Can you see the rabbit in the moon? von FreeWolf (The Abroad-Experience) ================================================================================ Kapitel 1: "Tala, verbesserte sie sich" ---------------------------------------     Hiromi beglückwünschte sich im Stillen dafür, im letzten Moment doch noch ein Schild mit Textmarker vollgeschmiert zu haben – der Artikel eines russischen Sportmagazins sowie exzessives Recherchieren über diverse Internetsuchmaschinen hatten sie zu einer korrekten Schreibweise von Yuriy Ivanovs Namen kommen lassen. Die vier verunglückten Schilder warteten in ihrem Zimmer darauf, zum Altpapier zu wandern. Der Rotschopf, der ihr entgegentrat, war alles, nur nicht das, was sie erwartet hatte. Sie hatte sich überhaupt nicht mehr an das Aussehen von Yuriy Ivanov erinnern können; erst alte Fotos aus den Akten der BBA sowie eine Recherche im Internet hattten ihr eine ungefähren Eindruck von ihm geben können. Das aktuellste Foto war wohl mindestens vier Jahre alt, stellte sie in diesem Moment fest, während der hoch gewachsene, blasse Russe mit dem roten Haar und den stechend blauen Augen auf sie zutrat. Er trug sein Haar lang und in einem Pferdeschwanz zurückgebunden sowie dunkle Kleidung, die eindeutig für kühleres Wetter bestimmt war. Der Bartschatten, der seine markanten Backenknochen einrahmte, erinnerte Hiromi an die verruchten Unterwäschemodels, die sie jeden Monat mit einer neuen Pose in ihrem Kalender erfreuten. Sie besann sich gerade rechtzeitig auf ihre guten Manieren. Hiromi verbeugte sich und begrüßte Yuriy Ivanov in Japan – ganz, wie es sich gehörte und wie ihre Mutter es ihr eingebläut hatte. Schließlich war sie dafür von der BBA eingestellt worden.     Hiromi war erleichtert als sie sich hinters Steuer klemmen und auf den Verkehr konzentrieren konnte. So durfte sie sich noch für ein paar Momente ihrer wirklichen Tätigkeit für die BBA entziehen und ein wenig so tun als hätte sie nichts weiter zu tun als Yuriy Ivanov zum Dojo zu bringen. Tala, verbesserte sie sich in Gedanken. Ihr Beifahrer hatte sich zurückgelehnt, seine Sonnenbrille auf der Nase geradegerückt und sich seitdem ruhig verhalten, was Hiromi auf den Jetlag und die verhältnismäßig lange Reise zurückführte – so war das Schweigen zwischen ihnen konstant und einzig unterbrochen von dem munteren Geplapper eines der in ihrem Stadtteil beliebten Radiosprechers. Dieser warnte gerade auch vor Stau auf der Strecke direkt durch den Südteil der Stadt, den die Japanerin eigentlich als Route vorgesehen hatte. Doch anscheinend verwehrten ihr die Götter – oder was auch immer – ihr den kürzesten Weg zum Dojo, damit sie sich möglichst bald wieder ihren Unterlagen widmen konnte. Nun ja, dachte Hiromi, dann bleiben wir eben etwas länger auf dem Weg. Die Aussicht auf eine weitere durchlernte Nacht für irgendein Betriebswirtschafts-was-auch-immer war nicht die schönste, das musste selbst sie als engagierte Studentin zugeben. „Es gibt eine Stauwarnung für unsere ursprüngliche Strecke“, teilte sie so ihrem Beifahrer mit, der dies ungerührt zur Kenntnis zu nehmen schien, „Wir machen einen kleinen Bogen, sparen uns so aber etwas Zeit.“ Ihr fiel auf, dass der Russe vermutlich keine Ahnung von der Tokyoter Stadtstruktur hatte und nahm sich vor, ihm möglichst bald eine möglichst komplette Stadtkarte – oder, noch besser, einen Reiseführer – in die Hand zu drücken, mit einer groß geschriebenen Adresse auf einer Karte. Hiromi setzte den Blinker und bog etwas zu scharf in eine der Seitenstraßen ein, welche kurz vor der nächsten großen Kreuzung nach links ins Gewirr aus Seitengassen führte und sie beinah direkt bis zum Dojo bringen würde. Die Japanerin beglückwünschte sich selbst dazu, diese Route herausgesucht zu haben – ihren Weg kreuzten zu dieser Tageszeit nur ältere Damen und streunende Tiere. Sie konnte geruht die Geschwindigkeitsbegrenzung voll ausnutzen. Der kleine Firmenwagen, auf dessen Fahrertür peinlich-bunt das Logo der Organisation prangte und den die BBA ihr für die Dauer ihrer Beschäftigung zur Verfügung gestellt hatte, war genau das richtige Modell für ihren Fahrstil, fand Hiromi und nahm nochmals eine Kurve gerade ein bisschen zu schnell. Kyoujus Reaktion war jedes Mal Gold wert – es waren kleine Momente ausgelebten Alltagssadismus. Gerade in dem Ausmaß, in dem sie es sich erlauben konnte, sodass es sie mit schelmischer Freude belohnte. Doch ein Seitenblick zu ihrem Beifahrer nahm ihr den Wind aus den Segeln; die erwartete Genugtuung blieb aus. Der Rotschopf zeigte keinerlei Reaktion, sondern rückte nur die Sonnenbrille zurecht als sie direkt der langsam untergehenden Sonne entgegenfuhren. Sie waren schon fast an der Straße am Fluss angekommen, wo Takao und Max und die anderen vor inzwischen mehr als fünf Jahren noch gemeinsam trainiert hatten. Hiromi wollte schon eine kleine Anekdote von sich geben, überlegte es sich dann aber doch anders. Was wusste dieser Yuriy – oder Tala, verbesserte sie sich in Gedanken – von ihrem Team? Auch wenn es inzwischen nicht mehr bestand und sich ihr Freundeskreis in alle Winde verstreut hatte, verspürte Hiromi doch noch eine Art Beschützerinstinkt gegenüber Fremden, die sie nicht einschätzen konnte. Dieser Yuriy – Tala, verbesserte sie sich erneut in Gedanken – zählte eindeutig zu dieser Gruppe von Menschen. Während Takao sich lautstark über die Möglichkeit gefreut hatte, an die alten Zeiten und den alten Ruhm rund ums Beybladen anzuknüpfen, war ihr eher mulmig zumute gewesen, insbesondere, nachdem sie ihre Rolle in dem ganzen Spiel erfahren hatte. Kyouju hatte mit aufblitzenden Brillengläsern gemutmaßt, Mr. Dickenson habe sich im letzten Jahr vor seiner Pensionierung nochmals auf seine alten Tricks verstanden – was er genau damit meinte war Hiromi allerdings unklar geblieben. Eine letzte Abzweigung, und sie waren angekommen. Hiromi brachte den Wagen gerade eine Spur zu ruckartig an der Außenmauer der Dojoanlage zum Stillstand. „Wir sind angekommen“, teilte sie Yuriy mit einem Lächeln mit. Tala, verbesserte sie sich seufzend. Der Rotschopf nickte und nahm die Sonnenbrille ab. Er verstaute sie in seiner Manteltasche, während er seine langen Gliedmaßen aus dem Wagen schälte. Hiromi wartete, bis er seine Reisetasche vom Rücksitz genommen hatte, und schloss den Wagen ab, ehe sie ihm mit einer Handbewegung den Weg wies. „Hier entlang“, erklärte sie freundlich und deutete zum verschlossenen Tor des Dojo. Es fühlte sich auch nur ein winziges Bisschen komisch an, nicht Takao oder seinen Großvater vorzufinden, sondern selbst aufzuschließen – Hiromi kam es wie eine Ewigkeit vor, dass sie sich alleine in diesem Gebäude aufgehalten hatte. Doch sie hatte die Erlaubnis – ja, sogar die Einladung – der Hausbewohner und einen Gast, der fürs erste ankommen sollte. Yuri- Tala streifte auch ohne eigene Anweisung die Schuhe ab, nachdem er das Haus betreten hatte, stellte Hiromi befriedigt fest, und ließ sich schweigend durch das Dojo führen. Hiromi machte nur beim Badezimmer und der Küche einen Zwischenstopp und ließ den rotschöpfigen Russen im für ihn vorgesehenen Zimmer alleine.   „Na, das kann ja was werden“, murmelte Hiromi zu sich, strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht, die sich aus ihrem Dutt gelöst hatte, und streifte die Kostümjacke ab. Es war ungewöhnlich warm für die Jahreszeit. Sie nahm ihr Handy aus der Jackentasche und öffnete das Verzeichnis der Emailadressen: bei Takaos Namen betätigte sie die grüne Taste, welche das Signal zur Verbindung des Anrufs aussenden sollte, und machte sich in der Zwischenzeit daran, den Wasserkocher zu befüllen. „Wo hatte Großvater noch gleich..?“, fragte sie sich, während das Freizeichen aus dem Lautsprecher ertönte. „Ohayo, Hiromi-chan“, meldete sich auch prompt Takao. „Wo habt ihr den Tee versteckt?“, fragte die Anrufende grußlos und hörte ein kehliges Lachen, wie es nur von Kinomiya Takao stammen konnte. „Der ist immer noch im Fach über der Spüle“, erklärte ihr langjähriger Freund, „Ich nehme an, das heißt, ihr seid angekommen?“ Hiromi nickte, ehe sie erkannte, dass es sich dabei um eine sinnlose Handlung handelte. Sie fand den Tee und bereitete eine Teekanne vor. Vorsichtshalber stellte sie noch eine zweite Tasse auf den Küchentisch, wenngleich sie nicht glaubte, dass Yur-Tala so schnell wieder aus seinem Zimmer kommen würde. „Ja“, antwortete sie Takaos Stimme am Telefon, „Ich habe Y-Tala eingewiesen und durchstöbere gerade die Küche nach euren Vorräten. Ich habe vergessen, einkaufen zu gehen.“ „So so, er nennt sich also immer noch so... Ich glaube, Großvater hat vorgestern noch ein paar Dinge im Kühlschrank vergessen“, überlegte Takao laut, was ihm einen Kommentar aus dem Hintergrund einbrachte. Da war Großvater Kinomiya wohl in nächster Nähe gewesen – Takao ließ ein verlegenes Lachen hören. „Er meint, es müsste noch genug im Haus sein.“ Hiromi ließ sich am Tisch nieder. „Na, dann muss ich mir ja beinahe keine Sorgen machen.“, erklärte sie lakonisch, „Außer, wie ich mit diesem großen, schweigsamen Russen zurechtkommen soll. Oder wie ich mit ihm kommunizieren soll. Oder.. nun, generell, die ganze Aufgabe hier erledigen soll. Ich weiß ja nicht mal, was ich eignentlich für ihn tun soll.“ „Soweit ich mich erinnern kann, konnte er recht gut Englisch und sogar ein paar Brocken Japanisch“, erinnerte sich Takao, „Du hast selbst zugestimmt, das Mädchen für alles zu sein.“ „Ja, aber da war mir nicht klar, dass ich einen Hiwatari Kai in seinen schlechtesten Zeiten vor mir haben würde.“, brummte Hiromi und prüfte mit dem Handrücken die Temperatur der kleinen Teekanne. Der Tee war bereit. Sie schwenkte die Tasse zweimal, ehe sie das Getränk in ihre Tasse füllte und einen Schluck trank. „Na, egal. Jedenfalls sind wir angekommen.“ Hiromi seufzte, angetan von der guten Qualität des Tees. „Hiromi-chan“, ertönte es da noch aus dem Hörer, gerade als sie auflegen wollte. „Frag‘ ihn doch einfach, was er von dir erwartet. Vielleicht hat Dickenson-sama ihm genauso wenig gesagt wie uns.“   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)