adventures of my mind von Earu (#aomm) ================================================================================ #Grenze - Like Jekyll & Hyde ---------------------------- „Mark. Was ist-“ „Kann ich für eine Weile hierbleiben? … Nur hierbleiben? Bitte, Emma …“ „Du stellst dämliche Fragen, natürlich!“ Es war weit mehr als ein Jahr her, dass Mark wie ein Häufchen Elend vor meiner Tür gestanden und zugegeben hatte, dass Natasha nicht gerade die beste Wahl für eine Beziehung gewesen war. Er hatte Schutz bei mir gesucht, weil er den Gedanken, mit all seinen Erinnerungen in seiner eigenen Wohnung allein zu sein, nicht ertragen hatte. Es hätte ihn umgebracht, hatte er mir erzählt und ich hatte ihm geglaubt. Ich hatte ihm schließlich immer geglaubt und vollstes Vertrauen in ihn gehabt … bis auf dieses eine Mal, in dieser einen Sache. Aber genau deshalb war es in dieser Zeit an mir gewesen, mich um meinen besten Freund zu kümmern, ihn zu trösten und ihn wieder aufzubauen. Ich hatte kommen sehen, was ihm passiert war, auch wenn er es immer abgetan hatte. Vielleicht hätte ich auch überzeugender sein müssen, aber wenn Mark sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte, dann war er nur sehr, sehr schwer wieder davon abzubringen. Vorwürfe hatte ich ihm keine mehr gemacht – um Himmels Willen! – er hatte schließlich von selbst eingesehen, dass es dumm gewesen war, sich so kopflos in eine Affäre mit seiner Film-Partnerin zu stürzen. Und zu leiden hatte er ohnehin schon genug. Stattdessen hatte ich alles getan, was ich konnte, damit ihn dieser fatale Fehler am Ende nicht noch komplett zerstörte, damit er nicht noch mehr Dummheiten machte, indem er der Welt den Rücken kehrte und in Selbstmitleid versank. Leicht war es natürlich nicht gewesen. Es hatte sehr lange gedauert, ehe Mark sich wieder einigermaßen gefangen hatte. Anfangs hatte er mir Listen geschrieben, wenn er etwas aus seiner Wohnung brauchte. Drei Monate lang, ehe er es das erste Mal wagte, an diesen Ort zurückzukehren. Es war nur ein sehr kurzer Besuch gewesen, bei dem er wieder einmal nur ein paar Sachen geholt und dann schon fast die Flucht ergriffen hatte. Drei weitere Monate hatte dieser Zustand angehalten, bis ich ihn dazu hatte überreden können, dass er sich der Situation stellen musste. So gern ich ihn auch hatte und so nah ich ihm auch stand, ich wollte nicht, dass er sich weiterhin in meiner Wohnung verkroch, dass es endlos so weiterging und er ständig Angst hatte, noch einmal so tief verletzt zu werden. Den Auszug aus meiner und die Rückkehr in seine Wohnung hatte er trotzdem erst vor einem knappen viertel Jahr endgültig geschafft. Vorher war es immer ein Wechsel gewesen, bei dem er noch regelmäßig bei mir übernachtete, ich sein Gästezimmer besetzte und wir ganze Tage zusammen verbrachten. Unsere Jobs – er war Schauspieler, ich Musikerin – ermöglichten es uns Gott sei Dank, dies zu tun. Aber nun war es geschafft, Mark lebte wieder allein, musste nicht ständig jemanden um sich herum haben (von seiner Katze mal abgesehen) und war fast wieder der Alte. Und doch … ich schien etwas übersehen zu haben. Gewisse Dinge schien er mir, obwohl wir uns gegenseitig blind vertrauen konnten, verschwiegen und in sich verschlossen zu haben. Mark begann, sich komisch zu verhalten. Es kam langsam und schleichend: Er kippte um, verkehrte sich ins Gegenteil. Klar wurde mir das jedoch erst, als ich ihn eines Tages quasi inflagranti erwischte: Ich kam in seine Wohnung, mit einer Tasche voller DVDs und Süßigkeiten, mit denen wir es uns bei einem Filmabend gemütlich machen wollten. Ich hatte mich schon gewundert, wieso Mark nicht auf mein Klingen reagiert hatte. Hätte ich keinen eigenen Schlüssel zu seinem Apartment gehabt, hätte ich wohl die ganze Nacht vor der Tür gestanden. Dann aber stolperte ich über gleich zwei paar hochhackige Schuhe, die kreuz und quer im Flur lagen. Und noch bevor mir richtig klar werden konnte, was das zu bedeuten hatte, hörte ich sie: die Stimmen von zwei kichernden Frauen und dazwischen Marks, die einen ganz ungewöhnlichen Klang hatte – tiefer als sonst, dunkler, rauchig. Dann stöhnte er, es machte klick in meinem Kopf und ich mich selbst vom Acker. Keine Ahnung, ob er mitbekam, dass ich überhaupt da gewesen war, denn wenn er die Klingel nicht gehört hatte, würde er er sich wohl kaum um meinen überstürzten Abgang scheren. Wir waren seit unserer Kindheit befreundet, aber ich war nicht an Marks Sexleben interessiert, solange es ihm nicht schadete. Ich sprach es also nicht an, sondern tat einfach so, als wären wir nie verabredet gewesen. Das Problem an der Sache war nur, dass sein Verhalten eben doch Schwierigkeiten verursachte. Es dauerte nicht lange, da war ich nicht mehr die einzige, die von Marks Affären wusste. Die Fotografen, die ihn ständig belagerten, wurden immer zahlreicher und erwischten ihn, wie er sich ständig mit anderen Frauen herumtrieb, in Clubs abhing, auf Promi-Parties ging. Die Klatschblätter feierten ihn als Playboy, seine Filmkarriere stieg trotz dieses unsteten Lebensstils sprunghaft an und während er sich früher Gedanken um die Art seiner Figuren gemacht hatte, nahm er in kommenden Monaten immer wieder Rollen vom gleichen Kaliber an: der Aufreißer. Er war dabei ständig auf Achse, ich sah ihn kaum noch und erfuhr fast nur aus den Medien über sein Leben. Und dann war sie wieder da: Natasha. Sie wurde zu einer Art Konstante in der Parade bedeutungsloser One Night Stands, mit denen Mark sich begnügte. Seit ihrer letzten Begegnung dürften ungefähr anderthalb Jahre vergangen sein und sie hatte sich sichtlich verändert: Sie hing plötzlich an ihm. Ich würde das, was die beiden verband, nicht wirklich als Liebe bezeichnen, sondern viel eher als ein Abkommen. Schließlich hörten die Affären nicht plötzlich auf, nur weil er sich plötzlich wieder mit Natasha traf. Er machte weiter. Und ich fühlte das Bedürfnis, ihm – wieder einmal – ins Gewissen zu reden. Ich hatte damals lange genug mit angesehen, wie Mark ihr hinterhergerannt war, während sie ihn wie den letzten Dreck behandelte. Sie hatte sich von ihm bitten und anbetteln lassen, ehe sie sich einmal auf ein von ihm so ersehntes Treffen eingelassen hatte. Ich hatte zugesehen, wie es ihn langsam zerstört hatte, bis es mit einem großen Knall auseinandergegangen war – bis Mark vollkommen verheult, betrunken und elend aussehend vor meiner Tür gestanden hatte. Es hatte Wochen gedauert, bevor er mir davon erzählt hatte: dass Natasha neben ihm eine feste Freundin hatte. Das hatte ich schon gewusst, allerdings war mir neu gewesen, dass besagte Freundin sich über ihre Konkurrenz überhaupt keine Gedanken gemacht hatte: Natasha wäre wohl so, sie müsste ab und zu einfach mal von jemand Neuem ordentlich flachgelegt werden. Mark hatte dies hart getroffen, war ihm doch immer der passive Part aufgedrängt worden. Natasha hatte mit ihm gespielt, und er hatte sie von ganzem Herzen geliebt. Mir hatte es widerum das Herz gebrochen, ihn so am Boden zu sehen. Mark und ich trafen uns ungefähr einen Monat, nachdem er zum ersten Mal wieder öffentlich mit ihr gesehen worden war. Und er tauchte leicht angetrunken bei mir auf. „Lange nichts mehr voneinander gehört“, sagte ich mit unfreiwilligem Vorwurf in der Stimme, als ich mich auf meine Couch setzte und Mark den Rotwein, den er mitgebracht hatte, in Gläser füllte. Er schob mir eins zu, setzte sich neben mich und hob sein eigenes Glas an, um mir zuzuprosten. „Es tut mir leid“, sagte er daraufhin und stieß mit mir an, „ich war beruflich ziemlich eingespannt. Hast du vielleicht gesehen.“ „Ja, ich hab mitgekriegt, dass du in acht Monaten in fünf Filmen, drei Werbespots und einer Serienfolge warst. Ich habe mir alles angesehen und auch wenn deine Rollenvielfalt abgenommen hat, fand ich dich gut.“ „Danke“, meinte er mit lockerem Plauderton und einem strahlenden Lächeln im Gesicht. Aber seine Augen wirkten leer. „Und was hast du so getrieben?“ „Das neue Album meiner Band aufgenommen, das letzten Monat rausgekommen ist.“ Ich merkte, dass ich wütend wurde, als ich dies sagte. Und verlor die Geduld einen Moment später. „Oh, cool. Schick mir doch mal eine Kopie zu, dann hör ich es mir an.“ Das war der Moment. Ich stellte mein Glas, an dem ich nur genippt hatte, wieder auf den Tisch, sah Mark erst an und begann meine Tirade: „Bitte, Mark, red nicht so mit mir.“ Er zog die Augenbrauen verwundert hoch. „Wie denn?“ „Als wäre ich eine deiner Blondinen, denen du am Ende des Tages versprichst, dass du sie anrufst, wenn sie dir ihre Nummer geben. Ich lese, Mark, und ich schaue fern. Ich kriege mit, was du so alles treibst. Und ich finde nicht gut, dass du diese ganzen Frauen verschleißt. Oder dass du anscheinend wieder mit Natasha zusammen bist.“ Wenn ich gedacht hatte, dass wir durch meine Vorwürfe ein ernsthaftes Gespräch führen würden, dann hatte ich mich gewaltig geschnitten. Anstatt sich für sein Verhalten zu schämen … oder irgendwas in der Art, hellten sich seine Gesichtszüge plötzlich auf und er zeigte mir erneut sein falsches Kameralächeln. „Ach, da brauchst du dir keine Sorgen zu machen“, versuchte er, mich zu beruhigen. Zumindest vermutete ich, dass er dies bezweckte. „Diesmal ist alles anders als früher. Jetzt habe ich Tasha in der Hand, sie tanzt nach meiner Pfeife und nicht umgekehrt. Und du glaubst gar nicht, wie scharf sie auf mich ist. Sie hat sich von ihrer Freundin getrennt und erträgt es sogar, dass ich noch andere Mädchen hab.“ „Das klingt nicht gerade nach ihr“, war ich zweifelnd ein. „Ich kann sehr überzeugend sein, weißt du“, scherzte er und trank sein Glas mit einem großen Schluck aus. Jedenfalls hoffte ich, dass er scherzte, denn der Blick, den er mir dabei zuwarf, war mir mehr als nur unangenehm. „Dann hat sich nicht nur sie ziemlich verändert. Damals hast du alles getan, um sie zu halten, und sie hat dich trotzdem weggeworfen. Vergiss das bitte nicht.“ „Keine Sorge, sie frisst mir aus der Hand. Sie fressen mir alle aus der Hand.“ „Mark, es gefällt mir nicht, in welche Richtung das geht.“ „Ich kann dich überzeugen, wenn du willst.“ „Das glaube ich ni-“ Doch noch bevor ich den Satz beenden und erneut Zweifel kundtun konnte, hatte Mark sich ganz dicht an mich herangeschoben, mich an den Schultern gepackt und mir seine Lippen auf den Mund gedrückt. Er realisierte kaum, was er da tat. Ich wollte überhaupt nicht realisieren, was er da tat, denn wir waren immer beste Freunde gewesen und hatten nie versucht, irgendetwas anderes daraus zu machen. Und nun saß er da und küsste mich – auf eine Art und Weise, die mir im wahrsten Sinne des Wortes nicht schmeckte. Ich befand mich für einen Moment in einer Schockstarre, und Mark nutzte diese paar Sekunden, um sich näher an mich zu drängen, mich auf den Rücken zu zwingen und unter sich zu begraben. Dann drängte seine Zunge in meinen Mund, der offenbar vor Schreck etwas offengestanden hatte, und schob eine Hand von meiner Schulter über meine Brust bis zu meiner Hüfte. Er betatschte mich, befummelte mich. Mir wurde flau im Magen und ich bereute, dass ich einen Rock trug, denn ich konnte die Hand nur kurz darauf in meinem Schritt spüren, wie sie an meinem Slip herumnestelte. Und dann erwachte ich – endlich – aus meiner Starre und stieß Mark mit aller Kraft von mir. Ihm entkam dabei ein Laut des Unmuts, und als er Anstalten machte, sich erneut auf mich zu werfen, setzte ich meinen nackten Fuß auf seine Brust, um ihn auf Abstand zu halten. „Was soll das?“, fragte Mark verständnislos. „Das sollte ich dich fragen!“, wütete ich, genau darauf bedacht, immer eine Beinlänge zwischen uns zu lassen. „Wie kommst du auch die beschissene Idee, dass ich mit dir rummachen wollen würde?! Ich bin keins von deinen dummen Häschen, die sofort die Beine breit machen, wenn du nur zwinkerst!“ „Ich will dich überzeugen.“ „Nein“, widersprach ich, „wenn du jetzt nicht aufhörst, willst du mir deinen Willen aufzwingen. Du wirst mir wehtun, weil ich nämlich nicht von dir überzeugt werden will … Wenn man's genau nimmt, hast du das schon längst gemacht: Ich bin davon überzeugt, dass Natasha dir nicht gut tut und nie gut getan hat. Du bist von Doktor Jekyll zu Mister Hyde geworden, verdammt nochmal!“ Den letzten Satz schrie ich ihm entgegen, und obwohl ich es nicht wollte, begann ich zu weinen. Es sah ganz danach aus, als hätte ich meinen besten Freund verloren – vielleicht schon vor Monaten. Und als mir dies bewusst wurde, verspürte ich einen Schmerz, wie ich ihn noch nie zuvor gefühlt hatte. „Mark ist mein bester Freund“, heulte ich, „aber du bist nicht mehr Mark. Du bist … du bist ein kollosales Arschloch geworden!“ „Emma …“ Erstmals seit langer Zeit redete er wieder normal mit mir. Aber vielleicht bildete ich mir die Reue in seiner Stimme in meiner Hysterie nur ein. Und wenn es so war, dann durfte ich jetzt nicht noch mehr Schwäche zeigen als ohnehin schon. Ich wischte mir die Tränen aus dem Gesicht und sah Mark fest an: „Ich will, dass du dich entscheidest: ich oder sie. Weil, wenn du dich weiter mit ihr abgibst, wirst du vollkommen zu jemandem, den ich nicht kennen möchte. Ich will, dass du wieder der gute Mensch wirst, den ich so lieb hab.“ Er sah mich daraufhin für eine gefühlte Stunde nur stumm an und vergrub das Gesicht dann in den Händen. Noch eine Ewigkeit später, nahm er sie wieder weg und schob sanft meinen Fuß von seiner Brust, blieb aber am anderen Ender der Couch sitzen. „Es tut mir leid“, sagte er mit definitiv belegter Stimme, „ich will dir nichts antun. Ich … ich weiß nicht, warum ich das gemacht habe.“ „Weil du ein Idiot bist.“ „Danke schön.“ „Ich meine das ernst.“ „Und ich auch: Danke, dass du da bist. Du hast recht: Ich muss damit aufhören.“ Das war es. Das reichte aus, denn sein Gesichtsausdruck sagte mehr als tausend Worte. Ich sah ganz deutlich, dass das die Wendung war, und die Angst wich wieder aus meinen Gliedern. Er würde an sich arbeiten und ich würde ihm dabei helfen. Ich würde ihn wie schon einmal wieder aufbauen, wenn er strauchelte. Wir vertrugen uns an diesem Abend wieder, redeten lange und sprachen uns aus. Als es Mitternacht war, schalteten wir den Fernseher ein, wo gerade die Spätnachrichten liefen. Und was dort gemeldet wurde, haute uns beide aus den Latschen: „Die Schauspielerin Natasha Erin gab heute bekannt, dass sie ihre langjährige Partnerin, die Journalistin Jessica Klein, heiraten wird. Damit wirkt sie auch den Gerüchten entgegen, die in den vergangenen Wochen um sie und ihren ehemaligen Film-Kollegen Mark Baril entstanden sind. Der Star aus „Sieben Tage Himmel“ gab an, dass die Trauung im Frühling stattfinden soll. Nun zum Wetter-“ Ich konnte es nicht fassen. Mark offensichtlich auch nicht, denn er hatte während des Beitrags meine Hand genommen und drückte sie so fest, dass es weh tat. Aber diesen Schmerz konnte ich ertragen – für ihn, für meinen besten Freund. Alles würde gut werden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)