Die Schokoladen-Verschwörung von Moonprincess ================================================================================ Es war ruhig. Zu ruhig. Yugi runzelte die Stirn, während er die Treppe hinunterging. Fröstlend zog er den Morgenmantel enger um sich. Er würde sich gleich seinen morgendlichen Tee machen, aber zuerst wollte er seine abgängigen Liebsten suchen. Atem hatte eben nicht mehr neben ihm gelegen und auch das Kinderzimmer war leer gewesen. Am Ende der Stufen fühlte Yugi, wie er kurz den Halt verlor, doch seine Reflexe waren schneller und er konnte sich noch ans Geländer klammern. Wieder mit beiden Füßen auf der untersten Stufe blickte Yugi auf den Boden und entdeckte den roten Laster seines Sohnes. Seufzend bückte Yugi sich und hob das Holzspielzeug auf, um es danach auf eine Kommode zu stellen.   Yugi hatte sich noch immer nicht daran gewöhnt, daß es in ihrem Hause nun auch bewegliche Stolperfallen gab. Er lächelte. Dabei war es bald ein Jahr her, daß Atem und er Haru mit nachhause hatten nehmen dürfen. Der Holzlaster war das erste Geschenk gewesen, das Atem und Yugi ihrem Adoptivsohn überreicht hatten. Wie die Zeit vergangen war... Und jetzt stand ihnen schon das allererste Weihnachten als Familie bevor. Nur noch drei Wochen, unvergessbar, da Haru und auch Atem fleißig die Tage zählten. Yugi schmunzelte.   Während er so in Gedanken gewesen war, hatte er wie auf Autopilot in die Küche und das untere Bad gesehen, doch seine Suche war weiterhin erfolglos. Als nächstes kam das Wohnzimmer dran. Yugi schnippte kurz seine Zehen, die sich wie Eiswürfel anfühlten, gegen das Innere seiner Hausschuhe, dann trat er ein. Auf den ersten Blick sah alles normal aus. Auf den zweiten aber offenbarte sich, daß jemand aus den Sofakissen eine kleine Burg gebaut hatte, genau zwischen dem Sofa und dem niedrigen Glastisch. Yugi schüttelte den Kopf und mit wenigen Schritten stand der vor dem roten Aufbau. Er kniete sich hin und spähte durch eine kissengroße Öffnung in das Innere der Burg. “Haru? Atem?” erkundigte er sich, aber es rührte sich nichts. Bis auf ein leises Lachen und ein hastiges “Scht!”.   Yugi stand auf und seufzte schwer. “Ach, weh mir! Ich bin ja ganz alleine hier! Niemand da. Sowas... Na, dann muß ich wohl die Heiße Schokolade ganz alleine trinken, ich armer Kerl.” Gedanklich zählte er bis Drei, da ertönte auch schon eine aufgeregte Kinderstimme.   “Papa! Ich will auch!” Und schon reckte sich ein verwuschelter, brauner Schopf aus den Kissen hervor. Haru strahlte und krabbelte zu Yugi, der seinen Sohn dann auf die Arme nahm.   “Hm...” Yugi runzelte die Stirn. Was klebte denn da an Harus Mundwinkeln? “Hast du schon was gegessen.”   “Nein.” Haru blickte Yugi aus hellblauen Augen an, als könnte ihn kein Wässerchen trüben.   Yugi wischte mit dem Daumen das Zeug ab und kostete kurz. “Schokolade ist etwas zu essen, Haru.”   “War aus dem Adventskalender”, erklärte Haru und lächelte wie ein kleiner Engel.   Yugi blickte auf die nun verdächtige ruhige Kissenburg. Was machte Atem da drinnen? “Schatz, ich weiß, daß du da unten drin bist.”   “Äh, ja... Ich... Ich komm gleich”, ertönte gedämpft Atems Stimme.   “Geht es dir auch gut?”   “Ja, alles bestens. Wirklich!”   “Ja, alles bestens”, wiederholte Haru und kicherte.   Yugi wußte, daß die beiden etwas vor ihm verheimlichten. Natürlich könnte er einfach die Kissenburg auseinandernehmen wie ein schlechtgelaunter Drache mit Mundgeruch und ohne morgendliches Heißgetränk, aber dann würde Atem ihn den ganzen Tag damit aufziehen, daß er Kaiba zu ähnlich würde. Und Yugi wollte wirklich nicht, daß Atem seine Version der Grinch-Geschichte änderte und Seto Kaiba mit ihm ersetzte.   “Wir sind dann in der Küche”, erwiderte Yugi schließlich und trug Haru hinüber. Zum Glück hatte Atem Haru schon angezogen und während der brav am Küchentisch wartete, während der Wasserkocher und der Milchtopf ihren Dienst taten, zog auch Yugi sich um. Als er wieder in die Küche kam, stand Atem am Herd und füllte Kakao-Pulver in drei Tassen und hängte einen Teebeutel in eine vierte mit Wasser.   Atems Haar stand wie jeden Morgen nach allen Seiten ab und beinahe wäre Yugi der silbrige Schimmer darin entgangen. Er grinste. “Oh-oh, bekommt mein Schatz schon graue Haare?”   Haru kicherte und deutete auf Atem. “It, du wirst grau!”   “Was?” Atem drehte sich um und sein Blick war vorwurfsvoll. “Überhaupt nicht wahr. Mein Haar ist noch immer jung, genauso wie ich. Schließlich bin ich gerade mal 3035 Jahre alt.”   Yugi grinste. “Ach ja und was ist das, Pharao Jungbrunnen?” Damit zupfte er an dem silbernen Haar und hatte es gleich darauf in der Hand. “Das ist aber fest”, wunderte Yugi sich und hielt es ins Licht.   “Das ist kein Haar, Aibou”, stellte Atem überflüßigerweise fest und stellte Haru eine Tasse Schokolade hin.   Yugi musterte den Faden. “Das sieht wie eines dieser Bänder aus, um Schokoladenschmuck an den Baum zu hängen. Was habt ihr denn in eurem Kissenfort getrieben?”   „Geheimnisvolle Dinge“, antwortete Atem todernst und stellte dann die restlichen Tassen auf den Tisch. Es duftete nach Schokolade und Zimt. Haru kicherte und nippte vorsichtig an seiner grünen Tasse, die von Kuriboh verziert wurde.   Yugi hob eine Augenbraue. „Denk dran, wir wollten heute saugen, also muß der Boden frei sein.“ Er warf einen Blick auf seinen Tee. „Ich räume schnell auf, dann kann ich trinken.“   Atem sprang fast vor Yugi. „Ach, überlaß das mir! Ich räume gleich nach dem Frühstück auf und sauge durch.“   Ah ja… Yugi wußte, wie wenig Atem den Lärm des Staubsaugers mochte. Wenn Atem Yugi also anbot, das Saugen zu übernehmen, dann war etwas im Busch. „Sicher?“ hakte er also nach.   „Ganz sicher. Dann kannst du mit Haru in Ruhe Plätzchen backen.“ Atem lächelte so voller Unschuld, daß Yugi ihn am liebsten gegen die nächste Wand gedrückt hätte, um Atem zuzuflüstern, daß er ihm diese Nummer außerhalb ihres Schlafzimmers erst recht nicht abkaufte.   Aber Haru war ja mit im Zimmer und bei der Erwähnung von Plätzchen erhellte sein Gesicht sich. „Au ja! Bitte, Papa!“   Yugi lächelte und nickte. Insgeheim hoffte er inständig, daß das Plätzchenrezept seiner Mutter wirklich so einfach war wie diese immer behauptete. Yugi setzte sich nun an den Tisch und beobachtete, wie Atem das restliche Frühstück herichtete. Atem aß gerne Brötchen mit Butter und auch Yugi hatte sich inzwischen an ein westliches Frühstück gewöhnt. Durch ihre Duellkarrieren waren sie sooft in westlichen Hotels und Restaurants gewesen, daß er es inzwischen als genauso normal wie das japanische empfand.   Doch während Atem summend die Brötchen toastete und Haru mit seinem Plastikteller spielte, plagte Yugi noch immer die Frage, was seine beiden Pappenheimer angestellt oder ausgeheckt hatten. Ein Weihnachtsgeschenk? Dann hätte Atem es sicher inzwischen versteckt und würde nicht riskieren, daß Yugi es zufällig finden konnte. Andererseits würde Atem ihn nicht abhalten, die Kissenburg auseinanderzunehmen, gäbe es dort nicht doch irgendeinen Hinweis. Vielleicht einen Prospekt? Yugi lächelte. Das würde es wohl sein. Kein Grund, sich Sorgen zu machen. Also griff er lieber zu, kaum stand der Korb mit den warmen Semmeln auf dem Tisch, um für das Plätzchenbacken später gut gerüstet zu sein.   Zwischen dem Röhren des Staubsaugers, Atems Unglücksmiene, einer umgekippten Mehltüte (mit nachfolgendem Niesanfall), einer beinahe verbrannten Fuhre Plätzchen und einer spontanen Dusche für sich und Haru, um sich von Mehl- und Teigresten zu befreien, dachte Yugi nicht mehr an die Kissenburg oder Atems auffälliges Verhalten. Erst nachdem Yugi seinen Sohn nach einem kleinen Mittagessen ins Bettchen gesteckt hatte, da dieser fast im Sitzen eingeschlafen war, fand er einen Moment, um durchzuatmen.   Gähnend ging Yugi ins Wohnzimmer und ließ sich dort stöhnend auf die rote, weiche Couch fallen. Gerade fühlte er sich so alt wie Atem, sein Rücken schmerzte und er fragte sich, wie seine Mutter das jahrelang mitgemacht hatte, ohne die Nerven zu verlieren mit einem neugierigen Kind, einem heißen Ofen und nur zwei Händen. „Wahrscheinlich ist das ihre Rache“, murmelte Yugi, lächelte und gähnte dann erneut. Doch obwohl er hätte schlafen können, blieb er mit halbgeöffneten Augen liegen. Er konnte Atem nicht hören, wahrscheinlich hatte sein Liebster sich auch zurückgezogen, um sich etwas auszuruhen.   Für eine Weile lag Yugi einfach nur auf der Couch, fühlte die Wärme und genoß den süßen Duft von Butterplätzchen. Dann schweifte sein Blick über die Regale, den an die Wand montierten Fernseher, das Tischchen mit den Adventskalendern, die alte Holzuhr… Warte! Er hatte ja heute noch gar nicht sein Kalendertürchen aufgemacht!   Yugi stand auf und ging hinüber zu dem Tischchen. Die Kalender waren Atems Idee gewesen, dabei war Atem sonst alles andere als ein Weihnachtsfan. („Wieso wird dessen Geburt gefeiert? Ich habe nachweislich die Welt gerettet, Aibou.“) Aber Haru hatte sich gefreut und Atem hatte die Kalender im Internet bestellt, da sie in Japan kaum zu finden waren. Drei Stück, für jeden von ihnen einen. Yugi nahm seinen summend zur Hand und studierte kurz das Motiv einer Blockhütte auf irgendeinem europäischen Berg, tief eingeschneit. Ein Nadelbaum daneben war mit einer schlichten Lichterkette geschmückt, die das Bild angenehm erhellte.   Yugi suchte den heutigen Tag und fand ihn schnell. Als er die Perforierung aufreissen wollte, sank sein Finger samt Papptürchen ein. Stirnrunzelnd bewegte Yugi seinen Finger, bis er das Türchen, leicht verknickt, doch wieder herausziehen konnte. Eine golden verpackte Schokokugel mit dünnem Silberfaden zum Aufhängen kam zum Vorschein. Yugi lächelte und nahm sie heraus, da fiel ihm auf, das die Pappe unter seiner anderen Hand leicht nachgab. Yugi hob den Kalender hoch und studierte diesen. Es war nicht nur das eine Türchen von gerade, dessen Perforierung geöffnet worden war. Alle Türchen waren offen! Und doch wog der Kalender noch immer wie gestern.   „Wer würde alle Türchen aufmachen?“ fragte Yugi sich leise. Er stellte seinen Kalender ab, wickelte dann die Schokolade aus und steckte sich die mit süßer Milchcreme gefüllte Kugel in den Mund. Während er an ihr lutschte, betrachtete er das goldene Papier, den dünnen, glänzenden Faden. Atem hatte sich einen Kalender mit derselben Füllung ausgesucht, aber ein anderes Motiv mit Kerzen und Lichtern. Yugi blickte auf den roten Kalender, zögerte einen Moment und hob ihn dann hoch. Der Kalender wog kaum noch etwas! Unmöglich! Auch ein leichtes Schütteln ließ keinen anderen Schluß zu: Atems Kalender war leer!   Yugi stellte den Kalender ab. Das sah Atem so gar nicht ähnlich… Sein Liebster war äußerst genau, er würde nie einfach vorgreifen, schon gar nicht in dem Maße, und dann auch noch Yugis Kalender durchsehen. Was hätte er auch davon? Da traf es Yugi wie ein Schlag: Die Schokolade in Harus Mundwinkeln, der Faden in Atems Haar, die Kissenburg, Atems auffällig verdächtiges Verhalten… Nicht Atem hatte seinen Adventskalender geleert, sondern Haru! Und Atem war wohl gerade noch rechtzeitig gekommen, um zu verhindern, daß Haru sich auch noch über Yugis hermachte.   Yugi konnte sich lebhaft das Geschrei wegen Bauchweh und Übelkeit vorstellen, das ihm das Herz zerrissen hätte. Er schüttelte kurz den Kopf. Kein Wunder, daß Atem eine einfache, aber sättigende Gemüsesuppe aufgetischt hatte. „Da hat Haru echt nochmal Glück gehabt“, murmelte Yugi und atmete tief durch. Danach setzte er sich wieder auf die Couch, nahm den Laptop von der Ablage daneben und klappte diesen auf. Atem verdiente eine Belohnung für die Rettung von Harus Wohlbefinden.   Yugi hatte gerade die Bestellung für einen zweiten Adventskalender mit roten Kerzen abgeschickt, als eine verschlafene Stimme ihn fast aus der Haut fahren ließ.   „Na, gibt’s was Neues online?“ Atem trat an Yugi heran, während er sich den Hinterkopf rieb und dann den Kopf hin- und herbwegte, bis es knackte.   „Nein, heute waren keine Nackedei-Fanarts von dir in unserem gemeinsamen Mailaccount.“ Yugi grinste. „Du bist echt ein verrückter Kerl!“   „Weil ich nackt einfach immer gut aussehe?“ Atem grinste und ließ sich neben Yugi auf die Couch fallen.   „Och, das mit der Weihnachtsmannmütze und der Schleife an deinem edelsten Teil hat mir auch gefallen.“ Yugi lehnte sich zurück und blickte tief in Atems warme Augen. „Danke. Haru wäre es sonst wirklich elend gegangen.“   Atem saß innerhalb von Sekundenbruchteilen aufrecht. „W-was?“   „Du bist auf dem Duellfeld ein wahrer Meister der Täuschung, aber vor mir kannst du deine Geheimnisse schlecht verstecken.“ Yugi nahm Atems Hand. „Haru hat deinen Adventskalender ausgeraubt. Ich bin froh, daß er kein Bauchweh bekommen hat.“   „Äh…“   Yugi legte den Kopf schief. „Wie äh? War noch etwas?“   „Naja, tatsächlich… hat Haru deinen Kalender ausgeräumt“, gestand Atem schließlich. „Ich wollte nicht, daß es dir verdorben wird, also… Naja… Ich hab deinen Kalender aufgefüllt mit der Schokolade aus dem meinen.“ Ein schwaches Lächeln zierte Atems Lippen.   Yugi starrte Atem an, für einen Moment sprachlos und ahnungslos, was er jetzt tun sollte. Dann zog er Atem mit einem Ruck an sich, legte beide Arme um dessen Nacken und küßte seinen Ehemann voller Liebe und Dankbarkeit. Es dauerte einen Moment, bis Atem sich entspannte, seine Lippen sich öffneten und seine Hände sanft über Yugis Körper glitten.   Yugi lächelte leicht gegen Atems Lippen, sein Körper kribbelte sanft, angenehm. „Du bist wirklich der Beste“, wisperte er dann. „Danke, Atem. Du hast nicht nur unseren Sohn vor Schmerzen bewahrt, sondern wolltest auch noch, daß ich nicht enttäuscht werde.“ Mit einer Strähne Atems spielend blickte Yugi tief in die Augen seines Ehemanns.   „Es war ja keine so großartige Aktion… Ich mußte nur aufpassen, daß du die Schokoladenpapierchen nicht findest.“ Sie beide lachten, ihre Stirnen aneinandergelehnt. „Sag mal, Aibou…“   „Hm?“   „Meinst du, Haru schläft noch eine Stunde?“   Yugi warf einen Blick auf die Uhr seines Laptops. „Gut möglich. Er war ja wirklich fertig vom Backen.“   Atem grinste und küßte Yugi auf die Nase. „Dann habe ich noch eine bessere Adventsüberraschung für dich. Ich glaube, ich habe oben noch eine Weihnachtsmannmütze von letztem Jahr und dann sind da noch die roten Schleifen, die du letztens gekauft hast für die Geschenke…“   Yugi wurde angenehm heiß. Grinsend ließ er sich von Atem auf die Beine ziehen. „Das ist wirklich besser als jede Schokolade.“   Sie blickten sich an, lachten noch einmal und während draußen die ersten Schneeflocken des Jahres fielen, eilten sie händchenhaltend nach oben, rotwangig, mit blitzenden Augen und allerlei unartigen Dingen im Sinn.   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)