Stormpaw's Destiny von Kalliope (Warrior Cats - New Clans, New Stories) ================================================================================ Kapitel 17: ------------ Im Bau des Anführers herrschte eine Grabesstille. Blaukralle, Sturmherz und Fleckennase saßen im Halbkreis und warteten darauf, dass Schwarzstern zu sprechen begann. Doch dieser starrte die drei Krieger lediglich schweigend mit seinen gelben Augen an und wartete seinerseits auf Honigblüte, die noch immer mit Dachspfotes Behandlung beschäftigt war. Fleckennase hatte die Klapperschlange, die Dachspfote angegriffen hatte, nicht getötet, aber soweit verletzt, dass sie sich rasselnd und zischend unter die Felsen zurückgezogen hatte. Daraufhin hatte Fleckennase seine Schülerin den gesamten Weg zum Lager zurückgeschleppt, da sie selbst nicht mehr laufen konnte und nur noch wimmernde Laute von sich gab. Jegliche Hilfe von Blaukralle oder Sturmherz hatte er abgelehnt, woraufhin Blaukralle Nebelpfote vorgeschickt hatte, um Schwarzstern und Honigblüte zu alarmieren. Als sie mit Dachspfote das Lager des FeuerClans erreicht hatten, stand bereits alles parat und der halbe Clan hatte sich in großer Sorge um die Schülerin versammelt. Honigblüte hatte ihre Schülerin losgeschickt, um Nachschub an Ringelblumen und Mohnsamen zu besorgen und, wenn nötig, bei dem Heiler des ErdClans um Unterstützung zu bitten. Niemand traute sich auch nur ein Wort zu sagen, bis Haselschweif mit Honigblüte am Eingang des Baus erschien. Schwarzstern nickte seiner Enkelin sofort zu und bat sie neben sich. „Wie steht es um Dachspfote?“ Honigblüte schaute grimmig drein und leckte sich über das honiggoldene Fell an ihren Pfoten. „Das kann ich noch nicht genau sagen. Wenn es der SternenClan so will, wird sie durchkommen. Ich habe ihre Bisswunde versorgt und ihr etwas gegen die Schwellung und die Schmerzen gegeben.“ Fleckennase atmete tief durch. Er sah aus, als wäre er in der vergangenen Stunde um ein halbes Leben gealtert. „Gibt es denn wirklich nichts, was man noch tun kann?“ Honigblüte warf ihm einen genervten Seitenblick zu, mit dem sie ihm zum Schweigen brachte. „Ich habe alles getan, was in meiner Macht steht. Der Rest liegt alleine bei Dachspfote und dem SternenClan.“ Schwarzstern nickte leicht. „Wie geht es nun weiter?“ „Sie braucht sehr viel Ruhe, bis das Gift vollständig aus ihrem Körper verschwunden ist. Die nächsten Tage und Nächte wird sie meinen Heilerbau nicht verlassen können. Erst danach kann ich beurteilen, ob sie womöglich bleibende Schäden davongetragen hat.“ „Bleibende Schäden!“, rief Fleckennase erschrocken aus. „Sie ist doch noch so jung und hat ihr ganzes Leben vor sich!“ „Die Klapperschlange hat sie in den Hinterlauf gebissen. Ihre Muskeln sind stark geschwollen, rot und entzünden sich bereits. Sie hat große Schmerzen und fiebrigen Schlaf. Dachspfote hat Glück, dass die Schlange, die ihr mir beschrieben habt, zwar giftig, aber nur manchmal tödlich ist. Trotzdem kann es passieren, dass sie ihr Bein vielleicht nie wieder benutzen kann und dreibeinige Krieger haben wir nicht.“ „Das wäre das Ende ihrer Zeit als Schülerin“, wisperte Fleckennase traurig und ließ die Ohren hängen. „Sie würde niemals zur Kriegerin ernannt werden.“ Einen Moment schwiegen sie alle, denn jeder wusste, dass das genau das war, was Dachspfote wollte. Dieser Schlangenbiss könnte ihre gesamte Zukunft zerstören. Schwarzstern brach das Schweigen, indem er sich räusperte. „Vielen Dank für deine Arbeit, Honigblüte. Bitte halte mich regelmäßig über Dachspfotes Zustand auf dem Laufenden. Du kannst dich jetzt wieder in deinen Bau begeben.“ Sie senkte respektvoll ihren Kopf und verließ Schwarzsterns Bau wieder. Als sie gegangen war, schaute Schwarzstern wieder die drei im Halbkreis sitzenden Krieger an. Bislang hatte er sich nur von jedem einzeln erzählen lassen, was geschehen war. „Fleckennase“, begann er und der schwarzweiße Krieger schaute seinen Anführer sofort mit großen Augen an. „Du hast heute wahrlich viel Mut bewiesen und dich der tödlichen Gefahr gestellt. Ohne dein Eingreifen hätte Honigblüte Dachspfotes Leben nicht mehr retten können.“ Fleckennase schluckte schwer und sprach mit heiserer Stimme: „Ich würde alles dafür tun, dass es Dachspfote gut geht.“ „Das weiß ich. Du hast bewiesen, dass der Mut des FeuerClans stark in deinem Herzen schlägt. Das sollte selbst den letzten Zweifler umgestimmt haben.“ Zwar schaute er Blaukralle bei diesen Worten nicht an, doch der blaue Krieger rümpfte kaum merklich die Nase und wusste, dass er gemeint war. „Ich werde dich für die nächsten drei Tage von allen Pflichten als Krieger freistellen, damit du Honigblüte bei der Versorgung deiner Schülerin helfen kannst. Sie und Fliederpfote werden ihre Lager auffrischen müssen, dabei kannst du ihnen helfen und sicherstellen, dass ihnen nichts passiert.“ „Natürlich, Schwarzstern.“ Er schaute seinen Anführer dankbar an. „Ich danke dir.“ „Du kannst jetzt gehen, Fleckennase.“ Fleckennase verbeugte sich so tief wie nur möglich, schaute dann kurz zu Sturmherz und verschwand lautlos aus dem Bau des Anführers. Die Sorge um Dachspfote stand ihm ins Gesicht geschrieben. Nun schaute Schwarzstern zu Blaukralle, dann zu Sturmherz und wieder zurück. „Blaukralle.“ Er seufzte und sein Blick veränderte sich leicht. „Ich hätte mehr von dir erwartet.“ Das ließ den blauen Krieger minimal zusammenzucken. Irritiert schaute er Schwarzstern an. „Wie meinst du das? Ich habe nichts damit zu tun, dass Dachspfote sich ihrem Mentor widersetzt und sich selbst in diese Gefahr begeben hat.“ Schwarzstern wiegte seinen Kopf leicht hin und her. „Du bist ein sehr geachteter Krieger im FeuerClan. Der ganze Clan fragt sich, wie es überhaupt so weit kommen konnte, wenn du dabei warst.“ „Wie ich schon sagte, ich habe nichts damit zu –“ „Natürlich würdest du es niemals zulassen, dass einer Schülerin – oder generell einem Mitglied aus dem FeuerClan – etwas passiert“, unterbrach er ihn. „Aber du bist erfahren genug, um so eine Situation besser einschätzen zu können. Es ist jedem hier bekannt, dass die Schlangenfelsen an der nördlichen Grenze ein gefährliches Gebiet sind, das wir meiden, wann immer wir es können. Du hättest Dachspfote und Nebelpfote augenblicklich zurück ins Lager schicken müssen, als du sie dort angetroffen hast.“ Blaukralles verbissenes Gesicht sprach Bände. „Abgesehen davon ist mir zu Ohren gekommen, dass dein Schüler nicht ganz unbeteiligt an der ganzen Situation war. Du magst Nebelpfote großartig ausbilden, aber das Miteinander hält unseren Clan am Ende zusammen. Es bringt niemandem etwas, wenn Nebelpfote von Konkurrenzdenken zerfressen wird.“ Blaukralle warf Sturmherz einen bitterbösen Blick zu, als würde er ihn dafür verantwortlich machen, dass er zum ersten Mal von Schwarzstern gerügt wurde. Schwarzstern seufzte. „Niemand kann rückgängig machen, was mit Dachspfote geschehen ist. Fleckennase macht sich schon genügend Vorwürfe deswegen, obwohl er ihr das Leben gerettet hat. Ich verlange aber von nun an, dass du deinen Schüler zu mehr Miteinander erziehst, Blaukralle.“ Einen kurzen Augenblick pausierte Schwarzstern. „Und auch dir würde es gut tun, dich auf die alten Werte zu besinnen, für die der FeuerClan seit seiner Gründung eintritt: Mut, Stärke und Zusammenhalt.“ Blaukralle wollte etwas erwidern, doch Schwarzstern fuhr ihm sofort über den Mund: „Du kannst jetzt gehen.“ Daraufhin erhob Blaukralle sich, senkte leicht den Kopf, um seinem Anführer Respekt zu zollen, und marschierte anschließend mit großen Schritten an Sturmherz und Haselschweif vorbei nach draußen. Übrig blieb Sturmherz, der nicht wusste, was ihn nun erwartete. Schwarzstern schaute ihn an, entspannte dann seine Schülern und klopfte mit seinem Schwanz neben sich auf den Boden. „Komm zu mir, Sturmherz. Ich möchte dir eine Geschichte erzählen.“ Zeitgleich mit Sturmherz erhob sich auch Haselschweif, nur dass der Zweite Anführer den Bau ebenfalls verließ, während Sturmherz neben seinem Anführer Platz nahm. Schwarzstern wartete nicht lange ab und fing direkt an zu erzählen. „Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, wie es war, als mein Bruder Grauwolke und ich unsere ersten Monde im ErdClan verbracht haben. Unsere Mutter wusste, dass der Clan sie verbannen würde, sobald wir alt genug waren, um eine Entscheidung über unseren Verbleib treffen zu können. Sie ließ es sich allerdings nie anmerken, umsorgte uns mit Fröhlichkeit und einer inneren Stärke, die wie Feuer in ihrem Herzen loderte. Sobald wir laufen konnten, durften wir auch den FeuerClan und unseren Vater besuchen. Ich war beeindruckt von den vielen edlen Kriegern im FeuerClan und von dem starken Zusammenhalt. Obwohl mein Vater gegen das Gesetz der Krieger verstoßen hatte, behandelten sie ihn noch immer wie vorher. Nur meinen Bruder und mich wollten sie anfangs nicht bei sich haben. Wir hatten es Mondstern zu verdanken, die zwischen dem ErdClan und dem FeuerClan vermittelt hatte, dass man uns überhaupt diese Wahl ließ. Als wir sechs Monde alt waren und zu Schülern ernannt werden sollten, fragten uns Falkenstern und Wildstern ganz privat, für welchen Clan wir uns entscheiden wollten. Ich wusste, dass mein Bruder und ich uns für verschiedene Clans entscheiden würden, was mir das Herz brach, aber ich spürte, dass ich in den FeuerClan gehörte. Grauwolke hingegen teilte die gelassene, humorvolle Art des ErdClans. Also ging ich mit Wildstern und Grauwolke blieb bei Falkenstern. Als ich den FeuerClan erreichte, erfuhr ich, dass mein Vater sich schon am Morgen von seinem Clan verabschiedet hatte. Er und meine Mutter waren bereits in die Wildnis fortgegangen. Anfangs hatte der FeuerClan sehr viele Zweifel, ob ich überhaupt loyal sein konnte, wenn ich in zwei Clans aufgewachsen war. Es war eine harte Zeit für mich, doch am Ende erarbeitete ich mir den vollen Respekt von Wildstern und dem Rest des Clans. Wenn ich dich anblicke, Sturmherz, sehe ich sehr viel von mir selbst in dir. Ich weiß, wie schwer du es auch heute noch hast, obwohl du dem FeuerClan bereits sehr deutlich deine Loyalität bewiesen hast. Vergiss bitte nicht, dass ich hinter dir und meiner Entscheidung, dich in den Clan aufzunehmen, stehe.“ Sturmherz hatte in Ruhe zugehört und fühlte sich davon geehrt, dass Schwarzstern seine Lebensgeschichte mit ihm teilte. Der Anführer sprach so gut wie nie über sich selbst und seine Vergangenheit. Sturmherz wollte nicht unverschämt sein, doch seine Neugier war größer und deshalb fragte er nach: „Vielen Dank, Schwarzstern. Ich … ich habe gehört, dass du Grauwolke im Kampf töten musstest? War wirklich erst dieses Opfer notwendig, dass dich alle im FeuerClan akzeptiert haben?“ Traurigkeit legte sich über Schwarzsterns Gesicht. „Ich bedaure bis heute zutiefst, was ich getan habe. In dieser Blattleere gerieten der ErdClan und der FeuerClan aneinander, weil unsere Beute immer wieder von einem Territorium ins andere wechselte. Die Clans litten Hunger und jeder wollte die Beute für sich beanspruchen. Als es zum Kampf kam, ging es um Leben und Tod – Jagen oder Verhungern. Ich wollte meinen ehemaligen Freunden und vor allem meinem Bruder keine Verletzungen zufügen, aber mein Clan brauchte meine Kampfkraft, um sein Überleben zu sichern. Die Krieger im ErdClan waren größer und stärker als die meisten im FeuerClan und wir waren vom Hunger geschwächt. Grauwolke und ich vermieden es den ganzen Kampf über uns gegenüber zu treten, doch als es nicht anders ging, eilten ihm auf einmal zwei weitere Krieger zur Hilfe. Ich erkannte, dass sie es auf mich abgesehen hatten. Sie wollten mich ausschalten, um sich den Sieg über den ganzen FeuerClan zu sichern. Mir blieb nichts anderes übrig als mich mit aller Kraft zu wehren – nicht nur um meines Lebens willen, sondern für meinen Clan. Ich hatte nicht beabsichtigt Grauwolke zu töten. Es war ein Unfall. Ich wusste nicht, dass er es war, der mich von hinten ansprang, um mich zurückzuziehen, also packte ich meinen Angreifer, biss so fest zu, wie ich konnte, und wir landeten gemeinsam auf dem zugefrorenen Bach. Durch unseren Aufprall brach das Eis. Am Ende starb er an Unterkühlung und Blutverlust durch die Wunde, die ich ihm zugefügt habe.“ Sturmherz sah den Schmerz in Schwarzsterns Augen funkeln. „Das brachte mir den Respekt des ganzen FeuerClans ein. Der Kampf endete unentschieden. Jeder zog sich in sein Lager zurück. Wenige Tage später wurde es wärmer, der Schnee taute und die Beutetiere kehrten zurück. Mein Bruder fehlt mir bis heute, aber es ist so, wie es ist. Was es für mich noch schlimmer macht, ist mein Verdacht, dass Grauwolke mich damals nur zurückziehen wollte, um mich von den beiden anderen Angreifern aus dem ErdClan zu trennen. Ich habe mir schreckliche Vorwürfe gemacht, doch wir konnten uns aussprechen, als er mir eines meiner Lebens als Anführer verlieh.“ „Ich … das tut mir sehr leid für dich, Schwarzstern. Ich weiß nicht, was ich sagen soll.“ „Es ist schon in Ordnung, Sturmherz. Jeder hat sein Päckchen zu tragen, besonders wir HalbClan-Katzen und Außenstehende, die in einen Clan aufgenommen werden. Ich liebe den FeuerClan. Er ist mein Zuhause, meine Familie. Mein Sohn Fuchsauge war ein großer Krieger. Meine Enkelin Honigblüte ist die Heilerin unseren Clans. Und Apfelpelz … auch auf ihn bin ich stolz. Er hätte sich zwar nicht mit Wolkentänzer einlassen sollen, aber er steht zu seinem Fehler und nimmt jedes Risiko auf sich, um seinen Jungen ein Zuhause zu ermöglichen. Auch wenn mir nichts anderes übrig bleiben wird, als ihn in die Wildnis zu verbannen, wird Apfelpelz immer einen Platz in meinem Herzen haben. Und ich werde alles dafür tun, dass Mondjunges und Sonnenjunges einen Clan ihr Zuhause nennen können.“ Die Plauderlaune schien zu verebben, denn Schwarzstern streckte sich und sein buschiger Schwanz peitschte in Richtung Ausgang. „Mach einfach weiter wie bisher, Sturmherz. Du und dein Schüler können Fleckennase helfen, wenn ihr möchtet.“ „Das werden wir. Auf Wiedersehen, Schwarzstern.“ Er verneigte sich, was Schwarzstern aber schon gar nicht mehr mitbekam. Sturmherz verließ den Bau des Anführers, blinzelte in den bewölkten Himmel und hoffte, dass er nie in die Lage kommen würde, dem FeuerClan durch so ein großes Opfer seine Loyalität zu beweisen. *** Flockenpfote und Fliederpfote kehrten Seite an Seite von der Suchaktion zurück, zu der Honigblüte ihre Schülerin geschickt hatte. Sturmherz konnte erkennen, dass beide unterschiedliche Pflanzen im Maul hielten, aber er wusste weder ihre Namen noch ihre Funktion. Honigblüte erwartete die beiden bereits und nahm ihnen schweigend das Gesammelte ab. „Ist das alles?“ „Ja, Honigblüte.“ Fliederpfote klang etwas unglücklich. „Es gibt nicht mehr. Wir haben an allen Plätzen gesucht, aber das waren die einzigen Mohnblumen, die es noch gab.“ Die Heilerin schaute zerknirscht zu den roten Blüten. „Das ist gerade genug, um Dachspfote zu versorgen. Wie sollen wir den Clan damit über die Blattleere bringen?“ Fleckennase schaute auf. „Wird das ein Problem werden?“ „Nicht, wenn alle gesund bleiben. Aber das ist jetzt auch egal. Dachspfote ist hier und braucht die Mohnsamen. Die anderen Sachen sind nur für unseren Vorrat, davon brauchen wir im Moment nichts.“ Fleckennase nickte, doch sein Blick war abwesend. Er war die ganze Nacht über nicht von Dachspfotes Seite gewichen, hatte weder geschlafen noch gefressen, bis Honigblüte mit ihm geschimpft hatte. Daraufhin hatte sich Dachspfotes Mentor zwar einige Stunden Schlaf gegönnt, war jedoch sofort zum Heilerbau zurückgekehrt und wachte seither wieder über seine Schülerin. Sturmherz hatte Schwarzsterns Angebot angenommen und versorgte nun gemeinsam mit Flockenpfote die vier Anwesenden im Heilerbau, wenn sie nicht gerade mit den anderen Kriegern und Schülern auf Patrouille waren. „Das war soweit alles für den Moment“, sagte Honigblüte. „Ihr beiden könnt uns alleine lassen. Ich lasse nach euch rufen, falls noch etwas sein sollte.“ Sturmherz nickte ihr zu. Bevor er ging, stupste er seinen Freund mit dem Kopf an, um ihn aufzumuntern. „Sie wird bestimmt durchkommen. Dachspfote hat einen starken Willen. Sie ist zu stur, um jetzt zu sterben.“ „Ich hoffe, du hast Recht. Ich könnte es nicht ertragen, sie sterben zu sehen.“ Zum wiederholten Mal seufzte Fleckennase. „Wenn ich doch nur schneller bei euch gewesen wäre.“ „Das hätte nichts geändert und das weißt du auch. Keiner von uns hat die Schlange gesehen. Sie hätte Dachspfote so oder so gebissen.“ Fleckennase schüttelte den Kopf, versank wieder in Selbstmitleid und folgte Honigblüte in den Bau der Heiler. Zurück blieb Fliederpfote, die wie immer sehr ernst dreinschaute. „Honigblüte sagt, Schwarzstern hat euch zu unserem Schutz abkommandiert. Kann ich euch um etwas bitten?“ „Natürlich, worum geht es?“ Die kleine Heilerschülerin straffte ihre Schultern. „Ich möchte zum ErdClan, um Tigerfuß und Rauchpfote um Mohnsamen zu bitten. Das, was wir heute gesammelt haben, reicht Honigblüte nicht. Ich möchte sie nicht weiter enttäuschen.“ Sturmherz runzelte kurz die Stirn, dann stimmte er zu. Die Heiler hatten auch über die Clangrenzen miteinander Kontakt und gingen jeden Halbmond gemeinsam zur Mondhöhle hinter dem Wasserfall des WasserClans. Wenn Honigblüte Tigerfuß um Hilfe bat, würde er dem FeuerClan sicherlich helfen. „Also gut, aber wir müssen vorher Schwarzstern um Erlaubnis bitten.“ „Das werde ich erledigen.“ Fliederpfote marschierte quer durch das Lager des FeuerClans, erklomm voller Selbstverständlichkeit den Felsen zum Bau des Anführers und verschwand darin, ohne zu zögern. Sturmherz schaute ihr beeindruckt hinterher. Sie war so klein und zierlich wie ihre Mutter Zimtfeder, aber ihre Ausstrahlung war dieselbe Autorität, die auch Honigblüte umgab. Wenige Minuten später traten Schwarzstern und Fliederpfote an den Eingang. Er blickte zu Sturmherz, nickte und ging zurück in seinen Bau. Fliederpfote trat zwischen Flockenpfote und Sturmherz. „Wir können aufbrechen.“ „Dann los.“ Sturmherz ging voran. Je näher sie der Grenze zum ErdClan kamen, desto aufgeregter wurde er. Unter normalen Umständen war es jedem Krieger verboten, die Grenze zu übertreten. Außerdem mussten sie das Protokoll befolgen und den ErdClan erst um Erlaubnis bitten, ihr Territorium durchqueren zu dürfen. Dafür mussten sie eine Grenzpatrouille abpassen. Als der Bach in Hör- und Sichtweite kam, verlangsamte er seinen Schritt, doch Fliederpfote überholte ihn und steuerte direkt auf einen flachen Teil zu, den man als Übergang nutzen konnte. Dann aber zögerte auch sie, blieb stehen und blickte nervös hin und her. „Ich war noch nie im Gebiet des ErdClans“, sagte sie schließlich. „Was sollen wir tun?“ „Ich gehe vor.“ Das Wasser war kühl, aber nicht so, dass er frieren musste. Nur ein, zwei große Sprünge, ein paar kleine Schritte, dann befand er sich am anderen Ufer und schüttelte sein Fell aus. Fliederpfote und Flockenpfote folgten ihm. Aber was nun? Unsicher schaute er sich umher. „Wir sollten warten“, sagte er und setzte sich. „Irgendwer wird uns finden.“ *** Mohnfänger summte gut gelaunt vor sich hin, während er neben Sturmherz lief. Dahinter kamen Flockenpfote und Fliederpfote. Den Abschluss bildete Staubblüte, die grimmig guckte und nichts von Mohnfängers Fröhlichkeit teilte. Es hatte eine Weile gedauert, bis die beiden auf die drei Katzen aus dem FeuerClan getroffen waren. Staubblüte hatte sofort Gift und Galle gespuckt, doch Mohnfänger hatte sich in Ruhe angehört, warum sie auf ihrem Gebiet saßen, und sich im Anschluss daran bereit erklärt, sie zu Löwenzahnstern und Tigerfuß zu bringen, damit Honigblüte und am Ende auch Dachspfote geholfen werden konnte. Je näher sie dem Lager des ErdClans kamen, desto intensiver wurde der würzige, moosige Geruch, der für diesen Clan typisch war. Es konnte nicht mehr weit sein, doch Mohnfänger blieb stehen und grinste Sturmherz an. „Ihr wartet hier, ich werde Löwenzahnstern und Tigerfuß holen. Sie mögen es nicht, wenn Außenstehende unser Lager betreten.“ „Und ich behalte euch im Auge“, knurrte Staubblüte, setzte sich direkt vor Sturmherz und starrte ihn mit ihren intensiv türkisfarbenen Augen an. Sturmherz seufzte und setzte sich ebenfalls, um zu signalisieren, dass von ihnen keine Gefahr ausging. Dann fiel ihm ein, wie spannungsgeladen das Aufeinandertreffen von Staubblüte und Blaukralle gewesen war, beinahe so, als wäre zwischen ihnen schon einmal etwas vorgefallen. Die Neugierde packte ihn. „Soll ich Rosentau Grüße von dir bestellen?“ Staubblüte verzog ihr Gesicht. „Wieso?“ „Ach, beim letzten Mal, als wir zwei Bekanntschaft miteinander gemacht haben, war Blaukralle dabei. Es schien mir so zu sein, dass du dich mit Rosentau und ihm gut verstehst.“ „Gut verstehen?“ Sie lachte trocken auf. „Gut verstehen, du bist echt witzig.“ Ihr Blick wurde nur noch grimmiger. Hatte er die ganze Lage etwa falsch gedeutet? Staubblüte schaute in die Ferne, dann wieder zu Sturmherz und kniff die Augen ein Stück weiter zusammen. „Es wundert mich kein Stück, dass der feine Herr Blaukralle den Schwanz zusammengekniffen hat, als die Klapperschlange aufgetaucht ist. Große Klappe, nichts dahinter. Er ist ein Schauspieler, aber in seinem Inneren ist nichts weiter als heiße Luft.“ Ihre Worte wurden mit so einer Wucht hervorgespuckt, dass jeder merkte, dass etwas vorgefallen sein musste. Sturmherz wollte taktvoll vorgehen, doch da war Flockenpfote schneller und fragte einfach geradeheraus: „Hat er so etwas schon einmal gemacht? Ich dachte immer, Blaukralle ist ein vorbildlicher Krieger.“ „Oh, natürlich ist er das.“ Staubblüte verzog das Gesicht. „Ich sage dir jetzt mal etwas, Flockenpfote. Traue ihm nicht. Er macht nur leere Versprechungen und ist darauf auf, eines Tages Anführer des FeuerClans zu werden. Wir waren beide Schüler, als ich ihn kennen gelernt habe. Ein talentierter, gut aussehender junger Kater.“ Bei der Erinnerung stahl sich ein leichtes Schnurren in ihre Stimme, das sie sofort unterdrückte. Die Krallen ihrer Vorderpfoten bohrten sich in die Erde hinein. „Wir haben uns gut verstanden.“ Kurze Pause. „Sehr gut sogar. Ich hätte mir gewünscht, jemanden wie ihn als Gefährten an meiner Seite haben zu können und genau dasselbe hat er mir auch erzählt. Aber kaum dass wir beide zu Kriegern ernannt wurden, wollte er nichts mehr von mir wissen und hat mich wie Luft behandelt. Zimtfeder hier, Zimtfeder da. Pah! Ich sage dir, er ist nur mit ihr zusammen, weil sie ihm keine Widerworte gibt, aus dem FeuerClan stammt und sich die Rolle als Krieger und Vater perfekt eignet, um Eindruck bei den anderen zu schinden. Wenn wir die Clans nicht hätten, wäre er niemals zu ihr gegangen. Niemals! Er hätte andere, bessere Gefährtinnen haben können.“ Flockenpfote machte große Augen. „So wie dich?“ Sturmherz hüstelte. „Flockenpfote, bitte. Das reicht jetzt. So etwas fragt man nicht.“ „Aber wieso nicht, sie hat es uns doch erzählt!“ Auch Fliederpfote schaute betreten zur Seite, als hätte sie das ganze Gespräch gar nicht mit angehört. Staubblüte bleckte die Zähne. „Auf Blaukralle würde ich keinen Rattenschwanz mehr verwetten. Auf den ganzen FeuerClan nicht.“ Sturmherz fragte sich sofort, wie viel zwischen Staubblüte und Blaukralle damals wirklich gewesen war. Es musste Staubblüte das Herz zerrissen haben, denn die Eifersucht gegenüber Zimtfeder und der Zorn gegenüber Blaukralle waren greifbar. Das Gespräch wurde beendet, als Mohnfänger seinen Anführer, den Heiler des ErdClans und dessen Schüler Rauchpfote im Schlepptau hatte. Zu dritt kamen sie auf die Wartenden zu. Löwenzahnstern begrüßte sie mit einem offenen, freundlichen Nicken. „Mohnfänger hat mir bereits von Dachspfotes Unfall berichtet. Bitte richte ihr meine Genesungswünsche aus. Es ist immer tragisch, wenn jungen Schülern so etwas geschieht. Tigerfuß hat sich sofort bereiterklärt, euch mit allem, was ihr benötigt, auszuhelfen.“ „Das ist sehr großzügig, vielen Dank. Fliederpfote, du kannst ihnen berichten, was Honigblüte alles fehlt.“ „Nicht nötig“, sagte Tigerfuß sofort mit tiefer Stimme. „Geh direkt mit Rauchpfote. Er wird dir alles geben, was du brauchst.“ Rauchpfote grinste Fliederpfote an. Die beiden kannten sich selbstverständlich von den gemeinsamen Besuchen bei der Mondhöhle. „Hey, Fliederpfote! Es ist schön, dich zu sehen.“ Während er lief, wippte sein schwarzer Schwanz auf und ab. Fliederpfote folgte ihm. Sie war gerade einmal halb so groß wie Rauchpfote und ging neben ihm unter. Löwenzahnstern schaute den beiden ebenfalls hinterher, dann wandte er sich wieder an Sturmherz. „Sei so nett und richte Schwarzstern meine besten Grüße aus. Ich hoffe, wir werden bei der nächsten Großen Versammlung mehr Zeit für ein paar private Gespräche haben. Und erinnere ihn doch bitte daran, dass er mir noch immer von unserer letzten Wette eine Maus schuldet.“ „Eine Maus?“ Löwenzahnstern lachte. „Ja, eine Maus. Manchmal wetten wir über dieses und jenes, genau wie in den guten, alten Zeiten. Allerdings drückt er sich wie immer davor, seine Wettschulden zu begleichen.“ Tigerfuß brummte belustigt. „Ihr beide wart schon immer wie Pech und Schwefel und hattet schon als Junge nur Unsinn im Kopf.“ Natürlich, Schwarzstern war im ErdClan aufgewachsen, bis er als Schüler zum FeuerClan ging. Löwenzahnstern und er mussten im selben Alter sein und sich seit der Kindheit kennen. Sturmherz war nicht eher darauf gekommen, aber das machte natürlich Sinn. „Ich werde es ihm ausrichten.“ „Danke. So wie ich das sehe, werde ich hier nicht länger gebraucht. Staubblüte, komm mit, wir gehen wieder.“ Staubblüte erwiderte nichts, drehte den FeuerClan-Katern den Rücken zu und trabte hinter ihrem Anführer her. Auch Tigerfuß verabschiedete sich, wünschte Dachspfote alles Gute und ging ebenfalls. Schweigend warteten Flockenpfote und Sturmherz, bis Rauchpfote und Fliederpfote zurückkehrten. Fliederpfote trug eine Menge Mohnblumen im Maul, sodass sie nicht sprechen konnte. Mit einem Nicken verabschiedete sie sich von Rauchpfote, der ihr zum Abschied einen freundschaftlichen Kopfstoß verpasste. Sturmherz ging wieder voran, dicht gefolgt von Fliederpfote und Flockenpfote. Der Besuch beim ErdClan war entspannter verlaufen, als er gedacht hatte. Es war nicht zu übersehen, wie tief die Freundschaft zwischen den beiden Clans verwurzelt war. Löwenzahnstern und Schwarzstern waren gute Freunde, während Staubblüte Blaukralle aus verletztem Stolz zu ihrem persönlichen Feind auserkoren hatte. Fliederpfote tat alles, um Honigblüte nicht zu enttäuschen, und hatte in Rauchpfote ebenfalls einen guten Freund gefunden. „Fliederpfote, sag, bist du eigentlich gerne die Schülerin von Honigblüte?“ Sie schaute ihn mit vollem Mund fragend an. „Hast du es dir ausgesucht, eine Heilerin zu werden?“ Daraufhin blieb sie stehen und legte die Mohnblumen behutsam ab. „Nein. Mein erster Traum, an den ich mich erinnern kann, hat mich bereits zum SternenClan geführt. Es ist mir vorherbestimmt, eine Heilerin zu werden, und das weiß Honigblüte ebenfalls. Ich habe nie eine Wahl gehabt, aber das ist in Ordnung für mich. Ich bin mit dieser Bestimmung auf die Welt gekommen. Vermutlich wäre aus mir sowieso nie eine gute Kriegerin geworden.“ Sie nahm die Mohnblumen wieder auf und setzte sich in Bewegung. Sturmherz konnte nicht anders als ihr nachdenklich hinterherzuschauen. Für Fliederpfote mochte das alles selbstverständlich sein, aber die Unsicherheit in ihrer Stimme hatte er nicht überhört. Vielleicht war Fliederpfote ihr Weg vorherbestimmt, aber das hieß noch lange nicht, dass es ein leichter Weg für sie war. Und wessen Weg war das schon? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)