Wicked Rain von Flordelis (Silent Hill: Downpour x Deadly Premonition) ================================================================================ Kapitel 11: Offenbar liebt man mich einfach. -------------------------------------------- [LEFT]Adrian Bolton hatte nicht gelogen. Murphy hatte es schon fast wieder vergessen, als der Mann plötzlich mit einer schriftlichen Einladung im Hotel erschienen war. Es war einen Tag nach dieser Erfahrung im Regen gewesen, deswegen hatte er sich gefreut, jede Ablenkung käme ihm recht.[/LEFT] [LEFT]Eine weitere Woche danach war es bereits soweit. Murphy war allein gekommen, da Polly lieber im Hotel bleiben und mögliche Gäste versorgen wollte – im Grunde war er sich nicht sicher, ob sie überhaupt verstanden hatte, wovon er sprach – aber zuvor war ihm von ihr auf der Karte gezeigt worden, wo sich die Galerie befand. Er musste einfach nur der Straße am See folgen, bis sich der Weg an einem unheimlich schrägen Baum gabelte. Die weitere Strecke verlief im Halbkreis einen Berg hinauf, bis sie sich fast oben angekommen schließlich erneut teilte. Die eine Straße führte jenseits des Gipfels wieder in die Stadt zurück, die andere brachte ihn weiter nach oben zum Parkplatz der Musengalerie, der an diesem Tag voll belegt war. Das Gebäude selbst war unbedeutend, wenn man die Galerien anderer Städte kannte, sie wirkte fast wie eine Miniaturausgabe einer richtigen. Aber wenn er dann wieder an jene in Silent Hill zurückdachte, war diese hier schon fulminant, besonders mit den hell erleuchteten Fenstern.[/LEFT] [LEFT]Über der Eingangstür gab es einen von breiten Säulen gestützten Balkon. Die Türen dort oben standen offen, so dass Gespräche und Gelächter nach außen drangen. Vor einer der Säulen war eine Tafel aufgestellt, auf der in schwungvollen Buchstaben Musengalerie geschrieben stand. Murphys Blick wanderte nach rechts, zu einem hölzernen Anschlagbrett. Von diesem hatte jemand in mühevoller Kleinarbeit alte Flyer entfernt, so dass nur noch wenige Reste übrig waren, die neu angebrachten Poster bewarben diese Feier.[/LEFT] [LEFT]Murphy rückte seine Fliege zurecht – der Anzug war ebenfalls ein Überbleibsel von Pollys Mann und war für eine solche Veranstaltung angebracht –, dann trat er durch die offenen Türen in die lichtdurflutete Eingangshalle. Es wirkte durch die hellen Bodenfliesen noch wesentlich leuchtender, so dass seine Augen sich nach der draußen herrschenden Dunkelheit erst einmal umgewöhnen mussten. Vor ihm erstreckten sich zwei halbrunde Treppen, die zu einer Galerie hinaufführten, dazwischen war ein weißes Tuch über etwas gespannt, das noch nicht enthüllt worden war. Er versuchte anhand der Form zu erraten, was sich darunter befand, war aber erfolglos; der Stoff war wohl in weiser Voraussicht so befestigt worden, dass sich keine eindeutigen Konturen erahnen ließen. Also musste er wohl warten, bis es offiziell enthüllt wurde.[/LEFT] [LEFT]Sowohl links als auch rechts befanden sich Türen am Ende des Raumes, sie waren aber geschlossen. Murphy nahm an, dass sie nicht für Besucher gedacht waren und beließ es dabei. Rechts war außerdem eine Rezeption zu sehen, im Moment war sie allerdings unbesetzt. In Zukunft befand sich dort mit Sicherheit einiges an Informationsmaterial zu den Ausstellungen und auch eine Person, die für jegliche Fragen zur Verfügung stand.[/LEFT] [LEFT]Es schien ihm fragwürdig, dass niemand hier war, um Nachzügler zu begrüßen oder auch nur das noch geheime Kunstwerk zu beschützen. Vertraute man den Besuchern derart oder war etwas anderes vorgefallen?[/LEFT] [LEFT]Ein ungutes Gefühl wollte sich in seinem Inneren ausbreiten, aber die unbeschwerten Geräusche der Feiernden aus dem Inneren der Galerie hielten es in Schach. Vielleicht hatte die Person, die Besucher begrüßte, nur für kurze Zeit ihren Posten verlassen. Es gab keinen Grund, sich Sorgen zu machen.[/LEFT] [LEFT]Derart zufriedengestellt umrundete Murphy die verhüllte Attraktion und ging jenseits davon durch eine weitere offene Tür, durch die er Stimmen und Gelächter hören konnte. Der Gang dahinter war hell erleuchtet, führte sowohl nach links als auch nach rechts. Einem Impuls folgend wandte er sich nach rechts, bis er in einem wirklichen Raum der Galerie stand. Die an den Wänden hängenden indirekt beleuchteten Gemälde, waren das beste Zeichen dafür. Einige Personen standen in kleineren Gruppen zusammen, unterhielten sich gut gelaunt, während sie immer wieder an ihren Sektgläsern nippten. Auf den ersten Blick erkannte Murphy niemanden von ihnen, also fühlte er sich nicht verpflichtet, irgendjemanden zu begrüßen. Stattdessen trat er an die erste Wand und betrachtete einige der Gemälde genauer.[/LEFT] [LEFT]Das, vor dem er aktuell stand, zeigte eine Waldszene. Unzählige Baumwipfel erstreckten sich bis zum Horizont, wo sie von Berggipfeln ersetzt wurden. Ein einzelner Adler flog über die Baumkronen hinweg. Jegliche Anzeichen von Menschen und Zivilisation suchte man vergebens. Es fühlte sich friedlich an, wie gern wäre er nun in diesem Wald. Sein Blick fiel auf das kleine Schild unter dem Bild, das den Titel verkündete: Baummeer.[/LEFT] [LEFT]Sonderlich einfallsreich war das nicht, aber es passte, damit genügte es.[/LEFT] [LEFT]Er betrachtete die anderen Gemälde oberflächlich, jedes einzelne schien das Baum-Thema wieder aufzugreifen, wenn auch manchmal eigen interpretiert. Eines der faszinierenderen Werke hing nur wenige Meter entfernt. Es zeigte einen einzelnen schwarzen Baum unter einem grauen Himmel. Erst bei genauerem Hinsehen erkannte Murphy, dass es sich um mehrere ausgemergelte menschliche Körper handelte, die in merkwürdigen, schmerzhaft aussehenden Posen ineinander verschlungen waren. Die Haut dieser Personen sah verbrannt aus, ihre Arme und Finger waren abgespreizt, so dass sie die Illusion von Ästen erschufen. Aber sobald man erst einmal wusste, dass es sich um Menschen handelte, gelang es einem nicht mehr, die aufgerissenen Augen und die verzerrten Münder zu ignorieren, während sie einem anklagend entgegenstarrten.[/LEFT] [LEFT]Das Bild trug den einfachen Titel Gespalten. Aber die Bedeutung blieb Murphy verschlossen.[/LEFT] [LEFT]„So so, das findest du also interessant?“[/LEFT] [LEFT]Er zuckte zusammen, sein Innerstes war bereit für einen Kampf – doch als er sich zur Seite drehte und die andere Person erkannte, entspannte er sich sofort wieder. „Hey, Val.“[/LEFT] [LEFT]Sie lächelte ihn an, als sie seine Begrüßung erwiderte. „Ich habe nicht gewusst, dass du auch hier sein wirst. Gehörst du jetzt schon zu den VIPs von Greenvale?“[/LEFT] [LEFT]Bei ihm war das genaue Gegenteil der Fall: Er hatte nicht nur damit gerechnet, dass sie anwesend sein würde, sondern auch, dass sie als Bedienung arbeiten würde. Ihre edel aussehende rote Uniform und das Tablett auf dem mehrere kostbar wirkende Gläser mit Sekt standen – und das meisterhaft von ihr mit einer Hand balanciert wurde –, verrieten ihm, dass er sie richtig eingeschätzt hatte.[/LEFT] [LEFT]Sie reichte ihm etwas zu trinken, ehe er antwortete: „Gehöre ich nicht. Aber ich habe Bolton zufällig kennengelernt, da bestand er schon darauf, dass ich auch komme.“[/LEFT] [LEFT]„Du kommst wirklich herum.“ Valeria zwinkerte ihm zu. „Dafür, dass du dich eigentlich ein wenig bedeckt halten wolltest ...“[/LEFT] [LEFT]„Was soll ich machen? Offenbar liebt man mich einfach.“ Er nahm einen Schluck Sekt, das Getränk schmeckte gar nicht so bitter wie er befürchtet hatte. „Ist es eigentlich Absicht, dass niemand im vorderen Bereich steht, um die Gäste zu begrüßen?“[/LEFT] [LEFT]Sie runzelte ihre Stirn. „Eigentlich nicht. Vermutlich hat meine Kollegin mal wieder was Wichtigeres zu tun. Oder wen Wichtigeres.“[/LEFT] [LEFT]„Keine Sorge, ich habe auch keinen Blick auf das verhüllte Kunstwerk geworfen“, sagte er rasch, um sie wieder von ihrer pflichtvergessenen Kollegin abzulenken; am Ende würde sie sonst nur losgehen, weil sie diesen Missstand bereinigen musste, aber er wollte sie noch eine Weile in seiner Nähe haben.[/LEFT] [LEFT]Ihre Augen funkelten amüsiert. „Das hoffe ich doch. Sonst müsste ich dich jetzt zwingen, mir zu verraten, was du gesehen hast. Keiner von uns weiß, was unter dem Tuch ist.“[/LEFT] [LEFT]„Also wird es dann sogar für euch eine Überraschung. Ist doch nett.“[/LEFT] [LEFT]„Ja, Mr. Bolton denkt an uns arme Angestellte.“ Sie sah in Richtung der anderen Gäste, dann deutete sie zu jemandem, der in der Nähe stand. „Siehst du die dort?“[/LEFT] [LEFT]Murphy folgte ihrem Fingerzeig. Es war eine kleine Gruppe, bestehend aus drei Männern, die zusammen standen und sich lebhaft unterhielten. Nicht weit entfernt war jemand mit einer Kamera unterwegs, der von allem möglichen, auch den Besuchern, Bilder schoss.[/LEFT] [LEFT]Nachdem er genickt hatte, senkte Valeria die Stimme, so dass er sich näher zu ihr beugen musste, um sie zu verstehen: „Das sind Chad Bergen, Flynn Summers und Gregory Mathers.“[/LEFT] [LEFT]Zwei der Nachnamen sagten ihm sogar etwas. Natürlich konnten sie aber auch nur Zufall sein, deswegen unterbrach er Valeria nicht, sondern ließ sie weiterreden: „Vor Chad und Flynn solltest du dich in Acht nehmen. Die beiden sind Journalisten. Deswegen ist auch der Fotograf da, er macht die Bilder für den Artikel.“[/LEFT] [LEFT]Also ging er ihnen lieber aus dem Weg. Um dieses Ziel zu verfolgen, prägte er sich das Aussehen der beiden ein: Chad Bergen war ein korpulenter älterer Mann, dessen dunkler Haaransatz sich bereits zurückzuziehen begann. Flynn Summers war das genaue Gegenteil: Sein jugendlicher Charme sprühte aus allen Poren, sein helles Haar war noch voll und sein Körperbau war eher als schlaksig zu bezeichnen. Er erinnerte wesentlich mehr an einen Journalisten als Chad.[/LEFT] [LEFT]Der dritte im Bunde, der vollkommen durchschnittlich aussah, war ihm aber noch ein Rätsel.[/LEFT] [LEFT]„Und was ist mit dem anderen? Gregory Mathers?“[/LEFT] [LEFT]„Er ist Immobilienmakler. Falls du also hier mal ein Haus kaufen willst, wende dich an ihn.“[/LEFT] [LEFT]„So viel Arbeit habe ich nun auch nicht im Hotel“, erwiderte er schmunzelnd.[/LEFT] [LEFT]Valeria lachte leise und trat einen Schritt zurück. „Ich schätze, ich sollte zusehen, dass keiner der Gäste durstig bleibt. Aber ich bin froh, dass du da bist. Bestimmt sehen wir uns heute noch öfter.“[/LEFT] [LEFT]Sein Innerstes schien aufzuatmen, als sie ihre Freude bekundete, ihr Lächeln unterstützte das nur noch.[/LEFT] [LEFT]„Übrigens“, sagte sie noch, während sie bereits wegging, „der Anzug steht dir nicht.“[/LEFT] [LEFT]Er erhob das Glas in ihre Richtung. „Das habe ich mir schon gedacht.“[/LEFT] [LEFT]Lachend wandte sie sich schließlich ab und ging davon. Selbst jetzt balancierte sie das Tablett mit den vollen Gläsern noch immer vollkommen mühelos mit einer Hand. Er beobachtete sie noch einen Moment, wie sie anderen Gästen etwas zu trinken anbot, ihnen leere Gläser abnahm und geradezu zwischen den kleinen Grüppchen umherschwebte. Sie machte diesen Job sicher nicht zum ersten Mal, auf jeden Fall führte sie ihn aber großartig aus.[/LEFT] [LEFT]Schließlich wandte er sich von ihr ab, bevor jemand bemerkte, dass er sie anstarrte. Nach Zandras tragischem Tod zog er es vor, nicht noch einmal Mittelpunkt eines Gerüchts zu werden, auch keines absolut harmlosem.[/LEFT] [LEFT]Sind die Ermittlungen inzwischen eigentlich vorangekommen?[/LEFT] [LEFT]Polly wusste mit Sicherheit mehr darüber, hatte ihm aber nichts erzählt. Vielleicht sollte er sich angewöhnen, ebenfalls die Zeitung zu lesen. Wenn er blieb, musste er doch informiert sein.[/LEFT] [LEFT]Nachdem er sich hier genug umgesehen und kein interessantes Bild mehr gefunden hatte, setzte er seinen Weg fort. Durch die Tür kam er in einen weiteren Korridor, der am anderen Ende erneut in einen Ausstellungsraum führte. Seidenkordeln sperrten Gänge auf der rechten Seite ab, auf der linken gab es Türen, die in winzige Innenhöfe führten, wo einige Gäste zusammen auf gepflegtem Rasen standen, rauchten und miteinander lachten. Diese gelöste Atmosphäre hüllte Murphy in eine angenehme warme Blase, die er schon lange vermisst hatte. Es war Teil eines ganz normalen Lebens, wie er es sich immer gewünscht hatte.[/LEFT] [LEFT]Im zweiten Ausstellungsraum waren noch mehr Gemälde aufgehängt. Diesmal waren hauptsächlich rote Bäume abgebildet, die Stadt schien wirklich eine Obsession damit zu haben. Selbst auf den Bildern übten sie einen eigenartigen Reiz auf ihn aus, so dass Murphy vor jedem länger als nötig stehenblieb, um sie eingehend zu betrachten. Ein bestimmtes zog ihn schließlich in seinen Bann.[/LEFT] [LEFT]Ein majestätischer roter Baum erhob sich auf einer Lichtung, Blätter fielen wie Bluttropfen zu Boden – nein, vielleicht war es sogar wirklich Blut, auf der körnigen Leinwand war das schwer zu sehen. Auf der halben Höhe des knorrigen Stamms, ragte der Torso eines Frauenkörpers aus dem Holz hervor. Ihr langes, gewelltes blondes Haar bedeckte ihre Brüste, nur die klaffende Wunde dazwischen nicht. Ihre Arme waren ausgestreckt, verschwanden dann aber im Stamm hinter ihr; es sah aus, als wäre sie bereit für eine Umarmung. Obwohl sie – schon allein ausgehend von der Verletzung – eindeutig tot war, wirkte ihr Gesicht friedlich, fast schon erhaben.[/LEFT] [LEFT]Der Titel auf der Plakette darunter war Die Göttin des Waldes. Mit diesem Wissen im Hinterkopf erschien ihm die sie umgebende Aura passend. Sie wirkte nicht nur erhaben, sie war es.[/LEFT] [LEFT]Er nahm einen weiteren Schluck seines Sekts, da hörte er plötzlich, wie jemand erfreut seinen Namen ausrief. Als er sich umdrehte, entdeckte er Adrian Bolton, der mit einem breiten Lächeln auf ihn zukam. Er ergriff Murphys freie Hand und schüttelte diese. „Ich hatte gehofft, dass Sie es schaffen, Mr. Coleridge. Ich nehme an, Mrs. Oxford hatte keine Zeit?“[/LEFT] [LEFT]Murphy benötigte einen Moment, bis ihm bewusst wurde, dass er Polly meinte. Da er Adrian schlecht sagen konnte, dass Polly es vorzog, keine Feiern aufzusuchen, erklärte er ihm, dass sie arbeiten müsste. „Ich bin noch recht neu im Hotel, deswegen hat sie mich geschickt, damit zumindest einer von uns hier ist.“[/LEFT] [LEFT]„Sehr schön“, antwortete Adrian. „Mrs. Oxford kennt sich offensichtlich mit Geschäften aus, eine gute Frau. Ich bin froh, dass Sie es zumindest geschafft haben. Wie gefällt Ihnen die Ausstellung bislang?“[/LEFT] [LEFT]Murphy war kein Kunstkritiker, er kannte sich nicht einmal im Mindesten damit aus. Aber er wollte auch nicht einfach nur Schön antworten, deswegen sagte er das, was ihm ansonsten noch einfiel: „Die Bilder sind sehr baum-lastig.“[/LEFT] [LEFT]Am liebsten wäre er für diesen Kommentar im Boden versunken, das war sicher nicht das, was Adrian hatte hören wollen. Es war nur noch eine Frage von Sekunden, bis der Mann ihn bitten würde zu gehen – doch stattdessen begann Adrian plötzlich zu lachen. „Das ist wahr. Eine sehr gute Beobachtung. Alle Bilder stammen aus dem Fundus der vorigen Galeriebesitzerin oder von heimischen Künstlern. Möglicherweise deswegen.“[/LEFT] [LEFT]„Ja“, meinte Murphy. „Ich habe ohnehin den Eindruck, dass die Stadt von Bäumen besessen ist.“[/LEFT] [LEFT]„Wundert Sie das? Sie müssen sich doch nur diesen wundervollen Wald ansehen, der die Stadt umgibt. Bei einem solchen Anblick muss man sich nicht wundern, dass die Einwohner eine derart tief verwurzelte Verehrung für Bäume empfinden.“[/LEFT] [LEFT]„In anderen Orten würde man sich eher Horrorgeschichten darüber erzählen.“[/LEFT] [LEFT]Adrian ließ sich in seinem Enthusiasmus aber nicht bremsen. Er zeigte auf das Bild der Göttin. „Würde es Sie wundern, wenn ich Ihnen sage, dass dies eine Nachahmung eines Tatortes ist? Angeblich hat man so das erste Opfer eines Serienmörders im letzten Jahr gefunden.“[/LEFT] [LEFT]Serienmörder? Meint er den Regenmantelmörder?[/LEFT] [LEFT]Das war der einzige, der ihm da einfiel oder der ihm gegenüber jedenfalls erwähnt worden war. Wenn er seine Opfer derart in Szene gesetzt hatte, musste er wirklich ein außergewöhnlicher Mörder gewesen sein. Nicht, dass es irgendetwas besser machte. Aber etwas anderes daran störte Murphy doch wesentlich mehr: „Unglaublich, dass jemand ein solches Bild von einem Tatort gemacht hat.“[/LEFT] [LEFT]Allein bei der Vorstellung, dass jemand Charlies Tod derart festhalten könnte, ließ alles in seinem Inneren rebellieren und jemanden dafür schlagen wollen. Er konnte von Glück reden, dass es niemanden gab, der so etwas tun würde.[/LEFT] [LEFT]„Es war eben ein sehr außergewöhnlicher Tatort“, verteidigte Adrian das Gemälde.[/LEFT] [LEFT]Auf die Legitimität dieses Bildes wollte Murphy lieber nicht weiter eingehen, deswegen wechselte er rasch das Thema: „Was wurde eigentlich aus der vorigen Galeriebesitzerin? Ist sie auch hier?“[/LEFT] [LEFT]Adrians Gesicht nahm einen bedauernden Ausdruck an. „Leider ist sie ebenfalls ein Opfer dieses Serienmörders geworden. Interessanterweise genau wie ihre Schwester, die Vorbesitzerin unseres Hauses.“[/LEFT] [LEFT]Ist das ein Zufall?[/LEFT] [LEFT]Falls ja, dann war es ein sehr eigenartiger. Er sollte sich die Umstände dieses Regenmantelmörders doch einmal zu Gemüte führen. Dann käme er vielleicht nicht mehr derart ignorant herüber.[/LEFT] [LEFT]„Wir haben die Galerie und das Haus übernommen, da ich gute Kontakte mit den Schwestern hatte. Sie waren beides hervorragende Frauen, denen eine wunderbare Zukunft geraubt wurde.“[/LEFT] [LEFT]Darauf wusste Murphy nichts zu erwidern. Weder hatte er eine der beiden gekannt, noch wusste er, wie er in solchen Fällen Mitgefühl ausdrücken sollte oder ob es überhaupt angebracht war.[/LEFT] [LEFT]Zu seinem Glück wurde er in diesem Moment erlöst, als plötzlich ein Raunen durch die Versammelten ging, direkt gefolgt von erwartungsvollem Schweigen. Adrian und Murphy wandten sich dem Gang zu, der in Richtung des Eingangs führte. Zwei neue Gäste waren hereingekommen. Der eine war ein junger Mann in einem weißen Anzug, er ging mit durchgestrecktem Rücken und fast lautlosen Schritten, selbst während er einen Rollstuhl vor sich herschob. In diesem saß ein Mann in einem dunklen Anzug – und mit einer Gasmaske, die sein komplettes Gesicht verdeckte. Für eine schreckliche Sekunde glaubte Murphy, dass Frank im Rollstuhl saß, in der Verkleidung des Bogeyman. Seine Atmung geriet durcheinander, war erst zu heftig, dann zu langsam, brach sogar zwischendurch ab, er glaubte, gleich ersticken zu müssen – da eilte Adrian den beiden Neuankömmlingen bereits entgegen und damit brach der Bann.[/LEFT] [LEFT]Murphy schnappte nach Luft und bemühte sich, seine Atmung wieder unter Kontrolle zu bekommen. Zu seinem Glück achtete im Moment keiner auf ihn, da alle immer noch fasziniert den Mann im Rollstuhl anstarrten.[/LEFT] [LEFT]„Mr. Stewart!“, rief Adrian begeistert aus. „Ich freue mich, dass Sie es geschafft haben, uns mit Ihrer Anwesenheit zu beehren. Ich kann gar nicht sagen, wie froh und glücklich mich das macht.“[/LEFT] [LEFT]Yolanda, deren Abwesenheit Murphy bislang gar nicht aufgefallen war, eilte nun ebenfalls herbei, um sich zu ihrem Mann zu stellen.[/LEFT] [LEFT]„Ist dieser Kerl derart wichtig?“, murmelte er leise.[/LEFT] [LEFT]„Aber natürlich.“[/LEFT] [LEFT]Zum zweiten Mal an diesem Abend zuckte Murphy zusammen, und zum zweiten Mal war Valeria die Verursacherin. Sie war wieder neben ihn getreten und musste seine Frage gehört haben.[/LEFT] [LEFT]„Ich bekomme noch einen Herzinfarkt wegen dir“, klagte er wenig ernst.[/LEFT] [LEFT]„Genau wie mein Onkel Murphy“, seufzte sie theatralisch. „Darf ich dir vorher wenigstens noch deine Sektflöte abnehmen? Ich glaube, die sind teuer.“[/LEFT] [LEFT]Er stellte das leere Glas auf ihrem Tablett ab, wofür sie ihm dankte. Dann nickte sie in Richtung der Neuankömmlinge, die gerade auch Yolandas Lobeshymnen über sich ergehen ließen. Der neutrale Gesichtsausdruck des Manns im weißen Anzug, der sich inzwischen neben den Rollstuhl gestellt hatte, wandelte sich dabei kein bisschen.[/LEFT] [LEFT]„Weißt du, wer die beiden sind?“, fragte Valeria. „Ach, lass nur, ich sehe das schon an deinem Blick. Das ist Harry Stewart, der Mann, dem die Stadt im Grunde gehört. Außerdem hat er dazu beigetragen, dass nach dem letzten Jahr und den Serienmorden hier wieder alles richtig läuft. Er ist praktisch ein Heiliger für die Leute hier.“[/LEFT] [LEFT]Murphy unterdrückte sein Augenrollen angestrengt. Nachdem er gerade mit Adrian über Verehrung für den Wald gesprochen hatte, erschien es ihm geradezu grotesk, dass hier auch noch ein Heiliger auftauchte. Deswegen ignorierte er diesen Punkt und stellte für sich selbst lieber fest, dass es Sinn ergab, jemanden zu einer Galerieeröffnung einzuladen, der so viel Ansehen besaß.[/LEFT] [LEFT]„Und wer ist sein Begleiter?“[/LEFT] [LEFT]„Michael Tillotson. Mr. Stewarts Pfleger und Adoptivsohn, soweit ich weiß. Seit letztem Jahr haben sie viel für die Stadt getan, allein schon deswegen würde man sie zu solchen Anlässen einladen.“[/LEFT] [LEFT]„Reiche Menschen werden sowieso gerne eingeladen“, meinte Murphy.[/LEFT] [LEFT]Sie nickte leise lachend.[/LEFT] [LEFT]Inzwischen war auch Yolanda am Ende ihrer kleinen Rede angekommen, Michael beugte sich ein wenig vor, während Harry den Kopf hob und ihm anscheinend etwas zuflüsterte. Dann richtete der Betreuer sich wieder auf, streckte den Rücken durch und verschränkte die Arme hinter sich. „Die Einladung war höchst willkommen, drum wurde sie von uns gut aufgenommen. Sagt Mr. Stewart.“[/LEFT] [LEFT]Dass er auch noch mit Reimen anfangen würde, hätte Murphy absolut nicht erwartet, deswegen blinzelte er irritiert darüber. „War das ein Zufall?“[/LEFT] [LEFT]Statt einer Antwort zwinkerte Valeria ihm nur zu und konzentrierte sich weiter auf das Geschehen.[/LEFT] [LEFT]„Wie gefällt Ihnen die Ausstellung bislang?“, hakte Yolanda nach.[/LEFT] [LEFT]Wieder beugte Michael sich kurz vor, dann richtete er sich erneut auf. „Zu sehen diese Bilder ist höchst erhebend, diese Gelegenheit macht uns daher schwebend. Sagt Mr. Stewart.“[/LEFT] [LEFT]Murphy sah zu Boden und gab ein leises Brummen von sich. „Geht das niemandem je auf die Nerven?“[/LEFT] [LEFT]„Ich denke, die Menschen hier lieben solche Schrulligkeiten einfach. Wenn du bleiben willst, solltest du dich daran gewöhnen.“ Valeria sah ihn direkt an. „Ich hoffe jedenfalls, dass du wirklich vorhast, zu bleiben.“[/LEFT] [LEFT]Er erwiderte ihren Blick, vielleicht sogar ein paar Sekunden zu lang, dann musste er sich dazu zwingen, die Augen von ihr abzuwenden, um sie nicht doch noch anzustarren. „Bislang plane ich es jedenfalls.“[/LEFT] [LEFT]Solange er nicht entdeckt wurde, wäre ihm das auch möglich. Er hoffte, es bliebe dabei, selbst wenn gleichzeitig im Ort in einem Mordfall ermittelt wurde.[/LEFT] [LEFT]Zu Murphys Glück redeten Harry und Michael nicht weiter, dafür hob Adrian sein Glas. „Meine lieben Freunde, ich möchte diese Gelegenheit – und die Ankunft unseres Ehrengastes – direkt nutzen, um zur Hauptattraktion des Abends zu kommen.“[/LEFT] [LEFT]Verhaltener Applaus ertönte.[/LEFT] [LEFT]„Sicher ist Ihnen allen das verhüllte Kunstwerk in der Eingangshalle aufgefallen. Ich möchte Sie nun bitten, mir dorthin zu folgen, damit ich Ihnen endlich enthüllen kann, was fortan jeden Gast dieser Galerie begrüßen wird.“[/LEFT] [LEFT]Adrian ging direkt mit Yolanda voraus, Michael schloss sich ihnen mit Harry an und schien weiterhin eine Konversation mit den beiden Besitzern zu führen. Die anderen Gäste folgten etwas langsamer, wie in einem respektvollen Abstand. Murphy dagegen blieb gemeinsam mit Valeria noch etwas stehen, um den großen Ansturm vorbeiziehen zu lassen.[/LEFT] [LEFT]„Endlich erfahren wir, was unter der Plane ist“, sagte Valeria mit gespielter Aufregung. „Dafür verzichte ich dann sogar auf mein Gehalt~.“[/LEFT] [LEFT]„Das wäre schade. Für dein Können hättest du nämlich besonders viel Geld verdient.“[/LEFT] [LEFT]„Awww, du alter Schmeichler.“ Spielerisch boxte sie ihm gegen den Arm. „Jetzt lass uns aber lieber gehen, sonst verpassen wir das Event doch noch.“[/LEFT] [LEFT]Schweigend gingen sie nebeneinander her, doch es war keine drückende Stille, stattdessen fühlte sie sich sogar äußerst angenehm an. Das hatte er zuletzt bei Carol gespürt. Wie es ihr gerade ging? War es ihr gelungen, mit der Vergangenheit abzuschließen?[/LEFT] [LEFT]Warum kümmert mich das überhaupt? Ich bin für sie gestorben. Es darf mich nichts mehr angehen.[/LEFT] [LEFT]„Hey, Murph“, flüsterte Valeria plötzlich, es klang überraschend süßlich. „Ist dir mal aufgefallen, dass du ganz schön finster schauen kannst?“[/LEFT] [LEFT]„Ich sehe mich selten selbst an, während ich nachdenke.“[/LEFT] [LEFT]„Dabei ist es so ein interessantes Gesicht“, führte sie an.[/LEFT] [LEFT]Er konnte nichts mehr darauf erwidern, denn da kamen sie bereits wieder in der Haupthalle an. Die anderen Gäste hatten sich dort verteilt, auch auf der Galerie über ihnen. Um niemandem im Weg zu stehen, verharrten sie neben der Tür. Dort sahen sie zwar die Attraktion nur von hinten, aber es genügte Murphy vollkommen, solange er weiter mit Valeria zusammen sein konnte.[/LEFT] [LEFT]Adrian räusperte sich und erhob seine Stimme: „Frühere Besucher der Galerie, als sie noch unter der Direktion von Diane Ames war, werden sich bestimmt an die kunstvolle Abstraktion eines Baumes erinnern, die einst hier stand. Dieses Kunstwerk verstand es, jedem Gast bei seinem bloßen Anblick den Atem zu rauben. Eine Fotografie davon findet sich auch in unserer Ausstellung.“[/LEFT] [LEFT]Entweder hatte Murphy dieses Bild nicht gesehen oder ihm keine weitere Bedeutung beigemessen. Vielleicht war es in der Realität auch wesentlich eindrucksvoller gewesen.[/LEFT] [LEFT]„Ein tragischer Vorfall verursachte Dianes Tod durch dieses Werk“, fuhr Adrian betrübt fort, worauf auch leises Flüstern einsetzte. „Wir wollen diesen Ort, an dem Dianes vielversprechendes Leben ein viel zu frühes Ende fand, deswegen auf eine ganz besondere Weise ehren. Extra für diesen Anlass, und als Erinnerung an eine großartige Frau, ließen meine Gattin und ich etwas Neues kreieren. Damit wollen wir uns auch bei den Bewohnern dieser Stadt bedanken, die uns derart herzlich in ihrer Mitte willkommen hießen.“[/LEFT] [LEFT]Er nickte jemandem zu, den Murphy nicht sehen konnte. Das Tuch bewegte sich, wurde von einem Mechanismus nach oben gezogen – und enthüllten etwas, das sogar Murphy bezaubernd fand.[/LEFT] [LEFT]Es war ein aus unzähligen Kristallen bestehender Baum, der durch den Einfall des Lichts in den verschiedensten Farben gleichzeitig zu leuchten schien. Dies wurde sogar noch verstärkt, als plötzlich Wasser durch den Stamm floss und sich auch auf die einzelnen Äste verteilte. Damit verschwammen die Farben, gingen ineinander über, lösten sich voneinander, trieben durch die Kristalle und reflektierten dies alles durch die gesamte Eingangshalle. Ein beeindrucktes Raunen ging durch die Gäste – und wurde sogar durch ein „Oooooh“ ersetzt, als das Wasser von den falschen Blättern perlte und wie bunte Tropfen in ein unter dem Baum befindliches Becken fielen. Dieses Schauspiel wurde noch wesentlich aufregender, als der Wasserkreislauf sich endgültig eingespielt hatte und es damit zu keiner Verzögerung mehr kam.[/LEFT] [LEFT]„Wow“, entfuhr es Valeria. „Das ist wirklich die Hauptattraktion des Abends.“[/LEFT] [LEFT]„Eindeutig.“[/LEFT] [LEFT]Bislang hatte Murphy sich nie wirklich für Bäume interessiert, aber plötzlich war er überzeugt, dass es sich bei diesen um die großartigste Sache aller Zeiten hielt. Er müsste sich also auch mehr mit diesen auseinandersetzen, wenn er blieb.[/LEFT] [LEFT]Und während er so neben Valeria stand und gemeinsam mit einem Teil der Bewohner Greenvales dieses außergewöhnliche Kunstwerk betrachtete, fühlte er sich wie ein fester Teil von ihnen allen, mit einem unbeschreiblichen Gefühl der Ruhe in seinem Inneren.[/LEFT] [LEFT]„Dies Farbenspiel zu betrachten ist eine Lust, da schmerzt uns nicht einmal mehr das Herz in der Brust“, verkündete Michael von der anderen Seite des Baumes. „Sagt Mr. Stewart.“[/LEFT] Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)