Wicked Rain von Flordelis (Silent Hill: Downpour x Deadly Premonition) ================================================================================ Kapitel 3: Ich komme klar. -------------------------- Trotz der verwirrenden Straßenkarte (Murphy konnte sich einfach keinen Reim darauf machen, nach welcher Art und Weise diese Straßen erbaut worden waren) gelang es Murphy, wieder zum Hotel zurückzufinden. Wenn ich länger bleibe, merke ich mir hoffentlich, wie ich zu den wichtigsten Orten komme. Dabei hatte er eigentlich nicht geplant, zu lange zu bleiben. Irgendwann müsste selbst in diesem Ort die Nachricht ankommen, dass er ein entflohener Sträfling war. Nur weil er offiziell als tot galt, müsste das immerhin nicht bedeuten, dass es nicht doch noch ab und zu Zeitungsartikel über ihn geben könnte – besonders da man seine Leiche nie gefunden hatte –, oder alte Polizeiberichte. Irgendjemand müsste nur unglücklich genug sein, darüber zu stolpern und er hätte ein ziemliches Problem. Deswegen hielt er es auch für ein schlechtes Zeichen, als er auf dem Parkplatz des Hotels ein Polizeiauto entdeckte. Es war ein schwarzer SUV, den er im ersten Moment gar nicht für einen Dienstwagen hielt – dabei waren die Sirenen auf dem Dach eigentlich ein sehr deutliches Zeichen. Im Auto sitzend, nachdem er geparkt hatte, betrachtete er den SUV mit gerunzelter Stirn. Sollte er bleiben und hier warten? Einfach hineingehen? Oder doch schnellstens die Flucht ergreifen? Eigentlich wäre es vernünftiger, zu verschwinden, immerhin bestand die Chance, dass er gerade im Hotel von einem Polizisten gesucht wurde – aber er konnte Polly nicht einfach im Stich lassen. Nicht nur, dass er in ihrer Schuld stand und ihre Medikamente bei sich trug, nein, er müsste ihr mit einer Flucht sogar das Auto, eine Erinnerung an ihren Mann, stehlen. Etwas, das er noch viel weniger konnte. Noch dazu könnte man einen solchen Wagen schnell zurückverfolgen, was einer weiteren Flucht sehr abträglich wäre. Aber hier draußen nur im Auto sitzen zu bleiben, wäre sicher auch derart misstrauenserweckend, dass er sich das ebensowenig leisten konnte. Vielleicht waren die Polizisten auch wegen etwas ganz anderem hier. Also sollte er einfach hineingehen und das Beste hoffen. Das sollte machbar sein. Er atmete noch einmal tief durch, dann griff er nach Pollys Pillendose und stieg aus dem Wagen. Er verschloss diesen sorgfältig, wie er es aus seinem Leben in einer wesentlich größeren Stadt gewohnt war, und begab sich dann zum Eingang des Hotels. Mit jedem Schritt spürte er dabei aber den Stein in seinem Magen, der ihn davon überzeugen wollte, dass es eine furchtbare Idee war, hier zu bleiben und nicht einfach zu verschwinden. Dennoch hörte Murphy nicht darauf und öffnete die Tür. Polly stand hinter dem Tresen, mit ihrem üblichen Lächeln, und konzentrierte sich auf den Mann ihr gegenüber, der sich gerade mit ihr unterhielt. Ihr Gesprächspartner war tatsächlich ein Mitglied der Polizei, das konnte Murphy an der schlamm-farbenen Uniform erkennen, die in einem Sheriff-County so üblich war. Er hielt einen braunen Filzhut gegen seine Brust gedrückt. Ansonsten wirkte er sehr jung, auch mit seinem dunkelbraunen Haar und dem kläglichen Beginn eines Oberlippenbarts, den er sich wohl wachsen ließ. Aber gerade diese Jugend war es, die Murphy sehr irritierte, als der Mann sich ihm plötzlich zuwandte – und der Stern auf seiner Brust verriet, dass es sich bei ihm um den Sheriff handelte. „Sie müssen Pollys neuer Gast sein“, sagte der Mann und reichte Murphy die Hand. „Ich bin der Sheriff dieser kleinen Stadt, Dean Summers. Nennen Sie mich einfach Dean.“ Murphy schlug in die Hand ein, um sie zu schütteln. „Charles Coleridge.“ „Verstehe.“ Er versuchte, im Gesicht des Sheriffs zu ergründen, ob er bereits wusste, wer er war, aber da er ihn nicht kannte, war ihm das auch nicht möglich. Er musste wohl aggressiver vorgehen: „Gibt es einen bestimmten Grund dafür, dass der Sheriff persönlich hier vorbeischaut?“ „In Greenvale?“ Dean lachte herzhaft. „Nein, seit einem Jahr passiert hier gar nichts mehr, wofür ich sehr dankbar bin. Ich wollte nur nachsehen, wie es Polly geht. Sie lebt hier ganz allein, abgeschieden … man weiß ja nie, was passieren könnte.“ „Obwohl hier nie etwas geschieht?“ Dean zuckte mit den Schultern. „Vorsicht ist bekanntlich besser als Nachsicht.“ „Sind Sie nicht ziemlich jung für einen Sheriff?“ Vielleicht waren es zu viele Fragen und er weckte damit erst das Misstrauen des Mannes, doch Dean antwortete arglos: „Unser alter Sheriff wurde vor einem Jahr durch einen unglücklichen Zufall von einem Blitz getroffen. Und zwei der älteren und fähigeren Polizisten starben während der Ermittlungen an einer Mordserie.“ In seinem Gesicht war deutlich Schmerz wahrzunehmen, den Murphy nur zu gut kannte. Er musste seine Kollegen gemocht haben. „Tut mir leid, das zu hören.“ Dean winkte hastig ab. „Ach, schon okay. Dank der Opfer der drei war es einem FBI-Agenten möglich, die einzige Mordserie in dieser Stadt zu beenden. Und seitdem sind wir endlich zu unserem Frieden zurückgekehrt.“ Murphy überlegte, nachzufragen, was das für Verbrechen gewesen waren, aber das erschien ihm dann doch ein wenig zu aufdringlich. Er sollte lieber herausfinden, ob es eine Bibliothek gab, in der er in alten Zeitungen nachsehen könnte. Oder er fragte später einfach seine Gastgeberin. „Polly meinte, Sie wären auf der Durchreise“, führte Dean das Gespräch fort. „Aber Sie sind ja ganz ohne Geld unterwegs, wie kommt das?“ Der Schimmer des Misstrauens schien in seinen Augen aufzuflammen. Aber Murphy ließ sich davon nicht beunruhigen. „Als ich anfing, hatte ich mehr Geld. Ich bin ziemlich naiv an diese Sache herangegangen. Aber ich komme klar. Ich habe kein Problem damit, kleine Jobs anzunehmen.“ Wie er mit seiner Hilfe für Polly, für das Übernachten, beweisen dürfte. Zu Murphys Erleichterung fragte er nicht, wo er denn eigentlich lebte. Dafür aber etwas anderes: „Gibt es keine Familie, die Ihnen Geld zukommen lassen kann?“ Selbst Murphy musste zugeben, dass es nicht normal war, plötzlich ganz ohne Geld unterwegs zu sein, und Dean schien plötzlich sogar eher besorgt als misstrauisch. „Nein, habe ich nicht.“ Das war immerhin die Wahrheit. „Das war auch der Grund, wegen dem ich losgezogen bin, um etwas Abstand zu gewinnen.“ Das schien Dean einzuleuchten. In einer kleinen Stadt, in der es in kurzer Zeit derart viele Tote gegeben hatte, verstand man wohl, dass jeder unterschiedlich mit Verlusten umging und manche dann einfach weg wollten. Statt weitere Fragen zu stellen wandte Dean sich wieder Polly zu und setzte seinen Hut auf. „Ich bin dann mal wieder unterwegs. Falls du etwas benötigst, melde dich einfach bei mir, Polly.“ „Danke, Dean.“ Nachdem er sich knapp auch von Murphy verabschiedet hatte, verließ er das Hotel wieder durch die Tür. Nach wenigen Sekunden war von draußen das Zuschlagen einer Autotür zu hören, dann das Starten eines Motors. Es schien ihm gerade wie das schönste Geräusch der Welt. Aber sollte er nun misstrauisch sein? Vielleicht kehrte Dean nur ins Büro zurück, um herauszufinden, ob er irgendwo flüchtig wäre. Und wenn er nirgends einen Charles Coleridge fand, der auf ihn passte … Vorerst wollte er das aber ignorieren. Er könnte sich damit beschäftigen, wenn dieser Fall erst einmal eintrat. Falls er nicht vorher bereits weg war. Murphy trat näher an den Tresen und legte die Medikamente darauf ab. „Ich habe alles besorgt.“ Sie nahm die kleinen Dosen an sich und betrachtete sie eingehend durch ihre Brille. Allerdings war er sich dennoch sicher, dass sie kaum die Etiketten erkennen konnte. Schließlich ließ sie die Pillendosen in ihre Schürzentasche gleiten. „Danke, Mr. Coleridge. Sie haben mir da wirklich einen großen Gefallen getan.“ Immerhin war das eine gelungene Tat. Es wäre ihm lieber, wenn er diese beibehalten könnte. Im Moment sah es nicht so aus, als gäbe es etwas zu tun, deswegen beschloss Murphy, sofort auf das eben erwähnte Thema zurückzukommen, damit diese Frage direkt aus dem Weg geräumt war und außerdem wollte er ungern versuchen, ihre Erinnerung später wieder wachzurufen. „Polly, worum ging es gerade eben? Was war das mit dem Serienmörder?“ Ihre Gedanken schienen bereits ganz woanders zu sein, denn als sie ihn wieder ansah, wirkte ihr Blick ein wenig trüb. „Was ist mit den Fernsehsendern?“ „Serienmörder“, wiederholte Murphy, betonte jede einzelne Silbe so deutlich wie möglich. „Der Sheriff erwähnte einen.“ Sie nickte bedrückt. „Ja, das ist wahr. Setzen wir uns doch, während wir sprechen.“ Dabei deutete sie mit dem Kopf zu dem Sofa hinüber, das neben dem Kamin stand. Murphy ließ ihr den Vortritt, indem er ihr genug Zeit einräumte, um die Regale hinter dem Tresen zu laufen. Kaum hatte sie sich gesetzt, nahm er neben ihr Platz. Sie sah nicht ihn an, sondern nur geradeaus als blicke sie in die Entfernung, ohne die Hindernisse zu beachten. In diesem Moment wirkte sie wesentlich älter als sonst. „Vor etwa einem Jahr“, begann sie schließlich, „fand man die Leiche der jungen Anna Graham im Greenvale Forest Park. Niemand konnte sich ausmalen, wer in dieser Stadt ein so grausames Verbrechen begehen könnte. Aber es ging das Gerücht um, dass es sich dabei um den Regenmantel-Mörder handelt.“ Murphy konnte nicht anders als sich jemanden vorzustellen, der umherschlich und Regenmäntel aufschlitzte. Aber so ernst wie Polly klang, als sie diesen Namen erwähnte, und in Verbindung mit der Tatsache, dass diese Anna getötet worden war, ging er vielmehr davon aus, dass der Mörder selbst den Regenmantel trug. Er hakte allerdings nicht nach. „Ein Special Agent vom FBI kam dann in die Stadt“, fuhr sie fort. „Er half dem Sheriff bei der Ermittlung gegen den Regenmantel-Mörder. Dabei wurde der arme Thomas ebenfalls getötet. Emily wurde auch ein Opfer des Mörders. Und unser Sheriff wurde während eines Sturms von einem Blitz getroffen.“ Gut, es konnte vorkommen, dass polizeiliche Ermittler von einem Serienkiller, den sie eigentlich aufhalten sollten, getötet wurden. Aber der Unfall des Sheriffs erschien ihm doch ein wenig zu seltsam. Da war doch mit Sicherheit etwas anderes vorgefallen. Ich bin aber kein Ermittler, ermahnte er sich. Mich geht das nichts an. „Was wurde aus dem Special Agent?“, fragte er stattdessen. Polly sah ihn nun wieder an, sie lächelte. „Er hat den Fall gelöst, indem er den Regenmantel-Mörder tötete.“ „Und wer ist es gewesen?“ „Das weiß niemand so genau. Wenn mich nicht alles täuscht, war es jemand von außerhalb der Stadt.“ Im ersten Moment fragte er sich, wie man eine solche Information vergessen könnte, aber dann erinnerte er sich wieder daran, dass Polly nicht mehr die jüngste war. Vielleicht hatte sie es auch einfach vergessen. Aber im Endeffekt konnte ihm das wirklich egal sein, solange es vorbei war. Und sogar noch lange vor seiner Ankunft geendet hatte. Damit könnte er auch kein Verdächtiger werden. Vielleicht hatte sie ihn aber auch nur falsch verstanden. Dennoch verspürte er nicht den Wunsch, sie noch einmal zu fragen. Dean hatte gesagt, dass die Serie beendet war, mehr musste ihn nicht interessieren. „Agent Morgan hat übrigens im selben Zimmer geschlafen wie Sie.“ Ob es der einzige Raum war, den sie überhaupt sauber hielt? Jedenfalls konnte er sich nicht vorstellen, dass sie in ihrem Zustand zu mehr in der Lage war. Er sollte auf jeden Fall dazu beitragen, auch ein wenig zu putzen, um sich nicht mehr schuldig zu fühlen. Offenbar war alles erzählt worden, denn Polly erhob sich wieder mühsam. „Ich werde uns etwas zu essen kochen, Mr. Coleridge. Sie haben doch bestimmt Hunger.“ Ein kurzer Blick auf die Uhr verriet ihm, dass es tatsächlich schon auf zwölf Uhr zuging. War er so lange unterwegs gewesen? Diese verdammten verwirrenden Straßen! „Ein wenig“, stimmte er zu. „Kann ich helfen?“ Polly lachte amüsiert. „Ich koche doch keine Elfen, Mr. Coleridge. Aber wenn Sie gerade Zeit haben, könnten Sie bitte die Rezeption und auch die Mikrowelle hier säubern.“ Da Murphy wirklich nichts zu tun hatte, machte er sich auch sofort an die Arbeit. Er reinigte die Mikrowelle, die im Regal hinter der Rezeption stand, dann machte er mit dieser weiter. Das einzige, was bei beiden allerdings anstand, war der Staub, der sich darauf niedergelassen hatte. Dieser war schnell von ihm weggewischt worden, weswegen er nichts weiter zu tun hatte und er dann beschloss, Polly aufzusuchen. Da er sie im Speisesaal nicht finden konnte, genausowenig wie in der damit verbundenen – und unbenutzten – Küche, beschloss er, einfach dem Geruch zu folgen, der sich langsam im Hotel auszubreiten begann. Es gab insgesamt vier Türen in den Gängen, die nicht in Zimmer führten, sondern nach draußen – und eine letzte, die mit gläsernen, undurchsichtigen Panelen besetzt war, führte in einen weiteren Bereich des Hotels. Hier gab es neben einem weißen Sofa und mehreren Bildern an den Wänden auch zahlreiche Pflanzen. Ein kleiner Wintergarten, in dem stetig ein feiner Sprühnebel vorherrschte, beherbergte einige exotische Gewächse, deren Namen Murphy nicht einmal kannte. Es war so viel Grün, dass seine Augen fast schmerzten, ein kleiner roter Setzling zwischendrin bot die einzige angenehme Abwechslung. Statt sich hier weiter aufzuhalten, ignorierte Murphy die Räume, bei denen Schilder verrieten, dass sie nicht für die Öffentlichkeit bestimmt waren und ging durch eine weitere Tür mit Glaspanelen. Dahinter befand sich ein Esszimmer, das über einen eigenen Kamin verfügte, der im Moment aber nicht entzündet war. An den grau-blauen Wänden – mit hüfthohen hölzernen Armaturen – hingen Bilder, die eine Küche in einer mittelalterlichen Burg zeigten, aber daran hatte er im Moment kein Interesse. Sein Blick ging an dem großen Tisch vorbei, wanderte zu der Küchenzeile, die sich an der Wand entlangzog und in einer Hufeisenform diesen Essensbereich von dem innerhalb der Küche trennte. Polly war gerade damit beschäftigt, etwas zu kochen – und es roch geradezu köstlich. „Ah, Mr. Coleridge“, begrüßte sie ihn fröhlich. „Sie kommen gerade rechtzeitig, das Essen ist fertig. Sie haben doch hoffentlich Hunger.“ Den hatte er wirklich, genau wie die Hoffnung, dass es mindestens so gut schmeckte, wie es roch. Deswegen setzte er sich auch sofort und wartete darauf, dass sie die Teller füllte und ihm dann erzählte, was es möglicherweise noch für ihn zu tun gäbe. Gerade jetzt, in diesem Moment, in dem ihn diese angenehme Wärme umgab, genau wie der Geruch des Essens, glaubte er, eine wirklich gute Entscheidung getroffen zu haben – und er hoffte weiterhin, dass er das nicht irgendwann bereuen müsste. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)