Stormpaw's Destiny von Kalliope (Warrior Cats - New Clans, New Stories) ================================================================================ Kapitel 16: ------------ „Schwarzstern hätte Silberstern unter die Nase reiben sollen, dass sie selbst gar nicht so perfekt ist, wie sie immer behauptet“, murrte Fleckennase. Selbstverständlich hatte es sich wie ein Lauffeuer im FeuerClan verbreitet, was bei der Großen Versammlung geschehen war und wie Silberstern dem FeuerClan gedroht hatte. Niemand wollte diese Beleidigungen einfach auf sich sitzen lassen, doch bislang traute sich keiner, öffentlich für einen Krieg gegen den WasserClan Stimmung zu machen. Selbst Blaukralle und Rosentau schwiegen, saßen jedoch mit säuerlicher Miene in der Gegend herum. Milchkralle rümpfte zustimmend die Nase. „Ihre Großmutter Mondstern war eine Einzelläuferin, die vom WasserClan aufgenommen wurde. Somit besitzt Silbersterns Mutter Graublume nur zur Hälfte das Blut des WasserClans – und Silberstern selbst nur zu einem Viertel.“ „Eine Tatsache, die sie offensichtlich verdrängt“, fügte Schattenpfote hinzu, der seinem Namen alle Ehre machte und seiner Mentorin wie ein schwarzer Schatten überall hin folgte. Er schnitt eine Grimasse, riss sich jedoch sofort wieder zusammen, als er Milchkralles mahnenden Blick bemerkte. „Schattenpfote hat Recht“, sagte Sturmherz seufzend. „Sie steigert sich so sehr in dieses Thema rein, dass sie den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sieht.“ „Sie muss sehr verzweifelt sein, wenn ihr mich fragt.“ Milchkralle starrte vollkommend ernst zu ihren Freunden. „Früher ging es dem WasserClan immer sehr gut. Als ich noch klein war, hat mein Vater mir häufig Geschichten aus seiner Schülerzeit erzählt. Damals hatte der WasserClan keine Probleme. Im Fluss gab es Unmengen an Fischen und selbst in der Blattleere musste der Clan keinen Hunger leiden. Mondstern führte den WasserClan mit Warmherzigkeit und Güte und einmal half sie dem LuftClan aus, indem sie ihren Clan anwies, die LuftClan-Katzen mit Frischbeute zu versorgen, als sie während einer sehr kalten Blattleere keine Nahrung mehr in ihrem Territorium fanden.“ Sturmherz blinzelte, dann drehte er sich um und suchte Eisbart, den er vorhin noch irgendwo beim Frischbeutehaufen gesehen hatte. „Dein Vater hat Mondstern gekannt?“ Milchkralle legte den Kopf leicht schief. „Ich glaube schon. Wieso fragst du?“ „Ach, nur so. Entschuldigt mich, ich möchte mir noch ein paar Tipps für Flockenpfotes Training holen.“ Mit diesen Worten verabschiedete er sich von seinen beiden Freunden und trottete aus dem Lager heraus. Er nahm Eisbarts Fährte auf und musste nicht lange suchen, denn der ältere Kater hatte es sich an seinem Lieblingsort – einem umgekippten Baumstamm auf einer kleinen, sonnigen Lichtung – bequem gemacht. „Sturmherz.“ Eisbart nickte ihm zu. „Alleine unterwegs?“ „Ich wollte mit dir reden.“ „Oh, du wolltest zu mir?“ Eisbart schien es sich gerade erst gemütlich gemacht zu haben, denn er seufzte, als er von seiner liegenden in eine sitzende Position wechselte. „Was kann ich für dich tun?“ „Milchkralle hat uns gerade erzählt, dass du Mondstern noch gekannt hast.“ „Ja, das habe ich. Wieso interessierst du dich dafür?“ Sturmherz sprang ebenfalls auf den Baumstamm, ließ sich gegenüber von seinem ehemaligen Mentor nieder und bedeckte seine Pfoten mit seinem buschigen, grauen Schwanz. „Erzählst du mir ein bisschen von ihr? Ich möchte mehr über den WasserClan wissen, um zu verstehen, wieso Silberstern so ist, wie sie ist.“ „Es geht also um Silberstern und nicht um Mondstern.“ „Es geht um beide.“ Er wartete ab, doch als Eisbart keine Anstalten machte, etwas zu sagen, fügte er hinzu: „Bitte.“ „Wieso fragst du ausgerechnet mich? Du könntest auch Falkenherz fragen. Oder Schwarzstern. Wobei ich bezweifle, dass Schwarzstern sich noch besonders gut an Mondstern erinnern kann. Er wurde gerade erst zum Schüler ernannt, als sie gestorben ist. Ich denke, Falkenherz wäre die beste Ansprechpartnerin für dich.“ „Aber jetzt bin ich schon einmal hier. Ich dachte mir, es wäre angebracht, zuerst meinen eigenen Mentor zu fragen, zumal ich auch gerne noch ein paar Ratschläge wegen Flockenpfote von dir hätte.“ Das schien Eisbart ein wenig zu schmeicheln, denn er gab seine Gegenwehr auf und legte sich wieder hin. „Na schön. Ja, ich habe Mondstern noch kennenlernen dürfen. Sie war Zweite Anführerin im WasserClan, nachdem sie einen Dachsangriff abgewehrt hat – das war noch vor meiner Zeit. Es hat ihr endgültig ihren Platz im WasserClan gesichert und niemand zweifelte mehr daran, dass sie den Clan über ihr eigenes Leben stellte. Schon damals war sie mutig, warmherzig und hilfsbereit. Es gab niemanden, der auch nur ein schlechtes Wort über sie sagen konnte. Dem WasserClan fehlte es auf den ersten Blick an nichts, aber immer häufiger kamen Junge taub oder krank zur Welt und starben innerhalb der ersten Monde. Distelstern wusste nicht, was er dagegen tun sollte. Man hat sich erzählt, er hätte den SternenClan mehrfach um Rat gefragt, doch sie haben ihm eine Antwort verwehrt. Zu diesem Zeitpunkt hatte Mondstern zwei Kinder – Graublume und Adlerschwinge. Beide waren kräftige, gesunde und angesehene Krieger. Auch deren Junge erfreuten sich bester Gesundheit.“ „Wer waren Mondsterns Enkel?“ „Nun, von Silberstern weißt du ja bereits. Sie ist Graublumes Tochter. Adlerschwinge hat dem WasserClan drei Söhne geschenkt: Gewitterschweif, Donnertaucher und Muschelzahn. Distelstern hat erkannt, dass Mondstern dem WasserClan nicht nur beim Dachsangriff das Leben gerettet hat, sondern auch mit ihrem Nachwuchs, der dem WasserClan zu neuer Stärke verhalf. Distelstern war davon überzeugt, dass Mondsterns Blut dem WasserClan dabei helfen würde, zum alten Glanz zurückzufinden. In der folgenden Blattleere – ich war gerade ein junger Krieger – starb Distelstern und aus Mondregen wurde Mondstern. Sie führte ihren Clan mit derselben Warmherzigkeit, die Distelstern ihr gegenüber gezeigt hatte. Ich denke, auf die vielen guten Taten, die Mondstern vollbracht hat, muss ich an dieser Stelle nicht näher eingehen.“ Eisbart seufzte. „Machen wir einen Zeitsprung. Mondstern setzte sich mit jedem Funken ihres Herzens für den WasserClan ein und verdiente sich die tiefe Dankbarkeit des LuftClans, die bis heute anhält.“ Er konnte sich ein genervtes Augenrollen nicht verkneifen. „Wacholderstern ist ein Speichellecker ohne Gleichen. Aber darum geht es hier nicht. Mondstern setzte sich sogar dafür ein, dass Schwarzstern im FeuerClan und sein Bruder Grauwolke im ErdClan bleiben durften. Ihre Schönheit schien unvergänglich zu sein, aber ihre Leben waren es nicht. Es kam der Tag, an dem sie ihr letztes Leben lebte und ihr langjähriger Zweiter Anführer dem Grünen Husten erlag. Mondstern lag selbst auf dem Sterbebett und musste einen Nachfolger ernennen. Es war keine leichte Entscheidung für sie, denn sie wollte dem WasserClan nicht das Gefühl geben, dass sie ihre eigenen Kinder und Enkel bevorzugte, auch wenn diese die stärksten Krieger waren. Aus diesem Grund wählte sie Großschweif, einen erfahrenen, aber profillosen Krieger, der stets nur Befehle befolgt hatte. Noch in derselben Nacht starb auch Mondstern und aus Großschweif wurde Großstern. Du kannst dir denken, wie stark der WasserClan um Mondstern getrauert hat. Großstern konnte nie in ihre Pfotenstapfen treten und war mit dem Amt des Anführers überfordert, weil er keine Zeit gehabt hatte, um überhaupt Zweiter Anführer zu sein und sich an diese Verantwortung zu gewöhnen. Außerdem sah er sich jeden Tag damit konfrontiert, dass sein eigener Clan sich an Mondsterns Nachfahren wandte, wenn es Probleme oder Sorgen gab. Er tat das einzige, was ihm seine Position als Anführer sichern konnte, indem er Silberstern zu seiner Zweiten Anführerin ernannte. Das beruhigte den Clan und ihn selbst.“ „Wieso hat er Silberstern genommen und nicht einen von Adlerschwinges Söhnen?“ „Wenn du mich fragst, wählte er sie, weil sie ihrer Großmutter wie aus dem Gesicht geschnitten ist. Der WasserClan trauerte um Mondstern und sehnte sich nach ihr, also gab er ihnen Mondsterns Abbild.“ „Und vermutlich ging Silberstern in ihrer neuen Rolle vollkommen auf, richtig?“ Eisbart schmunzelte. „Du irrst dich. Sie war genauso überfordert wie Großstern, immerhin war sie kaum älter als Milchkralle, Fleckennase oder du. Aber der Clan liebte und respektierte sie. Silberstern hätte zu dieser Zeit alles getan, um auch nur annähernd die Erwartungen zu erfüllen, die man an sie stellte. Wie es der SternenClan so wollte, verlor Großstern relativ schnell alle seine Leben. Sie war so alt wie Blaukralle jetzt, als sie zur Anführerin wurde. Der WasserClan hatte noch immer große Erwartungen an sie. Der Clan litt Hunger, gebar keine gesunden Jungen mehr und Silberstern sollte ein Wunder vollbringen. Die Lage spitzte sich immer weiter zu und Silberstern verzweifelte immer mehr. Sie wusste nicht, wen sie zu ihrem Zweiten Anführer machten sollte. Adlerschwinges Söhne verweigerten alle drei dieses Amt, weil sie die Verantwortung für den Niedergang des WasserClans nicht tragen wollten. Und dann kam Dornstachel, Großsterns Sohn. Er hatte die kurze Amtszeit seines Vaters miterlebt und wollte es unbedingt besser machen als er. Dornstachel biederte sich Silberstern regelrecht an, schmierte ihr Honig ums Maul und versprach ihr, dass sie den WasserClan gemeinsam zu neuer Größe führen würden. Also ernannte sie ihn zum Zweiten Anführer, weil sie wusste, dass er für dieses Amt brannte und sie niemanden haben konnte, der loyaler an ihrer Seite stehen würde. Gemeinsam kamen sie zu dem Schluss, dass es sich der WasserClan nicht länger leisten konnte kranke Jungen zu pflegen, bis sie ohnehin starben. Den Rest kennst du. Silberstern glaubt, dass der SternenClan den WasserClan dafür bestraft, dass sie die Einzelläuferin Mondstern aufgenommen haben. Sie ist davon überzeugt, dass es ihre Aufgabe als Anführerin ist, diesen Fehler ihrer Großmutter auszugleichen, indem sie rigoros alle HalbClan-Jungen aus dem Clan entfernt. Dornstachel bestärkt sie darin.“ Sturmherz‘ Blick hatte sich die ganze Zeit über verfinstert. „Aber das stimmt nicht. Mondsterns Blut ist der einzige Grund dafür, wieso es überhaupt noch gesunde Junge im WasserClan gibt. Sie hat den Clan gerettet, nicht verdammt. Und Dornstachel … er hat es ausgenutzt, dass Silberstern zu Beginn ihrer Herrschaft hilflos und überfordert war. Er hat sie benutzt, um Zweiter Anführer zu werden.“ Eisbart nickte leicht. „Dornstachel hat nie eigene Junge zeugen können. Er wusste, dass er für den WasserClan keine Bedeutung haben würde, wenn er nicht etwas Großes schaffte. Er war jung und wollte Macht – das hat er dank Silberstern bekommen.“ „Aber er benutzt Silberstern nur!“ Sturmherz konnte es kaum glauben, doch er empfand mit einem Mal so etwas wie Sympathie für die Anführerin des WasserClans. „Silberstern verlässt sich auf ihn und er redet ihr ein, dass das HalbClan-Blut den WasserClan schädigt, dabei stimmt das überhaupt nicht. Und wenn sie ihm das wirklich glaubt … dann glaubt sie auch, dass sie selbst nicht gut genug für den Clan ist?“ „Wer weiß? Ich kann nicht in Silbersterns Kopf sehen – niemand kann das. Fakt ist, dass sie an ihrer radikalen Linie festhält, weil sie Angst hat, einen Fehler zu machen und den SternenClan nur noch weiter zu enttäuschen. Gleichzeitig weiß sie – weiß jeder –, dass sie niemals eine so große Anführerin wie Mondstern sein kann.“ „Aber wenn du das alles bereits wusstest, wieso hast du nie etwas gesagt?“ Sturmherz‘ Mentor gähnte. „Ich bin nur ein alter Krieger. Ich habe in meinem Leben schon viele Dinge gesehen und gehört. Silberstern ist in der schwersten Zeit des WasserClans zu dessen Anführerin geworden. Es steht mir nicht zu, darüber zu urteilen, was der SternenClan von ihrem Führungsstil hält. Wenn du mich nun entschuldigen würdest, mein Mittagsschlaf wartet auf mich.“ Eisbart klappte seine Augen zu. Sturmherz stupste ihn mit der Pfote an, woraufhin sein Mentor brummte. „Eisbart. Hey!“ „Was?“ Ein Auge öffnete sich missmutig. „Glaubst du, Silberstern hat Angst vor ihrer Position als Anführerin?“ „Sie hat Angst davor, machtlos gegen den Untergang des WasserClans zu sein. Ich denke, Machtlosigkeit ist etwas, vor dem jeder Anführer Angst hat.“ Das Auge schloss sich wieder. Sturmherz seufzte. Das musste er erst einmal alles verarbeiten. „Was ist mit Flockenpfotes Training?“ „Ein anderes Mal, Sturmherz. Du bist nun selbst ein Krieger. Ich habe mit dem Training deines Schülers nichts zu tun.“ Er war frustriert, sprang von dem Baumstamm herunter und stapfte zurück in Richtung Lager des FeuerClans. Sturmherz hatte immer das Gefühl gehabt, dass Eisbart weitaus mehr wusste, als er preisgab – und genau darin fühlte er sich nun bestätigt. Das Problem war nur, dass er niemanden hatte, mit dem er darüber reden konnte. Wenn Silberstern einfach nur durch Dornstachel schlecht beraten und gleichzeitig verzweifelt war, bestand womöglich noch Hoffnung, sie umstimmen zu können. Nur wie? *** „Die beiden sind so niedlich“, sagte Zimtfeder verträumt. Die zierliche Königin saß gemeinsam mit Wolkentänzer vor dem Bau der Königinnen und schaute ihren Jungen dabei zu, wie sie spielten. Fuchsjunges und Bienenjunges waren schon zwei Monde alt – alt genug, um mit tapsigen Schritten die Umgebung zu erkunden und sich zu balgen. Mondjunges und Sonnenjunges waren hingegen erst etwas mehr als einen halben Mond alt und begannen gerade ihr Hörvermögen auszubilden und zu krabbeln. „Das sind sie“, stimmte Wolkentänzer ihr selig lächelnd zu. „Ich bin dem FeuerClan dankbar dafür, dass er meinen Jungen vorübergehend ein Zuhause gegeben hat. Und dir bin ich natürlich auch sehr dankbar, denn ohne dich und deine Milch würden meine Jungen nicht überleben.“ Ihr seliger Gesichtsausdruck verschwand und Schuldgefühle spiegelten sich in ihren Augen wider. In diesem Augenblick erreichten Sturmherz und sein Schüler Flockenpfote die beiden Königinnen. Heute war ihnen die Versorgung der Königinnen zugeteilt worden. Flockenpfote legte den beiden stolz ein Eichhörnchen vor die Füße. Es war das erste Eichhörnchen, das er gefangen hatte, und es hatte Sturmherz fast den ganzen Tag und ungemein viele Nerven gekostet. Zimtfeder wandte ihren Blick sofort zu Sturmherz. Sie sprach nicht häufig mit ihm und wenn, dauerte es nie lange, bis Blaukralle auftauchte. Doch jetzt war er gerade mit Nebelpfote außerhalb des Lagers unterwegs und konnte nicht einschreiten. „Sag uns, Sturmherz, wie beurteilst du die Entwicklung unserer Jungen?“ Er wusste nicht, was genau sie von ihm hören wollte. „Ich denke, sie machen sich sehr gut? Fuchsjunges und Bienenjunges scheinen beide sehr aufgeweckt zu sein. Es dauert bestimmt nicht mehr lang, bis sie den ganzen Clan auf Trab halten.“ Zimtfeder nickte zustimmend. „Sie sind beide ganz anders als Fliederpfote. Manchmal kommt es mir vor, als hätte der SternenClan meiner Tochter ein schweres Schicksal aufgeladen und aus diesem Grund war sie schon seit ihrer Geburt so ruhig und verschlossen.“ „Vielleicht liegt es aber auch nur daran, dass sie das Wesen eines Heilers besitzt“, meinte Wolkentänzer. „Heiler tragen eine große Verantwortung gegenüber ihrem Clan. Sie dürfen sich keine Fehler erlauben und müssen alles sehr ernst betrachten.“ „Ja, diese Ernsthaftigkeit besitzt Fliederpfote.“ Zimtfeders Blick wanderte zurück zu ihren beiden Jungen. „Ich bin froh, dass mir der SternenClan noch zwei gesunde zukünftige Krieger geschenkt hat. Sie werden dem FeuerClan große Ehre erweisen.“ Unbehaglich knetete Wolkentänzer mit ihren Vorderpfoten den Erdboden, dann erhob sie sich und ging zu ihren eigenen Jungen. „Die Zeit ist um, wir gehen zurück in die Höhle.“ „Nein“, fiepten die beiden im Chor, kamen aber nicht gegen ihre Mutter an, die Sonnenjunges einfach im Nacken packte und Mondjunges vor sich her schob, da sie schon besser krabbeln konnte als ihr Bruder. Bienenjunges und Fuchsjunges schauten dem Dreiergespann hinterher und trabten dann zu ihrer Mutter. „Mama, wieso dürfen die beiden nicht noch draußen bleiben? Sie sind doch gerade erst gekommen.“ Bienenjunges schaute Wolkentänzer fragend hinterher. „Ist es, weil sie noch zu klein sind, um mit uns zu spielen?“ Zimtfeder schüttelte sanft den Kopf. „Nein, meine Lieben, daran liegt es nicht. Wolkentänzer ist traurig, weil sie nicht weiß, ob ihre Jungen hier bei uns im FeuerClan bleiben dürfen.“ „Aber wieso nicht?“ Fuchsjunges setzte sich direkt neben das tote Eichhörnchen. „Apfelpelz ist doch ihr Vater?“ Zimtfeder seufzte. „So einfach ist das leider nicht. Hier, Flockenpfote und Sturmherz haben uns Frischbeute mitgebracht. Sagt lieb danke und dann dürft ihr essen.“ Fuchsjunges und Bienenjunges schauten Sturmherz und seinen Schüler mit großen Augen an und sprachen im Chor: „Vielen Dank!“ Dann sprangen sie auf das tote Tier und rangelten mit dem schlaffen Körper, ehe sie den ersten Bissen nahmen. Sturmherz schaute den beiden Jungen einige Sekunden lang dabei zu. Fuchsjunges besaß schon jetzt den gleichen rundlichen Körperbau und das gleiche dichte, kurze Fell wie Blaukralle, nur dass er das braune, einfarbige Fell von seiner Mutter geerbt hatte, auch wenn es etwas dunkler war als bei Zimtfeder. Im Gegensatz dazu war Bienenjunges‘ Fellfarbe heller als bei ihrer Mutter, das Fell länger und der Schwanz kurz, aber buschig. Sturmherz hoffte inständig, dass sie nicht Blaukralles Charakter geerbt hatten. „Wir lassen euch dann mal wieder alleine“, teilte er Zimtfeder mit, verabschiedete sich mit einem Kopfnicken von ihr und ging mit Flockenpfote zusammen zum Bau der Schüler, wo er seinen Schüler jeden Abend in die Freizeit entließ. „Du hast dich heute gut geschlagen, Flockenpfote.“ „Ich habe den ganzen Tag gebraucht, um ein einziges Eichhörnchen zu fangen.“ Die weißen Ohren zuckten beschämt. „Nebelpfote hat gesagt, ich bin ein schlechter Jäger.“ „Hör nicht auf das, was Nebelpfote dir sagt.“ Er grollte leise vor sich hin. Nun hetzte Blaukralle seinen Schüler schon gegen Flockenpfote auf. „Jeder lernt in seinem eigenen Tempo. Es ist egal, ob Nebelpfote schon in ein oder zwei Monden zum Krieger ernannt wird. Sieh dir Milchkralle an.“ Sie möge ihm den Vergleich verzeihen. „Sie war über ein Jahr alt, als Schwarzstern sie zur Kriegerin ernannt hat und heute redet da keiner mehr drüber, weil es nicht mehr von Bedeutung ist. Sie ist mutig, intelligent und man kann sich immer auf sie verlassen. Diese Werte sind wichtiger als die Tatsache, wie schnell man zum Krieger wird.“ „Und wenn ich nie ein guter Jäger werde?“ „Das wirst du. Ganz bestimmt. Es hat heute zwar den ganzen Tag gedauert, aber du hattest Erfolg. Während du gestern, vorgestern oder letzte Woche noch kein Eichhörnchen fangen konntest, hast du es heute geschafft. Das ist ein Fortschritt, nicht wahr?“ Flockenpfote dachte einen Augenblick darüber nach, dann hellte sich sein Blick auf. „Ja, das ist es. Ich bin besser geworden.“ Sturmherz nickte. „Siehst du. Und jetzt genieß den Abend. Wir sehen uns morgen früh wieder.“ Flockenpfote ging in den Bau der Schüler. Er war wie immer der erste, aber Sturmherz wusste, dass er seinen Schüler nicht überfordern durfte. Es war noch ein langer Weg, bis Flockenpfote eines Tages zum Krieger ernannt werden konnte, aber mit viel Geduld schaffte er das, da war er sich sicher. *** Auch in den nächsten Tagen dachte Sturmherz viel darüber nach, wie Silberstern zu der Anführerin werden konnte, die sie nun war. Ob Mondstern stolz auf sie war? Sturmherz wusste nicht viel darüber, wie oft der SternenClan mit den Anführern der Clans sprach, aber er ging zumindest davon aus, dass Silberstern davon erfahren hätte, wenn der SternenClan mit ihrem Verhalten absolut nicht einverstanden war. Der Halbmond näherte sich und je näher er rückte, desto schärfer wurde Honigblütes Ton, mit dem sie Fliederpfote quer über das Revier des FeuerClans schickte. Niemand wagte es, die Heilerin darauf anzusprechen, aber es war offensichtlich, dass ihr irgendetwas nicht passte. Irgendetwas, wofür die junge Fliederpfote nichts konnte, doch ausbaden musste sie es trotzdem. Hin und wieder kamen im FeuerClan Gespräche darüber auf, wie gut Blaukralle seinen Schüler unterrichtete. Nebelpfote schien nicht nur ein ausgesprochen großes Talent für die Jagd zu haben, sondern auch jeden Übungskampf gegen die anderen Schüler zu gewinnen, was Blaukralle nur noch stärker umherstolzieren ließ. Sturmherz seufzte und sein Blick fiel auf die Blätter der Laubbäume, die das Ufer des Baches säumten. Sattes Grün hatte sich in Gold und Rot verwandelt und endlich wurde es auch wieder etwas kühler. Nicht dass er den Blattfall herbeisehnte, so war es nicht, aber sein dichtes, langes Fell hatte dafür gesorgt, dass er in den heißen Monaten der Blattgrüne doch ziemlich gelitten hatte. Flockenpfote durchbrach das Dickicht. „Hiff hafe feine!“ Er ließ die dicke Maus vor seinem Mentor zu Boden fallen. „Ich habe eine! Wie du gesagt hast.“ „Das macht vier Mäuse. Gut gemacht. Du kannst sie jetzt zum Frischbeutehaufen bringen, wir beenden für heute dein Training.“ „Und was soll ich mit dem restlichen Tag anfangen?“ „Was ist mit deinen Brüdern? Ihr könntet noch einen Übungskampf draußen vor dem Lager veranstalten. Vielleicht machen Dachspfote und Nebelpfote auch mit.“ Flockenpfotes weißer, flauschiger Schwanz fegte über den sandigen Waldboden. „Das glaube ich nicht. Schattenpfote und Frostpfote sind noch mit ihren Mentoren unterwegs. Und Dachspfote und Nebelpfote sind mir gerade erst über den Weg gelaufen. Sie haben mich nicht bemerkt, aber ich glaube, dass sie auf dem Weg zur nördlichen Grenze sind.“ Sofort horchte Sturmherz auf. „Seit wann trainieren Fleckennase und Blaukralle ihre Schüler denn gemeinsam.“ „Oh, ich glaube nicht, dass Fleckennase und Blaukralle dabei sind.“ Flockenpfote sagte dies vollkommen beiläufig und dachte sich gar nichts dabei. „Sie waren alleine unterwegs und haben sich gestritten. Ich glaube, Dachspfote wollte ihm irgendetwas beweisen.“ Das klang nicht gut. „Ihr Schüler wisst, dass ihr nicht alleine ohne die Zustimmung eures Mentors unterwegs sein dürft.“ „Ja, Sturmherz.“ Flockenpfote senkte den Kopf und machte ein Gesicht, als wäre er der Schuldige. Sturmherz seufzte. „Ich möchte, dass du deine Beute ins Lager bringst und wenn du Fleckennase siehst, sagst du ihm, dass er mich in der Nähe der nördlichen Grenze suchen kommen soll. Ich werde nachsehen, was Dachspfote und Nebelpfote vorhaben.“ „Ist gut.“ Sein Schüler hatte zwar etwas Mühe, alle vier Mäuse gleichzeitig in sein großes Maul zu stopfen, doch es gelang ihm und wenige Herzschläge später war er verschwunden. Sturmherz folgte Flockenpfotes Fährte bis zu dem Ort, an dem er gejagt hatte, und in der Tat konnte er auch schwach den Geruch von Nebelpfote und Dachspfote wahrnehmen. Er schlug ebenfalls die nördliche Richtung ein. Was auch immer Dachspfote vorhatte – Fleckennase wusste ganz sicher nichts davon. Er würde seine Schülerin nie alleine mit Blaukralle und seinem Schüler trainieren lassen, was dafür sprach, dass sich die beiden Geschwister ohne das Wissen ihrer Mentoren davongeschlichen hatten. Nur Nebelpfote hätte er so ein Verhalten nie zugetraut. Es dauerte nicht lange, bis die Fährte der beiden stärker wurde. Sturmherz beschleunigte seine Schritte, verlangsamte sie aber wieder, als die beiden in Hörweite kamen. Sie befanden sich ziemlich weit im Norden des Reviers. Etwas weiter westlich verlief die Grenze zum WasserClan, doch hier schloss sich nur die Wildnis an das Gebiet des FeuerClans an. Es gab nichts außer Wald, Felsen und vermehrt Schlangen. Das konnte gefährlich werden, wenn man nicht aufpasste. Sturmherz pirschte sich durch das Unterholz heran und erspähte die beiden Schüler durch die Blätter hindurch. Sie standen am Rand einer Felsansammlung. Dachspfote posierte oben auf den Steinen und schaute zu ihrem Bruder herunter. „Du bist nicht besser als ich“, sagte sie gerade und ihre Brust bebte vor Zorn. „Ich habe nur einen schlechten Mentor abbekommen, mehr nicht.“ Nebelpfotes Ohr zuckte leicht. „Da sagt Blaukralle aber etwas anderes. Es tut mir wirklich leid für dich, Schwester, aber es kann nur einen Schüler geben, der am besten ist. Blaukralle ist zuversichtlich, dass ich schon in einem Mond zum Krieger ernannt werde. Es kann nur einer die Nummer Eins sein und das sind weder du noch dein Mentor Fleckennase.“ Sie rümpfte abfällig die Nase. „Blaukralle wird schon sehen, dass er sich irrt. Und du auch, Nebelpfote. Wir waren immer gleich stark und ein Team, falls du dich noch daran erinnern kannst. Gemeinsam könnten wir es den anderen Schülern zeigen. Vielleicht kann Blaukralle mir ein paar Tricks beibringen?“ Er legte seinen Kopf leicht schief. „Das wage ich zu bezweifeln. Ja, wir waren ein Team, aber da waren wir noch keine Schüler. Das ist lange her.“ „Etwas weniger als zwei Monde“, zischte sie aufgebracht. „Blaukralle denkt also, dass ich nicht gut genug für ihn bin? Fein. Dann werde ich euch beiden beweisen, dass ich es drauf habe und eine ebenso gute Kriegerin werde wie du. Ich bin nicht auf Fleckennase angewiesen.“ „Blaukralle sagt, dass Fleckennase es im Clan nie zu etwas bringen wird. Er ist nur ein Anhängsel von Sturmherz und Milchkralle. Und Sturmherz … Blaukralle sagt, dass er das Blut eines Hauskätzchens in sich trägt. Kein Wunder, dass er den Versager Flockenpfote als Schüler bekommen hat. Ohne das Wohlwollen von Schwarzstern wäre Sturmherz nicht einmal mehr am Leben.“ Sturmherz unterdrückte mit aller Kraft ein Knurren, um sich nicht zu verraten. Es wunderte ihn nicht, dass Blaukralle seinen Schüler gegen alle anderen Schüler aufhetzte, aber dass er anfing, die anderen Mentoren hinter deren Rücken schlecht zu reden, ging zu weit. Nun, zumindest über Rindentänzer schien er nichts Schlechtes zu sagen zu haben. Dachspfote plusterte sich auf. „Es ist mir egal, was Blaukralle über Fleckennase und Sturmherz sagt. Mir ist nur wichtig, was er von mir denkt.“ Dann drehte sie sich um. „Da unten schläft eine Schlange. Ich werde sie erlegen.“ Das konnte nicht ihr ernst sein! Jeder Schüler wusste, dass die Schlangen in diesem Teil des Gebiets nahe der nördlichen Grenze nicht ungefährlich waren. Die kleineren Exemplare mochte man zwar bekämpfen können, doch die Klapperschlangen waren giftig und konnten einen sogar töten. In diesem Augenblick tauchte Blaukralle wie aus dem Nichts auf. Er schaute Nebelpfote und dann Dachspfote an. „Hier seid ihr also. Ich habe mich schon gefragt, wo ihr seid.“ Sturmherz verwettete den ganzen Frischbeutehaufen darauf, dass Blaukralle nicht rein zufällig vorbeigekommen war, sondern den Streit zwischen den Geschwistern langfristig provoziert hatte. Doch er hielt sich noch bedeckt. Nebelpfote begrüßte seinen Mentor mit einem ergebenen Senken des Kopfes. „Dachspfote möchte beweisen, dass sie mit ihrer Ausbildung so weit fortgeschritten ist wie ich.“ „Ist das so? Ich könnte durchaus ein gutes Wort für dich einlegen, Dachspfote, wenn das der Wahrheit entspricht.“ Seine Worte gingen runter wie Honig. Dachspfote platzte beinahe vor Stolz und sie himmelte Blaukralle mit Blicken nur so an. „Das würdest du für mich tun? Fleckennase wäre nie bereit, mir diese Chance zu geben.“ Natürlich nicht, immerhin war sie erst zwei Monde in Ausbildung und noch viel zu grün hinter den Ohren. „Natürlich nicht“, sagte Blaukralle sofort und legte Bedauern in seine Stimme. „Aber ich vertrete die Ansicht, dass jeder wahre Krieger einen wohlverdienten Platz im FeuerClan haben sollte. Es ist kein Geheimnis, das manche Mentoren, nun ja … besser sind als andere. Sei es, weil sie echtes FeuerClan-Blut in sich tragen oder weil sie höhere Qualitäten haben.“ Dachspfotes Schwanz wippte aufgeregt auf und ab. Sie glaubte Blaukralle jedes einzelne Wort. „Ich werde dir zeigen, was für eine mutige Kriegerin ich bin!“ Mit diesen Worten machte sie sich zum Sprung bereit, direkt in das Nest der Schlangen hinein. „Das wirst du nicht tun!“, sagte Sturmherz sofort, gerade als Dachspfote abspringen wollte. Vor Schreck fiel sie fast herunter und krallte sich im letzten Moment fest. Mit großen Augen starrte sie Sturmherz an. „Sturmherz! Ich …“ „Was fällt euch ein?“ Er warf auch Nebelpfote einen scharfen Blick zu. „Alle beide!“ Dann baute er sich vor Blaukralle auf. „Und du unterstützt diesen Konkurrenzkampf auch noch!“ Blaukralle ließ sich kein bisschen einschüchtern. „Es steht dir nicht zu, meinen Schüler zu maßregeln. Er hat keinen Fehler begangen.“ „Er hat Dachspfote dazu angestachelt, sich ihrem Mentor zu widersetzen. Das ist kein guter Charakterzug und widerspricht dem Gesetz der Krieger.“ Blaukralles Mundwinkel zuckten. „Ich merke schon, du als ehemaliges Hauskätzchen kennst dich mit dem Gesetz der Krieger besser aus als wir.“ Dann guckte er wieder ernst. „Ich kann kein Fehlverhalten bei Nebelpfote feststellen. Dachspfote hat sich aus eigenem Antrieb aus Fleckennases Obhut entfernt. Mein Schüler ist lediglich mit ihr gegangen, um auf sie aufzupassen. Eine edle Tat, wenn du mich fragst, schließlich wollte er nur verhindern, dass ihr Schaden zustößt.“ „Und ist es genauso edel, dass er nicht verhindert, dass Dachspfote sich mit Schlangen anlegen will, um ihren Mut zu beweisen?“ Sie zuckte bei seinen Worten zusammen und machte sich ganz klein. Auch Blaukralles Augen weiteten sich für einen kurzen Augenblick und er schaute zu Dachspfote herüber. Damit hatte er nicht gerechnet. „Das wäre ausgesprochen dumm. Klapperschlangen sind giftig. Das hat nichts mit Mut zu tun.“ Dachspfote sah aus, als würde sie am liebsten im Erdboden versinken. „Dachspfote!“ Fleckennase brach polternd und mit gehetztem Blick durch die Büsche. Sie drehte sich schuldbewusst zu ihrem Mentor um. „Fleckennase, ich …“ Ihr Blick war voller Scham zu Boden gesenkt. „Es … es tut mir l-“ Dachspfotes Gesicht verzog sich zu einem stummen Schrei, dann kam ein hoher, schmerzerfüllter Ton aus ihr heraus. Ihre Augen weiteten sich, als sie wie in Zeitlupe vornüber von dem Felsen kippte. Ihr Körper, der auf dem staubigen Boden aufschlug. Über ihr eine braune Schlange, die bedrohlich mit ihrer Schwanzspitze rasselte. Blaukralle, der ängstlich die Ohren anlegte und mit Nebelpfote Schritte rückwärts machte. Und Fleckennase, der zu Stein erstarrt schien. Der sich fing. Der mit einem brüllenden Schrei seiner Schülerin zur Hilfe eilte, dem Biss der Schlange auswich, ihren Körper packte und zwei Fuchslängen weiter weg schleuderte. Sturmherz konnte nur zuschauen, starrte in Dachspfotes ängstliche, schmerzverzerrte Augen, die ihn an Ahornseele erinnerten. Jetzt ging es nicht mehr nur um Blaukralle und seinen privaten Feldzug. Es ging um Dachspfotes Leben. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)