Alice in Magicland von Lazoo (Die Geheimnisse von Taleswood) ================================================================================ Kapitel 27: Das Rückgrat ------------------------ Nie zuvor hatte ich einen Ort wie jenen gesehen, an dem ich erwachte. Obwohl nichts um mich war als gähnende Leere, konnte ich alles genau erkennen, als sei es zugleich stockfinster und taghell. Mit dem Bauch lag ich auf einer großen Plattform aus schwarzem Marmor, durchzogen mit feuerroten Adern. In regelmäßigen Abständen floss ein heller Lichtimpuls durch sie, wie bei einem Herzschlag und wenn ich mein Ohr ganz fest auf den lauwarmen Boden presste, dann vernahm ich – tief verborgen im Gestein – ein schwaches Flüstern in einer unverständlichen Sprache, ein Raunen und Tuscheln von dutzenden Quellen, weit weg von meiner Position. Über die Kante hinaus sah ich in einen nie enden wollenden Raum, gespickt mit unzähligen dieser Plattformen – manche ganz nah, andere unerreichbar fern – und ihr abwechselndes Aufflackern erinnerte mich unwillkürlich an das Funkeln der Sterne am Himmelszelt. Die Luft hatte eine erdrückende Schwüle an sich, die meine Atmung flacher werden ließ und nur langsam konnte ich mich aufrichten. Zu meinem Erstaunen war meine Schusswunde vollkommen verschwunden, ohne eine Narbe zu hinterlassen. So, als hätte sie nie existiert. Und nicht nur sie. Jede Wunde – sei sie noch so klein – war ohne jede Spur verschwunden. Dafür schmerzte mein Kopf umso mehr, dröhnte, als würden Holzwürmer sich durch ihn fressen. Dieser Ort besaß eine Aura und zwar eine so gewaltige, dass es einen zugrunde richtete. Wo auch immer ich hier war, ein gewöhnlicher Sterblicher gehörte hier nicht hin. „Alice...“ Die Stimme tauchte hinter mir auf. Ein lieblicher Klang, hell und rein mit diesem leicht heiseren Unterton. Eine zarte Gesangsstimme, passend zu dem zerbrechlichen Porzellankörper, der sie gehörte. Allein sie zu hören – so nah bei mir – erfüllte mich mit Süße und Bitterkeit zu gleichen Teilen, weckte ein paar der schönsten und schlimmsten Erinnerungen, die ich jemals hatte. Aber in erster Linie weckte sie Sehnsucht, so stark, dass es mich zerreißen würde, wenn sie nicht bei mir war. Langsam drehte ich mich um. Obwohl sich kein einziges Lüftchen rührte, flatterte das dünne, weiße Kleid auf und ab, umspielte die zarten Kurven und der lange, dunkelbraune Pferdeschwanz reihte sich in diesen Tanz ein. Aufregung blitzte in den großen, verführerisch-azurblauen Augen auf und das Zittern ihrer blassen, dünnen Lippen unterstützte den Eindruck nur umso mehr. Sie hatte etwas Jugendlich-verspieltes an sich, doch verband es zugleich mit der Anmut und Eleganz einer Erwachsenen. Die Ähnlichkeit war unübersehbar und doch wurde es mir von Anfang an klar: „Du... bist nicht Fleur.“ Ich kannte diese Frau, obgleich wir uns nie persönlich getroffen hatten. „Das ist weder absolut richtig noch grundlegend falsch“, antwortete sie und hockte sich zu mir, berührte mein Gesicht. So nah bei mir verstand ich, was sie meinte. Ich sah Fleurs verliebten Blick in ihren Augen, ihre schüchternen Züge, ihr zögerliches Lächeln. Sie war nicht Fleur, aber auf eine unerklärliche Art und Weise war sie es doch. „Du bist ihr so ähnlich. Nicht nur äußerlich. Ich spüre Miss Claires Güte in deinen Augen. Und doch bist du ganz anders, Alice.“ „Das Gleiche könnte ich auch über dich sagen... Florence.“ Erschrocken zuckte ihre Hand zurück, die Pupillen weiteten sich einen Moment, bevor sie einmal kontrolliert durchatmete. „Verstehe. Du weißt also, wer ich bin?“ „Ja. Aus einer Erinnerung meiner Mutter. Du bist Véronique La Belles verblichene Schwester.“ Florence nickte langsam und schaute traurig zu Boden. „Lafayette. Unser... unser richtiger Name ist Lafayette.“ „Euer richtiger Name?“ „Ich erkläre es dir. Das habe ich dir doch versprochen. Aber zunächst möchte ich, dass du mitkommst.“ Die gleiche entspannte Wärme durchfloss sie, als sie mich bei der Hand nahm und nach oben zog. Es fiel mir schwer, sie nicht für ein und dieselbe Person zu halten. Während sie mich zum Ende des Plateaus führte, verblassten Haut und Haare, nahmen immer mehr die Farben von Schnee und Asche an; die Farben der Frau, die mir den Kopf verdreht hatte, die mit mir durch die Hölle gegangen war, die am Ende den Mut hatte, das zu tun, vor dem ich mich fürchtete. Aber jetzt... jetzt war ich bereit. Und wenn die Rettung Taleswoods meinen Tod bedeuten würde... Mein letzter Wunsch wäre eindeutig. Ich dachte, das Podest, auf dem wir uns befanden, wäre begrenzt, doch wann immer wir uns der Kante näherten, reichte sie weiter von uns weg. Erst merkte ich nicht, warum das so war, dann fielen mir die huschenden Lichter vor uns auf, so schnell, dass sie mit bloßem Auge kaum zu erkennen waren. Von nah und fern kamen die anderen Ebenen, bauten an die unsrige, während sie hinter uns wieder verschwanden und sich an ihren alten Stammplatz setzten. Und da im Nichts kein einziger Punkt existierte, an dem ich mich hätte orientieren können, kam es mir so vor, als würden wir nicht voran kommen – auch wenn wir uns fortbewegten. „Was ist das für ein Ort?“ Wie viel Zeit war vergangen, bis ich diese Frage stellte? Es hätten bereits Jahre vergangen sein können... oder doch nur Minuten. Beides lag nur Sekunden voneinander entfernt. Ich kannte dieses Gefühl, hatte es seit meiner Ankunft in Taleswood schon häufiger gehabt, doch hier war es am deutlichsten. Hier spielte die vierte Dimension keine Rolle mehr. Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft; es herrschte zugleich alles und nichts. „Ich bin mir nicht sicher... Sie sagten mir, dass dieser Ort alles zusammenhält. Das Diesseits, das Jenseits und alles, was dazwischen liegt. Es ist die Quelle aller Magie in unserer Welt und zugleich kehrt auch alle Magie irgendwann hierhin wieder zurück. Sie nennen ihn Rhachis: das Rückgrat.“ „R-Rückgrat? Wessen Rückgrat?“ „Nicht wessen Rückgrat, Alice. Das Rückgrat. Die tragende Säule, wenn man so will. Und wir befinden uns gerade genau in ihr.“ „Wie ich sehe, sind wir damit relativ allein.“ „Weil eigentlich niemand an diesen Ort gelangen darf. Weder im Leben noch im Tod. Auch wir nicht. Das hier... ist eine Ausnahme. Sie trauen uns Sterblichen nicht.“ „Und wer sind sie?“ „...Die Anomalien.“ Florence hatte mich auch während unserer Unterredung weiter mit sich gezogen. Nun aber blieb sie stehen. Die Plattform bildete sich nicht weiter, unsere Zehenspitzen berührten die Kante. Aber davon abgesehen war alles gleich geblieben. Das dachte ich zumindest, doch dann blitzten die Plattformen in der Ferne auf, schossen auf uns zu, bildeten vor uns unzählige Formen und Figuren; Kugeln, Sterne, Prismen tauchten vor uns auf, zogen sich zusammen und formten sich neu. All dies unterwandert von einem unheilvoll flüsterndem Stimmenchor. Sie redeten wie wild durcheinander, unterhielten sich in unzähligen Sprachen und Stimmlagen, einige zaghaft und schüchtern, andere laut und energisch – obwohl keine von ihnen wirklich schrie, geschweige denn den Status des Flüsterns verließ... bis auf eine: „Du hast dein Wort gehalten. Wir haben dich unterschätzt, neue Schwester.“ Mit dem Hall dieser tiefen, verzerrten Stimme, bestehend aus unzähligen einzelnen, verhallten die Diskussionen auf der Stelle und es wurde wieder still um uns. „Das hat nichts mit mir zu tun. Alice ist aus freien Stücken hier, bereit uns zu helfen.“ „Wir spüren ihre Schwächung, aber das Blut in ihren Adern belügt uns nicht. Sie entstammt Vertrauten. Zweier Vertrauter, die uns mittlerweile beide verraten haben. Wie gedenkt sie, den Frevel ihres Blutes wieder gut zu machen?“ Frevel? Ich hatte doch nie etwas Böses getan! Sollte ich tatsächlich meinen Kopf hinhalten, für das, was meine Vorfahren getan hatten? Und warum überhaupt?! Es war eine Falle, ich hätte es wissen müssen! Ich spürte das Knirschen meiner Zähne, die ich mit aller Gewalt und vor Wut aufeinander presste, doch gerade als ich Luft holte, mich gegen dieses... Wesen zu verteidigen, fuhr mir Florence in die Parade: „Mit Verlaub, Alice hat nichts mit den Sünden ihrer Vorfahren zu schaffen! Sie ist hier, um zu helfen, nicht um Buße zu tun!“ „Ihre Motive sind nebensächlich. Blut ist Blut.“ „Das funktioniert nicht bei Sterblichen. Jeder Mensch ist anders. Selbst wenn Magie dafür sorgt, dass wir viel aus den vorherigen Generationen mitnehmen, sind wir immer noch eigenständige Wesen. Und jeder spricht für sich.“ „...Ist dem so? Gut, wir werden das so hinnehmen. Aber wenn sie nicht aus Buße hier ist, welche Motivation steckt dann dahinter? Wonach sehnt sich das Kind des geteilten Bluts?“ Niemand sah mich direkt an, doch die Blicke aller ruhten auf mir, dem konnte ich mich nicht entziehen. Vielleicht war es wirklich nur einer, vielleicht auch hunderte oder gar tausende; die genaue Zahl war unergründlich. Selbst bei Mycraft hatte ich mich nicht so klein gefühlt. Meine Knie wurden weich, meine Kehle glich einer Wüste, mein Augenlicht wurde schwächer, jedes Mal, wenn jene mächtige Stimme vor mir das Wort erhob. Wenn es denn einen Gott gab, war das vor mir wohl das, was seiner Definition am nächsten kam. Ich atmete tief durch die Nase ein und durch den Mund aus, presste meine Zunge gegen den Gaumen. Normalerweise würde mich das beruhigen, aber heute funktionierte das nicht. Eher noch raste mein Herz nur noch schneller, während ich krampfhaft nach den passenden Worten in meinem Kopf suchte. „...M-man hat mir gesagt, dass ich alles rückgängig machen kann. Dass ich all das Chaos beseitigen kann. Auch wenn es mich umbringt.“ „Das ist, was wir vorhaben. Der Grund, warum wir dich nach Rhachis eingeladen haben.“ „Aber warum braucht etwas so Mächtiges wie ihr, etwas so Zerbrechliches wie einen Menschen?! Was habe ich, was ihr nicht habt?!“ „Einen Platz in der ersten Welt.“ Die erste Welt? Damit meinten sie wahrscheinlich das Diesseits. Aber das verstand ich nicht. Die Anomalien waren doch auch in Taleswood vertreten, oder etwa nicht? War der Madcap River denn keine?“ „Unser Wirken in eurer Welt ist begrenzt. Wir müssen wohl etwas weiter ausholen: Wir sind das Kollektiv. Eine Ansammlung unzähliger Entitäten, die den Grundstein des Universums gelegt haben und bis heute über seinen Zusammenhalt wachen.“ „Ihr... seid also Gott?“ „So könnte uns eine Sterbliche wohl nennen, aber... wir sind weder allmächtig noch allwissend. Die Welt wie du sie siehst, wurde nicht von uns geschaffen. Sie hat sich als solche entwickelt. Wir speisten sie fröhlich mit unseren Strömen, um ihr Wachsen voranzutreiben. Doch je länger wir dies taten, desto häufiger entwuchs sie uns.“ „So entstanden Anomalien?“ „Positiv. Es waren ungewollte, unkontrollierte Auswüchse des Kollektivs, doch auch wenn sie von uns kamen, waren wir in Rhachis machtlos dagegen. Wir hatten uns zu sehr abgekapselt und den Kontakt zur ersten Welt verloren. Eine Zeit lang konnten wir nichts tun, als den Wilden dabei zuzusehen, wie sie langsam aber sicher die Welt in Schatten legten. Bis eure Rasse auf den Plan trat. Der Mensch war klug und fähig genug, gegen die Abtrünnigen zu bestehen und so schlossen wir mit einigen Ausgewählten einen Kontrakt. Wir schenkten ihnen einen Teil unserer Macht und gaben ihr die Bewahrung der Stabilität zur Aufgabe.“ Magiebegabung war also ein göttliches Geschenk. Ein Teil eines Vertrages. Doch als Antwort war dies noch immer nicht zufriedenstellend. „Wenn ihr uns diese Macht gegeben habt, um für Stabilität zu sorgen, wieso ist dann aus Taleswood geworden, was daraus geworden ist?“ „Wir sind nicht allwissend. Wir konnten die Verkettung jener Folgen nicht abschätzen, wussten nicht, dass der Mensch – alle Intelligenz zum Trotze – noch immer den Makel der Gier trug und sich hinter seiner Fassade nur wenig von den Tieren abhob. Schnell wurde die Welt von Sterblichen überrannt, die ihre Macht missbrauchten. Sie wurden von denen verführt, die ihr Anomalien nennt. Jener schwarze Schatten, dessen Blut du teilst, erlitt das gleiche Schicksal.“ „Ihr... meint Mycraft?“ „Positiv. Du denkst sicherlich, er wäre unbesiegbar, nicht wahr?“ Unbesiegbar... Ein beängstigendes Wort. Und leider gerade nicht sehr weit von der Wahrheit entfernt. Was wusste ich schon über dieses Monster? Er täuschte, verhexte, mordete fast zwanzig Jahre lang, ohne jegliche Konsequenzen. Seine Aura verschlang alles um ihn herum. Und der Tod selbst schien nicht mehr als eine gelegentliche Lästigkeit zu sein. Wem war es zu verdenken, wenn man ihn für unbesiegbar hielt? „Alice... Ich weiß wie du dich fühlst...“ Florence' heisere Stimme war mittlerweile nicht mehr als ein Flüstern. „Während Mycraft mich langsam zu Tode pflegte, konnte ich nichts anderes tun als dabei zuzusehen, wie er mit den Hoffnungen meiner Schwester spielte. Sie gab sich für ihn hin, ließ sich auf jede Perversion ein, schluckte die Abneigung seiner Schüler und der Stadt schweigend runter.“ „Aber ich dachte, du wärst schwer krank gewesen.“ „Wir Lafayettes haben von eigens her eine seltsame Affinität zur Magie. Sie ist sehr mächtig und zerstörerisch, aber frisst den Benutzer von innen auf. Lafayettsche Magier leben nicht sehr lange, in der Regel nur etwa ein Vierteljahrhundert. In dieser Zeit müssen wir die Gabe weitergeben. Véronique hat dies nie akzeptiert. Sie war mit mir von Zuhause geflohen, schleifte mich durch halb Europa, auf der Suche nach einem Heilmittel. Unsere letzte Station war Taleswood. Mycraft hatte nicht gelogen... Er hatte dafür gesorgt, dass die Magie aus meinem Körper verschwand... und hat sie sich stattdessen mitsamt seiner Seele einverleibt.“ „Einverleibt?“, fragte ich, doch in dem Moment, in dem mir diese Worte aus dem Mund gerutscht waren, bereute ich es zutiefst, denn ich verstand erst dann seine Tragweite. Das Azurblau ihrer Augen verblasste, das lebendige Glänzen entwickelte sich zu einer glasigen, traumatisierten Leere. „Als mein Herz zu schlagen aufhörte und mein Augenlicht verschwand, erwachte ich in einer undurchdringlichen Finsternis. Etwas... drückte mich zu Boden, ein Gewicht, ohne, dass es wirklich da war. Dann und wann stachen riesige Nadeln in mich, saugten jegliche Kraft aus mir. Es war, als würde man mich auffressen, von innen heraus aussaugen, immer und immer und immer wieder. Ich bin nicht nur einmal gestorben. Ich bin hundertmal gestorben und jedes einzelne Mal brannte sich unaufhörlich in mein Gedächtnis ein. So tief, dass ich mit der Zeit alles vergaß. Erst mein Wissen über Musik, dann meine Kenntnisse in Deutsch, Englisch, selbst in meiner Muttersprache... Zeit und Raum waren schon lange nur noch abstrakte Bezeichnungen ohne jeglichen Wert. Am Ende fiel es mir sogar schwer, mich an meinen Namen zu erinnern. Ich wurde... zu einem Niemand. Gefangen in pechschwarzer Folter.“ „Florence...“ „Das änderte sich vor etwa 10 Jahren. Da öffnete ich meine Augen aufs neue, sah auf schneeweiße Hände und in das Gesicht meiner geliebten Schwester... auch wenn sie anders war... Ich sah es in ihrem Blick. Sie war eine seiner Marionetten geworden, ganz gleich, wie sehr sie sich auch wehrte. Und wann immer ich die Augen schloss, wurde ich zurück zur Folterkammer gebracht. Hätte Fleur nicht den Abzug gedrückt... und hättest du Véronique nicht getötet...“ „Florence! Ich wollte nicht... Ich war nicht ich selbst und wenn Véronique uns nicht bedroht hätte dann...“ „Du verstehst das falsch, Alice." Florence hielt meine Wangen. Ein angenehm warmer Strom floss durch ihre Finger in mein Gesicht, beruhigte meine aufgewühlten Nerven und ehe ich mich versah, vergaß ich alles, was zuvor aus mir heraussprudeln wollte. „Wenn du sie in diesem Moment nicht getötet hättest, dann wäre sie seinem Griff nicht entkommen. Sie ist in das Jenseits entkommen, das spüre ich genau. Wenn jemand Mycraft aufhalten kann, dann du.“ „Aus diesem Grund haben wir dich gerufen. Einige Stimmen wollten den Ort namens Taleswood aufgeben, doch wir entschieden uns dagegen.“ „Ach wirklich? Die Götter haben sich also dazu bewegt, ihre leidigen Schöpfungen doch nicht aufzugeben?“ Ich konnte meinen Sarkasmus nicht zurückhalten. Was auch immer das Kollektiv war und ganz gleich wie mächtig es auch war, dieser ignorante Ton war mir zuwider. Am Ende waren sie genauso machtlos wie wir. „Wir verstehen deinen Unmut. Wir können für dein Überleben nicht garantieren.“ „Ich werde euch helfen. Aber für Taleswood, für alle, die dort leben, für meine persönliche Rache an Mycraft, für all das. Aber nicht für euch. Und nicht für das Rückgrat.“ „Wir verstehen. Wir wissen deine Bereitschaft zu schätzen.“ „Was soll ich tun?“ „Das wirst du erfahren, wenn du an der richtigen Stelle aufwachst. Wir kümmern uns darum. Neue Schwester.“ Florence legte ihren Arm um mich und drehte mich mit dem Rücken zum Abgrund. Sie wird mich stoßen, dessen war ich mir bewusst. Aber das war okay. Die Sekunde konnte ich auch noch warten. Sie gab mir einen sanften Kuss auf die Stirn und schenkte mir ein letztes hübsches, warmes Lächeln. Ein Lächeln, dass mir unwillkürlich die Hoffnung gab, alles würde wieder gut werden. „Keine Angst. Ich lasse dich nicht im Stich. Fleur lässt dich nicht im Stich. Ich weiß, es ist viel verlangt, aber... wenn du an der richtigen Stelle bist... wenn es dir irgend möglich erscheint... dann bitte ich dich; rette Véronique noch einmal.“ Dann stieß sie mich von der Kante und schaute mir nach, während ich in die endlose Tiefe fiel. Immer kleiner wurde ihr Antlitz, bis sie und die Plattform, auf der sie stand, mit dem pulsierenden Sternenhimmel verschmolzen. Dann wurde ich müde, schläfrig und die Welt um mich herum wurde schwarz. Als ich die Augen öffnete, blendete mich das warme, orangene Licht der untergehenden Sonne. Das Klima war mild, ein kühler Wind schwächte die heißen Strahlen in meinem Gesicht ab. Jemand lehnte sich an mir, rieb ihren Kopf an meinen und ein würzig-lieblicher Duft, wie der einer wilden Blumenwiese stieg mir in die Nase. Sie verschränkte ihre Finger in meinen, schüchtern, verstohlen, als wolle die Person, dass es niemand sah. Erst gedämpft, dann immer klarer vernahm ich das angeregte Gespräch dutzender Frauen und Männer – die meisten ihrer Stimmen kamen mir seltsam bekannt vor, doch ich konnte sie nicht richtig zuordnen. Bis die eine jenen Satz sagte, den ich als ersten deutlich vernahm: „Wie immer ein großartiger Gottesdienst, Reverend.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)