Sturm & Drang von die-in-darkness ================================================================================ Kapitel 63: Auf der Suche nach mir selbst ----------------------------------------- Kapitel 63 Gregor schaffte es heute zügig die Kardiologie zu verlassen. Keiner der Patientenangehörigen verwickelte ihn in ein Gespräch und niemand rief ihn wegen eines Zwischenfalls zurück. Ein Glück, dachte er sich und eilte aus dem Gebäude. Der kurzhaarige Mann hoffte insgeheim Yulika wieder zu treffen. Ob sie wohl draußen stand, wie jeden Tag? Gregor sollte nicht enttäuscht werden. Sie stand auf der gleichen Stelle wie sonst auch. Als hatte sie eine Markierung aufgemalt. Sein Schritt verlangsamte sich und ein kleines Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. „Hallo, Yulika!“ „Oh, hallo.“, überrascht schaute sie zu ihm. „Erinnern Sie sich an mich?“ „Gregor. Natürlich erinnere ich mich.“ „Darf ich Sie zum Abendessen einladen? Ich wollte kochen, aber für eine Person ist der Aufwand zu groß.“ „Sie lassen wahrlich nichts unversucht, um mich von diesem Ort weg zu bringen...“ „Das verstehen Sie ganz falsch! Ich möchte Ihnen helfen. Und vor einigen Tagen konnten Sie sich doch an Teile erinnern. Sie haben es nur gut überspielt.“, klärte Gregor sie auf. „Gut, lassen Sie uns gehen.“ Das taten sie auch. Eine viertel Stunde später standen sie vor Gregor's Wohnung. Ohne neue Erinnerungsteile. „Kommen Sie!“ „Danke.“, wieder zog Yulika die Schuhe aus und stellte sie ordentlich neben die von ihrem Gastgeber. Ein Schmunzeln umspielte ihre Mundpartie. Der dunkelhaarige Russe tappte voraus ins Wohnzimmer, legte seine Akten und seinen Schreibkram auf dem kleinen Wohnzimmertisch ab. Das würde er später noch erledigen. „Wieder einen Tee?“ „Hm? Ja, gerne.“, Yulika fühlte sich schlecht. Bei ihrem ersten Besuch ging sie einfach, als Gregor eingeschlafen war. Und er behandelte sie weiter ganz normal. Das schlechte Gewissen plagte sie. „Wegen letztens...“ „Ach, da brauchen Sie sich nicht entschuldigen. Ich hab schon schlimmeres erlebt! Möchten Sie mir helfen?“, mit einem Messer und Paprika bewaffnet, stand er ihr gegenüber. „Gerne doch.“, lächelnd nahm sie ihm beides aus der Hand und setzte sich an den Küchentisch. „Konnten Sie denn mit den Erinnerungen schon etwas anfangen?“, Yulika sah kurz auf und schnitt eilig weiter. „Nein.“ „Schade...“, Gregor schnaubte enttäuscht. „Vielleicht hilft es Ihnen, wenn Sie jemandem davon erzählen.“ „Ich weiß nicht.“ „Geben Sie sich einen Ruck!“ Widerwillig stieß die Frau Luft aus. „Na schön... Als ich damals hier zur Tür hereinkam, sah ich drei junge Leute. Zwei Männer, die hatten kurze, dunkle Haare wie Sie, gut aussehend...“ „Auch wie ich?“ „Hören Sie auf!“, schmunzelte Yulika, versuchte es gleichzeitig zu unterdrücken. „Die dritte Person war wohl ich. Sie sah aus wie ich. Und wir standen vor einem Gebäude...und eine breite Treppe führte hinauf zum Eingang... Das war es auch schon.“ „Ein Gebäude zu dem eine breite Treppe führt...da gibt es unzählige Möglichkeiten... Wissen Sie welche Kleidung die Männer und Sie trugen? Gab es Kennzeichen?“ „Ich weiß es nicht...“ „Hm...wir könnten die Orte abklappern, bis wir den aus Ihrer Erinnerung gefunden haben.“ „Das ist viel zu aufwendig!“ „Aber eine Möglichkeit.“ Yulika hörte auf zu schneiden. „Sie haben Recht! Wenn ich mich wirklich erinnern will, dann darf ich nicht untätig herumsitzen.“, fest entschlossen hielt sie das Messer und zeigte auf Gregor. Der drückte es sanft zum Tisch herunter. „Dann sollten wir uns ab jetzt duzen.“, schlug er vor und Yulika stimmte nickend zu. So bereiteten die beiden gemeinsam das späte Abendessen zu. „Könntest du schon mal den Tisch decken?“ Yulika nahm Besteck und Geschirr aus dem Schrank und ging ins Nebenzimmer. Dort staunte sie nicht schlecht. Der Tisch, den sie decken sollte, war voll gestellt bis ins die kleinste Ecke. „Wo soll ich die Sachen darauf hinstellen?“ „Einfach alles auf den Schreibtisch!“, rief der kurzhaarige aus der Küche. Sie kam seiner Bitter nach und räumte den ganzen Stapel Papier und Bücher herüber. Die Unterlagen, die er zuvor von der Arbeit mitbrachte, wollte sie zuletzt abräumen, damit er sie nicht suchen musste. Als sie den Stapel Akten hoch nahm, rutschten ihr ein paar der Mappen heraus und alles fiel zu Boden. „Oh nein...“, schnell bückte Yulika sich herunter und hob alles auf. Dabei fiel ihr Blick auf eine aufgeklappte Mappe. Sie schaute auf das Patientenfoto, das an einem Zettel hing. Irgendetwas hielt die Frau davon ab, ihren Blick abzuwenden. „Ah! Was ist denn hier passiert?“ „Es tut mir schrecklich leid...“ „Geht schon in Ordnung. Ich muss das sowieso sortieren und aufarbeiten.“ Yulika's Neugier siegte. „So ein junger Mann...Was hat er?“ „Ah Kai. Grad mal 20 Jahre alt. Herzfehler. Ein guter Freund von mir. Er hat als kleiner Junge seine Mutter verloren.“ „Schrecklich...“ „Kommt er dir bekannt vor?“ „Nein... Vielleicht seine Eltern?“ „Tomoto und Yulia Hiwatari. Ich habe mit den beiden studiert... Er Jura, Yulia und ich Medizin. Moment Mal... Die Universität... Die hat eine breite Treppe zum Lesungssaal. Und dort treiben sich immer viele junge Leute herum!“, Gregor nahm ihr jetzt die Unterlagen ab und klappte die Mappe wieder zusammen. Er hätte ihr das gar nicht erzählen dürfen. „Dort sollten wir als erstes nachsehen!“, schlug der dunkelhaarige Russe vor. „Aber zuerst essen wir! Sonst haben wir alles umsonst gekocht.“, bremste Yulika ihren Freund aus. „Ja.“, sie holten das Essen herein und gemütlich nahm sie die Mahlzeit ein. „Wollen wir noch zur Universität fahren?“ „Jetzt?“ „Warum nicht? Jetzt ist fast nichts auf dem Gelände los und wir wären ungestört.“ Yulika sah zur Uhr. Es war schon fortgeschrittener Abend, die Uhr zeigte fast 22 Uhr. „Also was ist? Oder hast du noch was wichtigeres vor als dein Gedächtnis zurück zu holen?“, Gregor sah seinen hübschen Besuch auffordernd an. „Kann ich etwas dagegen sagen?“ „Nein.“, grinste er und so war es beschlossen, dass die beiden zur Universität fuhren. Draußen war es stockfinster, nur die Straßenlaternen spendeten genügend Licht um sich orientieren. Vereinzelt fuhren einige Autos auf der Straßen, doch es war menschenleer. Auf dem großen Universitätsparkplatz stellte Gregor den Wagen ab. „Da wären wir. Kommt dir schon was bekannt vor?“, wortlos stieg die Frau aus, sah sich suchend um. „Nein. Wo ist die Treppe?“ „Hier lang! Wir müssen ein Stück laufen.“, kurze Zeit später standen beide an besagter Treppe. „Und?“ „Ich bin mir nicht sicher...“, nachdenklich stieg Yulika einige Stufen hinauf. Sie schaute sich wieder um, hoffte irgendeinen Hinweis zu bekommen. Dann überkam sie ein Stechen, wieder ein heller Lichtblitz vor ihrem inneren Auge. Ein Baum. Sie und die beiden Männer saßen darunter. Unterhielten sich. Aßen miteinander. Schmerzvoll hielt sie ihren Kopf. „Der Baum... Komm!“, Yulika lief seitlich von der Treppe auf eine Rasenfläche. Ohne nachzufragen folgte Gregor ihr gespannt. Dort standen Bäume. An einem blieb sie stehen. „Hier.“ „Was ist hier? Hattest du eine Vision?“ „Ja, ich habe hier mit den zwei jungen Männern gesessen. Wir haben uns unterhalten.“ „Und du bist dir sicher?“ „Ja!“ „Das kann unmöglich sein! Yulia, Tomoto und ich, wir haben hier auch gesessen, jeden Tag!“, das konnte doch nicht wahr sein. Yulika stand an genau der Stelle, wo er damals in seiner Studienzeit immer gesessen hatte. Yulika konnte davon unmöglich wissen! Es sei denn... Nein, Gregor verwarf den Gedanken sofort wieder. Yulia war tot Und der hatte ihren Totenschein ausgefüllt. „Das muss ein Zufall sein...es gibt tausende Studenten, die diesen Platz sicher auch als ihren beansprucht haben!“, versuchte er ihre Vision zu erklären. „Vielleicht habe ich hier auch studiert.“ „Möglich. Die Jahrbücher verraten uns sicher mehr. Lass uns fahren.“ Schwermütig stimmte Yulika zu. Zu gerne hätte sie sich noch weiter umgesehen... Zurück in Gregor's Wohnung, schaltete dieser seinen Rechner an und suchte nach den Jahrbüchern der vergangenen Jahre. Im Internet konnte man mittlerweile fast alles finden was man suchte. Also warum nicht eine Frau, die ihr Gedächtnis verloren hat? Er klickte durch die einzelnen Bilder. Yulika schaute ihm dabei genau über die Schulter. „Nichts.“ Er klickte weiter. „Nein...“ „Das muss aber ungefähr dein Jahrgang sein. Schau genau hin!“ „Ja doch...“, er klickte noch ein Bild weiter. Entmutigt schüttelte sie wieder ihren Kopf. Gregor seufzte. Stellte er es sich zu einfach vor? Oder kam sie doch nicht aus Moskau? Es gab so viele Möglichkeiten. Wieder ein Klick. „Warte, nicht so schnell.“, er klickte zurück und wartete auf ihre Reaktion. „Hm...hier... Ah-“, sie hielt ihren Kopf, stützte sich an Gregor. „Das kommt mir...bekannt vor. Kannst du es ausdrucken?“ „Klar.“ „Bitte so groß wie möglich. Damit ich die Gesichter erkennen kann.“, kurz darauf hielt sie das Bild in den Händen und betrachtete es genau. „Ich würde es mir gerne in Ruhe ansehen...“ „Du willst gehen?“ „Wenn es dir nichts ausmacht.“ „Ach wo! Ich kann dich hier nicht festhalten, du bist ein freier Mensch!“, er dachte nicht einmal daran sie aufzuhalten. „Vielen Dank, Gregor. Für deine Hilfe, für alles!“, danken umarmte sie ihn. Er tat es ihr gleich, dann verließ sie die Wohnung. Gregor stand am Türrahmen und sah noch eine Weile auf den schwach beleuchteten Park der Siedlung. War es Zufall? Warum wollte sie genau dieses Foto ausgedruckt haben? Hatte sie wieder eine Vision? Wusste sie gar wer sie war? Es ließ ihm keine Ruhe mehr. Schnell ging er zurück an den Rechner, öffnete die letzte Seite erneut und schaute nochmal nach dem Bild. „Das kann doch nicht-“, der Russe traute seinen Augen nicht. Es war genau das Abschlussfoto von ihnen. Tomoto, Yulia und er. Hatte sie Yulia gesehen und dachte nun, sie sei es? Die Ähnlichkeit sprach für sie, aber er wusste es besser... Bevor sie zu ihrer Unterkunft zurückging, streifte Yulika noch durch den Park des Wohnkomplexes. Dieser Gregor brachte sie so schnell voran. So viele Erinnerungen hatte sie noch nicht auf einmal gehabt. Kannte sie ihn vom Studium? Die Frau setzte sich und betrachtete das ausgedruckte Foto. Wieder durchfuhr sie ein stechender Schmerz. Sie wurde bedroht. An eine Wand gedrückt. Sie war voller Angst. Der Mann hatte kurze, dunkle Haare. Trug eine Brille. Schreie. Von einem Kind. Ein Licht. Yulika hielt sich den Kopf. Es überkam sie eine ungeheure Panik. Irgendwas sagte ihr, dass sie flüchten musste. Sie musste hier weg. Was hatte das zu bedeuten? Wer war dieser Mann? Gregor? Ein Kind, dass nach seiner Mama rief. Wo war dieses Kind? So schnell sie konnte rannte sie weg vom Park, in die Dunkelheit hinein... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)