Urlaubsreif^3 von flower_in_sunlight (Die Zwei machen mich fertig!) ================================================================================ Kapitel 19: Mittwoch 3.8. – Version 2 ------------------------------------- Es gab nette Methoden um geweckt zu werden. Es gab sanfte Methoden um geweckt zu werden. Und es gab Joseph Pegasus. Hatte er je eine der eben genannten Methoden gekannt, so hatte er sie an diesem Morgen just alle vergessen. „Seto?“ Grummeln „Seto, Aufstehen.“ Noch mehr Gegrummel und der Angesprochene drehte sich auf die andere Seite, weg von ihm. „Seto, wenn du nicht langsam aufstehst, dann…“ Entschlossen zog er an der Bettdecke. Seto drehte sich mit der verschwindenden Decke leicht nach links, jedoch nur, um sie sich wieder zu schnappen und seine vorherige Position wieder einzunehmen. „Seto, wenn du nicht gleich aufstehst, trete ich den Sexstreik an!“ Keine Reaktion. War das jetzt gut? Denn eigentlich wollte er sich nicht den ganzen Spaß verwehren, den er mit seinem ehemaligen Mitschüler noch würde haben können. „Seto, du stehst jetzt entweder sofort auf oder ich muss zu äußerst drastischen Mitteln greifen!“ Damit war seine vorherige Drohung nichtig, oder? Aber dann mussten jetzt auch endlich Taten folgen… Unsanft landete Seto auf dem Boden und wachte tatsächlich auf. Verwirrt blinzelnd sah er sich um. Wo… Er hatte doch gerade noch mit einem Hund Tauziehen gespielt und dann… „Los! Zieh dich an! Wir sind spät dran!“ Musste wohl ein Golden Retriever gewesen sein. „Du hast sie ja wohl nicht mehr alle! Es ist noch dunkel draußen!“, protestierte Seto. Sein Schlaf war schließlich wichtig! Augenblicklich wurde er vom Deckenlicht geblendet. Das machte es nicht besser. „Schmollst du jetzt etwa?“ Stille. „Ach komm schon!“, kniete sich Joe vor ihn und drehte seinen Kopf bestimmt zu sich. „Es tut mir leid, dass ich dich so grob wecken musste. Doch leider haben wir heute Morgen etwas zu erledigen. Und das muss geschehen sein, bevor die Zwillinge aufgestanden sind.“ Unter dem darauffolgenden bösen Blick zuckte er noch nicht einmal zusammen. „Ein Kuss und nachher Hans' Spezialfrühstück mit dreifachem Espresso?“ Die Erwähnung von Kaffee zeigte eine erstaunliche Wirkung: „Okay. Lass mich nur ganz kurz noch ins Bad.“ „Natürlich!“ Seto erhielt den versprochenen Kuss, erhob sich und tapste etwas unsicher in Richtung gefliestem Rückzugsort. Was immer er darin getan hatte, es schien zu helfen. Als er wieder ins Wohnzimmer trat, befand er sich fast auf dem Standard eines regulären Arbeitstages. Schnell schlüpfte er in die Sachen vom Vortag, um das Bild zu vervollständigen. „Können wir?“ „Ich warte nur auf dich!“ Auf dem Weg zum Hauptgebäude erklärte Joe ihm kurz den Plan. Am Vortag war endlich das eigentliche Geburtstagsgeschenk für die Zwillinge angekommen. Da diese aber dank Martines Freundin viel zu aufgedreht gewesen waren, hatte Matt, der das Paket entgegengenommen hatte, entschieden lieber alles erst am nächsten Tag in aller Früh aufzubauen. Seto hielt die ganze Aktion dennoch für sehr riskant. Da aber der riskante Teil – die Zwillinge eine Woche lang hinhalten – vorbei und scheinbar erfolgreich überstanden war, ließ er sich von Joe beruhigen. In der heller werdenden Morgendämmerung konnte er schließlich Matt und Cian erkennen, die eine große Plane zwischen Hauptgebäude und Pool auslegten. „Ihr kommt genau richtig“, begrüßte der Kanadier sie. „Wir versuchen bereits seit fünf Minuten diese Bodenschutzplane richtig zu platzieren, doch jedes Mal verrutscht sie!“ Joe ging gefährlich nahe am Poolrand hinüber zu Cian und hob die freie Ecke an. Stumm formte er mit den Lippen ein „Wohin?“. Cian deutete es ihm an und nachdem Seto sich ebenfalls nützlich machte, war es wirklich ein Kinderspiel. Anschließend folgte der wirklich schwierige Part. Vorsichtig hob Matt das bunte, große Etwas aus einer großen Kiste an der Hausecke. „Bevor wir die Burg aufpumpen, muss sich richtig liegen. Sie wurde in der Fabrik bereits geprüft. Das Befüllen mit Luft sollte daher kein Problem werden. Aber vorher müssen wir sie korrekt hinlegen. Ursprünglich hatten wir die Öffnung zum Strand zeigen lassen wollen. Dann hat aber Martine ihre Bedenken geäußert, dass die Zwillinge versuchen würden von der Burg aus direkt in den Pool zu springen. Ganz dran können wir sie nicht stellen, da man sonst nicht hinein käme. Wir haben uns deshalb darauf geeinigt, die Öffnung in diese Richtung zeigen zu lassen“, er machte eine unbestimmte Geste hinter sich, „sodass man direkt, wenn man vom Haus kommt, drauf kann.“ Der Rest nickte zustimmend und half dann beim Entfalten des schweren Stoffes. Sie hatten Glück und machten bereits bei ihrem ersten Versuch alles richtig. Cian schloss nur noch den Kompressor an und binnen kürzester Zeit stand die Hüpfburg vor ihnen. „Wollt ihr sie euch mal ansehen, bevor die Zwillinge sie in Beschlag nehmen?“, wollte Joe mit einem gewissen Stolz in der Stimme wissen. Cian wackelte begeistert mit dem Kopf, Matt zuckte schlicht mit den Schultern und Seto versuchte sich keinerlei Regung anmerken zu lassen. Die braune Außenwand der Burg mit ihren aufgemalten Steinen erinnerte ihn an etwas, er konnte nur nicht genau benennen an was. „Dann alle Mann Schuhe aus und mir folgen!“, flüsterte der Blondschopf neben ihm, deutlich leiser als der Kompressor jemals im Betrieb hätte sein können. Brav gehorchten sie alle und Seto begriff schnell, was an dieser Hüpfburg so anders war. Das Muster der Steine setzte sich in ihrem Inneren fort, war aber stellenweise verdeckt durch bunte Zeichnungen. Genauer gesagt waren sie so auf den Stoff gedruckt worden, dass es aussah als schwebten sie etwas über ihm. Wo er selbst mit aufwändigen Projektionstechniken gearbeitet hätte, waren hier optische Täuschungen verwendet worden. „Mund zu, es zieht“, stieß ihm Cian den Ellenbogen sanft in die Rippen, während Matt Joe zu den Details ausquetschte und welche Monster nun denn dort abgebildet seien. Denn Monster waren es. Duel Monster! Seto drehte sich um seine eigene Achse, um einen Gesamteindruck zu erhalten. Als sein Blick am Ausgang hängen blieb, an dem sich ein schwarzer und ein weißer Drache gegenüber saßen konnte er nicht mehr an sich halten. „Das Königreich der Duellanten!“, rief er verblüfft aus. Jetzt ergab auch die Steinoptik einen Sinn. „Aber...“ Der restliche Satz ging in fröhlichem Kinderkreischen unter. Ethan und Clara, barfuß und noch in ihren Schlafanzügen, kamen auf sie zugestürmt und rissen vor lauter Begeisterung nicht nur Joe, sondern auch ihn um. Genauso schnell waren sie wieder auf den Beinen und sprangen aufgekratzt in der Burg umher. Joe kam auch sehr schnell auf die Füße und half dann Seto, der diesen Angriff nicht hatte kommen sehen. „Am besten du bleibst selbst immer etwas in Bewegung. Dann verliert man nicht so schnell das Gleichgewicht.“ „Das weiß ich selbst!“ „Na dann kann ja nichts mehr schief gehen!“ Jetzt musste er den Rat annehmen und ab und zu hüpfen. Gespannt beobachtete er, wie Matt währenddessen genug Höhe erreichte um einen Salto zu machen. „Ich dachte, ihr wolltet das heimlich machen?“, fragte eine weibliche Stimme, bevor sie im strengeren Ton sagte: „Clara, du musst nicht allen Blödsinn gleich nachmachen.“ Sie war haarscharf gerade noch auf dem Rücken gelandet, nachdem sie versucht hatte Matts Kunststück nachzumachen. „Und wenn ich ihr zeige wie es richtig geht, kleines Klecksmonster?“, konterte Matt provokativ. „Matthew“, grollte Martine zurück und verschränkte die Arme vor ihrer Brust. „Du wirst nicht vor meinen Kindern meine Autorität untergraben!“ „Dann zeig du es ihnen, Klecksmonster.“ Ihn wütend anfunkelnd kontrollierte sie den Halt des Overallgürtels und betrat die Hüpfburg. Schnell sprang sie auf die entsprechende Höhe und machte erst einen Salto vorwärts und anschließend rückwärts. „Angeber!“, kommentiert Matt das Geschehen, während Martine sich ihren Kindern zuwandte. „Hält die Burg so viel Belastung eigentlich aus? Wir sind inzwischen fünf Erwachsene und zwei Kinder hier drin“, äußerte Seto seine Bedenken Joe gegenüber. Der winkte nur ab und erklärte: „Die Burg kann angeblich bis zu 20 Erwachsene aushalten. Aber wenn es dir zu heikel ist, können wir gerne raus und frühstücken. So fit wie Martine aussieht müsste es bei Hans schon Kaffee geben. Und vielleicht ist er auch schon mit dem Frühstück so weit.“ Das klang doch mal vernünftig. Besonders da er allmählich Platzangst bekam, bei all den umherfliegenden Gliedmaßen. Der Kaffee war tatsächlich schon fertig. Genauso wie das Müsli mit frischem Obst und Joghurt. Yuki, die schon am Tisch saß, schmollte, weil Hans in der Küche noch die Eier und Bratwürstchen zubereitete und Shin seinen freien Tag hatte. Doch als sie sie sah, hellte sich ihre Miene auf: „Prima! Ich muss nicht allein essen!“ „Hat Martine dich im Stich gelassen?“, wollte Joe wissen und setzte sich auf einen Stuhl, während Seto neben ihr auf der Bank Platz nahm. „So sieht es aus. Hat nur ihren Kaffee hinunter gestürzt und war dann weg. Keine Ahnung, ob sie nochmal kommt oder gleich rüber geht zu Haus 6 ist, um weiter zu renovieren. Auf jeden Fall hatte sie schon den Maleroverall an. Meinte, heute wäre die Kontrastfarbe dran. Du weißt nicht, was sie genau plant, oder, Chef?“ Joe verneinte und schob sich den ersten Löffel Müsli in den Mund. „Ich habe aber heute auch wieder einiges zu tun.“ „Dann frag ich nachher Mokuba, ob er mit mir am Strand lang spazieren möchte“, beteiligte sich Seto an dem Gespräch. Er hatte nicht sonderlich Lust einen weiteren Tag in der Dunkelkammer zu verbringen und schließlich hatte er seinem Bruder den Urlaub als mehr Zeit für ihn verkauft. Da sollte er sich vielleicht ab und zu um ihn kümmern. So viel zu seinen Ideen. „Das könnte schwierig werden“, entgegnete Hans, eine große Pfanne in der einen, einen Pfannenwender in der anderen Hand. „Und wieso?“, wollte Seto wissen, während er ihm abwechselnd die Teller hinhielt. „Weil er mit Shin und Pegasus heute in aller Frühe zum Fischmarkt gefahren ist. Shin hat ihm angeboten einen kleinen Kochkurs zu machen.“ „Und weswegen ist mein Vater mit dabei?“ Auch für Joe waren diese Pläne neu. „Weil Shin blöderweise auch von frischem Sushi sprach. Schaut mich nicht so an! Ich bin schließlich nicht die Auskunft!“ „Aber du scheinst über alles hier Bescheid zu wissen! Das ist irgendwie schon etwas gruselig“, murmelte Yuki in ihr Rührei. „Haben wir auch Toast?“ „Küche.“ „Danke!“ Sie erhob sich und kam mit einem fein säuberlich gestapelten halben Laib Toast zurück. „Dann bleibt eigentlich nur noch eine Frage offen.“ Gierig griffen die Männer nach dem Toast und sahen sie mit erwartungsvollen Augen an. „Und welche?“ „Naja, ganz einfach. Wer hütet heute die Kinder?“ Seto blickte sie noch etwas entgeistert an, als er schon längst die Blicke der anderen auf sich spürte. Widerstand zwecklos. Zumindest vormittags war die Aufgabe des Kinderhütens einfacher, als er angenommen hatte. Die Begeisterung über die Hüpfburg hielt an und er konnte es sich mit einem Buch auf der Liege gemütlich machen. Er hatte sie sich so hingestellt, dass er jederzeit in das Burginnere blicken konnte, aber die Zwillinge waren brav. Natürlich tobten sie und probierten weiterhin einen Salto zu machen, doch insgesamt machten sie keine Probleme. Sie stritten nicht, traten nicht oder was sonst Kinder in dem Alter untereinander für Blödsinn anstellen konnten. Was das genau war, hatte er erfolgreich verdrängt. Allerdings war er sich nicht ganz sicher, ob ihm so eine Kindheit nicht vielleicht doch lieber gewesen wäre. Sie schienen wirklich Spaß zu haben. Punkt zwölf kam Martine an den Pool und rief sie zum Essen hinein. Hans hatte Schupfnudeln gemacht, dazu Apfelmus und Sauerkraut. Man aß aber entweder das einen oder das andere dazu, wie der Koch ihm gerade noch rechtzeitig erklärte, bevor er wohl ein sehr grauenvolles Geschmackserlebnis gehabt hätte. Dennoch betrachtete Seto die angeblich aus Kartoffeln bestehenden kurzen Nudeln eher kritisch. Letzten Endes probierte er doch – weil sonst Joe ihm alles vom Teller geklaut hätte. Gar nicht mal schlecht. Allerdings hatte er so lange gezögert zu probieren, dass als er einen Nachschlag wollte, bereits alles weg war. Hans vertröstete ihn dafür damit, dass er abends eine zusätzliche Portion Nachtisch bekommen würde. Die nächsten zwei Stunden nach dem Essen verbrachte er mit Ethan und Clara auf Martines Wunsch hin im schattigen Bereich am Pool. Die Burg hatte sich mittlerweile aufgeheizt und ihr Inneres glich mehr einer Sauna. Sie schalteten den Kompressor aus und blickten ab und zu traurig hinüber zu dem großen Haufen, der nicht mehr ganz so majestätisch aussah. Bewaffnet mit ihren Malsachen versuchten sie die Zeit totzuschlagen, bis sie in den Pool konnten. Martine war doch strenger als Mutter, als Seto bisher angenommen hatte, und konnte selbst mit grüner Farbe an den Armen sehr überzeugend sein. Irgendwann warf Seto dann doch einen Blick auf die kleinen Malblöcke und vor Schreck wäre ihm beinahe das Buch aus der Hand gefallen. Er hatte zwar keine Ahnung was für Siebenjährige normal war, aber er erinnerte sich dunkel daran, dass selbst im Abschlussjahr viele seiner Mitschüler nicht einmal annähernd so gut zeichnen und malen konnten. Clara war vertieft in eine perspektivisch dargestellte Landschaft mit Bergen und seltsam geformten Bäumen, während Ethan hin und wieder zu ihr schaute und dann fleißig weiter auf dem Papier kritzelte. Er zeichnete sie! Die groben Linien waren bereits leicht angedeutet und ein Großteil ihres Gesichtes war schon fertig. Mit Schattierungen, die Proportionen korrekt, die Zunge wie beim Original leicht im Mundwinkel erkennbar. „Welches Duel Monster magst du am meisten?“ „Wie bitte?“ Genervt davon, dass sie ihre Frage noch einmal stellen musste, wiederholte Clara: „Welches Duel Monster magst du am meisten?“ „Den weißen Drachen mit eiskaltem Blick“, antwortete er wahrheitsgemäß. Wieso fragte sie ihn plötzlich sowas? „Aber das ist schon mein Lieblingsmonster“, protestierte Ethan aufgebracht. „Du brauchst ein anderes!“ „Wieso? Es gibt doch mehr als eine Karte vom weißen Drachen. Daher sollte es auch das Lieblingsmonster von mehr als einer Person sein können.“ Er konnte nur hoffen, dass Logik gegen so einen kleinen Kinderverstand half. Und tatsächlich überlegte Ethan eine Weile, bevor er erneut sprach: „Okay. Aber wenn man drei von ihnen fusioniert... Zählt das dann als einer oder als drei?“ So viel dazu. Auf der Suche nach einer passenden Antwort fiel ihm natürlich nur St. Patrick's Vergleich des Kleeblattes mit der Dreifaltigkeit ein. Nicht sehr hilfreich. Denn er setzte gerne die beschriebene dreiköpfige Form des Drachens ein, doch wenn er jetzt mit dieser Erklärung käme, hätte er das gleiche Problem wie zuvor. „Habt ihr schon einmal etwas von siamesischen Zwillingen gehört?“, versuchte er es. Nicken. Spitze! Vorsichtig sprach er weiter und erklärte, dass, weil diese Form des Monsters aus drei eigenständigen Individuen bestünde, es trotzdem als drei Monster anzusehen sei. Diese Lösung wurde akzeptiert. An Aufatmen war jedoch nicht zu denken. Denn nun löcherten die Zwillinge ihn mit allen möglichen Fragen zu Duel Monsters und des Öfteren musste er erst eine Weile überlegen, bevor er die Antwort wusste. Woher sollte er denn auch wissen wie man auf die geheime Attacke eines Monsters reagieren musste, das noch nicht einmal auf dem offiziellen Markt war! Irgendwann sah er auf die Uhr und stellte erleichtert fest, dass es inzwischen sogar fast vier Uhr war – die Kinder also schon längst ins Wasser gedurft hätten. Zu seinem großen Glück nahmen sie seinen Vorschlag begeistert an, zogen ihre Sachen aus, unter denen sie ihre Badekleidung hatten und stiegen brav an der Leiter ins Wasser. „Maman mag es nicht, wenn wir ins Wasser springen, wenn sie nicht dabei ist.“ Seto fragte sich eher, warum ihnen noch keine Schwimmhäute gewachsen waren. Gegen halb sieben wurde er endlich erlöst. Martine erschien am Pool und rief ihre Kinder aus dem Wasser, den halben Overall mit grüner Farbe bespritzt. Erstaunlicherweise murrten sie zwar etwas, aber gehorchten sofort unter ihrem strengen Blick. Somit war er die anstrengende Aufgabe des Kinderhütens endlich los, denn er hatte sich nicht getraut, entspannt in seinem Buch zu lesen, unsicher, was die beiden vielleicht doch anstellen könnten. Als die drei im Haus verschwunden waren, streckte er sich genüsslich auf der Liege aus und räkelte sich, um die Anspannung aus den Muskeln zu bekommen. „Vielleicht sollte ich doch Kameras hier draußen installieren. Zumindest eine“, flüsterte es neben seinem Ohr und ließ in die Augen öffnen. „Lenkt dich das nicht zu sehr von der Arbeit ab?“, fragte er Joe und versuchte dabei eine möglichst laszive Pose einzunehmen. „Solang du dich nicht so aufführst, wenn andere Leute in der Nähe sind, glaube ich kaum, dass es allzu ablenkend sein wird. Und notfalls kann ich immer noch raus stürmen und dich für ein kleines Nickerchen kidnappen.“ Die Art und Weise auf die er Seto daraufhin küsste, ließ keine Zweifel, was er tatsächlich mit „Nickerchen“ meinte. Doch kaum hatte Seto die Hände in seine Haare vergraben, um dem Ganzen Nachdruck zu verleihen, sprach er weiter: „Nur leider hat mich Hans rausgeschickt, um dich zum Essen nach drinnen zu holen. Sonst bekommst du schon wieder zu wenig zu essen. Und schließlich sind wir hier kein Diät Center.“ „Wäre aber nicht schlecht. Ich merk jetzt schon, wie das gute Essen ansetzt!“, jammerte Seto beim Aufstehen und legte das Handtuch, auf dem er gelegen hatte ordentlich zusammen. „Du siehst das komplett falsch! Nicht weniger essen, sondern mehr bewegen ist die Lösung! Vielleicht sollte ich dich öfter die Initiative ergreifen lassen, um ein paar mehr Kalorien zu verbrennen, damit auch ja kein Gramm Fett an deinem Körper landet.“ Der Nachsatz klang spöttisch. Spott mit einem wundervollen, breiten Grinsen. Sein Grinsen. „Egal. Hauptsache, ich bekomme meine Zusatzportion Nachtisch!“ Joe lachte laut auf: „Siehst du! Diät halten ist hier unmöglich!“ Er griff ihm am Handgelenk und zog ihn hinter sich her zur Haustür. „Hunger!“ Tatsächlich bestand das Essen hauptsächlich aus Nachtisch. Die hauchdünnen Pizzabrote waren zwar lecker gewesen, doch verblassten sie einfach beim Anblick der Obst- und Eisbombe, die Hans wann auch immer gemacht hatte. Und das Beste: Seto bekam tatsächlich am meisten! Am liebsten hätte er in dem Zitronen- und Mangoeis gebadet, das den größten Teil der Bombe ausmachte, hielt sich dann aber doch zurück und aß unter Einhaltung der Tischetikette. Endlich war das Monstrum vernichtet und die Zeit war so weit vorgerückt, dass Ethan und Clara wussten, sie müssten bald ins Bett. Zwischen den anderen Gesprächen hörte man sie leise diskutieren und sich beratschlagen, doch anscheinend kamen sie zu keiner Einigung. Schließlich wies Martine sie daraufhin, wie spät es war, und ihr Sohn griff nach Joes Hand, während Clara sich vor Seto aufbaute und ihn aufforderte aus der Bank zu krabbeln. Überrascht gehorchte er und schob sich an Yuki vorbei, die mit großen Augen zwischen allen Beteiligten hin und her sah. Irgendetwas war anders als sonst. Sie zogen sich brav um, putzten die Zähne und krochen dann unter die Bettdecke. „Erklärt ihr uns jetzt endlich, weswegen wir beide hier sind?“, stellte nun Joe endlich die Frage. Clara antwortete für sie beide: „Wir wollen eine Geschichte und ein Lied! Und Seto liest so schöööööön die Märchen vor. Aber du singst besser...“ „Aber ihr habt ihn doch noch gar nicht singen gehört!“ Ihre großen, braunen Augen sahen ihn an, als wollten sie sagen „genau deswegen bist du ja dabei!“, doch sie selbst blieb stumm und kuschelte sich nur noch tiefer ins Laken. Kurz sahen sich die Männer an und dann war es entschieden. Seto ging zum Regal und suchte den Band mit deutschen Märchen heraus. Währenddessen machte es sich Joe auf dem Bettrand bequem und wartete gespannt mit den Kindern, welches Märchen es werden würde. Schmunzelnd wählte er das „tapfere Schneiderlein“ und gab sich jede Mühe, sein Publikum zu beeindrucken. Als er endlich fertig war, musste er Joe erst anstupsen, damit er aus seiner Traumwelt zurückkehrte. „So, Schneiderlein. Jetzt bist du dran.“ Galant erhob sich der älteste Lauscher und deutete eine tiefe Verbeugung vor seinem kleinen Publikum an. „Was wünschen denn die Herrschaften zu hören?“ Begeistert ob der Darbietung antwortete Ethan rasch: „Music of the Night“, bevor seine Schwester etwas Anderes vorschlagen konnte. Kurz suchte Joe die Musik heraus - das Kinderzimmer war offensichtlich ebenfalls an die Musikanlage angeschlossen - und begann dann sanft zu singen: „Nighttime sharpens...“ Mit dem Klang der ersten Silbe vergaß Seto alles um sich herum und ließ seine Gedanken fließen, bis sie sich irgendwo hinter dem inzwischen dunklen Horizont verloren. Er spürte kaum wie Joe seine Hand nahm und ihn auf leisen Sohlen hinausführte. Geräuschlos schloss er die Tür, hinter der die beiden mittlerweile schlafenden Kinder zu sehen waren. Irgendwann während des Liedes mussten ihnen die Augen zugefallen sein. Auf dem Weg nach unten flüsterten sie miteinander und Joe beantwortete Seto wenigstens eine seiner vielen Fragen. „Wie willst du kleinen Kindern sonst erklären, dass sie sich nicht vor der Dunkelheit fürchten müssen? Und es ist so wichtig seine Träume zu entwickeln und sich seine Fantasie zu bewahren.“ Die einzige Antwort die er darauf hatte, war ihn auf der Treppe zu sich zu ziehen und ihn innig zu küssen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)