Wicked Rain von Flordelis (Silent Hill: Downpour x Deadly Premonition) ================================================================================ Kapitel 13: Es war nur ein blöder Albtraum (Teil 1) --------------------------------------------------- [LEFT]Die Vorfreude schien die Zeit bis zur Premiere in die Länge zu ziehen, aber schließlich kam der Abend. Mit einem weiteren von Pollys Mann geliehenen Anzug (dessen Kragen ihn manchmal schier zu erwürgen schien) stand Murphy vor Valerias Apartmentgebäude im Westen der Stadt. Hier war er bislang noch nicht gewesen, deswegen ließ er den Blick ein wenig schweifen, während er auf Valeria wartete.[/LEFT] [LEFT]Entgegen seiner Erwartung waren selbst diese Bauwerke in Greenvale hübsch. Wobei es nicht die Gebäude an sich waren, die diesen Eindruck erweckten, denn sie sahen aus wie in jeder anderen Stadt: grau und unpersönlich, in L-Form. Aber sie waren klein, gerade mal zwei Stockwerke hoch, statt der üblichen drei oder vier, und sie waren umgeben von freier Natur, da die Stadt hiernach zu enden schien. Das weite Gras und die Bäume in einiger Entfernung boten inneren Frieden, ließen ihn durchatmen, fast noch mehr als am See neben dem Hotel. Das einzige, was dieses Gefühl störte, waren die streunenden Hunde, die wie Geister um die Mülltonnen strichen, manchmal knurrten, manchmal winselten, aber immer war das traurige Tappen der Pfoten und das Klicken der zu langen Krallen auf dem Asphalt zu hören. Es waren braune Hunde, vermutlich Mischlinge, keiner von ihnen war Willie, dennoch musste Murphy unwillkürlich an diesen denken und wurde dabei von einem Schauer übermannt. Nein, er durfte sich davon nicht beherrschen lassen, das ging nicht, jedenfalls nicht an diesem Abend.[/LEFT] [LEFT]Er lenkte seine Gedanken auf ein anderes, passenderes Thema: Auf dem Parkplatz auf sein Date zu warten, brachte ihn geradewegs in seine Jugend zurück. Die innere Unruhe war dieselbe, genau wie die freudige Nervosität. Gleichzeitig fühlte er sich aber auch gelassener, zweifellos aufgrund der diesmal nicht durchdrehenden Hormone, die einem die Jugend erschwerten. Und im Grunde war es doch auch keine Verabredung in diesem Sinne. Oder? Vielleicht hätten sie darüber doch sprechen sollen, dann wüsste er nun, wie nervös er wirklich sein müsste.[/LEFT] [LEFT]Während er diesem Gedanken noch nachhing, öffnete sich auf dem oberen Stockwerk des linken Gebäudes eine Tür. Sein Blick wanderte automatisch hinauf. Eine Frau war herausgetreten, die auf den ersten Blick keinerlei Ähnlichkeit mit Valeria aufwies, abgesehen von dem hoch frisierten rotbraunen Haar jedenfalls, von dem an diesem Tag jeweils nur zwei lockige Strähnen ihr Gesicht einrahmten. Sie trug ein schulterfreies rotes Kleid, das ihr bis an die Knie reichte, in ihren Händen hielt sie eine dazu passende Clutch. Sie kam mit hochhackigen Schuhen daher und schaffte es dennoch, die Treppe unbeschadet nach unten zu schaffen. Dann lief sie ihm direkt entgegen, mit einem verlegenen Lächeln auf den rot geschminkten Lippen. „Tut mir leid, habe ich dich warten lassen?“[/LEFT] [LEFT]Es war wirklich Valeria, was Murphy erst einmal irritiert blinzeln ließ. Dann versicherte er ihr allerdings, dass er noch nicht lange hier war.[/LEFT] [LEFT]„Du siehst ...“, er suchte nach Worten, „anders aus.“[/LEFT] [LEFT]„Das hoffe ich doch.“ Sie drehte den Kopf, um die glitzernde Spange zu präsentieren, die ihr Haar oben hielt. „Der ganze Aufwand hat immerhin einiges an Zeit gekostet.“[/LEFT] [LEFT]Es war erstaunlich, wie sehr sie sich verändert hatte. Sie war schon immer schön gewesen – auch wenn er bislang nicht darüber nachgedacht hatte –, aber als sie nun so vor ihm stand, war sie wie ein ganz anderer Mensch, von einer anderen Ebene. Er fühlte sich wie an seinem Hochzeitstag, als er Carol das erste Mal in ihrem Brautkleid gesehen hatte. Seltsam, dass er an Carol denken konnte, ohne diesen Stich in der Brust, der den Gedanken sonst begleitete.[/LEFT] [LEFT]„Dann sollten wir lieber gehen“, sagte er und öffnete die Beifahrertür für sie. „Die anderen Theaterbesucher sollten davon auch etwas zu sehen bekommen.“[/LEFT] [LEFT]Sie bedankte sich, während sie einstieg, was diesmal ein wenig mehr Anstrengung erforderte, damit sie das raschelnde Kleid auch komplett ins Innere bekam. Nachdem das sichergestellt war, schloss er die Tür wieder und stieg auf der Fahrerseite ein.[/LEFT] [LEFT]„Ich habe vorhin auf der Karte nachgesehen, wo das Theater ist“, sagte er, als er den Wagen startete. „Aber kannst du mir sicherheitshalber helfen?“[/LEFT] [LEFT]Sie lächelte, strahlender als sonst. „Natürlich. Wir wollen ja nicht, dass du mich in den tiefen Wald fährst – dort sieht mich ja niemand.“[/LEFT] [LEFT]Murphy schmunzelte, sagte dazu aber nichts mehr.[/LEFT] [LEFT]Für eine Weile fuhren sie schweigend die Straße hinunter. Inzwischen setzte die Dunkelheit bereits ein, die Straßenlaternen leuchteten auf und tauchten die Stadt in ein für Murphy unbekanntes, aber wunderschönes Licht.[/LEFT] [LEFT]„Diese Stadt hat so viele schöne Gesichter“, bekundete Valeria mit einem Seufzen. „Ich bin froh, dass ich hierher gekommen bin.“[/LEFT] [LEFT]Murphy warf ihr einen Blick zu. Alles an Valeria schien geradewegs zu glitzern, es erfüllte seine Brust mit einer lang vergessenen Wärme, von der er nach Charlies Tod und vor allem nach Silent Hill geglaubt hatte, sie nie wieder zu spüren. Er hätte wirklich vorher mit ihr darüber reden müssen, ob es sich hierbei um ein Date handelte.[/LEFT] [LEFT]Er folgte ihrer Anweisung, abzubiegen. Nachdem sie alte Gleise überquert hatten, öffnete sich der Wald zu einer weiten offenen Fläche. In der Entfernung konnte er ein paar hell blühende Bäume entdecken, die ihm wesentlich sympathischer erschienen als die roten, die sonst an allen möglichen Orten der Stadt zu wachsen schienen. Er wusste immer noch nicht, was es damit auf sich hatte. Aber im Moment war das auch erst einmal nicht wichtig.[/LEFT] [LEFT]Die Straße endete an einem großen, hell erleuchteten Gebäude mit einem Glockenturm. Davor war ein Parkplatz angelegt worden, auf dem bereits die verschiedensten Autos standen. Offenbar war die Vorstellung gut besucht – unter diesen Umständen könnte Yolandas Stück ein Erfolg werden.[/LEFT] [LEFT]„Weißt du eigentlich, worum es gehen soll?“, fragte Valeria.[/LEFT] [LEFT]Er lenkte den Wagen auf einen leeren Parkplatz. „Nein. Ich weiß nichts, habe aber auch nicht danach gefragt. Ich habe Adrian und Yolanda aber auch seit der Ausstellung nicht mehr gesehen.“[/LEFT] [LEFT]„Ich hoffe nur, es ist keine dieser alternativen Vorstellungen, in denen wir einfach zwei Stunden mit Tierblut besprüht werden.“[/LEFT] [LEFT]Murphy sah sie irritiert an, als er die Handbremse anzog. „Hast du Erfahrung damit?“[/LEFT] [LEFT]„Bevor ich in eine dumme Ehe geschlittert bin, dachte ich wirklich, ich könnte Schauspielerin werden. Also hab ich es mit dem Theater versucht. Und sagen wir mal, ich war nicht gerade glücklich darüber, nackt auf der Bühne zu stehen und mich mit Tierblut übergießen zu lassen.“[/LEFT] [LEFT]„Ich hätte jede Vorstellung besucht.“ Erst nachdem er das ausgesprochen hatte, fiel ihm auf, wie seine Worte wirken mussten. „Ähm, so meinte ich das nicht …“[/LEFT] [LEFT]Lachend schlug Valeria auf seinen Arm. Eine weitere Reaktion darauf folgte nicht. Stattdessen öffnete sie die Autotür und stieg aus, bevor er die Möglichkeit hatte, ihr das anzubieten.[/LEFT] [LEFT]Er folgte ihrem Beispiel.[/LEFT] [LEFT]Inzwischen war es kühl geworden. Deswegen wohl stellte Valeria sich neben ihn und hakte sich bei ihm unter. Gemeinsam gingen sie in Richtung des Eingangs. Es dauerte nicht lange, bis Murphy bemerkte, dass sie in Gleichschritt verfallen waren. Er war sich nicht sicher, ob das noch Zufall war.[/LEFT] [LEFT]Zwischen den anderen Zuschauern, die sich langsam einfanden, entdeckte Murphy die Journalisten Chad Bergen und Flynn Summers; auch an diesem Abend wurden sie wieder von einem Fotografen begleitet, der versuchte, die Stimmung einzufangen.[/LEFT] [LEFT]„Wenn so wenig passiert, ist wohl auch eine Theaterpremiere ein großes Ereignis“, meinte Valeria.[/LEFT] [LEFT]„Da die Regisseurin dieses Stücks die Frau eines reichen Mäzenen ist, hätte sie vermutlich überall so viel Aufmerksamkeit bekommen.“[/LEFT] [LEFT]Sie betraten das Gebäude. Im Inneren war eine Sektbar aufgebaut worden. Diesmal gab es keine Bedienungen, die einem die Gläser brachten und auch wieder abnahmen.[/LEFT] [LEFT]Valeria lehnte etwas zu trinken ab, erklärte knapp, dass sie Sekt nicht mochte und ging dann mit ihm weiter.[/LEFT] [LEFT]Zwischen all den unbekannten versammelten Personen, erkannte Murphy manchmal auch vertraute Gesichter. Jedoch blieb ihm keine Gelegenheit, einen von ihnen auch nur anzusprechen. Nicht, dass er es wirklich gewollt hätte, an diesem Abend war seine Aufmerksamkeit für Valeria bestimmt. Sie sah das offenbar ähnlich, denn sie zog ihn vorsichtig mit sich und lenkte ihn in Richtung des Theatersaals, wo sie ihre Plätze aufsuchten. Sie saßen recht weit hinten, dafür aber in der Nähe der Ausgänge. Da die Karten umsonst gewesen waren und Murphy ohnehin Kinogänge bevorzugte, störte es ihn nicht, dass sie so weit von der Bühne entfernt waren. Außer ihnen waren noch nicht viele Leute hier, so dass es noch ruhig war, die Unterhaltungen der anderen kamen bei ihnen nur als leises Flüstern an.[/LEFT] [LEFT]Valeria seufzte. „Ach, so viele Leute. Erinnert mich ein wenig an früher.“[/LEFT] [LEFT]„Als du zum Theater wolltest?“ Er gab sich größte Mühe, nicht mehr daran zu denken, wie sie wohl nackt, übergossen mit Tierblut aussah. Aber es war schwerer als er zugeben wollte.[/LEFT] [LEFT]Sie sah ihn schmunzelnd an, als könnte sie erraten, woran er dachte. Im nächsten Moment wurde sie allerdings wieder ernst. „Nein, ich meinte, als ich noch verheiratet war. Mein Ex-Mann hat mich damals auch immer wieder zu solchen Anlässen mitgenommen. Ich musste immer darauf achten, dass meine Verletzungen nicht zu sehen waren. Manchmal war das wirklich anstrengend, weil es ihm ziemlich egal war. Er meinte, es wäre meine Aufgabe, vorzeigbar auszusehen.“[/LEFT] [LEFT]Murphy konnte sich nicht vorstellen, wie schlimm es sein musste, mit einem solchen Mann zusammenzuleben. Er kannte sie nur aus den Gefängnissen, in die sie gesperrt wurden, sobald es ans Licht kam. Dort lebten sie ihre Wut und Brutalität dann an den Mitinsassen oder den Wärtern aus. Allein der Gedanke, dass Valeria einmal mit einem Mistkerl wie diesen zusammen gewesen war, erfüllte ihn selbst mit unbändigem Hass. Lediglich die Tatsache, dass sie nun in Sicherheit war, beruhigte ihn wieder.[/LEFT] [LEFT]Er legte seine Hand auf die von Valeria, die sie auf der Armlehne abgelegt hatte. Sie lächelte ihn an, ihre feuchten Augen wirkten wesentlich größer als sonst. „Danke, Murphy. Es geht schon. Das ist alles lange vorbei.“[/LEFT] [LEFT]Sie wandte den Kopf ab und tupfte mit ihrer freien Hand über ihre Lider. „Ah, wenn ich anfange zu heulen, war das Make-up vollkommen umsonst. Ich glaube, ich sollte mich schnell frischmachen gehen.“[/LEFT] [LEFT]„Ich warte hier.“[/LEFT] [LEFT]„Das hoffe ich doch.“[/LEFT] [LEFT]Damit zwinkerte sie ihm zu, ehe sie sich erhob und mit raschen Schritten davonging. Als er ihr nachsah, bemerkte er, dass sie sich mit einer Hand wieder über die Augen strich. Die Erinnerung musste sie wirklich übermannt haben. Er bereute ein wenig, sie hiervor nicht bewahrt zu haben. Allerdings hatte er das ja nicht wissen können.[/LEFT] [LEFT]Er lehnte sich zurück, entspannte sich zum ersten Mal an diesem Abend ein wenig und sah auf die Bühne hinab. Der rote Samtvorhang war noch geschlossen, aber er glaubte, dahinter Bewegungen wahrnehmen zu können. Mit dem gedämpften Licht und dem leisen Flüstern der anderen Besucher übte das eine beruhigende Wirkung auf ihn aus.[/LEFT] [LEFT]Er blinzelte – dann öffnete sich der Vorhang plötzlich. Ein saurer Geruch stieg ihm in die Nase, während eine dunkle Flüssigkeit die Bühne überschwemmte. Wasserfälle ergossen sich über den Rand, mündeten in einen schäumenden See, der die erste und zweite Reihe vereinnahmte.[/LEFT] [LEFT]Noch bevor Murphy das verstehen konnte, richteten sich drei grellrote Scheinwerfer auf die Bretter. Erst da fiel ihm auf, dass der Hintergrund aussah wie das Theaterstück im St. Marias Kloster. Eine kleine Hütte, versteckt und abgelegen im Wald. Ein Sturm entwickelte sich über der Bühne und breitete sich bis in den Zuschauerraum aus. Warmes Wasser peitschte in Murphys Gesicht, färbte seine gesamte Welt rot, als es in seine Augen gelangte.[/LEFT] [LEFT]Was ist hier los? Was passiert hier?[/LEFT] [LEFT]Er versuchte, sich zu bewegen, doch seine Arme und Beine fühlten sich schwer wie Blei an und versagten ihm den Dienst. Als er die Augen schloss, stellte er fest, dass die vor ihm liegende Szene durch seine Lider drang und es ihm damit unmöglich machte, sich davon abzuwenden.[/LEFT] [LEFT]Aus dem Wald erklang das Schreien der kreischenden Wesen aus Silent Hill. Doch sie kamen nicht heraus. Stattdessen kletterten sie aus dem roten See am Fuß der Bühne. Es waren vier, all ihre Blicke waren auf ihn gerichtet. Sie gaben keinen Ton von sich, als sie über die Sitze zu klettern begannen – in seine Richtung.[/LEFT] [LEFT]Schlagartig erlosch das Licht auf der Bühne und tauchte den gesamten Saal in Dunkelheit. Seiner Sehkraft beraubt, wurde der faulige Geruch noch schlimmer, seine nasse Kleidung klebte unangenehm an seiner Haut. Er wollte sie von sich reißen, am besten gemeinsam mit seiner Haut selbst, die ihn plötzlich einzuengen schien und ihm das Atmen erschwerte.[/LEFT] [LEFT]Ein Blitz zuckte und erhellte den Raum kurzzeitig. Die Monster waren bereits in die vierte Reihe geklettert, nur noch drei trennte sie voneinander.[/LEFT] [LEFT]Je mehr Murphy darum kämpfte, aufzustehen, desto enger wurde alles um ihn. Die gesamte Atmosphäre legte sich wie Ketten um ihn, wurde zugezogen und drückte ihm das letzte bisschen Luft aus den Lungen.[/LEFT] [LEFT]Ich ersticke! Das kann nicht echt sein! Das kann nicht-![/LEFT] [LEFT]Ein weiterer Blitz. Noch zwei Reihen.[/LEFT] [LEFT]Hatte er die Stadt vielleicht nie wirklich verlassen? Der Gedanke ängstigte ihn, ließ seine Augen tränen. War er womöglich während des Busunfalls ums Leben gekommen und seitdem watete er durch seine persönliche Hölle, die ihm stets aufs Neue Hoffnung gab, nur um sie ihm wieder zu entreißen?[/LEFT] [LEFT]Ein Blitz. Noch eine Reihe.[/LEFT] [LEFT]Er konnte die kalten, gleichgültigen Augen der Wesen sehen, ihre flatternden Lippen, die sich danach sehnten, zu kreischen und ihn damit zu betäuben. Die Krallen waren bereits nach ihm ausgestreckt.[/LEFT] [LEFT]Doch bevor sie ihn verletzen konnte, spürte er eine angenehm warme Berührung an seiner Schulter. Dazu erklang eine Stimme, die ihn ein weiteres Mal mit Hoffnung durchflutete: „Murphy? Murphy, was ist los? Wach auf.“[/LEFT] [LEFT]Die Szenerie vor ihm löste sich in goldene Asche auf und wurde von einem Windhauch fortgeweht. Als alles in komplette Dunkelheit versank, wurde ihm bewusst, dass seine Augen geschlossen waren. Er öffnete sie und fand sich – zu seiner Erleichterung – im Theater wieder. Alles sah normal aus, kein Regen, kein roter See, keine Monster, sogar der Vorhang war noch geschlossen.[/LEFT] [LEFT]Valeria stand neben ihm, die Stirn vor Sorge zerfurcht.[/LEFT] [LEFT]„Was ist passiert?“ Sein Hals fühlte sich trocken an, sein Magen rebellierte, kaum dass er den Mund öffnete. Noch dazu war ihm viel zu warm, geradezu heiß.[/LEFT] [LEFT]„Das sollte ich dich fragen“, sagte Valeria. „Ich war nur ein paar Minuten weg, und als ich wiederkomme, scheinst du einen Albtraum und Fieber zu haben. Ich hatte echt Angst.“[/LEFT] [LEFT]Fieber?[/LEFT] [LEFT]Er wollte sich selbst an die Stirn greifen, aber schon das einfache Anheben seiner Hand erforderte derart viel Anstrengung, dass er sie sofort wieder fallenließ. Valeria legte dafür eine von ihren auf seine Stirn. Sie fühlte sich kühl an.[/LEFT] [LEFT]„Immer noch nicht besser“, bemerkte sie. „Vorhin sahst du noch so gesund aus.“[/LEFT] [LEFT]Inzwischen hatte sich der Saal ein wenig mehr gefüllt, ein paar Leute sahen zu ihm herüber, aber er nahm das nur wie durch einen Schleier wahr.[/LEFT] [LEFT]„Mir ist schlecht.“ Er war sich selbst nicht sicher, ob er das laut gesagt hatte, aber Valeria schien es gehört zu haben: „Ich helfe dir zur Toilette.“[/LEFT] [LEFT]Tatsächlich gelang es ihr, ihm auf die Füße zu helfen und seinen Arm um ihre Schulter zu legen, damit er sich auf sie stützen konnte. Er fühlte sich wie ein nasser Sack voller Müll, doch Valeria beklagte sich nicht, während sie ihn durch die Menge manövrierte. Wahrscheinlich wäre es angebracht für ihn gewesen, sich in diesem Moment zu schämen, doch selbst dafür fehlte ihm die Kraft. Ihm war absolut gleichgültig, was diese anderen Leute, die für ihn nur Schemen waren, von ihm hielten. Dafür genoss er den leichten Vanilleduft, der von Valeria ausging.[/LEFT] [LEFT]An der Toilette angekommen, kümmerte sie sich nicht um die Anwesenheit anderer, als sie ihn sogar bis zu einer Kabine begleitete. Dort ließ sie ihn vorsichtig auf den kühlen Boden sinken.[/LEFT] [LEFT]„Gut, so weit sind wir also schon mal.“ Sie klang zufrieden, aber sie wirkte immer noch besorgt. „Ich hole dir noch einen nassen Lappen. Lauf nicht weg.“[/LEFT] [LEFT]Ehe er darauf lachen konnte, schritt sie bereits wieder davon.[/LEFT] [LEFT]Die Toilette war mit weißen Fliesen ausgelegt, ein grelles Licht schien von den Lampen. Es schmerzte in seinen Augen, bohrte sich tief in seinen Schädel, wo es an ihm zu nagen begann. Sein Magen reagierte darauf mit einer weiteren Rebellion, viel stärker als die letzte. Er beugte sich über die Schüssel – so weiß, es tat weh – und erbrach sich. Die Säure brannte so sehr in seiner Speiseröhre, dass er glaubte, sie würde sich zersetzen, ginge das noch lange so weiter. In seinen Ohren ertönte ein lautes Klingeln, wie ein Feueralarm, doch selbst wenn er gewollt hätte, wäre es ihm gerade unmöglich gewesen, aufzustehen.[/LEFT] [LEFT]Schließlich blieb nur noch Galle übrig, erst dann beruhigte sein Magen sich wieder, so dass er sich aufrichten konnte. Sofort tupfte jemand mit einem nassen Tuch über sein erhitztes Gesicht, kühlte es ein wenig herab. Wasser rauschte.[/LEFT] [LEFT]„Was immer du hast“, sagte Valeria, „ich hoffe, es ist nicht ansteckend.“[/LEFT] [LEFT]An ihrer Stimme war deutlich, dass sie es nicht ernst meinte. Dennoch entschuldigte er sich leise.[/LEFT] [LEFT]„Soll ich dir vielleicht einen Arzt holen?“ Sie ignorierte seine Entschuldigung. „Es ist bestimmt mindestens einer im Publikum.“[/LEFT] [LEFT]Murphys Blick ging an ihr vorbei zur Tür. Ein schwarzer Schatten waberte dort, verschleierte seine Sicht auf alles, was jenseits von dort vor sich ging.[/LEFT] [LEFT]„Nein, schon in Ordnung.“[/LEFT] [LEFT]Wenn er zu sehr auffiel, war die Wahrscheinlichkeit hoch, dass man doch noch entdeckte, wer er war – und das wollte er unter allen Umständen vermeiden, selbst wenn das bedeutete, dass er diese Übelkeit noch länger ertragen musste.[/LEFT] [LEFT]Da Valeria ihn skeptisch ansah, musste er wohl mehr erklären: „Ich bin wahrscheinlich nur extrem nervös wegen diesem Abend. Das ist alles.“[/LEFT] [LEFT]Ihre Stirn glättete sich wieder. Sie sah sich kurz den Boden an, dann setzte sie sich ihm mit seitlich angewinkelten Beinen gegenüber. Er wollte sie darauf hinweisen, dass sie ihr Kleid möglicherweise ruinierte, ließ es aber sein, weil er glaubte, sie könne das ohnehin besser einschätzen.[/LEFT] [LEFT]„Dein letztes Date ist schon eine Weile her, nicht?“[/LEFT] [LEFT]Er wurde hellhörig. „Also ist das hier ein Date?“[/LEFT] [LEFT]„Natürlich. Dachtest du, ich gehe mit jedem Mann ins Theater?“[/LEFT] [LEFT]Von dieser Perspektive aus hatte er es gar nicht betrachtet. Sie schnitt ihm eine Grimasse. „Auf den Gute-Nacht-Kuss verzichte ich heute dann aber lieber. Nimm's mir nicht krumm.“[/LEFT] [LEFT]Er winkte lasch ab. „Ich versteh's.“[/LEFT] [LEFT]Für einen Moment herrschte Schweigen zwischen ihnen. Murphy fuhr sich mit einer Hand durch die schwitzigen Haare, Valeria blickte auf ihre Clutch hinunter. Selbst dieser Augenblick fühlte sich irgendwie gut an.[/LEFT] [LEFT]Schließlich hob sie den Kopf wieder, um ihn anzusehen. „Dann wusstest du wirklich nicht, dass das ein Date war?“[/LEFT] [LEFT]„Ich war mir nicht sicher. Und es kam mir peinlich vor, zu fragen.“[/LEFT] [LEFT]„Unverbesserlich.“ Sie lächelte sanft. „Beim nächsten Mal werde ich deutlicher sein.“[/LEFT] [LEFT]Er schätzte sich schon glücklich, dass es überhaupt ein nächstes Mal geben sollte. Nach dem, wie es bislang gelaufen war, hatte er nicht mehr damit gerechnet.[/LEFT] [LEFT]„Sag mal, was hast du eigentlich geträumt vorhin?“[/LEFT] [LEFT]Statt zu antworten sah er wieder zur Tür. Der schwarze Schatten hatte inzwischen einen deutlichen Umriss gebildet. Eine Person in einem dunklen Regenmantel, mit einer Atemmaske und einem großen Hammer in den Händen.[/LEFT] [LEFT]Er stand einfach nur da, obwohl Murphy geglaubt hatte, ihn in Silent Hill zurückgelassen zu haben, gemeinsam mit seinen Schuldgefühlen für Charlies und Franks Tod. Sie starrten sich gegenseitig an, der Bogeyman atmete hörbar durch die Maske.[/LEFT] [LEFT]„Nicht weiter wichtig“, sagte Murphy. „Es war nur ein blöder Albtraum.“[/LEFT] [LEFT]Die Gestalt verflüchtigte sich, fast sofort schien sich sein Zustand zu bessern. Der Schweiß trocknete langsam auf seiner Haut, selbst seine latente Übelkeit schwand und wurde durch zaghaften Hunger ersetzt; gegen eine Suppe hätte er nichts einzuwenden gehabt.[/LEFT] [LEFT]„Du wirkst plötzlich gar nicht mehr blass.“ Valeria legte wieder eine Hand auf seine Stirn. „Hey, du fühlst dich schon wesentlich normaler an.“[/LEFT] [LEFT]„So geht es mir auch.“[/LEFT] [LEFT]Sie seufzte zufrieden, dann sah sie auf ihre Uhr. „Huh, eigentlich hätte das Stück schon anfangen sollen.“[/LEFT] [LEFT]Er wollte sie gerade fragen, wie sie auf die Idee kam, dass es noch nicht lief, als ihm auch die Geräusche des hektischen Treibens auf dem Gang auffielen. „Vielleicht warten sie extra auf uns.“[/LEFT] [LEFT]„Natürlich, wir sind ja die VIPs.“ Wieder schenkte sie ihm ein so strahlendes Lächeln, dass sogar das grelle Licht blass vor Neid geworden wäre. „Wollen wir mal nachsehen? Wenn du nicht willst, bleiben wir auch nicht lange, aber wir sollten uns schon blicken lassen.“[/LEFT] [LEFT]Er nickte.[/LEFT] [LEFT]Sie erhoben sich beide (wobei Valeria ihm erneut helfen musste, aber seine Beine fühlten sich nun schon wesentlich kräftiger an) und gingen zu den Waschbecken. Nachdem Murphy sich dort noch einmal saubergemacht und sie beide sichergestellt hatten, vorzeigbar auszusehen, verließen sie die Toilette wieder.[/LEFT] [LEFT]Auf dem Gang herrschte tatsächlich Aufregung. Angestellte des Theaters, in alltäglicher Kleidung und mit Mikrofonen, liefen umher und schrien sich immer wieder Anweisungen zu. Inmitten dieses Wuselns entdeckten sie Adrian Bolton, der, trotz seines Reichtums, hier doch verloren aussah. Kaum entdeckte Adrian sie beide, kam er händeringend auf sie zu. „Haben Sie Yolanda gesehen?“[/LEFT] [LEFT]Die beiden tauschten einen Blick miteinander, ehe sie die Frage verneinten.[/LEFT] [LEFT]Er seufzte schwer als lasteten tausend Welten auf ihm. „Sie ist einfach nirgends zu finden. Eigentlich hätte sie die Eröffnungsrede halten sollen. Deswegen sind wir schon im Verzug. Die Leute werden ungeduldig.“[/LEFT] [LEFT]Kaum vorstellbar, dass eine Frau wie Yolanda, die ein Theaterstück auf die Bühne stellte, einfach verschwand, wenn die Premiere bevorstand. Gerade sie sollte doch ein Interesse daran haben, auch die Lorbeeren zu ernten.[/LEFT] [LEFT]„Keine Sorge“, sagte Valeria. „Bestimmt ist sie nur nervös und hat frische Luft geschnappt. Sie kommt sicher bald zurück.“[/LEFT] [LEFT]Adrian sah sie zweifelnd an. Dort war garantiert auch gesucht worden, aber er war höflich genug, es nicht zu sagen. Wohl auch, weil gerade eine Frau mit einem Klemmbrett im Arm dazukam. „Mr. Bolton, wir sollten jetzt wirklich anfangen, sonst geraten wir noch mehr in Verzug.“[/LEFT] [LEFT]Zerknirscht dreinblickend sah er noch einmal den Gang hinauf und hinab, als hoffe er, dass Yolanda sich spontan materialisiere und doch noch ihre Rede halten könne. Da nichts geschah, nickte er. „Sie haben recht, wir müssen weitermachen. Das wäre sicher in Yolandas Sinne. Sie kann ja danach noch etwas dazu sagen.“[/LEFT] [LEFT]Mit dieser Antwort zufrieden ging die Frau davon, dabei rief sie bereits hektische Befehle in ihr Mikrofon.[/LEFT] [LEFT]Adrian wandte sich wieder ihnen zu. „Sie sollten dann zurück in den Saal. Es wird Ihnen bestimmt gefallen. Yolanda hat einen ausgezeichneten Geschmack.“[/LEFT] [LEFT]Nach einem letzten verzweifelten Lächeln verschwand er ebenfalls den Gang hinab, sicher um zu seinem Balkonplatz zu kommen, den er ohne jeden Zweifel besaß.[/LEFT] [LEFT]Valeria hakte sich wieder bei Murphy unter. „Wollen wir? Es reicht ja, wenn wir uns ein bisschen was ansehen, dann kann ich dich heimfahren.“[/LEFT] [LEFT]„Du willst fahren?“[/LEFT] [LEFT]„Natürlich.“ Sie zwinkerte ihm zu. „Wenn es dir nicht gut geht, ist das die beste Gelegenheit, mal einen Lincoln selbst zu fahren.“[/LEFT] [LEFT]„Opportunistin.“[/LEFT] [LEFT]Lachend zog sie ihn mit sich, zurück in den Theatersaal. Nachdem sie sich an ein paar Personen vorbeigeschoben hatten, setzten sie sich wieder auf ihre Plätze. Mit einem vollen Saal fühlte Murphy sich auch viel wohler, ohne den Gedanken zu bekommen, dass ein Monster ihn jederzeit anfallen könnte.[/LEFT] [LEFT]Das Licht wurde gedimmt und er fühlte sich immer noch gut – besonders als Valeria sich an seinen Arm schmiegte und ein leises, zufriedenes Seufzen ausstieß. Es schien ihm wie eine Ewigkeit her zu sein, dass er und Carol einen solchen Moment geteilt hatten.[/LEFT] [LEFT]Der Vorhang öffnete sich, worauf auch die letzten Zuschauer verstummten und wie gebannt auf die Bühne starrten. Dort stand eine einzelne Frau in einem weißen Kostüm, die Arme wie zu einem einsamen Tanz erhoben. Murphy rechnete jeden Moment damit, dass Musik einsetzen würde – doch stattdessen tropfte plötzlich etwas von oben auf die Schauspielerin hinab und hinterließ einen rotbraunen Fleck auf ihrem ansonsten makellos weißen Kleid. Sie schien davon nichts zu bemerken, weswegen er sich fragte, ob es Teil des Stücks war oder ob er schon wieder zu fantasieren begann. Er fühlte sich jedoch gut, alles wirkte normal.[/LEFT] [LEFT]Da, ein weiterer Klecks, diesmal auf ihrer rechten Schulter.[/LEFT] [LEFT]Die Schauspielerin öffnete die Augen und sah irritiert auf den neuen Fleck hinab. Dann hob sie den Blick zur Decke – und stieß ein schrilles, schockiertes Kreischen aus.[/LEFT] [LEFT]Die Zuschauer tuschelten miteinander, Murphy hörte Aussagen wie „Talentiert“, „Bemerkenswert“ oder „Interessanter Anfang“. Doch etwas in ihm wollte einfach nicht glauben, dass dieser inbrünstige Schrei geschauspielert war. Er hörte sich echt an.[/LEFT] [LEFT]Aber was schockierte sie derart?[/LEFT] [LEFT]Ein lauter Knall erfüllte das Theater – dann stürzte etwas von oben herab. Das Bündel stoppte abrupt, gehalten von einem Seil. Es schwang ein wenig hin und her, entzog sich damit einem endgültigen Blick, doch der ganze Saal schien bereits wieder wie in Trance zu sein und dieses Etwas zu mustern.[/LEFT] [LEFT]Nach einer Zeit, die sich wie ein halbes Leben anfühlte, pendelte das Bündel aus.[/LEFT] [LEFT]Murphy hielt den Atem an.[/LEFT] [LEFT]Es war kein Etwas, es war ein Mensch.[/LEFT] [LEFT]Es war Yolanda.[/LEFT] [LEFT]Das Seil war um ihren Hals geknüpft. Sie sah aus wie in Blut getränkt, als ob diese Flüssigkeit ihre neue Haut geworden wäre.[/LEFT] [LEFT]„Murphy“, hauchte Valeria. „Das gehört nicht zum Stück, oder?“[/LEFT] [LEFT]Nein. Nein, er glaubte das nicht. Nein, das war echt.[/LEFT] [LEFT]Denselben Gedanken durchzuckten in diesem Moment wohl auch andere Zuschauer. Ein erschrockenes Raunen ging durch die Versammelten.[/LEFT] [LEFT]Das ist nicht richtig. Sie müssten anders reagieren. Wir alle müssten das.[/LEFT] [LEFT]In diesem Moment zerbrach die angespannte Stille, ersetzt durch eine Kakophonie von Schreien, die das gesamte Theater erfüllten und Murphys Ohren wieder klingeln ließen.[/LEFT] [LEFT]Wie durch einen Schleier sah er die Theater-Angestellten, die auf die Bühne rannten, einige Zuschauer, die als Ersthelfer tätig werden wollten, und Adrian, der am lautesten von allen klagte.[/LEFT] [LEFT]Und dort, ganz hinten, in der finstersten Ecke des Podiums, entdeckte er jene finstere Gestalt, die zweifelsfrei hierfür verantwortlich sein musste.[/LEFT] [LEFT]Dort stand der Bogeyman.[/LEFT] [LEFT]Und er starrte Murphy an.[/LEFT] Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)