Stormpaw's Destiny von Kalliope (Warrior Cats - New Clans, New Stories) ================================================================================ Kapitel 6: ----------- Die nächsten Tage verliefen ohne weitere Vorkommnisse. Sturmpfote ging seiner Bestrafung nach, bespaßte tagsüber Falkenherz und nahm davor an der morgendlichen Jagdpatrouille teil, allerdings nur mit Schneeflügel zusammen, da er die ganze Woche über nicht mit Fleckenpfote und Milchpfote zusammen sein durfte. Sie sahen sich zwar abends im Schülerbau, wenn sie schlafen gingen, aber darüber hinaus sorgten Schneeflügel, Apfelpelz und Haselschweif dafür, dass sich die Schüler nicht großartig über den Weg liefen. Mit Falkenherz verstand er sich gut und jedes Mal, wenn er ihr Nest reinigte, ihr eine Zecke zog oder ihr Futter brachte, erfreute sie ihn mit Geschichten aus ihrer Jugendzeit, in der Fuchsauge der angesehenste Krieger im Clan gewesen war oder Schwarzstern noch Schwarzpelz geheißen hatte. Blaukralle und Rosentau gingen in ihren üblichen Sticheleien gegen ihn auf, beschäftigten sich die meiste Zeit dann aber doch mit Zimtfeder und ihrer Tochter Fliederjunges, der der Weg der Heilerin vom SternenClan vorherbestimmt worden war. Herbstfleck wachte mit Argusaugen über Zimtfeder und Fliederjunges und sorgte dafür, dass die Königin und ihr einziges Junge genügend Ruhe bekamen. Zudem bellte Herbstfleck den Schülern gerne Befehle entgegen, sodass das Moos im Bau der Königinnen täglich erneuert wurde und auch Kieselpelz mit genügend Frischbeute versorgt wurde. Am Ende der Woche war es dann soweit. In der Morgendämmerung, kurz nachdem die Patrouillen losgezogen waren, setzten bei Kieselpelz die Wehen ein. Sie knurrte, fauchte und jammerte gegen die Schmerzen an, doch sowohl Honigblüte als auch Herbstfleck ließen sich davon nicht beirren und standen Blaufells Gefährtin bei der Geburt zur Seite. Sturmpfote war froh, als er mit Schneeflügel das Lager verlassen konnte, denn der Geburtsstress hatte das gesamte Lager erfasst. Draußen im Wald war es entspannter, ruhiger, sodass er sich ganz auf die Jagd konzentrieren konnte. Schneeflügel war zufrieden mit seinen Jagdkünsten und er stellte immer wieder fest, dass er – was das anging – problemlos mit Milchpfote und Fleckenpfote mithalten konnte. Nur beim Kampftraining versagte er noch immer. „Du wirst dir mehr Mühe geben müssen“, tadelte Schneeflügel ihn. Ihr Bauch war bei Weitem noch nicht so rund wie bei Kieselpelz, aber er wölbte sich bereits. Auch die anderen im Clan hatten zwischenzeitlich erfahren, dass Schneeflügel in etwa drei Wochen Junge bekommen würde und anhand des Bauchumfangs vermutete Honigblüte, dass es auch bei ihr mehrere Junge sein würden. Sturmpfote schnaufte und legte das Eichhörnchen in seinem Maul ab. Falkenherz‘ Lieblingsspeise war flink, wendig und gar nicht so leicht zu fangen, aber er wollte ihr an seinem letzten Tag eine Freude machen. „Ich weiß nicht, was ich noch tun soll.“ Schneeflügel wiegte ihren Kopf nachdenklich hin und her, dann seufzte sie. „Ich fürchte, dass ich dir in diesem Punkt nur das Grundwissen beibringen kann. Jeder Krieger muss für sich selbst herausfinden, wie er am besten kämpfen kann. Ich kann dir nicht sagen, wie du bei deinem langen Fell und deiner Größe besser kämpfen kannst.“ „Schwarzstern wüsste es wahrscheinlich“, murrte Sturmpfote und hoffte insgeheim, dass sich der Anführer höchstpersönlich um seine Ausbildung kümmern würde, auch wenn die Chancen dafür eher gering waren. „Wahrscheinlich“, murmelte seine Mentorin. „Apfelpelz hat ebenfalls langes Fell, genau wie Rindentänzer, auch sind beide größer als unser Durchschnitt, aber beide besitzen nicht deine Statur.“ Da musste er ihr Recht geben. Rindentänzer hatte langes, struppiges Fell und dazu eine muskulöse Statur mit breitem Kreuz. Apfelpelz war etwas filigraner gebaut mit kürzeren Beinen, aber bei Weitem nicht so schmal wie Sturmpfote. Unter seinem langen, seidigen Fell war der Schüler drahtig und schlank und er ärgerte sich beinahe täglich darüber, dass seine Statur noch kittenmäßig war. Er sah zwar aus wie ein großer, kräftiger Krieger, aber das meiste davon war nur sein sturmgraues Fell. Sturmpfote beschloss, dass er das Thema wechseln wollte. „Wann wirst du in den Bau der Königinnen ziehen?“ Er nahm das Eichhörnchen wieder auf und trottete neben Schneeflügel zurück zum Lager. „Nicht sehr bald.“ Sie lächelte in sich hinein. „Ich bin froh, wenn ich den Trubel lange genug von mir fernhalten kann. Außerdem sind Zimtfeder und Kieselpelz bestimmt auch froh, wenn sie den Bau noch eine Weile für sich haben.“ Eine Weile schwiegen sie und erst kurz vor dem Lager sprach sie noch einmal: „Ich glaube, die Jungen sind da. Es liegt in der Luft.“ Sturmpfote roch nur das Eichhörnchen unter seiner Schnauze, aber im Lager selbst stellte er fest, dass Schneeflügel richtig lag. Der Stress hatte sich gelegt, stattdessen liefen alle munter umher und beglückwünschten Blaufell zum Nachwuchs. Nachdem er das Eichhörnchen bei Falkenherz abgelegt hatte, ging er zu Milchpfote und Fleckenpfote, die ihn beide schief anguckten, doch Schwarzstern, der gerade in der Nähe vorbeilief, ließ die Schüler trotz des noch heute vorhandenen Verbots gewähren. Offenbar war die Geburt vom FeuerClan-Nachwuchs eine Situation, in der man eine Ausnahme machen konnte. „Die Jungen sind da“, sagte Milchpfote sachlich und leckte sich dabei über die Pfoten. Sie hatte gerade gefressen und wirkte nun satt und zufrieden. „Wie viele sind es? Und welche Namen haben sie?“ „Zwei“, sprach Fleckenpfote. Auch er musste gerade gefressen haben, streckte sich und sah schläfrig aus. „Schwarzstern hat Blaufell die Namen verkünden lassen, als du mit Schneeflügel jagen warst. Dachsjunges und Nebeljunges.“ Sturmpfote nickte. „Und kann man schon sagen, ob sie eher nach Blaufell oder nach Kieselpelz kommen?“ „Noch nicht“, antwortete Milchpfote ihm. „Es war eine schwierige und anstrengende Geburt, deshalb durfte Blaufell nur kurz reingucken. Honigblüte möchte nicht, dass die Königinnen heute noch einmal gestört werden und Herbstfleck setzt diese Anweisung inbrünstig durch. Jeder, der sich dem Bau auch nur nähert, bekommt von ihr das Passende zu hören.“ „Hm.“ Er malte sich aus, wie die Jungen wohl aussehen würden, kam aber zu keinem Ergebnis. Blaufell hatte kurzes, blaues Fell und war leicht speckig. Kieselpelz hingegen hatte langes, seidiges, braunes Fell, einen buschigen Schwanz und eine geschmeidige, schlanke Figur. Vielleicht sahen die Jungen ja aus wie kleine, blaue, plüschige Sofakissen. Die Vorstellung fand er lustig und trug sie noch eine Weile mit sich herum. *** Einen Tag später durfte Blaufell seine Jungen besuchen und verkündete danach stolz, dass es wunderschöne Jungen waren, die mit Sicherheit große Krieger werden würden. Rosentau schnaubte abfällig, verkniff sich in Anwesenheit von Schwarzstern jedoch jeden weiteren Kommentar. „Dachsjunges wird ein schwarz-weißes Fell bekommen und Nebeljunges scheint nach Kieselpelz zu kommen“, erwähnte Blaufell gerade. „Es ist noch zu früh, um Prognosen darüber zu stellen“, warf Honigblüte gelangweilt ein. Sie war zwar die Heilerin des Clans, machte aber die meiste Zeit über ihr eigenes Ding und hielt sich größtenteils aus dem Clanleben heraus. Manchmal fragte Sturmpfote sich, ob sie wohl einen Grund dafür hatte, zumal sie ihm in der letzten Zeit noch schweigsamer und mürrischer vorgekommen war, aber er war nicht in der Position, um die Heilerin so etwas zu fragen. Vom anderen Ende des Lagers näherte sich Haselschweif und sein rostbrauner Schweif begann nervös zu zucken, bis er direkt vor Honigblüte stand. „Honigblüte, ich … A-also nicht ich, eigentlich Schwarzstern, also der Anführer, Schwarzstern, er … E-er würde gerne Zimtfeder und Kieselpelz b-besuchen kommen, weil er der Anführer ist, also Schwarzstern, u-und also … Ja.“ Beschämt ließ Haselschweif seinen Blick quer durch das Lager schweifen, um jeglichen Blickkontakt mit der Heilerin zu vermeiden, kehrte aber trotzdem immer wieder mit großen Augen zu ihr zurück. Perplex starrte Sturmpfote den Zweiten Anführer an. Wieso brachte er keinen vernünftigen Satz heraus? Fleckenpfote schien seine Gedanken lesen zu können, denn er wisperte ihm ins Ohr: „Amüsant, nicht wahr? Das ist immer so, wenn Haselschweif alleine mit Honigblüte reden muss.“ Sturmpfote zog eine Grimasse, dann trottete er zusammen mit Fleckenpfote zum Bau der Schüler, vor dem sie sich in die warme Sonne legten. Im Hintergrund sahen sie, wie Schwarzstern, Haselschweif und Honigblüte in deren Bau verschwanden, von dem auch der Bau der Königinnen abzweigte. „Du schläfst immer noch so schlecht oder?“ Fleckenpfote seufzte. „Ja. Ich träume fast jede Nacht von dem Geruch, von dem ich Milchpfote und dir schon erzählte hatte. Aber seither war ich nicht mehr an der östlichen Grenze unterwegs.“ Sturmpfote nickte. „Dann solltest du darüber mit Apfelpelz reden und ihn fragen, ob ihr heute Nachmittag dort trainieren könnt.“ „Meinst du?“ „Ich denke schon. Du kannst dich gleich vor Ort davon überzeugen, dass du dich geirrt hast und es keinen Grund zur Sorge gibt.“ Fleckenpfote wirkte unsicher. Sein Blick huschte umher und als er seinen Mentor bei Blaufell, Eisbart, Schneeflügel und Haselschweif entdeckte, zuckte seine Nase nervös. „Ich weiß nicht …“ „Trau dich einfach, was soll schon passieren?“ Der schwarz-weiße Schüler seufzte. „Ich will nicht als Versager dastehen. Blaukralle hat mich schon einmal als Wichtigtuer bezeichnet.“ Milchpfote, die gerade vorbeilief, verdrehte die Augen. „Hört endlich auf, euch gegenseitig gegen Blaukralle aufzuhetzen. Er ist ein geehrter Krieger des FeuerClans, daran wird sich auch nichts ändern, nur weil ihr zwei euch auf den Schwanz getreten fühlt“, zischte sie, schüttelte dann den Kopf und ging mit hoch erhobenem Haupt zu ihrem Mentor. *** Einen weiteren Tag später streifte Sturmpfote gemeinsam mit Fleckenpfote durch das Revier. Beide hatten am Vormittag gemeinsam mit ihren Mentoren gejagt, am Mittag mit dem Clan gefressen und nun hatten sie Freizeit. Schneeflügel hatte ihnen empfohlen weiterhin das Kämpfen zu üben, sie selbst wollte sich jedoch ausruhen, da die Geburt ihrer Jungen in zwei bis drei Wochen bevorstand und ihr alltägliche Dinge wie das Jagen und die Patrouillen allmählich schwerer fielen. „Wieso ist Apfelpelz eigentlich nicht mit uns unterwegs?“ Fleckenpfotes Ohren zuckten. „Keine Ahnung.“ In seine Stimme mischte sich eine ordentliche Portion Frust und er kickte einen kleinen Stein mit der Pfote weg. „In letzter Zeit lässt er mein Training zunehmend schleifen. Ich glaube, er hat gar keine Lust Mentor zu sein. Heute Morgen war er zwar mit uns jagen, aber ich wette mit dir, dass ich ihn den restlichen Tag nicht mehr zu Gesicht bekommen werde.“ Sturmpfote verstand den Groll seines Freundes nur zu gut. Fleckenpfote hatte zwei Monde vor ihm mit seiner Ausbildung zum Schüler begonnen, doch nun hatte er ihn bereits eingeholt und sie befanden sich auf demselben Stand. Beide waren zehn Monde alt und wenn Apfelpelz auch nur etwas engagierter wäre, könnte Fleckenpfote bereits die Kriegerprüfung ablegen, so wie es auch Ahornseele und Rindentänzer im Alter von zehn Monden getan hatten. Er selbst lebte erst seit knapp zwei Monden beim FeuerClan – wie groß musste Fleckenpfotes Frust sein, wenn er nicht vor einem geborenen Hauskätzchen Krieger werden konnte? „Kopf hoch“, versuchte Sturmpfote seinen Freund aufzumuntern. „Ich bin mir sicher, dass es nur eine Phase ist. Wenn Apfelpelz wirklich so offensichtlich keine Lust darauf hat, werden ihm Haselschweif, Schneeflügel und Schwarzstern schon den Kopf waschen.“ „Ich hoffe es“, murrte der andere. „Apfelpelz könnte es gebrauchen, dass man ihn an seine Pflichten als Mentor erinnert.“ Schweigend liefen sie nebeneinander her, immer in östliche Richtung, weil sich Fleckenpfote vergewissern wollte, dass er sich an der östlichen Grenze des Reviers geirrt hatte. Als sie dort ankamen, war alles wie immer. Sonnenstrahlen drangen durch die Baumkronen bis auf den Waldboden, Farne und Gräser wiegten sich im Wind und der Wald dünnte sich ein Stückchen weiter langsam aus. Sturmpfote kannte die Gegend, immerhin hatte ihn Blaukralle hier in Falle geführt. Die Sträucher wuchsen immer dichter, dafür nahm der Abstand der großen, kräftigen Bäume ab, obwohl auch jenseits des FeuerClan-Revier alles von einem dichten Grün bedeckt war. Irgendwo dort vor ihnen lag auch der gefährliche Boden, auf dem er eingebrochen war. „Und?“ Fleckenpfote reckte seinen Kopf in die Luft und begann angestrengt zu schnuppern. Hin und wieder zuckte er von einer Seite zur anderen, doch Unsicherheit lag in seinem Blick. „Ich bin mir nicht sicher …“ Sturmpfote setzte sich hin und begann sich zu putzen. „Was ist jetzt anders?“ „Die Windrichtung. Damals kam der Wind direkt aus nordöstlicher Richtung, dieses Mal von Westen.“ „Oder du hast dich geirrt.“ Fleckenpfote verspannte sich. „Ich weiß, was ich gerochen habe! Ein Geruch, den ich nicht zuordnen konnte, der mir aber instinktiv Angst eingejagt hat! Da draußen ist etwas, ich weiß es!“ „Ist ja gut.“ Sturmpfote unterbrach seine Fellpflege, schloss wieder zu seinem Freund auf und witterte ebenfalls. Moos, Erde, irgendwo in der Nähe eine Maus, die üblichen Gerüche des Waldes. „Ich rieche nichts Besonderes.“ „Dann warten wir.“ Fleckenpfote setzte sich hin. Genervt folgte Sturmpfote seinem Beispiel. „Worauf?“ „Dass der Wind sich dreht. Ich weiß, dass ich mich nicht geirrt habe.“ Dann wurde sein Blick wieder etwas milder. „Bitte bleib bei mir, Sturmpfote. Ich will hier nicht alleine sitzen bleiben.“ Sturmpfote gähnte. „Da wir ohnehin nur zu zweit unterwegs sein dürfen und du felsenfest davon überzeugt bist, dass du warten möchtest, bleibt mir doch gar keine Wahl.“ Na das konnte ein langer Nachmittag werden. *** Die Stunden vergingen. Irgendwann war Sturmpfote eingedöst und nur wieder wach geworden, weil Fleckenpfote ihn anstieß. „Hm?“ „Der Wind hat sich gedreht, er kommt jetzt wieder mehr aus nordöstlicher Richtung.“ Sturmpfote setzte sich auf, witterte, stellte jedoch keine große Veränderung fest. Während vorher der Geruch des FeuerClans dominiert hatte, weil der Wind direkt über das Gebiet des Clans geweht war, roch es nun einfach nur nach Wildnis. Und doch … „Da!“ Alarmiert sprang Fleckenpfote auf und seine Augen weiteten sich gleichzeitig vor Schreck und Erregung. „Riechst du das?“ Angestrengt hielt Sturmpfote seine Schnauze in den Wind. Seine Nase war nicht so empfindlich wie die von Fleckenpfote, aber er glaubte, dass er eine hauchzarte Duftnote wahrnahm. Sie war herb, würzig und schwer, außerdem so unbekannt, dass er sie nicht zuordnen konnte. „Ich glaube, ich rieche es.“ Zufrieden nickte Fleckenpfote. Sein ganzer Körper stand unter Anspannung. „Also hatte ich Recht. Irgendwo dort draußen ist etwas. Heute riecht man es noch deutlicher, es muss näher gekommen sein.“ Unsicher blickte er Sturmpfote an. „Sind das Zweibeiner?“ „Nein, auf gar keinen Fall. Die hätte ich sofort erkannt. Ich weiß auch nicht, was das ist. Da, jetzt ist es verschwunden.“ „Ich rieche es noch, aber nur noch ganz schwach. Was sollen wir jetzt tun? Blaukralle wird uns niemals glauben.“ Entschlossen blickte Sturmpfote seinen Freund an. „Es gibt noch andere Krieger im Clan. Ich werde Schneeflügel davon erzählen und wenn sie uns auch nicht glaubt, dann wird Schwarzstern mit Sicherheit wissen, ob wir uns Sorgen machen müssen oder nicht.“ „Schwarzstern?“ Fleckenpfotes Augen weiteten sich. „Ich weiß nicht … Was, wenn wir beide Wirbel um nichts machen?“ „Dann wissen wir wenigstens, woran wir sind. Also los, komm. Wir haben keine Zeit zu verlieren, es dämmert bald.“ Die Wahrheit war aber, dass auch Sturmpfote instinktiv eine innere Angespanntheit gespürt hatte. Dieser Geruch stammte weder von Zweibeinern, noch von Flohnacken. Nachdem er es selbst gerochen hatte, glaubte er Fleckenpfote, dass dort draußen irgendetwas war. Womöglich sogar etwas Gefährliches. *** „Und was sagst du?“ Hoffnungsvoll blickten die beiden Schüler zu Schneeflügel. Sturmpfotes Mentorin hatte sich ruhig ihre Geschichte angehört, dann eine Weile geschwiegen, doch nun stand sie auf und bedeutete ihnen mit der Schwanzspitze, dass sie ihr folgen sollten. „Wir werden Schwarzstern und Haselschweif davon berichten.“ Erleichterung machte sich zwischen ihnen breit. Wenn Schneeflügel ihnen glaubte, würden es auch andere tun. Sie folgten der Kriegerin zum Bau des Anführers, baten bei Haselschweif um eine Audienz und trugen dann, nachdem Schwarzstern sich mit ihnen in eine ruhige Ecke des Lagers gesetzt hatte, ihr Anliegen vor. Auch der Anführer des FeuerClans hörte ihnen schweigend zu, wechselte dann am Ende des Berichts einen flüchtigen Blick mit Haselschweif, der sehr nachdenklich aussah. „Ich weiß nicht, was ihr gerochen habt, aber wenn ihr sagt, dass ihr den Geruch nicht kanntet, sollten wir das abklären.“ Der Anführer ließ seinen Blick über die hohen Felsmauern bis hinauf in die Abenddämmerung wandern. „Heute jedoch nicht mehr. Ich werde einer der Patrouillen morgen früh sagen, dass sie die östliche Grenze kontrollieren sollen.“ „Aber dann kann der Geruch wieder verflogen sein“, beharrte Fleckenpfote. „Bitte, Schwarzstern.“ Der Anführer schaute seinen Zweiten Anführer an. „Was meinst du, Haselschweif?“ Der rotbraune Kater seufzte. „Ich denke, sie werden erst Ruhe geben, wenn wir dem nachgegangen sind. Noch ist es nicht dunkel. Wenn wir uns beeilen, könnten wir in einer Stunde zurück sein. Auf der anderen Seite haben Blaukralle und Apfelpelz beim letzten Mal nicht von einem derartigen Geruch berichtet, es kann sich also höchstwahrscheinlich um keinen Ernstfall handeln.“ „Das sehe ich auch so.“ Der Anführer schaute wieder Schneeflügel und die beiden Schüler an. „Morgen früh wird sich eine Patrouille darum kümmern. Bis dahin möchte ich nichts mehr von dem Thema hören.“ „Sehr wohl, Schwarzstern.“ Schneeflügel senkte gehorsam ihren Kopf. Sie stupste Fleckenpfote und Sturmpfote an, drehte sich um und ging. Ihnen blieb nichts anderes übrig als Schneeflügel zu folgen. *** Fleckenpfote hätte nicht enttäuschter sein können. Er lag eingerollt im Schülerbau, blies Trübsal und wollte weder mit Milchpfote noch mit Sturmpfote reden. In der Morgendämmerung hatte sich eine Patrouille, bestehend aus Apfelpelz, Fleckenpfote, Haselschweif und Rindentänzer, auf den Weg zur östlichen Grenze gemacht, doch so wie es Fleckenpfote am Abend zuvor befürchtet hatte, war der Geruch vollkommen verflogen. Die anderen glaubten ihnen zwar, dass sie irgendetwas gerochen hatten, aber für sie war das Thema nun erledigt und Schwarzstern tat es lediglich mit einem Nicken ab. „Lass ihn“, murmelte Sturmpfote. Auch ihm hatte es auf den Magen geschlagen, aber im Gegensatz zu Fleckenpfote, der sich unverstanden fühlte, hatte er sich wenigstens zu einer kleinen Maus als Frühstück aufraffen können. Milchpfote, die neben ihm saß, beäugte kritisch den Eingang zum Schülerbau und kniff ihre leuchtend orangefarbenen Augen zusammen. „Er soll sich mal zusammenreißen. Das ist kein vorbildliches Verhalten. Haselschweif sagt, dass ein Krieger immer Haltung bewahren muss.“ „Haselschweif war aber auch bestimmt noch nicht in der Situation, dass man ihm nicht glauben wollte und der einzige Beweis nicht mehr auffindbar ist“, entgegnete Sturmpfote spitz, wofür er sich einen bösen Blick von Milchpfote einfing, die daraufhin ihr Frühstück nahm und zu ihrem Vater Eisbart marschierte. „Jetzt hast du sie verärgert“, rief Ahornseele dazwischen. Die zierliche Kriegerin war wie immer stets vergnügt, tänzelte quer durch das Lager und mischte sich mal hier, mal dort in die Gespräche mit ein. Im Gegensatz zu ihr teilte ihr schweigsamer Bruder Rindentänzer mit niemandem das Frühstück und brütete alleine abseits der anderen vor sich hin. Schwarzstern war gerade bei Honigblüte und erkundigte sich nach dem Zustand von Zimtfeder und Kieselpelz, als Apfelpelz in das Lager gestürmt kam. Er atmete schwer, sein rotes Fell war leicht gesträubt und er rannte bis zu Schwarzstern durch. „Schwarzstern!“ Sogleich drehte sich der Anführer alarmiert zu Apfelpelz um. „Was ist passiert? Wo sind Blaufell und Blaukralle? Ihr wart doch gemeinsam auf Patrouille?“ „Es gibt Ärger an der nördlichen Grenze zum Gebiet des WasserClans! Dornstachel und Donnertaucher haben uns an der Grenze abgefangen, eines Attentats beschuldigt und angegriffen! Blaufell und Blaukralle halten sie in Schach, aber ich bin mir sicher, dass Dornstachel bald Verstärkung bekommen wird!“ „Was?!“ Schwarzstern streckte seinen gesamten Körper durch, sodass er in voller Größe vor dem etwas kleineren Apfelpelz stand. Im Hintergrund ertönte erbostes Fauchen aus allen Richtungen. „Wie kann der WasserClan es wagen!“ Mit wenigen großen Schritten stand Schwarzstern in der Mitte des Lagers. „Haselschweif, Eisbart, Milchpfote, Sturmpfote, mitkommen!“ Er wartete nicht, dass die anderen sich zu ihm gesellten, sondern stürmte bereits mit geschmeidigen, zügigen Schritten aus dem Lager hinaus in den Wald. Nach einigen hundert Metern hatten sie alle zu Schwarzstern aufgeschlossen und rannten in Formation mit ihm hinter Apfelpelz her, der sie zu der Stelle brachte, an der der Kampf stattfand. Links von ihnen hörte man den Bach rauschen, doch sehen konnte man ihn von hier aus nicht. Dafür roch Sturmpfote ganz genau, wo der vertraute, warme Geruch des FeuerClans in den kälteren, feuchten, steinigen Geruch des WasserClans überging. Zuerst hörte er das Fauchen und Kreischen von zwei ihm unbekannten Katern – Dornstachel und Donnertaucher, wie er annahm – und direkt danach Blaukralles Kampfschrei. Blaufell, halb liegend, war schon sichtlich außer Puste und zog am Rand des Geschehens und ein hinkendes Bein nach. „Endlich!“, stieß der pummelige Krieger aus und legte die Ohren an, als er Eisbarts vernichtenden Blick zu spüren bekam. Schwarzstern stürzte sich sofort in den Kampf, Haselschweif direkt an seiner Seite. Er packte Dornstachel im Genick, schleuderte ihn von Blaukralle herunter, doch Dornstachel war schnell, kam auf allen vier Pfoten auf, federte sich ab und sprang Haselschweif an die Kehle. Eisbart rammte Donnertaucher, wurde von dem weißgrauen Kater jedoch zu Boden gerissen. Blaukralle sprang ihm sofort zur Seite, doch er war geschwächt, weil er es alleine mit zwei starken Kämpfern hatte aufnehmen müssen. Milchpfote sträubte ihr Fell, aber ihr stand die Panik ins Gesicht geschrieben. Ob das ihr erster richtiger Kampf war? Vermutlich. Sturmpfote erging es nicht anders, also nickte er Milchpfote zu und zu zweit zogen sie Blaufell aus der Gefahrenzone in Sicherheit. Schließlich siegte die Übermacht der FeuerClan-Krieger. Dornstachel und Donnertaucher zogen sich auf ihre Seite des Reviers zurück, gerade als Silberstern durch das Gebüsch geschossen kam und neben ihren Kriegern zum Stehen kann. Sie erblickte zuerst Schwarzstern, dann Sturmpfote und ihr schneeweißes Fell sträubte sich leicht. „Silberstern, was hat das zu bedeuten!“ Schwarzstern stellte sich vor seine Krieger und Haselschweif kehrte an seine Seite zurück. „Das frage ich dich, Schwarzstern!“ Blanker Hass flammte in ihren dunkelblauen Augen auf. „Wie mir soeben berichtet wurde, ist Lachssänger, eine loyale Kriegerin des WasserClans, unweit der Grenze zu deinem Clan ums Leben gekommen!“ Donnertaucher atmete schwer. „Sie war meine Gefährtin und die Mutter unserer beiden Kinder. Lachssänger war alleine an der FeuerClan-Grenze auf Patrouille und weil sie bis Sonnenhoch nicht zurückgekehrt war, haben wir sie gesucht und schließlich auch gefunden – blutüberströmt, mit tiefen Wunden und an ihr haftete der Geruch des FeuerClans!“ „Das ist unmöglich!“, verteidigte Blaukralle seinen Clan sofort. „Wir waren alleine in diesem Gebiet auf Patrouille und haben nichts damit zu tun!“ „Lügner!“, zischte Dornstachel sofort. „Verlogenes FeuerClan-Pack! Erst nehmt ihr HalbClan-Katzen und Hauskätzchen in eure Reihen auf, dann verdirbt auch der Rest eures Charakters.“ „Pass auf, wem du hier drohst, Zweiter Anführer“, grollte Schwarzstern mit tiefer Stimme, ehe er sich an Silberstern wandte. „Ich spreche dir mein aufrichtiges Mitleid für den Tod von Lachssänger aus, aber mein Clan hat damit nichts zu tun.“ Silberstern funkelte ihn wütend an. „Und woher kommen dann ihre Verletzungen und der Geruch deines Clans, der zusammen mit dem getrockneten Blut an ihrem Körper klebt?“ Schwarzstern atmete tief durch. „Ich weiß es nicht. Aber ich weiß, dass niemand aus dem FeuerClan so eine schreckliche Tat begehen würde. Wer auch immer Lachssänger angegriffen hat, ist vielleicht ein Stück durch unser Revier gelaufen, daher der Geruch. Aber von uns war es niemand.“ „Und das sollen wir dir glauben?“, schrie Donnertaucher. Der Schmerz stand ihm ins Gesicht geschrieben. „Ich habe meine Gefährtin verloren! Silberstern, ich verlange Rache für ihren Tod!“ Milchpfote und Sturmpfote sahen sich an. Beide dachten in diesem Augenblick dasselbe, also nahm Sturmpfote seinen ganzen Mut zusammen und wagte zu sprechen. „Silberstern, wenn ich dir eine Frage stellen darf: Haben du oder deine Krieger einen ungewöhnlichen Geruch an Lachssänger festgestellt? Etwas, was womöglich vom Geruch des FeuerClan-Territoriums überdeckt sein könnte?“ „Wage es nicht, dein Wort an die ehrwürdige Silberstern zu richten, Hauskätzchen!“, zischte Dornstachel sofort. Silberstern fixierte ihn mit ihren blauen Augen, starrte ihn durchdringend an, dann blickte sie zu Schwarzstern. „Möglicherweise hat es tatsächlich einen Geruch gegeben, den keiner von uns zuordnen konnte. Viel mehr interessiert mich, wieso ausgerechnet du davon weißt, Hauskätzchen. Vielleicht hast du ja etwas damit zu tun?“ Nun lagen alle Blicke auf Sturmpfote und sein Mut schrumpfte schlagartig auf die Größe einer Maus. Schwarzsterns Blick war unergründlich. „Zwei meiner Clan-Mitglieder haben kürzlich von einem ungewöhnlichen Geruch berichtet, den sie nahe der östlichen Grenze wahrgenommen haben. Womöglich habe ich diese Gefahr falsch eingeschätzt.“ „Eine Gefahr von außen, sagst du?“ Silberstern erwiderte den Blick des anderen Anführers. „Wer auch immer für den Tod von Lachssänger verantwortlich ist, wird dafür bluten müssen. Sei gewarnt, Schwarzstern, ich werde dieses Thema bei der nächsten Versammlung ansprechen und wenn einer von euch auch nur eine Pfote in das Gebiet des WasserClans setzt, werde ich meine Krieger anweisen keine Gnade walten zu lassen. Ich werde herausfinden, wer Lachssänger getötet hat und wenn sich herausstellt, dass es doch jemand aus dem FeuerClan war“ – ihr Blick streifte Sturmpfote – „, dann werde ich dir und deinem ganzen morallosen Clan den Krieg erklären.“ Noch einen Moment lang starrten sich die beiden Anführer wortlos in die Augen, dann drehte sich Silberstern um. Dornstachel und Donnertaucher folgten ihr, warfen aber immer wieder hasserfüllte Blicke über die Schultern zurück. Schwarzstern drehte sich ebenfalls um und stapfte zurück in den Laubwald. Milchpfote und Sturmpfote stützten Blaufell, obwohl sich Sturmpfote sicher war, dass Blaufell nicht halb so schlimm verletzt war, wie er tat. Blaukralle humpelte alleine, obwohl er eine klaffende Wunde am Ohr hatte. Alle schwiegen und spürten die bedrückte Stimmung, bis Schwarzstern erschöpft das Wort erhob. „Sturmpfote, ich will, dass du dir Fleckenpfote nimmst. Gemeinsam mit Apfelpelz, Schneeflügel und Haselschweif werdet ihr unverzüglich die Grenze zum WasserClan, die nördliche und die östliche Grenze kontrollieren. Gebt mir Bescheid, falls ihr diesen mysteriösen Geruch erneut finden solltet. Eisbart, ich möchte, dass die Patrouillen fortan zweimal täglich die Grenze zum WasserClan kontrollieren, dafür bist du verantwortlich. Und Haselschweif, jeder soll sich umgehend bei mir persönlich melden, wenn ihm irgendetwas Ungewöhnliches auffällt.“ Alle nickten, selbst Blaukralle schien nicht mehr an dem Geruch zu zweifeln. Ein Geruch, von dem Fleckenpfote ihnen bereits vor einer Woche berichtet hatte. Eine Woche, die Lachssänger vielleicht das Leben gerettet hätte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)