ Doch weiter kam Schwarzstern gar nicht mehr. Völlig außer Atem hetzte Frostnacht in das Lager hinein. Einen Herzschlag lang sah er verwirrt aus, weil er seinen Anführer bereits in der Lagermitte antraf, doch dann hatte er sich wieder unter Kontrolle. „Schwarzstern!“, keuchte er und brach damit das Gebot des Schweigens, was erst bei Sonnenaufgang geendet hätte. „Sie greifen an! Der WasserClan, er schleicht in diesem Augenblick über die Grenze mitten in unser Gebiet, um das Herz des Clans zu treffen – das Lager! Ich habe sie aus der Ferne gesehen, als ich eine kleine Runde gedreht habe! Ich bin so schnell gekommen, wie ich nur konnte! Sie werden bald hier sein, es kann jeden Moment passieren!“ Alarmiert sprangen sie alle auf. Automatisch sträubte sich ihr Fell. „Was ist mit dem LuftClan?“ „Wacholderstern ist nicht dabei, aber Regenkauz und einige Krieger aus dem LuftClan!“ „Natürlich nicht, dieser Feigling würde sich niemals selbst die Pfoten dreckig machen.“ Schwarzstern kniff die Augen zusammen. „Schnell, uns bleibt nicht viel Zeit! Fliederpfote, schnapp dir Wolkentänzer und bring Zimtfeder und die Jungen beim ErdClan in Sicherheit! Haselschweif, weck alle Krieger auf und positioniere sie rund um das Lager!“ Dann fiel sein Blick auf Sturmherz. „Und du – lauf zum ErdClan und hol Unterstützung! Schnell!“ Sturmherz nickte und wartete nicht darauf, bis die übrigen Krieger aufwachten. Als er sich in Bewegung setzte uns aus dem Lager rannte, hörte er hinter sich bereits das aufgeregte Gemurmel des FeuerClans. Irgendwo im Schutz der Dunkelheit bahnte sich der WasserClan seinen Weg. Er musste sich beeilen. *** Löwenzahnstern hatte sein Wort gehalten und direkt auf seiner Seite des Bachs in Rufweite einen Wachposten stationiert. Kaum war Sturmherz nah genug, begann er um Hilfe zu rufen und als er den Bach erreichte, wartete bereits Lehmpelz auf ihn. Sie erkannte seinen alarmierten Gesichtsausdruck in der Morgendämmerung auf den ersten Blick. „Oh nein!“ Ihre gelben Augen weiteten sich. „Sie greifen an?“ Sturmherz nickte. „Und der LuftClan ist bei ihnen! Alleine werden wir es nicht schaffen! Fliederpfote ist mit den Königinnen und Jungen auf dem Weg hier her, um Schutz zu suchen.“ Lehmpelz nickte. „Löwenzahnstern wird nichts dagegen haben, wenn sie auf unserer Seite des Baches in Deckung gehen. Lauf zurück zu deinem Clan, ich werde Hilfe schicken!“ „Danke!“ Sturmherz machte kehrt und vertraute darauf, dass Lehmpelz ihren Clan schnell genug alarmieren konnte. Er rannte die halbe Strecke zum FeuerClan-Lager, dann verlangsamte er sein Tempo und ging in Deckung. Ein Knacken. Nur eine Maus. Da! Ein Vogel, der aufgeschreckt worden war und losflog. Sturmherz näherte sich dem Lager immer weiter an, bis die ersten Kampfschreie schlagartig die Stille zerrissen. Er hatte die Lage falsch eingeschätzt, die Clans trafen viel weiter westlich aufeinander als gedacht. Sofort korrigierte er seinen Kurs und rannte durch das Unterholz, um seinem Clan beizustehen. Die Morgenröte tauchte den dunklen, wolkenverhangenen Himmel nur schwach in mildes Licht. Dennoch entging Sturmherz die Szene nicht. Silberstern und Dornstachel hatten sich auf der einen Seite der Lichtung mit ihren Kriegern formiert – ein kurzer Überblick verriet, dass sämtliche Krieger des WasserClans inklusive des einzigen Schülers Forellenpfote gekommen waren – und neben ihnen standen als Unterstützung fünf weitere Krieger aus dem LuftClan. Darunter waren jedoch weder Kleesonne noch Hummelschatten, wofür Sturmherz dankbar war. Die beiden befreundeten Krieger hatten sich dem Kampf gegen den FeuerClan offensichtlich nicht angeschlossen. Mit lautem Gebrüll prallten die Fronten aufeinander. Haselschweif wich Schwarzstern nicht von der Seite und es war schnell zu erkennen, dass Silberstern und Dornstachel es auf die beiden abgesehen hatten, sodass sie sich ein Viererduell lieferten. Regenkauz mischte kurz darauf ebenfalls mit, sodass Haselschweif Schwarzsterns blinde Seite gegen gleich zwei Angreifer gleichzeitig verteidigen musste, während dieser sich Silberstern persönlich vorknöpfte. Zwar war Schwarzstern größer und stärker als sie, doch Silberstern wich den meisten Angriffen leichtfüßig aus und platzierte dafür Kratzer mit ihren scharfen Krallen. Sturmherz wollte seinem Anführer ebenfalls zur Hilfe eilen, als ihn jemand von hinten von den Beinen riss. Er spuckte, fauchte und versuchte sich aus dem Biss zu befreien, doch es waren zwei gegen einen. Dann erkannte er Eisschatten und Donnertaucher, die ihn beide hasserfüllt angriffen. „Elende Hauskatze!“, zischte Eisschatten ihm dabei ins Ohr. „Ich werde dich töten, wenn ich kann, das schwöre ich dir!“ „Sturmherz!“ Eine große, weiße, flauschige Fellwolke prallte gegen Eisschatten und riss wiederum diesen mühelos um. Flockenpfote war seinem Mentor zur Seite gesprungen und sorgte damit dafür, dass Sturmherz sich wieder aufraffen konnte. Alles ging so schnell, überall hatten sich Krieger ineinander verbissen – manche kämpften jedoch viel aggressiver als andere. Einmal sah er Otterpelz, den dunklen WasserClan-Krieger und Bruder von Wolkentänzer, der nur halbherzig nach Milchkralle schlug. Auch seine ehemalige Schülerin Schneewolke hielt sich auffällig am Rand des Kampfes auf und parierte eher Angriffe, als dass sie selbst angriff. Dachspfote war nirgends zu sehen, sie musste ebenfalls zum ErdClan geschickt worden sein. Dann entdeckte Sturmherz Fleckennase, der von Eulenauge und Windjäger aus dem LuftClan eingekesselt wurde. Er hätte ihm gerne geholfen, doch wieder griff Eisschatten ihn an. Der WasserClan-Krieger mit den unterschiedlichen Augenfarben mochte ihm zwar nur bis zur Schulter gehen, doch er war äußerst aggressiv und steigerte sich mächtig in den Kampf hinein. Eine ganze Weile sah es so aus, dass die Angreifer die Oberhand gewinnen würden. Der FeuerClan wurde immer enger zusammen getrieben, bis sie sich von drei Seiten verteidigen mussten. Dornstachel kämpfte noch immer in der ersten Reihe gegen Schwarzstern und Haselschweif, während Silberstern sich in den Hintergrund zurückgezogen hatte und stattdessen Muschelzahn für sich kämpfen ließ. Dadurch, dass sie zahlenmäßig überlegen waren, konnten sie es sich leisten kurze Pausen einzulegen, während im FeuerClan jeder gefordert war. Lange würden sie das nicht mehr durchhalten. Wo blieb nur der ErdClan? Und Eisschatten hatte es tatsächlich auf Sturmherz abgesehen. Immer wieder verbissen sie sich ineinander und nur dank Flockenpfote, der seinen Mentor tatkräftig unterstützte, konnte Sturmherz sich wieder freimachen. Mit gesträubtem Fell stand Eisschatten vor ihm, die Augen hasserfüllt zusammengekniffen. „Kein Hauskätzchen sollte hier am Heiligen Berg sein! Du gehörst nicht hier her und wenn du gehst, kannst du das minderwertige HalbClan-Blut direkt mitnehmen!“ „Ich gehe nirgendwo hin, Eisschatten!“, erwiderte Sturmherz wütend, sprang auf den kleineren Krieger zu und erwischte ihn am Rücken. Es war keine optimale Stelle, aber er krallte sich fest, riss ihm dabei ein Fellbüschel aus und griff nach. Dieses Mal erwischte er den Schwanz und biss einfach nur kräftig zu. Eisschatten schrie auf, schlug vor Schmerzen um sich und sprang einige Fuchslängen zurück, als er sich endlich wieder befreit hatte. Schwer atmend blickte er zwischen Flockenpfote und Sturmherz hin und her. Gegen zwei so große, kräftige Krieger kam er nicht alleine an. „Donnertaucher!“, rief er. „Hier drüben!“ Donnertaucher, der sich bis gerade den benachbarten Kämpfenden gewidmet hatte, sprang Eisschatten erneut zur Seite, sodass es wieder ausgeglichen war. Selbst wenn Sturmherz gewollt hätte, hätte er keine Chance gehabt, um sich bis zu Schwarzstern und Haselschweif vorzuarbeiten. Aus den Augenwinkeln konnte er immer mal wieder sehen, wie Schwarzstern sich mit Regenkauz oder Dornstachel keilte, doch die Zweite Anführerin des LuftClans zog sich bald darauf mit einer stark blutenden Pfote tiefer in den Wald zurück. Haselschweif deckte weiterhin Schwarzsterns blindes Auge und fing einige Angriffe von Dornstachel ab, doch es war offensichtlich, dass Dornstachel es auf Schwarzstern abgesehen hatte. Dornstachel lauerte tief, nutzte einen günstigen Moment und sprang Schwarzstern von der Seite an. Er schaffte es, den Anführer des FeuerClans auf den Boden zu drücken, und war kurz davor ihm mitten in die Kehle zu beißen, als Haselschweif seinem Anführer zur Rettung eilte. Wie ein einziger zuckender Körper rollten die beiden Zweiten Anführer über den Boden. Keiner ließ von dem anderen ab. Sie jaulten, kratzten und bissen, als würde es um Leben und Tod gehen. Sturmherz verlor den Blick auf die beiden, als er Eisschatten abwehrte und gut zwei Fuchslängen zurückdrängen konnte. Sein Herz raste und das Adrenalin puschte ihn zu neuen Kräften auf. Schwarzstern war in Gefahr, er musste ihm helfen! Doch es gab keinen Weg zu ihm. Silberstern nutzte den günstigen Moment und sprang Schwarzstern von der blinden Seite her an. Sie mochte zwar kleiner sein als er, doch sie hatte ihre Chance genutzt. Die beiden fegten kämpfend quer über die Lichtung. Haselschweif und Dornstachel waren nicht mehr zu sehen. Sie waren in einer Dornenhecke am Rande der Lichtung verschwunden und außer Sicht. Stattdessen drängten sich andere kämpfende Paare an ihre Stelle. Fellbüschel flogen durch die Luft und vermischten sich mit dem Schnee, der lautlos zu rieseln begonnen hatte. Die Kräfte verließen ihn allmählich. Herbstwolke und Rosentau waren verletzt und hatten sich an den Rand zurückgezogen und auch Blaukralle wirkte ziemlich angeschlagen, denn aus seinem Hals sickerte unentwegt ein kleines Rinnsal Blut in sein blaues, dichtes Fell. Dann, endlich, brachen Lehmpelz und der ErdClan auf das Kampffeld. Die großen, langhaarigen Krieger sprangen mutig und knurrend mitten ins Getümmel. Selbst Löwenzahnstern war anwesend, walzte Schiefregen aus dem WasserClan mit grimmigem Blick nieder und machte den Weg frei für die anderen aus dem ErdClan. Sturmherz atmete tief durch. Erleichterung durchströmte ihn. Jetzt würden sie es schaffen – sie würden Silberstern zurückschlagen können. Dankbar sah er zu, wie Lehmpelz ihm Eisschatten vom Leib hielt, sodass er Ausschau halten konnte nach Schwarzstern und Haselschweif. Der Zweite Anführer war noch immer verschwunden, doch Schwarzstern und Silberstern waren nicht zu übersehen. Die beiden umkreisten sich mit tief gelegten Körpern, lauerten und warteten auf den richtigen Moment. „Gib auf, Silberstern!“, rief Schwarzstern ihr mit donnernder Stimme zu. „Es ist gleich vorbei! Ihr werdet verlieren!“ „Ich werde für den WasserClan und das Gesetz der Krieger kämpfen – und wenn es bis zum letzten Leben ist!“ Löwenzahnstern erreichte die beiden mit Leichtigkeit, doch er mischte sich nicht ein. Stattdessen hielt er die anderen Krieger auf Abstand und gab ihnen damit zu verstehen, dass es ein Kampf war, den die beiden unter sich ausfechten mussten. Immer mehr Krieger bekamen mit, dass sich die verfeindeten Anführer persönlich gegenüber standen. Kämpfe wurden unterbrochen, die Verletzten zogen sich an den Rand der Lichtung zurück. Wie von selbst formten sie einen großen Halbkreis um die beiden, sahen zu, wie sie stellvertretend für den ganzen Clan antraten, ohne die Feinde dabei aus den Augen zu lassen. Milchkralle fand ihren Weg neben Sturmherz. Sie war nicht sichtbar verletzt, doch sie schnaufte und keuchte voller Erschöpfung. Ebenso Fleckennase, der auf der anderen Seite zwischen zwei ErdClan-Kriegern zu sehen war. „Es endet hier“, sagte Silberstern. „Der SternenClan hat es soweit kommen lassen.“ „Der SternenClan will nicht, dass wir uns gegenseitig vernichten“, antwortete Schwarzstern ihr. Er humpelte auf seiner blinden Seite, wo sein getrübtes Auge ziellos in die Leere starrte. „Lass uns das friedlich beenden. Geh zurück und sieh darüber hinweg, dass Mondjunges und Sonnenjunges bei uns sind. FeuerClan-Blut fließt in ihren Adern.“ „Ebenso das Blut des WasserClans. Es ist mein gutes Recht zu bestimmen, was aus ihnen wird – und ich habe bereits entschieden.“ „So ist es auch mein gutes Recht, sie bei uns bleiben zu lassen.“ Wieder begannen sie sich zu umkreisen, das Fell gesträubt, den Schwanz auf das doppelte Volumen aufgeplustert. Ein Schritt nach links. Ein Schritt nach rechts. Plötzlich, wie aus dem Nichts, sprang Dornstachel schwer verletzt aus dem Gestrüpp hervor. Seine Ohren hingen in Fetzen, sein Körper blutete. „Für den WasserClan!“ Mit letzter Kraft sprang er mitten in den Halbkreis hinein, preschte auf die beiden Anführer zu, nahm ihnen die Ehre, selbst über den Ausgang dieses Kampfes zu bestimmen. „Schwarzstern!“ Haselschweif, nicht minder verwundet, sprang schräg hinter Dornstachel aus derselben Dornenhecke raus. Seine Augen waren vor Schreck geweitet, als er mit ansehen musste, wie Dornstachel die Schwäche von Schwarzstern ausnutzen wollte. „Nein!“ Er sprang, schien durch die Luft zu fliegen, direkt zwischen Dornstachel und Schwarzstern. Dornstachel erwischte ihn mitten in der Kehle. Für einen Augenblick lang schien die Welt still zu stehen. Sturmherz riss seine Augen auf, während Haselschweif und Dornstachel zum Stehen kamen. Schwankten. Zu Boden stürzten. Silberstern wich eine Fuchslänge zurück, die Augen ebenso aufgerissen. Schwarzstern war sofort an Haselschweifs Seite. Erst verwirrt, dann entsetzt drehte er sich zu seinem Clan um. „Honigblüte! Schnell! Honigblüte!“ Sie stand am Rand, zitternd, die Ohren fest nach hinten gepresst, das Maul weit aufgerissen in einem stummen Schrei. Haselschweif keuchte ein letztes Mal auf, streckte die linke Vorderpfote zu Schwarzstern aus. „Ich hätte … schneller … sein … müssen …“ Dann glitt sein Blick weiter zu Honigblüte, die sich vor Schock nicht bewegen konnte. „Honig … blüte … so … wunder … schön … Verzeih … mir …“ Seine Stimme versagte, verstummte – für immer. Das Beben verließ seinen Körper. Die schwere Wolkendecke riss auf, blendete alle auf der Lichtung. Die Morgensonne stand grell am Himmel, daneben der Mond. Seite an Seite. Sonne und Mond. Honigblütes lauter Klageschrei spiegelte ihren tiefen Schmerz wider und hallte über sie alle hinweg. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)