Stechende Begierde von daietto_usagi ================================================================================ Kapitel 3: Vorsingen -------------------- Mittlerweile war es tiefste Nacht als ich zu Hause ankam. Ich schmiss meine Jacke aufs Sofa, Schlüssel und Handy folgten. Mein Körper führte mich marionettenartig umgehend ins Bett. Schon auf dem Weg dahin schälte ich mich im Gehen müde Stück für Stück aus den Klamotten, welche ich einfach links und rechts von mir warf. „Beeeeeett~“, rief ich zombiemäßig zu meinem jetzt begehrtesten Freund und schmiss meinen ausgepowerten Körper plump in die Laken. Es dauerte keine 10 Minuten, da riss es mich auch schon in die tiefsten Träume. Die nächsten Tage verliefen ruhig. Von dem Rotschopf hörte und sah ich nichts mehr, auch wenn ich in der Zeit den Club noch 1 - 2 Mal öfter betrat als sonst, um ihn vielleicht doch wieder zu sehen. Aber da das nicht der Fall war, schloss ich mit dem Thema ab und lebte mein langweiliges Leben weiter. Wochen vergingen und auf Arbeit war es auch nur noch stressig, da das Wetter langsam besser wurde und mehr Kunden in das Café kamen. Als was ich arbeitete? Na, was wohl. Ich war ein beschissener Kellner, der meist nur einen Haufen aufgedrehter Mädels bediente. Doch irgendwie musste man ja Geld verdienen, um halbwegs leben zu können. Nach einem anstrengenden Tag auf Arbeit ging ich zu meinem Lieblings-Tattoostudio und erweiterte ein Tattoo auf meinem Arm. Die Nadel zwiebelte schon heftig auf meiner Haut, doch genau das tat gleichzeitig auch so unheimlich gut. Es schmerzte hier und da, aber es gab mir auch die seltsame Entspannung, den stressigen Arbeitstag zu vergessen. Die Zeit verging wie im Fluge, ich bekam wie immer Folie um das neue Tattoo und verließ den Laden. Mein Körper wollte nur noch ins Bett, wo ich mich einige Minuten später auch wieder fand und sofort einpennte. Der nächste Tag sollte ein ereignisreicher Tag für mich werden. Doch er begann wie so oft beschissen. Ich vergaß am Abend zuvor, die Vorhänge zuzuziehen, und nun prallte mir die gut gelaunte Sonne voller Freude ins Gesicht. Es fühlte sich an, als wenn es der Sonne richtig Spaß machen würde, einen Kerl aus seinem Schlaf zu reißen, obwohl dieser, noch völlig kaputt, einfach weiter schlafen wollte. „Boahr ey, verschwinde, scheiß Sonne, nerv jemand anderen.“, grummelte ich nur, bevor ich gereizt aufstand und einfach unter die Dusche ging, um den Tag einigermaßen gut zu beginnen. Ich frage mich bis heute, warum ich nicht einfach die Vorhänge zugemacht und weiter gepennt habe. Aber egal, wer braucht schon Schlaf, wenn man morgens kurz vor 7 Uhr in den Tag starten kann. Die heißen Wassertropfen meiner Dusche prasselten wie wild auf mich ein. Sie prallten an meinen Körper ab und perlten zwischen meinen Beinen entlang nach unten hinab in den Abfluss. Nach der ausgiebigen Körperpflege war mit mir nicht mehr viel anzufangen. Ich legte ein weißes Handtuch um meine Hüften, pflanzte mich aufs Sofa und schaltete den Fernseher ein. Irgendwas Gutes lief jederzeit, doch mein Hauptsender war eh immer ein J-Rock Kanal, wo man rund um die Uhr Konzerte, Interviews, CD-Vorstellungen, PV's und vieles mehr der tollsten und grandiosesten Bands sehen konnte. Zudem erhielt man hier die meisten Infos, wenn eine Band ein neues Mitglied suchte oder sich eine Band aus privaten Gründen wiedermal auflösen musste. Und so auch heute. Das, was gerade gezeigt wurde, ließ mich aufhorchen und erneut hoffen. Ich stellte den Fernseher lauter und setzte mich an die Sofakante. Was hörte ich da!? Ich nahm sofort mein Handy und tippte eilig die Nummer ein. Wer weiß wie lang die schon suchten? Oder ob der Aufruf ganz neu war? Ich musste es wissen und rief sofort an. Sieben Stunden später, stand ich auch schon vor einer großen weißen Tür. Nach meinem Anruf wurde ich sofort zu einem Termin geladen, direkt bei der Band, da sie wohl gerade probten. Man hörte leise die Instrumente durch die Tür hallen. Der Stil war schon mal recht rockig, was man so hörte. Das gefiel mir und so atmete ich tief durch. In voller Visu-Montur klingelte ich und merkte wie im Raum ein rotes Licht aufleuchtete. War wohl wie ein Hinweis, das jemand gerade geläutet hatte … Nicht schlecht, da man beim lauten Proben die Klingel gar nicht hören würde. Das Schlagzeug verstummte, nur leise zupfte noch jemand auf der Gitarre herum. Mein Herz raste, doch nach außen blieb ich cool. Nach den ganzen Absagen und erfolglosen Vorstellungsgesprächen bei anderen Bands und Labels versuchte ich nicht, allzu viel zu erhoffen, um nicht unnötig tief zu fallen, sollte es wieder nichts werden. Doch dann war es soweit. Die Türklinke bewegte sich und eröffnete mir den Blick auf einen jungen Mann, welcher vielleicht 1-2 Jahre älter als ich selber hätte sein können, in einem stylischen, langen Mantel mit Nieten und Schnallen. „Ja? Wie kann ich helfen?“, fragte er mich. „Schönen guten Tag, mein Name ist Ryo und ich hatte vorhin angerufen, wegen...“ Zum Ausreden kam ich nicht. Ein blonder Schönling, welcher wesentlich jünger als der andere aussah, kam mir freudig entgegen und quasselte sofort los: „Ahh, du bist das! Wir beide haben vorhin miteinander telefoniert. Freut mich, dich kennenzulernen! Meine Name ist Daisuke und ich bin der Gitarrist der Band. Komm rein, nicht so schüchtern!“ Mein Gott, der war ja gut gelaunt. Er packte mich einfach so am Arm und zog mich mit in die Wohnung. Wobei es weniger eine Wohnung war, mehr ein großer Raum mit zwei Türen. Eine an der Rückwand und die andere an der rechten Seite. Das Gebäude schien eine Art umgebaute Garage zu sein, mit angebauten Zusatzräumen. Doch statt Garagentor gab es eine normale Wand mit einer Haustür drin verbaut. Gar nicht mal so übel, denn in einer Wohnung könnte man nie in Ruhe proben, da würden sich die nebenan befindlichen Nachbarn sicher lautstark bedanken. Von daher, war dies hier eine gute Möglichkeit den Ärger mit der Nachbarschaft zu umgehen. Ich schaute mich kurz um, bevor ich auch schon einen Sitzplatz angeboten bekam. Nun sprach auch wieder der offensichtlich Ältere der beiden in ruhigem Ton: „Verzeih, das Daisuke dich so stürmisch reingezogen hat. Aber wir freuen uns einfach so sehr, das sich doch jemand für unsere Band interessiert. Bisher bist du der Dritte, den wir eingeladen haben, aber die anderen beiden haben nicht in unseren Musikstil gepasst. Dir sieht man aber schon an, das du wohl auf Rock und Visual Kei stehst!?“, fragte er mich, worauf ich sofort zustimmte: „Oh ja, sehr. Visual Kei ist mein Leben, und mein größter Wunsch ist es, endlich auf der Bühne zu stehen und mit den Fans zu rocken. Musik kann eine Menge bewirken, wenn man es gut anstellt und mit vollem Herzen dabei ist.“ Meine Antwort schien beiden sehr zu gefallen und genau in dem Moment fiel mir etwas auf, als ich mich verwundert umsah. „Darf … ich eigentlich fragen ob ihr beide schon die Band seid? Oder fehlt da noch jemand?“ Der blonde Jüngling, wie hieß er … Daisuke, lachte kurz. „Nein, nein, keine Sorge, wir sind eigentlich zu dritt, aber unser Bassist ist gerade einkaufen. Normalerweise wollte er rechtzeitig, bevor du kommst, wieder da sein. Aber naja …, wenn er einmal in der Stadt ist …!“, kicherte er weiter. Ich musste kurz mitgrinsen, denn sein Lachen steckte irgendwie ein wenig an, aber ich riss mich zusammen und fragte den Älteren: „Und wenn er nicht gleich kommt? Ich meine … gibt es … einen Bandleader bei euch?“ Der Ältere, welcher ja theoretisch der Schlagzeuger sein musste, wenn es nur die beiden gab, und Daisuke schon der Gitarrist war, nickte nur und meinte kurz und knapp: „Sitzt vor dir. Ich bin der Bandleader und auch der Songwriter in der Band.“ Irgendwie sah man dem Älteren gar nicht an, das er wohl der Kopf der Band war, obwohl er durch seine ruhige und gelassene Art wohl durchaus das Zeug dazu hatte. Wir redeten noch ein ganze Weile über alles mögliche, auch das ich noch nie Erfahrung in einer Band und generell als Sänger sammeln konnte, doch die beiden wollten mir dennoch ein Chance geben. Und weil der Bassist immer noch nicht da war, entschied der Schlagzeuger, das wir ohne ihn eine Runde proben wollten. Ich sollte nicht einfach was singen und beide hörten mir zu. Oh nein! Sie fragten nach Lieblingsbands von mir, und als wir uns auf ein paar verschiedene Songs einiger bekannten Gruppen einigten, die die beiden auch halbwegs aus dem Stehgreif spielen konnten, begann meine erste Probe mit einem gewissenhaften Schlagzeuger und einem aufgeweckten Gitarristen. Das erste Lied war rockig, jedoch ohne Schreien. Dies wurde dann im zweiten Lied von mir verlangt, was für mich aber kein Problem war. Ein unsicherer Blick zum Gitarristen ließ mich meine Zweifel vergessen, denn er lächelte mich sehr begeistert an und kam sogar zu mir und lehnte sich an meine Schulter, während er weiter seine flinken Finger über den Gitarrenhals gleiten ließ. Das Gefühl war unbeschreiblich. Der Blonde war schon echt süß, musste ich zugeben. Im dritten Lied musste ich plötzlich verwirrt abbrechen. „Was´n los? Wieso singst du nicht weiter?“, wollte Daisuke wissen, der sich von mir aus dem Konzept gebracht fühlte und ebenfalls aufgehört hatte, zu spielen. „Shit. Wie ging denn der Text weiter?“, überlegte ich verlegen grinsend und kratzte mich nachdenklich am Hinterkopf. „Ich hab die Lyrics von dem Song wohl doch nicht so sicher drauf, wie ich dachte ... Tut mir leid.“ Mein Herz raste. Nachdem ich vorhin schon einen Einsatz verpasst hatte, jetzt auch noch das! Ich hatte es endgültig verkackt, fuck! Daisuke und der Drummer überlegten ebenfalls einen Moment erfolglos, kamen aber genauso wenig zu einem Ergebnis wie ich. „Egal. Lass uns halt mit dem nächsten Song weitermachen.“, schlug der Bandleader stoisch vor. „Das ärgert mich aber. Das darf nicht passieren!“, mahnte ich mich selber schon für diesen Fehler an. „Ach was, keine Sorge. Wir haben noch nie zusammen gespielt. Da KANN nicht alles auf Anhieb perfekt laufen. Ist doch ganz normal.“, tröstete er mich. Seine beruhigende Art gab mir wieder etwas Sicherheit und das tolle Bandgefühl kam fast schlagartig zurück. Umso mehr schade drum war es, als die 4 ausgewählten Songs durch waren und ich voller Hoffnung zum Bandleader sah. Ich konnte in seinem Gesicht nichts lesen … was er dachte … wie es ihm gefiel … was er sagen würde. Doch er sprach Gott sei Dank wenigstens einen Satz: „... selbe Band ... fünftes Lied der CD. Danach erfährst du meine Entscheidung.“ Oh man ich kann nicht sagen, wie nervös mich das machte. Seine Stimme war so eintönig und nichtssagend. Wo stand ich bei ihm? Wollte er das eine Lied, weil ihm die anderen noch nicht zusagten, oder war er angetan und wollte sich mit dem einen Lied noch überzeugen lassen? Ich sah nach, welches Lied er meinte. Lied 5 … ein sehr emotionaler und gefühlvoller Song. Es ging um Trauer, Verlust und Zweifel. Das sollte mein letztes Lied sein!? Himmel! Ich sah zu ihm und nickte. Meinen Puls versuchte ich zu beruhigen. Jetzt musste ich von lautem Schreien und geballtem Stimmvermögen zu ruhigen und herzergreifenden Lauten wechseln. Aber ich wusste, das genau das ein Sänger können musste. Die Balance von energiereichen und ruhigen Songs auf einem Konzert musste gehalten werden … ich war bereit dafür. Ich sah zum Schlagzeuger, der Gitarrist tat es mir gleich. Nach dem Eintakt spielte Daisuke in langgezogenen Klängen eine sehr gefühlvolle Melodie, die mich in die Stimmung brachte, die für dieses Lied notwendig war. Ich schloss meine Augen, lauschte dem Schlagzeug hinter mir und wartete auf meinen Einsatz. Da war der Moment, die Sekunde, an dem ich konzentriert meine Stimme aus meiner Kehle befreien, und das was das Lied in sich trug, an die Oberfläche bringen musste …Gefühl! Der Song war perfekt. Die Atmosphäre stimmte und das Bandgefühl war da. Ich wusste nicht, was der Bandleader hinter mir von meiner Stimme hielt, doch jetzt gerade, in dem Moment, war es mir egal. Alles war mir egal. Ich schaute kurz während eines stimmungsvollen Gitarrensolos rüber zu Daisuke, welcher auf einem Hocker saß und spielte. Seine Augen waren geschlossen … er fühlte den Song. Das sah man ihm an. Als das Lied weitere Zeilen mit meiner Stimme erhielt und leider auch der schönste Moment ein Ende haben musste, verstummten die letzten Klänge der beiden Instrumente im Raum. Einen kurzen Augenblick lang war Ruhe. Ich hörte, wie der Schlagzeuger seine Drumsticks auf seinem Hocker ablegte und aufstand. Ich drehte mich zu ihm und blickte ihm in die Augen. Wir sahen uns an. Er schaute kurz zu Daisuke rüber, welcher einfach nur wie verrückt lächelte. Doch der Ältere verzog zunächst keine Miene, bevor er doch endlich ein entspanntes Gesicht aufwies und mir sogar ein Lächeln schenkte, als er zu mir sprach: „Glückwunsch … du bist in der Band!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)